Skip to main content

Verhaltenstherapie – Grundlagen und klinische Anwendungsprinzipien

Verfasst von: Martin Hautzinger und Michael Linden
Die Verhaltenstherapie (VT bzw. KVT) integriert Kenntnisse der Lerntheorie, Sozialpsychologie, kognitiven Psychologie und der Emotionspsychologie in der Diagnostik und Therapie psychischer und somatischer Erkrankungen. Grundlage ist die Annahme, dass der Erwerb, die Aufrechterhaltung und die Veränderung von Erleben, Emotionen, Verhalten und Einstellungen auf (respondenten, operanten, sozialen) Lernvorgängen beruhen. Dieses Lernen wird im Hier und Jetzt verhaltenssteuernd wirksam, was ermöglicht, Erleben und Verhalten über eine funktionale Verhaltensanalyse zu erklären und vorherzusagen. Dies ermöglicht den Einsatz von Verhaltenstherapie bei allen psychischen und somatischen Erkrankungen, sei es als primäre oder ergänzende Therapie.

Theoretische und empirische Grundlagen

Historische Entwicklung der kognitiven Verhaltenstherapie

Die Verhaltenstherapie (Synonym: kognitive Verhaltenstherapie) nahm ihren Ausgang vor über 100 Jahren von lernpsychologischen Experimenten zu konditionierten Reflexen und konditioniertem Vermeidungsverhalten (Pavlov, Bechterew). Diese lerntheoretischen Grundlagenexperimente wurden dann erstmals von Watson mit der berühmten Konditionierung einer Tierphobie auf klinische Phänomene angewandt. Wolpe (1958) entwickelte daraus eine Behandlungsmethode, die systematische Desensibilisierung, was im engeren Sinne als Beginn der Verhaltenstherapie verstanden werden kann.
Klassisches und operantes Konditionieren
Verhaltenstherapie war zunächst synonym mit der klinischen Anwendung von Prinzipien des klassischen und operanten Konditionierens (Skinner 1950). Grundaxiome dieses Modells waren,
  • dass normales und pathologisches Verhalten sich nach denselben Prinzipien entwickeln und
  • dass jegliches Verhalten nach Lernprinzipien modifiziert werden kann (Kazdin et al. 1976).
Behandlungsinterventionen, die aus diesem Denkansatz abgeleitet wurden, waren neben der systematischen Desensibilisierung beispielsweise Reizüberflutung oder Münzverstärkung („token exonomy“).
Beobachtung und Modellernen
Eine zweite theoretische Entwicklungslinie basierte auf der Beobachtung, dass komplexes Verhalten, v. a. soziales Verhalten außer durch Konditionierungsprozesse auch durch Beobachtung und Imitation (Modellernen) erworben werden kann. In Verwandtschaft zum operanten Lernen war die Grundannahme, dass ein bestimmtes Verhalten sich dann ausbildet oder ändert, wenn dies den Bedürfnissen des Organismus dient (Bandura 1969). Auf der Basis der sozialen Lerntheorie wurde eine Reihe von Behandlungsmethoden entwickelt, wie z. B. das Training sozialer Kompetenz oder Rollenspielverfahren (Ullrich und Ullrich de Muynck 1996). Ziel der Therapie ist eine soziale Kompetenz zu erwerben, die es ermöglicht, Kompromisse zwischen Selbstverwirklichung und sozialer Anpassung zu erreichen.
Die genannten Methoden lehren Patienten Problemlösefertigkeiten, soziale und kommunikative Fertigkeiten. Ein weiteres Axiom der VT besagt, dass es in vielen Fällen wichtiger ist, adaptives, bewältigendes Verhalten zu stärken bzw. weiterzuentwickeln und damit Verhaltensressourcen zu aktivieren, als sich auf die Beseitigung störenden Verhaltens zu konzentrieren.
Kognitive Prozesse
In der Folge der sozialen Lerntheorie (Bandura) und unterstützt durch viele Laborexperimente (z. B. zur erlernten Hilflosigkeit u. a.) wuchs die Relevanz kognitiver Prozesse, die bereits bei scheinbar einfachen Konditionierungsexperimenten im Tierlabor eine Rolle spielen und grundsätzlich einen großen Beitrag zur Erklärung von Verhalten leisten können.
Die kognitiven Theorien erklären Erleben und Verhalten als Ergebnis von Wahrnehmung, Bewertungen, Erinnerungen und überdauernden (erworbenen) Einstellungen. Es konnte empirisch gezeigt werden, dass Umweltstimuli an sich weniger bedeutsam für die Reaktion eines Menschen sind als vielmehr dessen Wahrnehmung und Interpretation von internen und externen Ereignissen (Mahoney 1977; Meichenbaum 1979).
Dementsprechend ist die Behandlung darauf ausgerichtet, Wahrnehmungs- und Denkprozesse zu beobachten und zu analysieren. Soweit sie sich als dysfunktional erweisen, wird dann versucht, sie zu ändern, wofür eine Reihe von Interventionsmöglichkeiten entwickelt wurde, wie beispielsweise
  • die Analyse automatischer Gedanken,
  • alternative Erklärungen bzw. Reattribuierung,
  • kognitive Probe (mentales Modellieren),
  • Selbstinstruktion oder
  • Rollentausch.
Ziel der KVT ist es, die Verbindung zwischen unangenehmen Emotionen bzw. körperlichen Beschwerden und den begleitenden bzw. automatisierten Gedanken (Bewertungen) herauszuarbeiten, deren Dysfunktionalität zu erkennen, diese Gedanken zu verändern und damit neues Verhalten zu fördern (Beck et al. 1996; Beck 1993; Ellis 1984).
Neuere Entwicklungen
Eine aktuelle (oft als „dritte Welle“) Entwicklungslinie in der Verhaltenstherapie ist die Berücksichtigung der Emotionstheorien (Sulz und Lenz 2000). Dies wurde u. a. angestoßen durch die Entwicklung von Therapiemethoden, die unmittelbar auf die Veränderung emotionaler Prozesse abzielen (Linehan 1993; Berking 2015). Andere Entwicklungslinien berücksichtigen achtsamkeitsbasierte („mindfulness based“) Konzepte und integrieren diese aus der Meditation kommenden Vorgehensweisen in Interventionen zum Stressmanagement bei psychosomatischen Störungen und zur Rückfallverhinderung bei rezidivierenden Depressionen (Segal et al. 2002; Risch et al. 2012). Auch das „Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy“ von McCullough (2000) ist eine Fortentwicklung, indem zu den bewährten Methoden der KVT biographische, interpersonelle, entwicklungspsychologische und psychodynamische Elemente hinzugefügt wurden, um Menschen mit behandlungsresistenten, chronischen Depressionen (insbesondere bei Vorliegen kindlicher Traumatisierung) zu helfen (Brakemeier et al. 2012). Die kognitiven Interventionen sind durch die Vorschläge der „Schematherapie“ (Young et al. 2003), der „Acceptance and Committment Therapy“ (Hayes et al. 2004) und durch die metakognitive Therapie (Wells 2011; Jellinek et al. 2015) erweitert und bereichert worden.

Lerntheoretische Grundlagen

Wenn ein Mensch Fertigkeiten erwirbt und sich neues Verhalten aneignet, oder Verhalten, das wie auch immer entstanden sein mag, verändert, dann handelt es sich hierbei stets um Lernvorgänge.
Wenn Psychotherapie zum Ziel hat, neues Verhalten zu erwerben oder bestehendes Verhalten zu verändern, dann ist jegliche Form von Psychotherapie ein Lernprozess und sollte daher, wenn sie den Anspruch erhebt, auf wissenschaftlicher Evidenz zu basieren, sich auf grundlagenwissenschaftliche Erkenntnisse des Lernens beziehen (Eysenck 1992). Dies kann als Grundaxiom der lerntheoretisch orientierten Psychotherapie verstanden werden.
Verhaltenstherapie geht von der Annahme aus, dass der Mensch ein Wesen ist, das durch Erfahrungen geprägt und prägbar ist, d. h. dass viele menschliche Reaktionen entweder
  • gelernt sind,
  • gelernt werden können,
  • verlernt werden können oder auch
  • in Qualität und Quantität durch Lernen modifiziert werden können.
Dies gilt grundsätzlich für den Erwerb von sozialer Kompetenz ebenso wie für das Konditionieren hormoneller oder immunologischer Reaktionen. Die Verhaltenstherapie ist nicht ein in sich geschlossenes System, sondern geht davon aus, dass unterschiedliche Phänomene und Reaktionsweisen auf unterschiedliche Art erworben wurden oder durch unterschiedliche Methoden modifiziert werden können. Das bedeutet, dass Verhaltenstherapie auf alle bekannten Verfahren des Lernens im weitesten Sinne zurückgreift, um die Entstehungsgeschichte von gesunden wie auch pathologischen Reaktionen verstehen zu können bzw. um Veränderungen zu bewirken (Reinecker 2005; Margraf und Schneider 2011).

Lernprinzipien

Wichtige Lernprinzipien sind:
  • klassisches Konditionieren,
  • operantes Konditionieren,
  • Modellernen,
  • kognitives Probehandeln,
  • (Selbst-)Instruktion, Regellernen
  • Üben.
Klassisches Konditionieren
„Klassisches Konditionieren“ (respondentes Lernen) besagt, dass es aufgrund eines sog. unbedingten Reizes („unconditioned stimulus“, UCS) zu einer unbedingten Reaktion („unconditioned response“, UCR) kommt. Ein Beispiel wäre die ausgeprägte vegetative Schreckreaktion bei einem Autounfall. Durch Assoziation des unbedingten Reizes (Unfall) mit einem parallel gehenden bedingten Reiz (Auto) kann es in Zukunft zu einer bedingten Angstreaktion (CR) kommen, die allein schon durch den bedingten Stimulus (CS) ausgelöst wird. Solche Mechanismen spielen bei der Entwicklung von Phobien oder posttraumatischen Stresserkrankungen eine wesentliche Rolle.
Operantes Konditionieren
„Operantes Konditionieren“ umfasst eine ganze Gruppe von Lernprinzipien, deren Gemeinsamkeit ist, dass Konsequenzen eines Verhaltens dessen zukünftiges Auftreten beeinflussen. Führt ein bestimmtes Handeln zum erwünschten Erfolg (positive Konsequenz), dann verstärkt diese Erfahrung das Verhalten und lässt es in ähnlichen Situationen eher auftreten. Häufige Bestrafung für Selbständigkeit und Neugier kann zu Unsicherheit und Mangel an sozialer Kompetenz führen, wie es bei Angst-, Anpassungs- und Persönlichkeitsstörungen zu finden ist.
Verstärkerpläne
Operante Konditionierung ist jedoch kein homogenes Prinzip. Verhalten kann von positiven und negativen Konsequenzen gefolgt sein. Zu den positiven Konsequenzen kann auch das Unterbleiben einer negativen Konsequenz gehören, bzw. zu den negativen das Unterbleiben einer positiven. Schließlich können positive und negative Konsequenzen auch gemischt auftreten. Sie können zudem zeitlich unterschiedliche Charakteristika haben, d. h. ein Verhalten kann z. B. kurzfristig positive und längerfristig negative Konsequenzen haben. Schließlich kann auch die Beziehung zwischen Verhalten und Konsequenz regelmäßig, variabel oder zufällig sein. Aus diesen verschiedenen Möglichkeiten ergibt sich eine nahezu unendliche Fülle von sog. Verstärkerplänen („reinforcement schedule“). Die experimentelle Forschung konnte zeigen, dass unterschiedliche Verstärkerpläne (z. B. variable Intervallverstärkung) zu unterschiedlichem (z. B. stabilem, veränderungsresistenten) Verhalten beitragen.
Verstärkung von Vermeidungsverhalten
Von besonderer Relevanz für die Erklärung psychischer Erkrankungen sind Erfahrungen der negativen Verstärkung. Dies bedeutet, dass auf ein bestimmtes Verhalten hin ein aversiver Zustand nachlässt. Dies führt dazu, dass auf diskriminative Hinweisreize, die als Warnsignal verstanden werden können, ein Vermeidungsverhalten erfolgt. Ein antizipatorisch ausgelöster aversiver Zustand wird dadurch kurzfristig besser. Eine derartige negative Verstärkung von Vermeidungsverhalten führt dazu, dass diskriminative Hinweisreize immer frühzeitiger verhaltenswirksam werden. Ein derartiger Lernprozess kann bei Phobien erklären, warum Patienten anfänglich nur auf der Kreuzung Beklemmungsgefühle bekommen, auf der sie einen Autounfall erlebt haben, in der Folge jedoch beginnen, Kreuzungen und schließlich Straßen grundsätzlich zu vermeiden, bis sie völlig ans Haus gebunden sind.
Syndrom der Hilflosigkeit
Ein anderes Beispiel eines speziellen Verstärkerplans ist das sog. Hilflosigkeitssyndrom (Seligman 1975). Hierbei tritt eine aversive Stimulierung verhaltensunabhängig und zufällig auf. Dies führt zunächst zu Frustration, Flucht- und Kampfverhalten, um schließlich in einem Syndrom zu enden, das gekennzeichnet ist durch Einstellung aller Abwehrversuche, durch die Unfähigkeit, effiziente Strategien neu zu lernen, aber auch durch weitreichende Veränderungen auf neurobiologischer wie peripher physiologischer Ebene. Durch die Erfahrung der Nichtkontrolle entwickelt sich der (kognitive) Zustand der Hilflosigkeit, der Parallelen zu depressiven Störungen aufweist.
Modellernen
Aus der sozialen Lerntheorie ist das wichtigste Lernprinzip das Modellernen (Bandura 1969). Damit ist jene Gruppe von Lernvorgängen gemeint, bei denen ein Individuum durch Beobachtung eines anderen dessen Verhalten in mehr oder weniger komplexer Form zu imitieren imstande ist. Im Unterschied zum klassischen oder instrumentellen Konditionieren handelt es sich beim Lernen am Modell nicht selten um ein „one-trial-learning“ und um sog. verdecktes Lernen, was bedeutet, dass ein Beobachter nicht offen reagieren muss, um zu lernen. Stattdessen werden Kodierungs- und Speicherungsvorgänge wirksam, die die Übernahme von komplexen Verhaltensweisen ohne schrittweise Zerlegung ermöglichen. Es ist eine Reihe von situationalen und persönlichkeitsspezifischen Variablen bekannt, die erklären, wann eine Person von einer anderen durch Imitation lernt. Ein klinisches Beispiel, bei dem Modellernen eine Rolle spielen könnte, wäre die Entwicklung hypochondrischer Einstellungen bei Menschen, die sehr „gesundheitsbewusste“ Eltern hatten.
Kognitives Probehandeln
Eine mit dem Modellernen verwandte, jedoch in entscheidenden Punkten darüber hinausgehende Form des Lernens, die im gewissen Sinne Kernstück aller kognitiven Modelle ist, ist das sog. kognitive Rehearsal oder kognitive Probehandeln.
Verhalten kann erworben und eingeübt werden durch die Vorstellung von Verhaltenssequenzen in Gedanken. Dies kann explizit in Form eines planenden Denkens geschehen oder durch eine bildhafte Vergegenwärtigung einer Verhaltenssituation.
Dabei können zugleich auch Situations- und Verhaltensdeterminanten entfernt oder hinzugefügt und Verhaltensalternativen durchgespielt werden. Entscheidend ist, dass hinsichtlich der vegetativen und emotionalen Begleitreaktionen Vorstellungen z. T. wirksamer sind als die tatsächlichen Stimuli (Mahoney 1977; Meichenbaum 1979). Derartiges kognitives Probehandeln kann dementsprechend zum einen genutzt werden, um Determinanten pathologischen Verhaltens zu identifizieren, zum anderen um kompetenteres und funktionaleres Verhalten einzuüben. Dies hat klinische Relevanz beispielsweise bei der Therapie von Angsterkrankungen oder depressiven Störungen (Beck et al. 1996; McCullough 2000).
Lernen durch Instruktion
Bereits bei der kognitiven Probe spielt „Üben“ als weiteres Lernprinzip eine entscheidende Rolle. Gleiches gilt auch für „Lernen durch Instruktion“. Üben wie Lernen durch Instruktion gehören zu den expliziten Lernverfahren. Da sie die in der Schule dominierenden Lernformen sind, werden sie von vielen Menschen mit Lernen an sich gleichgesetzt. Für klinische Phänomene sind sie insofern von Bedeutung, als Selbstinstruktionen bei der Verhaltenssteuerung (Selbstkontrolle) sowie Regeln (Absprachen, Verträge) als Transferhilfe häufig Verwendung finden.

Modus des Lernens

Wenn über Lernen gesprochen wird, genügt es nicht, Formen des Lernens zu betrachten, sondern es müssen auch die Lernmodi berücksichtigt werden. Je nachdem, ob immunologische, vegetative, motorische, affektive oder kognitive Prozesse beteiligt sind, muss mit jeweils eigenen Charakteristika des Lernprozesses gerechnet werden. Dies gilt sowohl für den Erwerb wie v. a. auch die Löschung des gelernten Verhaltens. Während explizites übendes Lernen (z. B. Vokabellernen) viele Wiederholungen benötigt, genügt beim sog. One-Trial-Learning ein einziger Versuch. Das One-Trial-Learning findet man typischerweise bei emotionalen Lernprozessen oder bei der Konditionierung auf Geruchs- oder Geschmacksstimuli. Ebenso gilt, dass manche komplexen Handlungsabläufe in vergleichsweise kurzer Zeit „vergessen“ werden, wie beispielsweise die Fähigkeit, ein Zahlenschloss zu öffnen, während andere, wie z. B. Fahrradfahren, nach kurzfristigem Lernen ein Leben lang verfügbar bleiben. Viele psychische Störungen müssen erklärt werden über motorisches, vegetatives oder emotionales Lernen, das nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann, wenn das Individuum erst einmal eine bestimmte Lernerfahrung gemacht hat. Dies hat weitreichende therapeutische Konsequenzen.

Verhaltensmedizin

Es ist von grundsätzlicher Bedeutung, dass Verhaltenstherapie nicht nur psychologische Parameter im engeren Sinne berücksichtigt, sondern ebenfalls biologische Voraussetzungen von Verhalten in alle Modelle integriert. So bezogen sich die berühmten Konditionierungsexperimente von Pavlov auf den Speichelfluss. Operante Paradigmen wurden unter dem Begriff des „Biofeedback“ (Rief und Birbaumer 2003) zur Veränderung von muskulärer Verspannung, Blutdruck oder Vigilanzregulation eingesetzt. Ebenso werden biologische Determinanten von Verhalten auf zentralnervöser wie peripher vegetativer und motorischer Ebene als Verhaltensdeterminanten mitberücksichtigt. Hierzu gehören Verhaltensbereitschaften (Seligman 1971) ebenso, wie Kenntnisse über die psychobiologischen Regulationsmechanismen des Menschen (Birbaumer und Schmidt 2005; Förstl et al. 2006).
Aus dieser theoretischen Grundorientierung folgt, dass Verhaltenstherapie unter dem Stichwort der Verhaltensmedizin inzwischen auch eine etablierte Indikation bei der Behandlung vieler somatischer Erkrankungen hat, wie z. B. Hauterkrankungen, Atemwegserkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, gastrointestinale Erkrankungen, Diabetes mellitus, neurologische Erkrankungen, onkologische Erkrankungen, Migräne, Epilepsie oder chronische Schmerzzustände (Ehlert 2003).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die KVT durchaus als lerntheoretisch orientierte Psychotherapie verstanden werden kann, dass dies jedoch eine sehr weite Definition von „Lerntheorie“ voraussetzt, da ebenso Kenntnisse der Sozialpsychologie, der Kognitionspsychologie, der Emotionspsychologie, der Neurobiologie, der Entwicklungspsychologie und der Handlungstheorien mitberücksichtigt werden.

Verhaltenstherapeutische Methodik

Diagnostik

Die Diagnostik in der Verhaltenstherapie ist in großen Teilen identisch mit der Diagnostik psychischer Störungen beispielsweise in der Psychiatrie. Es ist inzwischen allgemeine Praxis, dass Verhaltenstherapeuten zunächst eine klassifikatorische Zuordnung der vorliegenden Störung in Anlehnung an die internationalen Klassifikationssysteme psychischer Störungen wie ICD-10 oder DSM-5 vornehmen. Gleiches gilt im Prinzip auch für jegliche andere diagnostische Information, die zur präzisierenden Beschreibung eines klinischen Zustandsbildes beitragen kann, wie z. B. neuropsychologische Untersuchungen, die es ermöglichen, die Auffassungskapazität und das Leistungsprofil eines Patienten detailliert zu beschreiben, was bei der weiteren Behandlungsplanung Berücksichtigung findet.

