Erschienen in:
01.05.2016 | Maligne Hyperthermie | Fehler und Gefahren
Pharmakogenetik in Anästhesie und Intensivmedizin
Klinische und juristische Herausforderung am Beispiel der Malignen Hyperthermie
verfasst von:
Prof. Dr. W. Klingler, Prof. Dr. E. Pfenninger
Erschienen in:
Die Anaesthesiologie
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Ausgabe 5/2016
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Zusammenfassung
Der Einsatz von Pharmaka ist ein wesentlicher Bestandteil der ärztlichen Tätigkeit in Anästhesie und Intensivmedizin. Das individuelle genetische Profil beeinflusst nicht nur die Wirkung von Pharmaka, sondern kann diese komplett verändern. Neue genetische Verfahren („next generation sequencing“) und zunehmendes Wissen über molekulare Stoffwechselwege decken pharmakogenetische Syndrome auf, die den seltenen Erkrankungen zugeordnet werden. Im Hinblick auf die hohe genetische Variabiltät beim Menschen und bei über 8000 bekannten seltenen Erkrankungen, kann man davon ausgehen, dass bis 20 % der Bevölkerung betroffen sind. In der Summe sind seltene Erkrankungen nicht selten.
Die meisten pharmakogenetischen Syndrome resultieren in einer Abschwächung oder einem Verlust der pharmakologischen Wirkung. Im Gegensatz dazu zeichnet sich die maligne Hyperthermie (MH) – als wichtigstes pharmakogenetisches Syndrom der Anästhesie – durch eine pharmakologisch induzierte Überaktivierung des skelettmuskulären Kalziumstoffwechsels aus. Volatile Anästhetika und Succinylcholin triggern lebensbedrohliche hypermetabole Krisen. Die Notfalltherapie basiert auf der Inhibition des Kalziumfreisetzungskanals des sarkoplasmatischen Retikulums durch Dantrolen. Im Anschluss muss eine Sicherungsaufklärung durchgeführt werden, in welcher auch auf den erblichen Charakter der MH eingegangen wird.
Der Patient sollte an ein spezielles MH-Zentrum verwiesen werden. Hier kann die MH-Prädisposition mit dem funktionellen In-vitro-Kontrakturtest an einer Muskelbiopsie diagnostiziert werden. In einer zusätzlichen molekulargenetischen Untersuchung kann sich eine Mutation in den Genen von skelettmuskulären kalziumregulierenden Proteinen (RyR1, CACNA1S) ergeben. Aktuell konnte ein Zusammenhang zur MH allerdings nur für 35 Mutationen von über 400 bekannten und vermutlich noch hunderten unbekannten genetischen Veränderungen nachgewiesen werden. Außerdem schließt ein fehlender Mutationsnachweis die Anlage zur MH nicht aus.
Für die anästhesiologische Patientensicherheit ist es unabdingbar, Risikopersonen zu identifizieren und die genetisch Verwandten zu warnen. Hierbei sind die gesetzlichen Vorgaben des Patientenrechtegesetzes sowie des Gendiagnostikgesetzes strikt einzuhalten. Unter Beachtung des Gentechnikgesetztes ergeben sich Besonderheiten bei versicherungs- und arbeitsrechtlichen Fragestellungen.