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Traditionelle Klassifikationssysteme psychischer Störungen

Verfasst von: Joachim Klosterkötter
Als Trennlinie zwischen moderner und traditioneller Klassifikation wird die Einführung des Operationalisierungsprinzips in die psychiatrische Diagnostik angesehen. Die Nosografie stellte Anfang des 19. Jahrhunderts den Beginn der psychiatrischen Klassifikation dar. In der Folge entwickelte sich die auch heute den Klassifikationsprozess noch vorantreibende Idee der natürlichen Einteilung nach zugrunde liegenden Krankheitseinheiten. Griesinger hatte zunächst noch geglaubt, keine Grenzen ziehen zu können und den Begriff der Einheitspsychose geprägt. Kahlbaum forderte dann aber, bei der Diagnosestellung nicht nur den Zustand, sondern auch den Prozess der Erkrankung zu berücksichtigen und formulierte ein neues klinisch-nosologisches Einteilungsprogramm. Diese Einteilung modifizierte Kraepelin. Er unterschied exogene, endogene und psychogene Krankheitsformen, was zu einer triadischen Anordnung führte. Er prägte den Begriff „Dementia praecox“ und führte damit die Dichotomie zwischen schizophrenem und manisch-depressivem Formenkreis ein. Kraepelin hielt an der Idee der natürlichen Einteilung fest. Sein Hauptkritiker war Wernicke. Jaspers forderte, sich bei einer psychischen Erkrankung sowohl die Phänomenologie zu vergegenwärtigen als auch die lebensgeschichtliche Genese nachzuvollziehen. Bei Erkrankungen, die die Sinnkontinuität der Biografie unterbrechen, nahm er eine hirnorganische Verursachung an. Schneider entwickelte daraufhin das duale System der klinischen Psychopathologie und unterschied abnorme Spielarten seelischen Wesens von Krankheitsfolgen. Huber stellte den abnormen Spielarten und den Krankheitsfolgen die endogenen Psychosen zur Seite, sodass sich wieder ein triadisches Schema ergab. Für eine internationale Klassifikation forderte Stengel in allen Kriterien explizite, klar gefasste Diagnosekategorien. Diese Forderung wurde im DSM-III erstmalig umgesetzt. Die neuen Diagnoseschemata werden von einigen als Bruch mit der Tradition empfunden. Aber es war gerade die Tradition, die Einfluss auf die programmatische Leitidee und den deskriptiven Ansatz der Neuerungen hatte.

Die Idee der natürlichen Einteilung

Trennlinie zwischen traditionell und modern
Als Maßstab für die Abgrenzung der modernen von den traditionellen Klassifikationssystemen bietet sich die Einführung des Operationalisierungsprinzips in die psychiatrische Diagnostik (Kendell 1978) an. Dementsprechend müssen unter traditionellen Klassifikationssystemen letztlich alle Einteilungsversuche psychischer Störungen verstanden werden, die man vor der Veröffentlichung der erstmals mit dem Operationalisierungsprinzip arbeitenden 3. Ausgabe des Diagnostischen und Statistischen Manuals psychischer Störungen (DSM-III) der American Psychiatric Association (APA) im Jahre 1980 unternommen hat. Das DSM-III (APA 1980) ist vom DSM-III-R (APA 1987) und diese revidierte Fassung ihrerseits wieder vom DSM-IV (APA 1994) sowie zuletzt vom DSM-5 (APA 2013) abgelöst worden. Durch die methodologischen Neuerungen im DSM-III, die mit der 1991 publizierten 10. Ausgabe erstmals auch in der Internationalen Krankheitsklassifikation (ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) partiell zur Geltung gekommen sind, hatte man also das Endziel einer sachlich voll befriedigenden Klassifikation noch nicht erreicht. Auch die heute aktuellen Diagnosesysteme, die derzeit in Revision befindliche ICD-10 und DSM-5, werden aus Gründen, die gerade der Rückblick auf die traditionellen Klassifikationssysteme deutlich macht, in absehbarer Zeit wieder revidierten Versionen weichen müssen. Die Voraussetzungen dafür, dass dieser andauernde Revisionsprozess schließlich zur Bereitstellung eines ausreichend reliablen und v. a. auch validen, weltweit akzeptablen Klassifikationssystems führt, sind aber durch die definitorische Operationalisierung der psychiatrischen Diagnosebegriffe sicherlich entscheidend verbessert worden. Daher kann man durch den Verweis auf diese methodologische Neuerung in der Tat eine Trennungslinie zwischen modernen und traditionellen Klassifikationssystemen ziehen.
Schwerpunktsetzung
Die Bemühungen um eine adäquate Einteilung der psychischen Störungen haben bereits Anfang des 19. Jahrhunderts eingesetzt, als sich die Psychiatrie allmählich als eigenständige medizinische Wissenschaft zu etablieren begann. Sie waren gerade in dieser Anfangszeit außerordentlich zahlreich und wiesen schon alleine im deutschen Sprachraum erhebliche Widersprüche untereinander auf. Eine Darstellung aller traditionellen Einteilungsversuche bis zum Entwicklungsstand von 1980 würde leicht eine umfangreiche Monografie füllen; sie wäre heute zum überwiegenden Teil auch nur noch von historischem Interesse. Vollständigkeit in diesem Sinne kann also nicht das Ziel der folgenden Darstellung sein. Der Schwerpunkt wird auf dem deutschsprachigen Raum liegen.
Natürliche Grenzsetzung
Auch das infolge umfangreicher Vorbereitungsarbeiten methodologisch derzeit am weitesten ausgereifte und empirisch am besten fundierte moderne Klassifikationssystem, das DSM-5, stellt im Wesentlichen wieder einen kategorialen Ansatz dar. Die an der Entwicklung beteiligten Arbeitsgruppen halten damit in abgeschwächter Form an der alten Vorstellung qualitativer Unterschiede zwischen psychischer Gestörtheit und Normalität sowie zwischen den einzelnen psychischen Störungen untereinander fest.
Ein solcher kategorialer Ansatz ist als umso valider anzusehen, je genauer er mit den darin vorgesehenen Ein- und Ausschlusskriterien eben diese Unterschiede nachzeichnet und somit die angenommenen natürlichen Grenzen oder, verteilungsstatistisch gesprochen, Diskontinuitäten (Kendell 1978) trifft. Nur bei einer derart natürlichen Grenzsetzung würden nämlich Patienten mit Merkmalen von zwei voneinander abgetrennten Diagnosen tatsächlich signifikant seltener vorkommen als solche nur mit den Anzeichen jeweils einer dieser Kategorien. Nur so könnte man also zu nomenklatorisch klar fixierten Diagnosebegriffen im Sinne einander ausschließender Klassen mit homogenen Mitgliedern und schließlich zu einem vollständigen System mit eindeutigen diagnostischen Zuordnungsmöglichkeiten für jeden Einzelfall gelangen. Die dahinterstehende Idee einer natürlichen Einteilung der Seelenstörungen besitzt eine lange Tradition. Sie entstand bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts im Zuge einer auch heute noch aufschlussreichen Entwicklungsgeschichte.

Nosografische Anfänge

Erste naturwissenschaftlich orientierte Ansätze

Die psychiatrische Klassifikation begann Anfang des 19. Jahrhunderts mit grundlegenden Schilderungen psychopathologischer Zustandsbilder. Von Pinel (1745–1826) und v. a. Esquirol (1772–1840), die heute zu Recht als Begründer der klinischen Psychiatrie gelten, stammen zahlreiche Schilderungen von großer Anschaulichkeit und Lebendigkeit. Den Ausgangspunkt bildeten dabei sehr sorgfältige, feine und genaue Beobachtungen der Kranken und der von ihnen gebotenen klinischen Tatbestände. In Anbetracht dieser empirischen Ausrichtung kann man in den französischen Pioniergestalten zusammen mit Gall (1758–1828) und Reil (1759–1813), die damals schon eine Frühform der Hirnlokalisationslehre vertraten und in diesem Zusammenhang vom Gehirn als dem „Organ der Seele“ sprachen, zugleich auch die Begründer einer naturwissenschaftlich orientierten Psychiatrie sehen. Im deutschen Sprachraum ging die Entwicklung der Psychiatrie von den großen Anstalten, etwa in Winnenthal oder in Illenau, aus. Gerade die bedeutenden Vertreter dieser frühen Anstaltspsychiatrie waren in ihren Auffassungen weitgehend durch die aus Frankreich stammende Nosografie bestimmt.

Romantische Psychiatrie

Bevor es zu einer klaren und dauerhaften Ausrichtung auf die damals entstehenden Grundlagenwissenschaften „physiologische Psychologie“, Neurophysiologie und Neuroanatomie kam, beeinflusste zunächst noch eine Spätform des deutschen Idealismus, nämlich die Naturphilosophie Schellings, die Entwicklung des Faches. Aus diesem Grund dominierte eine Zeit lang die romantische Bewegung in der Medizin auch in der Psychiatrie und führte hier zu dem von Heinroth (1773–1843) begründeten Standpunkt der „Psychiker“. Danach waren zwar auch durch äußere Einwirkungen auf das Nervensystem verursachte organisch-psychische Zustände anzuerkennen, aber die eigentlichen Seelenkrankheiten sollten doch aus der Seele selbst, oder besser gesagt, der Persönlichkeit und ihrer Entwicklung entstehen. Viele der Darstellungen der romantischen Psychiatrie wirken auf den heutigen Leser aufgrund ihrer theologisch-moralisierenden Ausdrucksweise irritierend spekulativ. Auf der anderen Seite ist aber nicht zu übersehen, dass darin schon einige der Grundannahmen der späteren psychoanalytischen Schulen, der Psychosomatik, der anthropologischen und daseinsanalytischen Richtungen bis hin zur Sozialpsychiatrie vorweg genommen worden sind (Janzarik 1974).

Einheitspsychotische Stadienlehre

Der erste umfassende Ordnungsversuch psychischer Störungen beendete den Streit der „Somatiker“ und der „Psychiker“ um die richtige Interpretation der nosografischen Bilder. Er geht auf den Belgier Guislain (1797–1860), den deutschen Anstaltspsychiater Zeller (1804–1877) und v. a. auf dessen Schüler Griesinger (1817–1868) zurück. Dieser wurde 1865 nach Berlin an die Charité berufen und war somit erster deutscher Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie. Erst zu Zeiten Kraepelins, dann schon in kritisch-distanzierender Absicht, wurde dieser Ordnungsversuch auf den Begriff der Einheitspsychose gebracht.

Griesingers Stadienlehre

Für Griesinger war klar, dass die psychischen Krankheiten eigentlich nach ihrem Wesen einzuteilen seien. Dieses Wesen sah er ganz entschieden in den zugrunde liegenden anatomischen Veränderungen des Gehirns. Da aber hirnorganische Korrelate nur für einen kleinen Teil der verschiedenen psychischen Symptomenkomplexe, etwa für fortgeschrittene Formen des „Blödsinns“ oder durch „Paralyse komplizierte psychische Schwächezustände“, bekannt waren, konnte die Ordnung nicht nach dem eigentlich für angemessen gehaltenen anatomischen Einteilungsprinzip vorgenommen werden. Sie musste vielmehr nach Gesichtspunkten der damals auch von Griesinger herangezogenen „physiologischen Psychologie“ erfolgen und diese schienen ihm schließlich, gar keine wirklichen Grenzziehungen zwischen den einzelnen psychischen Störungen zu erlauben.
Psychisch-anomale Grundzustände
Bei der Analyse der psychologischen Grundstruktur zeichneten sich zwar 2 große Gruppen „psychisch-anomaler Grundzustände“ ab:
  • die eine gekennzeichnet durch „krankhaftes Entstehen, Herrschen, Fixiertbleiben von Affekten und affektartigen Zuständen“,
  • die andere bestimmt von „falschem Denken und Wollen“ ohne tiefere Gemütsveränderung.
Die Zustände der ersten Gruppe schienen aber in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle denen der zweiten vorauszulaufen, sodass die letzteren eher als deren Folgen oder Ausgänge zu betrachten waren. Auch innerhalb der ersten Gruppe glaubte Griesinger wieder eine gewisse Aufeinanderfolge der einzelnen Arten affektartiger Zustände feststellen zu können und sah darüber hinaus auch fließende Übergänge zur psychischen Normalität als gegeben an. So war es für ihn schließlich nur konsequent, die psychopathologischen Symptomenkonstellationen nicht als voneinander unabhängige Einzelstörungen, sondern nur als verschiedene Stadien eines Krankheitsprozesses aufzufassen, der zwar „modifiziert, unterbrochen, verändert werden kann, im ganzen aber einen steten, sukzessiven Verlauf einhält, der bis zum gänzlichen Zerfall des psychischen Lebens gehen kann“ (Griesinger 1861, S. 212; Abb. 1).
Kontinuität zwischen Normalität und psychischer Erkrankung
Die in Abb. 1 skizzenhaft verdeutlichte Einordnung der nosografischen Bilder in die Einheit eines Krankheitsprozesses hat sich als erstaunlich durchsetzungsfähig erwiesen. Trotz der vielfältigen Neuansätze dieser Zeit, besonders der neuropsychiatrischen Hirnforschung, aber auch der Vererbungs- und der Degenerationslehre, hat sie die klassifikatorischen Bemühungen noch bis in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts hinein bestimmt.
Dennoch hätte sie in einem Kapitel wie diesem keine Erwähnung mehr finden müssen, wenn darin nicht zum ersten und in dieser Konsequenz bisher einzigen Male die Kontinuität, die Grenzenlosigkeit fließender Übergänge bis hin zur psychischen Normalität zum Ausdruck gekommen wäre.
Dieser Gesichtspunkt ist es, der auch K. Jaspers (1913) und K. Schneider (1950) sowie später W. Janzarik (1980) und neben vielen anderen etwa auch R. E. Kendell (1978) bei ihren Grundsatzüberlegungen zur psychiatrischen Klassifikation noch interessiert hat und der auch heute angesichts neuerer empirischer Befunde (Berrios und Beer 1992; Maier 1992; van Os et al. 2009) wieder Aktualität besitzt. Nach den alten wie neuen Kontinuitätshypothesen müsste man nämlich dimensionale Ansätze in die modernen Klassifikationssysteme mit einbeziehen; und dies ist durchaus eine Perspektive, die heute zunehmende Beachtung findet und die kategoriale Ordnung in den kommenden Jahren in der Tat ergänzen oder sogar ersetzen könnte (APA 2013).