Verhaltensanalyse und Verhaltensbeobachtung

Darüber hinaus gibt es jedoch diagnostische Prinzipien, die als verhaltenstherapiespezifisch bezeichnet werden können. Dies sind die Verhaltensanalyse und die Verhaltensbeobachtung. Die Verhaltens- und Problemanalyse (Hautzinger 2015a; Sulz 2015; Reinecker 2015) ist eine Methode, Verhalten auf der Zeitachse deskriptiv in funktionale Zusammenhänge zu stellen. Man unterscheidet die Mikroanalyse und die Makroanalyse. Erstere beschreibt die Kontingenzen einer unmittelbaren Verhaltenssequenz, letztere die Kontingenzen der Störungsentwicklung im Verlauf der Biografie. Sie ist damit eine Sonderform der speziellen Anamnese.

Mikroverhaltensanalyse

Als Grundmodell der Mikroverhaltensanalyse kann das sog. S-O-R-C-Modell (Stimulus-Organismus-Reaktion-Konsequenz) angesehen werden (Abb. 1).
Stimulus
„Stimulus“ steht für jede Form von Antezedenz eines Verhaltens. Dies können singuläre Stimuli sein, wie beispielsweise der Anblick einer Schlange, jedoch auch komplexe äußere Stimuli, wie eine soziale Situation, oder auch personeninterne Ereignisse, wie somatosensorische Wahrnehmungen oder Kognitionen, z. B. Erinnerungen an ein bestimmtes Ereignis. In der Verhaltensanalyse wird versucht, die Ablaufsequenz möglichst vom ersten Stimulus aus zu beschreiben, der sich in einer aktuellen Situation identifizieren lässt.
Organismus
Unter „Organismusvariable“ werden alle Prozesse beschrieben, die die Stimulusverarbeitung moderieren. Dies können sein eine vegetative Labilität oder Drogeneinwirkung als moderierender Faktor z. B. einer Schreckreaktion, aber auch kognitive Schemata, die beispielsweise erklären können, dass soziale Situationen stets als Rivalitäts- und Kampfsituationen wahrgenommen werden.
Reaktion
Unter „Reaktion“ kann jedes innere und äußere Verhalten verstanden werden, das auf den auslösenden Stimulus folgt. Dies kann äußeres Verhalten sein wie beispielsweise Flucht oder Kampf, somatische Reaktionen wie Blutdruckanstieg oder Herzdruck, und schließlich auch kognitive Reaktionen im Sinne von automatischen Gedanken, die eine Situation kommentieren und bewerten.
Konsequenzen
„Konsequenzen“ sind schließlich die Folgen des Verhaltens. Sie können kurzfristig oder auch zeitlich später folgen. Sie können sozialer Natur sein, wie beispielsweise die negative Reaktion eines Sozialpartners, sie können somatischer Art sein, wie z. B. Schmerzen aufgrund von Dauerverspannung, oder auch kognitiver Art, wie z. B. eine negative Selbstkommentierung.
Zusammenhangsbeschreibung
Dieses zunächst sehr einfache lineare Modell kann zu sehr komplexen Zusammenhangsbeschreibungen führen. Unterschiedliche Stimuli können auf verschiedenen Ebenen (z. B. Kognitionen, Vegetativum) Organismusvariablen tangieren, die wiederum gleichzeitig oder versetzt zu mehrfachen Reaktionen mit jeweils unterschiedlichen Konsequenzen führen. Ebenso können Reaktionen (z. B. Anstieg der Herzfrequenz) selbst wieder zu Stimuli für weitere Reaktionen werden (z. B. Gedanke an Herzinfarkt).
Feedbackmechanismus
Auf diese Art können auch Rückkopplungsschleifen entstehen wie dies beispielsweise für den sog. Teufelskreis der Angst (Schneider und Margraf 2011) beschrieben ist, wo ein Auslösereiz zu einer somatischen Reaktion führen kann, deren Wahrnehmung Angst hervorruft, die wiederum selbst eine Verstärkung der somatischen Reaktionen bewirkt, was zu weiterer Angst führt. Es kann nahezu als grundsätzliches Prinzip pathologischen Verhaltens angesehen werden, dass irgendwo in dieser Stimulus-Reaktions-Kette sich selbst verstärkende „Feedbackmechanismen“ wirksam werden, die eine adaptive Gegensteuerung außer Kraft setzen.
Rückerinnerung in Slow Motion
Wichtig ist, dass bei dieser Verhaltensanalyse die einzelnen Elemente in z. T. ausgesprochen kurzen Zeitabständen aufeinander folgen. So sind sog. automatische Gedanken Phänomene, die nach Untersuchungen zu ereigniskorrelierten Potenzialen im Millisekundenbereich ablaufen und möglicherweise auch ebenso schnell wieder verschwinden. Die verhaltensanalytische Technik setzt deshalb stets voraus, einen Verhaltensablauf in der Rückerinnerung zu dehnen („slow motion“), um damit dem Untersucher wie auch dem Patienten überhaupt eine hinreichend detaillierte Beschreibung der Abläufe zu ermöglichen.

Makroverhaltensanalyse

Die Mikroverhaltensanalyse wird ergänzt durch die sog. Makroanalyse. Es werden die Beschwerdeentwicklung und ihre Rahmenbedingungen und Kontingenzen über die Zeit hin beschrieben und damit versucht, Bedingungen und ggf. Ursachen für die Entstehung der Störung zu identifizieren. Dies geschieht zum einen erneut über die Beschreibung zeitlicher Zusammenhänge für das Auftreten der Symptomatik. Darüber hinaus wird aber auch nach den Entwicklungsbedingungen für Faktoren gesucht, die nicht unmittelbar als Symptomverhalten verstanden werden können, die sich jedoch im Rahmen der Mikroanalyse als wesentliche Bedingungsfaktoren des Problemverhaltens dargestellt haben.
Ein Beispiel wäre, die Entwicklung einer ausgeprägten Leistungsmotivation nachzuzeichnen, die sich in der Mikroanalyse als ein Erklärungsfaktor für eine depressive Symptomatik herausgestellt hat. Diese biografische Analyse der Symptomatik dient damit zum einen dem Zweck, Erkenntnisse aus der Mikroanalyse nochmals mit Blick auf die Entwicklung der Störung auf Plausibilität zu untersuchen. Zum anderen gibt die Makroanalyse Hinweise auf die Chronizität einer Störung.
Erklärungsmotivation
Die Makroanalyse ist aber auch insofern von Bedeutung, als Patienten nicht nur eine Änderungsmotivation, sondern in der Regel auch eine Erklärungsmotivation haben. Patienten möchten verstehen, „wie und warum“ sich ein Problem entwickelt hat, selbst dann, wenn sich daraus keine unmittelbaren Implikationen für die Art der Therapie ergeben sollten.
Unmittelbar therapeutisch kann die Makroanalyse genutzt werden, wenn es um die Veränderung von Einstellungen und kognitiven Grundannahmen geht. Eine Distanzierung von solchen persönlichkeitsnahen Erlebnisweisen gelingt Patienten gelegentlich eher, wenn sie deren historische Bedingtheit erkannt haben, was es leichter macht, ihre Dysfunktionalität für den jetzigen Lebensabschnitt zu akzeptieren.
Verhaltensbeobachtung
Neben der Mikro- und Makroverhaltensanalyse ist die „Verhaltensbeobachtung“ (Echelmeyer 2015) eine weitere spezifische diagnostische Methode der Verhaltenstherapie.
Freie Beobachtung
Hierzu zählt zum einen die direkte „freie Beobachtung“. Verhaltenstherapeuten werden mit Patienten immer wieder kritische Situationen aufsuchen, sei es die U-Bahn bei Agoraphobiepatienten oder die Wohnung beim Zwangspatienten, um eine eigene Anschauung von der Art der Störung zu erhalten und die Ergebnisse der Verhaltensanalyse in der direkten Beobachtung zu überprüfen.
Verhaltensexperimente
Mit dem gleichen Ziel werden auch „Verhaltensexperimente“ durchgeführt. Dies kann ebenfalls in realen Lebenssituationen geschehen oder auch während der Therapiesitzung, beispielsweise in Form von Rollenspielen.
Strukturierte Beobachtungen
Eine weitere Variante sind „strukturierte Beobachtungen“. Patienten werden aufgefordert, Tagespläne auszufüllen, Aktivitätslisten zu führen oder die Häufigkeit bestimmter Gedanken zu zählen (Hautzinger 2015b).

Allgemeine therapeutische Prinzipien

Die Darstellung jeder Psychotherapie sollte 6 Ebenen unterscheiden, die jede für sich gesondert beschrieben und ggf. gesondert gelernt und beurteilt werden können. Diese sind:
  • die Beziehungskompetenzen,
  • die Basistechniken,
  • die störungsspezifischen Techniken,
  • die Stundenstrategie,
  • die Prozessstrategie und
  • die therapeutische Heuristik und Theorie.
Am Beispiel der Musik könnte man dies mit Musikalität, Fingerläufigkeit, Fertigkeit beim Spielen spezieller Läufe, Teilabschnitte eines Musikstücks, Partitur und musiktheoretischen Kenntnissen gleichsetzen. Es ist sofort evident, dass z. B. gute theoretische Kenntnisse allein nicht unbedingt mit guten technischen Fertigkeiten einhergehen müssen und diese nicht eine gute Therapeut-Patient-Beziehung garantieren. Verhaltenstherapeutische Theoriebildung und v. a. verhaltenstherapeutische Ausbildung von Therapeuten strebt daher eine Optimierung und Qualitätssicherung auf allen Ebenen an (Fydrich 2005; Linden und Hautzinger 2015).

Das therapeutische Basisverhalten und die therapeutische Beziehung

Verhaltenstherapie setzt in besonderer Weise eine gute Therapeut-Patient-Beziehung voraus (Margraf und Brengelmann 1992). Patienten müssen, wie in anderen Therapien auch, über z. T. peinliche Details ihres bisherigen Lebens berichten, und es werden an sie, teilweise anders als in anderen Therapien, immer wieder erhebliche Anforderungen gestellt, wie z. B. sich mit gefürchteten Situationen zu konfrontieren. Dies ist nur möglich, wenn der Therapeut vom Patienten als genuin und echt, als kompetent und verlässlich, als mitfühlend und verstehend erlebt wird. Die Therapeut-Patient-Beziehung hat von daher in der Verhaltenstherapie seit jeher große Aufmerksamkeit gefunden, wobei Anregungen und Anleihen aus anderen Therapieformen wie insbesondere der klientzentrierten Therapie nach Rogers integriert wurden. In der Ausbildung von Verhaltenstherapeuten wird die Herstellung einer professionellen Therapeut-Patient-Beziehung u. a. gelehrt im Rahmen von Einzel- oder Gruppenselbsterfahrung. Dabei soll der Therapeut seinen eigenen Interaktionsstil und eigene Wahrnehmungsstereotype kennenlernen. Eine größere Bedeutung hat jedoch die unmittelbare Supervision von Therapieprozessen beispielsweise anhand von Bandaufnahmen. In den Ausbildungstherapien gehören Tonbandaufnahmen zum Standard. Diese werden dann zusammen mit dem Supervisor oder in der Supervisionsgruppe angehört. Ein wesentlicher Teil dieser unmittelbaren Supervisionsarbeit kann als Selbsterfahrung und Selbstmodifikation verstanden werden (Zimmer 2015).

Therapeutische Techniken

Es gibt eine Fülle von verhaltenstherapeutischen Interventionen und Techniken. Gruppen von Verfahren, die jeweils wieder eine Reihe von Einzelinterventionen zusammenfassen, sind beispielsweise
  • Reizkonfrontationsverfahren,
  • Rollenspielverfahren,
  • Verfahren zum Training sozialer Kompetenz,
  • Kommunikations- und Problemlösetraining,
  • Kognitive Verfahren,
  • Operante Verfahren,
  • Bio- und Neurofeedbackverfahren
  • Entspannungsmethoden.
Zur Darstellung der Details muss auf die einschlägigen Spezialwerke (Linden und Hautzinger 2015 Margraf und Schneider 2016) verwiesen werden. Hier können nur einige grundsätzliche Aspekte angesprochen werden.
Die therapeutischen Techniken lassen sich nochmals unterscheiden in Basistechniken und störungsspezifische Techniken. Basistechniken definieren eine bestimmte Therapierichtung. Jeder Verhaltenstherapeut muss automatische Gedanken analysieren oder eine Hausaufgabe strukturieren können, unabhängig von der Art der aktuell zu behandelnden Krankheit. Dies gehört zum Standardrepertoire eines Verhaltenstherapeuten, nicht jedoch eines Psychoanalytikers. Dieser muss Deutungen beherrschen. Störungsspezifische Techniken sind solche, die nur bei bestimmten Problemstellungen zur Anwendung kommen und die nicht in jeder Therapie oder von jedem Therapeuten eingesetzt werden, wie dies beispielsweise für „drill and practice“-Techniken bei der Behandlung von Zerebralschäden gilt.
Therapeutencompliance
Die Betonung technischer Aspekte in der Verhaltenstherapie hat seinen Grund zum einen in der Vielfalt der vorliegenden Interventionsmöglichkeiten und zum anderen in der Erfahrung, dass es oft technische Details sind, die über den Erfolg oder Misserfolg einer Behandlung entscheiden. Verhaltenstherapeuten geht es in diesem Punkt nicht anders als Chirurgen. Von daher gibt es in der Verhaltenstherapie erhebliche Anstrengungen, über Manuale und Ratingskalen eine möglichst hohe „Therapeutencompliance“ zu garantieren. In Therapiestudien gehören Angaben zur Therapeutencompliance oder „adherence“ inzwischen zum gängigen Standard.
Grundaxiom ist, dass auch Psychotherapie auf empirischer Evidenz basieren muss und dass nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass individuelle Einfälle eines Therapeuten zur Besserung einer psychischen Störung führen, die sich offenbar als resistent gegen Selbsthilfeversuche und Einflüsse von unprofessionellen Sozialpartnern gezeigt hat.
Standardisierung vs. Anpassung an den Einzelfall
Eine in der Literatur vielfach diskutierte Frage ist, wie weit eine Strukturierung und Standardisierung im Einzelfall gehen kann bzw. welche Modifikationen durch Besonderheiten des Individualfalls erzwungen werden. Die Klärung dieses Problems liegt zum einen in einer Unterscheidung zwischen therapeutischer Handlungsplanung, die weitgehend durch Regeln geleitet und insofern auch standardisiert ist, und zum anderen in der konkreten therapeutischen Umsetzung, die an den jeweiligen Einzelfall anzupassen und insofern individualisiert ist (Schulte 1995).
Nachweispflicht für Therapeutencompliance
Unabhängig vom Standardisierungsproblem gilt, dass ein Therapeut schlicht inkompetent und kontraproduktiv sein kann, sei es auf der Ebene des therapeutischen Basisverhaltens, der therapeutischen Technik oder Strategie. Ein Therapeut, der von der Attitüde her den Patienten herabwürdigt und gleichzeitig fordernd ist oder der eine Expositionsaufgabe in Form einer Mutprobe ablaufen lässt, verstößt gegen professionelle Standards. Die Nachweispflicht für eine gute Therapeutencompliance, d. h. eine Übereinstimmung des Therapeutenverhaltens mit geltenden therapeutischen Standards, liegt beim Therapeuten und sollte auch ggf. haftungs- und strafrechtlich einklagbar sein. Insofern ist die Behauptung der Individualisierungsnotwendigkeit im Einzelfall stets daraufhin zu prüfen, ob es nicht eine Schutzbehauptung für mangelnde Qualität ist.

Nebenwirkungen von Verhaltenstherapie

Es gilt die Grundregel, dass eine Therapie, die keine unerwünschten Wirkungen zeitigen kann, in der Regel auch keine Hauptwirkungen hat. Anders als in der Pharmakotherapieforschung stellt die Untersuchung von Nebenwirkungen von Psychotherapie ein vergleichsweise wenig beachtetes Thema dar. Es gibt sogar Tendenzen, unerwünschte Entwicklungen im Verlauf einer Therapie entweder als unabdingbare Krankheitsfolgen zu sehen oder sie sogar dem Patienten schuldhaft anzulasten, etwa als Widerstand oder Motivationsmangel, so als wären dies nicht ggf. Behandlungsziele.
Vereinzelte Publikationen zu diesem Thema nennen eine Reihe von Möglichkeiten, wie Verhaltenstherapie zu einer Verschlechterung im Zustandsbild eines Patienten beitragen kann (Grawe 1984; Märtens und Petzold 2006; Margraf 2008). Unter der empirischen Literatur gibt es jedoch mit Ausnahme eines missbräuchlichen Umgangs von Therapeuten mit Patienten, etwa in Form erzwungener sexueller Kontakte, nahezu keine Literatur, die statt von „unzureichendem Therapieerfolg“ explizit von „Nebenwirkungen und Verschlechterung durch Therapie“ spricht. Hier besteht eine erhebliche Forschungslücke.

Verhaltenstherapie in der Krankenversorgung

Anwendungsspektrum

Aus der Feststellung, dass Verhaltenstherapie die systematische Anwendung von Lernprinzipien auf den Erwerb oder die Veränderung von Verhalten im klinischen Kontext ist, lässt sich bereits ableiten, dass es ein sehr breites Spektrum von Anwendungsmöglichkeiten verhaltenstherapeutischer Interventionen geben muss. Hierbei bietet es sich an, zwischen kausalen, kompensierenden, korsettierenden, komplettierenden und korrigierenden Therapiezielen zu unterscheiden (Linden 1996).
Kausale Behandlungsziele
Klassischerweise wird Psychotherapie mit kausalen Behandlungszielen in Verbindung gebracht. Es wird beispielsweise im psychoanalytischen Modell eine Störungsursache beschrieben und eine Besserung der Beschwerden von einer Veränderung eben dieses kausalen psychodynamischen Prozesses erwartet. Bei näherer Betrachtung ergeben sich solche Ansatzpunkte für eine kausale Therapie im klinischen Bereich jedoch eher selten, da
  • bei vielen Störungen entweder die Ursachen mit der erforderlichen Genauigkeit gar nicht identifizierbar sind oder
  • sie ihrer Natur nach psychotherapeutisch nicht angehbar sind, oder aber
  • die Ursache, die zur Entwicklung einer Störung geführt hat, nicht identisch ist mit den Faktoren, die eine Störung aufrechterhalten.
Kompensierende Behandlungsziele
Wegen der eben genannten Gründe haben sog. kompensierende Therapieziele in der klinischen und speziell verhaltenstherapeutischen Praxis eine sehr viel größere Bedeutung. Hierbei ist das Ziel zu lernen, mit bestehenden Störungen, die selbst nur bedingt zu verändern sind, besser fertig zu werden bzw. Sekundärfolgen zu verhindern. Ein Beispiel ist das Training der Stressverarbeitungskompetenz bei schizophrenen Patienten. Die Grunderkrankung selbst kann in diesen Fällen nicht verändert werden. Durch einen klugen Umgang mit Belastungen oder eine bessere Form sozialer Kommunikation können jedoch Folgen der Erkrankung gemildert und sogar die Rezidivhäufigkeit verringert werden.
Korsettierende Therapieziele
Bei diesen Zielen werden weder die Erkrankung noch der betroffene Mensch selbst unmittelbar therapeutisch beeinflusst. Dies hindert jedoch nicht, das Lebensumfeld des Patienten so zu strukturieren, dass die Störung weniger Sekundärfolgen hat. Als Beispiel kann die Behandlung von Demenzkranken genannt werden. Hier liegt der Schwerpunkt der Therapie auf der Verhaltensänderung von Bezugspersonen (Hautzinger 2015c).
Komplettierende Therapieziele
Bei diesen hat die Verhaltenstherapie allein keinen Einfluss auf die Grunderkrankung, jedoch wird sie genutzt, um eine eigentlich wirksame Behandlung überhaupt erst zum Einsatz bringen zu können. Beispiele hierfür sind die Veränderungen von Krankheitskonzepten von Patienten, um es ihnen leichter zu machen, eine erforderliche Langzeitmedikation einzunehmen (Linden 1995).
Korrigierende Therapieziele
Bei diesen soll ein Verhalten verändert werden, das selbst keinen Krankheitswert hat, jedoch zur Entstehung oder Verschlimmerung von Krankheitszuständen beiträgt. Hierzu gehören beispielsweise Raucherentwöhnung oder Gewichtsreduktion.

