Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT)
Die dialektisch-behaviorale Therapie (DBT)
wurde in den 1980er-Jahren von M. Linehan (University of Washington, Seattle, USA) als störungsspezifische ambulante Therapie für chronisch suizidale Patientinnen mit BPS entwickelt. Methodisch integriert die DBT ein weites Spektrum aus den Bereichen
Verhaltenstherapie, kognitive Therapie,
Gestalttherapie, Hypnotherapie und aus dem Zen (
Bohus und Huppertz
2006). Strukturell handelt es sich bei der DBT um ein modulares Konzept, das eine Kombination aus Einzeltherapie, Gruppentherapie, Telefoninterventionen und Supervision vorschlägt. Neben diesen integralen Bestandteilen empfiehlt es sich, mit stationären Einrichtungen i. S. der „integrierten Versorgung“ zu kooperieren. Die Entscheidungsheurismen der DBT sind i. S. von ereignisbasierten Wenn-dann-Konstruktionen organisiert: Wenn z. B. selbstschädigendes Verhalten auftritt, dann erfolgt die Durchführung einer Verhaltensanalyse; wenn die Verhaltensanalyse zeigt, dass das Verhalten durch positive Konsequenzen gesteuert wird, erfolgen Veränderungen der Kontingenzen; zeigt sich aber, dass mangelhafte Problembewältigungskompetenz als Auslöser zu sehen ist, so arbeitet der Therapeut an deren Verbesserung. Diese Behandlungsleitlinien sind für Patient, Therapeut und Supervisor gleichermaßen transparent.
Nachstehend wird zunächst die Aufgabenzuschreibung zu den vier Behandlungsmodulen vorgestellt. Die
ambulante Einzeltherapie erstreckt sich über 2 Jahre mit 1–2 Behandlungsstunden pro Woche. Im Rahmen seiner individuellen Möglichkeiten sollte der Einzeltherapeut zur Lösung akuter, evtl. lebensbedrohlicher Krisen telefonisch erreichbar sein. Zeitgleich zur Einzeltherapie besucht der Patient wöchentlich 1-mal für 2–3 h eine
Fertigkeitentrainingsgruppe. Diese Gruppe orientiert sich an einem Manual und arbeitet über einen Zeitraum von 6 Monaten (Bohus und Wolf
2012a,
b). Es hat sich als hilfreich erwiesen, ggf. einen zweiten Turnus anzuschließen. Die Kommunikation zwischen Einzel- und Gruppentherapeuten erfolgt i. R. der
Supervisionsgruppe, die ebenfalls wöchentlich stattfinden sollte. Der Einzeltherapeut ist gehalten, die in der Fertigkeitengruppe erlernten Fähigkeiten fortwährend in seine Therapieplanung zu integrieren, um so die Generalisierung des Erlernten zu gewährleisten. Um die erlernten Fertigkeiten auch in Krisensituationen in den Alltag umzusetzen, ermöglicht der Therapeut nach Absprache auch
Telefonkontakte.
Den Strukturen, Regeln und der inhaltlichen Gestaltung der Supervisionsgruppe widmet Linehan in ihrem Handbuch ein breites Kapitel, was ihre Bedeutung für das Gesamtkonzept der DBT verdeutlicht. Der Einsatz von Video- oder zumindest Tonträgeraufzeichnungen der Therapiestunden gilt für eine adäquate Supervision als unabdingbar.
Der motivationale Aspekt erscheint vor dem Hintergrund der bereits erwähnten häufigen Therapieabbrüche von besonderer Bedeutung. Übereinstimmend zeigen alle bislang publizierten Studien zur Wirksamkeit der DBT eine hochsignifikant verbesserte Therapiecompliance im Vergleich zu unspezifischen Behandlungen (Lieb et al.
2004).
Therapiephasen der DBT
Die gesamte Therapie im ambulanten Setting erstreckt sich über einen Zeitraum von 2 Jahren. Sie untergliedert sich in die Vorbereitungsphase und drei Behandlungsphasen mit unterschiedlichen Behandlungszielen.
Die DBT geht davon aus, dass diese Verhaltensmuster vorrangig, also in der 1. Therapiephase, behandelt werden müssen. Denn sie stellen, jede für sich, erhebliche Risikofaktoren für die Behandlungsprozesse während der 2. Therapiephase dar.
Metaanalysen von Psychotherapiestudien zur DBT weisen darauf hin, dass ein Intervall von 4 Monaten ohne Verhaltensmuster aus Stadium I als „Recovery“ bezeichnet werden kann, die jedoch eine erhebliche Rückfallwahrscheinlichkeit in sich birgt. Ein 8-monatiges symptomfreies Intervall wird als „Remission“ bezeichnet und erscheint ausreichend stabil.
