Die Sprache ist das Werkzeug des Psychotherapeuten. Therapeuten intervenieren primär verbal, und der sprachliche Austausch, d. h. die verbalen Äußerungen, machen einen bedeutsamen Teil der Aktivitäten und Geschehnisse in den Sitzungen aus. Es liegt daher nahe, besonderes Augenmerk auf die Sprache, auf den verbalen Dialog zwischen Patient und Therapeut zu richten und zu erforschen, wie verbale Techniken und sprachliche Merkmale der Interaktion zum therapeutischen Fortschritt beitragen.
Ergebnisse
Sitzungsausschnitt aus Perspektive der psychodynamischen Theorie
Zu Beginn der Sitzungssequenz formuliert P einen Übertragungsaspekt. Er vergleicht die therapeutische Beziehung mit der Beziehung zum Vater, in der er sich hilflos und ohnmächtig fühlte. Ein Teil der Übertragung ist somit bewusstseinsfähig geworden (P1). Anschließend konkretisiert T die Übertragungssituation: Sie fragt direkt nach, ob P sie als willkürlich und sadistisch wie den Vater erlebe (T2). Der P bestätigt dies (P3), relativiert es aber kurz darauf und betont einen Aspekt der Realbeziehung – so massiv sei es nicht (P4). Damit nimmt er gleichzeitig auch ein Stück Spannung aus der Übertragungsbeziehung. Interessant ist, dass P kurz darauf auch die Mutter zum Thema macht und sie durch den Begriff „verdünnt“ der T noch stärker gleichsetzt als den Vater. Diese Mutterübertragung scheint dem P weniger bewusst zu sein. Sie wird auch von T nicht aufgegriffen. Die T stellt sich empathisch an die Seite des P und interveniert supportiv (T5).
Mikroanalyse Fokus Therapeutenäußerungen – Psychodynamische Interventionsliste
Es werden nur jene PIL-Kategorien berichtet, die beim Rating mit mindestens 1 („in geringem Ausmaß vorhanden“) bewertet wurden. Der Mittelwert aus zwei unabhängigen Ratings je Kategorie wird in Klammern angegeben.
T1: wurde geratet als formale Kategorie „Bedeutung hinzufügen“ (5). Die Kategorie ist definiert als „T gibt den vom P beschriebenen Inhalten eine neue Bedeutung, stellt sie in einen bisher nichtformulierten Zusammenhang oder fügt sie in einen neuen Kontext ein.“ Die Aussage nimmt thematisch Bezug auf den „Vater“ als Primärobjekt (5). Primärobjekte sind definiert als Objekte (Personen), die die Persönlichkeitsstruktur in der Kindheit oder Jugend geprägt haben. Sie werden auch kodiert, wenn es um diese Objekte in der Gegenwart geht. Zeitlich bezieht sich die Intervention auf die „Vergangenheit“ des P (zeitlicher Bezug, (5), definiert als Kindheit oder Jugend des P).
T2: wurde drei formalen Kategorien zugeordnet: „Bedeutung hinzufügen“ (4,5), „Wiederholen, Umschreiben, Zusammenfassen“ (4,5; Definition „Inhalte zuvor formulierter Äußerungen des P werden wiederholt, umschrieben, paraphrasiert, differenzierend zusammengefasst oder auf den Punkt gebracht.“). In gewissem Ausmaß wurden auch die Kategorien „Ins Hier und Jetzt der therapeutischen Beziehung holen“ (1,5; Definition: „T verbindet die Patientenaussagen direkt mit der therapeutischen Beziehung“) sowie „parallele Andere wie Eltern“ (4,5) als zutreffend beurteilt (Definition: Zusammenhang zwischen einer Wahrnehmung des Verhaltens eines oder mehrerer Aktualobjekte, z. B. Partner, Therapeut, und dem Erleben einer primären Bezugsperson, z. B. Mutter). Allerdings hat der P in seiner Äußerung davor diese Parallele primär selbst hergestellt und das Thema ins Hier und Jetzt der therapeutischen Beziehung geholt. Thematischer Bezug: „Vater“ als Primärobjekt (5) und „Therapeutin“ (5). Zeitlicher Bezug: „Realität“ (5) und „Vergangenheit“ (4,5).
T3: wurde der formalen Kategorie „Explorieren“ (5) zugeordnet (definiert als „Einholen neuer Informationen, mit oder ohne direkte Frage“). Thematischer Bezug: Primärobjekt „Vater“ (4) und „Therapeutin“ (5). Zeitlicher Bezug: „Realität“ (5) und „Vergangenheit“ (4).
