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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 30.09.2021

Differenzialdiagnose kindlicher Rückenschmerz

Verfasst von: Ralf Stücker
Rückenschmerzen im Kindes- und Jugendalter ohne organische Ursache nehmen insbesondere nach dem 10. Lebensjahr deutlich zu. Vor dem 10. Lebensjahr sind sie eher selten, sodass in jedem Fall eine Abklärung hinsichtlich organischer Probleme erfolgen muss. Insbesondere müssen das Vorliegen einer Diszitis, einer kindlichen Rheumaerkrankung und die Möglichkeit von Tumoren ausgeschlossen werden. Nach dem 10. Lebensjahr nehmen neben nicht organischen Ursachen auch funktionelle Störungen, Fehlbelastungen, Überlastungsreaktionen bei Sportlern und Verletzungen, aber auch psychosomatische Störungen einen wesentlichen Raum in der Differenzialdiagnose ein. Daneben müssen jedoch eindeutig organische Ursachen wie eine Spondylolyse, ein Morbus Scheuermann, Bandscheibenvorfälle, ein Bertolotti-Syndrom, rheumatische Ursachen sowie auch sehr seltene Erkrankungen wie eine nicht bakterielle Osteomyelitis oder auch eine jugendliche Osteoporose ausgeschlossen werden.

Einleitung: Rückenschmerzen bei Kindern

Das Thema Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen hat in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit erfahren. Während vor vielen Jahren das Problem nur wenig im Fokus stand, hat es in den letzten Jahren gerade auch im Hinblick auf volkswirtschaftliche Faktoren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Rückenschmerzen führen zur Inanspruchnahme medizinischer Versorgungsstrukturen, Schulabsentismus, Verschreibung von Medikamenten und Beeinträchtigung der Lebensqualität.
Die Inzidenz von Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen, die nicht mit spezifischen Erkrankungen im Zusammenhang stehen, ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig.
Es mangelt weiterhin an guten Studien. Viele Studien haben uneinheitliche Definitionen, ungeeignete Evaluationsmethoden und uneinheitliche Einschlusskriterien.
Watson untersuchte Schulkinder im Alter von 11–14 Jahren (Watson et al. 2002). Die Autoren fanden eine Inzidenz für Rückenschmerzen von 24 %. Mädchen waren häufiger betroffen, und die Prävalenz nahm mit dem Alter zu. Petersen und Mitarbeiter untersuchten Schulkinder in Schweden im Alter von 8–13 Jahren und fanden eine Inzidenz von 18 % und keine Unterschiede in der Geschlechterverteilung (Petersen et al. 2003).
Du und Mitarbeiter untersuchten die 3-Monats-Prävalenz von Rückenschmerzen bei Kindern im Alter von 3–17 Jahren. Hier zeigte sich ein Anstieg der Prävalenz in Abhängigkeit vom Lebensalter. Insbesondere nahm nach dem 10. Lebensjahr die Häufigkeit von Rückenschmerzen erheblich zu (Tab. 1), wobei die Mädchen wesentlich häufiger betroffen waren als die Jungen (Du et al. 2011).
Tab. 1
Prävalenz von Rückenschmerzen im Kindesalter (Du et al. 2011)
Alter (Jahre)
Mädchen (%)
Jungen (%)
3–6
3,0
2,1
7–10
7,6
6,3
11–13
22,2
14,7
14–17
50,7
38,1
Risikofaktoren für die Entstehung von Rückenschmerzen werden in den unterschiedlichen Studien sehr inkonsistent angegeben. Adipositas wird von einigen Autoren als Risikofaktor bewertet (Castellvi et al. 1984; Samartsis et al. 2011). Auch andere Risikofaktoren werden in der Literatur immer wieder angegeben, wie beispielsweise lange sitzende Tätigkeiten, familiäre Belastung und Rauchen, wobei ein eindeutiger Zusammenhang mit einer erhöhten Inzidenz von Rückenschmerzen fehlt. Hinsichtlich der Adipositas konnten Samartsis und Mitarbeiter allerdings nachweisen, dass als Folge von Adipositas eine Bandscheibendegeneration deutlich häufiger vorkommt als bei Normalgewichtigen, sodass in jedem Fall die Adipositas als Kofaktor der Entstehung von Rückenschmerzen angesehen werden muss (Samartsis et al. 2011).
In einer systemischen Literaturbewertung scheinen nur das Alter und intensive sportliche Betätigungen konstante Risikofaktoren für die Entstehung von Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen zu sein (Calvo-Munoz et al. 2018). Schwere Schultaschen werden ebenfalls immer wieder als möglicher Risikofaktor diskutiert. Nach neueren Erkenntnissen können sie jedoch nicht als Risikofaktor eindeutig identifiziert werden (Aprile et al. 2016; Gunzberg et al. 1999; Yamamoto et al. 2018).
Die häufigsten Ursachen von unspezifischen Rückenschmerzen sind muskuläre Fehlbelastungen, Überlastungen und Verletzungen. Biopsychosoziale und familiäre Faktoren spielen ebenfalls eine signifikante Rolle. Gunzberg und Mitarbeiter konnten an einer Untersuchung von 9-jährigen Schulkindern zeigen, dass Kinder mit Episoden von Rückenschmerzen in 64 % angaben, dass auch Eltern über Rückenschmerzen klagten (Gunzberg et al. 1999). In solchen Fällen und bei fehlenden Hinweisen auf eine organische Erkrankung sollte schon sehr frühzeitig eine kinderpsychosomatische Abklärung erfolgen, nicht zuletzt auch deshalb, um ein manifestes chronisches Schmerzsyndrom zu vermeiden.
Eigene Erfahrungen zeigen jedoch auch, dass Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen nicht selten bagatellisiert und dadurch gelegentlich erforderliche diagnostische Verfahren und eine zeitnahe Diagnosestellung zugrunde liegender Erkrankungen versäumt werden.
Da die Inzidenz von Rückenschmerzen nach dem 10. Lebensjahr deutlich zunimmt, macht es Sinn, eine Betrachtung von Rückenschmerzen unterhalb und oberhalb des 10. Lebensjahres separat vorzunehmen

