In einer Klinik gibt es drei Möglichkeiten der Einbindung eines Psychologen in die Behandlung von Patienten.
Die Indikation für eine psychologische Mitbetreuung insgesamt wird durch die verschiedenen Berufsgruppen mitunter unterschiedlich eingeschätzt. Im gemeinsamen Gespräch kann gut geklärt werden, wie die Situation des Patienten einzuschätzen ist und ob eine psychologische Mitarbeit indiziert ist. Aufgrund der Integration in das Team der Intensivstation erweitert sich der Fokus der psychologischen Mitarbeit um die Bereiche der Mitarbeiterbelange und das „System Intensivstation“ als Organisation. Da das psychologische Fachwissen durch eine integrierte Mitarbeit am effizientesten und in allen Bereichen genutzt werden kann, orientiert sich die folgende Darstellung an diesem Modell.
Patientenbezogene psychologische Mitarbeit
Durch die Anwesenheit im Stationsalltag, die Teilnahme an Visiten und Übergaben und die Möglichkeit der Anwesenheit bei patientenbezogenen Besprechungen ist der Psychologe gut über die Gesamtsituation informiert und in der Lage, sich auf die aktuellen Bedürfnisse der Patienten und Angehörigen einzustellen. Das meint zum einen rein organisatorisch die flexible Nutzung von „Wachzeiten“ des Patienten, die häufig über den Tagesverlauf schwanken, sowie zum anderen „Lücken“ zwischen Untersuchungen, Behandlungen und pflegerischen Tätigkeiten. Bei stark beeinträchtigten Patienten können kurze, dafür aber tägliche Kontakte erfolgen und für Struktur und Konstanz sorgen.
Gesprächsinhalte und Formen richten sich nach den Bedürfnissen und den Möglichkeiten des Patienten. Es hat sich als hilfreich herausgestellt, auch Patienten, die nur sehr eingeschränkt kontakt- und kommunikationsfähig sind, bei denen aber ein längerer und möglicherweise komplikationsbehafteter Verlauf zu erwarten ist, bereits frühzeitig in die psychologische Mitbetreuung einzubinden. Die Mitbetreuung hat dann eine haltende Funktion und zielt auf den Beziehungsaufbau sowie die Bedürfnisse des Patienten abseits des gesundheitlichen Zustandes ab. Bewährt hat sich zum Beispiel der Satz: „Ich bin gekommen, um zu sehen, ob Sie etwas brauchen“. Patienten, die über einen längeren Zeitraum auf diese Weise betreut und gehalten wurden, beurteilten diese Kontakte in der Rückschau als hilfreich: Es habe sich Vertrauen aufgebaut, sie hätten die Regelmäßigkeit als strukturgebend erlebt und sich mehr als „ganzer“ Mensch wahrgenommen gefühlt. Auf die so aufgebaute Beziehung konnte in der weiteren Betreuung gut zurückgegriffen werden.
Inhalt psychologischer Gespräche bei kontaktfähigen Patienten ist zunächst die Erhebung des psychischen Befundes (insbesondere hinsichtlich der oben genannten am häufigsten auftretenden Symptome wie Angst, reaktiver Depression, Belastungsreaktionen, Zuständen von
Verwirrtheit etc.).
Das vom Patienten wiedergegebene Wissen über seine Erkrankung gibt wichtige Informationen über den Stand der Krankheitsverarbeitung und für das weitere Vorgehen. Über die Fragen „Was wissen Sie über Ihre Erkrankung? Was konnten die Ärzte Ihnen sagen?“ lassen sich Informationsdefizite und -bedarf auf der einen Seite, aber auch Abwehrmechanismen auf der anderen Seite aufdecken: Wird die Frage „Möchten Sie mehr über Ihre Situation wissen?“ bejaht, ist es Aufgabe des Psychologen, Arzt und Patient miteinander ins Gespräch zu bringen: Um medizinische Informationen zu vermitteln, ist häufig mehr als ein Gespräch nötig, da sich Patienten aufgrund unterschiedlichster Ursachen nicht an alle Gesprächsinhalte erinnern und sie verstehen können (Aufregung, Konzentrations- und Gedächtniseinschränkungen, Medikamente, Schwerhörigkeit, medizinisches Fachvokabular etc.). Wenn der Patient keine weiteren Informationen zu seiner Situation wünscht, diese verdrängt oder verleugnet, ist das zu respektieren. Abwehrmechanismen schützen den Menschen vor Informationen, die er nicht verarbeiten kann und die ihn aus dem psychischen Gleichgewicht bringen würden. In diesem Fall ist es Teil der psychologischen Mitbetreuung, den Patienten durch das Auffinden und Aktualisieren von Ressourcen zu entlasten und zu unterstützen, sodass er sich zunehmend mit seiner Situation auseinandersetzen kann.
