Patienten unter Dauermedikation mit Opioiden
Patienten mit einer Opioiddauermedikation benötigen
diese ohne Unterbrechung während der
postoperativen Phase. Zur Vermeidung einer physischen Entzugssymptomatik
mit sympathoadrenaler Stimulation muss das jeweilige Opioid in gewohnter Dosierung auch am Tage der Operation verabreicht werden. Am häufigsten ist der Patient auf ein hochpotentes Opioid in Retardpräparation mit 12-stündlichem Einnahmeintervall eingestellt, sodass die gewohnte orale Gabe bei entsprechender zeitlicher Planung kleinerer operativer Eingriffe eingehalten werden kann.
Kontinuierliche Opioidinfusion
Länger andauernde oder große Eingriffe mit postoperativer Nahrungskarenz erfordern die kontinuierliche Infusion des gewohnten oder eines alternativ geeigneten Opioids in äquianalgetischer Dosierung. Sämtliche reinen μ-Opioidrezeptoragonisten, z. B. Morphin,
Oxycodon,
Hydromorphon, Piritramid oder Fentanyl, sind untereinander austauschbar. Deren Kombination mit partiellen Agonisten-Antagonisten wie
Pentazocin, Nalbuphin oder
Tilidin/Naloxon muss vermieden werden, um kein physisches Entzugssyndrom auszulösen. Allein
Buprenorphin kann nach neueren Erfahrungen mit den oben genannten reinen μ-Opioidrezeptoragonisten kombiniert werden.
Operationsschmerzen können durch die Weiterführung der Opioiddauermedikation in gewohnter Dosierung nicht therapiert werden, sondern erfordern eine zusätzliche systemische oder regionale Analgesie.
Opioidgewöhnte Patienten präsentieren häufig wechselnde Schmerzzustände. Somatische oder viszerale Beschwerden, aber auch bereits präoperativ vorhandene neuropathische
Schmerzen zwingen zu häufigeren Adaptationen der postoperativen Analgesie und Nutzung aller Möglichkeiten einer Kombinationsanalgesie. Eine Langzeitbehandlung mit Morphin scheint zur Entwicklung einer latenten neuronalen Übererregbarkeit zu führen. Dies erklärt den erhöhten Analgetikabedarf opioidgewöhnter Patienten nach größeren chirurgischen Eingriffen, ggf. über längere Zeit.
Eine optimale Dosisadaptierung gelingt mittels PCIA.
Das PCIA-Verfahren kann modifiziert werden, indem eine Basalinfusion eingestellt wird, um den gewohnten Opioidbedarf des Patienten zu decken, jedoch nur dafür. Dieses Vorgehen ist ausschließlich bei opioidgewöhnten Patienten gestattet, da diese im Gegensatz zu opioidnaiven Patienten gegenüber einer Atemdepression
Toleranz entwickelt haben.
Dauerbehandlung mit transdermalen therapeutischen Systemen (TTS)
Zahlreiche Patienten mit chronischen (Tumor)schmerzen sind auf eine transdermale Applikation von hochpotenten Opioid
en eingestellt. In Deutschland sind Matrixpflaster mit Fentanyl
sowie
Buprenorphin in Verwendung. Diese Therapiesysteme verhalten sich wesentlich träger als orale Retardpräparationen.
Bei kurzdauernden Eingriffen kann und soll das fentanyl- bzw. buprenorphinhaltige Pflaster postoperativ belassen werden. Da die Resorptionsrate u. a. von der Körpertemperatur abhängt, muss perioperativ besonders auf Normothermie geachtet werden.
Ist eine lange Operationsdauer vorhersehbar,
Hypothermie nicht zu vermeiden und deswegen die transdermale Resorption schwer kalkulierbar, sollte das Pflaster am Morgen des Operationstags entfernt werden. Da aufgrund der extrem trägen Kinetik die Wirksamkeit nur sehr langsam – über ca. 12 h – abnimmt, kann rechtzeitig auf eine i.v.-Basalinfusion in äquivalenter Dosierung (Kap.