Argumente gegen die Einheitspsychose

Es gab auch schon im frühen 19. Jahrhundert Beobachtungen, die dem einheitspsychotischen Diagnoseschema widersprachen. Dazu gehörten etwa die klinische Abgrenzung der später auf eine ausschließlich luetische Ätiologie zurückgeführten progressiven Paralyse durch Bayle (1822) oder die Beschreibung depressiver und manischer Phasen ohne konsekutive Verrücktheit durch Falret als „folie circulaire“ (1851) und durch Baillarger als „folie á double“ (1854).
Beschreibung der „primären Verrücktheit“
Aber erst ein Vortrag, in dem Snell 1865 insgesamt 8 Fälle mit Wahnbildung ohne melancholische oder andere affektive Prodromi vorstellte, leitete die allmähliche Distanzierung von der einheitspsychotischen Stadienlehre ein. Griesinger selbst akzeptierte 1867 die darin offenbar zum Ausdruck kommende primäre Manifestationsmöglichkeit der Verrücktheit und führte sie hypothetisch auf „anomale Aktion der Hirnrinden-Zellen“ (Griesinger 1872) zurück.
Entwertung von Griesingers Ordnungsversuch
Aus heutiger Sicht handelt es sich bei den von Snell beschriebenen Kranken eindeutig um Fälle von paranoid-halluzinatorischer Schizophrenie. Im Rückblick erscheint es interessant, dass man beim gegenwärtigen Kenntnisstand dieser Beobachtung sicherlich kein solches Gewicht beimessen würde. Denn nach neueren, mit verfeinerter und zuverlässigerer Methodik erhobenen Befunden (Häfner et al. 1995) sind paranoid-halluzinatorische Erstmanifestationen ganz ohne vorauslaufende affektive Veränderungen – wenngleich auch nicht in den ausgeprägten, von Griesinger beschriebenen Formen, sondern mehr nach Art uncharakteristischer Depressionszustände – eher als die Ausnahme anzusehen. Damals jedenfalls entwertete die Entdeckung und Anerkennung der „primären Verrücktheit“ in den Augen der Zeitgenossen Griesingers Ordnungsversuch.
Diagnostisches Chaos
Infolgedessen wurden auch andere abweichende Beobachtungen stärker betont und der gesamte Klassifikationsprozess mündete schließlich wieder in das gleiche diagnostische Chaos mit zahlreichen einander widersprechenden Einteilungsvorschlägen der einzelnen Lehrbuchautoren, wie es für die nosografische Gründerzeit bezeichnend war (Janzarik 1974).

Klinisch-nosologisches Einteilungsprogramm

In dieser Situation formulierte Kahlbaum (1828–1899), anfangs noch wenig beachtet und ohne größere Auswirkungen, ein neues klinisch-nosologisches Einteilungsprogramm. Danach galt es zunächst, sich – am Beispiel der in der Körpermedizin, etwa durch Pioniere wie Koch oder Pasteur, bei der Entdeckung der Infektionskrankheiten erzielten Fortschritte – den Unterschied zwischen bloßen symptomatologischen Zustandsbildern und wirklichen Krankheitseinheiten klar zu machen. Solange man in der Psychiatrie noch wie in der nosografischen Anfangszeit einfach die gerade beobachteten und beschriebenen Symptomkonstellationen mit Krankheiten gleichsetzte, fiel es zwar leicht, einzelne Krankheitsformen zu umgrenzen; aber deren Einteilung nach einheitlichen Gesichtspunkten in Diagnosegruppen musste zwangsläufig scheitern, weil es einfach zu viele Misch- und Übergangsformen gab.

Kahlbaums Definition von Diagnose

Demgegenüber verlangte jetzt Kahlbaum, unter einer Diagnose nicht mehr nur die Erfassung eines psychopathologischen Zustandsbildes, sondern die Feststellung des ihm zugrunde liegenden, in der Natur, wie es die somatische Medizin zu belegen schien, als Einheit vorgegebenen pathologischen Prozesses zu verstehen. Um dies zu erreichen, schlug er 2 damals zwar keineswegs neue, aber bis dahin noch nicht mit der geforderten Strenge und Konsequenz bei den Klassifikationsbemühungen angewandte Verfahrensweisen vor:
  • Einmal sollte jetzt auch die Entstehungsgeschichte, die weitere Entwicklung und der Ausgang der jeweiligen psychischen Störung, also deren gesamter Verlauf, berücksichtigt werden.
  • Zum zweiten sollten „möglichst alle Lebenserscheinungen am einzelnen Kranken“ (Kahlbaum 1878) für die Diagnosestellung verwertet werden.
Diese zweite Forderung lief auf eine Zusammenfassung aller bis dahin mehr oder weniger nur einzeln verwandten Einteilungsgesichtspunkte und damit auf folgende Einteilung mit den jeweils gemeinsam zu beachtenden Ein- und Ausschlusskriterien hinaus (s. Übersicht).
Kriterien der Krankheitseinteilung nach K. L. Kahlbaum
  • Symptomatologische Merkmale des klinischen Erscheinungs- oder Zustandsbildes
  • Verlauf und Ausgang
  • Hirnpathologische Korrelate
  • Ursachen

Klinische Anwendung

Bei der Beschreibung der dem späteren paranoiden Schizophrenietyp entsprechenden „Vesania typica“ hat sich Kahlbaum allerdings noch von Griesingers Stadienlehre leiten lassen. Auch misslangen ihm letztlich die ersten Umsetzungsversuche seines Programms nicht nur bei der Abgrenzung der Katatonie, sondern auch bei der gemeinsam mit seinem Schüler Hecker vorgenommenen Beschreibung der Hebephrenie. Denn diese beiden schon als Diagnoseeinheiten im neuen nosologischen Sinne verstandenen Störungen mussten später von Kraepelin (1856–1926) unter Anwendung gerade von Kahlbaums eigenen Gesichtspunkten wieder aufgelöst und in die übergreifende Einheit der „Dementia praecox“ überführt werden.
Aber die Programmatik selbst hatte Bestand und gewann für die Diagnosestellung immer mehr an Anerkennung und Wirkung.

Modifizierung durch Kraepelin

Von Auflage zu Auflage wurden dementsprechend in Kraepelins Lehrbuch (Kraepelin 1909–1915) die aus der nosografischen und der einheitspsychotischen Tradition stammenden Einteilungsversuche mehr und mehr modifiziert.
Berücksichtigung der Gesamtentwicklung
Dabei sah Kraepelin insbesondere die erste der beiden von Kahlbaum neu vorgeschlagenen Verfahrensweisen als außerordentlich wichtig an, weil er erwartete, dass im Verlauf und Ausgang die wesentliche Symptomatik hervortreten und daher die berücksichtigung der Gesamtentwicklung der betreffenden Seelenstörung eine Trennung der „dauernden und kennzeichnenden Symptome“ von bloß „zufälligen und vorübergehenden Begleiterscheinungen“ ermöglichen würde (Kraepelin 1910). Durch diese verlaufsbezogene symptomatologische Differenzierung synthetisierte er u. a. aus der „Dementia paranoides“ (vor der 6. Aufl. seines Lehrbuchs, 1899, „Vesania typica“ genannt), Katatonie und Hebephrenie die „Dementia praecox“. E. Bleuler verwandte dann 1908 erstmals den Begriff „Schizophrenie“. Durch diese Synthese konstituierte Kraepelin zugleich die grundlegende Dichotomie zwischen dem schizophrenen und dem manisch-depressiven Formenkreis.
Berücksichtigung „aller Lebenserscheinungen“
Die Umsetzung auch der zweiten von Kahlbaum vorgeschlagenen Verfahrensweise wurde demgegenüber zwar weiterhin durch den Mangel an hirnorganischen Korrelationsbefunden und darauf bezogenen Ursachenkenntnissen behindert. Dass aber dann, wenn man die klassifikatorischen Grenzen zwischen den Formen und Formenkreisen mit Hilfe der Verlaufsbeobachtung tatsächlich genau dort ziehen könnte, wo grundsätzliche Verschiedenheiten von der Natur her vorgegeben sind, die Gruppierungen nach den beiden anderen, im Zuge weiterer Forschung noch genauer zu ermittelnden Einteilungsgesichtspunkten, dem der pathologisch-anatomischen Fundierung und dem der Ätiologie, vollkommen damit zusammenfallen würden, davon war und blieb Kraepelin überzeugt. Er hat diese Annahme immer wieder seine Grundanschauung genannt und sich damit am klarsten zur Idee der natürlichen Einteilung nach vorgegebenen Krankheitseinheiten bekannt (Tab. 1).
Tab. 1
Einteilung der Seelenstörungen nach E. Kraepelin
I.
Irresein bei Hirnverletzungen
II.
Irresein bei Hirnerkrankungen
III.
1. Akute Vergiftungen
2. Chronische Vergiftungen
• B. Morphinismus
• C. Kokainismus
IV.
Infektiöses Irresein
• A. Fieberdelirien
• B. Infektionsdelirien
• C. Akute Verwirrtheit (Amentia)
• D. Infektiöse Schwächezustände
V.
Syphilitische Geistesstörungen
Vl.
Dementia paralytica
VII.
Seniles und präseniles Irresein
• A. Präseniles Irresein
• B. Arteriosklerotisches Irresein
• C. Altersblödsinn
VIII.
Thyreogenes Irresein
• B. Myxödematöses Irresein
• C. Kretinismus
IX.
Endogene Verblödungen
• A. Dementia praecox
• B. Paranoide Verblödungen (Paraphrenien)
X.
Epileptisches Irresein
XI.
Manisch-depressives Irresein
XII.
Psychogene Erkrankungen
1. Tätigkeitsneurosen (Ponopathien)
• A. Nervöse Erschöpfung
• B. Erwartungsneurose
2. Verkehrspsychosen (Homilopathien)
• C. Induziertes Irresein
• D. Verfolgungswahn der Schwerhörigen
3. Schicksalspsychosen (Symbantopathien)
• E. Unfallsneurosen
• F. Psychogene Geistesstörungen der Gefangenen
• G. Querulantenwahn
XIII.
Hysterie
XIV.
Verrückheit (Paranoia)
XV.
Originäre Krankheitszustände
• A. Nervosität
• B. Zwangsneurose
• C. Impulsives Irresein
• D. Geschlechtliche Verirrungen
XVI.
Psychopathische Persönlichkeiten
• A. Erregbare
• B. Haltlose
• C. Triebmenschen
• D. Verschrobene
• E. Lügner und Schwindler
• F. Gesellschaftsfeinde (Antisoziale)
• G. Streitsüchtige
XVII.
Allgemeine psychische Entwicklungshemmungen (Oligophrenien)

Kraepelins Einteilung der Seelenstörungen

Tab. 1 zeigt den Einteilungsversuch aus der 8. Auflage des Lehrbuchs, der letzten, die zwischen 1909 und 1915 noch zu Lebzeiten Kraepelins erschienen ist. Darin werden für die Gliederung im Einzelnen das klinische Erscheinungsbild, Verlauf und Ausgang sowie, soweit als möglich, auch der anatomische Einteilungsgesichtspunkt und für die Gewinnung der großen Hauptgruppen die Verschiedenheiten in der Verursachung benutzt.
Triadische Anordnung
Da schon nach der damaligen Ursachenlehre Psychosen mit äußeren und inneren Ursachen auseinander zu halten und darüber hinaus noch ätiologisch unklare Störungen und solche mit scheinbar seelischen Ursachen zu berücksichtigen waren, entstand so im Großen eine Dreiteilung in „exogene“ (I–VIII), „endogene“ (IX–XI) und „psychogene“ (XII–XVII) Krankheitsformen. Diese triadische Anordnunghat in der Folgezeit sehr überzeugend gewirkt und ist in den Einteilungsbemühungen der deutschsprachigen Psychiatrie letztlich bis hin zur Übernahme der modernen Klassifikationssysteme immer wiedergekehrt.
Diagnosekriterien als „brauchbare Begriffe“
In den Einzelstörungen seiner Gliederung sah Kraepelin im Übrigen auch in der 8. Auflage noch keineswegs die angestrebten Krankheitseinheiten. Er sprach vielmehr davon, dass diese Diagnosekategorien bestenfalls „brauchbare Begriffe“ darstellen könnten, und wählte damit interessanterweise schon dieselbe Formulierung, die heute zur Kennzeichnung der zwar zuverlässiger handhabbaren, aber auch noch nicht als valide erwiesenen Diagnoseeinheiten in ICD-10 und DSM-IV/5 Verwendung findet (Kendell 1978; APA 1994, 2013). Mit Brauchbarkeit war damals – schon genauso wie heute wieder – in erster Linie die Eignung zur Vorhersage von Verlauf und Ausgang gemeint. Diese prognostische Validität sollte nach Kraepelins Vorstellungen im Zuge der von ihm in Gang gebrachten Anwendung des klinisch-nosologischen Programms immer weiter zunehmen, bis schließlich eine Einteilung erreicht wäre, die den natürlichen Krankheitsvorgängen mit ihrer jeweiligen Ätiopathogenese voll entspräche.