T4: wurde der formalen Kategorie „Wiederholen, Umschreiben, Zusammenfassen“ (5) zugeordnet. Thematischer Bezug: Primärobjekt „Vater“ (4) und „Therapeutin“ (5). Zeitlicher Bezug: „Realität“ (5) und „Vergangenheit“ (4).
T5: wurde der formalen Kategorie „emotionale Anteilnahme“ (5) zugeordnet (Definition: verbal formulierte Reaktion auf Ps Äußerungen [Mitgefühl, Trost, emotionale Anteilnahme am Erleben des P]). Thematischer Bezug: „Vater“, „Mutter“ und „anderes Primärobjekt“ (je 5). Zeitlicher Bezug: „Vergangenheit“ (5).
Prozentuales Gewicht der in diesem Sitzungsausschnitt verwendeten Kategorien:
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Formale Kategorien: „Bedeutung hinzufügen“ 24,7; „Wiederholen, Umschreiben, Zusammenfassen“ 23,5; „Explorieren“ 12,4; emotionale Anteilnahme 12,4; „parallele Andere wie Eltern“ 11,1; „ins Hier und Jetzt der therapeutischen Beziehung holen“ 3,7,
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thematischer Bezug: „Vater“ 47,9; „Therapeutin“ 31,2; „Mutter“ 10,4; „anderes Primärobjekt“ 10,4,
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zeitlicher Bezug: „Vergangenheit“ 60,0; „Realität“ 40,0.
Mikroanalyse Fokus Dialog – Konversationsanalyse
Der P vergleicht die aktuelle Therapiesituation mit früheren Interaktionserfahrungen, die ihm unlösbare Interaktionszwänge auferlegt hatten: Er bekommt Aufgaben vom Vater so gestellt, dass sie nicht bearbeitbar sind. Dies wird als unausweichlich bezeichnet und
sprachlich-formulatorisch hochgestuft, u. a. durch den dreimaligen Gebrauch des Unveränderbarkeit signalisierenden Ausdrucks „sowieso“ (P1). Die faktizistische Darstellung Ps zum Handeln des Vaters wird von T dann – im indikativischen, also Behauptungsmodus – auf die Ebene des intentionalen Handelns („absichtlich“) gehoben (T1). Ein solcher
Ebenenwechsel ist typisch für Therapiegespräche, da P oft auf der Ebene faktischer Beschreibungen bleiben, T dagegen auf die Erlebensebene fokussieren, subjektive Aspekte hervorheben, fokussieren oder in Beziehung setzen (qua „highlighting, rephrasing, relocating activities“). Reformulierungen dieser Art gehören zu den häufigsten therapeutischen Aktivitäten (Weiste und Peräkylä
2015).
Der Ebenenwechsel im Gesprächsausschnitt kann P aber auch entlasten: Diese Situationen seien durch Böswilligkeit des Vaters und nicht durch eigenes Unvermögen entstanden. Der P bestätigt dies, schwächt jedoch den Vorwurf durch den Gebrauch des Konjunktivs ab. Anschließend charakterisiert er die Therapiesituation als direkt vergleichbar. Die beschriebenen Situationskonstellationen in Vergangenheit und Gegenwart sollen damit intersubjektiv als Voraussetzung weiteren (Be‑)Handelns gelten.
Mit der nächsten Intervention (T2) pointiert T verschiedene Charakterisierungen ins Extreme: „willkürlich … sadistisch … ausweglos … mit Absicht“. Solche „extreme case formulations“ (Pomerantz
1986) dienen dazu, eine vertiefte, ggf. auch zurückweisende Auseinandersetzung anzustoßen. Hier im Fallbeispiel weist P das Angebot allerdings nicht zurück. Er bestätigt die Charakterisierungen dezidiert und eindeutig mit „durchaus ja“ (P3).
Die T fragt daraufhin nach Beispielen aus dem bisherigen Therapieprozess (T3). Eine solche
Beispielnachfrage soll stets Situationsbeschreibungen anregen, in denen viele Aspekte der Wahrnehmung, Bewertung und des Verhaltens Ps sichtbar werden (Spranz-Fogasy et al.
2020). Der P antwortet hier aber zunächst eher ausweichend und allgemein, dennoch qua „massiv unter Druck“ formulatorisch pointiert, was er gleich darauf relativiert, diese Rücknahme aber selbst wiederum relativiert (P4). Der P beschreibt demnach auch die Therapiesituation als stark Druck ausübend. Die T reformuliert dies als „verdünnt“ (T4), damit aber immer noch als markantes inneres Erleben Ps.
