Kommentar
Das ist eine exzellente Arbeit aus der Arbeitsgruppe von Jean Pierre Gerard, einem DEGRO-Ehrenmitglied, und auch wenn die etwas ungewöhnliche Technik einer schnellen Verbreitung dieses Therapiekonzepts entgegensteht, zeigt die Studie nach unserer Auffassung, in welche Richtung sich die Therapie des Rektumkarzinoms weiterentwickeln kann. Folgende Aspekte sollte man in der Diskussion berücksichtigen:
1.
Es gibt Hinweise dafür, dass die Remissionsrate nach neoadjuvanter Radiochemotherapie mit zunehmender Strahlendosis steigt [
1]. Die Datenlage in randomisierten Studien ist aber unklar [
2]. Diese Studie ist erstmals ein klarer und eindrucksvoller Beweis, dass mit sehr viel höheren Dosen auch sehr viel höhere Remissionsraten erreicht werden können.
2.
Die intrakavitäre Kontakttherapie des Rektumkarzinoms wurde in den 1970er-Jahren in Frankreich von Papillon, einem der renommiertesten Radioonkologen seiner Zeit, entwickelt und damals vor allem als alleinige Therapie bei kleinen Rektumkarzinomen zum Organerhalt eingesetzt [
8]. Das Therapieprinzip hat sich aber nie auf breiter Basis etabliert. Das hier verwendete Gerät ist ähnlich, und die Applikation erfolgt über ein peranal eingeführtes Rohr. Geräte dieser Art sind nur an wenigen Standorten verfügbar. Ob diese Technik, wie von ihren Protagonisten behauptet, eine Renaissance erleben wird, darf man kritisch hinterfragen [
6,
7].
3.
Unabhängig von der Technik kann man aber feststellen, dass in dieser Studie exzellente Ergebnisse hinsichtlich lokaler Tumorfreiheit und Organerhalt erreicht wurden. Daraus ein Alleinstellungsmerkmal für die intrakavitäre Boosttechnik abzuleiten, ist sicher nicht gerechtfertigt, denn der Erfolg ist durch die hohe Dosis zu erklären. Die verabreichten drei Fraktionen mit jeweils 30 Gy Oberflächendosis kann man getrost als ablative Strahlentherapie bezeichnen.
4.
Die wichtigste daraus resultierende Frage ist daher, ob man mit modernen Techniken einen ähnlichen strahlenbiologischen Effekt erreichen kann. Diese etwas archaisch anmutende Technik hat aus unserer Sicht einige Nachteile. Durch den starren, peranal eingeführten Applikator sind nicht alle Lokalisationen gut zu erreichen. Eine 3‑D-Dosisberechnung ist nicht möglich. Wegen des steilen Dosisabfalls ist eine sehr inhomogene Dosis im Tumor anzunehmen, und das gilt sicher auch für das gesunde Gewebe außerhalb des Tumors. Bei kleinen Tumoren (hier bis 3 cm) kann man grob schätzen, dass in einem kugeligen oder ellipsoid konfigurierten Tumorvolumen mediane Dosen von 10 Gy pro Fraktionen erreicht werden. Dass ein solcher Boost (3 × 10 Gy) gut wirkt, verwundert nicht. Bei flachen Tumoren sind hohe Dosen in der Rektumschleimhaut unvermeidbar; das erklärt die hohe Rate an Teleangiektasien. Sehr positiv fällt aber auf, dass keine Spätkomplikationen in Form von Fisteln oder Perforationen beobachtet wurden. Wenn man alle diese Aspekte bewertet, sollte es aber möglich sein, im Zeitalter der bildgeführten adaptiven Strahlentherapie gleichwertige oder bessere Dosisverteilungen zu erreichen.
Fazit
Eine radikale Dosiseskalation bringt eindeutige Vorteile bezüglich Tumorkontrolle und Organerhalt. Die Optimierung dieses Konzepts ist eine spannende und wichtige Herausforderung.
Emilie von Wieding, Jürgen Dunst, Kiel
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