Hinführung zum Thema
International wird die Schwerverletztenversorgung meist als nichtkostentragend angesehen [
12,
21,
26,
27]. Die „Diagnosis-related-groups“(DRG)-Entlohnung erbrachte diesbezüglich Verbesserungen [
7,
9,
17,
29,
33], und Verluste wurden v. a. noch bei Schwerverletzten (z. B. mit Injury Severity Score [ISS] >15) beschrieben [
12]. Dies z. B. für Deutschland trotz in den letzten Jahren erfolgter DRG-Anpassungen [
12], andererseits wurden aber auch neu kostendeckende Verhältnisse, teilweise sogar Überfinanzierungen, nachgewiesen [
24]. Allerdings fehlen aktuell Daten für den gesamten Versorgungsauftrag eines Traumazentrums, d. h. auch unter Einbezug des Aufwands routinemäßiger Schockraum(SR)-Versorgung weniger schwer Verletzter [
25]. Aufgrund eigener Beobachtungen sowie neuerer Literaturhinweise, dass v. a. die SR-Behandlung defizitär sein könnte [
25,
34], unternahmen wir diese Studie.
Hintergrund und Fragestellung
Bereits in den 1980er-Jahren realisierten US-amerikanische Traumazentren zunehmende finanzielle Verluste infolge einer steigenden Zahl zu versorgender Schwerverletzter [
31]. Erste publizierte Kostenanalysen zeigten auch in Deutschland für die Behandlung des Polytraumas hohe wirtschaftliche Verluste der erstversorgenden Kliniken, weshalb Sonderentgelte gefordert wurden [
28]. Frühere Untersuchungen beschränkten sich mehrheitlich auf das Polytrauma bzw. Schwerverletzte (z. B. ISS >15) [
6,
17,
27‐
30,
32], die SR-Versorgung [
13], spezifische Verletzungsmuster wie Verbrennung [
26] und Schädel-Hirn-Trauma (SHT) [
34] oder das Trauma allgemein [
9,
23,
31].
Gewinne bzw. Verluste und damit der Kostendeckungsgrad einer Behandlung resultieren aus entsprechenden Kosten wie Erträgen pro Fall. Allerdings erfolgt v. a. im stationären Bereich eine Erfassung des je nach Spital und Gesundheitssystem stark variierenden Aufwands selbst in hochindustrialisierten Ländern routinemäßig allein mittels Kostendatenerhebung, wobei länder- und regionenspezifisch verschiedene Kostenträgersysteme seitens jeweiligem Krankenhaus-Controlling zur Anwendung kommen. Bzgl. der Ertragsseite benutzen inzwischen viele Länder ein pauschaliertes Entgeltsystem Typ DRG zur Abrechnung stationärer Patienten [
24,
29]. Historisch gesehen importierten z. B. Deutschland und Frankreich ihre DRG-Systeme zwischen 1995 und 2005 ursprünglich aus den USA [
23] und Australien [
4,
8], die Schweiz 2012 sodann aus Deutschland [
10]. Ungeachtet ihrer gemeinsamen Wurzeln wurden die jeweiligen DRG-Entgelte allerdings länderspezifischen Gegebenheiten angepasst, was die internationale Vergleichbarkeit wiederum erschwert.
Trotz verschiedener Arbeiten zur sachgerechten Vergütung spezifischer Verletzungsbehandlungen gerade auch im deutschsprachigen Raum konnten wir in der Literatur keine detaillierte Arbeit bzgl. der „Rentabilität“ des Versorgungsauftrages eines Traumazentrums nicht nur bzgl. alleiniger Schwerverletztenversorgung, sondern auch unter Einschluss routinemäßiger SR-Behandlung bzw. weniger schwer Verletzter finden.
Vor dem Hintergrund dieser fehlenden bzw. widersprüchlichen Angaben zur aktuellen Kostenertragslage typischer Traumazentrumversorgung führten wir diese prospektive Studie mit folgenden Hauptfragestellungen durch:
1.
Wie kostendeckend ist die notfallmäßige Versorgung bei Verdacht auf Schwerverletzung, d. h. im SR Behandelter bzw. signifikant Verletzter, eines mitteleuropäischen Zentrumspitals bzgl. aktueller (Swiss‑)DRG-Entgelte?
2.
Wie unterscheiden sich Kosten, Erlöse und Deckungsbeiträge je nach alltagsrelevanten Behandlungsgruppen?
3.
Inwieweit erklären Patienten‑, Unfall‑, Behandlungs‑, Kurzzeit-Outcome-Daten sowie der Versicherungsstatus resultierende Gewinne bzw. Verluste?