Postoperative Schmerztherapie: Systemische Analgesie) übergegangen werden.
Dauerbehandlung mit partiellen Agonisten-Antagonisten
Bei Dauertherapie mit
Buprenorphin kann auch diese Substanz postoperativ intravenös verabreicht werden. Aufgrund der nach i.v.-Gabe relativ langen
Halbwertszeit ist die
Titration der Dosis gegen die Wirkung schwer steuerbar. Es empfiehlt sich, die sublinguale Applikation
von Buprenorphin zur Aufrechterhaltung des Basisbedarfs weiterzuführen. Dies ist bei wachen Patienten auch nach viszeralchirurgischen Eingriffen möglich. Nach Buprenorphin
kann, nach
Pentazocin, Nalbuphin oder
Tilidin/Naloxon
muss intra- bzw. postoperativ auf einen reinen μ-Opioidrezeptoragonisten, z. B. Piritramid
, umgestellt werden. Die Umrechnung erfolgt wiederum anhand von Äquivalenzdosierungstabellen.
Regionale Analgesie
Opioidgewöhnte Patienten können auch mittels regionaler Analgesieverfahren postoperativ sehr gut versorgt werden. Das Vorgehen zur Sicherung des gewohnten Opioidbedarfs erfolgt analog einer systemischen postoperativen Analgesie. Eine postoperative Regionalanalgesie wird genauso durchgeführt wie bei opioidnaiven Patienten. Eine optimale regionale Analgesie ersetzt also nicht die systemische Opioidapplikation in äquipotenter Dosierung zur vorbestehenden Medikation.
Opioidgewöhnte Patienten benötigen die Weiterführung ihrer Opioiddauermedikation in gewohnter Dosierung nicht zur postoperativen Analgesie, sondern zur Prophylaxe eines Opioidentzugssyndroms.
Ähnlich der systemischen postoperativen Analgesie können auch bei epiduraler Analgesie nach großen operativen Eingriffen bei opioidgewöhnten Patienten stärkere und länger anhaltende
Schmerzen auftreten. Dem kann durch die Anwendung einer PCEA effektiv begegnet werden. Steht diese nicht zur Verfügung, sollte eine kontinuierliche epidurale Infusion erfolgen. Die Dosisanpassung der benutzten analgetischen Mischung (Opioid und Lokalanästhetikum) erfolgt streng bedarfsorientiert.
Postoperative Analgesie für Patienten mit psychischer Abhängigkeit von Opioiden
Die postoperative Analgesie
von Patienten mit psychischer Abhängigkeit von
Opioiden verfolgt neben adäquater Analgesie insbesondere auch das Ziel, ein physisches Opioidentzugssyndrom zu verhindern (Kap. Anästhesie bei Patienten mit Suchterkrankungen). Eine häufige Polymorbidität aufgrund kardialer, pulmonaler, hepatischer und renaler Begleiterkrankungen erhöht das perioperative Risiko. Daher ist jede sympathoadrenale Stimulation zu verhindern, auch wegen der erniedrigten Stresstoleranz unter hoher Inzidenz psychischer Komorbidität. Die Schwierigkeit liegt in der Abschätzung der postoperativ zu substitutierenden Opioiddosierung. In der Regel sind die Tagesdosis und der Reinheitsgrad von z. B. Heroin
schwer abzuschätzen. Substitutionsberechnungen lassen sich am ehesten für Patienten durchführen, die in ein Methadonsubstitutionsprogramm
integriert sind. Da diese Patienten nur das Volumen der Methadonlösung in ml kennen, ist deren Konzentration in der Praxis des betreuenden Kollegen telefonisch zu erfragen. In jedem Fall muss eine Dosistitration unter regelmäßigem und häufigem Patientenkontakt erfolgen.
Prinzipiell sind periphere bzw. rückenmarknahe regionale
Analgesieverfahren zur
postoperativen Schmerztherapie zu bevorzugen. Falls dies aufgrund des Eingriffs nicht möglich ist oder auf Ablehnung des Patienten stößt, sind sämtliche Möglichkeiten einer systemischen Kombinationsanalgesie auszuschöpfen.