Für viele Patienten ist es wichtig, über ihre Erlebnisse im Zusammenhang mit der meist plötzlichen und schweren Erkrankung zu berichten und immer wieder im
Entlastungsgespräch ausführlich davon zu erzählen. Dies ist, insbesondere nach einer
akuten Belastungsreaktion, z. B. nach einem Verkehrsunfall oder nach dem Diagnoseschock in Zusammenhang mit einer Krebserkrankung, wichtig und wiederholt zu ermöglichen. Das Gespräch dient der Angstreduktion und emotionalen Stabilisierung, Abläufe werden rekapituliert, und Erinnerungslücken werden geschlossen. In der Regel haben Patienten das Bedürfnis, genau zu wissen, was geschehen ist und warum es geschehen ist. Sie wünschen eine Erklärung und Rückmeldung über das eigene Verhalten. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie an sich Verhaltensweisen (z. B.
Aggressionen, Panikattacken, Stimmungsschwankungen, etc.) beobachten bzw. sich an solche erinnern, die sie aus ihrem Leben vor der Erkrankung nicht kennen oder sogar verurteilen. Eine
Entlastung von Scham- und Schuldgefühlen und eine
Normalisierung sind dann notwendig.
Eine ausführliche
Psychoedukation ist wichtiger Bestandteil psychologischer Mitbetreuung. An dieser Stelle ist es notwendig, die Kommunikation zu fördern: Pflegende können in hohem Maße entlastend wirken, wenn sich ein Patient mit Schuld- und Schamgefühlen plagt.
Wie dargestellt, existiert ein nachgewiesener Zusammenhang zwischen erhöhter Angst während des Intensivstationsaufenthaltes und dem Risiko, an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSB) zu erkranken.
Daher sollte Angs treduktion während des Aufenthaltes einen zentralen Stellenwert besitzen.
Eine Sensibilisierung für die Thematik und die Empfehlung einer psychotherapeutischen Weiterbehandlung von Patienten mit entsprechenden Risikofaktoren ist anzustreben. In den S3-Leitlinien zur
posttraumatischen Belastungsstörung werden als erste Maßnahmen das „Herstellen einer sicheren Umgebung“, die „Organisation des psycho-sozialen Helfersystems“, das Vermitteln von „Psychoedukation und Informationen bzgl. traumatypischer Symptome und Verläufe“ und schließlich das „frühe Hinzuziehen eines mit PTBS-Behandlung erfahrenen Psychotherapeuten“ empfohlen (Flatten et al.
2011).
Eine gute Möglichkeit, Patienten in der Rekonstruktion der nicht erinnerlichen Zeit und der Bewältigung des Intensivstationsaufenthaltes zu unterstützen, ist das Führen eines Intensivtagebuch s (Übersicht).
Unterstützend können
Entspannungstechniken, z. B.
progressive Muskelrelaxation nach Jacobson, und
Imaginationsverfahren eingesetzt und mit dem Patienten geübt werden.
Angehörigenbezogene psychologische Mitarbeit
Die dargestellte Belastungssituation von Angehörigen macht deutlich, dass hier der Bedarf für eine psychologische Mitbetreuung ebenfalls gegeben ist. Eine integrierte Mitarbeit auf der Intensivstation vereinfacht die Kontaktaufnahme mit den Angehörigen. Umgekehrt ist die Inanspruchnahme der psychologischen Mitbetreuung für die Angehörigen umso einfacher, je niederschwelliger und selbstverständlicher sie angeboten wird.
Krisenintervention en in direktem zeitlichem Kontext der Aufnahme auf der Intensivstation sowie nach dem Erhalt schlechter Nachrichten haben stützende und haltende Funktion.
Neben Entlastungsgesprächen kann der Psychologe Familien dabei unterstützen, sich angesichts der bedrohlichen und herausfordernden Situation in ihrer Rollenstruktur neu zu definieren. Er kann helfen, Unsicherheiten im Umgang mit dem Patienten abzubauen und Informationen in Zusammenhang mit psychischen Belastungen und auftretenden Symptomen (Psychoedukation) geben. Durch eine ausführliche Fremdanamnese ist es möglich, gemeinsam mit den Angehörigen individuelle Strategien zur Unterstützung zu erarbeiten, die sich an den Gewohnheiten und der Persönlichkeit des Patienten orientieren. Ein kurzer Fragebogen, der bei Aufnahme mit den Angehörigen diesbezüglich ausgefüllt wird und gut sichtbar für alle Behandelnden aufbewahrt wird, kann eine effektive Hilfe darstellen.
Dem Bedürfnis von Angehörigen nach Unterstützung kann durch psychologische Mitarbeit gut begegnet werden. Die Wertschätzung vorhandener familiärer Ressourcen sowie die Erarbeitung neuer Bewältigungsstrategien dienen dem Erhalt der Funktionsfähigkeit des Systems Familie als wichtigste Ressource des Patienten.