Breite des Indikationsspektrums

Aus dieser theoretischen Übersicht über die Vielfalt möglicher Behandlungsindikationen für Verhaltenstherapie ergibt sich, dass Verhaltenstherapie bei sehr unterschiedlichen klinischen Zuständen eingesetzt werden kann (s. Übersicht). Die Indikationen reichen von organischen Psychosen (z. B. Demenz) über endogene Psychosen (z. B. Schizophrenie), alle Neurosen (z. B. Depression), Reaktionen (z. B. PTBS) oder Persönlichkeitsstörungen (Borderline-Störung) über nahezu alle chronischen somatischen Erkrankungen (z. B. Epilepsie, Hypertonie, Diabetes) bis hin zu vielfältigen präventiven Maßnahmen (z. B. Unfallopfer, Berentung, Rauchen).
Diese Breite an möglichen und sinnvollen verhaltenstherapeutischen Interventionsmöglichkeiten (Hautzinger 2011; Ehlert 2003) ist eine Stärke wie ein Problem dieser Therapierichtung. Für die Anwendung der Verhaltenstherapie in der allgemeinen Patientenversorgung bedeutet dies, dass es theoretisch begründbar niemals eine Bedarfsdeckung durch Verhaltenstherapie geben kann. Stattdessen ist zu klären, was vordringliche Indikationen sind, wo Verhaltenstherapie die einzige Behandlungsoption darstellt und wie begrenzte Ressourcen am besten einzusetzen sind. Die Frage der Indikationssteuerung stellt ein dringendes und wissenschaftlich bislang nicht hinreichend bearbeitetes Problem dar.

Ambulante Versorgung

In der Bundesrepublik Deutschland ist in den vergangenen Jahren ein erheblicher Zuwachs an Verhaltenstherapeuten in der ambulanten Versorgung zu verzeichnen. Es sind über 30.000 Richtlinienpsychotherapeuten im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung tätig. Davon sind weit über die Hälfte Verhaltenstherapeuten und der weitaus größte Teil sind Psychologische Psychotherapeuten. Als Mitglieder in den Kammern für Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sind über 45.000 Diplom-Psychologen registriert. Die Zahl der Behandlungsfälle lag bei ca. 300.000 Patienten pro Jahr. Wenn man die verhaltenstherapeutische Versorgung der Bevölkerung beschreiben will, müssen auch noch etwa 10.000 Beratungsstellen berücksichtigt werden, in denen ebenfalls Psychotherapeuten ambulante Hilfe anbieten für psychisch Kranke allgemein, wie für Suchtkranke und bei Sexual-, Familien- oder Erziehungsproblemen. Weiterhin müssen auch Ärzte für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Ärzte für Psychotherapeutische Medizin hinzugerechnet werden, die nach der geltenden Weiterbildungsordnung Verhaltenstherapie als Psychotherapieschwerpunkt wählen können. Insgesamt wird derzeit für Verhaltenstherapie im ambulanten Bereich von deutschen Krankenkassen über 1 Mrd. Euro pro Jahr ausgegeben.

Indikationsspektrum

Trotz des breiten Indikationsspektrums ist in der Praxis eine Konzentration auf ausgewählte Störungen zu beobachten. Bei Patienten, die von niedergelassenen Verhaltenstherapeuten im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung behandelt wurden, nannten die Behandler in 48 % Angst-, Zwangs- und somatoforme Störungen (F4). In 40 % wurden depressive und affektive Syndrome (F3), in 6 % Psychosen (F2) und hirnorganische Erkrankungen (F0) und in 7 % sonstige Störungen (einschließlich F1 und F6) behandelt. Daneben dominieren die verhaltenstherapeutischen Interventionen bei allen Störungen im Kindes- und Jugendalter (F7, F8 und F9).

Stationäre Behandlung

In keinem anderen Land der Welt gibt es ein so großes Angebot an stationären Einrichtungen, die speziell Verhaltenstherapie anbieten, wie in der Bundesrepublik Deutschland, wobei angemerkt werden muss, dass dies weniger den Krankenkassen als vielmehr den Rentenversicherern zu danken ist, die diese Behandlungsplätze aufgebaut haben, um drohende Frühberentungen abzuwenden, was auch erfolgreich geschieht. Die erste ausschließlich verhaltenstherapeutisch arbeitende Klinik wurde 1976 eröffnet. In Deutschland gibt es etwa 10.000 Betten in speziellen psychotherapeutischen Fachkliniken, wovon mehr als 6.000 mit verhaltenstherapeutischem Schwerpunkt geführt werden. Die verhaltenstherapeutischen Kliniken führen im Jahr etwa 20.000 stationäre Behandlungen durch (Potreck-Rose et al. 1994). Des Weiteren gibt es eine große Zahl von psychiatrischen Abteilungen, die Stationen mit verhaltenstherapeutischem Schwerpunkt eingerichtet haben.

Indikationsspektrum

Das Spektrum der Störungen, die in verhaltenstherapeutischen Spezialeinrichtungen behandelt werden, umfasst mit Ausnahme akuter Psychosen nahezu alle psychischen und chronischen somatischen Erkrankungen. Ein wesentlicher Teil wird nach § 51 Sozialgesetzbuch V zugewiesen wegen längerer Arbeitsunfähigkeit. Abgesehen von dieser sozialmedizinischen Begründung sind grundsätzliche Indikationen für eine stationäre Behandlung:
  • Erkrankungen, bei denen der Patient keinen ambulanten Therapeuten aufsuchen kann, wie z. B. bei ausgeprägten phobische Störungen;
  • Erkrankungen, die spezielle Behandlungsinterventionen erfordern, die nur im stationären Setting möglich sind, wie beispielsweise bestimmte Arten der Reaktionsverhinderung bei Zwangserkrankungen;
  • Patienten, die aus pathogenen Umwelteinflüssen herausgenommen und in ein therapeutisches Milieu aufgenommen werden müssen als Voraussetzung dafür, dass eine Änderung möglich ist.
In aller Regel schließt sich an eine stationäre Behandlung dann eine ambulante Therapie an, die die im stationären Rahmen angestoßenen Entwicklungen weiterführt.

Internetbasiertes/Online-Angebot

Angesichts der Lücke zwischen psychotherapeutischem Versorgungsbedarf und verfügbaren Ressourcen und Kapazitäten gewinnen internetbasierte Interventionsangebote bei Depressionen, bei Angststörungen, bei Impulskontrollstörungen, Essstörungen, emotional-instabilen Persönlichkeiten, Belastungsstörungen, Prokrastination, Arbeitsstörungen u. a. auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung. Das Internet kann hierbei als Informationsmedium für Selbsthilfeprogramme und/oder als Kommunikationsmedium für den Austausch zwischen Therapeut und Patient – synchron in Echtzeit oder zeitversetzt asynchron – fungieren. Internetbasierte Interventionen beruhen zumeist auf etablierten Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie und variieren v. a. im Ausmaß der Einbindung von Therapeuten oder geschultem Personal. Zur Wirksamkeit internetbasierter (Depressions-)Interventionen liegen international (Schwerpunktländer sind Australien, Kanada, Schweden, die USA) zahlreiche Studien und Metaanalysen vor, allerdings wurden erst wenige Wirksamkeitsstudien im deutschsprachigen Raum durchgeführt. Internetbasierte Interventionen können in der Regel v. a. dann mittlere bis starke Effekte auf die Reduktion z. B. einer depressiven Symptomatik erzielen, wenn sie im Rahmen einer persönlichen Begleitung oder Unterstützung angeboten werden (Berger 2015).

Wissenschaftliche Evidenz

Die verschiedensten verhaltenstherapeutisch orientierten Interventionen, die zahlreichen individuellen und gruppenbezogenen Interventionsprogramme sind umfassend empirisch untersucht. Es liegen Einzelstudien in großer Zahl, Metaanalysen und Evidenznachweise vor. Es wurde durch verschiedenste Kommissionen nationaler Akkreditierungsagenturen bzw. Fachgesellschaften bestätigt, dass die Verhaltenstherapie ein hohes Maß an wissenschaftlicher Evidenz für sich in Anspruch nehmen kann. Es würde dieses Kapitel sprengen, dies für jede Störung in differenzierter Form darzustellen. Bei den im Folgenden dargestellten ausgewählten Erkrankungen ist immer auch ein Abschnitt zur wissenschaftlichen Evidenz mit einem Verweis auf Metaanalysen bzw. entsprechende Literaturquellen enthalten. Für eine knappe, doch aktuelle Darstellung zur Wirksamkeit verweisen wir auf die Expertise zur empirischen Evidenz der Verhaltenstherapie, wie sie von führenden Fachvertretern und den relevanten Fachverbänden für den Wissenschaftlichen Beirat bei der Bundesärztekammer zusammengestellt wurde (Kröner-Herwig 2004). Dieser Beirat hat aufgrund der wissenschaftlichen Arbeiten festgestellt, dass für die Indikationsbereiche ( Tab.1) F0, F1, F2, F3, F4, F5, F6, F7, F8, F9 die Verhaltenstherapie überzeugend und auf der höchsten Stufe evidenzbasiert ist.
Tab. 1
Indikationsbereiche der Verhaltenstherapie entsprechend vorliegender wissenschaftlicher Evidenz (Stufe 1 bzw. A)
Indikation (ICD-10)
Störungsbereiche
F3
Affektive Störungen (Erwachsene, Kinder/Jugendliche)
F40–42
Angststörungen (Erwachsene, Kinder/Jugendliche)
F 43
Belastungsstörungen (Erwachsene, Kinder/Jugendliche)
F44, 45, 48
Dissoziative, Konversions- und somatoforme Störungen (Erwachsene, Kinder/Jugendliche)
F50
Essstörungen (Erwachsene, Kinder/Jugendliche)
F5
Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen (Erwachsene, Kinder/Jugendliche)
F54
Psychische, soziale Faktorenbei somatischen Krankheiten (Erwachsene, Kinder/Jugendliche)
F6
Persönlichkeits-, Sexual- und Verhaltensstörungen (Erwachsene, Kinder/Jugendliche)
F1, F55
Abhängigkeiten und Missbrauch von Substanzen (Erwachsene, Kinder/Jugendliche)
F2
Schizophrenie und wahnhafte Störungen (Erwachsene, Kinder/Jugendliche)
F90–92, F94, F98
Verhaltensstörungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend, Ticstörungen
F8
Entwicklungsstörungen, autistische Störungen
F0, F7
Hirnorganische Störungen, Intelligenzminderung

Klinische Anwendung

Im Folgenden werden theoretische Modelle und verhaltenstherapeutische Behandlungsprinzipien bei einer Reihe ausgewählter Erkrankungen dargestellt. Zur Definition und klinischen Beschreibung der einzelnen Störungen ist auf die speziellen Kapitel an anderer Stelle dieses Buches zu verweisen. Hier können nur die funktionellen Aspekte der einzelnen Störungen dargestellt werden, soweit sie für das verhaltenstherapeutische Vorgehen relevant sind. Die Darstellung des therapeutischen Vorgehens muss sich notgedrungen auf die Zusammenfassung der therapeutischen Strategie und Heuristik beschränken. Die technischen Aspekte der angesprochenen Behandlungsinterventionen können aus Platzgründen nicht ausgeführt werden. Diese sind in Spezialwerken (Hautzinger 2011; Linden und Hautzinger 2015; Margraf und Schneider 2016) und in der Originalliteratur nachzulesen. Die angesprochenen Störungen stellen notgedrungen eine Auswahl dar, die sich an der klinischen Häufigkeit und der praktischen Relevanz für die klinische Psychiatrie orientiert. Des Weiteren wurden auch Störungen ausgewählt, bei denen das therapeutische Vorgehen jeweils spezifische Unterschiede verlangt, um damit auch deutlich zu machen, dass Verhaltenstherapie keine uniforme Methode, sondern eine störungsspezifische Intervention ist, die bei jeder Erkrankung andere Behandlungsziele, -methoden und -strategien einsetzt.

Depressive Störungen

Theoretische Modelle

Es gibt eine Reihe von verhaltenstherapeutischen Konzepten zur Erklärung der Entstehung wie Aufrechterhaltung depressiver Störungen. Von besonderer Bedeutung sind verstärkungstheoretische und kognitionspsychologische Modelle (Beck et al. 1996; Hautzinger 2013; Abb. 2).
Verstärkungspsychologische Modelle
Unter verstärkungstheoretischen Vorstellungen wird davon ausgegangen, dass eine geringe Rate verhaltenskontingenter positiver Verstärkung einerseits und ein Überwiegen negativer Stimulation andererseits dazu beitragen können, dass die Rate intentionalen zielorientierten Verhaltens zurückgeht und entsprechend an seine Stelle nichtzielgerichtetes Verhalten tritt. Die zentralen pathogenetischen Mechanismen sind also Inhibierung und/oder Löschung zielgerichteten Verhaltens. Des Weiteren kann der Wegfall wichtiger Verstärker zu einem Zusammenbruch sog. Verstärkerketten führen. So können beispielsweise mit dem Tod eines Ehepartners auch alle damit assoziierten Verstärker, wie z. B. Theaterbesuche oder Sozialkontakte, ebenfalls ihre Verstärkerwirksamkeit verlieren, sodass in der Folge ganze Verhaltenssegmente ausfallen. Verstärkermangel und -verluste können auch dadurch entstehen, dass Menschen in wichtigen Lebensbereichen keine hinreichenden sozialen Kompetenzen haben, um eine Mindestrate an positiven Verstärkern zu garantieren. So kann beispielsweise ein Mangel an sozialer Kompetenz zur Isolation mit entsprechenden psychischen Reaktionen führen. Schließlich ist es aus verstärkungstheoretischer Sicht auch vorstellbar, dass depressives Verhalten unmittelbar verstärkt wird, da es einen sehr direkten Einfluss auf das Verhalten von Sozialpartnern hat. Depressives Verhalten löst beim Gegenüber zunächst kurzfristig Zuwendung und Unterstützung aus, langfristig jedoch eher Abwehr, wenn nicht Aggression. Eine derartige Mischung aus positiven und negativen Konsequenzen ist ein besonders wirksames Verstärkermuster und daher als eine aufrechterhaltende Bedingung von Depression denkbar.
Kognitionstheoretische Modelle
Grundsätzlich gilt hier das Axiom, dass weniger Dinge und Situationen an sich als vielmehr deren Wahrnehmung und Bewertung durch den Betrachter darüber entscheiden, wie die somatische, emotionale und motorische Reaktion ist (Beck et al. 1996).
Automatische Gedanken und Schemata
Jede Situation wird vorbewusst durch sog. automatische Gedanken spezifisch interpretiert und gedeutet. Diese automatischen Gedanken können aus derselben Examensnote ein Scheitern wie einen Erfolg machen, indem beispielsweise ein bewertender Bezug zur Note des Bruders im selben Examen hergestellt wird. Automatische Gedanken lassen sich gruppieren zu Themen oder sog. Schemata etwa im Sinne von „Ich muss besser sein als mein Bruder“. Dies kann sehr unterschiedliche automatische Gedanken gleichen Gehalts in verschiedenem Kontext bedingen, d. h. nicht nur in der Examenssituation, sondern auch bei der Begegnung mit Menschen oder beim Umgang mit Geld.
Grundannahmen
Themen lassen sich nochmals auf einer weiteren Abstraktionsebene zusammenfassen, in sog. Grundannahmen. Dies sind im eigentlichen Wortsinn Weltanschauungen. Im angesprochenen Beispiel könnte dieses lauten: „Nur wer sich durchsetzt, wird überleben“. Solche Grundannahmen lassen sich zu einem gewissen Teil aus der Biografie erklären.
Diese kognitiven Strukturen sind vorbewusste Phänomene und nicht ohne weiteres der eigenen Beobachtung und Kontrolle zugänglich.
Situationsabhängig können dieselben kognitiven Wahrnehmungsschablonen funktional wie dysfunktional sein. Kognitive Schemata derart, dass „nur wer etwas leistet, etwas darstellt“, können eine berufliche Karriere stimulieren, beim beruflichen Scheitern jedoch ebenso eine Katastrophenreaktion erklären. Dagegen wird jemand mit der Grundannahme, dass „der Mensch lebt, um zu leben“, entgegengesetzt reagieren. Derartige kontextabhängig funktionalen oder dysfunktionalen Kognitionen können partiell erklären, warum Situationen beispielsweise zu Versagens- und Belastungsereignissen werden und wann mit welchen affektiven Konsequenzen zu rechnen ist.
Negatives Feedback
Ebenso bedeutsam ist, dass negative Stimmungsveränderungen selbst ebenfalls wieder direkten Einfluss auf die kognitiven Prozesse nehmen. Schlechte Stimmung kann zu einer selektiven Wahrnehmungseinengung auf negative Situationsaspekte führen, zur selektiven Erinnerung an negative biografische Erlebnisse und zur Einschränkung der Fähigkeit, sich von negativ besetzten Themen zu lösen. Damit kommt es zu einer Wechselbeziehung zwischen Kognition einerseits und Affekt andererseits im Sinne eines sich gegenseitig beeinflussenden negativen Feedbacks.