Realisierungsprobleme und Programmkritik

Die Idee der natürlichen Einteilung blieb nicht unumstritten. Schon während ihrer konsequenten Ausarbeitung in der Folge seiner Lehrbuchausgaben hat sich Kraepelin in zunehmendem Maße mit ernstzunehmenden Gegenpositionen auseinandersetzen müssen. Erst recht kam es dann in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu großen Kontroversen um die Frage der Realisierbarkeit des klinisch-nosologischen Programms, die auch Kraepelin selber noch zu der Überlegung veranlasst haben, ob nicht das anatomische Einteilungsprinzip besser mit Hilfe der frühen hirnbiologischen Evolutionstheorie zu fassen sei (Kraepelin 1920).

Wernicke als Kraepelins Kritiker

Bedeutung Wernickes
Die Einwände, auf die Kraepelin selbst immer wieder einging, stammten von Wernicke (1848–1905). Das ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Einerseits sahen schon die Zeitgenossen in diesem Neuropsychiater einen überlegenen Geist, der die gesamte psychiatrische Diskussion seiner Zeit auf ein höheres Niveau hätte heben können, wenn er nicht so früh durch einen Unfall ums Leben gekommen wäre. Andererseits ging von ihm und seinen plastischen Beschreibungen neuartiger psychopathologischer Syndrome wie etwa der „Angst-“ oder „Motilitätspsychose“ auch eine eigene Entwicklungslinie der traditionellen Klassifikationsbemühungen über Bonhoeffer (1910, 1917) und Kleist (1937, 1953) bis hin zu Leonhard (1957) aus (Abschn. 2.4). Schließlich war er mit dem relevanten anatomischen Wissen seiner Zeit noch besser als Kraepelin vertraut, da er neurologische Herdstörungen auch als hirnorganischen Interpretationsrahmen für die Entstehung psychopathologischer Syndrome nutzte.
Verschiedene Ursachen mit gleicher Wirkung
Für Wernicke hing die Beschaffenheit der psychischen Störungen allein von der Lokalisation der betreffenden Hirnschädigung ab. Unterschiedlich lokalisierte Hirnschädigungen konnten auf ein und denselben Krankheitsvorgang zurückzuführen sein und umgekehrt auch Hirnschädigungen mit ein und demselben Angriffspunkt auf unterschiedlichen Krankheitsvorgängen beruhen. Somit würde, modern gesprochen, in der besonderen Beschaffenheit einer psychischen Störung grundsätzlich immer nur eine bestimmte pathogenetische Endstrecke möglicherweise auch unterschiedlicher Ursachenfaktoren zum Ausdruck kommen (Wernicke 1899).
Folgerungen aus Wernickes Kritik
Das aber bedeutete klar und unmissverständlich, dass man sowohl an die hirnanatomischen Befunde als auch an die Ursachenkenntnisse zu große Erwartungen knüpfte, wenn man mit ihrer Hilfe die klinische Klassifikation zu einer natürlichen Einteilung gemäß vorgegebenen Krankheitseinheiten fortentwickeln wollte. Ätiologie, Hirnanatomie und klinisches Erscheinungsbild mit Verlauf und Ausgang würden sicher immer wieder auch einmal zu übereinstimmenden Grenzziehungen führen. Dies aber regelhaft zu erwarten im Sinne der fundamentalen Prämisse, die dem klinisch-nosologischen Programm zugrunde lag, wäre prinzipiell verfehlt. Kraepelin hat bemerkt, dass diese Einwände genau seine Grundanschauung betrafen, und sie demgemäß immer wieder mit großer Vehemenz auszuräumen versucht. Sein zentrales Argument bestand in dem Hinweis darauf, dass hirnanatomische und Ursachenforschung noch gar nicht weit genug fortgeschritten seien, um auch feine und feinste lokalisatorische Unterschiede erfassen und möglicherweise doch monokausal mit bestimmten Noxen in Verbindung bringen zu können (Kraepelin 1910).

Bonhoeffers Analyse der exogenen Psychosen

Das Beweismaterial, das schon Wernicke für seine Auffassungen anführen konnte, war allerdings schwerwiegend. Es wurde in der Folge durch Bonhoeffers (1910, 1917) subtile Analyse der exogenen Psychosen noch weiter angereichert. Danach ließ sich schließlich nicht mehr bezweifeln, dass die damals bekannten hirneigenen oder hirnbeteiligenden Krankheiten immer wieder zu der gleichen, aus der folgenden Übersicht zu ersehenden, begrenzten Zahl von psychopathologischen Zustandsbildern führten und keines davon für die jeweilige Grunderkrankung spezifisch war. Es handelte sich also offenbar um „diagnostisch unspezifische Reaktions- oder Prädilektionstypen“, deren besondere psychopathologische Beschaffenheit tatsächlich mehr im Sinne Wernickes mit hypothetisch anzunehmenden ätiopathogenetischen Bindegliedern als mit den jeweiligen somatischen Noxen zusammenzuhängen schien.

Nosologiekritische Vorstellungen von Hoche

Aus diesen empirischen Belegen für die Triftigkeit der Gegenpositionen hätten noch weitergehendere Konsequenzen gezogen werden können, als dies dann tatsächlich geschah. Wäre man beispielsweise den damals auch in die Kontroversen mit eingebrachten, radikal nosologiekritischen Vorstellungen von Hoche (1912) gefolgt, hätte man die Idee der natürlichen Einteilung überhaupt aufgeben und sich statt dessen in der Zukunft auf reine Syndromatologien beschränken müssen. Denn Hoche sah in den psychischen Störungen durchweg „Symptomverkoppelungen“, die als Ausdruck „präformierter Reaktionstypen“ gesetzmäßig immer wiederkehren und nur fälschlicherweise je nach ihrem Zusammenschluss im individuellen Krankheitsfall einmal als klinische Krankheitseinheit imponieren können.
Kraepelin ist dem am Ende selber nahegekommen, als er beispielsweise die deliranten, hysterischen oder schizophrenen Äußerungsformen des Irreseins mit freigesetzten Funktionen verschiedener evolutionstheoretisch früherer hirnbiologischer Entwicklungsstufen in Verbindung bringen wollte. Er hielt dabei aber dennoch an der Realisierbarkeit des klinisch-nosologischen Programms in der Zukunft fest (Kraepelin 1920).
Exogene Reaktionstypen nach K. Bonhoeffer
  • Delir
    • Deutlich ausgeprägte Bewusstseinstrübung, Desorientiertheit, Halluzinationen von szenischem und traumähnlichem Charakter (vorwiegend optisch, aber auch akustisch und haptisch), wahnähnliche Erlebnisse, Personen- und Situationsverkennungen, Tremor, vegetative Störungen, „Flockenlesen“, „Nesteln“, „Fädenziehen“, nachfolgende Amnesie
  • Verwirrtheit
    • Leichtgradige Bewusstseinstrübung, Desorientiertheit, inkohärent-widerspruchsvolle Gedankengänge, angstvoll-oneiroide Erlebnisweisen, agitiert-expansive Psychomotorik, nachfolgende Amnesie
  • Amentia
    • Nur angedeutete Bewusstseinstrübung, Desorientiertheit, Inkohärenz des Denkens in Verbindung mit Ratlosigkeit, illusionäre Verkennungen, wahnhafte Verarbeitung von Umweltereignissen, nachfolgende Amnesie
  • Dämmerzustand
    • Geringgradige Bewusstseinstrübung, Umlenkung der Aufmerksamkeit auf Innenvorgänge, Desorientiertheit, stuporöse Psychomotorik, unvermittelte Affektdurchbrüche, nachfolgende Amnesie
  • Amnestische Symptomenkomplexe
    • Desorientiertheit in Raum und Zeit, hochgradige Merkfähigkeitsstörung (Unfähigkeit zur Einordnung in das Zeitgitter und übergreifende Sinnzusammenhänge), u. U. Konfabulationen (Pseudoreminiszenzen)
  • Hyperästhetisch-emotionelle Schwächezustände
    • Klagen über Konzentrations- und Merkschwäche, abnorme Ermüd- und Erschöpfbarkeit, gesteigerte emotionale Labilität und Erregbarkeit

Der bisherige Annäherungsprozess an die Idee der natürlichen Einteilung

Die Idee der natürlichen Einteilung wurde durch die gegen sie ins Feld geführten theoretischen Argumente und empirischen Befunde jedoch keineswegs so weitgehend entwertet wie zuvor die einheitspsychotische Stadienlehre. Sie erhielt vielmehr nur eine andere, klinisch-psychopathologisch abgeschwächte Form, in der sie die wichtigsten Gegenpositionen mit aufnehmen konnte, blieb aber ansonsten als maßgeblicher Orientierungsgesichtspunkt weiterhin in Kraft.

Psychopathologische Revision des nosologischen Programms

Diese Geltungsbewahrung durch Modifikation ist wohl nicht so sehr Kraepelins eigenem Einfluss oder dem Engagement einer der Persönlichkeiten zu verdanken, die damals in seinem Sinne unmittelbar in die programmatischen Kontroversen eingegriffen haben. Sie dürfte, so scheint es jedenfalls im heutigen Rückblick, hauptsächlich auf die breiten und nachhaltigen Auswirkungen der 1913 von Jaspers mit seinem psychiatrischen Hauptwerk Allgemeine Psychopathologie in Gang gebrachten Methodenreflektion zurückzuführen sein.