Für opioidgewöhnte Patienten mit psychischer Abhängigkeit ist eine PCIA – allerdings unter deutlich häufigeren Kontrollen als üblich – prinzipiell geeignet. Intravenöse Kurzinfusionen in höherer Dosierung als die des PCA-Bolus einer PCIA entfalten dagegen eher psychotrope Wirkungen und die Sucht begünstigende Bolusanforderungen. Psychomotorische
Unruhezustände trotz ausreichender Analgesie können z. B. mit
Clonidin therapiert werden.
Postoperative Analgesie für vormals opioidabhängige Patienten
Das Bestreben, bei vormals opioidabhängigen Patienten postoperative Opioidgaben zu vermeiden, um keinen Rückfall in die Abhängigkeit zu induzieren, darf nicht zu einer insuffizienten Schmerzbehandlung führen.
Die Applikation eines Opioids nach Einleitung bzw. während einer
Allgemeinanästhesie gilt als unbedenklich. Ist der operative Eingriff in Lokal- oder
Regionalanästhesie durchführbar, sollte diese Möglichkeit bevorzugt genutzt und die postoperative periphere oder rückenmarknahe Regionalanalgesie stets durch Anlage eines Katheters vorbereitet werden. Vorzugsweise sollten
Lokalanästhetika zur Anwendung kommen, ergänzt durch eine kontinuierliche systemische Analgesie mit antipyretischen
Analgetika und Clonidin.
Trotzdem kann während dieser Frühphase der initiale Analgetikabedarf hoch sein. In dieser Situation verbietet sich die postoperative Applikation kurz wirksamer
Opioide mit raschem Wirkungseintritt (Fentanyl, Alfentanil, Remifentanil).
Nach kleinen bis mittleren Eingriffen können als erste Wahl Nicht-Opioid-Analgetika angewendet werden. Ist damit keine zufriedenstellende Schmerzlinderung zu erzielen, kann ein niedrigpotentes Opioid in Retardpräparation, z. B.
Tramadol, in Kombination mit einem Nicht-Opioid-Analgetikum zum Einsatz kommen. Nur im Ausnahmefall wird ein hochpotentes Opioid nötig sein.
Nach großen Operationen ohne Regionalanalgesie über Katheter ist jedoch von vornherein ein hochpotentes Opioid erforderlich. Das Opioid kann mittels PCIA optimal angeboten und verabreicht werden, allerdings beginnend mit einem niedrig dosierten PCA-Bolus, z. B. 1 mg Piritramid. Nachfolgend ist auch hier eine regelmäßige und häufige Betreuung unabdingbar, damit eine ggf. erforderliche Erhöhung des PCA-Bolus zeitnah erfolgt. Mit diesem Verfahren gelingt die individuelle Dosisanpassung am besten.
Alternativ kann Buprenorphin verwendet werden. Diese Substanz zeichnet sich durch ein im Vergleich zu reinen μ-Opioidrezeptoragonisten wesentlich geringeres Missbrauchspotenzial und nahezu fehlende psychomimetische Wirkungen aus. Nach entsprechender Aufklärung wird ein ehemals opioidabhängiger Patient diesem Angebot eher zustimmen als der Applikation eines anderen Opioids.
Darüber hinaus können bei vormals Abhängigen
Koanalgetika, z. B.
Antidepressiva, Antikonvulsiva oder niedrig dosiertes S(+)-Ketamin (1–2 μg/kgKG/min), genutzt werden. Dadurch kann die Wirksamkeit der
Analgetika verbessert und/oder stärkere oder weitere Nebenwirkungen infolge der erweiterten Kombinationstherapie erzeugt werden. Die Datenlage zur Anwendung dieser Substanzen ist bisher unzureichend, insbesondere bei der hier besprochenen Patientengruppe.
Abstinente haben Angst vor einem Suchtrückfall. Sie sind sehr motiviert, starke
Schmerzen zu ertragen und zu verschweigen. Deshalb können psychologische und kommunikative Therapieoptionen durchaus sinnvoll sein.