Therapieprozess bei depressiven Störungen

Verhaltensanalyse
Am Beginn jeder Therapie steht eine sorgfältige Analyse der funktionellen Zusammenhänge zwischen Stimmung, Kognitionen, Verstärkern und Verhalten. Hierbei können die verschiedenen o. g. psychologischen Mechanismen von Patient zu Patient unterschiedliches Gewicht haben. Beim einen mögen dysfunktionale Kognitionen, beim anderen ein Mangel an positiven Verstärkern und Überwiegen negativer Stimulation oder ein Mangel im Coping-Repertoire gegeben sein. Je nach Struktur des verhaltensanalytisch erarbeiteten individuellen Depressionsmodells wird der Schwerpunkt der Therapie unterschiedlich zu legen sein (Hautzinger 2013).
Therapeutisches Basisverhalten
Ein zentrales Element jeder Depressionstherapie ist ein adäquates therapeutisches Basisverhalten. Des Weiteren muss sichergestellt sein, dass die vom Patienten vorgetragenen Hilfsappelle und depressiv gefärbten Situationsbeschreibungen den Therapeuten nicht dazu verführen, mit vorschnellem Verständnis und vordergründigen Empfehlungen, Ratschlägen und Hilfsaktionen zu reagieren. Ebenso wenig darf er sich durch den depressiven Negativismus und die Hoffnungslosigkeit anstecken lassen. Stattdessen ist dem Patienten im Sinne sog. beruhigender Versicherungen zu vermitteln, dass er eine Störung hat, die bekannt ist, von der man aus der Erfahrung mit anderen Patienten weiß, dass sie zu überwinden ist. Ebenso ist ihm zu vermitteln, dass vermeintlich kurzfristig notwendige Veränderungen in wichtigen Lebensbereichen, wie z. B. eine Kündigung, erst einmal einer sorgfältigen Vorklärung bedürfen und dies auch Gegenstand der Therapie sein wird.
Verhaltensaktivierung
Erste Schritte der Therapie zielen darauf ab, die lähmende Inaktivität des Patienten zu durchbrechen. Zugleich soll er von der Aufmerksamkeitsfokussierung auf den eigenen Zustand und seine derzeitige Situation weg zur Befassung mit konkreten erreichbaren Zielen hingelenkt werden, d. h. eine Lenkung der Aufmerksamkeit von sich auf intentionale Ziele. Schließlich soll in diesem Zusammenhang auch eine gewisse Entlastung des Patienten dadurch erreicht werden, dass lang aufgeschobene belastende Vorhaben angepackt und abgehakt werden, wie beispielsweise einen lange überfälligen Brief zu schreiben. Hierdurch können dem Patienten schließlich auch kurzfristige Erfolgserlebnisse vermittelt werden.
Techniken zur Aktivitätssteigerung
Um diese Ziele zu erreichen, kann in der Einzel- wie Gruppentherapie eine Reihe von therapeutischen Techniken eingesetzt werden (vgl. Hautzinger 2013).
  • Am Anfang steht in aller Regel eine Zusammenstellung der akut zu erledigenden Dinge.
  • Des Weiteren können Selbstbeobachtungsaufgaben durchgeführt werden, mit denen zu klären ist, unter welchen Bedingungen sich der Patient schlechter oder weniger schlecht fühlt.
  • Nächstes Ziel ist dann, solche Situationen, in denen man sich weniger schlecht fühlt, verstärkt aufzusuchen.
  • Schließlich können auch kleine Hausaufgaben ausgearbeitet werden, die sehr konkret und überschaubar und innerhalb der Leistungsmöglichkeiten des Patienten sein sollten.
Bei weniger akuten und dafür chronischen Patienten können konkrete und detaillierte Situationsanalysen, Tages- und Wochenpläne sowie längere Aktivitätslisten eingesetzt werden, die angenehme Aktivitäten enthalten und nach Integration in den Alltag, ein Gegengewicht zu Pflichten und negativen Tätigkeiten darstellen. Eine Erhöhung der Aktivitätsrate kann direkt in einer Befindlichkeitsbesserung resultieren.
Förderung der sozialen Kompetenz
Sollte es sich im Rahmen der Verhaltensanalyse gezeigt haben, dass Defizite in der sozialen Kompetenz oder in anderen Fertigkeiten eine wesentliche pathogenetische Rolle spielen, dann leiten die aktivitätssteigernden Interventionen über zur Analyse der vom Patienten als Belastung und als Problem erlebten Situationen. Dabei ist die Frage zu stellen, inwieweit Verhaltensalternativen denkbar sind und wie man Problemsituationen anders angehen könnte. Hierbei werden dann Problembewältigungsalternativen und Alternativen im sozialen Kontaktverhalten ausgearbeitet.
Dies kann technisch beispielsweise in Form sog. Rollenspiele (Hautzinger 2015d) erfolgen, wobei auch ein sog. Rollentausch (Stuhltechnik; Roediger 2015) sinnvoll ist, bei dem der Patient zum Berater eines Dritten wird. Häufig werden erst aus dieser Perspektive für den Patienten Alternativen überhaupt erkennbar. Ebenso kann der Therapeut die Rolle eines kritischen Lebenspartners spielen, wie beispielsweise die des Arbeitgebers oder Ehepartners, und der Patient dann verschiedene Varianten von Problemenlöseverhalten im geschützten therapeutischen Rahmen durchspielen und auch gleichzeitig einüben.
Kognitive Interventionen
Bei Übungen zum Problemlösen wird bei vielen Patienten sehr schnell sichtbar, dass es ihnen eigentlich nicht an den nötigen Fertigkeiten mangelt, sondern dass sie inhibiert sind, ihre Kompetenzen zu nutzen. Erklärungen finden sich dann nicht selten bei der Analyse automatischer Gedanken, die dazu führen können, dass z. B. ein Mensch der eigentlich viel erzählen könnte, in Anwesenheit einer Autoritätsperson völlig verstummt.
Sammeln automatischer Gedanken
Die weiteren therapeutischen Interventionen verlagern sich daher zunehmend mehr darauf, automatische Gedanken zu sammeln, sie nach gleichen Themenschwerpunkten zu ordnen und dem Patienten zunächst einmal beobachtbar zu machen. Dazu werden Methoden der Selbstbeobachtung, aber auch ein sog. kognitives Rehearsal eingesetzt, bei dem der Patient in Gedanken eine Situation in allen Details durchgeht. Wichtig ist, dass automatische Gedanken nicht nur unkontrolliert einschießen, sondern auch in Sekundenbruchteilen ablaufen. Wenn Patienten erst einmal sich selbst auf der Ebene der automatischen Gedanken beobachten können, kann man sie anhalten, solche „Lieblingsgedanken“ kontinuierlich zu beobachten, zu zählen und v. a. den Zusammenhang zwischen Stimmungsverschlechterung und automatischen Gedanken zu beobachten.
Alternative Denk- und Wahrnehmungsweisen
Im nächsten Schritt wird dann der Patient angehalten, alternative Denk- und Wahrnehmungsweisen zu entwickeln. Es geht hierbei nicht darum, den Patienten davon zu überzeugen, dass er „unrecht“ hat, sondern mit ihm zu klären, ob die Sicht der Dinge, die er automatisch anlegt, die einzige Denkalternative ist. Hierbei werden sich in aller Regel auch sog. Denkfehler zeigen, wie selektive Aufmerksamkeit für negative Ereignisse, die die eigene Hypothese stützen, oder Ignorierung von Situationsaspekten, die andere Sichtweisen nahelegen könnten. Ein anderes Beispiel ist das dichotome Denken, das beispielsweise nur noch zwischen Niederlage oder Erfolg unterscheidet, mögliche Graduierungen jedoch ignoriert.
Realitätstestung
Ziel der therapeutischen Intervention ist, dass der Patient beginnt, seine eigenen zunächst a priori evidenten Sichtweisen anzuzweifeln, alternative Sichtweisen zuzulassen und in eine Realitätstestung einzutreten. Auf diese Art lassen sich zunächst einzelne automatische Gedanken und schließlich auch Themen hinterfragen und ändern. Eher selten wird es zu Änderungen in den Grundannahmen kommen. Allerdings erlauben viele Grundannahmen auch mehrere Alternativen bezüglich der aus ihnen folgenden Ableitungen.
Techniken
Es gibt eine Fülle von kognitiven Interventionen, die zur Anwendung kommen können. Am wichtigsten sind das bereits angesprochene kognitive Rehearsal sowie interne Dialoge, Reattribuierung oder Rollentausch. Eine Basismethodik ist der „sokratische Dialog“. Dies ist keine Diskussion mit dem Patienten über die richtige oder falsche Sichtweise, sondern ein Ernstnehmen der Sichtweise des Patienten, die vom Therapeuten dann in ihrer vollen Konsequenz weitergedacht wird, um dadurch den Patienten anzuregen, zu überprüfen, ob er das wirklich gemeint hat und inwieweit dies die einzig mögliche Sichtweise ist.
Kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen (Hautzinger 2013)
  • Modul 1: Zentrale Probleme erkennen und benennen; Aufbau therapeutischer Beziehung, beruhigende Versicherungen, Akzeptanz; Anamnese und Lebensgeschichte sowie Symptomatik und Verlauf der Depression
  • Modul 2: Erklärung und Psychoedukation bezogen auf affektive Störung, Vermittlung des therapeutischen Modells (Emotion, Kognition, Verhalten) und der Therapieschwerpunkte
  • Modul 3: Aktivitätsaufbau, Tagesstruktur, Förderung angenehmer Tätigkeiten
  • Modul 4: Bearbeiten kognitiver Muster und dysfunktionaler Informationsverarbeitungen
  • Modul 5: Verbesserung der sozialen, interaktiven, problemlösenden Kompetenzen
  • Modul 6: Vorbereitung auf Krisen, Erkennen von Krisen und Rückschlägen, Beibehaltung des Gelernten, Rückfallverhinderung, Notfallplanung

Wirksamkeitsbelege

Die kognitive Verhaltenstherapie in der Behandlung depressiver Störungen gehört inzwischen zu den am besten untersuchten psychotherapeutischen Bereichen. Die Ergebnisse mehrerer Metaanalysen zur Wirksamkeit der KVT zeigen, dass Wirksamkeitsbelege auf der höchstmöglichen Evidenzstufe vorliegen (zusammenfassend in der Nationalen Versorgungsleitline [NVL/S3] unipolare Depression 2015; www.depressions-leitlinien.de). Die Prä-Post-Vergleiche für die KVT erreichen Effektstärken zwischen 1,5 und 2,3. Die zwischen verschiedenen Bedingungen vergleichenden Effektstärken belegen eine Überlegenheit der KVT gegenüber Kontrollbedingungen (Warten, Placebo) von d = 0,82, gegenüber Medikation von d = 0,38 und gegenüber anderen Psychotherapien von d = 0,24. Durch KVT wird eine um 30 % höhere Erfolgsrate erreicht als in diversen Kontrollbedingungen und eine um 15 % höhere Erfolgsrate als durch antidepressive Medikation. Nach den Katamneseergebnissen einer Reihe größerer kontrollierter Studien (Hollon et al 2005) und der Metaanalyse von Gloaguen et al. (1998) bzw. Wampold et al. (2002) liegt ein wesentlicher Vorteil der KVT in ihrer längerfristigen Effektivität. Die Akutbehandlung mit KVT (allein oder in Kombination mit Medikamenten) senkt die Rückfallraten im Nachbehandlungsintervall deutlicher als medikamentöse Akutbehandlung allein (26 % vs. 64 % im 1-Jahres-Follow-up) (zusammenfassend: deJong-Meyer et al. 2007 und NVL/S3 Leitlinie unipolare Depression).

Bipolare affektive Störung

Die verhaltenstherapeutischen Interventionen bei bipolaren affektiven Störungen (manisch-depressiven Störungen) sind in der Regel die Medikation ergänzende Verfahren mit dem Ziel der Rückfallverhinderung, der verbesserten sozialen, beruflichen und partnerschaftlichen Anpassung, der Steigerung der Medikamentencompliance und der Verhinderung von Hospitalisierung. Patienten müssen akzeptieren, dass sie an einer chronischen Erkrankung mit einem hohen Rückfallrisiko leiden. Ausgangspunkt dabei ist das in Abb. 3 dargestellte Modell.
Ausgehend von einem derartigen Krankheitsverständnis haben Meyer und Hautzinger (2013) ein psychologisches Therapieprogramm entwickelt, das den Patienten und ihren Angehörigen während gesunden Phasen (meist jedoch im Anschluss an eine depressive oder manische Krankheitsepisode) über einen Zeitraum von mehreren Monaten angeboten wird und folgende Komponenten enthält:
  • Phase 1: Motivierung, Information und Psychoedukation, Krankheitskonzept erarbeiten, Notwendigkeit von Medikation und regelmäßiger Einnahme diskutieren, Wissen über depressive und manische Symptomatik vermitteln.
  • Phase 2: Selbstbeobachtung täglicher Befindensschwankungen, Verhalten und Denken, Ereignisse und Bedingungen von Befindensschwankungen erkennen, persönliche und allgemeine Warnsignale erarbeiten und auf die eigene Lage anwenden.
  • Phase 3: Alltagsgestaltung, Tagesrhythmus, regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus, Umgang mit Belastungen, angenehme und entlastende Aktivitäten, Kontrolle von dysfunktionalen depressiven und manischen Kognitionen.
  • Phase 4: Training von neuen Verhaltensweisen zur Lösung von Problemen, zum Umgang mit anderen, zur Impulskontrolle, zur Emotionsregulation, Notfallplanung und Krisenmanagement.
Metaanalysen (Hautzinger und Meyer 2007; s. auch S3-Leitlinie bipolare Störung; www.leitlinie-bipolar.de) zeigen, dass durch diese spezifische Psychotherapie die Zeit bis zu einer neuen Krankheitsphase hinausgeschoben, Lebensqualität und Funktionsniveau verbessert, die Medikamentencompliance erhöht und affektive Episoden rascher überwunden werden. Durch adjuvante Psychotherapie haben bipolare Patienten über 5 Jahre deutlich weniger Rezidive und sie zeigen bessere soziale, berufliche sowie familiäre Anpassung (Colom et al. 2009).

Generalisierte Angsterkrankung

Theoretische Modelle

Funktionelle Modelle der generalisierten Angsterkrankung berücksichtigen
  • eine konstitutionelle und/oder erworbene Ängstlichkeit und Bereitschaft zu ausgeprägteren Angstreaktionen,
  • eine vegetative Reagibilität,
  • eine Aufmerksamkeitspräferenz auf Gefahrenstimuli,
  • kognitive Schemata und Grundannahmen, die dazu führen, dass sich Patienten in vielen alltäglichen Situationen in Gefahr erleben,
  • einen Denkstil im Sinne katastrophisierender Kognitionen und
  • den Kompetenzgrad des Individuums im Umgang mit Herausforderungssituationen (Becker und Margraf 2007; Zubrägel und Linden 2015).
Ängstlichkeit als angeborene oder erworbene Persönlichkeitseigenschaft
Die Bereitschaft, auf Bedrohungsstimuli mit Angstreaktionen zu antworten, zeigt bei Tieren wie bei Menschen eine interindividuelle Streuung. Es gibt eine Fülle von Stimuli, die anlagebedingt zu Angstreaktionen führen, wie beispielsweise Höhe, Flatterbewegungen, bestimmte Mimik und Affekt oder Unbekanntes. Bei welcher Stimulusintensität welches Ausmaß an Orientierungs- und schließlich Angstreaktion auftritt, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und teilweise angeboren oder Folge individueller Lernerfahrungen. Die Extreme der Normalverteilung der Ängstlichkeit können sowohl bei pathologischer Angstfreiheit wie pathologischer Überängstlichkeit zu Anpassungsproblemen führen und Krankheitswert haben.
Vegetative Labilität
Die Bereitschaft von Menschen, auf Stimulation mit erhöhtem vegetativen Arousal zu reagieren, zeigt ebenfalls erhebliche interindividuelle Variabilität. Da die Wahrnehmung von Situationen und Ereignissen partiell auch dadurch bestimmt wird, welche Qualität und Quantität die eigene affektive und vegetative Reaktion hat, stellt eine erhöhte vegetative Irritabilität einen Vulnerabilitätsfaktor für Angstreaktionen dar. Neben einer konstitutionellen Arousal-Bereitschaft kann es zu einer erworbenen erhöhten Arousal-Bereitschaft auch beispielsweise im Rahmen von zerebralen Hirnschädigungen, wie z. B. nach chronischer Alkoholintoxikation, kommen. Ein weiterer wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist, dass vegetative Reagibilität auch gelernt werden kann. Andauerndes Arousal führt im weiteren Verlauf zu verstärktem Arousal bei zunehmend geringerer Stimulation.
Minor-Hassle-Syndrom
Eine erhöhte vegetative Reaktionsbereitschaft führt zu einem „minor hassle-syndrome“. Dies bedeutet, dass alltägliche kleine Stressoren zu erhöhtem Arousal führen, mit der Folge, dass diese Personen unter Dauerstress stehen. Sie erleben dann in der Folge die Anforderungen des täglichen Lebens als permanente Herausforderung und letztlich Bedrohung.
Dysfunktionale Kognitionen
Menschen haben unterschiedliche kognitive Schemata und Grundannahmen, die wesentlich über die Stimuluseigenschaften von Situationen und Ereignissen mit entscheiden (Mogg et al. 1995). Je nach Art dieser kognitiven Schemata kann es im Leben eines Menschen häufiger oder seltener zu Bedrohungserlebnissen kommen. Besonders relevant sind kognitive Schemata, die viele verschiedene Situationen mit Bedrohung oder mit Scham assoziieren können. Ein Beispiel wäre die Annahme „Wer nicht perfekt ist, ist bloßgestellt“.
Wahrnehmungsfokussierung
Menschen lassen sich in „Repressor-“ und „Sensitizertypen“ unterscheiden (Krohne 1996). Damit ist eine spezielle Art der Wahrnehmungsfokussierung gemeint. Repressortypen sind eher auf die Ziele, und Sensitizertypen eher auf die Risiken und Kosten einer Handlung zentriert. So überlegen Repressortypen vor einer Urlaubsreise, wo sie hinfahren wollen und was sie dort erleben wollen, während Sensitizertypen zunächst einmal prüfen, welche Risiken wo drohen. Diese Wahrnehmungsstile können ebenfalls als in der Bevölkerung normal verteilt angesehen werden. Sensitizertypen werden aufgrund dieser Wahrnehmungspräferenz sehr viel mehr Grund zur Sorge und Angst finden als Repressortypen.
Katastrophisierende Kognitionsstile
Bei Patienten mit generalisierter Angst findet man typischerweise eine ausgeprägte Fähigkeit, sich vorausschauend negative Konsequenzen und Katastrophen auszudenken. So kann es sein, dass ein Kind zu spät nach Hause kommt und die Mutter nicht nur darüber nachdenkt, wo das Kind hingegangen sein könnte, sondern sich bereits Gedanken darüber macht, woher man das Lösegeld im Falle einer Entführung bekommen solle. Patienten berichten über sehr schnell ablaufende und z. T. sehr weitgehende Gedankenketten, wobei sich assoziativ ein Problem und eine Bedrohung an die andere reihen.
Coping und Kompetenzverhalten
Angst entsteht typischerweise dann, wenn in einer Situation nur unbefriedigende Bewältigungsfertigkeiten zur Verfügung stehen. Wer keine soziale Kompetenz hat, wird soziale Situationen häufiger als Bedrohung erleben.
Bei generalisierten Angsterkrankungen ist allerdings zu beobachten, dass den Betroffenen nicht die Bewältigungsfertigkeit im engeren Sinne fehlt, sondern dass sie durch vorauslaufende Kognitionen an deren Umsetzung gehindert sind.
Sorgenverhalten
Ein zentraler pathogenetischer Mechanismus bei generalisierten Angsterkrankungen ist, dass „sich zu sorgen“ von den Betroffenen nicht als Problem, sondern als Problemlösung wahrgenommen wird (Wells 2011). Sich um etwas zu sorgen, hat zunächst einmal auch die Funktion, sich mit einem Problem auseinanderzusetzen und den Versuch eine Lösung zu finden. Insofern stellt „Sorgenverhalten“ einen sog. negativen Verstärker dar. Durch Sorgen wird Angst partiell reduziert. Damit kommt es zu einer Selbstverstärkung der Angst. Negatives Reinforcement hat als Charakteristikum, dass das so verstärkte Verhalten ständig zunimmt.

Therapieprozess bei generalisierten Angsterkrankungen

Verhaltensanalyse
In einer Verhaltensanalyse ist zunächst für den Einzelfall herauszufinden, welchem der genannten pathogenetischen Prinzipien im konkreten Fall welche Bedeutung zukommt. Hierbei können je nach den Besonderheiten des Einzelfalls kognitive Prozesse, vegetative Besonderheiten oder Verhaltensaspekte im Vordergrund stehen. Abhängig davon kann die Therapie der generalisierten Angst unterschiedliche Schwerpunkte haben.
Vegetative Umstimmung
Hinsichtlich der vegetativen Syndromanteile können Entspannungsverfahren oder physio- und bewegungstherapeutische Maßnahmen eingesetzt werden. Von Bedeutung ist auch eine Beratung der Patienten hinsichtlich einer angemessenen Lebensführung mit genügend körperlichem Ausgleich, Regelmäßigkeit im Schlaf-Wach-Rhythmus und überlegtem Umgang mit vegetativ labilisierenden Substanzen, d. h. Beruhigungsmitteln, Alkohol, Koffein, Nikotin usw.
Änderung kognitiver Schemata
Hinsichtlich angstfördernder kognitiver Schemata steht das gesamte Repertoire der kognitiven Therapie zur Verfügung, wie es bei der Behandlung depressiver Störungen beschrieben wurde. Im Gegensatz zu den depressiven Störungen ist bei der generalisierten Angst auf automatische Gedanken und kognitive Schemata zu achten, die aus alltäglichen Situationen, wie beispielsweise der Begegnung mit einem Vorgesetzten, eine Bedrohungssituation oder eine schamgeladene Situation machen.
Änderung des Wahrnehmungs- und Denkstils
Hinsichtlich der selektiven Wahrnehmung im Sinne des Sensitizertyps und der katastrophisierenden Kognitionen beginnt die Behandlung ähnlich wie bei der Therapie der depressiven Denkstörungen mit Selbstbeobachtungsaufgaben. Mit den Patienten wird in der Erinnerung oder unter Einsatz des kognitiven Rehearsals oder auch unter Bezug auf in der Zukunft bevorstehende Situationen immer wieder beschrieben, was an Bedrohungen denkbar ist.
Die Patienten werden angehalten, die ganze Kette ihrer katastrophisierenden Assoziationen möglichst weit durchzuspielen und mitzuteilen. Dies hat zwei Konsequenzen: Zum einen lernen die Patienten dadurch, dass sie eine bestimmte Art des katastrophisierenden Denkens pflegen und dass das eigentliche Problem weniger die Situation, also z. B. die verspätete Heimkehr des Kindes von der Schule ist, sondern die Art, sich dadurch zu Katastrophenfantasien anregen zu lassen. Zum anderen erreichen die katastrophisierenden Vorstellungen der Patienten, wenn man sie herausfordert, irgendwann einen Punkt, wo sie selbst für den Patienten anfangen, absurd zu erscheinen. Dies kann beim Patienten ein emotionales „Aha-Erlebnis“ hervorrufen, das es ihm dann leichter macht, sich von seinen Sorgen und Bedrohungsgedanken zu distanzieren und zu akzeptieren, dass hierin das eigentliche Problem liegt.
Sorgenselbstkontrolle
Im nächsten Schritt ist das Ziel, den Prozess der sich selbstaufschaukelnden katastrophisierenden Kognitionen möglichst früh zu beenden. Der Patient soll eine Sorgenselbstkontrolle („worry-control“) lernen. Mit dem Patienten wird von daher eingeübt, mittels interner Dialoge sehr frühzeitig alternative Erklärungen zu suchen, z. B. was dem Kind außer einer Entführung oder einem Unfall noch passiert sein könnte. Es können auch sog. Gedankenstopverfahren eingesetzt werden. Als erfolgreich hat sich außerdem die metakognitive Therapie erwiesen (Wells 2011). Dabei geht es um die Überwindung des „kognitiven Aufmerksamkeitssyndroms“ und von Oberplänen, um darüber mehr Distanz und unaufgeregte Gelassenheit gegenüber zufällig auftretender Grübelgedanken zu erlernen.
Sorgenexposition
Wie bereits ausgeführt, heißt sich Sorgen zu machen immer auch, sich mit einer Situation auseinandersetzen und Angst unter Kontrolle zu halten, so dass es zu einem negativen Verstärkungsprozess kommt. Eine für die generalisierte Angsterkrankung spezifische Behandlungsintervention ist daher die Sorgenexposition („worry-exposure“). Diese Methode geht davon aus, dass als ein wesentlicher therapeutischer Mechanismus dieses Vermeidungsverhalten zu überwinden ist. Von daher werden die Patienten angehalten, sich den schlimmstmöglichen Ausgang einer Situation vorzustellen. Sie müssen dann in einem nächsten Schritt für eine längere Zeit, d. h. von einer Viertelstunde bis zu einer Stunde, in der gedanklichen und emotionalen Vorstellung des schlimmsten Falls verbleiben, und zwar so lange, bis es zu einem Nachlassen des mit dieser Vorstellung verbundenen Angstgefühls kommt.