Jaspers‘ Allgemeine Psychopathologie

Wenn die seelischen Störungen nach den jeweils abnormen Phänomenen sowie auch dem Verlauf und Ausgang voneinander abgegrenzt werden sollen, dann setzt dies neben der Verhaltensbeobachtung Folgendes voraus:
  • eine Vergegenwärtigung der einzelnen fremdseelischen Erlebnistatbestände und
  • einen Nachvollzug des möglichen Auseinanderhervorgehens von Seelischem aus Seelischem.
Die Vergegenwärtigung hat Jaspers zur Aufgabe der Phänomenologie oder des statischen und den Nachvollzug zu der des genetischen Verstehens bestimmt.
Wenn es dagegen die psychischen Störungen nach hirnanatomischen Befunden und nichtpsychogenen Ursachen voneinander abzutrennen gilt, setzt dies die Anwendung aller organmedizinischen Untersuchungsverfahren voraus, die nach dem jeweiligen Wissensstand am besten zur Erfassung hirneigener oder hirnbeteiligender Erkrankungen geeignet sind. Im Erfolgsfall werden unterschiedliche psychische Einzelstörungen auf bestimmte hirnorganische Funktionsstörungen zurückgeführt und somit wie naturwissenschaftliche Gegenstände kausal erklärt.
Sachimmanenter Dualismus
Das klinisch-nosologische Einteilungsprogramm schließt also nach Jaspers wie selbstverständlich zwei grundverschiedene Betrachtungs- und Erforschungsweisen des seelisch Abnormen von vornherein fest zusammen. Diesen sachimmanenten Dualismus hatte man sich vor seiner Methodenreflektion aus Gründen, die mit der Entwicklungsgeschichte der Erkenntnistheorie zusammenhängen, in der deutschen und auch der internationalen Psychiatrie als solchen noch niemals richtig klarmachen können, auch nicht in der Zeit des Streits der „Somatiker“ mit den „Psychikern“. Einmal aufgedeckt und umfassend dargestellt, musste er aber natürlich auch Konsequenzen für die Bewertung der Idee der natürlichen Einteilung mit sich bringen. Entsprechend nennt Jaspers die seit den nosografischen Anfängen eigentlich durchgehend – mit Ausnahme der Etappe der romantischen Psychiatrie – anerkannte Gleichsetzung der Geistes- mit Gehirnerkrankungen kritisch-distanzierend ein „Dogma“. Dieses „Dogma“ habe die Psychopathologie „gegenüber der Neurologie und Medizin in einer Knechtschaft“ gehalten und werde in dieser fesselnden Auswirkung nun durch sein Methodenbuch erstmals überwunden (Jaspers 1973, S. 4).
Kritik an Kahlbaum und Kraepelin
In dieselbe Richtung ging auch zunächst seine Auseinandersetzung mit Kahlbaums Programm und dessen Umsetzung durch Kraepelin: Alle nosologiekritischen Einwände aus den großen Kontroversen vom Anfang des Jahrhunderts wurden aufgenommen und zu dem Ergebnis zugespitzt, dass eigentlich doch die Konzeption der Einheitspsychose mit der Verneinung natürlicher Grenzen zwischen den seelischen Störungen Recht behalten habe. Irgendeine reale Krankheitseinheit sei jedenfalls auf diesem Wege nicht gefunden worden und auch die Hoffnung, die nach kennzeichnenden Symptomen, Verlauf und Ausgang abgetrennten Diagnosegruppen nachträglich durch Hirnbefunde bestätigen zu können, habe sich nicht erfüllt. Klar begrenzbare Krankheitsprozesse seien immer nur völlig unabhängig von der Psychopathologie durch die Hirnforschung selbst herausgearbeitet worden und von ihnen, etwa der Paralyse, habe sich dann gezeigt, dass sie eine ganze Reihe verschiedenartiger psychischer Einzelstörungen hervorrufen können. Der Begriff der Krankheitseinheit rücke damit aus dem Bereich der Psychopathologie in den der Neurologie und die klinische Psychiatrie könne nur gründlich untersuchte Einzelfälle nach gemeinsamen Merkmalen zu Typen ohne scharfe Grenzen zusammenzufassen versuchen (Jaspers 1973, S. 474–476).
Kraepelins Grundanschauung als fruchtbare Zielvorstellung
Dieses Resümee passt sichtlich gut zu dem in der Allgemeinen Psychopathologie herausgearbeiteten Dualismus, der ja die Einteilung nach Erscheinungsbild, Verlauf und Ausgang als etwas methodisch grundsätzlich anderes als die nach Hirnbefunden und deren Ursachen erscheinen lässt. Man hätte daher erwarten können, dass Jaspers Überlegungen schließlich in eine Ablehnung der Idee der Krankheitseinheit und der Verwendung des medizinischen Krankheitsbegriffes für die psychiatrische Diagnostik einmünden würden. Dazu kam es aber interessanterweise gerade nicht. Vielmehr wurde am Ende Kraepelins Grundanschauung dennoch als fruchtbare Zielvorstellung bekräftigt und sogar zum Gipfelpunkt des psychopathologischen Strebens erklärt, der allerdings in einer unendlich fernen Zukunft liege. „Die Idee der Krankheitseinheit ist in Wahrheit eine Idee im Kantischen Sinne: Der Begriff einer Aufgabe, deren Ziel zur Erreichung unmöglich ist, da das Ziel in der Unendlichkeit liegt; die uns aber trotzdem die fruchtbare Forschungsrichtung weist und die ein wahrer Orientierungspunkt für empirische Einzelforschung bedeutet“ (Jaspers 1973, S. 476).
Jaspers stand bei dieser Anerkennung vor Augen, dass sich Kraepelins Einteilung v. a. mit der Dichotomie zwischen schizophrenem und manisch-depressivem Formenkreis bereits auf der ganzen Welt durchgesetzt hatte. Er würdigte damit auch den Fortschritt, den es bedeutete, unter der Idee der Krankheitseinheit von den früheren Riesengruppen weg zu viel „natürlicheren“ Diagnoseeinheiten gelangt zu sein.
Solche pragmatischen Gründe allein hätten aber bei einem unabhängigen, kritischen Geist wie ihm nicht zur Bekräftigung des nosologischen Programms ausgereicht. Vielmehr musste es dafür auch noch einen sachlichen Grund geben und der konnte nur darin bestehen, dass doch auch vom phänomenologischen und genetischen Verstehen her eine Identifikation von Krankhaftem im medizinischen Sinne möglich erschien. Diese Möglichkeit hat Jaspers in der Tat bejaht und in seinen Ausführungen zur psychopathologischen Grundfrage, Entwicklung einer Persönlichkeit oder Prozess, ausführlich dargestellt (Jaspers 1973, S. 590).
Lassen sich psychische Störungen nicht mehr aus der Biografie der Betroffenen ableiten, erweisen sie sich also beim Versuch ihres genetischen Verstehens als eine Unterbrechung in der Sinnkontinuität der jeweiligen Lebensentwicklung, dann spricht dies nach ihm für eine hirnorganische Begründung, auch wenn der so hypothetisch nahegelegte Krankheitsprozess mit den verfügbaren Untersuchungstechniken noch nicht nachweisbar und ätiopathogenetisch bestimmbar ist. Also erscheint Kraepelins Vorstellung, durch die klinische Einteilung der hirnpathologischen und der ätiologischen Forschung gewissermaßen vorarbeiten zu können, auch in Anbetracht des Methodendualismus nicht von vornherein verfehlt.
Verstehensgrenzen
Man kann immerhin über die phänomenologische Differenzierung noch einen Schritt hinausgehen und die Versteh- oder Unverstehbarkeit als Kriterium dafür benutzen, ob bei den typologisch voneinander abgegrenzten Störungen die Suche nach hirnorganischen Begründungsfaktoren sinnvoll und notwendig ist oder nicht. Ob in dem durch die Verstehensgrenzen abgesteckten Suchfeld tatsächlich Krankheitseinheiten zu finden sind, ist eine Frage, deren Beantwortung der weiteren psychiatrischen Hirnforschung überlassen bleiben muss. Sollten wirklich einzelne voneinander distinkte Krankheitsprozesse nachgewiesen werden können, kann man im Anschluss daran wieder phänomenologisch überprüfen, inwieweit sich die klinische Einteilung damit deckt.
Nicht von ungefähr hat Jaspers das lebensgeschichtliche genetische Verstehen und die hirnorganische Kausalerklärung psychischer Störungen, wie unterschiedlich diese beiden Verfahrensweisen in methodologischer Hinsicht auch sein mögen, als unzertrennliche und gleichgewichtige Aufgaben der Psychopathologie angesehen (Klosterkötter 1989).

Duales System der klinischen Psychopathologie

Jaspers‘ triadischer Entwurf

In der Allgemeinen Psychopathologie findet sich von der 4. Auflage aus dem Jahre 1946 an auch ein von Jaspers selbst entworfenes Diagnoseschema. Darin werden „die bekannten somatischen Krankheiten mit Seelenstörungen“, „die drei Kreise der großen Psychosen“ und „die Psychopathien“ als Hauptgruppen voneinander unterschieden. Als Kriterium für die Hauptgruppenbildung fungiert also wieder das ätiologische Einteilungsprinzip, aus dem sich eine triadische Gesamtstruktur für die Gliederung ergibt. Hiermit sowie auch mit der Auffassung der genuinen Epilepsie als einen der 3 Kreise der großen Psychosen und darüber hinaus auch mit vielen einzelnen Diagnosedefinitionen erweist sich Jaspers Entwurf noch stark von Kraepelins Vorgabe her bestimmt. Die psychopathologische Revision des nosologischen Programms lässt sich darin noch wenig erkennen. Deshalb ist es auch nicht dieses von Jaspers entworfene Schema gewesen, über das seine eigentümliche Bekräftigung der nosologischen Zielvorstellungen durch Abschwächung zur regulativen Idee Einfluss auf die Weiterentwicklung der psychiatrischen Klassifikation nahm. Dazu kam es vielmehr erst durch K. Schneiders Aneignung der in der Allgemeinen Psychopathologie entwickelten Gesichtspunkte und ihre Umsetzung in eine klinische Systematik, die nun ganz dem Ergebnis von Jaspers Methodenreflektion entsprach (Abb. 2).

Schneiders klinische Systematik

„Falls nicht eine erkenntnismäßig oberflächliche, nur scheinbare Ordnung herauskommen soll“ (Schneider 1973, S. 1), muss das System der klinischen Psychopathologie zugleich auch das der klinischen Psychiatrie sein. Mit dieser Feststellung hat K. Schneider seine 1948 erstmals veröffentlichten und dann in sein Hauptwerk, die Klinische Psychopathologie, übernommenen Ausführungen zur klinischen Systematik und zum Krankheitsbegriff in der Psychiatrie begonnen. Nach den psychopathologischen Gesichtspunkten, die er auch in der Klassifizierung der klinischen Formen zum Ausdruck gebracht wissen wollte, hätte bereits Jaspers sein Diagnoseschema konsequenterweise ausrichten können.
Empirischer Dualismus
Der erste dieser Gesichtspunkte ergibt sich aus dem Methodendualismus, den K. Schneider jetzt vereinfachend zu einem allgemein üblichen „empirischen Dualismus“ erklärt. Danach stellen die psychischen Störungen entweder kausal erklärbare Folgen von Krankheiten dar oder abnorme Spielarten seelischen Wesens, für die es zwar auch hirnstrukturelle und hirnfunktionelle Korrelate gibt, aber nicht von krankhafter Art, sondern nur so, wie auch dem normalen Seelenleben natürliche körperliche Vorgänge entsprechen (Abb. 2).
Abnorme Spielarten seelischen Wesens
Im Zuge der fortschreitenden Verfeinerung der neurobiologischen Untersuchungstechniken sind inzwischen z. B. auch Zwangs-, Angst- oder bestimmte Persönlichkeitsstörungen zum Gegenstand der Hirnforschung geworden. Man interessiert sich bei solchen, nach Schneiders Systematik den abnormen Spielarten zuzurechnenden Störungen genauso für mögliche neurobiologische Fundierungen wie bei den psychopathologischen Syndromen, die danach als Folge von Krankheiten zu gelten haben.
Deshalb ist aus heutiger Sicht der hier gemeinte Unterschied möglicherweise gar nicht mehr richtig nachvollziehbar. Er ist aber nach wie vor wichtig, wenn es um die Bewertung neurobiologischer Korrelationsbefunde und die daraus für die Therapie zu ziehenden Konsequenzen geht.
Für K. Schneider machte es keinen Sinn, „etwa dann, wenn ein Mensch auf ein Erlebnis mit Verzweiflung reagiert“ (Schneider 1973, S. 31), in den selbstverständlich vorhandenen und heute zunehmend besser fassbaren körperlichen Entsprechungen die Ursache für diese Erlebnisreaktion zu suchen.
Dagegen käme es nach Schneider – beispielsweise bei einem depressiven Syndrom im Rahmen eines Persönlichkeitsabbaus – gerade umgekehrt auf die Untersuchung der neurobiologischen Korrelate mit dem Ziel der Aufdeckung einer ursächlichen hirneigenen oder hirnbeteiligenden Erkrankung an.

Folgen von Krankheiten

Für die abnormen Spielarten ist somit der pathologisch-anatomische Einteilungsgesichtspunkt irrelevant; sie entziehen sich von vornherein aus prinzipiellen Gründen dem nosologischen Programm. Demgegenüber bleibt diese Programmatik auf die Krankheitsfolgen anwendbar, aber nur in einer abgeschwächten Form. Das ist nun der zweite von K. Schneider neu in die klinische Systematik eingebrachte psychopathologische Gesichtspunkt. Wenn nämlich die körperlich begründbaren Psychosen, wie dies die großen Debatten um das nosologische Programm letztlich ergeben haben, „unspezifische Reaktionstypen“ im Sinne v. a. von Bonhoeffer darstellen, dann kann ihre Einteilung nicht mehr nach den Grunderkrankungen vorgenommen werden. Sie muss vielmehr in einer eigenständigen psychologischen oder symptomatologischen Ordnung erfolgen und die Diagnostik muss dementsprechend immer zweispurig angelegt sein.
Somatologische vs. psychologische Ordnung
In der somatologischen oder ätiologischen Ordnung werden die verschiedenen hirneigenen oder hirnbeteiligenden Grunderkrankungen voneinander differenziert. In der psychologischen oder symptomatologischen Ordnung erfolgt unabhängig davon die Einteilung der psychopathologischen Folgen solcher Krankheiten oder Missbildungen.
Akut vs. chronisch
Die Bewusstseinstrübung wird jetzt als gemeinsames Merkmal der meisten der von Bonhoeffer beschriebenen „exogenen Reaktionstypen“ zum zentralen Leitsyndrom der akuten körperlich begründbaren Psychosen aufgewertet. Persönlichkeitsabbau und Demenz werden als entsprechende Leitsyndrome der chronischen körperlich begründbaren Psychosyndrome voneinander abgegrenzt.