Diskussion
Diese erstmalige Kosten‑/Erlösanalyse prospektiv konsekutiv erfasster Patienten, welche in einem Schweizer Traumazentrum notfallmäßig bei V. a. Schwerverletzung bzw. aufgrund eines signifikanten Traumas behandelt worden waren, ergab drei Hauptresultate:
Erstens erwies sich die notfallmäßige Versorgung als „finanzielles Verlustgeschäft“. Letztlich deckten nur Zusatzversicherte sowie intensivmedizinische Komplexbehandlungs- bzw. PT- & SHT-DRG-Fälle die bilanzierten Spitalausgaben. Ein durchschnittlicher Verlust von 3493.- pro Patient bedeutete für das Krankenhaus ein Jahresdefizit von fast 1,8 Mio. CHF. Dies entspricht einem Deckungsgrad von 86 %, wobei 66 % der Fälle zu einem Verlust führten. Selbst wenn indirekte Kosten außen vor gelassen werden [
1,
5,
7,
21,
22,
27,
30], wird die initiale Schwerverletztenbehandlung in allen internationalen Angaben, auch unter Anwendung der DRG-Entgelte, als defizitär beschrieben [
26]. Erstaunlicherweise scheint die aktuelle Swiss-DRG-Entgeltung die Aufwände eines Schweizer Traumazentrums noch weniger zu decken, als dies für Deutschland der Fall ist [
12,
27] und sich, im Gegensatz zu Deutschland, über die letzten Jahre auch nicht verbessert zu haben [
14,
27]. Die Tatsache eines ähnlich hohen Defizits pro Schwerverletztem des Universitätsspital Zürich im Jahr 2014 [
27] spricht dafür, dass dies letztlich DRG-bedingt und nicht einer speziell hohen Kostenproblematik unseres Krankenhauses zuzuschreiben ist. Angesichts eines nur 3 % höheren Tarifs (CHF 300,- pro Case-Mix-Punkt) für speziell Unfallversicherte (ca. ein Drittel aller Verletzten) gegenüber den mehrheitlich obligatorisch krankenversicherten Verletzten fand sich diesbzgl. kein relevanter Einfluss auf den ermittelten Kostendeckungsgrad. Grundsätzlich erscheint im Sinne eines „best practice“-Ansatzes [
33] zukünftig eine Sollkostenkalkulation unter Einbezug validierter Qualitätsindikatoren [
19] bzw. möglichst Risiko-adaptierter Outcome-Erfassung [
2,
16,
18] notwendig.
Zweitens erbrachte die uni- und multivariate Detailanalyse unterschiedlich starke Korrelationen der analysierten Patienten‑, Unfall‑, Behandlungs- und Outcome-Daten mit den erhobenen Controlling-Angaben, bei zugleich sehr beschränkten Einflüssen auf die Krankenhausertragszahlen. Außer bei Zusatzversicherten gingen höhere Erlöse nicht grundsätzlich mit Gewinn oder niedrigeren Verlusten einher. So erklärten IPS-Aufenthalt oder SR-Versorgung zwar signifikant höhere DRG-Erlöse, letztlich aber eben auch signifikant höhere Gesamtverluste. Unter DRG-Aspekten besonders erstaunlich fanden wir die Tatsache, dass selbst „under-/inlier“ in 63 % der Fälle ein Defizit generierten.
Die Notwendigkeit einer detaillierten Analyse zeigt sich sehr gut am Beispiel der IPS-Behandlung schwerer Verletzter: Nur wenn diese zu einer Abrechnung des jeweiligen Falles über eine intensivmedizinische Komplexbehandlungs- oder Polytrauma & SHT-DRG führte, resultierte gesamthaft ein Gewinn. Wurde die IPS-Behandlung via einer anderen Haupt-DRG abgerechnet, ergaben sich signifikante Verluste für die Behandlung der jeweiligen Patientengruppen. Diese Beobachtung deckt sich mit neueren Angaben aus Deutschland [
12,
29], mit der resultierenden Forderung nach Zuordnung aller Schwerverletzten mit ISS >15 zu einer besser entgoltenen „Polytrauma-DRG“.
Die typischen, mit hohem Aufwand verbundenen, Traumazentrumaufgaben Primärversorgung, SR-, Schwerverletzten- oder IPS-Behandlung waren mehrheitlich defizitär. Neuere Publikationen bestätigen dies z. B. für die Untergruppe im SR betreuter Patienten mit leichtem SHT eines dt. Traumazentrums [
34], dies im Gegensatz zu anderen Bereichen, wo leitliniengerecht erbrachte Aufwände in der Zentrumsbehandlung des akuten Schlaganfalls oder akutgeriatrischer Betreuung gemäß DRG adäquat bezahlt werden und Gewinne erzielt werden können. Der in der initialen Notfallversorgung ähnlich hohe klinische Aufwand für den potenziell wie für den effektiv Schwerverletzten [
20], im Sinne einer „im Zweifel ‚over‘- statt ‚undertriage‘“ [
3] wird somit finanziell bestraft. Auch der Umstand, dass im Spital verstorbene Verletzte weniger Defizit generieren, erscheint paradox, wurde allerdings auch für ein dt. Traumazentrum nachgewiesen [
17].