Auf dieser Grundlage präsentiert P dann ein komplexes Familienbild mit absteigend starker Zuschreibung gegen ihn gerichteten Handelns: Vater – Mutter – Oma und der sich aus dieser Konstellation ergebenden kompletten Unsicherheit anderen Menschen gegenüber (P5). Auffällig sind dabei der Fokuswechsel auf die Mutter und die Oma sowie die Übernahme der verbalen Zuschreibung von „verdünnt“, hier v. a. an die Mutter als Täterin. Den Ausdruck „verdünnt“ hatte T vorher der Therapiesituation bzw. sich selbst zugeordnet (T4). Die T kommentiert diese Beschreibung mit dem Ausdruck „schlimm“ und stellt sich damit als mitfühlend und unterstützend dar (T5).
Diskussion
Sprache ist das zentrale Agens in Psychotherapien. Mit ihr werden psychische Probleme in den psychischen Binnenraum überführt, integriert und behandelbar gemacht.
Zur Untersuchung der Sprache von Therapeuten stehen unterschiedliche qualitative Verfahren (Voutilainen und Peräkylä
2014) sowie eine Reihe von beobachterbasierten und computerautomatisierten Messinstrumenten zur Verfügung (Steinert et al.
2022; Kadur et al.
2020; Gumz et al.
2015). Ziel des vorliegenden Beitrags war, eine quantitative und eine qualitative Methode exemplarisch vorzustellen.
Die analysierte Sitzungssequenz zeigt die interaktionale Kokonstruktion einer komplexen konkreten Erkenntnis. Thematisch geht es um die Ausdeutung der Therapiesituation als vergleichbar mit früheren Erfahrungen des Patienten. Die Therapeutin zergliedert die Real- und Übertragungssituation(en). Der Patient überträgt in dieser und anderen Sitzungen sowohl Aspekte der Beziehung zum Vater als auch der Beziehung zur Mutter. Er erlebt die Therapeutin ähnlich unberechenbar, willkürlich und sadistisch. Er erwartet weder Schutz noch emotionale Zuwendung, sondern fühlt sich verfolgt und ohnmächtig ausgeliefert – stets in Erwartung, vorgeführt und gedemütigt zu werden. Die Therapeutin verständigt sich gemeinsam mit dem Patienten aus einer abstrakten Beobachterperspektive heraus darüber, inwieweit die gemeinsam konstruierte aktuelle Beziehung durch Beziehungserfahrungen mit den Eltern des Patienten geprägt wird. In der analysierten Sitzungssequenz und im weiteren Verlauf der Sitzung (Gumz et al.
2008; Gumz und Storck
2018) gelingt es der Therapeutin und dem Patienten sukzessive, die Erlebens- und Verhaltensmuster des Patienten zu reflektieren: in Bezug auf die Vergangenheit, die therapeutische Situation und die aktuelle „Außenwelt“ des Patienten. Begleitend wird der Patient von schuldhafter Mitverantwortung und eigenem Versagen entlastet, und es werden machbare Lösungsschritte formuliert („Vielleicht wäre es ja der erste Schritt zu sagen, jetzt komme ich hier wieder unter Druck. Damit wir dann gemeinsam prüfen, was da passiert“ [im späteren Sitzungsverlauf, hier nicht abgebildet]).
Der Sitzungsausschnitt zeichnet sich durch lenkende Aktivitäten der Therapeutin aus, auf die der Patient aber stets sehr kooperativ und reflektiert reagiert. Das Thema wird Schritt für Schritt in seiner Breite und Tiefe ausgeleuchtet. Der Patient wird immer wieder an Punkte geführt, die er explizit bestätigen kann, wodurch die Ergebnisse der Aushandlung jeweils in den intersubjektiven Wissensbestand eingebaut werden können („ich würde ihm hier Absicht vorwerfen“, „durchaus ja“, bis hin zu einem abschließenden emphatischen „so isses!“ [im späteren Sitzungsverlauf, hier nicht abgebildet; Gumz et al.
2008; Gumz und Storck
2018]).
Formulatorisch finden sich viele Wiederaufnahmen und Übernahmen von Ausdrücken („Druck“, „hier/jetzt“, „Rechenschaft ablegen“, „verdünnt“ etc.), was zeigt, dass die Beteiligten nahe am Thema, am Hier und Jetzt der Therapiesituation, an ihren eigenen Aussagen und denen des Gesprächspartners bzw. der -partnerin bleiben.