Zyklothymie und Schizophrenie

Interessanterweise hat K. Schneider unter den Krankheitsfolgen in der psychologischen Ordnung auch Zyklothymie und Schizophrenie mit angeführt und diesen psychopathologischen Syndromen, wie Abb. 2 zeigt, in der somatologischen Ordnung jeweils ein Fragezeichen zugeordnet. Die schon von Kraepelin „endogen“ genannten Psychosen bekommen also in seiner Systematik zum ersten – und übrigens in der deutschsprachigen Tradition auch einzigen – Male keine eigene Position gegenüber den körperlich begründbaren Störungen eingeräumt.
Kriterium der Verstehensgrenze
An dieser Handhabung zeigt sich gleichfalls, wie konsequent K. Schneider bei der Umsetzung der Ergebnisse von K. Jaspers Methodenreflektion war. Denn die Hauptgründe für diese Zuordnung sah er nicht in der häufigen Erblichkeit oder den Bindungen an die Generationsvorgänge, auch nicht in den oft vorhandenen allgemeinen körperlichen Veränderungen oder dem unbestreitbaren Vorrang der somatischen Therapie. Neben den psychopathologischen Beobachtungen, dass bestimmte bei der Zyklothymie und der Schizophrenie vorkommende Symptome im normalen Seelenleben und seinen abnormen Variationen keine Analogie haben und diese Psychosen sich nur sehr selten an Erlebnisse anschließen, war es v. a. die durch sie bewirkte Unterbrechung in der Sinnkontinuität der Lebensentwicklung, die aus seiner Sicht für eine hirnorganische Begründung sprach. Er hielt sich somit letztlich an das Kriterium der Verstehensgrenze (Schneider 1973, S. 9), wenngleich im Falle gewisser paranoider Psychosen nicht ohne Anfechtung.
Heuristisches Prinzip
Ihre Unverstehbarkeit grenzte Zyklothymie und Schizophrenie genauso wie die Psychosen mit fassbarer Entsprechung in der somatologischen Ordnung von den abnormen Spielarten seelischen Wesens ab. Also mussten konsequenterweise auch sie als Krankheitsfolgen aufgefasst werden und zwar genau in dem von Jaspers angegebenen Sinne eines Postulats, einer Hypothese oder eines heuristischen Prinzips, das hier ein Arbeitsfeld für die weitere Hirnforschung umreißt und den Versuch einer Auflösung der Fragezeichen in der somatologischen Ordnung zur Aufgabe macht.
Im Übrigen sah K. Schneider auch von der klinischen Verlaufsbeobachtung her Übergänge zwischen abnormen Persönlichkeiten und Erlebnisreaktionen einerseits und den schizophrenen und zyklothymen Psychosen andererseits nicht als gegeben an, sodass ihm hier eine wirkliche Differenzialdiagnostik möglich schien. Dagegen verstand er die Grenzziehung zwischen Schizophrenie und Zyklothymie im Hinblick auf die klinisch vorkommenden „Zwischen-Fälle“ lediglich als eine Differenzialtypologie.

Triadisches System der Psychiatrie

K. Schneider hat mit seiner klinischen Umsetzung der Allgemeinen Psychopathologie die klassifikatorischen Bemühungen der deutschsprachigen Psychiatrie im 20. Jahrhundert sicherlich wie kein anderer bestimmt. Seine auch in viele andere Sprachen übersetzte Klinische Psychopathologie ist bis zur 8. Auflage (1967) noch von ihm selbst herausgegeben worden. Danach übernahm sein Schüler G. Huber die Herausgeberschaft und führte sie bis zu seinem Tode 2012 fort. Von Huber (2005) stammt auch die in Abb. 3 skizzierte Modifikation des Systems der klinischen Psychopathologie zum System der Psychiatrie.

Endogene Psychosen

Darin erscheinen zum einen die endogenen Psychosen erneut als eigene Gruppe und die Systematik bekommt dadurch wieder eine triadische Konfiguration. Sie gelten aber weiterhin als Folgen von Krankheiten; durch die eigene Positionierung wird nur der hypothetische Charakter dieser Annahme etwas stärker als nur durch die Fragezeichen in der somatologischen Ordnung betont.

Körperlich begründbare Psychosen

Des Weiteren erscheinen jetzt unter den nach psychopathologisch-symptomatologischen Kriterien voneinander differenzierten körperlich begründbaren Psychosen 2 neue Leitsyndrome. Einmal handelt es sich um das den akuten Formen zuzurechnende, von Wieck (1977) konzipierte Durchgangssyndrom, auf das auch Schneider schon Bezug genommen hatte, ohne es jedoch in seine Systematik mit einzufügen. Zum zweiten wird bei den chronischen Formen jetzt von der Demenz und der organischen Persönlichkeitsveränderung noch das sog. pseudoneurasthenische Syndrom unterschieden.

Akut körperlich begründbare Psychosen

Durchgangssyndrom
Mit Durchgangssyndromen waren, wie dies Abb. 4 zeigt, solche Psychosen gemeint, die körperlich begründbar sind und vorübergehend auftreten, ohne dass sie jedoch das für die akuten und/oder reversiblen organisch bedingten psychischen Störungen wegweisende Merkmal der Bewusstseinstrübung erkennen lassen.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass etwa die kognitiven Funktionen bei derartigen Psychosen unbeeinträchtigt blieben. Im Gegenteil sind hier psychometrisch (Wieck 1977) oder bei schweren Ausprägungsgraden auch klinisch explorativ fassbare Störungen der Auffassung, der Aufmerksamkeit und der Gedächtnisleistungen nachweisbar. Sie stehen jedoch im klinischen Bild, zumal bei den affektiven, produktiven und halluzinatorischen Prägnanztypen oft so sehr im Hintergrund, dass Durchgangssyndrome mit solchen fakultativen Ausgestaltungen „endoform“ oder „endogenomorph“ wirken und dadurch Abgrenzungsschwierigkeiten von den entsprechenden „endogenen“, affektiven oder schizophrenen Psychosen hervorrufen können.
Desorientiertheit weist immer dann, wenn nicht zugleich auch die Bewusstseinstrübung genannte Störung der Helligkeit des Bewusstseins oder Wachheit vorliegt, auf Störungen der Merkfähigkeit hin und wird bei der fakultativen Ausgestaltung zum „akuten Korsakow“ noch durch Konfabulationen ergänzt.
In der seltenen Ausgestaltung zum „orientierten Dämmerzustand“ kann es bei nicht desorientierten, äußerlich geordnet wirkenden und auch zur Ausführung komplexer Handlungen fähigen Patienten zu persönlichkeitsfremden Verhaltensweisen bis hin zu Gewalt- oder Sexualverbrechen kommen, weil hier eine Einbuße an Steuerungs- und Besinnungsfähigkeit (Störring 1949) besteht.
Auch in Bonhoeffers Aufstellung der „exogenen Reaktionstypen“ waren ja im Übrigen schon 2 psychopathologische Zustandsbilder ohne Bewusstseinstrübung enthalten (s. Übersicht Abschn. 1.4), die „amnestischen Symptomenkomplexe“ und die „hyperästhetisch-emotionellen Schwächezustände“, denen in Wiecks Prägnanztypologie die amnestischen und die pseudoneurasthenischen Durchgangssyndrome entsprachen.
Durchgangs- vs. Trübungssyndrome
Das Verhältnis der Durchgangs- zu den Trübungssyndromen hat man sich nach dieser traditionellen Einteilung im Hinblick auf die kognitive Beeinträchtigung als graduell und vom klinischen Verlauf her als einen fließenden Übergang vorzustellen.
Ob eine Störung der Vigilanz – von leichter Benommenheit bis zum Koma – als unübersehbarer Indikator für die körperliche Begründbarkeit zu den bei den Durchgangssyndromen auch zu findenden Störungen der Auffassung, der Aufmerksamkeit und der Gedächtnisleistungen hinzutritt oder nicht, wird als abhängig vom Ausmaß der hirnorganischen Schädigung angesehen. Entsprechend gilt von den Durchgangssyndromen dann auch, dass sie im klinischen Verlauf den Trübungssyndromen vorausgehen oder ihnen nachfolgen, je nachdem, ob das Ausmaß der hirnorganischen Funktionsstörungen in Zu- oder Abnahme begriffen ist.
Unter den qualitativ-produktiven Ausgestaltungen der Bewusstseinstrübung werden wiederum im Anschluss an Bonhoeffers Beschreibung der „unspezifischen exogenen Reaktionstypen“ (s. Übersicht Abschn. 1.4) v. a. die Syndrome der Verwirrtheit, des Delirs und des Dämmerzustands voneinander differenziert. Bezüglich der Zeitbegriffe sollen Möglichkeiten des Übergangs und der Kombination beachtet werden. Denn nach den in diese Einteilung eingegangenen klinischen Erfahrungen können auch akut aufgetretene körperlich begründbare Psychosen gelegentlich irreversibel bleiben oder umgekehrt chronisch verlaufende sich als reversibel erweisen.
Chronische körperlich begründbare Psychosen
Auch die chronischen körperlich begründbaren Psychosyndrome werden in obligate Leit- oder Achsensyndrome und bloß fakultative prägnanztypische Ausgestaltungen differenziert. Die aus Abb. 5 zu ersehende Charakterisierung der organischen Persönlichkeitsveränderung durch 3 unterschiedliche Vorzugstypen stammt von Schneider selbst.
Pseudoneurasthenisches Syndrom
Huber hat dann im Anschluss an Bonhoeffer der organischen Persönlichkeitsveränderung als dem mittleren und der Demenz als dem schwersten noch das pseudoneurasthenische Syndrom als den leichtesten Ausprägungsgrad dieser organisch bedingten Abbausyndrome vorangestellt. Nach seiner Beobachtung manifestierten sich nämlich hirnorganische Abbauprozesse oft in Form genau solcher Beschwerdebilder, wie sie Bonhoeffer als „hyperästhetisch-emotionelle Schwächezustände“ beschrieben hatte (s. Übersicht, Abschn. 1.4) und wie sie demgemäß auch unter den Durchgangssyndromen (Abb. 4) Berücksichtigung fanden, bevor die Symptomatik auf dem Wege über organische Persönlichkeitsveränderungen schließlich in das Vollbild einer Demenz übergeht.
Die für diese Syndrome hier wie auch in der Prägnanztypologie der Durchgangssyndrome neu gewählte Bezeichnung soll anzeigen, dass das Erscheinungsbild weitgehend mit den neurasthenischen Symptomenkomplexen der Neurotiker übereinstimmen kann, aber gleichwohl körperlich begründbar ist. Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sind hierbei oft in der klinischen und auch der testpsychologischen Untersuchung noch gar nicht objektivierbar und auch die Reizbarkeit erreicht noch nicht das Ausmaß, wie es dann insbesondere für den reizbar-explosibel-enthemmten Typus der organischen Persönlichkeitsveränderung typisch ist, sondern fällt allenfalls nahestehenden, mit dem Betroffenen gut vertrauten Personen auf. Der Beschwerdedruck durch diese noch weitgehend im Subjektiven verbleibenden affektiv-kognitiven Veränderungen kann jedoch schon ganz erheblich sein und zu sozialen Behinderungen führen.

