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Endoplasmatischer Retikulumstress

Verfasst von: H. Fiedler
Endoplasmatischer Retikulumstress
Englischer Begriff
endoplasmic reticulum stress
Definition
Störungen der Homöostase bei der Faltung von Proteinen (Proteinfaltung) und/oder die Akkumulation von falsch gefalteten Proteinen im endplasmatischen Retikulum (ER) werden als endoplasmatischer Retikulumstress (ER-Stress) zusammengefasst. Nach einer nicht bestandenen Proteinqualitätskontrolle wird zur Beseitigung der Störung eine Kaskade von Reaktionen initiiert, die als „endoplasmic reticulum-associated protein degradation“ (ERAD) und die nachfolgende „unfolded protein response“ (UPR) eine wichtige Rolle für das Überleben und den Metabolismus der Zellen spielen.
Beschreibung
Neben der Protein- und (Phospho-)Lipid-/Steroidsynthese werden im ER der Kalziumspiegel (10.000-fach höher als im Zytosol), Transportvorgänge und der Redoxzustand auf ein hohes Niveau reguliert und Signalinformationen vermittelt.
Der ER-Stress im rauen ER wird durch viele Stimuli und Risikofaktoren ausgelöst:
  • Überschreitung der Faltungskapazität von neu synthetisierten Proteinen, besonders in Plasma-, Insel-, Paneth- und Leberzellen bei übermäßiger Stimulation oder Bedarf
  • Unbilanzierte Synthese von Untereinheiten der Proteinkomplexe
  • Expression von mutierten und/oder von zu Fehlfaltung neigenden Proteinen, wie vom CFTR-Protein bekannt
  • Schädigende Faktoren, wie oxidativer Stress (Stress, oxidativer), Lipotoxizität, Temperaturänderungen (Fieber), pH-Wert- und Ionenveränderungen und Kalziumerniedrigung
  • Metabolische Änderungen wie Nahrungs- und ATP-Mangel, Adipositas mit Insulinresistenz, Lipotoxizität oder Fettleber
  • Verminderung und/oder Störungen der molekularen Chaperone/Chaperonine, ER-Oxidoreduktasen und der Glykosylierungsprozesse (bei Faltung von Glykoproteinen; s. Glykosylierung, Glykoproteine)
Zur Wiederherstellung der normalen Zellfunktion und Proteinfaltung ist die Aktivierung von Signalmolekülen, Chaperonen und Transkriptionsfaktoren nach einer nicht bestandenen Qualitätskontrolle notwendig:
  • Stopp der Translation des übermäßig produzierten und akkumulierenden Proteins durch Hemmung der Initiationsfaktoren (PERK und eIF2) der Transkription und Translation.
  • Die Bildung oder Isomerisierung von Disulfidbindungen (oxidative Faltung) wird reguliert durch den Redoxzustand des ER, Import von Glutathion und durch Oxidoreduktasen (Foldasen): Proteindisulfidisomerase (PDI) und GRP58 („glucose regulated protein“, 58 kDa) wirken zusammen mit Calreticulin/Calnexin bei der Faltung von Glykoproteinen. Nach Bildung der Disulfidbindung in den zu faltenden Proteinen wird PDI durch das membranassoziierte Protein Ero1p reoxidiert, wobei auch reaktive Sauerstoffspezies (ROS) entstehen. Auch die Oxidation von Glutathion GSH zu GSSG kann zur Reduktion und Neuordnung von inkorrekten Disulfiden in fehlgefalteten Proteinen dienen. Die benötigten Enzyme Glutaredoxin, Glutathionperoxidase und Glutathiontransferase gehören zur Thioredoxinfamilie.
  • Hochregulation der Expression von Genen für benötigte Chaperone, Chaperonine, Kofaktoren und Enzyme.
  • Auswärtstransport von irreversibel fehlgefalteten oder aggregierten Proteinen nach ihrer Entfaltung durch spezielle Chaperone (BiP/GRP78, HSP70, AAA+-ATP, PDI) in das Zytoplasma zu Refaltungsversuchen. Wenn die normale Faltung nicht möglich ist, werden die Proteine ubiquitiniert und zur Zerstörung durch das Ubiquitin-Proteasom-System (UPS) freigegeben. Nach Abspaltung von Ubiquitin werden im Proteasom die fehlgefalteten oder geschädigten Proteine in Peptide von 3–5 Aminosäuren und durch Endo- und Aminopeptidasen bis zu den Aminosäuren zerlegt. Unter katabolischen Zuständen, wie Hunger, Insulinmangel oder Sepsis, wird UPS im Muskel selektiv aktiviert und liefert Aminosäuren für Glukoneogenese und Proteinneusynthese.
  • Abbau von Proteinaggregaten durch Autophagie in den Lysosomen (s. unten)
Wenn das UPS überfordert ist, werden die fehlgefalteten Proteine in verschiedenen Inklusionskörpern zwischengelagert. Ubiquitinierte Proteine werden durch Chaperone in die Nähe von Zellkern und den Proteasomen gebracht (JUNQ, „juxta nuclear quality control compartment“), wo sie nach Beseitigung der Stresssituation entweder neugefaltet oder bei erneutem Fehler im Proteasom abgebaut werden. Dagegen werden amyloidogene, nicht ubiquitinierte Proteine in der Nähe von Vakuolen gelagert (IPOD, „insoluble protein deposit compartment“). Wenn Disaggregase-Chaperone die aggregierten Proteine nicht entfalten können, werden sie in Vakuolen (Autophagosomen) eingeschlossen und nach Verschmelzung mit Lysosomen proteolytisch abgebaut. Die Autophagie als Selbstreinigungsprozess dient dem Überleben der Zelle und gewann durch die Verleihung des Nobelpreises 2016 an Yoshinori Ohsumi allgemeine Bedeutung.
„Unfolded protein response“ ist auch an intrazellulärer Signalweiterleitung, Freisetzung von Tumornekrosefaktor-α, Regulation des Zellzyklus, Antigenprozessierung und der Modulation von Rezeptoren und Ionenkanälen beteiligt.
ER-Stress und UPS sind an verschiedenen Krankheiten beteiligt, allerdings müssen noch viele Einzelheiten geklärt werden. Bei Umbauprozessen am Herzen nach Ischämie und Reperfusion werden ubiquitinierte aggregierte und fehlgefaltete Proteine in die Lysosomen transportiert. In Atheroseplaques wurden Marker für ER-Stress und UPS erhöht gefunden. In Immunzellen wird mit Hilfe von Interferon-γ ein Immunproteasom gebildet, das gezielt geeignete Peptide für die Antigenprozessierung produziert. ER-Stress, UPR und oxidativer Stress sind mit Hyperglykämie, Insulinresistenz mit erhöhter (Pro-)Insulinbiosynthese und metabolischem Syndrom verknüpft. Außerdem wird das ER der β-Zellen durch das gleichzeitig synthetisierte und sezernierte Amylin („islet amyloid peptide“, IAPP) überlastet und dadurch der ER-Stress verstärkt.
Literatur
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Fiedler H (2010) Endoplasmatischer Retikulumstress. Ubiquitin- Proteasom- System. MTA Dialog 9:766–769
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Hebert DN, Molinari M (2007) In and out of the ER: Protein folding, quality control, degradation and related human diseases. Physiol Rev 87:1377–1408CrossRef
Wang Q, Groenendyk J, Michalak M (2015) Glycoprotein quality control and ER stress. Molecules 20:13689–13704CrossRef
Yalcin A, Hotamisligil GS (2013) Impact of ER protein homeostasis on metabolism. Diabetes 62:691–693CrossRef