Rückenschmerzen bei Kindern unter 10 Jahre

Da Rückenschmerzen bei Kindern unterhalb des 10. Lebensjahres selten sind, ist in jedem Fall eine Abklärung organischer Ursachen der Beschwerden vorzunehmen.

Diszitis und Spondylodizitis

Infektiöse Diszitis und infektiöse Spondylodiszitis (Diszitis mit gleichzeitigem Befall der Grund- und Deckplatten benachbarter Wirbel) werden häufig synonym verwendet. Zusammen machen sie etwa 3 % aller osteoartikulären Infektionen im Kindesalter aus (de Sá Pinto et al. 2006). Gerade bei Kindern in den ersten Lebensjahren muss man an eine bakterielle Diszitis bzw. Spondylodiszitis denken. Typischerweise klagen die Kinder nicht über erhebliche Beschwerden (Kayser et al. 2005). Sie wollen häufig nicht mehr laufen. Die Symptome sind in vielen Fällen vage. Ganz typisch findet man jedoch eine Schmerzhaftigkeit durch Beklopfen (z. B. mit dem Reflexhammer) im Bereich der Dornfortsatzreihe. Zudem findet man immer eine erhöhte Tonisierung der paravertebralen Muskulatur, die für dieses Lebensalter in jedem Fall untypisch ist. Eine akute vertebrale Osteomyelitis oder auch Diszitis kann in jedem Lebensalter auftreten, besonders sind jedoch die ersten 5–6 Lebensjahre betroffen. Meist ist die Lendenwirbelsäule (LWS) befallen (Borte 2013).
Zu den unverzichtbaren Laboruntersuchungen zählen
Die BSG ist regelmäßig beschleunigt, während alle anderen Parameter durchaus normal sein können.
An erster Stelle der bildgebenden Diagnostik steht immer das Röntgenbild. In vielen Fällen kann man dann schon eine Verschmälerung des Zwischenwirbelraums erkennen. Eine Magnetresonanztomographie (MRT) sollte sich dann in jedem Fall anschließen, um das Ausmaß der Infektion und ggf. einen Psoasabszess oder einen epiduralen Abszess ausschließen zu können.
Eine Blutkultur zur Identifikation des Erregers sollte durchgeführt werden. In Einzelfällen kann eine direkte Punktion bzw. Biopsie des Herdes (in Narkose) durchgeführt werden.
Es gibt keine prospektiven randomisierten Studien hinsichtlich optimaler Therapie bei einer Diszitis. Initial erfolgt immer eine intravenöse antibiotische Therapie. Eine intravenöse (i.v.) Therapie von 3 Wochen sollte dabei nicht unterschritten werden (Borte 2013). Vielfach wird eine i.v. Antibiose für 6 Wochen empfohlen, obwohl es dafür keine ausreichende Evidenz gibt, die belegt, dass eine solche Therapie einer oralen Therapie mit Antibiotika überlegen ist.
In jedem Fall wird für einige Monate noch eine unterstützende Korsettbehandlung empfohlen. Selbst bei optimalem Verlauf kommt es regelhaft zu einer Spontanfusion zweier Wirbelkörper, bei schweren Verläufen kann es jedoch zu signifikanten Deformitäten oder Instabilitäten der Wirbelsäule kommen.
Eine spezifische tuberkulöse Spondylitis sollte in jedem Fall ausgeschlossen werden. Die Prognose einer spezifischen Spondylitis ist wesentlich schlechter als bei einer unspezifischen Infektion, da häufig eine schnelle und auch ausgeprägte Destruktion von Wirbelkörpern, gefolgt von Fehlstellungen, eintritt. Besonders häufig werden dabei segmentale Kyphosierungen beobachtet. Zudem sind ausgedehnte Abszesse bis hin zu großen epiduralen Raumforderungen nicht selten (Abb. 1).