Durch die gesprächsanalytische Mikroanalyse wird deutlich, wie die Beteiligten in ständiger wechselseitiger, sequenziell organisierter Abstimmung den Kern eines traumatischen Geschehens und seinen Einfluss auf das Erleben und Verhalten des Patienten in seiner Lebenswelt und in der Therapiesituation herausschälen. Dies bildet die Grundlage für Veränderung, die die zentrale Rationale therapeutischen Handelns ist (Weiste und Peräkylä
2015).
Die linguistische Gesprächsanalyse ist ein wertvoller Ansatz, Veränderungsprozesse im Gesprächsprozess zu identifizieren und therapeutisch nutzbar zu machen. Die Gesprächssequenzen werden Schritt-für-Schritt im Detail beobachtet. Anhand des sprachlichen Austauschs wird sichtbar, wie sich die Interaktion entfaltet und sich Inhalte, Emotionen und Beziehungen verändern. Intersubjektivität zeigt sich darin, dass die Gesprächspartner die Äußerungen des/der Anderen bestätigen, wiederaufnehmen oder bestimmte Ausdrücke übernehmen. Therapeut und Patient versichern sich damit gegenseitig, dass sie sich richtig verstanden haben und von einer gemeinsamer Wissensbasis ausgehen, die Grundlage weiterer Schritte sein kann. Auf der sprachlichen Oberfläche wird auch sichtbar, ob Patienten „mitgehen“ oder ob sie unsicher sind, sich verweigern, widersprechen oder Äußerungen der Therapeutin nicht beachten. Es kann somit sehr aufschlussreich sein, wenn Psychotherapeuten die eigene Sprache und den Dialog im Therapieprozess genau beobachten. Dies kann ermöglichen, das eigene Vorgehen bereits auf der Mikroebene des sprachlichen Austauschs anzupassen.
Die Mikroanalyse mithilfe der PIL zeigt, dass in diesem Sitzungsausschnitt überwiegend und in etwa gleichwertigem Ausmaß die verbalen Techniken „Bedeutung hinzufügen“ und „Wiederholen, Umschreiben, Zusammenfassen“ angewandt werden. Thematisch wird am stärksten auf den „Vater“ Bezug genommen, gefolgt von der „Therapeutin“. Der zeitliche Bezug liegt schwerpunktmäßig in der „Vergangenheit“. Die mithilfe der PIL vorgenommene Zuordnung zu vorgegebenen Kategorien von Techniken reduziert Information, die im Dialog und in den theoretischen Konzepten enthalten ist, zum Zwecke der Operationalisierung. Dies ermöglicht, Psychotherapieprozessforschungen durchzuführen. Die Wechselwirkungen zwischen verbalen Techniken, Therapeuten‑, Patientenfaktoren und Therapieergebnis genauer zu verstehen, ist ein klinisch äußerst relevantes Forschungsanliegen. Hierzu gehört der Zusammenhang verwendeter verbaler Techniken mit dem Therapieergebnis, der Sitzungsqualität (Mikro-Outcome, z. B. therapeutische Allianz oder andere in der Sitzung verwirklichte allgemeine Wirkfaktoren) oder anderen relevanten Prozessvariablen. In diesem Kontext ist auch von hohem Interesse, zu welchem Ausmaß therapeutische Veränderung im Zusammenhang steht, mit verbalen Techniken, die nicht intendiert oder nicht theoretisch relevant sind, oder inwieweit sich unterschiedliche therapeutische Methoden im Hinblick auf die in der Praxis verwendeten Techniken unterscheiden (Gumz et al.
2015). Neben dem Einsatz in der Psychotherapieforschung bietet die PIL eine empirisch fundierte Systematik verfügbarer Interventionstypen, die konkret handwerkliches Wissen enthält. Dies ist von Nutzen für die psychotherapeutische Ausbildung.
Die Sprache ist das Werkzeug des Psychotherapeuten, und der sprachliche Dialog zwischen Patient/-in und Therapeut/-in ist in Psychotherapien zentral. Die empirische Befundlage zu dem, was auf sprachlicher Ebene im Therapieprozess geschieht, und zum Zusammenhang von Sprache mit dem Therapieergebnis oder anderen Prozessvariablen ist insgesamt noch schwach. Die bislang vorliegenden Studien sind interessant und vielversprechend. Sie zeigen, dass die Art, wie Therapeuten sprechen, wichtige klinische Erkenntnisse enthält sowie die Therapiebeziehung und das Therapieergebnis beeinflusst. Weiterführende Forschungen an der interdisziplinären Schnittstelle von Psychotherapie und Linguistik sind wünschenswert.
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