Inzidenz und Risikofaktoren
Prinzipiell hat jeder nichtnüchterne Patient ein erhöhtes Aspirationsrisiko. Weiterhin muss in folgenden Situationen mit einem erhöhten Aspirationsrisiko gerechnet werden.
Adipositas
wird vielfach als Risikofaktor für eine Aspiration angesehen. Studien, die dieses Risiko verifizieren, existieren jedoch nicht. Vielmehr konnte gezeigt werden, dass
Adipositas per se nicht mit einer verzögerten Magenentleerung einhergeht [
5]. Allerdings steigt der Anteil von Patienten mit einer Refluxerkrankung mit steigendem Body Mass Index [
6]. Sicherlich muss auch nicht bei einer relativ gleichmäßigen Fettverteilung und schlaffen Bauchdecken mit einem erhöhten intraabdominellen Druck gerechnet werden. Andererseits ist bei dem adipösen und sehr adipösen Patienten mit einer erheblichen Einschränkung der funktionellen Residualkapazität (häufig <1000 ml) zu rechnen, sodass die Apnoetoleranz je nach Gewicht bei einem O
2-Verbrauch von ca. 3 ml/kg Realgewicht erheblich reduziert ist. Kommen dann noch Intubationsschwierigkeiten hinzu, so kann eine RSI bei den Patienten zu einer
Hypoxämie führen.
Zur allgemeinen Risikoeinschätzung werden anamnestische Hinweise auf Nahrungsaufnahme, Sodbrennen bzw. Reflux, Übelkeit, Erbrechen, Vorerkrankungen, aktuelle Medikation sowie Untersuchungsbefunde zu Allgemeinzustand, Peritonitiszeichen sowie die vorhandene bildgebende Diagnostik verwendet.
Im Zweifel gilt ein Patient immer als aspirationsgefährdet.
Maßnahmen zur Aspirationsprophylaxe
Zur Minimierung des
Aspirationsrisikos werden verschiedene Verfahren und Maßnahmen angewandt, deren Evidenz z. T. umstritten ist. In den vergangenen Jahren wurden sie von verschiedenen wissenschaftlichen Fachgesellschaften einer kritischen Überprüfung unterzogen [
2,
8]. Durch die Weiterentwicklung der
Ultraschalldiagnostik in der Anästhesiologie ist es möglich, mittels Sonografie bei einem Risikopatienten das Ausmaß der Magenfüllung recht zuverlässig abzuschätzen [
3].
Präoperative Nüchternheit
Die präoperativ als notwendig erachtete
Nüchternzeit vor elektiven Eingriffen hängt von Art und Zusammensetzung der aufgenommenen Nahrung ab. Starre Nüchternheitsgrenzen von 6 h für flüssige und feste Nahrung werden zugunsten eines differenzierteren Vorgehens aufgegeben. So gilt heute bei elektiven Eingriffen
ohne zusätzliche Risikofaktoren eine Nüchternheitsgrenze von 2 h für klare Flüssigkeiten und von 6 h bei Milchprodukten und leichter Nahrung mit geringem Fettanteil als akzeptabel. Bei fettreicher Nahrung oder Fleisch muss mit längeren Magenentleerungszeiten (≥8 h) gerechnet werden; möglicherweise hängt die Magenentleerungszeit auch von der Menge des Mageninhalts ab [
1,
2]. Bei Kleinkindern konnte kein Unterschied im Magensaft-pH und Magenredialvolumen nach 1 oder 2 Stunden Flüssigkeitskarenz nachgewiesen werden [
7].
Die amerikanische Anästhesiegesellschaft (ASA) und die Europäische Gesellschaft für Anästhesiologie (ESA) empfehlen in ihren aktuellen Leitlinien 2011 folgende Nüchternzeiten für ansonsten gesunde Patienten vor Elektiveingriffen [
2,
8]:
-
klare Flüssigkeiten (Wasser, schwarzer Kaffee, Fruchtsaft ohne Fruchtfleisch, Sprudelgetränke): 2 h,
-
Muttermilch: 4 h,
-
leichtes Essen, Kuhmilch, Kindernahrung: 6 h,
-
fritiertes oder sehr fetthaltiges Essen, Fleisch: 8 h.
Selbstverständlich kann durch die Einhaltung dieser Nüchternzeiten keine 100 % sichere Magenentleerung garantiert werden; auch gelten diese Empfehlungen ausdrücklich nicht für Schwangere oder Notfallpatienten.
Medikamentöse Prophylaxe
Medikamentöse
Ansätze zielen im Wesentlichen darauf ab, pH-Wert und Volumen des
Magensafts zu vermindern.
Das lösliche Antazidum Natriumzitrat hat bei festem Mageninhalt keinen wesentlichen Nutzen und erhöht auch das Magenvolumen.
Empfehlungen zum Vorgehen in der klinischen Praxis
Beim Routinepatienten ohne erkennbares Aspirationsrisiko wird eine präoperative medikamentöse Aspirationsprophylaxe nicht empfohlen [
4]. Bei Patienten mit erhöhtem Aspirationsrisiko kann vor elektiven Eingriffen ein
H
2
-Rezeptorenblocker (z. B. Ranitidin) oder ein
Protonenpumpenhemmer (z. B. Esomeprazol) verordnet werden.
Die Ranitidingabe erfolgt jeweils am Vorabend und 1–4 h präoperativ. Im Kindesalter wird am einfachsten die Ampullenlösung verwendet und als „Saft“ verabreicht. Beispiel: 5-kg-Säugling mit Pylorusstenose: Verabreicht werden jeweils 10 mg Ranitidin, also 1 ml der Ampullenlösung p.o.
Bei Operationen mit aufgeschobener Dringlichkeit (z. B. bei einem Zeitraum unter 1 Stunde zwischen Indikationsstellung und Narkoseeinleitung) können 30 ml einer 0,3 molaren Natriumzitratlösung p.o. unmittelbar vor Beginn der Präoxygenierung verabreicht werden. Dadurch wird die Azidität des Magensekrets sofort für einen Zeitraum von 1–3 h deutlich reduziert.
Bei einer Notfallschnittentbindung können 50–100 mg eines H
2-Rezeptorenblockers (z. B. Ranitidin) intravenös verabreicht werden, gefolgt von 30 ml einer 0,3 molaren Natriumzitratlösung p.o. [
8].