Während der 1. Therapiephase sollten also v. a. die emotionale Belastbarkeit erhöht und damit die Voraussetzung für die 2. Therapiephase geschaffen werden.
In Phase 1 ist die DBT in Entscheidungsalgorithmen strukturiert, d. h., der Therapeut ordnet die jeweiligen Verhaltensmuster der Patientin nach vorgegebenen hierarchischen Prinzipien und orientiert sich in der Wahl der Behandlungsmethodik an Verhaltens- und Bedingungsanalysen.
Algorithmus der Behandlungsfoki
Die Wahl der jeweiligen Behandlungsfoki orientiert sich in der 1. Therapiephase, also so lange schwerwiegende Störungen der Verhaltenskontrolle das klinische Bild dominieren, an sog. Tagebuchkarten, die der Patient regelhaft ausfüllen sollte. Auf dieser Tagebuchkarte werden täglich sowohl dysfunktionale Verhaltensmuster (wie z. B. Selbstverletzungen, Hochrisikoverhalten etc.), als auch zielführende Verhaltensmuster (z. B. Bewerbung auf Praktikum, Zulassen von Nähe und Alleinsein) notiert. Der Therapeut wählt dann die jeweils schwerwiegendsten dysfunktionalen Verhaltensmuster, um diese in der jeweiligen Sitzung zu bearbeiten. Es sollte jedoch nicht vergessen werden, auch gelungene und angenehme Prozesse zu besprechen und diese zu bestärken.
Die einzelnen Problem- und Unterbereiche sind ebenfalls hierarchisch gegliedert
:
-
Suizidales und parasuizidales Verhalten
:
-
suizidales Krisenverhalten,
-
parasuizidales Verhalten,
-
massive Suizidimpulse, Suizidvorstellungen und Suiziddrohungen,
-
Suizidgedanken, Erwartungen und Fantasien.
-
Therapiegefährdende Verhaltensweisen:
-
Verhaltensweisen, die den Fortbestand der Therapie stark gefährden,
-
Verhaltensweisen, die den Fortschritt stören oder zum Burnout führen,
-
Verhaltensweisen, die in direktem Zusammenhang mit suizidalem Verhalten stehen,
-
Verhaltensweisen, die Ähnlichkeiten mit problematischen Verhaltensweisen außerhalb des therapeutischen Settings aufweisen.
-
Die
Lebensqualität einschränkende Verhaltensweisen
(z. B. Drogen,
Essstörungen etc.):
-
Verhaltensweisen, die unmittelbar zu Krisensituationen führen,
-
leicht zu verändernde Verhaltensweisen,
-
Verhaltensweisen, die in direktem Zusammenhang mit übergeordneten Zielen und allgemeinen Lebensprinzipien der Patientin stehen,
-
Verhaltensweisen, die die Durchführung von Phase 2 behindern.
-
Verbesserung von Verhaltensfertigkeiten
:
-
Fertigkeiten, die gerade in der Gruppe vermittelt werden,
-
Fertigkeiten, die in direktem Zusammenhang mit primären Behandlungsfoki stehen,
-
Fertigkeiten, die noch nicht gelernt wurden.
Die Frage nach der Behandlungsebene resultiert aus hochauflösenden Verhaltensanalysen, die klären, inwiefern das jeweils dominierende, priorisierte Verhaltensmuster durch labilisierende Umstände (
Schlafstörungen,
Essstörungen, soziale Probleme etc.) bedingt ist. Ob spezifische, eindeutig identifizierbare Stimuli eine wesentliche Rolle spielen (Gewalterfahrung, Kontakte mit ehemaligen Tätern etc.), ob dysfunktionale Schemata oder Pläne im Vordergrund stehen („ich habe kein Recht, Wut und Ärger zu äußern“, „wenn ich verlassen werde, löse ich mich auf“ etc.) oder ob eine mangelhafte Problemlösekompetenz ausschlaggebend ist. Schließlich wird geprüft, inwiefern die jeweiligen Verhaltensmuster durch interne oder externe Konsequenzen aufrechterhalten werden. Diese Analyse wiederum eröffnet die Wahl der jeweiligen Behandlungsmethodik: Labilisierende Bedingungen erfordern i. d. R. konkretes Problemlösen. Identifizierbare Stimuli sollten, wenn möglich, beseitigt oder mittels Exposition desensibilisiert werden. Dysfunktionale Schemata verlangen eine sorgfältige Analyse auf der Ebene der angewandten und geplanten Strategien sowie eine sorgsame Korrektur. Mangelhafte Problemlösekompetenz kann durch Vermittlung oder Aktivierung von Fertigkeiten verbessert werden und schließlich erfordern aufrechterhaltende Konsequenzen eine aktive Veränderung auf der Ebene der Verstärker (Kontingenzmanagement).