Tumoren, Leukämie und Lymphome

Bei Rückenschmerzen bei Kindern unterhalb des 10. Lebensjahres und ggf. Vorliegen von Begleitsymptomen, wie Abgeschlagenheit, Nachtschweiß, etc., muss auch an Tumoren oder auch an eine Leukämie oder ein Lymphom gedacht werden. Eine Leukämie, ein Neuroblastom oder Knochentumoren gehen nicht selten mit Rückenschmerzen oder auch anderen Gliederschmerzen einher (Klingebiel et al. 2015). Mögliche Tumoren in den ersten 10 Lebensjahren sind Osteoidosteome bzw. Osteoblastome, Langerhans-Zell-Histiozytose (Vertebra plana), Osteochondrome, aneurysmatische Knochenzysten und selten auch maligen Tumoren wie ein Osteosarkom (Garg und Dormans 2005). Bei länger andauernden Rückenschmerzen ist auch ein Röntgenbild die erste Wahl der Diagnostik, gefolgt von einer MRT.

Entzündlich bedingte Erkrankungen

Auch an die Möglichkeit einer juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA) muss schon im Alter unter 10 Jahren gedacht werden. Dabei überwiegen tief sitzende lumbale Rückenschmerzen und gegebenenfalls auch Beschwerden im Bereich der Iliosakralgelenke (ISG). In solchen Fällen sollte in jedem Fall nach anderen Symptomen einer JIA gefahndet werden, insbesondere nach Einschränkungen der Gelenkbeweglichkeit, nach Enthesopathien, Kiefergelenksbeteiligungen, etc. Die juvenile Enthesitis-assoziierte Arthritis hat eine enge Verwandtschaft zur juvenilen Spondyloarthritis (Huppertz et al. 2015). Etwa 15–20 % aller Kinder mit chronischer Arthritis haben eine juvenile Spondyloarthritis, deren Inzidenz nach dem 6. Lebensjahr deutlich zunimmt, wobei Jungen häufiger betroffen sind als Mädchen (Ganser und Huppertz 2015).

Rückenschmerzen bei Kindern über 10 Jahre

Als Differenzialdiagnosen von Rückenschmerzen durch organische Ursachen nach dem 10. Lebensjahr sind die folgenden zu berücksichtigen:

