Menschen, die nach einer Corona-Infektion unter Long-COVID leiden, sind im Schnitt 105 Tage krankgeschrieben, wie aus einer aktuellen Auswertung für die Techniker Krankenkasse hervorgeht.
Zu Long-COVID gibt es bis dato noch viele ungeklärte Fragen – die Techniker Krankenkasse (TK) hat nun erste Zahlen zu den Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung vorgelegt.
Laut einer am Mittwoch vorgestellten Untersuchung im Auftrag der Kasse waren Männer und Frauen, die im Jahr 2020 nachweislich an COVID-19 erkrankten und im Anschluss Symptome von Long-COVID entwickelten, im Folgejahr 2021 mehr als 100 Tage krankgeschrieben. Zum Vergleich: Im Schnitt fallen bei Beschäftigten im Jahr rund 15 Fehltage an.
Aufbereitet wurden die Versichertendaten vom Göttinger aQua-Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen.
Schon Long-COVID-Betroffene mit nur leichtem Krankheitsverlauf waren demnach im Jahr 2021 im Schnitt 90 Tage AU gemeldet. Long-COVID-Betroffene, die wegen einer SARS-CoV-2-Infektion mehr als sieben Tage im Krankenhaus verbrachten, waren im darauffolgenden Jahr im Schnitt 168 Tage krankgeschrieben. Bei Menschen, die auf Intensivstation beatmet werden mussten, waren es sogar durchschnittlich 190 Tage. Über alle Krankheitsstufen hinweg lag der Schnitt laut TK-Report bei 105 Tagen.
TK-Chef Baas: Gehen von hoher Dunkelziffer aus
Insgesamt hätten rund ein Prozent der Patienten mit Corona Symptome von Long-COVID entwickelt, ist der Studie zu entnehmen. Ärzte beschreiben diese als vielfältig. Diese reichen von eingeschränkter Belastbarkeit und starker Müdigkeit über Atemnot und Kopfschmerzen bis hin zu Muskel- und Gliederschmerzen.
„Die Analyse zeigt: Wer von Long-COVID betroffen ist, hat lange mit dieser Krankheit zu tun“, kommentierte TK-Chef Dr. Jens Baas die Zahlen. Unbestritten sei, dass Long-COVID für die Betroffenen gravierende Folgen habe. Umstritten sei dagegen, wie stark die Belastung durch Long-COVID für das Gesundheitssystem sei.
Mit einem Anteil von knapp einem Prozent erscheine die Zahl der Long-COVID-Betroffenen „relativ gering“, so Baas. „Aber das sind nur die Patientinnen und Patienten, die mit der konkreten Diagnose Long-COVID krankgeschrieben worden sind.“ Die Kasse gehe von einer etwa vier Mal höheren Zahl an Betroffenen aus.
Kritik an schlechter Datenqualität
Als weiteres Problem stufte der TK-Chef die „schlechte Datenqualität“ ein. „Für den Report konnten wir bisher nur die Corona-Patientinnen und Patienten des Jahres 2020 in unsere Analyse einbeziehen.“ Grund dafür sei, dass die Abrechnungsdaten niedergelassener Ärzte die Kassen erst acht bis neun Monate nach dem Praxisbesuch der Patienten erreichten.
Dieser Zustand sei auch dem „politischen Trauerspiel“ im Bereich der Digitalisierung geschuldet. Schlügen Versorgungsdaten erst mit derart großer zeitlicher Verspätung auf, brauche man sich in Deutschland auch künftig über vernünftige Versorgungssteuerung keine Gedanken machen. „Long-COVID zeigt eindringlich, wie wichtig es ist, dass dieses Problem jetzt schnell gelöst wird“, betonte Baas.
Ein Lösungsansatz liege in der elektronischen Patientenakte (ePA). „Doch die ePA nützt uns aktuell nichts, obwohl sie hilfreich sein könnte“, spielte der TK-Chef auf das unvollendete Digitalprojekt an. Baas forderte größere Forschungsanstrengungen zu Long-COVID. Die Studienlage sei derzeit „generell noch relativ überschaubar“. Die Krankheit gebe noch „viele Rätsel“ auf.
Hausarzt sollte erster Ansprechpartner sein
„Long-COVID kann das Leben der Betroffenen massiv einschränken“, berichtete der Berliner Lungenfacharzt Dr. Christian Gogoll, der Mitverfasser der medizinischen Leitlinien zu Long-COVID ist und selbst von der Krankheit betroffen ist: „Atemnot, Erschöpfung, Nervenschmerzen, schon die kleinste Tätigkeit führt im Alltag zur Belastung“, schilderte Gogoll seine Leidenstour.
Für Betroffene sei es wichtig, sich möglichst frühzeitig Hilfe zu holen. „Long-COVID ist eine Krankheit mit vielen Gesichtern.“ Daher gibt es auch nicht „die eine richtige Behandlungsmethode“.
Grundsätzlich sei der Hausarzt erster und bester Ansprechpartner, so Gogoll. Er koordiniere die Behandlung und leite – wenn nötig – die Patienten gezielt an Facharztpraxen zum Beispiel im Bereich Neurologie oder Lungenheilkunde oder auch an spezielle Long-COVID-Ambulanzen weiter. In Ballungszentren sei das in der Regel eher unproblematisch, so der Internist. Im ländlichen Raum seien die Patienten dagegen sehr wahrscheinlich „aufgeschmissen“.
Auch Gogoll forderte, die Forschung zum Thema Long-COVID zu intensivieren. Viele Studienvorhaben stünden lediglich „in den Startlöchern“.
Quelle: Ärzte Zeitung