Das Therapiekonzept bestand aus einer transurethralen Resektion (TUR mit dem Ziel einer R0-TUR) und einer Radiotherapie sowie anschließenden Salvage-Zystektomie bei Rest- oder Rezidivtumor. Die Radiotherapie war von 1982 bis 1985 eine alleinige Strahlentherapie (RT), ab 1985 eine simultane Radiochemotherapie (RCT) mit Cisplatin, später zusätzlich 5‑FU, also eine nur strahlensensibilisierende Chemotherapie während der Radiotherapie (keine neoadjuvante oder adjuvante Chemotherapie). Die Strahlendosis betrug 50,4 Gy im Bereich der Blase und der regionalen Lymphknoten in Einzeldosen von 5‑mal wöchentlich 1,80 Gy, gefolgt von einem Boost auf die Harnblase bis 55,8 Gy nach R0-TUR bzw. bis zu einer Gesamtdosis von 59,4 Gy bei Residualtumor (R1–2 nach TUR). Ab 2005 wurde während der Strahlentherapie zusätzlich 1‑mal wöchentlich eine regionale Tiefenhyperthermie mit einem BSD-2000-3D/PC-Hyperthermie-System (RCT + RHT) durchgeführt. Das mediane Follow-up betrug 71 Monate.
Kommentar
„Radiotherapy and organ preservation in bladder cancer: are we ignoring the evidence?“ [
3]. Dieser immer noch lesenswerte Kommentar von Mary Gospodarowicz erschien im Jahr 2002 im
Journal of Clinical Oncology anlässlich einer Publikation der Erlanger Daten über die organerhaltende Behandlung des Harnblasenkarzinoms [
8]. Bereits damals stand fest, dass die organerhaltende Therapie bei muskelinvasiven Blasenkarzinomen als Alternative zur Zystektomie angesehen werden muss ohne Einbußen im „overall survival“. Es gab damals (wie heute) keine direkten randomisierten Vergleiche zwischen Zystektomie und dem organerhaltenden Konzept. Aber die beste verfügbare Evidenz zeigte und zeigt die Gleichwertigkeit beider Ansätze bezüglich des Überlebens [
1,
2,
9]. In den blauen Ratgeberheften der Deutschen Krebshilfe wird die Möglichkeit der Organerhaltung dargestellt [
4]. Dennoch wird diese Option von den Urologen kaum genutzt. Es ist erstaunlich, wie wenig sich daran in fast 20 Jahren geändert hat!
Zurück zum Anfang: Das Urothelkarzinom der Harnblase (nur darum geht es; die anderen seltenen Entitäten sind gesondert zu betrachten) ist ein strahlenempfindlicher Tumor. In den 1970er- und 1980er-Jahren wurden an einigen Orten (v. a. in Großbritannien und Skandinavien) hoch dosierte Bestrahlungen als Alternative zur Zystektomie eingesetzt. Die Ergebnisse dieser „radikalen Radiotherapie“ hinsichtlich Tumorkontrolle und Überleben waren nicht schlecht, aber es gab eine relevante Rate an Spätfolgen mit schlechtem funktionellem Ergebnis. Vor allem eine Blasenschrumpfung mit stark verkürztem Miktionsintervall, die gelegentlich eine sekundäre Zystektomie erforderte. Eine wesentliche Verbesserung (aus meiner Sicht der entscheidende Durchbruch) waren die ab Ende der 1980er-Jahre in Boston und Erlangen entwickelten Konzepte, die die Grundprinzipien einer modernen, auf Funktionserhalt ausgerichteten organerhaltenden Therapie berücksichtigten [
1,
8]. Diese Therapiestrategie beinhaltet eine möglichst komplette, aber organerhaltende Tumorresektion (Resektion mit adjuvanter Therapie ist erfolgreicher als alleinige Bestrahlung), danach eine simultane Radiochemotherapie als wichtigster Baustein zur langfristigen Tumorkontrolle (vor allem Cisplatin verstärkt die Strahlenwirkung relevant), anschließend Re-Evaluierung des Therapieansprechens und Beschränkung der Radikal-OP auf Patienten mit Resttumor oder Rezidiv. Die Strahlendosis wird in diesen Konzepten (anders als bei der „radikalen Radiotherapie“) auf eine moderate, hinsichtlich Funktionserhalt optimale Dosis reduziert. Beim Blasenkarzinom beträgt diese Dosis, die auf die ganze Blase ohne relevantes Risiko für Funktionseinschränkungen appliziert werden kann, etwa 55 bis 60 Gy in konventioneller Fraktionierung. Das Ziel einer maximalen Tumorkontrolle durch Strahlentherapie wird dabei dem Funktionserhalt untergeordnet. Die auf diese Weise erreichten Überlebensraten mit Funktionserhalt sind gut und beispielsweise besser als beim Larynxkarzinom, bei dem heute ein Stimm- und Kehlkopferhalt angestrebt wird und bei etwa drei Viertel der Patienten auch gelingt. Die simultane Chemotherapie leistet einen wichtigen Beitrag zur lokalen Tumorkontrolle; dies ist auch durch randomisierte Studien bestätigt [
5].
Die Zystektomie bedeutet für viele Patienten eine erhebliche Belastung und Einbuße an Lebensqualität und ist aus meiner Sicht in diesem Punkt durchaus einer Laryngektomie vergleichbar, auch wenn die Auswirkungen für Außenstehende weniger offensichtlich sind. Die von operativer Seite als Durchbruch gefeierten orthotopen Ersatzblasen kommen nur bei weniger als der Hälfte der Patienten zum Einsatz, und 10 % dieser Patienten sind dann auch noch inkontinent. In der Praxis werden infolge dessen weiterhin landauf landab überwiegend Ableitungen nach außen gelegt, die als „nasses Stoma“ schwieriger zu pflegen sind als ein Anus praeter. Auch gibt es sekundäre sexuelle Probleme. Ferner ist die Zystektomie per se nicht gerade komplikationslos, und bei fortgeschrittenen Tumoren besteht ein hohes lokoregionales Rezidivrisiko. Gerade für dieses Kollektiv an der Grenze zwischen kurativer Intention und palliativer Therapie sollte deshalb ein organerhaltendes Konzept mit Radiochemotherapie als Option der ersten Wahl gelten.
Das besondere an den hier vorgestellten Erlanger Daten ist der zusätzliche Einsatz der Hyperthermie simultan zur voll dosierten RCT [
6]. Die Erlanger Kollegen sind auf diesem Gebiet international führend. Die hier berichteten Daten zum Blasenerhalt sind exorbitant gut und müssen als neuer Benchmark angesehen werden. Ich kenne keine besseren Daten.
Fazit
„Are we ignoring the evidence?“, fragte schon vor fast 20 Jahren die amerikanische Onkologin Mary Gospodarowicz. Die Antwort lautet leider auch heute noch: „Yes, we do.“ Das sollte uns allen ein Ansporn sein, für die uns anvertrauten Patienten das Beste zu erreichen.
Jürgen Dunst, Kiel
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