Abnorme Varianten seelischen Wesens

Abnorme Persönlichkeiten
Was weiter die abnormen Variationen seelischen Lebens angeht, so ist insbesondere die dazu gehörige Diagnosegruppe der abnormen Persönlichkeiten von Schneider in subtiler Weise typologisch ausdifferenziert worden. Unter dem dabei verwandten Normbegriff wollte er nur die Durchschnittsnorm, nicht aber irgendeine Wertnorm verstanden wissen. Von den vom Durchschnitt abweichenden Persönlichkeiten galten ihm nur diejenigen als psychopathisch, die unter ihrer Abnormität leiden oder unter deren Abnormität die Gesellschaft leidet. Die folgende Übersicht zeigt die Typologie Schneiders in einer durch Huber schematisierten und um einige Vorbeschreibungen von Kretschmer (1977) ergänzten Form.
Einzeltypen psychopathischer Persönlichkeiten
I.
Hyperthyme Persönlichkeiten
 
II.
Depressive Persönlichkeiten
 
III.
Selbstunsichere (sensitive und anankastische) Persönlichkeiten
 
IV.
Fanatische (und querulatorische) Persönlichkeiten
 
V.
Geltungsbedürftige (geltungssüchtige, „hysterische“) Persönlichkeiten
 
VI.
Stimmungslabile Persönlichkeiten
 
VII.
Explosible Persönlichkeiten
 
VIII.
Gemütsarme (gemütlose) Persönlichkeiten
 
IX.
Schizoide (und paranoide) Persönlichkeiten
 
X.
Willenlose Persönlichkeiten
 
XI.
Asthenische Persönlichkeiten
 
Abnorme Erlebnisreaktionen
Auch die Diagnosegruppe der abnormen Erlebnisreaktionen wurde, wie dies die nun folgende Übersicht zeigt, breit typologisch ausdifferenziert, um möglichst allen bedeutsamen traditionellen Vorbeschreibungen Rechnung tragen zu können. Dabei flossen in die Typologie der neurotischen Entwicklungen auch die wichtigsten psychodynamisch-interpretativen Einteilungsgesichtspunkte der tiefenpsychologischen Schulen mit ein.
Abnorme Erlebnisreaktionen
a.
Unmittelbare Reaktionen auf Erlebnisse
1.
Mehr übercharakterlich
depressive, Schreck- und Angstreaktionen; psychogene Körperstörungen
 
2.
Mehr charakterogen
Wutreaktion; Eifersuchtswahn; paranoide Reaktionen; „sensitive Beziehungsreaktion“; andere innere Konfliktreaktionen; „hysterische Reaktionen“; „induzierte Reaktion“
 
 
b.
Einfache erlebnisreaktive Entwicklungen
 
c.
Neurotische Entwicklungen
Vorwiegend psychische Symptome
Phobie; Angstneurose; „neurotische Depression“; „Zwangsneurose“
1.
Psychische und somatische Symptome
neurotisches psychovegetatives Erschöpfungssyndrom; „neurotische Depersonalisation“; „Anorexia mentalis“
 
2.
Vorwiegend somatische Symptome
Konversionsneurose („Organneurose“, „Konversionshysterie“, psychosomatische Symptome); psychosomatische Krankheiten
 
 
d.
Zweckreaktionen (Tendenzreaktionen)
Rentenwunsch-, Unfall-, Pensionsreaktionen; Haftreaktionen: Ganser-Syndrom, Puerilismus, Pseudodemenz
 

Alternative Systematisierungsversuche

Als Kraepelin Katatonie, Hebephrenie und „Dementia paranoides“ zur „Dementia praecox“ zusammenschloss, hob er diese neue mutmaßliche Krankheitseinheit damit zugleich vom manisch-depressiven Formenkreis ab und konstituierte so die bis heute mit seinem Namen verbunden gebliebene Dichotomie der endogenen Psychosen. Die Synthese des in der Folge Schizophrenie (Bleuler 1908, 1911) genannten Formenkreises hatte sich für ihn nur folgerichtig aus seiner erstmals so konsequent betriebenen Verlaufsbeobachtung ergeben. Denn danach schienen die 3 vorher für selbstständige Krankheitseinheiten gehaltenen Syndrome nicht nur im Verlauf fließend ineinander überzugehen, sondern auch alle in denselben defektuösen Ausgang einzumünden.
Wurden also jetzt Verlauf und Ausgang mit als Einteilungsprinzip benutzt, konnte man nicht mehr zwischen Katatonie, Hebephrenie und „Dementia paranoides“, sondern nur noch zwischen der diesen 3 Syndromen scheinbar zugrunde liegenden Einheit der „Dementia praecox“ und dem manisch-depressiven Formenkreis eine klassifikatorische Grenze ziehen.

Schizophreniekonzept von Bleuler

Seither galten die Schizophrenien als Störungen, die eine ungünstige Prognose besitzen und nur in Ausnahmefällen ausheilen, und die manisch-depressiven Erkrankungen umgekehrt als Störungen, die prognostisch günstig sind und bei denen es nur ausnahmsweise einmal nicht zur Heilung kommt. Bleuler hat in der Folge den ungünstigen Ausgang nicht mehr so stark betont und die Gruppe der Schizophrenien mehr theoriegeleitet durch eine gemeinsame assoziationspsychologische Grundstruktur definiert (Bleuler 1911). Dadurch verschob sich in seinem Schizophreniekonzept die dichotomische Grenze; der schizophrene Formenkreis wurde weiter und der manisch-depressive enger als in Kraepelins Ursprungskonzept gefasst.

Schizophreniekonzept von Schneider

Schneider schließlich orientierte sich bei seiner Schizophreniedefinition schon ganz modern an dem pragmatischen Ziel der zuverlässigen Erfass- und Verwendbarkeit der Kriterien. Nach diesem Gesichtspunkt stellte er eine Rangordnung auf und unterschied Symptome mit erstrangiger von solchen mit zweitrangiger und Ausdruckssymptomen mit nur geringer Brauchbarkeit für die Diagnosestellung:
  • Die Symptome ersten Ranges sollten jeweils allein für die Annahme einer schizophrenen Störung ausreichend sein.
  • Die Symptome zweiten Ranges und die Ausdruckssymptome schienen ihm nur verwertbar, wenn auch der „klinische Gesamtzusammenhang“ (Schneider 1973, S. 136) in dieselbe Richtung wies.
Um dies beurteilen zu können, mussten neben allen anderen relevanten klinischen Merkmalen natürlich auch Verlauf und Ausgang mit berücksichtigt werden. Aber Kraepelins Ausgangskriterium spielte damit nur noch eine untergeordnete Rolle. Wenn Symptome ersten Ranges vorlagen, konnte der Verlauf durchaus auch einmal phasisch und der Ausgang defektfrei sein. Das hinderte dann nicht daran, die jeweilige Störung als Schizophrenie anzusprechen.
So ergab sich auch aus Schneiders Definition ein breiter Einschlussbereich für die Diagnosegruppe der Schizophrenien und ein entsprechend enger für die der Zyklothymien. Wie groß jedoch die Ausdehnung des Schizophreniebegriffs im Vergleich zum ursprünglichen „Dementia-praecox“-Konzept schließlich auch war, die Dichotomie selber blieb dabei gleichwohl anerkannt. Schneider räumte zwar ein, dass es auch wirkliche „Zwischen-Fälle“ gäbe, bei denen sich die Differenzialtypologie Schizophrenie oder Zyklothymie nicht entscheiden ließe. Er hielt sie aber für selten und sah darin keinen Grund, in das Gesamtfeld der „endogenen“ Psychosen noch weitere klassifikatorische Grenzen einzuziehen.

Schizophreniekonzept von Wernicke, Kleist und Leonhard

Bei dem sich auch hier wieder zeigenden Fortbestand von Kraepelins Grundpositionen in der psychopathologisch revidierten klinischen Systematik wundert es nicht, dass die wichtigsten alternativen Klassifikationsversuche im deutschen Sprachraum von seinem großen Gegenspieler Wernicke ausgegangen sind. Dessen schon vor der „Dementia-praecox-Konzeption“ entstandene Beschreibungen besonderer klinischer Bilder wurden nämlich von seinem Schüler Kleist mitsamt den darauf bezogenen Hirnlokalisationstheoremen aufgenommen, zu einer „Gliederung der neuropsychischen Erkrankungen“ (1937) ausgearbeitet und später in eine vereinfachte Diagnosetabelle (1953) umgesetzt.
Darin findet man beispielsweise systematische und unsystematische Schizophrenien mit atrophisierenden Systemerkrankungen und metabolischen Störungen wie der amaurotischen Idiotie zu einer Gruppe der fortschreitenden neurogenen Erkrankungen oder Abbaukrankheiten zusammengefasst. Als maßgebliches Einteilungsprinzip fungierten so, wie das Wernicke vorgegeben und gegen Kraepelins nosologisches Programm ausgespielt hatte, Unterschiede in der Hirnlokalisation.
Sie mussten aber damals bei den meisten psychischen Störungen rein hypothetisch unterstellt werden und verliehen dadurch Kleists Einteilung einen theoretisch-spekulativen Charakter, der selbst den neuropsychiatrisch orientierten Zeitgenossen zu weitgehend schien.
Aufteilung der endogenen Psychosen
Von solcher Theorielastigkeit hat aber der Kleist-Schüler Leonhard diese Entwicklungslinie der psychiatrischen Klassifikation in der Folge befreit und nun in der aus der folgenden Übersicht zu ersehenden „Aufteilung der endogenen Psychosen“ (1957) interessanterweise wieder Kraepelins Hauptargument für die ursprüngliche Syntheseleistung, nämlich den defektuösen Ausgang, zum maßgeblichen Orientierungspunkt gemacht.
Systematische Schizophrenien
Als Schizophrenien im engeren Sinne haben nämlich nach Leonhard eigentlich nur diejenigen Erkrankungsformen zu gelten, die schleichend-progredient verlaufen und zu Defekten führen. Sie erscheinen in seiner Aufteilung dementsprechend wie vorher schon bei Kleist unter dem Begriff der systematischen Schizophrenien.
Aufteilung der endogenen Psychosen nach K. Leonhard
I.
Phasische Psychosen
1.
Manisch-depressive Krankheit
 
2.
Reine Melancholie und reine Manie
A.
Reine Melancholie
 
B.
Reine Manie
 
 
3.
Reine Depressionen und reine Euphorien
A.
Reine Depressionen
  • Gehetzte Depression
  • Hypochondrische Depression
  • Selbstquälerische Depression
  • Argwöhnische Depression
  • Teilnahmsarme Depression
 
B.
Reine Euphorien
  • Unproduktive Euphorie
  • Hypochondrische Euphorie
  • Schwärmerische Euphorie
  • Konfabulatorische Euphorie
  • Teilnahmsarme Euphorie
 
 
 
II.
Zykloide Psychosen
1.
Angst-Glücks-Psychose
 
2.
Erregt-gehemmte Verwirrtheit
 
3.
Hyperkinetisch-akinetische Motilitätspsychose
 
 
III.
Unsystematische Schizophrenien
1.
Affektvolle Paraphrenie
 
2.
Schizophasie
 
3.
Periodische Katatonie
 
 
IV.
Systematische Schizophrenien
1.
Einfach-systematische Schizophrenien
A.
Katatone Formen
  • Parakinetische Katatonie
  • Manirierte Katatonie
  • Proskinetische Katatonie
  • Negativistische Katatonie
  • Sprechbereite Katatonie
  • Sprechträge Katatonie
 
B.
Hebephrene Formen
  • Läppische Hebephrenie
  • Verschrobene Hebephrenie
  • Flache Hebephrenie
  • Autistische Hebephrenie
 
C.
Paranoide Formen
  • Hypochondrische Paraphrenie
  • Phonemische Paraphrenie
  • Inkohärente Paraphrenie
  • Phantastische Paraphrenie
  • Konfabulatorische Paraphrenie
  • Expansive Paraphrenie
 
 
2.
Kombiniert-systematische Schizophrenien
A.
Kombiniert-systematische Katatonien
 
B.
Kombiniert-systematische Hebephrenien
 
C.
Kombiniert-systematische Paraphrenien
 
 
 