Wirksamkeitsbelege

Bei gezielter Behandlung lassen sich klinisch relevante Besserungen erreichen. Es gibt inzwischen Metaanalysen und zahlreiche Einzelstudien (Becker und Hoyer 2005; Linden et al. 2002), in denen im Verlauf einer etwa halbjährigen Therapie klinisch relevante und statistisch hoch signifikante Effekte nachweisbar waren. Diese Behandlungserfolge waren auch bei katamnestischen Nachuntersuchungen weiterhin stabil (Becker und Margraf 2007).
Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die besten Behandlungserfolge durch Therapien mit eindeutig kognitivem Schwerpunkt im oben genannten Sinne erreicht wurden. Wenn sich die Therapie primär auf Problemlösungsversuche konzentrierte, waren die Behandlungserfolge deutlich schlechter.

Agoraphobie und Panikerkrankungen

Theoretische Modelle

In den aktuellen psychiatrischen Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-5 werden Agoraphobie und Panikerkrankungen als getrennte Erkrankungen beschrieben.
Panikerkrankung
Für die Panikerkrankung wird verlangt, dass die einzelne Panikattacke unerwartet, d. h. nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Angsttrigger, auftritt, d. h. „wiederkehrende schwere Angstattacken (Panik) dürfen sich nicht auf eine spezifische Situation oder besondere Umstände beschränken und deshalb auch nicht vorhersehbar sein“ (ICD-10).
Agoraphobie
Im Gegensatz dazu sind Agoraphobien dadurch gekennzeichnet, dass panische Angst im Kontext bestimmter Situationen und Objekte auftritt, wie beispielsweise auf offenen Straßen und Plätzen (Agoraphobie), aber auch in Aufzügen und engen Räumen (Klaustrophobie) oder auf Türmen (Akrophobie). Die auslösenden Situationen sind in aller Regel also vielfältig, weshalb man sinnvollerweise auch von komplexen Phobien sprechen kann, in Abgrenzung zu den einfachen Phobien, die sich nur auf einzelne Objekte beziehen, wie z. B. Spinnenangst.
Angstauslöser
Aus verhaltenstherapeutischer Sicht ist die Unterscheidung zwischen auslösenden Situationen und Objekten einerseits und unvorhergesehenen Angstanfällen andererseits nur bedingt sinnvoll.
Angstreaktionen können nicht nur durch die Ansicht einer bestimmten Situation oder eines Objekts, sondern ebenso durch Erinnerungen, Assoziationen und sonstige Kognitionen ausgelöst werden. So kann die Vorstellung an eine bevorstehende unangenehme Situation des nächsten Tages (z. B. Prüfung) sowohl im Wachzustand wie beim Einschlafen oder sogar im Schlaf zu einer Schreck-, Anspannungs- und Angstreaktion führen, und zwar z. T. sogar in ausgeprägterer Form, als dies beispielsweise die unmittelbare Konfrontation mit einem angstauslösenden Objekt vermöchte.
Des Weiteren gilt, dass die meisten angstauslösenden Situationen im Rahmen von Agoraphobien nicht als solche und unmittelbar Angst auslösen, sondern nur vermittelt über antizipatorische Kognitionen. Es ist z. B. der Gedanke daran, dass die U-Bahn im Tunnel stecken bleiben, man dort Luftnot bekommen, zusammenbrechen und keine Hilfe bekommen könnte, der die Angst beim agoraphobischen Patienten auslöst, und dies zudem lange bevor die U-Bahn überhaupt in Sicht kommt.
Insofern ist es sinnvoll, alle Panikzustände, seien sie mit externen Objekten und Situationen assoziiert oder ausschließlich kognitiv provoziert, als einen gemeinsamen pathogenetischen Prozess anzusehen. Inwieweit Panikattacken ohne jeglichen, d. h. auch ohne kognitiven Stimulus vorkommen, erscheint bislang ungeklärt und eher unwahrscheinlich.
Stufenentwicklung
Die Entwicklung einer typischen Agoraphobie folgt einem stufenweisen Entwicklungsprozess (Linden 2015; Schneider and Margraf 2011), der sich dann als rasch ablaufender Aufschaukelungsprozess etabliert (Abb. 4).
Unbedingter Stimulus
Zu Beginn findet sich fast stets ein extremes Angsterleben im Kontext mit einem unbedingten Stimulus (UCS), wie z. B. einem Autounfall oder einem anderen Belastungserleben. Solche Panikreaktionen können auch durch das Zusammentreffen mehrerer synergistisch wirkender Faktoren entstehen, wie z. B. zu wenig Schlaf, Streit mit einem Partner, Warten im Gedränge und Zuknallen einer Tür.
Unbedingte Reaktion
Es kommt dann zunächst zu einer unbedingten Reaktion (UCR) mit den typischen Symptomen einer Panik, d. h. extreme Anspannung, dem Gefühl zusammenzubrechen, Zittern, Unruhe usw. Die Wahrnehmung dieses Erregungszustandes führt beim Patienten in aller Regel zu einem Gefühl der Hilflosigkeit und provoziert damit zusätzlich wieder Angst.
Phobophobie
In der Folge besteht eine Phase erhöhter Angstbereitschaft, verstärkter Selbstbeobachtung und Angst vor der Angst (Phobophobie). In dieser Phase führen neuerliche angstauslösende Stimuli auch bei sehr viel geringerer Intensität zu erneuten Panikreaktionen.
Vermeidung möglicher Auslöser
Der nächste Schritt ist, dass Patienten nun versuchen, Hypothesen zu bilden, wie es zur Auslösung solcher Zustände kommt. Die Patienten beginnen, Situationen und Objekte zu vermeiden, von denen sie vermuten, dass sie solche unerträglichen Zustände auslösen könnten. Damit tritt ein sog. negativer Verstärkungsprozess in Kraft. Auf Reize, die auf die drohende Gefahr hinweisen, erfolgt eine Vermeidung, woraufhin die Erwartungsangst nachlässt (negativer Reinforcer). Gleichzeitig wird aber die Angstreaktion verstärkt, d. h. sie tritt bei der nächsten Konfrontation mit der gleichen Situation verstärkt auf.
Angstgeneralisierung
Aufgrund der negativen Verstärkung setzt die Angstreaktion immer früher ein, d. h. die Hinweisreize bekommen zunehmend mehr Distanz vom ursprünglichen UCS. War es zunächst die Ecke, an der man einen Autounfall hatte und der man sich anschließend mit Vorsicht näherte, so wird schließlich die entsprechende Fahrstrecke ganz vermieden, weil die Unruhe schon beim Einbiegen in die Straße beginnt. Schließlich setzt die Unruhe und die Angst schon beim Besteigen des Autos ein, so dass der Partner gebeten wird zu fahren, und am Ende einer solchen Entwicklungskette sind die Patienten nicht mehr in der Lage, das Haus zu verlassen. Es genügt schließlich der Gedanke, das Haus verlassen zu wollen, um Anspannung und Unruhe auszulösen.
Lebensumstellung
In der letzten Stufe organisieren die Patienten schließlich ihr Leben gemäß ihrer Behinderung. Sie sind nicht mehr arbeitsfähig, müssen berentet werden und heiraten ggf. sogar Partner, die bereit sind, die Behinderung des Patienten zu kompensieren.
Pathogenetische Faktoren
Phobien und Panikerkrankungen haben als gemeinsame pathogenetische Faktoren
  • die negative Verstärkung infolge des Vermeidungsverhaltens,
  • die Auslösung von Angst durch antizipatorische Kognitionen und
  • eine durch vielfache Wiederholung gelernte extreme physiologische Angstreaktion, die auch durch relativ leichte UCS wie CS ausgelöst werden kann.
Ein Problem zusätzlicher Art stellt die biografische Anpassung an die angstbedingten Bewegungseinschränkungen dar. Die kognitive Verhaltenstherapie der Angsterkrankungen setzt an allen diesen pathogenetischen Mechanismen an.

Therapieprozess bei Agoraphobie

Therapeutische Grundhaltung
Die Behandlung von Agoraphobie- und Panikerkrankungen setzt voraus, dass zwischen Therapeut und Patient eine gute Beziehung besteht. Pathologische Angst führt beim Gegenüber typischerweise zu Unverständnis, weshalb Angstpatienten häufig mit herablassendem Wohlwollen, der Aufforderung sich zusammenzureißen oder auch Spott konfrontiert sind. Der Therapeut muss sehr gut verstehen, dass der Patient in einer subjektiv schlimmen Situation ist, und dieses Verständnis muss dem Patienten auch vermittelt werden können.
Vorgehen bei Agoraphobie
Der Patient wird da abgeholt, wo er selbst steht. Der Patient weiß, dass man normalerweise keine Angst vor der Straße hat. Selbst wenn er Erklärungen für seine Angst abgibt, weiß er doch, dass dies letztlich keine gültigen Erklärungen sind. Alle Patienten möchten daher wissen, was eigentlich mit ihnen los ist.
Paradoxe Intervention
Unter der Zielvorgabe einer diagnostischen Klärung wird dann eine sog. paradoxe Intervention durchgeführt. Während die Patienten bislang alles getan haben, um sicherzustellen, dass kein Panikzustand möglich ist, werden sie nun gebeten, diesen gefürchteten Zustand möglichst genau zu beschreiben und ihn zu diagnostischen Zwecken sogar willentlich herbeizuführen. Der Patient wird gebeten, sich in eine Situation zu begeben, von der er annimmt, dass sie einen Panikzustand auslösen könnte, und möglichst genau zu beschreiben, was in ihm selbst abläuft – sowohl körperlich wie psychisch – und dabei Erwartungen besonders zu beachten.
Reaktionsexposition und kognitives Reframing
Es handelt sich hierbei also um eine „Reaktionsexposition“, die sorgfältig zu unterscheiden ist von einer „Stimulusexposition“. Letzteres ist das, was der Patient bislang gemacht hat, indem er seine Aufmerksamkeit auf die Stimuli der „gefährlichen“ Situation gerichtet hat. Dies führt zu weiterer Angst und ist untherapeutisch. Im Gegensatz dazu ist bei der Reaktionsexposition die Aufgabe für den Patienten, den Ablauf der Panikreaktion in allen Einzelheiten zu beschreiben. Dadurch erfolgt bereits ein sog. kognitives Reframing. Aus vegetativen Symptomen, die für den Patienten Zeichen von Angst und Hinweise für den drohenden Zusammenbruch waren, werden nun Herzklopfen, schweißnasse Hände und Atembeklemmung, die schließlich sogar als „normale Reaktion“ bei Angst interpretiert werden können. Ein solches kognitives Reframing hat den Nebeneffekt, dass in der Regel die Patienten entgegen ihrer eigenen Erwartung keine Panikreaktion erleben.
Antizipatorische Kognitionen
Im nächsten Schritt der Therapie werden die Patienten nun zunehmend mehr in ihrer Aufmerksamkeit auf die antizipatorischen Kognitionen hingelenkt. Im Rahmen von Vorstellungsübungen werden leichtere Angstreaktionen ausgelöst, wodurch der Patient den Zusammenhang zwischen Situationsbewertung und Angstreaktion verstehen lernt. Es wird dann versucht, diese Angst auslösenden Fantasien explizit zu machen und auf ihren Realitätsgehalt hin zu untersuchen. Die Patienten werden angehalten, sich die schlimmste Konsequenz vorzustellen und in Gedanken durchzuspielen. Dabei wird mit dem Patienten auch für diese Situationen kompetentes und nichtphobisches Verhalten eingeübt.
Übung in realen Situationen
Jeder dieser Entwicklungsschritte wird durch Übungen in den realen angstauslösenden Situationen begleitet. Wenn erforderlich, kann dies auch einmal in Begleitung des Therapeuten geschehen. Bei typischem Therapieverlauf ist zu erwarten, dass innerhalb von 15 Behandlungsstunden die Patienten vorher gemiedene Situationen wieder aufsuchen und öffentliche Verkehrsmittel benutzen.
Vorgehen bei Panikerkrankungen
Bei Panikerkrankungen wird grundsätzlich ein ähnliches Vorgehen gewählt, wobei die Selbstbeobachtung des Patienten von Beginn an stärker darauf abgestellt wird, zu analysieren, was in der jeweiligen Situation genau abgelaufen ist und was ihm durch den Kopf gegangen ist, bevor es zu den Panik- und Angstzuständen kam.
Bei diesem Behandlungsprozess der Phobien und Panikerkrankungen kommt es in aller Regel nicht zur Auslösung einer echten Panikattacke. Dies wäre auch kontraproduktiv, da dadurch ein Angstlernprozess eher unterstützt und verstärkt wird. Auch eine Habituation, so wie sie als Therapieprinzip der systematischen Desensibilisierung zugrunde liegt, spielt bei dieser Art moderner kognitiver Verhaltenstherapie der Phobien nur eine untergeordnete Rolle. Sie ist von primärer Bedeutung bei der Behandlung von Monophobien. Stattdessen liegt bei der Agoraphobie die eigentliche therapeutische Wirkung im kognitiven Reframing, in der Selbstkontrolle über antizipatorische Angstfantasien und in einer Veränderung vegetativer Reaktionen bei unspezifischen wie spezifischen arousalauslösenden Stimuli.

Wirksamkeitsbelege

Es liegt eine große Zahl von Therapiestudien vor, die eine gute klinische Wirkung der kognitiven Verhaltenstherapie bei Agoraphobie und Panikerkrankungen belegen, so dass beim derzeitigen Stand diese Behandlungsmethode als Therapie der 1. Wahl anzusehen ist. Entsprechende Übersichten (Heinrichs et al. 2009) legen nahe, dass etwa 80 % der fachgerecht behandelten Patienten angstfrei werden bzw. signifikante Besserungen zeigen, während Wartelistenkontrollgruppen nur in 20 % der Fälle (spontane) Besserungen aufweisen. Diese Veränderungen erweisen sich beim überwiegenden Teil der Patienten auch in (bis zu 7-jährigen) Katamnesen als stabil.