Aufgrund der komplexen Zusammenhänge zahlreicher potenzieller Einflussfaktoren führten wir in dieser Thematik selten publizierte multivariate Analysen [
5,
7] durch. Während 43 % der Varianz der erhobener DRG-Erlöse erklärt werden konnten (mehr als bisher beschrieben [
5]), ließ sich der Kostendeckungsgrad nur zu 24 % mit den untersuchten Variablen erklären. Wird zudem der 13 % umfassende Anteil aufgrund des höheren Case-Mix-Index und zusatzversicherter Patienten abgezogen, bleiben gerade noch 11 %: Spezifisch neurochirurgische Behandlungsfälle sowie schwere Thoraxverletzungen erklärten dabei zu je 1–2 % eher Gewinn. Hingegen waren IPS-Aufenthalt (2 %) sowie v. a. der SR-Einsatz (5 %) mit mehr Verlust verbunden. Diese niedrigen Varianzen weisen auf unzureichend erklärbare ursächliche Faktoren hin. Es zeigt sich allerdings, dass v. a. weniger schwer Verletzte bzw. bei niedrigem Case-Mix-Index zu schlecht abgegolten werden, d. h. typischerweise eine SR-Behandlung, welche, „ex post“ gesehen, aufgrund der Verletzungsschwere bzw. des Gesamtzustands des Patienten nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Die beobachtete grundlegende bzw. systembedingte Unterdeckung ist sehr unbefriedigend und lässt die bisherige DRG-Konzeption anzweifeln. Bereits in den frühen 1990er-Jahren publizierten US-amerikanische Traumazentren klinisch relevante Entgeltverbesserungsvorschläge unter Einbezug von Komorbidität und Outcome der Patienten, angesichts der abschreckenden Unterbezahlung für derartige Notfallzentrumsleistung [
32]. Strausberg betont, dass im DRG-System die verursachungsgerechte Vergütung sichergestellt werden soll, im Sinne einer Kostenerstattung für diejenigen Krankenhäuser, welche sich im unauffälligen Mittelfeld der Kosten befinden [
33].
Drittens ergab sich bei nur 42 % der Zusatzversicherten gegenüber 71 % der Allg.-Versicherten ein Verlust, wobei bei Ersteren sogar ein Gewinn von CHF 1318 pro Patient resultierte (Deckungsgrad 104 %). Somit senkten die 18 % Zusatzversicherten das bei alleinigen DRG-Erträgen ansonsten generierte Spitaldefizit von über 2,3 Mio. CHF um sicher 500.000.-. Multivariat erklärte die Tatsache einer Zusatzversicherung zusätzliche 6 % zu den nur 18 %, mit welchen sich ansonsten die Höhe jeweiliger Spitalverluste bzw. allenfalls Gewinne durch die untersuchten Variablen, inklusive des Case-Mix-Index, beschreiben ließ. Vergleichbare Literaturdaten zur Zusatzhonorierung initialer SR- bzw. Schwerverletztenversorgung über die Grundversicherung hinaus lassen sich nicht finden; neue Arbeiten beschränken sich entweder auf reine DRG-Erlöse [
7,
13,
27,
29,
34] oder machen keine Angaben hierzu [
11]. Hinzu kommt die international schwierige Vergleichbarkeit der Entgeltsysteme. So benutzt das ursprünglich auf dem deutschen DRG-System basierende Schweizer System andere Prozedurenkataloge (D: OPS vs. CH: CHOP), und die Kostengewichte wurden aufgrund Schweizer Daten berechnet und sind daher nicht mit den deutschen Kostengewichten (CW) identisch [
10,
24]. Zudem müssen gemäß gesetzlicher Regelung im Schweizer DRG-System – im Gegensatz zu Deutschland – zukünftige Investitionen durch Einnahmen aus der Patientenversorgung gedeckt sein, und es dürfen offiziell keine Quersubventionen oder Defizitgarantien seitens z. B. der Kantone erfolgen [
10]. Umso mehr stellt sich die grundsätzliche Frage, inwieweit die unsererseits erstmals für ein Traumazentrum in der Schweiz nachgewiesene Querfinanzierung seitens Zusatzversicherter im Bereich notfallmäßiger Zentrumsversorgung meist öffentlicher Träger angebracht bzw. erlaubt ist.
Limitationen
Die Untersuchung war monozentrisch und auf ein Jahr begrenzt, mit entsprechend beschränkter Fallzahl, v. a. auch für Detailanalysen seltener Untergruppen. Die beschriebenen Angaben beruhen auf Controlling-Daten, welche z. B. keine Echterfassung personeller Arbeitsaufwände im SR etc. umfassen, womit die effektiven Verluste eher noch höher einzuschätzen sind [
17]. Bzgl. DRG-Erlösen gilt es, die länderspezifischen Versionen zu berücksichtigen, allerdings erlauben die Angaben gemäß schweizweit angewandtem REKOLE©-Verfahren zumindest zwischen Schweizer Spitälern vergleichbare Untersuchungen, welche allerdings bisher nicht durchgeführt wurden [
27,
34].
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