Unsystematische Schizophrenien
Schon für die von diesen unterschiedenen, in dieser Traditionslinie als „unsystematische“ Schizophrenien bezeichneten Störungsbilder hat er betont, dass sie eigentlich ihrem Wesen nach den phasischen Psychosen näher stünden. Sie münden zwar auch in einen defektuösen Ausgang ein und werden deshalb weiter unter dem Begriff der Schizophrenie geführt, verlaufen aber remittierend oder sogar klar periodisch.
Zykloide Psychosen
Erst recht soll dies dann für die „zykloid“ genannten Psychosen gelten, die man nach Leonhard auch direkt zu den phasischen Psychosen rechnen könnte (Leonhard 1957, S. 120). Denn sie führen nun in der Tat aus seiner Sicht niemals zu Defekten und verlaufen zudem genauso bipolar wie die manisch-depressive Erkrankung, sodass nur ihre besondere affektive oder kognitive oder psychomotorische Akzentuierung und insgesamt die Vielgestaltigkeit als Unterscheidungsmerkmal verbleiben.
Schizoaffektive Psychose
In der anglo-amerikanischen Psychiatrie wurde von Kasanin (1933) der Begriff der schizoaffektiven Psychose geprägt. Für die damit gemeinten Erkrankungsformen sollten nach seiner ursprünglichen Definition bezeichnend sein:
  • Die gleichzeitige Manifestation von schizophrenen und schwerwiegenden depressiven oder manischen Symptomen mit plötzlichem Beginn nach vorher durchgemachter Konfliktsituation,
  • das vorwiegend jugendliche Alter der Betroffenen sowie
  • ihre prämorbid unauffällige Persönlichkeit und ihre Abstammung aus günstigen sozialen Verhältnissen.
Auch hinter dieser Konzeption stand letztlich wieder Kraepelins Ausgangskriterium. Kasanin glaubte nämlich, derartige Störungen deshalb von den Schizophrenien abgrenzen zu müssen, weil sie nach meist nur kurzem Verlauf immer zu einer Vollremission zu führen schienen. Auch während der akuten Krankheitsphase war bei den von ihm beobachteten Fällen mit einer solchen Störung für den Untersucher nie der Eindruck einer defektuösen Veränderung entstanden. Die durchweg erhaltene Kommunikationsfähigkeit schien sich ihm sogar für die Prognose des günstigen Ausgangs verwerten zu lassen.
Schizophrenieforme und reaktive Psychosen
Auch in der skandinavischen Psychiatrie gab es interessanterweise eine vergleichbare Entwicklungslinie. Hier fasste zuerst Langfeldt (1937) Störungen mit psychoreaktiver Auslösung, akutem Beginn und gleichzeitiger Manifestation von schizophrenen und depressiven oder manischen Symptomen unter dem Begriff der schizophreniformen Psychosen zusammen. In der Folge ist das Merkmal der psychoreaktiven Auslösung aus dieser Definition wieder herausgelöst und stattdessen in das Konzept der reaktiven Psychosen eingefügt worden, für das synonym auch die Begriffe psychogene, konstitutionelle oder atypische Psychose Verwendung fanden (Strömgren 1989).
Bei den damit gemeinten Störungen handelte es sich nicht um „Mischpsychosen“ mit Symptomen beider Formenkreise, sondern um stilreine schizophrene Psychosen, nur mit akutem Beginn und psychoreaktiver oder somatischer Auslösung. Dass aber auch sie wie die schizophreniformen Psychosen im skandinavischen Begriffssinn von den Schizophrenien abgehoben wurden, hatte wieder denselben Grund. Beide Störungsgruppen schienen nämlich prognostisch günstig zu sein und erfüllten damit nicht das Kriterium eines defektuösen Ausgangs in „eigenartige Schwächezustände“, Kraepelins entscheidendes Definitionsmerkmal für die Schizophrenien.
Einengung des Schizophreniebegriffs
Die wichtigsten alternativen Klassifikationsversuche laufen also alle auf die Separierung eines intermediären Bereichs zwischen dem schizophrenen und dem zyklothymen Formenkreis hinaus. Dabei dient merkwürdigerweise gerade das Ausgangskriterium als Rechtfertigungsgrundlage, mit dem Kraepelin seine Dichotomie begründet hatte. Es wird so zugespitzt und stark betont, dass es zu einer Einengung des Schizophreniebegriffs nicht nur gegenüber den Ansätzen von Bleuler und Schneider, sondern auch gegenüber dem Ursprungskonzept der „Dementia praecox“ führt. Folgerichtig reicht so die alte Dichotomie nicht mehr aus, und es müssen zwischen den enger gefassten Polen der Schizophrenie und der Zyklothymie noch andere Formen endogener Psychosen Berücksichtigung finden.
Weitere Entwicklung
In der weiteren Entwicklung hat beispielsweise Perris (1986) an Leonhards Aufteilung angeknüpft und seine Definition der zykloiden Psychosen, allerdings unter nicht unerheblicher Ausweitung des Begriffs, zu operationalisieren versucht. In der deutschen Psychiatrie war und ist man v. a. in der von Beckmann (Franzek und Beckmann 1996) begründeten Arbeitsrichtung um eine biologische Validierung von Leonhards Diagnosegruppen bemüht. Sowohl der Begriff der zykloiden Psychosen als auch Kasanins Definition der schizoaffektiven Psychosen weisen Berührungspunkte mit dem in der französischen Psychiatrie nach wie vor aktuellen Konzept der „bouffés delirantes“ auf (Perris 1986; Pichot 1986).
In der anglo-amerikanischen Weiterentwicklung ist aber von den von Kasanin angegebenen Definitionsmerkmalen eigentlich nur noch die gleichzeitige Manifestation von schizophrenen und depressiven oder manischen Symptomen übrig geblieben und immer wieder unterschiedlich operationalisiert worden. Insbesondere in den 1980er-Jahren hat man die Fragen, ob ein „schizoaffektiver Zwischenbereich“ (Janzarik 1980) separiert werden sollte, welche einzelnen Störungsformen darin zu unterscheiden und welche von ihnen als selbständig oder als mehr dem schizophrenen oder dem manisch-depressiven Formenkreis zugehörig anzusehen wären, wieder international und auch in Deutschland (Marneros et al. 1991) breit diskutiert.

Aktuelle Klassifikationssysteme

Ein Blick auf die modernen aktuellen Klassifikationssysteme zeigt jedoch, dass sich die alternativen Einteilungsversuche letztlich doch nicht gegen Kraepelins Dichotomie durchsetzen konnten. Sowohl in der ICD-10 (WHO 1991) als auch im DSM-IV und DSM-5 (APA 1994, 2013) gibt es zwar eine Diagnosekategorie für schizoaffektive Störungen. Sie bleibt aber entgegen den traditionellen Separierungsabsichten mit den schizophrenen Störungen in der Großgruppe eines Kapitels zusammengeschlossen. Des Weiteren finden sich in der ICD-10 mit der „akuten polymorphen psychotischen Störung“, den „anderen akuten vorwiegend wahnhaften“ und den „anderen vorübergehenden psychotischen Störungen“ auch Kategorien, in die man „zykloide Psychosen“, Bilder im Sinne der „bouffés delirantes“ oder „reaktive Psychosen“ einordnen könnte. Sie stellen aber nicht mehr als ein vergleichsweise undifferenziertes kriteriologisches Sammelbecken zur Aufnahme der in den verschiedenen nationalen Traditionen berücksichtigten Sonderformen dar und werden zudem gleichfalls mit den schizophrenen Störungen zusammengefasst.

Pragmatische Diagnoseschemata

Für alle bisher dargestellten traditionellen Klassifikationsbemühungen war es bezeichnend, dass sie das psychiatrische Fachwissen insgesamt in einer dem jeweiligen methodologischen Entwicklungsstand möglichst adäquaten Weise ordnen wollten. Dagegen sind die Umsetzungsversuche der wissenschaftlichen Systematik in Diagnoseschemata oder Diagnosetabellen meist pragmatisch den Zwecken der statistischen Datengewinnung für Gesundheitsbehörden oder einzelne Institutionen gefolgt.

Würzburger Schema

So wurde beispielsweise in Deutschland durch eine Kommission unter dem Vorsitz von Wilmanns (1930) eine Diagnosetabelle zur Statistik der Geisteskrankheiten erarbeitet, ab 1930 in einer Reihe von Anstalten und Kliniken erprobt und 1933 bei der Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Psychiatrie in Würzburg zur allgemeinen Verwendung empfohlen. In diesem sog. Würzburger Schema findet man die psychischen Störungen in insgesamt 21 Gruppen eingeteilt. Es handelt sich bei dieser Gruppierung um nichts anderes als eine Vereinfachung von Kraepelins Systematik für die praktischen Zwecke der damaligen Reichsstatistik.
Auch K. Schneider hat sich damit 1932, noch vor der offiziellen Annahme, auseinandergesetzt, hinsichtlich der reaktiven Depression sowie paranoider und depressiver Bilder mit Präsenium noch einige dann auch berücksichtigte Verbesserungsvorschläge mit eingebracht und das Schema im ganzen nach praktischen Gesichtspunkten als brauchbar befunden (Schneider 1932). Diese Einschätzung wurde offenbar von vielen geteilt und führte dazu, dass man die Diagnosetabelle in Westdeutschland auch nach dem 2. Weltkrieg noch bis in die 1970er-Jahre hinein benutzte.

Diagnoseschemata anderer Länder

Dem Würzburger Schema und seiner Prägung durch Kraepelins Systematik standen auch die in Japan, in Spanien, in der Schweiz, in der Türkei und in den Niederlanden verwandten Diagnosetabellen und -karteien nahe (Meyer 1961).
Dagegen zeichneten sich die offiziellen Diagnoseschemata in der UdSSR durch eine weitergehende Differenzierung der Schizophrenien, in Italien durch eine differenziertere Unterteilung der körperlich begründbaren Psychosen, in Frankreich gemäß der eigenen nationalen Tradition durch eine subtilere Unterteilung der chronischen Wahnsyndrome und ihre vollständige Separierung von den Schizophrenien und in Dänemark, Norwegen und Schweden durch die besondere Orientierung an dem schon charakterisierten Konzept der reaktiven Psychosen aus.

Internationale Klassifikation

In Finnland, Griechenland, Großbritannien, Irland, Jugoslawien, Portugal und Ungarn sowie an einzelnen psychiatrischen Krankenanstalten in Holland, Schweden und Peru wurde in der gleichen Zeit schon die Internationale Klassifikation der Krankheiten, Verletzungen und Todesursachen der WHO benutzt. Deren 6. Ausgabe aus dem Jahre 1948, die noch stark durch ein nationales pragmatisches Begriffssystem, nämlich das der „Veterans Administration“ in den USA geprägt war, enthielt erstmals ein Kapitel über psychische Störungen.
DSM und ICD-6
Auch die erste Ausgabe des amerikanischen DSM aus dem Jahre 1952 stellte eigentlich nur eine Variante der ICD-6 dar, deren einzige Besonderheit in der durchgängigen Verwendung des Begriffs „Reaktion“ bestand. Darin zeigte sich der große Einfluss des emigrierten Schweizer Psychiaters Adolf Meyer auf den damals verantwortlichen APA-Ausschuss für Nomenklatur und Statistik. Nach dessen psychobiologischer Konzeption hatte man nämlich in jeder psychischen Störung immer die Reaktion eines Individuums auf psychische, soziale und biologische Faktoren zu sehen (Meyer 1908).
DSM-II und ICD-7
Sowohl ICD-6 als auch die damit noch weitgehend übereinstimmende ICD-7 und genauso auch das DSM-II, aus dem der Begriff Reaktion wieder entfernt worden war, stießen aber in vielen Ländern auch auf Ablehnung. Man vermisste beispielsweise die triadische Einteilung, die in allen damaligen nationalen Diagnoseschemata, mit Ausnahme des französischen, gebräuchlich war oder beanstandete terminologische Unstimmigkeiten sowie Mängel in der Gliederung und in der praktischen Handhabbarkeit (Meyer 1961).
Arbeitsgruppe um Stengel
Teilweise aufgrund dieser mangelnden Akzeptanz beauftragte die WHO den britischen Psychiater Stengel mit einer umfassenden Bestandsaufnahme, aus der als wichtigstes Ergebnis hervorgehen sollte, welche Anforderungen an eine wirklich international in allen Ländern verwendbare Klassifikation psychischer Störungen zu stellen wären.
Die von Stengel und seiner Arbeitsgruppe durchgeführte und mit ihren wichtigsten Ergebnissen 1959 veröffentlichte Studie gilt heute zu Recht als ein Meilenstein in der Entwicklung. Denn darin wurde das vorgegebene Ziel in der Tat erreicht und insbesondere unmissverständlich herausgestellt, dass sich eine Klassifikation nur dann über unterschiedliche Institutionen und Länder hinweg in konsistenter und reproduzierbarer Weise anwenden lässt, wenn die Diagnosekriterien klar gefasst und mit allen ihren einzelnen Kriterien explizit dargestellt sind (Stengel 1959).
DSM-III
Bei der Entwicklung von ICD-8 und auch noch der von ICD-9 folgte man diesen Empfehlungen vorerst nur im geringen Maße, aber im DSM-III wurden sie dann umso entschiedener umgesetzt. So entstand das erste, nach dem einleitend angegebenen Kriterium modern zu nennende Klassifikationssystem mit operationalisierten Diagnosedefinitionen, einem multiaxialen Aufbau und einer insgesamt deskriptiven Ausrichtung, die Neutralität gegenüber den unterschiedlichen Theorien zur Ätiologie zu wahren versucht.

Verhältnis zur modernen Klassifikation

Die Globalisierungbestrebungen der WHO und der APA, nach denen alle Psychiater weltweit auf die Benutzung der modernen Klassifikationssysteme verpflichtet werden sollen, treffen auch heute durchaus noch auf Vorbehalte. Sie sind zwar längst nicht mehr so verbreitet wie noch in den 1960er und 1970er-Jahren, als man an ICD-6 und ICD-7 noch zahlreiche Unzulänglichkeiten auszusetzen hatte. ICD-8 und v. a. ICD-9 waren schon eher für eine Internationalisierung geeignet und wurden dementsprechend auch leichter akzeptiert. Nachdem aber die erstmals im DSM-III verwirklichten methodologischen Neuerungen auch in der ICD-10 teilweise Eingang gefunden hatten und zudem im DSM-III-R und DSM-IV noch konsequenter umgesetzt worden waren, erschienen diese Systeme als vergleichsweise neuartig und darum in manchen Augen auch als ein Bruch mit der Tradition.
So werden beispielsweise in der ICD-10 die psychischen Störungen nicht mehr wie in den meisten traditionellen Klassifikationssystemen seit Kraepelins erstmaliger Anwendung des nosologischen Programms in 3 große Hauptgruppen, sondern in 9 zweistellige Diagnosekategorien eingeteilt (WHO 1991). Auch die DSM-IV-Einteilung schien sich auf den ersten Blick weit von der traditionellen triadischen Hauptgruppendifferenzierung entfernt zu haben (APA 1994).
Multiaxialer Aufbau
In diesem System wurden die herkömmlich als Neurosen angesprochenen psychischen Veränderungen bei der multiaxialen Beurteilung den von K. Schneider als Krankheitsfolgen aufgefassten Störungen beiseite gestellt (Achse I). Die Persönlichkeitsstörungen und die geistige Behinderung, also die anderen traditionell den abnormen Spielarten seelischen Wesens zugerechneten Störungen (Achse II), sowie die früher in der somatologischen Ordnung voneinander differenzierten medizinischen Krankheitsfaktoren (Achse III) wurden jeweils auf einer anderen Achse erfasst.