Persönlichkeitsstörungen

Theoretische Modelle

Die verschiedenen Persönlichkeitsstörungen, wie sie beispielsweise in DSM-5 und ICD-10 beschrieben werden, unterscheiden sich z. T. sehr grundsätzlich voneinander. Dies gilt selbst dann, wenn man verschiedene Persönlichkeitsstörungen innerhalb der Oberklassen bzw. sog. Cluster (sonderbar, traumatisch, ängstlich) miteinander vergleicht. Auf der anderen Seite zeigen empirische Befunde, dass es jedoch phänomenologisch auch eine große Überschneidungsmenge zwischen den verschiedenen Persönlichkeitsstörungen gibt, was sich nicht zuletzt in hohen Komorbiditätsraten widerspiegelt. Ebenso gibt es eine Reihe von Charakteristika, die allen Persönlichkeitsstörungen als Definitionsmerkmale gemeinsam zu sein scheinen.
Dementsprechend haben auch lerntheoretische Modelle zu Persönlichkeitsstörungen stets 2 Anteile. Zum einen beschreiben sie Aspekte, die sehr spezifisch nur für einzelne Subtypen von Persönlichkeitsstörungen, wie z. B. die emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ oder die ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung, gelten. Des Weiteren enthalten sie aber auch grundsätzliche Elemente, die bei allen Persönlichkeitsstörungen in ähnlicher Weise zu finden sind. Im Folgenden können nicht die Modelle zu jeder einzelnen Persönlichkeitsstörung speziell dargestellt werden; es sollen dagegen einige verhaltenstheoretische Konzepte dargelegt werden, die grundsätzliche Mechanismen und Besonderheiten von Persönlichkeitsstörungen beschreiben.
Erklärungsansätze
Es gibt eine Reihe verhaltenstheoretischer Erklärungsversuchen von Persönlichkeitsstörungen. Am wichtigsten und bekanntesten sind die kognitiven Modelle von Beck und Freeman (1990) bzw. Young et al. (2003), das soziale Fertigkeiten und interpersonales Verhalten in den Vordergrund stellende Modell von Safran und Segal (1990) und die v. a. emotionale Störungen betonenden Konzepte von Linehan (1993).
Alle diese Modelle von Persönlichkeitsstörungen haben trotz unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen gemeinsam, dass sie sowohl emotionale Aspekte als auch interpersonales Verhalten, Problemlösefähigkeiten und v. a. auch kognitive Aspekte berücksichtigen (Ecker 2015). Des Weiteren gilt, dass es sich um Störungen handelt, die früh im Leben angelegt oder erworben sind, die nicht mit Intelligenzdefiziten einhergehen und dennoch zu unflexiblem und fehlangepasstem Verhalten führen. Die Folge sind wesentliche Störungen im Sozial- oder Arbeitsbereich, Abwehrreaktionen bei der Umwelt und darüber vermittelt erhebliches subjektives Leiden auch für den Betroffenen selbst.
Dabei ist eine Einsicht des Patienten in die eigene Störung zunächst nicht ohne weiteres möglich. Im Querschnitt sind Persönlichkeitsstörungen zudem eher schwer zu diagnostizieren. Erst die wiederholte Beobachtung von Patienten in unterschiedlichen Situationen ermöglicht ein Erkennen des immer gleichen Verhaltensmusters.
Soziale Fertigkeiten
Auf der Ebene der sozialen Fertigkeiten und interpersonalen Kommunikation kann man für jede Persönlichkeitsstörung charakteristische dominante Interaktionsstile beschreiben. Diese haben z. T. auch Eingang in die klinischen Beschreibungen gefunden.
  • Patienten mit paranoiden Persönlichkeitsstörungen vertrauen sich beispielsweise nur sehr zögernd anderen Menschen an, fühlen sich rasch angegriffen, reagieren zornig und mit Gegenangriffen.
  • Patienten mit schizoider Persönlichkeitsstörung integrieren sich nicht in Gruppen, nehmen keine engen Beziehungen zu Freunden auf, sondern bleiben eher alleine und erscheinen auch weniger ansprechbar gegenüber Lob und Kritik anderer.
  • Patienten mit anti- bzw. dissozialen Persönlichkeitsstörungen ignorieren soziale Normen, sind rücksichtslos, kommen sozialen Verpflichtungen nicht nach und verletzen die Rechte anderer.
  • Patienten mit impulsiven Persönlichkeitsstörungen erscheinen leicht reizbar und zeigen überschießende und nicht vorhersehbare Ausbrüche von gewalttätigem und bedrohlichem Verhalten.
  • Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung ist eine Neigung zu intensiven, aber unbeständigen Beziehungen zu beobachten mit Wechsel zwischen Überidealisierung und Abwertung von Sozialpartnern.
  • Bei der histrionischen Persönlichkeitsstörung ist ein ständiges Verlangen nach Bestätigung und Anerkennung zu beobachten. Das Verhalten ist häufig auf unmittelbare Befriedigung ausgerichtet, und Frustration und Belohnungsaufschub werden schwer ertragen.
  • Bei der anankastischen Persönlichkeitsstörung steht eine übermäßige Gewissenhaftigkeit und unverhältnismäßige Leistungsbezogenheit bei gleichzeitiger Vernachlässigung übergeordneter Verhaltensziele im Vordergrund. Rigidität und Eigensinn bestimmen auch die Art der Auseinandersetzung mit Dritten.
  • Bei der ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstörung ist eine Überempfindlichkeit gegenüber Zurückweisung und Kritik zu beobachten. Das eigene Verhalten wird unter dem Primat der Zuneigung und des Akzeptiertwerdens durch andere gesteuert. Gleichzeitig besteht eine Überbetonung potenzieller Gefahren und Risiken gerade auch im Kontakt mit Dritten.
  • Bei der abhängigen Persönlichkeitsstörung schließlich ist zu beobachten, dass der Betreffende unfähig ist, alltägliche Entscheidungen zu treffen, sich ständig am Urteil anderer orientiert und somit extrem feldabhängig ist.
Kompetenztraining und Klärung psychologischer Mechanismen
Jede dieser Verhaltensbeschreibungen bietet sich an, um mit dem Patienten eine Verhaltensmodifikation im engeren Sinne anzustreben. Es liegt nahe, durch Methoden des sozialen Kompetenztrainings beispielsweise Patienten mit abhängiger Persönlichkeitsstörung anzuleiten, sich in konkreten Situationen auch einmal zu überlegen, was die eigenen Interessen sein könnten, und zu lernen, „nein“ zu sagen. Nach den Berichten in der Literatur und klinischer Erfahrung stößt ein solches, ausschließlich kompetenzorientiertes Vorgehen aber sehr schnell an Grenzen, da sich die beschriebenen Verhaltensweisen gegenüber den Therapieinterventionen als eher veränderungsresistent erweisen. Von daher ist zusätzlich zu klären, welche psychologischen Mechanismen dazu führen, dass ein Patient mit einer paranoiden Persönlichkeitsstörung Aggressivität als eine primäre Problemlösestrategie einsetzt oder ein Patient mit dependenter Persönlichkeitsstörung ständig meint, tun zu müssen, was andere sagen.
Dysfunktionale Kognitionen
Ein anderer Erklärungsansatz sind dysfunktionale Schemata (Young et al 2003). Für jeden Typ von Persönlichkeitsstörungen werden charakteristische Schemata beschrieben, die erklären sollen, warum es zu dem beobachteten inadäquaten Interaktionsverhalten kommt. Solche charakteristischen Schemata und kognitiven Grundannahmen sind beispielsweise:
  • Bei der paranoiden Persönlichkeitsstörung könnte ein Leitsatz lauten: „Jeder denkt nur an seinen eigenen Vorteil, wer nicht auf der Hut ist, wird hereingelegt“.
  • Bei der schizoiden Persönlichkeitsstörung würde ein typischer Kernsatz sich nennen: „Beziehungen führen immer zu Problemen“.
  • Bei der dissozialen Persönlichkeitsstörung könnte ein Leitsatz lauten: „Jeder ist sich selbst der nächste“.
  • Bei der impulsiven Persönlichkeitsstörung könnte das Problem beispielsweise darin bestehen, dass Ereignisse in ihrer Bedeutung magnifiziert werden, d. h. dass aus einer Mücke ein Elefant gemacht wird und dann eine entsprechende Reaktion erfolgt.
  • Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung wird eine Störung im Selbstbild angenommen. Dazu gehört die Unfähigkeit, sich auch in Beziehungen mit anderen einordnen zu können, sei es als liebenswert oder verachtungswürdig.
  • Bei der histrionischen Persönlichkeit steht eine Selbstbeschreibung der eigenen Grandiosität im Vordergrund.
  • Bei der anankastischen Persönlichkeit steuern „Muss-Sätze“ das Verhalten.
  • Bei der ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung stehen antizipatorische Erwartungen von negativen Konsequenzen eigenen Verhaltens im Vordergrund.
  • Bei der abhängigen Persönlichkeitsstörung findet sich eine Selbstbeschreibung der eigenen Insuffizienz und Minderwertigkeit bei gleichzeitiger überhöhter Bedeutungszumessung an andere Personen.
Beschreibung und Veränderung kognitiver Schemata
Aus solchen schemaorientierten Beschreibungen von Persönlichkeitsstörungen leitet sich als therapeutische Intervention eine auf die jeweilige dysfunktionale Kognition zentrierte kognitive Therapie ab. Die Schemata werden nach den allgemeinen Methoden der kognitiven Therapie für die Patienten erkennbar und beschreibbar gemacht, um dann in einem nächsten Schritt hinterfragt, mit Alternativen konfrontiert und modifiziert zu werden.
Auch dieses klassische Vorgehen der kognitiven Therapie stößt nach den Beschreibungen der bereits zitierten Literatur in der klinischen Anwendung schnell an Grenzen, weshalb alle einschlägigen Theorien als dritte wichtige Störungsebene charakteristische Emotionalitäten von Persönlichkeitsstörungen beschreiben.
Affektstörungen
Ein Kennzeichen von Persönlichkeitsstörungen ist, dass diese Menschen schon negative Reaktionen beim Gegenüber auslösen, obwohl noch gar kein längerer Kontakt bestanden hat und obwohl die inhaltlichen Äußerungen durchaus intelligent und sachgerecht sind. Die Erklärung hierfür ist der beteiligte Affekt (Linden 2006). In allen Beschreibungen von Persönlichkeitsstörungen und auch den verhaltenstherapeutischen Modellen wird daher Störungen des Affekts spezielle Aufmerksamkeit gewidmet.
  • Bei der paranoiden Persönlichkeitsstörung ist eine Dominanz eines Misstrauensaffekts zu beobachten.
  • Schizoide Persönlichkeitsstörungen gehen mit einer schizoiden Affektarmut einher.
  • Dissoziale Persönlichkeitsstörungen leiden unter einem Mangel an Empathiefähigkeit.
  • Impulsive Persönlichkeitsstörungen sind durch Affektinkontinenz zu charakterisieren.
  • Emotional instabile Persönlichkeitsstörungen vom Borderline-Typ leiden, wie der Name bereits sagt, unter Affektlabilität.
  • Histrionische Persönlichkeitsstörungen haben eine Störung in der Affektexpressivität, was zu einem dissoziierten und inadäquaten Affekt führt.
  • Anankastische Persönlichkeitsstörungen zeigen einen zwanghaft ängstlichen Affekt.
  • Abhängige Persönlichkeitsstörungen weisen ein dominantes Insuffizienzgefühl auf.
Wirkung der Affektstörung auf andere
Diese charakteristische pathologische Affektivität wird von dem Gegenüber unmittelbar wahrgenommen, so dass beispielsweise auf einen misstrauischen Affekt mit Irritation und ebenfalls Misstrauen reagiert wird. Ein schizoider affektarmer Affekt wird beim Gegenüber zu Irritation und Rückzug mit Verlust des Interesses am Gegenüber führen. Affektinkontinenz und Reizbarkeit beim Patienten führen beim Gegenüber ebenfalls zu heftiger Affektauslenkung und Aggressivität. Affektinadäquatheit und erhöhte Affektexpressivität führen beim Gegenüber zur Verwunderung, teilweise Amüsement, aber auch zu dem Gefühl, den anderen nicht ernst nehmen zu können. Dominante Insuffizienzgefühle auf der Seite des Patienten führen beim Gegenüber zum Erleben eigener Dominanz und möglicherweise auch Rücksichtslosigkeit.
Zusammenhang zwischen Affektregulation und kognitiven Schemata
Versucht man, die beschriebenen Besonderheiten im interpersonalen Verhalten, in den kognitiven Schemata und in der Affektregulation in ein gemeinsames Modell zu integrieren, dann bietet es sich an, bei der Affektstörung zu beginnen (Linden 2006). Geht man von einer primären Teilleistungsstörung in der Affektregulation aus, dann muss dies zwingend zu sekundären Störungen der affektiven Kommunikation und damit der Interaktion insgesamt führen.
Wenn ein Patient aber möglicherweise von Kindheit oder Adoleszenz an stets die Erfahrung macht, dass andere Menschen mit Misstrauen und Abwehr reagieren, dann wird der eigene Misstrauensaffekt nicht als Ursache, sondern als gerechtfertigte Konsequenz erlebt. Dies erklärt, dass Patienten mit Persönlichkeitsstörungen erhebliche Probleme haben, die eigene Störung überhaupt zu erkennen und sich selbst und nicht die Umwelt als Ursache des Problems wahrzunehmen.
Die ständige Erfahrung, dass anderen scheinbar nicht zu trauen ist, muss dann zwangsläufig auch zur Ausbildung eines Weltbildes, d. h. kognitiver Schemata, führen, die quasi als Erklärung dienen. Solche tertiären kognitiven Schemata, etwa der Art „man kann niemand trauen“, können dann eine nachträgliche Erklärung des eigenen Affektes geben und gleichzeitig auch den pathologischen Leitaffekt noch verstärken. Die in allen Beschreibungen von Persönlichkeitsstörungen hervorgehobenen sozialen und beruflichen Anpassungsprobleme sind dann eine quaternäre zwingende Konsequenz.

Therapieprozess bei Persönlichkeitsstörungen

Die eben beschriebenen psychopathologischen und pathopsychologischen Aspekte von Persönlichkeitsstörungen lassen sich in der Regel bis in die Kindheit und Adoleszenz zurückverfolgen. Dies gehört zur Definition von Persönlichkeitsstörungen. Insofern sind es früh erworbene Eigenschaften der Patienten, wobei zunächst unerheblich ist, ob die Affektstörungen angeboren oder durch hirnorganische oder psychologische Traumata erworben worden sind.
Biographische Analyse
Bei der biografischen Analyse wird man in vielen Fällen aus der Entwicklungssituation des Betroffenen in der frühen Kindheit und Jugend Hypothesen ableiten können, warum der Patient diese Persönlichkeitsstörung entwickelt hat. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass man mit solchen Kausalannahmen sehr vorsichtig sein muss, da Persönlichkeitsstörungen ihre Umwelt stärker beeindrucken, als die Umwelt das Verhalten der Patienten steuern könnte.
Insofern können Auffälligkeiten im Erziehungsstil ebenso gut auch schon die Konsequenz der damals bereits bestehenden Störung sein und müssen nicht die Ursache gewesen sein. Ebenso sind auch wechselseitige Verstärkungen denkbar.
Ansatz der Interventionen
In der Verhaltenstherapie wird man solche biografischen Zusammenhänge in der Therapie ebenfalls herausarbeiten und sie insofern nutzen, als sie dem Patienten ein besseres Verständnis dafür ermöglichen, dass er unter einer Störung leidet, die ihn als Person und Persönlichkeit seit jeher charakterisiert. Die therapeutischen Interventionen zu einer Veränderung werden in aller Regel jedoch nicht an der Biografie ansetzen, sondern am aktuellen pathofunktionellen Mechanismus.
Keine „Problemlösungen“
Die Patienten kommen typischerweise in Behandlung mit der Bitte um Hilfe bei der Lösung von Lebensproblemen. Es ist jedoch wenig erfolgversprechend, sich auf die Lösung von Lebensproblemen einzulassen. Zum einen gibt es für die im Zusammenhang mit Persönlichkeitsstörungen stehenden Anpassungsprobleme keine einfachen „Problemlösungen“, da sie Ausdruck des Verhaltens des Patienten sind. Sollte es tatsächlich aber in einem Punkt zu einer Problemlösung kommen, ergeben sich in der Regel an derselben Stelle gleich wieder neue Probleme.
Interaktion zwischen Patient und Therapeut:
Die kognitive Verhaltenstherapie setzt direkt an den 3 zentralen pathologischen Prozessen an, d. h.
  • dem inadäquaten Interaktionsverhalten,
  • den dysfunktionalen Schemata und
  • der Affektregulationsstörung.
Alle 3 psychologischen Phänomene müssen sich ihrer Natur nach auch unmittelbar in der Interaktion zwischen Patient und Therapeut zeigen. Daraus ergibt sich zum einen, dass in der Durchführung der Therapie sichergestellt werden muss, dass die Psychopathologie nicht auch die Therapeut-Patient-Beziehung dominiert. Zum anderen ermöglicht es aber auch, die Therapie unmittelbar am Gegenstand der Therapeut-Patient-Beziehung durchzuführen. Im Gegensatz zur Behandlung bei anderen Störungen, in denen Patient und Therapeut am Beispiel von externen Situationen, Aufgaben und Lebenssituationen arbeiten, gilt in der Therapie von Persönlichkeitsstörungen, dass das Anwendungsbeispiel, die Kommunikation zwischen Patient und Therapeut, unmittelbar ist.
Therapeutische Leitlinien
Im Folgenden ist es nicht möglich, alle Details der Verhaltenstherapie bei den verschiedenen Persönlichkeitsstörungen zu beschreiben. Es können nur einige grundsätzliche Merkmale dargelegt werden, die in ähnlicher Form für die Therapie aller Persönlichkeitsstörungen gelten.
Empathie des Therapeuten
Wenn es richtig ist, dass die pathologische Affektregulation auch in der Beziehung zwischen Therapeut und Patient wirksam wird, dann werden beispielsweise Patienten mit einer paranoiden Persönlichkeitsstörung auch dem Therapeuten gegenüber misstrauisch sein und andererseits beim Therapeuten selbst Misstrauensaffekte wecken. Die erste Voraussetzung in der Therapie von Persönlichkeitsstörungen ist deshalb, diese spontane eigene psychische Reaktion nicht kommunikationsbestimmend werden zu lassen. Die Wahrnehmung des eigenen Affekts und des Affekts des Patienten ist diagnostisch aufzugreifen und als Ausdruck der vorliegenden Störung zu beschreiben.
Statt des eigenen spontanen normalen Affekts, der selbst als Ausdruck des „pathologischen“ Zustandes des Patienten zu verstehen ist, muss von Therapeutenseite zunächst ein hohes Maß an Empathie realisiert werden. Das heißt, dass der Therapeut sich in die Erlebens-, Sicht- und Denkweise des Patienten hineinversetzt und dem Patienten dieses Verständnis auch vermittelt. Die Patienten haben bis dahin weitgehend nur die Erfahrung gemacht, dass sie in ihrer Umwelt auf Unverständnis stoßen. Ein hohes Maß an Empathie stellt damit bereits eine erste wichtige therapeutische Intervention dar, da die Patienten das für sie seltene Erlebnis haben, verstanden zu werden, was eine weitere Selbstöffnung fördert.
Unkonditionales Akzeptieren
Das zweite wichtige Therapieprinzip ist ein unkonditionales Akzeptieren des Patienten. In normalen sozialen Interaktionen ist Zuwendung konditional, d. h. abhängig davon, ob die Interaktion für beide Seiten befriedigend ist. Kommt es zu Spannungen, wird sie abgebrochen. Da Patienten mit Persönlichkeitsstörungen nahezu immer spannungsgeladen interagieren, ist Zurückweisung durch Dritte für sie eine alltägliche Erfahrung. Eine solche Reaktion werden sie selbstverständlich auch vom Therapeuten erwarten. Von daher ist es wichtig, dem Patienten zu vermitteln, dass die therapeutische Beziehung nicht konditional von Wohlverhalten ist, sondern für den Patienten vorhersehbar stabil bleiben wird.
Veränderung des Kommunikationsverhaltens
Der entscheidende therapeutische Ansatz zur Veränderung von Interaktionsverhalten, Kognitionen und partiell auch Emotionalität liegt in der Veränderung des Kommunikationsverhaltens des Patienten mit dem Therapeuten. Die Art, wie der Patient mit dem Therapeuten interagiert, und auch die unmittelbaren Reaktionen des Therapeuten auf das Patientenverhalten sind als Ausdruck der zugrunde liegenden Psychopathologie wahrzunehmen und zu interpretieren. Der nächste wichtige Schritt ist, dem Patienten ein Verständnis dafür zu ermöglichen, dass er selbst diese Kommunikation erschwert.
Kommentierung der Interaktion
Eine therapeutische Methode hierzu ist beispielsweise die Selbsteinbringung des Therapeuten mit Kommentierung der laufenden Interaktion auf einer Metaebene. Hierbei hilft die Rolle als Therapeut und das grundsätzliche Einverständnis darüber, dass der Therapeut eigentlich kein persönliches Interesse an dem Patienten hat, wie auch keine Intention, dem Patienten etwas Böses zu tun. Aufgrund dieser Voraussetzung kann der Therapeut eigene „spontane Reaktionen“ und aufkommende Gefühle dem Patienten mitteilen und die Frage stellen, ob das eigentlich gemeint war und ob der Patient tatsächlich eine solche Reaktion hervorrufen wollte. Dies wiederum ist dann Voraussetzung dafür, dass der Patient die Möglichkeit erhält, das Muster seiner Kommunikation erkennen und beschreiben zu lernen.
Interaktion als Beobachtungsgegenstand
Je mehr die Interaktion zwischen Therapeut und Patient zum Beobachtungs- und Therapiegegenstand wird, desto weniger hat die Psychopathologie eine direkte interaktive Wirkung. Dies führt zu einer Entspannung in der gegenseitigen Beziehung und ermöglicht es, sich mit dem Patienten, quasi an der Psychopathologie vorbei, „von Mensch zu Mensch“ verständigen zu können. Bei diesem Vorgehen macht der Patient die Erfahrung, dass die Ursache der Kommunikationsstörung in seinem Interaktionsverhalten liegt und dass er gefordert ist, sein Interaktionsverhalten so zu gestalten, dass es bewirkt, was intendiert war.
Veränderung kognitiver Schemata und der Affektregulation
An diesem Punkt der Entwicklung kann die Frage nach den kognitiven Schemata und der spontanen Affektregulation gestellt werden. Gerade die begleitenden Emotionen werden von den Patienten oft sehr schnell als Ich-fremd erlebt, weil sie eigentlich anders reagieren möchten. Dieses Erleben ist dann wiederum Ausgangspunkt für die Frage nach Veränderungs- und Einflussmöglichkeiten in der emotionalen Regulation wie auch für die Frage nach der Evidenz der Inhalte der kognitiven Schemata. Partiell können Patienten sowohl auf die Affektregulation als auch auf die Kognitionen Einfluss nehmen. Teilweise werden sie aber gerade ihre Emotionalität als schwer beeinflussbar erleben.
Kompensation
Hier setzen dann verhaltenstherapeutische Überlegungen an, wie ggf. kompensatorisch eine möglicherweise primär nicht hinreichend beeinflussbare Störung eingegrenzt werden kann. Auch dies kann dann wiederum in der direkten Interaktion zwischen Therapeut und Patient eingeübt werden. So kann beispielsweise bei reizbar impulsiven Persönlichkeiten, bei denen es dem Patienten nicht möglich ist, seine Affektauslenkungen verlässlich unter Kontrolle zu halten, geübt werden, Situationen zu erkennen, die voraussichtlich unangemessene Affektausbrüche provozieren, und ihnen gezielt aus dem Weg zu gehen. Ebenso kann gelernt werden, wie man sich nach solchen Affektausbrüchen beispielsweise entschuldigen und die eigentliche Intentionalität noch einmal erklären kann, um zu reparieren, was zunächst zerschlagen wurde. Insbesondere mit engen Sozialpartnern kann auf diese Art auch ein Verständnis und damit eine Nachsicht für bestimmte Symptomanteile erarbeitet werden.

Wirksamkeitsbelege

Die Zahl kontrollierter Studien zum Wirksamkeitsnachweis für kognitive Verhaltenstherapie bei verschiedenen Formen von Persönlichkeitsstörungen ist deutlich geringer als in anderen Anwendungsbereichen. Beispielhaft für den Versuch eines konsequenten Wirksamkeitsnachweises können die Arbeiten von Linehan (1993) angesehen werden. Die Daten mehrerer Studien legen nahe, dass bei emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen vom Borderline-Typ die Rate parasuizidaler Handlungen innerhalb eines Jahres reduziert werden kann (Linehan et al. 2006). Auch zur kognitiven Schematherapie liegen inzwischen empirische Belege der Wirksamkeit vor (Giesen-Bloo et al. 2006). Hinsichtlich der Gruppe der ängstlichen Persönlichkeitsstörungen muss ersatzweise auf Erfahrungen aus der Therapie der sozialen Phobie und generalisierten Angsterkrankung verwiesen werden, die fließende Übergänge zur Gruppe der Persönlichkeitsstörungen haben. Entsprechende Untersuchungen für den Bereich der exzentrischen (paranoide, schizoide, schizotypische) Persönlichkeitsstörungen liegen bislang nicht vor.