Aufgabe des Psychologen kann es auch sein, die
Kommunikation zwischen Arzt, Pflege und Angehörigen zu
fördern, manchmal zu deeskalieren. Angst und Anspannung auf der einen und Zeit- und Leistungsdruck auf der anderen Seite können zu Missverständnissen und Misstrauen führen, was die kooperative Zusammenarbeit behindert. Die Vermittlung zwischen Bedürfnissen und Erfordernissen und das Wecken von gegenseitigem Verständnis stellen eine wirksame Intervention dar. Insbesondere die Begleitung von Familien, die mit einem komplikationsbehafteten Verlauf konfrontiert sind und möglicherweise Entscheidungen (z. B. auch zur Therapiebegrenzung) im Sinne des Patienten mittragen müssen, ist vor dem Hintergrund einer erfolgreichen Verarbeitung indiziert. Der Psychologe kann hier konstanter Ansprechpartner sein, den
Patientenwillen in den Fokus rücken und in den Behandlungsprozess einbringen sowie eine Nachsorge anbieten, welche in der Literatur immer wieder gefordert wird. Dies gilt auch für die Hinterbliebenen eines verstorbenen Patienten.
Personalbezogene psychologische Mitarbeit
Durch das Modell einer integrierten Mitarbeit auf der Intensivstation ist der Psychologe auch für das Personal sichtbar und ansprechbar. Dies gilt in gleicher Weise für Ärzte wie auch für die Pflegenden. Die persönlichen Belastungen durch die Betreuung von Patienten können so zur Sprache kommen und reflektiert werden.
Insbesondere im Hinblick auf die dargestellten Risikofaktoren für die Ausbildung eines Burnout-Syndroms und einer Sekundärtraumatisierung ist die Vermittlung von Wissen ein wichtiger protektiver Faktor. Eine gute Selbstbeobachtung ist nur vor diesem Hintergrund möglich. Notwendig ist ein Klima, in dem mit Belastungen offen umgegangen werden kann und in dem diese nicht als unprofessionell oder als Schwäche stigmatisiert werden. Insofern ist ein interprofessioneller und hierarchieübergreifender Austausch anzustreben, in dem sowohl
Reflexion, das Klären offener Fragen und Missverständnisse wie auch eine gegenseitige Anerkennung stattfinden können. Transparenz in Entscheidungsprozessen und in der Kommunikation sind entscheidende Voraussetzungen dafür.
An der Medizinischen Universität Innsbruck wurde 2005 eine Heavy Case Conference etabliert, die ein freiwilliges Gesprächsforum für alle Mitarbeiter der Station bieten soll und während der Dienstzeit ca. alle 4–6 Wochen stattfindet. Zu diesem Termin kann ein „Fall“ gewünscht werden, der vom Oberarzt vorbereitet und vorgestellt wird. Die Besprechung, die in Innsbruck durch den Liaisonpsychotherapeuten moderiert wird, soll alle Konflikt- und Berührungspunkte der Behandlung beinhalten. Die erste Evaluation nach 25 Heavy Case Conferences zeigt, dass sie hinsichtlich der Qualität, Themenwahl, Verständlichkeit, Diskussionskultur, Moderation und der Gelegenheit, Fragen zu stellen, als gut bis sehr gut bewertet wurde. Teilnehmende Ärzte, Pflegekräfte und Physiotherapeuten empfanden die Möglichkeit des Austauschs als gutes Instrument zur Teamentwicklung, zur Weiterbildung, zum
Qualitätsmanagement und zur Supervision. Neben der psychischen Entlastung und der Förderung der interprofessionellen Kommunikation war zusätzlich ein Austausch über Werte möglich (Kantner-Rumplmair und Lorenz
2009).
Neben der Moderation eines solchen Gesprächsforums für das Team der Intensivstation steht der Psychologe den Mitarbeitern auch für kurze Entlastungs- und Beratungsgespräche, oftmals zwischen Tür und Angel, zur Verfügung. Ein lösungsorientierter Umgang mit Belastungen, das Nutzen von Ressourcen zur Erarbeitung wirksamer Bewältigungsstrategien sowie die bedarfsorientierte Vermittlung weiterführender Betreuungs- und Therapieangebote kann so unterstützt werden.
Stationsinterne Weiterbildungen zu psychologischen Themen im Kontext intensivstationärer Behandlung (psychische Komorbiditäten, Umgang mit
Verwirrtheit etc.) können durch den psychologischen Mitarbeiter angeboten werden.
Teamsupervisionen sollten dagegen immer durch einen externen Supervisor und nicht durch ein Mitglied des Teams durchgeführt werden.