Weitere Begriffsänderungen

Im DSM-IV kam der Terminus „organisch bedingte psychische Störungen“, die Nachfolgebezeichnung für den Begriff der exogenen Psychosen, unter dem man traditionell immer die erste der 3 Hauptgruppen gefasst hatte, gar nicht mehr vor. Durch seine Verwendung wäre nach Meinung der damaligen Autoren weiterhin die Annahme nahegelegt worden, dass „nichtorganische“ oder „funktionelle“ Störungen keine organischen Grundlagen besitzen könnten; diese fälschliche Implikation wollten sie angesichts des neurobiologischen Wissenszuwachses vermieden sehen (APA 1994).
Mit diesem Verzicht auf den Terminus „organisch bedingte psychische Störungen“ als Hauptgruppenbezeichnung hing eine weitere Neuerung im DSM-System zusammen. In der 4. Ausgabe wurden erstmals auch die in der deutschen Tradition Durchgangssyndrome genannten, durch einen medizinischen Krankheitsfaktor bedingten oder durch eine Substanz induzierten psychopathologischen Bilder mit den entsprechenden, erscheinungsbildlich gleichartigen „primären“ Störungen zusammengefasst. So findet man beispielsweise jetzt auch wieder im DSM-5 die endogenomorphen schizophrenieähnlichen Durchgangssyndrome als „psychotische Störungen aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors“ oder „substanzinduzierte psychotische Störungen“ im Kap. Schizophrenie-Spektrum und andere psychotische Störungen. Dadurch wird der syndromale Charakter der psychotischen oder auch affektiven Störungen als gemeinsame pathogenetische Endstrecke möglicher unterschiedlicher biologischer Ursachenfaktoren noch stärker als in der Tradition betont.
Auf der anderen Seite ist aber in den modernen Klassifikationssystemen auch eine gegenläufige Tendenz zu erkennen. Die frühere Trennung zwischen somatologischer und psychologischer Ordnung, mit der K. Schneider der ätiologischen Unspezifität der psychoorganischen Störung Rechnung tragen wollte, wird partiell aufgehoben. So werden beispielsweise in der ICD-10 so viele ätiologisch spezifizierte Demenzformen wie möglich aufgeführt und von der Demenz als ätiologisch unspezifischem psychopathologischen Syndrom unterschieden; im DSM-IV kommt das generelle Demenzsyndrom gar nicht mehr als eigene Diagnoseeinheit vor und auch DSM-5 schlüsselt es in der Kategorie der neurokognitiven Störungen (NCD) von vornherein nach den zugrundeliegenden Hirnerkrankungen auf.
Des Weiteren wird nur folgerichtig auch der alte Begriff der „Endogenität“ nicht mehr verwandt, der in den traditionellen Klassifikationssystemen zur Bezeichnung der zweiten Hauptgruppe diente.
Somit sucht man also sowohl die „exogenen“ als auch die „endogenen“ Psychosen und darüber hinaus auch die „abnormen Spielarten seelischen Wesens“ als in sich zusammenhängend gedachte Hauptgruppe vergebens. Neben vielen anderen Unterschieden, kann v. a. diese Veränderung den Eindruck hervorrufen, die Kontinuität zwischen traditioneller und moderner Klassifikation sei weitgehend unterbrochen.

Tradition als Grundlage der Veränderungen

Genau das Gegenteil ist jedoch der Fall. Die anfangs noch so neuartig wirkenden Veränderungen entstanden gerade deshalb, weil man in den verantwortlichen Kommissionen der Tradition – und insbesondere der aus dem Ursprungsland der psychiatrischen Klassifikation stammenden deutschsprachigen – weitgehend treu geblieben ist. Schon Kraepelin hatte 1904 anlässlich seiner Beobachtungen in der Anstalt Buitenzorg auf Java beklagt, dass die Voraussetzungen für eine vergleichende Psychiatrie noch nicht geschaffen seien. Auch Jaspers sah in der Entwicklung einer landes- und weltweit einheitlich verwendbaren Terminologie eine wichtige Zukunftsaufgabe, die er allerdings zu seiner Zeit noch nicht für erfüllbar hielt. Beiden war klar, dass sich eine natürliche Einteilung der seelischen Störungen nur verwirklichen lassen würde, wenn sich die Forschung eines jeden Landes an der Suche nach den wirklichen Grenzen beteiligen könnte. Denn natürliche Grenzen müssen als solche weltweit in derselben Weise nachweisbar sein. Daher kann nur ein Suchprozess auf internationaler Ebene letztlich zu Ergebnissen führen, anhand derer sich entscheiden lässt, ob es solche Grenzen tatsächlich gibt.

Operationalisierung der Diagnosedefinitionen

Mit dieser Operationalisierung sind in den modernen Klassifikationssystemen gemäß den von Stengel gestellten Forderungen erstmals die Voraussetzungen für eine reliable Verwendung über Landesgrenzen hinweg geschaffen worden. Damit sind die Bemühungen um die Beantwortung der Frage, ob sich die klinische Einteilung nach Erscheinungsbild, Verlauf und Ausgang durch hirnorganische und ätiologische Befunde validieren lässt, in ein neues Stadium eingetreten. Programmatische Leitidee bleibt dabei jedoch Kraepelins Grundanschauung, dass es nämlich für diesen Validierungsprozess einen Zielpunkt gibt, in dem das klinische Einteilungsprinzip mit dem hirnanatomischen und dem ätiologischen zusammenfällt.
Explikation herkömmlicher Diagnosebegriffe
Mit Operationalisierung ist im Übrigen nur die Explikation der in den herkömmlichen Diagnosebegriffen enthaltenen Einzelelemente gemeint. Deshalb stellen die modernen Diagnosekriterien auch nichts anderes als eine Auflistung und Gewichtung eben dieser Merkmale dar. Folgerichtig findet sich zu fast jedem der in der traditionellen Systematik aufgeführten Syndrome in den modernen Diagnosesystemen eine mehr oder weniger genaue Entsprechung, wenn auch nicht selten unter anderer Bezeichnung und in anderer Gruppenzuordnung.
Das gilt selbst von einer auf die deutsche Tradition beschränkt gebliebenen Konzeption wie die der „Durchgangssyndrome“. Jede der in der traditionellen Prägnanztypologie voneinander differenzierten Formen (Abb. 4) erscheint wieder in der ICD-10 und im DSM-5, obwohl der Begriff der „Durchgangssyndrome“ selbst darin keine Verwendung findet.
Von der Sache her sind die modernen Diagnosekategorien nahezu durchweg durch die traditionellen Klassifikationssysteme vorgegeben worden. Das trifft beispielsweise auch für eine so zentrale Kategorie wie die der schizophrenen Störungen zu. Die hierfür in der ICD-10, im DSM-IV und DSM-5 angegebenen Diagnosekriterien explizieren und formalisieren mit unterschiedlicher Akzentsetzung nur Merkmale, die alle schon im ursprünglichen Schizophrenie-Konzept von E. Kraepelin und E. Bleuler sowie auch in K. Schneiders Symptomlehre mit enthalten waren.

Deskriptiver Ansatz

Schon Kraepelin hatte seine klinischen Einteilungseinheiten vorerst nur als „brauchbare Begriffe“ aufgefasst und damit gerechnet, dass sie im Zuge des Validierungsprozesses möglicherweise wieder aufgegeben werden müssten. Von Jaspers stammt die Warnung davor, dass „statt der Idee“ der Krankheitseinheit „der Schein der erreichten Idee gegeben“, nämlich die jeweilige Einteilung – und damit auch die in „exogene“, „endogene Psychosen“ und „Neurosen“ – bereits als validiert angesehen wird (Jaspers 1973, S. 477). Wenn also die Autoren der modernen Klassifikationssysteme einen deskriptiven Ansatz verwirklichen und theorielastige Begriffe der Tradition vermieden wissen wollen, bewegen sie sich damit auf der von Kraepelin vorgegebenen und von Jaspers bestätigten Entwicklungslinie. Deshalb erscheint auch ihre Warnung vor einer vorschnellen Gleichsetzung der durch definitorische Operationalisierung verbesserten Reliabilität mit schon erreichter Validität nur konsequent.
Danach stellen auch die modernen Diagnosekategorien nur brauchbare Begriffe dar, bei denen das bisher durch Literatursichtung, Reanalyse der vorhandenen Datensätze und Feldstudien gewonnene Beweismaterial für ihre mögliche Gültigkeit immerhin konsequente Validitätsprüfungen gerechtfertigt erscheinen lässt (Kendell 1978; APA 1994, 2013).

Aktueller Entwicklungsstand

Inzwischen stehen nach der Fertigstellung von DSM-5 die nächsten Revisionen der modernen Klassifikationssysteme und dabei zuerst eine an die jüngste DSM-Revision anzugleichende Weiterentwicklung von ICD-10 zu ICD-11 an. Wie die breit diskutierten DSM-5-Kategorien und alle ihnen vorangegangenen DSM- und ICD-Versionen bislang werden auch die ICD-11-Diagnosen wieder nicht die gesuchten natürlichen Krankheitseinheiten repräsentieren. Trotz vieler vorgeschlagener aussichtsreicher Kandidaten auf den verschiedenen neurobiologischen Untersuchungsebenen konnten keine phänotypischen oder genetischen Marker gefunden werden, die für die Diagnosestellung oder die Vorhersage des Therapieerfolgs hinlänglich brauchbar gewesen wären. Neue integrative Ansätze, die klinische Stadienmodelle mit endophänotypischen Befundkonstellationen verschränken könnten, stehen weiterhin aus (Klosterkötter 2008). Auch die epidemiologischen und klinischen Studien haben allein schon mit den hohen Komorbiditätsraten, die sich immer wieder fanden, mehr Evidenz gegen als für die Auffassung der bisherigen DSM- und ICD-Syndrome als ätiopathogenetisch eindeutig voneinander trennbarer Krankheitseinheiten erbracht (Möller 2008). Gleichwohl ist nicht zu erwarten, dass dieses ernüchternde Gesamtresultat der auf die DSM- und die ICD-Kategorien bezogenen Forschung in absehbarer Zeit zu einer Außerkraftsetzung der von Kraepelin aufgestellten Forderungen an ein adäquates Klassifikationssystem führt.
Zwar hat man nach der Einfühung von DSM-5 das klinisch-nosologische Programm ernsthafter als sonst in Frage gestellt und in der Sache sehr ähnlich wie seinerzeit Wernicke in der Kontroverse mit Kraepelin vorgeschlagen, bei der Einteilung der psychischen Störungen zukünftig nicht mehr von der klinischen Oberfläche, sondern der neurobiologischen Basis auszugehen. Die aktuelle Diagnoseforschung soll sich danach auf eine neue Kriterienmatrix für emotionale, kognitive und soziale Domänen beziehen, die über psychologische Funktionskonstrukte mit unterschiedlichen neuronalen Netzwerken in Verbindung stehen (Cuthbert 2014). Der dadurch erreichbare Vorteil könnte schließlich in dem Ersatz der auch im DSM-5 wieder ganz überwiegend ätiopathogenetisch inkomplett gebliebenen Diagnosekategorien durch eine dimensionale Ordnung von nunmehr tatsächlich neurobiologisch fundierten Störungen des beobachtbaren Verhaltens bestehen. Ein solches Ergebnis, das an die selbstkritische Konzepterweiterung in Kraepelins später Beschreibung von transnosologischen „Erscheinungsformen des Irreseins“ erinnert (Kraepelin 1920), liegt aber, wenn es sich überhaupt in einer klinisch nutzbaren Form erzielen ließe, offenkundig heute noch in weiter Ferne (Klosterkötter 2014). Den fortlaufenden Revisionsprozess der Diagnosen bis dahin einzustellen, dürfte angesichts der großen und weiter anwachsenden Belastung der Gesundheitssysteme durch psychische Störungen wohl kaum vertretbar sein. Wie jetzt ICD-11 auf ICD-10 werden sicherlich auch auf DSM-5 und ICD-11 zunächst noch weitere Annährungsschritte an das ursprüngliche Klassifikationsziel folgen, die im günstigsten Fall wieder klinisch, therapeutisch und prognostisch brauchbarer und für die molekularbiologische Grundlagenforschung ergiebiger als ihre jeweiligen Vorläuferversionen sind.
Fazit
Ob sich dabei am Ende die traditionelle Leitidee der natürlichen Einteilung als richtig und somit das medizinische Validierungsparadigma als angemessen herausstellen wird, bleibt weiterhin offen. Man kann vorerst nur feststellen, dass die Chancen für eine endgültige Beantwortung dieser nunmehr schon fast eineinhalb Jahrhunderte alten Frage durch die Modernisierung der psychiatrischen Klassifikationssysteme in der Tat entscheidend verbessert worden sind.
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