Schizophrene Erkrankungen

Theoretische Modelle

Es gibt keine verhaltenstherapeutischen Modelle, die versuchen würden, die Entstehung von paranoid-halluzinatorischen Psychosen im kausalen Sinne zu erklären. Dies hindert aber nicht daran, dass auch bei diesen Erkrankungen eine Reihe sinnvoller Behandlungsindikationen für Verhaltenstherapie gegeben ist (Klingberg und Hesse 2011; Stieglitz und Gebhardt 2015).
Verminderung von Belastungen
Unter einem Vulnerabilitäts-Stress-Modell wird auch bei paranoid-halluzinatorischen Erkrankungen davon ausgegangen, dass akute Episoden durch Stressoren stimuliert werden (Nuechterlein und Dawson 1984). Insbesondere vor dem Hintergrund der Forschung zum EE-(„expressed emotion“) Konzept und auf der Basis von neuropsychologischen Befunden kann angenommen werden, dass Patienten mit einer wie auch immer verursachten Vulnerabilität für schizophrene Erkrankungen oder bei bereits bekannter Erkrankung durch komplexe Reizkonstellationen leicht überfordert werden. Dies können emotionale Spannungen in der Familie, Gruppenbegegnungen, Aufenthalte in fremder Umgebung und soziale Spannungen sein. Es entspricht auch der klinischen Erfahrung, dass in solchen Situationen ein erhöhtes Risiko für eine Exazerbation der psychotischen Symptomatik besteht. Daraus ergibt sich als Therapieansatz, mit Patienten zu lernen, ihre Wahrnehmungen zu strukturieren und zu vereinfachen. Ebenso kann ein Training der sozialen Kompetenz den Patienten besser in die Lage versetzen, konfliktgeladende soziale Situationen besser zu bewältigen und damit der eigenen Überlastung vorzubeugen (Roder et al. 2009; Klingberg et al. 2003; Abb. 5).
Therapie der Minussymptomatik
Ein zweiter wichtiger Ansatzpunkt in der Verhaltenstherapie schizophrener Erkrankungen ist die Minussymptomatik (Bailer et al. 2001). Bei einer großen Zahl von Patienten mit schizophrenen Erkrankungen kann durch eine konsequente Behandlung die sog. produktive Symptomatik sehr gut beherrscht werden. Unbefriedigend ist, dass bei vielen Patienten nach Abklingen der Akutsymptomatik eine überdauernde Minussymptomatik mit Antriebsreduktion, Affektverflachung und gestörter Intentionalität zu beobachten ist. Diese Minussymptomatik führt dazu, dass die Patienten in ihrer sozialen Anpassung wesentlich gestört bleiben und in der Gefahr stehen, nicht arbeits-, sozial- oder familienfähig zu sein. Verhaltenstherapie bietet eine Reihe von Behandlungsmethoden, die eingesetzt werden können, um dem Patienten zu helfen, seinen Tag besser zu strukturieren, seine soziale Isolierung teilweise zu überwinden und auch die Selbstpflege zu verbessern.
Verbesserung der Compliance
Ein dritter wichtiger Ansatzpunkt für Verhaltenstherapie stellt die Medikamentencompliance (Bäuml und Pitschel-Walz 2003) dar. Neuroleptika sind bei schizophrenen Erkrankungen eine unverzichtbare Basistherapie. Neben der Behandlung akuter Episoden ist auch eine prophylaktische Langzeittherapie unabdingbar. Die Erfahrung ist aber, dass etwa ein Drittel der Patienten die erforderliche Langzeittherapie bereits innerhalb eines Jahres vorzeitig abbricht, sodass die psychischen Probleme der Patienten mit der Dauermedikation einer der wesentlichsten Bedingungsfaktoren für Rückfälle und chronifizierende Krankheitsverläufe sind. Ursachen der Noncompliance sind häufig Behandlungseinstellungen der Patienten, wie beispielsweise das Gefühl, dass eine „Abhängigkeit“ von Tabletten nicht mit dem Selbstbild einer unabhängigen Persönlichkeit in Übereinstimmung zu bringen ist, oder dass es nicht zu akzeptieren ist, weiterhin mit dem „Risiko“ einer Erkrankung leben zu müssen. Die Verhaltenstherapie (Klingberg et al. 2003) bietet eine Reihe von Interventionsmöglichkeiten, um solche Einstellungen zu modifizieren.
Familienedukative Programme
Ein vierter Ansatzpunkt für Verhaltenstherapie bei schizophrenen Psychosen ist die Tertiärprophylaxe. Patienten mit schizophrenen Erkrankungen stellen für ihre Angehörigen häufig eine große Belastung dar. Andererseits können gerade Familienangehörige viel zur Entlastung des Patienten und zur Unterstützung seiner Behandlung beitragen. Mit diesem doppelten Ziel haben Behandlungsinterventionen zur Unterstützung von Familienangehörigen oder sog. familienedukative Programme (Hahlweg et al. 2006) in den letzten Jahren eine große Bedeutung bekommen.
Einfluss auf die produktive Symptomatik
Neben den soweit genannten gut etablierten und erprobten Verhaltenstherapieansätzen gibt es neue Ansätze, die versuchen, Einfluss auf die produktive Symptomatik zu nehmen (Stieglitz und Vauth 2001; Klingberg und Hesse 2014). Aus der klinischen Erfahrung ist bekannt, dass bei mittelgradig akuten oder chronischen paranoid-halluzinatorischen Psychosen Patienten eigene Strategien entwickeln, um beispielsweise Stimmen zu unterdrücken. Hierzu gehört eine Geräuschkulisse durch Musik oder Versuche, bewusst weg zu hören. Es ist inzwischen belegt, dass insbesondere bei chronischen Wahnsymptomen und Halluzinosen auch produktive Symptome einer gewissen Selbstkontrolle unterliegen, und auf diesem Weg gemindert werden können.

Therapieprozess bei schizophrenen Erkrankungen

Wie an den Behandlungszielen bereits deutlich geworden ist, gibt es keine ausformulierte verhaltenstherapeutische Strategie bei schizophrenen Erkrankungen. Stattdessen ist grundsätzlich das gesamte Methodenarsenal der Verhaltenstherapie einzusetzen, von Methoden des Verhaltensaufbaus über Methoden des sozialen Lernens bis hin zu Veränderungen von Kognitionen. Es gibt einige ausformulierte Programme, die detailliert darlegen, wie die Behandlung von schizophrenen Erkrankungen erfolgen kann (Klingberg et al. 2003; Hahlweg et al. 2006; Roder et al. 2009).
Verbesserung kognitiver Defizite
Ausgangsüberlegung ist, dass die kognitiven Defizite, wie z. B. Störungen der Aufmerksamkeit, der Konzentration und Verarbeitung komplexer Reizmuster, eine wichtige Rolle in der Erklärung der sozialen Defizite und der Beeinträchtigung bei den Alltagsbewältigungen spielen. In kleinen Gruppen mit in der Regel nicht mehr akut kranken Patienten werden genau beschriebene, vorab festgelegte Module bearbeitet, z. B.
  • zur Verbesserung der Denkfähigkeit,
  • zur sozialen Wahrnehmung,
  • zur verbalen Kommunikation,
  • zum interpersonalen Problemlösen,
  • zum Medikamenten- und Symptommanagement durch den Patienten,
  • zur Körperpflege oder
  • zur Freizeitgestaltung.
Praktisches Vorgehen
Es kann ein standardisiertes oder auch ein patientenzentriertes individuelles Vorgehen gewählt werden. Patienten bringen ein Alltagsproblem in die Therapie ein, das dann von allen Teilnehmern gemeinsam analysiert wird. Es werden dazu bestimmte Bewältigungsalternativen erarbeitet und bezüglich ihrer Vor- und Nachteile untersucht. Dabei sollte Wert auf die Nutzung von positiven Ressourcen und sozialer Unterstützung durch Dritte gelegt werden. Es werden auch hinsichtlich komplexerer Probleme Lösungsteilschritte herausgearbeitet. Es besteht dann die Möglichkeit, in der Gruppe mit Hilfe von Rollenspielen und Videofeedback bestimmte Problemlösungen einzuüben und auch möglicherweise nach Schwierigkeitsgrad zu stufen. Schließlich sollten für alle Patienten auch Hausaufgaben besprochen werden, in denen das in der Gruppe Besprochene in die Alltagssituation übertragen wird. In der nächsten Stunde sind die Erfahrungen mit den Hausaufgaben zu besprechen und als Ausgangspunkt für weitere Intervention der geschilderten Art zu nehmen. Die Erfahrung zeigt, dass Patienten sich auch außerhalb der Therapiestunden gegenseitig unterstützen können.
Rolle des Therapeuten
Im Gegensatz zu anderen Gruppentherapieverfahren gilt in der Behandlung mit schizophrenen Patienten, dass die Rolle des Therapeuten sehr stark strukturierend ist. Die Patienten müssen immer wieder zur aktiven Mitarbeit aufgefordert werden. Ziele, die angegangen oder bereits auch erarbeitet wurden, müssen stets wiederholt werden. Emotionale Konflikte zwischen den Patienten in der Gruppe sollten vom Therapeuten frühzeitig wahrgenommen und bereinigt werden. Kontraindiziert wäre ein Gruppenprogramm etwa nach Art von Encountergruppen mit unklaren Interaktionsregeln und einem hohen Grad an Emotionalität.
Angehörigenarbeit
Mit Blick auf die Unterstützung von Familien geht es nicht darum, Angehörige in der Rolle des pathogenen Agens zu therapieren. Stattdessen wird anerkannt, dass Angehörige durch die Erkrankung des Patienten ebenfalls mitbelastet werden und v. a. aber, dass sie dem Patienten wesentliche Unterstützung geben können.
Information
Die entsprechenden Gruppen haben zu allererst einen „edukativen“ oder „informativen“ Teil, womit gemeint ist, dass den Angehörigen grundsätzliche Informationen über die Art der Erkrankung, die Symptomatik und die Behandlungsmöglichkeiten gegeben werden. Das Informationsdefizit und der Informationsbedarf von Angehörigen ist in aller Regel groß und eine sachliche und umfassende Aufklärung an sich eine wichtige entängstigende und motivierende Intervention.
Bewältigung von Problemsituationen
In einem zweiten Teil wird bei diesen familientherapeutischen Maßnahmen entweder nur mit den Angehörigen alleine, oder mit Angehörigen und Patienten gemeinsam über die Bewältigung typischer Problemsituationen gesprochen. Dies betrifft zum einen die Symptomatik, wie beispielsweise Rückzugsverhalten, Aggressivität, produktive Symptomatik. Es geht aber auch um Therapieprobleme, z. B. bei der Einnahme der Medikation oder um eine in Krisenfällen ggf. notwendige stationäre Unterbringung.
Interaktionsstile der Familie
Ein drittes wichtiges Therapieelement ist die Besprechung von Interaktionsstilen in der Familie. Hierbei werden auch die Bedürfnisse und Interessen aller Beteiligten im Familiensystem zur Sprache gebracht, so dass das Familiensystem nicht mehr ausschließlich vom Kranken und von dessen auffälligem Verhalten dominiert wird. Typische Abläufe von Konflikten werden verständlicher gemacht, indem sie nicht mehr qualitativ beschrieben, sondern durch eine Verhaltensbeschreibung präzisiert werden. In der Folge können dann Alternativen besprochen werden.

Wirksamkeitsbelege

Es gibt inzwischen eine umfangreiche Literatur zur therapeutischen Wirksamkeit von verhaltenstherapeutischen Maßnahmen bei schizophrenen Erkrankungen (Wunderlich et al. 1996; Stieglitz und Vauth 2001; Klingberg und Hesse 2014). Diese beziehen sich auf Veränderungsmessungen hinsichtlich der angestrebten Zielgröße, wie beispielsweise Grad der sozialen Kompetenz oder Kommunikationsverhalten. Sie belegen, dass schizophrene Patienten ebenso lernfähig und veränderungsfähig sind wie andere Patienten. Besonders eindrucksvoll sind die Ergebnisse, die durch die familientherapeutischen Maßnahmen erreicht wurden. In mehreren internationalen Studien konnte gezeigt werden, dass durch eine verhaltenstherapeutisch orientierte Familientherapie auch der Verlauf der Grunderkrankung wesentlich beeinflusst werden konnte. Die jährlichen Rückfallraten konnten im Durchschnitt halbiert werden. Ein Teil dieser Effekte ist sicher vermittelt über eine bessere und konstantere Mitarbeit bei der medikamentösen Therapie. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Patienten ohne eine entsprechende Therapie im Durchschnitt schlechtere Verläufe haben als solche mit konsequenter Behandlung.

Alkoholabhängigkeit

Theoretische Modelle

Positive und negative Verstärker
Alkohol hat eine Reihe von unmittelbaren psychotropen Wirkungen. Dazu gehört eine gewisse Euphorisierung und unmittelbare Stimmungsanhebung, ein Nachlassen aversiver Stimmungen, wie z. B. Angst, oder eine Beruhigung. Diese Wirkungen treten vergleichsweise rasch auf und haben damit alle Voraussetzungen, um sehr weitreichende Lernprozesse in Gang zu setzen (Drummond et al. 1990). Die unmittelbare Stimmungsanhebung kann als positive Konsequenz verstanden werden und muss daher als positiver Verstärker in einem operanten Paradigma wirken. Die Reduktion von aversiven Stimuli muss in gleicher Weise als negativer Verstärker wirksam werden.
Hinweisreize
Nimmt man ein operantes Verstärkungsparadigma ernst, dann gewinnen Hinweisreize eine große verhaltenssteuernde Wirkung. Hinweisreize können positiv wie negativ sein. Zur ersteren Gruppe gehören Schilder von Lokalen oder Werbeplakate, aber auch vielfältige sonstige Situationen, wie z. B. sich in einem Lokal aufzuhalten, sich zu einem Essen niederzusetzen oder mit jemandem zu einem sozialen Treffen zusammenzukommen. Hinweisreize der negativen Art sind aversionsauslösende Situationen oder auch unmittelbar aversive Affekte, durch die ebenfalls die Suche nach dem Alkoholkonsum ausgelöst werden kann.
Vermeidungsverhalten
Ein zweiter lerntheoretischer Aspekt beim Alkoholkonsum ist, dass die nachlassende Alkoholwirkung auch ohne Suchtverhalten bereits ein aversiver Stimulus sein kann, da der positive Affektzustand nachlässt. Bei längerem und kontinuierlichem Alkoholgenuss kann es dann zu zunehmend stärker ausgeprägten vegetativen Unruhezuständen kommen bis zum Prädelir und Delir. Die Alkoholeinnahme stellt dann ein typisches Vermeidungsparadigma dar, mit den zu erwartenden Konsequenzen einer kontinuierlichen Verstärkung sowohl der zu erwartenden Entzugssymptomatik als auch des Vermeidungsverhaltens in Form erneuter Alkoholeinnahme.
Kognitive Schemata
Ein weiterer psychologischer Aspekt des Alkoholkonsums sind charakteristische kognitive Schemata. Je nach individueller Situation umfasst dies zum einen Einstellungen etwa zur sozialen Wertigkeit des Alkoholkonsums, wie z. B. „Wer nichts verträgt, ist kein Mann“ oder „Wer nichts trinkt, ist ein Spielverderber“. Solche Einstellungen können eine Rolle bei der Einleitung und fortlaufenden Unterstützung des Alkoholkonsums darstellen.
Pseudologische Erklärungen
Eine Sonderform dysfunktionaler Kognitionen sind die für Suchterkrankungen typischen pseudologischen Erklärungen. Dazu gehört das Bagatellisieren des Alkoholkonsums trotz offensichtlich negativer Folgen oder der inadäquate Optimismus hinsichtlich der eigenen Selbstkontrollfähigkeit in der Zukunft. Es handelt sich hierbei um typische kognitive Denkfehler im Sinne von selektiver Abstraktion, arbiträrer Inferenz oder Minimierung und Maximierung in Abhängigkeit von emotionalen Voreinstellungen.
Folgen positiver Verstärkung
Die angesprochenen psychologischen Prozesse können erklären, wie es zum gesellschaftlich akzeptierten Konsum und von dort zum Missbrauch und schließlich zur Abhängigkeit kommt (Petry 2015; Lindenmeyer 2016). Kognitive Schemata, wie sie auch als soziale Normen verstanden werden können, führen zu einer hohen Rate von Alkoholangeboten und Alkoholakzeptanz. In bestimmten sozialen Subgruppen kann dies alleine eine hinreichende Begründung für den Einstieg in einen Alkoholdauerkonsum auf hohem Niveau sein. Die positive operante Verstärkerwirksamkeit von Alkohol ist eine Erklärung für die Ausbildung solcher sozialen Normen. Sie kann erklären, warum es zu einem weit verbreiteten kontinuierlichen Alkoholkonsum kommt. Sie kann allerdings nicht süchtiges Trinken erklären. Positive Verstärkung führt zu einem Verhaltensanstieg des belohnten Verhaltens, jedoch pendelt sich die Rate dann auf mittlerem bis niedrigem Niveau ein. Dies könnte dem sozial akzeptierten regelmäßigen Alkoholkonsum entsprechen.
Folgen negativer Verstärkung
Ein sich selbst verstärkender und damit letztlich unkontrollierter Trinkprozess ist unter Zugrundelegung von operanten Verstärkungsparadigmen erst dann zu erwarten, wenn es zu einem negativen Reinforcement kommt, d. h. wenn durch Alkohol aversive Affektzustände deutlich subjektiv entlastend verändert werden. Derartige aversive Zustände können Angst, Depression, Dysphorie, Unruhe, Stressgefühle, soziale Anspannungsgefühle und vieles andere sein. Solche psychologischen Mechanismen können ohne weitere Zusatzannahmen auch das Phänomen des „craving“ erklären (Lörch 2015), d. h. das Verlangen oder die Sehnsucht nach Alkoholkonsum trotz lange zurückliegender pharmakologischer Entgiftung. Des Weiteren kann dadurch erklärt werden, dass bei einem Rückfall alte gelernte Verhaltensschablonen sofort wieder reaktivierbar sind.

Therapieprozess bei Alkoholabhängigkeit

Die Verhaltenstherapie bei der Alkoholabhängigkeit setzt an allen genannten pathogenetischen Mechanismen an.
Soziale Normen und kognitive Schemata
Soweit im Einzelfall soziale Normen und kognitive Schemata eine wichtige Rolle spielen, sind diese mit den Patienten nach den allgemeinen Verfahren der kognitiven Therapie zunächst zu beschreiben, als automatische Gedanken beobachtbar und zählbar zu machen, zu hinterfragen und mit Alternativen zu konfrontieren (Beck et al. 1997).
Affekte
Soweit die Patienten primär oder auch infolge eines längerfristigen Alkoholkonsums situationsabhängig oder grundsätzlich unter dysphorischen Affekten leiden, für die Alkohol ein wirksames Besserungsmittel ist, muss sich die Verhaltenstherapie auf die Bearbeitung dieser Affektzustände, seien es Depressionen oder Angstzustände, konzentrieren, um diese Hinweisreize zu löschen (Lörch 2015).
Die suchtstimulierende Situation
Diese therapeutischen Ziele und Ansatzpunkte lassen sich gemeinsam angehen, wenn man die suchtfördernden Situationen als Ausgangspunkt nimmt. Manche konventionelle Art der Beratung von Abhängigkeitskranken stellt nicht nur die absolute Suchtabstinenz in den Vordergrund, sondern verbindet damit zugleich auch die Warnung vor bzw. die Empfehlung zur Abstinenz von suchtstimulierenden Situationen. Das verhaltenstherapeutische Vorgehen unterscheidet sich davon insofern, als suchtauslösende Stimuli nicht vermieden, sondern gezielt aufgesucht werden. Es wird eine Expositionsbehandlung durchgeführt und dem Patienten dabei vermittelt, in diesen Situationen ein besseres Bewältigungsverhalten zu zeigen. Gleichzeitig wird auch die verhaltenssteuernde Wirkung der Suchthinweisreize modifiziert. Ebenso wird ein Rückfall ggf. als ein zwar bedauerliches, aber ebenso zu begrüßendes Ereignis bezeichnet, an dem gelernt werden kann, was noch nicht kompetent beherrscht wird. Entsprechend wird die Missbrauch auslösende Situation analysiert, Alternativverhalten durchgesprochen und die Situation erneut aufgesucht.
Beschreibung
Das therapeutische Vorgehen beginnt nach diesem Prinzip mit einer Beschreibung von Situationen, in denen das Verlangen nach Alkohol besonders stark ist. Dies können sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen sein, wie eine beginnende Entzugssymptomatik mit vegetativ begleiteter Dysphorie, sonstige Missmutszustände, Angstsituationen, soziale Situationen und auch Situationen des Wohlbefindens, in denen Alkohol fehlt, um die Situation „vollkommen“ zu machen.
Suche nach Gemeinsamkeiten
Es werden dann über die für den Patienten typischen suchtstimulierenden Situationen hinweg Gemeinsamkeiten gesucht und ein funktionelles Verständnis der Verhaltenskette erarbeitet, vom ersten suchtstimulierenden Reiz bis hin zum Trinken und wiederholten Trinken.
Verhaltensalternativen
Im nächsten Schritt werden mit dem Patienten Verhaltensalternativen erprobt. Dies kann bedeuten, dass mit dem Patienten beispielsweise sein Mangel an sozialer Kompetenz zum Gegenstand der Therapie wird, oder dass seine Frustrationstoleranz und seine Bereitschaft, negative Affektzustände zu tolerieren, erhöht wird.
Wie an diesen Beispielen erkennbar, gibt es keine Standardtherapie hinsichtlich der im Einzelnen durchzuführenden Maßnahmen. Je nach Individualfall müssen andere Schwerpunkte gesetzt und andere therapeutische Interventionen aus dem Gesamtrepertoire verhaltenstherapeutischer Methoden gewählt werden.
Exposition
Im nächsten Schritt wird mit dem Patienten dann eine Expositionsbehandlung durchgeführt. Begonnen wird mit Situationen, von denen zu erwarten ist, dass der Patient sie meistern wird. Sollte ihm dies nicht gelingen, kann man den Ablauf als diagnostische Erfahrung fruchtbar in der Therapie verwenden. Jede Expositionsaufgabe oder auch Hausaufgabe wird grundsätzlich unter diagnostischer Perspektive genutzt, um noch besser im Detail mit dem Patienten herauszuarbeiten, wie die Stimulus-Reaktions-Verstärkungskette in der konkreten Situation aussieht und worin seine Kompetenzen und auch Kompetenzdefizite liegen.
Antabustherapie
Es gibt seit vielen Jahren eine Diskussion unter Verhaltenstherapeuten, ob die positiven Alkoholwirkungen nicht aufgehoben werden können, indem beispielsweise durch eine Antabusgabe Alkoholgenuss statt zum Wohlbefinden zur Übelkeit führt. Lerntheoretisch wird Alkohol damit von einer Bestrafung gefolgt, was zu einer Unterdrückung des entsprechenden Verhaltens führen müsste. Es gibt einige klinische Berichte und Erfahrungen, die zeigen, dass ein solches Vorgehen in Einzelfällen erfolgreich sein kann. Das Problem ist, dass eine aversive Konsequenz nicht sicher zur Verhaltensunterdrückung führt, sondern insbesondere dann, wenn sie auch mit positiven Verstärkern im Wechsel oder gemischt auftritt, die Verhaltensrate sogar ansteigen lässt und löschungsresistent macht. Eine Antabustherapie sollte immer in eine Verhaltenstherapie eingebunden sein.
Langfristige Verhaltenskonsequenzen
Eine andere Form der Änderung im Stimulus-Reaktions-Reinforcement-Ablauf ist, nicht die Konsequenz zu ändern, sondern die Qualität des Hinweisreizes. Dies kann durch die Methode der „verdeckten Sensibilisierung“ (Roth 2015) geschehen. Die übliche Stimulusreaktion der Reinforcementkette bezieht sich auf die unmittelbaren Reinforcer nach der Alkoholeinnahme. Diese sind positive oder negative Reinforcer. Demgegenüber sind die langfristigen Konsequenzen des Alkoholkonsums negativ.
Das therapeutische Vorgehen zielt darauf ab, den Hinweisreiz auf Alkohol nicht nur mit den unmittelbaren Verhaltenskonsequenzen, sondern den langfristigen Verhaltenskonsequenzen zu assoziieren. Dies heißt verkürzt gesagt, dass die Brandweinflasche nicht mehr zum Signal für Entspannung wird, sondern für die spätere Übelkeit, das Unwohlsein, die körperlichen Schäden und die negativen sozialen Folgen. Die Patienten werden angehalten, sich die als besonders wirksam identifizierten Hinweisreize in der Vorstellung sehr lebhaft zu vergegenwärtigen und gleichzeitig dabei auch emotionale Vorstellungen über die langfristig negativen Folgen zu generieren. Verdeckte Sensibilisierung kann auch mit der unmittelbaren Exposition kombiniert werden und ist bei Alkoholerkrankungen besonders indiziert.

