Alle chronisch kranke Patienten sind Risikokandidaten für schwere COVID-19-Verläufe? In dieser Pauschalität beträfe das das halbe Land. Die Pneumologen haben jetzt für ihr Fachgebiet eine individualisierte Risikoeinschätzung vorgelegt – und geben noch andere hilfreiche Tipps.
Rund acht Millionen Menschen in Deutschland haben Asthma, weitere 6,8 Millionen eine COPD. Wie sollten diese Menschen sich in der Coronavirus-Pandemie verhalten? Die Frage ist nicht neu, aber je mehr Daten international vorliegen, umso besser lässt sie sich beantworten.
Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologe tut genau das gemeinsam mit dem Berufsverband der Pneumologen jetzt in einer sehr praxisnahen Aktualisierung ihrer erstmals im April vorgelegten Stellungnahme zur SARS-CoV-2-Risikoabschätzung bei Vorerkrankungen.
Kein erhöhtes Risiko bei Asthma
Professor Marek Lommatzsch, Pneumologe am Universitätsklinikum Rostock, ging bei einer Online-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin sehr detailliert auf Asthma bronchiale ein: „Nach jetzt sieben Monaten können wir klar sagen, dass Patienten mit Asthma kein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf haben.“
Dies sei auch deswegen wichtig zu betonen, weil im Statement des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zu FFP2-Masken nicht deutlich zwischen unterschiedlichen chronischen Lungenerkrankungen differenziert werde.
Asthma bronchiale allein sei kein Grund, einen Schüler nicht in die Schule zu schicken oder eine Lehrerin oder einen Krankenpfleger dauerhaft krankzuschreiben, so der Pneumologe. Ein erhöhtes Risiko gebe es erst, wenn weitere Risikofaktoren hinzukämen, etwa hohes Alter, eine chronische Herzerkrankung oder starkes Übergewicht.
Warum das so ist, dazu gibt es bisher nur Hypothesen. Eine lautet, dass Asthma-Patienten weniger jener Rezeptoren exprimieren, die das SARS-CoV-2-Virus nutzt, um ins Bronchialepithel einzudringen.
Mäßig erhöhtes Risiko bei COPD
Klar anders sehe die Situation bei der COPD aus: „Hier verdichtet sich die Datenlage dahingehend, dass die COPD an sich mit einem mäßig erhöhten Risiko für schwere Verläufe einhergeht“, so Lommatzsch. Auch diese Patienten könnten aber durchaus arbeiten. Der Pneumologe regte an, in Risikoumgebungen wie etwa Schulen oder Krankenhäusern über eine risikominimierende Verlagerung der Tätigkeit nachzudenken.
Wird die COPD von Komorbiditäten flankiert, dann ist das Risiko für schwere COVID-19-Verläufe in jedem Fall deutlich erhöht. Das betreffe vor allem jene rund 50 Prozent der COPD-Patienten, die eine relevante kardiovaskuläre Erkrankung aufwiesen.
Neben der COPD geht die Stellungnahme auch auf andere chronische Lungenerkrankungen ein. Sarkoidose-Patienten etwa hätten ohne Begleiterkrankungen ebenfalls kein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf, sagte Professor Torsten Bauer vom Helios Klinikum Emil von Behring in Berlin, zumindest sofern die Lunge nicht sehr schwer geschädigt sei.
Lungenfibrosen hingegen seien wegen der verringerten respiratorischen Reservekapazitäten problematisch. „Bei diesen Patienten ist der Selbstschutz besonders wichtig“, so Bauer. Keine definitiven Aussagen erlauben die Daten derzeit für CPAP-therapierte Patienten mit Schlafapnoesyndrom ohne kardiovaskuläre Begleiterkrankungen.
Medikamente nicht absetzen!
Generell sollten Lungenkranke sich in der COVID-19-Pandemie nicht zuhause kasernieren, betonten die Experten. Immobilität sei ein wichtiger Risikofaktor für eine Verschlechterung chronischer Lungenerkrankungen, deswegen sei regelmäßige körperliche Bewegung an der frischen Luft unbedingt zu empfehlen.
Lungenmedikamente sollten grundsätzlich nicht und vor allem nicht im Alleingang abgesetzt werden. Dies gelte insbesondere für inhalative Steroide bei Asthma, die unbedingt fortgeführt werden sollten, so Lommatzsch. Den wenigen Asthma-Patienten, die noch orale Steroide einnehmen, empfiehlt der Pneumologe den Besuch eines Zentrums mit der Frage „Umstellung der Therapie“. Denn orale Steroide erhöhen das Risiko schwerer COVID-19-Verläufe.
Generell äußerten sich die Lungenspezialisten zuversichtlich, dass Deutschland relativ glimpflich durch den Corona-Winter kommen werde, auch weil andere Atemwegsinfektionen durch die Abstandsmaßnahmen voraussichtlich deutlich reduziert würden.
Quelle: Ärzte Zeitung