Spondylolyse

Jenseits des 10. Lebensjahres werden Spondylolysen häufig symptomatisch oder entwickeln sich als Folge von Überlastungen des lumbosakralen Übergangs. Wichtig ist besonders, dass gerade bei jugendlichen Sportlern die Trias belastungsabhängiger Schmerz, Druckschmerz über L5/S1 und Reklinationsschmerz auf die Entstehung einer Spondylolyse hinweist (Cohen und Stuecker 2005). Ein Röntgenbild ist im Rahmen einer beginnenden Spondylolyse nicht ausreichend aussagekräftig. Gegebenenfalls lässt sich eine Sklerosierungsreaktion in der Pars interarticularis abgrenzen. Ein MRT zeigt in solchen Fällen meistens ein Ödem der Bogenwurzel wie bei einer knöchernen Überlastungssituation. In solchen Fällen kann eine Sportbefreiung in Kombination mit einer dreimonatigen Korsettbehandlung eine Ausheilung ermöglichen (Cohen und Stuecker 2005).
Bei einer manifesten Spondylolyse scheint eine Korsettbehandlung immer noch sinnvoll und eine Ausheilung möglich. Je länger jedoch ein solcher Befund vorliegt, desto weniger hoch sind die Chancen einer Ausheilung (Sakai et al. 2017). Dennoch kann durch eine vorübergehende Korsettbehandlung in Kombination mit eine Sportbefreiung meist eine Symptomfreiheit erzielt werden. So können nach einer Untersuchung von Sousa et al. bis zu 90 % der Jugendlichen mit Spondylolyse wieder zu ihrer ursprünglichen sportlichen Betätigung zurückkehren, obwohl 42 % der Patienten immer noch später über Rückenschmerzen klagten (Sousa et al. 2017).
Eine Spondylolyse wird im Rahmen einer MRT-Untersuchung häufig übersehen (Yamaguchi et al. 2012), sodass bei eindeutigem Verdacht auch eine Computertomografie (CT) vorgenommen werden sollte.

Morbus Scheuermann

Bei einem lumbalen Morbus Scheuermann entsteht eine Schmerzverstärkung in der Regel durch Vorneigen des Rumpfes. Weiterhin findet man eine aufgehobene Lordose der Lendenwirbelsäule und eine lumbale oder thorakolumbale Kyphose. Bei ausgeprägten Beschwerden empfiehlt sich auch hier eine (lordosierende) Korsettbehandlung etwa für die Dauer von 3 Monaten. Häufig sind lumbale Schmerzen auch mit einer Hyperkyphose der Brustwirbelsäule (BWS) assoziiert, weil in jedem Fall eine kompensatorische Hyperlordose der LWS mit möglichen dadurch resultierenden Beschwerden eingenommen werden muss.

Bandscheibenvorfall und traumatischer Apophysenabriss

Der lumbale Bandscheibenvorfall ist im jugendlichen Alter selten. Häufig finden sich ein Trauma in der Anamnese sowie vertebrale Anomalien (Sarma et al. 2016). Bei Jugendlichen sollte jedoch auch bei Fehlen einer neurologischen Symptomatik an einen Bandscheibenvorfall gedacht werden. Die Prognose ist in der Regel besser als bei älteren Patienten, und operative Maßnahmen sind in diesem Lebensalter nur sehr selten erforderlich.
Abzugrenzen vom Bandscheibenvorfall ist jedoch der traumatische Apophysenabriss, der auch in der Bewertung des MRT häufig verkannt wird und eine ganz andere Prognose hat. Besonders betroffen vom Apophysenabriss sind jugendliche Sportler (Ringen, Gewichtheben, Gymnastik) im Alter von 13–17 Jahren. Anders als beim Bandscheibenvorfall kommt es immer zu einer deutlichen und permanenten Einengung des Spinalkanals, sodass operative Maßnahmen meistens erforderlich werden.

Bertolotti-Syndrom

Wenig bekannt und meist verspätet diagnostiziert ist das Bertolotti-Syndrom (Bertolotti 1917). Dabei handelt es sich um eine inkomplette oder komplette einseitige oder beidseitige Fusion des 5. Lendenwirbelkörpers mit dem Sakrum (Abb. 2). Von Castellvi existiert eine Klassifikation in 4 Typen (Castellvi et al. 1984), wobei die Typen 2 und 4 häufig mit Rückenschmerzen einhergehen (Jancuska et al. 2015).
Die Patienten klagen über tief sitzende Rückenschmerzen und können den maximalen Schmerzpunkt meist sehr genau mit einem Finger lokalisieren (anders als bei Bandscheiben bedingten Rückenschmerzen). Bei Verdacht sollte immer ein Röntgenbild des lumbosakralen Übergangs erfolgen. Für eine exakte Darstellung der Pathologie empfiehlt sich eine Ferguson-Aufnahme. Dabei wird eine a.p. Aufnahme 30° nach kranial anguliert. Ein MRT ist auch hilfreich und zeigt bei inkompletten Fusionen häufig ein ausgiebiges Ödem wie bei einer Pseudarthrose. Die knöcherne Anatomie kann jedoch am besten mittels eines CT exakt bestimmt werden. Bei ausgiebigen Schmerzen und Versagen der konservativen Therapie hat sich nach eigener Erfahrung eine Injektion mit einem Kortikoid (bei Kindern bevorzugt in kurzer Narkose) bewährt. Eine Resektion der Pseudarthrose ist nur in sehr seltenen Fällen erforderlich.
Wenn immer Patienten mit Skoliose über Rückenschmerzen klagen, muss an eine sekundäre Skoliose aufgrund einer anderen Pathologie (z. B. Spondylolyse) gedacht werden (Abb. 3a, b).