Skillstraining
Linehan definiert Skills (Fertigkeiten)
als kognitive, emotionale und handlungsbezogene Reaktionen, die sowohl kurz- als auch langfristig zu einem
Maximum an positiven und einem
Minimum an negativen Ergebnissen führen
. Die zu erlernenden Verhaltensfertigkeiten gliedern sich bei Linehan in 4 Module; die Arbeitsgruppe um den Autor hat in den letzten Jahren 2 weitere Module (Selbstwert und Körperwahrnehmung) sowie eine Selbsthilfe-CD-ROM entwickelt (Bohus und Wolf
2012a,
b).
Module des Fertigkeitentrainings
umfassen:
3.
zwischenmenschliche Fertigkeiten,
Zu jedem Modul existieren spezifische Arbeits- und Übungsblätter. Zudem hat unsere Arbeitsgruppe eine computerbasierte interaktive CD-ROM entwickelt, die im Selbstmanagement oder in Verbindung mit einer Skillsgruppe eingesetzt werden kann (Bohus und Wolf 2011). Die Inhalte der Module gliedern sich wie folgt:
Neuere Entwicklungen der DBT
DBT-PTBS
Etwa 60 % aller Borderline-Patienten erfüllen die Kriterien einer komorbiden
posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Dabei handelt es sich in den meisten Fällen um Folgen zwischenmenschlicher Gewalterfahrung, also von sexuellem oder physischem Missbrauch in der Kindheit. Neben den borderlinetypischen Problemen der Emotionsregulation (hier insbesondere Scham, Schuld, Ekel und Selbstverachtung) und des negativen Selbstkonzeptes zeigen diese Patientinnen insbesondere auch Probleme mit dem Traumagedächtnis, der Körperwahrnehmung und der Sexualität. Post-hoc-Analysen der Standard-DBT haben ergeben, dass auch lege artis durchgeführte DBT keine signifikante Verbesserung der PTBS-Symptomatik mit sich bringt (Harned und Linehan
2008). Da zudem die komorbide PTBS ein erheblicher Risikofaktor für Chronifizierung darstellt, erscheint es folgerichtig, diese Symptomatik gezielt zu behandeln. Unsere Arbeitsgruppe (Bohus et al.
2011) hat ein störungsspezifisches Behandlungsprogramm für stationäre und ambulante Bedingungen entwickelt. Erstere wurden im Rahmen einer kontrolliert-randomisierten Studie evaluiert (Bohus et al.
2013). Es zeigten sich im Vergleich zur Warteliste signifikante Verbesserungen mit großen Effektstärken, die auch 1 Jahr nach Entlassung anhielten. Das ambulante Behandlungskonzept wird derzeit im Rahmen einer kontrolliert-randomisierten Studie evaluiert. Um den spezifischen Anforderungen für dieses komplexe Störungsbild gerecht zu werden, integriert DBT-PTBS neben der DBT auch traumaspezifische kognitive und expositionsbasierte Interventionen, Methoden der Compassion Focussed Therapy (Gilbert
2011) sowie der Acceptance and Commitment Therapy (ACT, Eifert
2008).
Das Störungsmodell der DBT-PTBS fokussiert 3 zentrale Dimensionen: Zum einen die unkontrollierbare konditionierte Aktivierung des sog. Traumanetzwerkes, also einem eng assoziierten kognitiv-emotional-physiologischen Reaktionsmusters, welches häufig funktionale operative Kompetenzen des Patienten überlagert, zum zweiten das ausgewiesen schlechte und dysfunktionale, von traumaassoziierten Kognitionen durchwobene Selbstkonzept und schließlich die Probleme in der sozialen Teilhabe.
Entsprechend gliedert sich die DBT-PTBS in 5 konsekutive Behandlungsphasen und folgt dabei dennoch den klassischen dynamisch-hierarchischen Regeln der Standard-DBT (s. oben).
Im Zentrum des Therapieprogrammes steht die Exposition gegenüber dem sog. Indextrauma, also das in Berührung bringen mit den emotional durchdrungenen Erinnerungen an das jeweils schwerwiegendste und derzeit maximal belastende Ereignis. Um die neuronale Plastizität während der Exposition zu gewährleisten, ist der Therapeut gehalten, Dissoziation durch die Vermittlung von starken sensorischen Stimuli zu unterbinden. Zwischen den Einzeltherapien hört der Patient Tonaufnahmen der Expositionssitzung im Selbstmanagement. Post-hoc-Analysen konnten zeigen, dass während der Expositionsphasen – entgegen weitverbreiteter klinischer Meinung – kein Anstieg der
Suizidalität und keine Zunahme von Selbstverletzungen zu beobachten ist (Krüger et al.
2014).
Vor diesem Hintergrund sollten Borderline-Patienten mit komorbider PTBS so früh als möglich ein traumaspezifisches Behandlungsangebot erhalten.