Wirksamkeitsbelege

Die Behandlung von Alkoholkranken gehört zu den schwierigen therapeutischen Aufgaben und dies umso mehr, je weiter die Erkrankung fortgeschritten ist. Von daher gilt, dass eine entsprechende Therapie eher frühzeitig beginnen sollte. Jeder schädliche Konsum stellt bereits eine Indikation für eine gezielte Verhaltenstherapie dar. Es gibt inzwischen einige Wirksamkeitsbelege, die den Schluss zulassen, dass die Ergebnisse in der Behandlung von Alkoholabhängigen besser sind und sein können, als in der Öffentlichkeit häufig angenommen.
Stetter und Mann (1997) berichten, dass nach einer Entgiftungstherapie 46 der Patienten eine Entwöhnungsbehandlung begannen. Hiervon erlitten 25 im Katamnesezeitraum von 4 Monaten einen Rückfall. Patienten ohne Entwöhnungsbehandlung wurden in 50 % der Fälle wieder alkoholrückfällig. Die Frage, ob eine generelle bzw. sog. multimodale Verhaltenstherapie bessere Ergebnisse bringt als eine allgemeine psychiatrische Suchttherapie, muss nach den vorliegenden Daten eher verneint werden (MATCH 1997; Hautzinger et al. 2005). Alkoholabhängige wurden dabei einer gezielten multimodalen Verhaltenstherapie, einer Motivationstherapie oder 12-stufigen Unterstützungstherapie oder einer pharmakologischen Unterstützungstherapie unterzogen. Keine der aktiven und aufwendigen Psychotherapien erbrachten höhere Abstinenzraten als die Unterstützungstherapie.
In einer Übersicht zu evidenzbasierter Behandlung bei Alkoholabhängigkeit betonen Kiefer und Mann (2007), dass eine erfolgversprechende Behandlung der Alkoholabhängigkeit aus einer individuell zugeschnittenen Kombination von stationären, teilstationären und ambulanten Maßnahmen bestehen muss, die neben medikamentösen Hilfen, Psychoedukation und Beratung, v. a. motivationsfördernde und psychotherapeutische (v. a. kognitiv-verhaltenstherapeutische) Maßnahmen umfassen sollte. Unter Nutzung dieser Interventionen lassen sich Abstinenzraten über ein Jahr von über 60 % erzielen. Zur weiteren Stabilisierung und Erhaltung der Abhängigkeitsabstinenz sind der Besuch von Selbsthilfegruppen und die Fortführung der Verhaltenstherapie indiziert.
Literatur
Bailer J, Takats I, Westermeier C (2001) Die Wirksamkeit individueller kognitiver Verhaltenstherapie bei schizophrener Negativsymptomatik und sozialer Behinderung. Z Klin Psychol Psychother 30:268–278CrossRef
Bandura A (1969) Principles of behavior modification. Holt, Rinehart & Winston, New York
Bäuml J, Pitschel-Walz G (2003) Psychoedukation bei schizophenen Erkrankungen. Schattauer, Stuttgart
Beck AT (1993) Cognitive therapy. Nature and relation to behavior therapy. J Psychother Prac Res 2:345–356
Beck AT, Freeman A (1990) Cognitive therapy of personality disorders. Guilford, New York
Beck AT, Rush AJ, Shaw BF, Emery G (1996) Kognitive Therapie der Depression. Beltz/PVU, Weinheim
Beck AT, Wright FH, Newman CF, Liese BS (1997) Kognitive Therapie der Sucht. Beltz/PVU, Weinheim
Becker ES, Hoyer J (2005) Generalisierte Angststörung. Hogrefe, Göttingen
Becker ES, Margraf J (2007) Generalisierte Angststörungenen. Ein Therapieprogramm. Beltz/PVU, Weinheim
Berger T (2015) Internetbasierte Interventionen bei psychischen Störungen. Hogrefe, Göttingen
Berking M (2015) Training emotionaler Kompetenz. Springer, Heidelberg
Birbaumer N, Schmidt RF (2005) Biologische Psychologie. Springer, Heidelberg
Brakemeier EL, Schramm E, Hautzinger M (2012) Chronische depression. Hogrefe, Göttingen
Colom F, Vieta E, Sánches-Moreno R, Palomino-Otiniano R, Reinares M, Goikolea JM, Benabarre A, Martinez-Arán A (2009) Group psychoeducation for stabilised bipolar disorders: 5-year outcome of a randomised clinical trial. British J Psych 194:260–265CrossRef
deJong-Meyer R, Hautzinger M, Kühner C, Schramm E (2007) Psychotherapie affektiver Störungen. Behandlungsleitlinen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Hogrefe, Göttingen
Drummond DC, Cooper T, Glautier SP (1990) Conditioned learning in alcohol dependence: implications for cue exposure treatment. Br J Addiction 85:725–743CrossRef
Echelmeyer L (2015) Verhaltensbeobachtung (Kap. 60). In: Linden M, Hautzinger M (Hrsg) Verhaltenstherapie Manual, 8. Aufl. Springer, Heidelberg
Ecker W (2015) Persönlichkeitsstörungen (Kap. 106). In: Linden M, Hautzinger M (Hrsg) Verhaltenstherapie Manual, 8. Aufl. Springer, Heidelberg
Ehlert U (2003) Verhaltensmedizin. Springer, HeidelbergCrossRef
Ellis A (1984) Rational-emotive therapy and cognitive-behavior therapy. Springer, Berlin/Heidelberg/New York/Tokyo
Eysenck MW (1992) Reason and emotion in psychotherapy. Lyle Stuart, New York
Förstl H, Hautzinger M, Roth G (2006) Neurogbiologie psychischer Störungen. Springer, HeidelbergCrossRef
Fydrich T (2005) Qualtitätsmanagement und Qualitätssicherung in der Psychotherapie. In: Petermann F, Reinecker H (Hrsg) Handbuch der Klinischen Psychologie und Psychotherapie. Hogrefe, Göttingen, S 122
Giesen-Bloo J, van Dyck R, Spinhoven P, van Tilburg W, Dirksen C, van Asselt T, Kremers I, Nadort M, Arntz A (2006) Outpatient psychotherapy for borderline personality disorder: randomized trial of schema-focused therapy vs transference-focused psychotherapy. Arch Gen Psychiatry 63:649–658CrossRefPubMed
Gloaguen V, Cottraux J, Cucherat M, Blackburn I (1998) A meta-analysis of the effects of cognitive therapy in depressed patients. J Affect Disord 49(1):59–72CrossRefPubMed
Grawe K (1984) Mißerfolge in der Psychotherapie aus verhaltenstherapeutischer Sicht. Verhaltensmodifikation 5:219–234
Hahlweg K, Dürr H, Dose M, Müller U (2006) Familienbetreuung schizophrener Patienten. Hogrefe, Göttingen
Hautzinger M (2011) Kognitive Verhaltenstherapie. Behandlung psychischer Störungen im Erwachsenenalter. Beltz/PVU, Weinheim
Hautzinger M (2013) Kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen, 7. Aufl. Beltz/PVU, Weinheim
Hautzinger M (2015a) Mikro Verhaltensanalyse (Kap. 37). In: Linden M, Hautzinger M (Hrsg) Verhaltenstherapie Manual, 8. Aufl. Springer, Heidelberg
Hautzinger M (2015b) Tages- und Wochenprotokolle (Kap. 57). In: Linden M, Hautzinger M (Hrsg) Verhaltenstherapie manual, 8. Aufl. Springer, Heidelberg
Hautzinger M (2015c) Realitätsorientierungstraining (Kap. 79). In: Linden M, Hautzinger M (Hrsg) Verhaltenstherapie manual, 8. Aufl. Springer, Heidelberg
Hautzinger M (2015d) Verhaltensübungen – Rollenspiele (Kap. 62). In: Linden M, Hautzinger M (Hrsg) Verhaltenstherapie manual, 8. Aufl. Springer, Heidelberg
Hautzinger M, Meyer TD (2007) Psychotherapie bei bipolaren affektiven Störungen. Eine systematische Übersicht kontrollierter Therapiestudien. Nervenarzt 78:1248–1260CrossRefPubMed
Hautzinger M, Wetzel H, Szegedi A, Scheurich A, Lörch B et al (2005) Rückfallverhinderung bei alkoholabhängigen Männern durch die Kombination von SSRI und KVT: Ergebnisse einer randomisierten, kontrollierten, multizentrischen Therapiestudie. Nervenarzt 76:295–307CrossRefPubMed
Hayes SC, Strosahl KD, Wilson KG (2004) Akzeptanz- und Commitment Therapie. CIP Medien, München
Heinrichs N, Alpers GW, Gerlach AL (2009) Evidenzbasierte Leitlinien zur Psychotherapie der Panikstörung und Agoraphobie. Hogrefe, Göttingen
Hollon SD, DeRubeis RJ, Shelton RC, Amsterdam JD et al (2005) Prevention of relapse following cognitive therapy vs medications in moderate to severe depression. Arch Gen Psych 62(4):417–422CrossRef
Jellinek L, Hauschildt M, Moritz S (2015) Metakognitives training bei depression. Beltz, Weinheim
Kazdin AE, Mahoney MJ, Craighead WE (1976) Behavior modification. Houghton Mifflin Company, Boston
Kiefer F, Mann K (2007) Evidenzbasierte Behandlung der Alkoholabhängigkeit. Nervenarzt 78:1321–1331CrossRefPubMed
Klingberg S, Hesse K (2011) Schizophrene Psychosen. In: Hautzinger M (Hrsg) Kognitive Verhaltenstherapie. Behandlung psychischer Störungen im Erwachsenenalter. Beltz, Weinheim
Klingberg S, Hesse K (2014) Stationäre evidenzbasierte Psychotherapie bei Psychosen. Ein KVT manual. Kohlhammer, Stuttgart
Klingberg S, Schaub A, Conradt B (2003) Rezidivprophylaxe bei schizophrenen Störungen. Beltz/PVU, Weinheim
Krohne HW (1996) Angst und Angstbewältigung. Kohlhammer, Stuttgart
Kröner-Herwig B (2004) Die Wirksamkeit von Verhaltenstherapie bei psychischen Störungen von Erwachsenen sowie Kindern und Jugendlichen. DGVT Verlag, Tübingen
Linden M (1995) Compliance im Zeitverlauf der Therapie. In: Möller HJ, Staab HJ (Hrsg) Langzeitbehandlung mit Psychopharmaka. Thieme, Stuttgart
Linden M (1996) Die Rolle der Verhaltenstherapie im ambulanen kassenärztlichen Bereich. In: Hennig H, Fikentscher E, Bahrke U, Rosendahl W (Hrsg) Kurzzeit-Psychotherapie in Theorie und Praxis. Pabst Science, Lengerich
Linden M (2006) Minimal emotional dysfunctions (MED) in personality diosorders. Eur J Psych 21:325–332CrossRef
Linden M (2015) Agoraphobie und Panikerkrankung (Kap. 91). In: Linden M, Hautzinger M (Hrsg) Verhaltenstherapie manual, 8. Aufl. Springer, HeidelbergCrossRef
Linden M, Hautzinger M (2015) Verhaltenstherapie manual, 8. Aufl. Springer, HeidelbergCrossRef
Linden M, Bär T, Zubrägel D, Ahrens B, Schlattmann P (2002) Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie bei generalisierten Angststörungen Ergebnisse der Berliner KVT-GAD Studie. Verhaltenstherapie 12:173–181CrossRef
Lindenmeyer J (2016) Alkoholabhängigkeit. Hogrefe, GöttingenCrossRef
Linehan MM (1993) Cognitive-behavioral treatment of borderline personality disorder. Guilford, New York
Linehan MM, Comtois KA, Murray AM, Brown JZ, Gallop RJ, Heard HL, Korslund KE, Tutek DA, Reynolds SK, Lindenboim N (2006) Two year randomized controlled trial and follow-up of dialectical behaviour therapy vs therapy by experts for suicidal bheaviors and borderline personality disorder. Arch Gen Psychiatry 63:757–766CrossRefPubMed
Lörch B (2015) Cue Exposure (Kap. 18). In: Linden M, Hautzinger M (Hrsg) Verhaltenstherapie manual, 8. Aufl. Springer, Heidelberg
Mahoney MJ (1977) Kognitive Verhaltenstherapie. Pfeiffer, München
Margraf J (2008) Kosten und Nutzen der Psychotherapie. Springer, Heidelberg
Margraf J, Brengelmann JC (Hrsg) (1992) Die Therapeut-Patient-Beziehung in der Verhaltenstherapie. Röttger, München
Margraf J, Schneider S (2016) Lehrbuch der Verhaltenstherapie, 4. Aufl. Springer, Heidelberg
Märtens MM, Petzold HG (2006) Therapieschäden. Herder, München
MATCH (1997) Matching alcoholism treatments to client heterogeneity: project MATCH posttreatment drinking outcomes. J Stud Alcohol 58:7–29CrossRef
McCullough JP (2000) Treatment for chronic depression. Cognitive behavioral analysis system of psychotherapy. Guilford, New York
Meichenbaum DW (1979) Kognitive Verhaltensmodifikation. Urban & Schwarzenberg, München
Meyer TD, Hautzinger M (2013) Bipolare Störungen. Ein kognitiv verhaltenstherapeutisches Programm. Beltz, Weinheim
Mogg K, Brendan P, Bradley NM, White J (1995) A follow-up study of cognitive bias in generalized anxiety disorder. Behav Res Ther 33:927–935CrossRefPubMed
Nuechterlein KH, Dawson ME (1984) A heuristic vulnerability-stress model of schizophrenic episodes. Schizophr Bull 10:300–312CrossRefPubMed
Petry J (2015) Alkoholismus (Kap. 93). In: Linden M, Hautzinger M (Hrsg) Verhaltenstherapie Manual, 8. Aufl. Springer, Heidelberg
Potreck-Rose E, Mathey K, Neun H (1994) Psychosomatische Einrichtungen in der Übersicht: Bettenkapazität, Ausstattung und Versorgungsstruktur. In: Neun H (Hrsg) Psychosomatische Einrichtungen. Was sie (anders) machen und wie man sie finden kann. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen
Reinecker H (2005) Grundlagen der Verhaltenstherapie. Beltz/PVU, Weinheim
Reinecker H (2015) Verhaltensanalyse. Hogrefe, GöttingenCrossRef
Rief W, Birbaumer N (2003) Biofeedback. Schattauer, Stuttgart
Risch AK, Stangier U, Heidenreich T, Hautzinger M (2012) Kognitive Erhaltungstherapie bei rezidivierender Depression. Springer, HeidelbergCrossRef
Roder V, Brenner HD, Kienzle N, Hodel B (2009) Integriertes psychologisches Therapieprogamm für schizophrene Patienten. Beltz/PVU, Weinheim
Roediger E (2015) Schematherapie (Kap. 80). In: Linden M, Hautzinger M (Hrsg) Verhaltenstherapie Manual. Springer, Heidelberg
Roth WL (2015) Verdeckte Konditionierung (Kap. 59). In: Linden M, Hautzinger M (Hrsg) Verhaltenstherapie Manual, 8. Aufl. Springer, Heidelberg
Safran JD, Segal ZV (1990) Interpersonal processes in cognitive therapy. Basic Books, New York
Schneider S, Margraf J (2011) Agoraphobie und Panikstörung. In: Hautzinger M (Hrsg) Kognitive Verhaltenstherapie. Behandlung psychischer Störungen im Erwachsenenalter. Beltz, Weinheim, S 17–32
Schulte D (1995) Standardisierung des Individuellen, Individualisierung des Standardisierten: Versuch einer Klärung aus Anlaß eines Artikels von Caspar und Grawe. Verhaltenstherapie 5:42–46CrossRef
Segal Z, Williams M, Teasdale J (2002) Mindfulness-based cognitive therapy for depression. Guilford, New York
Seligman MEP (1971) Phobias and preparedness. Behav Ther 2:307–320CrossRef
Seligman MEP (1975) Helplessness. On depression, development, and death. Freeman, San Francisco
Skinner BF (1950) Are theories of learning necessary? Psychol Rev 57:193–216CrossRefPubMed
Stetter F, Mann K (1997) Zum Krankheitsverlauf Alkoholabhängiger nach einer stationären Entgiftungs- und Motivationsbehandlung. Nervenarzt 68:574–581CrossRefPubMed
Stieglitz RD, Gebhardt R (2015) Schizophrenie (Kap. 108). In: Linden M, Hautzinger M (Hrsg) Verhaltenstherapie Manual, 8. Aufl. Springer, Heidelberg
Stieglitz RD, Vauth R (2001) Die Wirksamkeit kognitiv-verhaltenstherapeutischer Ansätze in der Behandlung chronischer Positivsymptomatik. Z Klin Psychol Psychother 30:279–283CrossRef
Sulz SKD (2015) MakroVerhaltensanalyse (Kap. 38). In: Linden M, Hautzinger M (Hrsg) Verhaltenstherapie Manual, 8. Aufl. Springer, Heidelberg
Sulz SKD, Lenz G (Hrsg) (2000) Von der Kognition zur Emotion. Psychotherapie mit Gefühlen. CIP-Medien, München
Ullrich R, UllrichdeMuynck R (1996) Assertiveness-training-programm (ATP). Pfeiffer, München
Wampold BE, Minami T, Baskin TW, Tierney SC (2002) A meta-(re)analysis of the effects of cognitive therapy versus 'other therapies' for depression. J Affect Disord 68:159–165CrossRefPubMed
Wells A (2011) Metakognitive Therapie bei Depression und Angst. Beltz, Weinheim
Wolpe J (1958) Psychotherapy by reciprocal inhibition. Stanford Univ Press, Stanford
Wunderlich U, Wiedemann G, Buchkremer G (1996) Sind psychosoziale Interventionen bei schizophrenen Patienten wirksam? Eine Metaanalyse. Verhaltenstherapie 6:4–13CrossRef
Young JE, Kloskow JS, Weishaar ME (2003) Schematherapy. A practitioners guide. Guilford, New York
Zimmer D (2015) Supervision (Kap. 7). In: Linden M, Hautzinger M (Hrsg) Verhaltenstherapie Manual, 8. Aufl. Springer, Heidelberg
Zubrägel D, Linden M (2015) Generalisierte Angststörung (Kap. 103). In: Linden M, Hautzinger M (Hrsg) Verhaltenstherapie Manual, 8. Aufl. Springer, Heidelberg