Erschienen in:
01.01.2015 | Leitthema
Krankheit vs. Störung
Medizinische und lebensweltliche Aspekte psychischen Leidens
verfasst von:
Prof. Dr. Dr. A. Heinz
Erschienen in:
Der Nervenarzt
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Ausgabe 1/2015
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Zusammenfassung
Ein Krankheitsbegriff sollte so gestaltet sein, dass er die von einer Erkrankung betroffenen Menschen schützt, ohne für Pathologisierung sozial missliebiger Verhaltensweisen verwendet werden zu können. Aus medizinischer Sicht liegt eine Erkrankung dann vor, wenn eine für das Leben und Überleben des Individuums relevante Störung einer Organfunktion besteht. Im Bereich der Psychiatrie und Psychotherapie handelt es sich hier um komplexe psychische Funktionen wie jene der Wachheit, Orientierung, der (im Falle der Ich-Störungen beeinträchtigten) Zurechenbarkeit eigener Intentionen und der affektiven Schwingungsfähigkeit. Im angloamerikanischen Raum wird dieser medizinische Krankheitsaspekt unter dem Begriff der „disease“ behandelt. Eine Person sollte jedoch nur dann als krank gelten, wenn sich aus dieser Organfunktionsstörung ein Schaden für die Person ergibt. Hierzu zählt das individuelle Leiden an der Störung der Funktionsfähigkeit („Kranksein“ bzw. „illness“) oder die Beeinträchtigung der für die soziale Teilhabe relevanten alltäglichen Fähigkeiten wie der Nahrungsaufnahme, persönlichen Hygiene etc. („sickness“). Über solche Erkrankungen im eigentlichen Sinn hinaus gibt es eine Vielzahl von Leidenszuständen, die objektiviert und klassifiziert werden können, ohne dass sie eine Beeinträchtigung lebenswichtiger Funktionsfähigkeiten beinhalten und die mit dem gebräuchlichen Begriff der „Störung“ belegt werden können.