Kindliche Entwicklung
Die IVM ist eine noch relativ neue Technik. Die beschleunigte Maturierung von Oozyten
in vitro wirft Fragen nach einer erhöhten Fehlbildungsrate und einer negativen kindlichen Entwicklung auf. Eine erhöhte Zahl
chromosomaler Aberrationen findet sich nach IVM bislang aber nicht (Zhang et al.
2010).
Die unphysiologische In-vitro-Kultur könnte aber ein erhöhtes Risiko für Genomreprogrammierungsfehler in der Keimbahn und Imprinting-Krankheiten mit sich bringen (Horsthemke und Ludwig
2005). Unter Imprinting
wird eine epigenetische Modifikation von Genen durch eine Veränderung der
DNA-Methylierung verstanden, wodurch die Gene eines Allels in der frühen Keimzellentwicklung inaktiviert werden und somit eine monoallele Genexpression resultiert. Diese Inaktivierung wird beim Menschen vermutlich bereits in der frühen Entwicklung der Oozyte aufgehoben und in den ersten Tagen nach der Fertilisierung reprogrammiert (Reik und Walter
2001). Erfolgt beispielsweise kein Imprinting des Insulin-like-growth-factor-Gens, d. h. keine Inaktivierung, so wird dieses Gen auf beiden Allelen und somit überexprimiert, wodurch sich ein Beckwith-Wiedemann-Syndrom (BWS)
entwickeln kann.
Erste Berichte über eine erhöhte Inzidenz des BWS selbst bei Kindern nach einer konventionellen IVF/ICSI-Behandlung (Maher et al.
2003; Gicquel et al.
2003) haben zu einer Diskussion über bisher nicht erfasste Risiken durch die In-vitro-Kultur von Oozyten und Embryonen geführt. Da das BWS, ein Syndrom mit erhöhtem Geburtsgewicht, verstärktem Wachstum verschiedener Organe und einer erhöhten Inzidenz von Tumoren in der Kindheit (Reik und Maher
1997), auf einen
Imprinting-Defekt zurückzuführen ist, besteht die Sorge, dass durch die In-vitro-Kultur von Oozyten vermehrt bisher unerkannte Defekte entstehen.
Dies könnte in besonderem Maße für die In-vitro-Maturation gelten, da sie sich beträchtlich vom physiologischen Ablauf unterscheidet. Es fehlt das follikuläre Umfeld mit Granulosa- und Thekazellen, das eine lokale Regulierung der hormonalen Sekretion erlaubt. Die Eizellen sind unkontrolliert und direkt
Gonadotropinen in einem künstlichen Medium ausgesetzt. Letztlich könnten auch Veränderungen der Keimzellen selbst in der IVM zu einer Risikoerhöhung im Schwangerschaftsverlauf mit schwangerschaftsspezifischen Erkrankungen und Frühgeburtlichkeit führen.
In ersten Studien wurden jedoch keine Hinweise auf ein verändertes DNA-Methylierungsmuster in Placentagewebe oder
Nabelschnurblut von IVM-Kindern gefunden (Pliushch et al.
2015).
Zur Entwicklung der Kinder nach IVM sind die Daten noch begrenzt. Untersuchungen zur Fehlbildungsrate von IVM-Kindern haben bisher keine erhöhte Fehlbildungsrate beschrieben (Cha et al.
2005; Mikkelsen
2005; Buckett et al.
2007; Fadini et al.
2012; Foix-L’Hélias et al.
2014; Roesner et al.
2017b). Auch das BWS oder andere auf
Imprinting-Defekte zurückzuführende Syndrome wurden bisher nicht im Zusammenhang mit IVM beschrieben. Allerdings ist zum einen die Zahl der untersuchten Kinder sehr klein, und zum anderen ist nicht auszuschließen, dass kleinere Fehlbildungen oder Funktionsstörungen gar nicht oder erst später erkannt werden.
Buckett et al. haben in einer retrospektiven Analyse im Vergleich zu den Standardklinikdaten ihres Zentrums für IVM eine
Odds-Ratio bezüglich Malformationen von 1,42, für IVF von 1,21 und für
ICSI von 1,69 berechnet (Buckett et al.
2007). IVM unterscheidet sich demnach nicht von den Standardtechniken der
assistierten Reproduktion.
Fadini et al. verglichen IVM-Kinder mit ICSI-Kindern und fanden ein höheres Geburtsgewicht bei Kindern nach IVM (Fadini et al.
2012). Foix-L`Hélias et al. konnten bei Mädchen nach IVM ein erhöhtes Geburtsgewicht im Vergleich zu ICSI-Mädchen feststellen, auch waren diese im Alter von einem Jahr noch schwerer und größer als die Mädchen der ICSI-Vergleichsgruppe. Jungen unterschieden sich zu keinem Zeitpunkt in den beiden Studiengruppen (Foix-L’Hélias et al.
2014).
Auch in der mentalen Entwicklung unterscheiden sich nach den bislang vorliegenden Daten IVM-Kinder nicht von Kontrollen (Shu-Chi et al.
2006). Nach zwei Jahren verläuft die neuropsychologische Entwicklung nach IVM unauffällig (Söderström-Anttila et al.
2006).
Eine von der DFG geförderte Studie in Deutschland hat bislang ebenfalls keine erhöhten Auffälligkeiten, weder in der Fehlbildungsrate noch in der kindlichen Entwicklung, ergeben. So unterschieden sich Kinder nach IVM nicht in ihrer mentalen Entwicklung im Alter von zwei Jahren im Vergleich mit IVF- und ICSI-Kindern (Bayley score 91,4 für IVM, 95,8 für IVF und 102,3 für
ICSI) (Roesner et al.
2017b). Aber auch hier ist die Zahl der nachverfolgten Kinder noch klein, so dass bisher keine abschließende Beurteilung möglich ist.