Idiopathische Skoliose

Kinder mit idiopathischer Skoliose klagen nach neueren Studien in bis zu 68 % der Fälle über Rückenschmerzen (Theroux et al. 2017). Sind die Schmerzen untypisch und im lumbosakralen Übergang lokalisiert, sollte in jedem Fall eine weitere Abklärung der Schmerzen, unter anderem auch ein MRT der gesamten Wirbelsäule, durchgeführt werden und im Zweifel auch ein CT des lumbosakralen Übergangs erfolgen.

Psychisch bedingte Rückenschmerzen

Bei unklaren lumbosakralen Schmerzen oder auch generalisierten Schmerzen muss auch an das Vorliegen biopsychosozialer Aspekte gedacht werden (Wong et al. 2018). Dabei spielen Veränderungen der körperlichen Wahrnehmungen durch die Deformität und auch eine Stigmatisierung durch das Korsetttragen in den Peer-Gruppen sicherlich eine nicht unerhebliche Rolle.

Rückenschmerzen und Rheuma

Bei chronischen lumbalen Beschwerden muss in jedem Fall auch an das Vorliegen einer rheumatischen Erkrankung gedacht werden. Insbesondere die Enthesitis-assoziierte idiopathische juvenile Arthritis manifestiert sich häufig in Kombination mit Rückenschmerzen über den ISG im Gesäßbereich sowie im Bereich des lumbosakralen Übergangs. Neben den meist vorhandenen Beschwerden an den großen Sehnenansätzen (ein isolierter Befall der Wirbelsäule ist sehr selten) findet man eine erheblich eingeschränkte Beweglichkeit mit reduziertem Schober-Zeichen und einen deutlich erhöhten Finger-Boden-Abstand. Auch an den Beginn einer ankylosierenden Spondyloarthritis muss man im Einzelfall denken.
Weitere, allerdings sehr seltene Erkrankungen müssen bei Jugendlichen im Einzelfall ebenfalls ausgeschlossen werden. Dazu gehören beispielsweise die nicht bakterielle Osteomyelitis und die erworbene Osteoporose mit Spontanfrakturen an Wirbelkörpern. Die häufigsten Ursachen von Rückenschmerzen sind jedoch funktionell bedingt. Zudem spielen – insbesondere beim jugendlichen Sportler – muskuläre Überlastungen und Fehlbelastung eine sehr große Rolle. Psychosomatische Ursachen sind ebenfalls von großer Bedeutung und müssen bei Fehlen organischer Ursachen unbedingt in der Differenzialdiagnose berücksichtigt werden.

Zusammenfassung

Die Differenzialdiagnosen bei Rückenschmerzen im Kindesalter sind in Tab. 2 zusammengefasst.
Tab. 2
Differenzialdiagnosen von Rückenschmerzen im Kindes- und Jugendalter
Differenzialdiagnose
Anamnese
Befund
Bildgebung
Wirbelfraktur
Rückenschmerz, Trauma
Lokaler Schmerz, verstärkt durch Stehen und Sitzen
Röntgen in 2 Ebenen, ggf. MRT, ggf. CT
Bandscheibenvorfall
Schmerz mit Ausstrahlung in die Beine
Lasègue-Zeichen pos., Valsalva-Manöver pos., neurologische Ausfälle
Röntgen in 2 Ebenen, MRT
Apophysenfraktur
Akutes Trauma, Schmerz mit Ausstrahlung in die Beine
Wie bei Bandscheibenvorfall
Wie bei Bandscheibenvorfall, ggf. zusätzlich CT
Kinder im Vorschulalter, Weigerung zu laufen, Fieber
Schmerzen bei Beklopfen, Gowers-Zeichen pos.
Röntgen (Verschmälerung des Bandscheibenraums), MRT (mit Kontrast)
Leukämie, Lymphom
Rückenschmerz, Blässe, Abgeschlagenheit, Fieber, Anorexie
Fokaler bis generalisierter Druckschmerz, ggf. Ekchymosen
Röntgen in 2 Ebenen (Osteopenie?), Labor mit Differenzialblutbild und BSG, CRP
Ausgeprägter Rückenschmerz, stärker nachts, Besserung durch NSAR
Ausgeprägter Klopfschmerz, Myogelosen, eingeschränkte Beweglichkeit
MRT, ggf. CT
Jugendlicher Sportler, belastungsabhängiger Schmerz
Lokaler Druckschmerz, Schmerzverstärkung bei Reklination
Röntgen in 2 Ebenen stehend, MRT (Ödem in Bogenwurzel?), ggf. CT bei unklarem Befund
Bertolotti-Syndrom
Genau zu lokalisierender lumbosakraler Schmerz
Isolierter Druckschmerz, Myogelosen, Fehlhaltung
Röntgen in 2 Ebenen, ggf. Ferguson-Aufnahme, MRT, ggf. CT
Belastungsabhängiger Schmerz
Rigide Hyperkyphose der BWS, Schmerzverstärkung durch Inklination, Schmerz im Apex der Kyphose
Röntgen in 2 Ebenen stehend, mindestens 3 Keilwirbel im Apexbereich, Verschmälerung der Bandscheiben
Morbus Scheuermann (lumbal)
Belastungsabhängiger Schmerz lumbal
Aufgehobene Lordose bzw. lumbale oder thorakolumbale Kyphose, Schmerzverstärkung durch Inklination, Unbeweglichkeit
Röntgen in 2 Ebenen stehend
Belastungsabhängig oder -unabhängig, bei milder Skoliose sind Schmerzen selten
Adams-Test, Schmerz im Apex, ggf. atypische Schmerzangaben
Röntgen in 2 Ebenen stehend, ggf. MRT zum Ausschluss intraspinaler Anomalien und sekundärer Skoliose
Bewegungseinschränkung, Morgensteifigkeit, Schmerz morgens stärker
Bewegungseinschränkung, Schober-Maß reduziert, Finger-Boden-Abstand deutlich erhöht
Röntgen Wirbelsäule in 2 Ebenen, ggf. Röntgen der ISG, ggf. MRT ISG mit Kontrast
BSG, Blutsenkungsgeschwindigkeit; BWS, Brustwirbelsäule; CRP, C-reaktives Protein; ISG, Iliosakralgelenke; JIA, juvenile idiopathische Arthritis; NSAR, nichtsteroidale Antirheumatika; pos., positiv
Rückenschmerzen bei Kindern unterhalb des 10. Lebensjahres sind selten und müssen daher intensiv auf das Vorliegen einer zugrunde liegenden Erkrankung untersucht werden. Funktionelle Beschwerden sind in diesem Alter sehr selten und sind nur ausnahmsweise zu berücksichtigen. Die Schwelle zum Einsatz weiterführender Diagnostik (Labor, MRT, etc.) sollte in diesem Alter sehr niedrig sein. Oberhalb des 10. Lebensjahres sind funktionelle Beschwerden deutlich häufiger. Dazu kommen gerade durch intensive sportliche Belastung bedingte Rückenschmerzen und auch zunehmend psychosomatische Ursachen des Rückenschmerzes in Betracht. Organische Ursachen, wie Spondylolyse, Morbus Scheuermann, Bertolotti-Syndrom, Bandscheibenvorfälle oder rheumatische Ursachen, müssen jedoch sicher ausgeschlossen werden.
Unabhängig vom Lebensalter muss bei den folgenden Alarmzeichen in jedem Fall eine rasche Abklärung erfolgen:
  • Progredienter oder nächtlicher Schmerz
  • Alter <5 Jahre
  • Akutes Trauma
  • Begleitende Symptome (z. B. wie Fieber, Abgeschlagenheit, Nachtschweiß, Gewichtsverlust)
  • Neurologische Symptome (Blasen-, Mastdarmfunktionsstörungen)
  • Konstanter Schmerz (nicht aktivitätsbezogen)
  • Unlust zu laufen
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