Einleitung
Die Fettsäureoxidationsstörungen stellen eine heterogene Gruppe von seltenen, autosomal-rezessiv vererbten, monogenetischen Erkrankungen des Energiestoffwechsels dar. Durch Mutationen der verschiedenen, für die β-Oxidation notwendigen
Enzyme wird die Energiegewinnung aus
Fettsäuren deutlich eingeschränkt. Relevant wird dies im Rahmen einer katabolen Stoffwechsellage, beispielsweise während interkurrenter Erkrankungen oder perioperativer Fastenepisoden, da in diesen Phasen nach Aufbrauchen der Glykogenspeicher in Leber und Muskulatur, die Energiegewinnung durch Verbrennung von Fettsäuren essenziell ist. Dies kann in Abhängigkeit der zugrunde liegenden Erkrankung zu lebensbedrohlicher hypoketotischer
Hypoglykämie mit Enzephalopathie, Myopathie mit Rhabdomyolyse, Hepatomegalie oder
Kardiomyopathie mit maligner Herzrhythmusstörung führen.
Die meisten der potenziell schwer verlaufenden Formen wie der VLCAD-, LCHAD- oder mTFP-Mangel werden, wenn sie nicht durch das erweiterte
Neugeborenenscreening direkt nach der Geburt erkannt werden, bereits in der Kindheit symptomatisch und dann diagnostiziert. Dennoch gibt es auch leichtere Verlaufsformen, die aufgrund von myopathischen
Schmerzen oder erhöhten CK-Werten erst im Erwachsenenalter diagnostiziert werden.
Durch die deutschlandweite Etablierung des erweiterten
Neugeborenenscreenings im Jahr 2005 werden zahlreiche Fettsäureoxidationsstörungen bereits im Neugeborenenalter diagnostiziert und eine entsprechende Therapie kann vor einer ersten Stoffwechselentgleisung eingeleitet werden. Durch die frühzeitige diätetische Therapie, Reduktion von Stoffwechselentgleisungen und das Monitoring auf Komplikationen erreichen mehr Patienten das Erwachsenenalter. Es ist mit einer relevanten Zunahme der Patientenzahl im Bereich der Inneren Medizin in den nächsten Jahren zu rechnen. Hierdurch wird das Themengebiet der Fettsäureoxidationsstörungen zukünftig für die Innere Medizin deutlich an Relevanz zunehmen.
Hintergrund und Pathobiochemie
Durch die in den Mitochondrien stattfindende und von Franz Knoop 1904 erstbeschriebene β-Oxidation werden langkettige
Fettsäuren zu Acetyl-CoA sowie zusätzlich bei ungeradzahligen Fettsäuren zu Propionyl-CoA abgebaut. In einem weiteren Schritt folgt dann die Zuführung in den Citratzyklus zur weiteren Oxidation und Energiegewinnung oder die Bildung von
Ketonkörpern. Während einer katabolen Stoffwechsellage im Rahmen von interkurrenten Erkrankungen oder Fastenperioden, kann so durch die β-Oxidation ein Großteil der für den Körper nötigen Energie gewonnen und in Form von Ketonkörpern z. B. dem Gehirn als Energieträger zur Verfügung gestellt werden. Die in den Fettzellen des Körpers als Triacylglycid gespeicherten Fettsäuren werden durch entsprechende Lipasen bei Bedarf ins Zytoplasma freigesetzt. Die Fettsäuren sind nativ nur gering stoffwechselaktiv, sodass diese durch eine ATP-vermittelte, energiereiche Thioesterbindung an das Coenzym A (CoA) in das stoffwechselaktive Acyl-CoA überführt werden müssen. Da die mitochondriale Innenmembran für langkettige Fettsäuren (≥ C10) nicht durchlässig ist, muss das Acyl-CoA mit Hilfe eines Acylcarnitin-Shuttles über die Membran transportiert werden. Die kürzeren, mittelkettigen Fettsäuren (< C10) können hingehen frei durch die innere Mitochondrienmembran diffundieren. An der Außenmembran der Mitochondrien katalysiert die
Carnitin-Palmitoyltransferase I (CPT-I, auch
Carnitin-Acyltransferase I genannt
) die Bildung von Acylcarnitin und
Coenzym A aus Acyl-CoA und
Carnitin. Das Acylcarnitin kann nun durch den ATP-abhängigen Membrantransporter
Carnitin-Acylcarnitin-Translokase (CACT) durch die Innenmembran ins Mitochondrium transportiert werden. Das sich an der Innenmembran befindliche
Enzym Carnitin-Palmitoyltransferase II (
CPT-II, auch
Carnitin-Acyltransferase II genannt) überträgt den Acylrest erneut auf ein Coenzym A. Das freigewordene Carnitin wird in einem Antiport durch die CACT im Austausch mit Acylcarnitin zurück über die Innenmembran des Mitochondriums ins Zytoplasma transportiert und steht für einen weiteren Transportvorgang zur Verfügung. Das für diese Vorgänge benötigte Carnitin gelangt durch einen spezifischen Carnitintransporter aus dem extrazellulären Raum über die Plasmamembran ins Zytoplasma.
In den Mitochondrien findet nun in Abhängigkeit ihrer Länge der schrittweise Abbau der Fettsäure zu Acetyl-CoA statt. Je Sequenz wird diese um 2 C-Atome gekürzt. Dieser Vorgang wird über intramitochondriale
Enzyme katalysiert, die spezifisch für die Länge der Fettsäure sind und dementsprechend benannt werden. Folgende Enzyme sind für die β-Oxidation von langkettigen
Fettsäuren wie Stearinsäure (C18) in Acetyl-CoA-Moleküle notwendig:
-
Short-chain-3-Hydroxyacyl-CoA-Dehydrogenase (SCHAD),
-
Short-chain-Acyl-CoA-Dehydrogenase (SCAD),
-
Medium-chain-Acyl-CoA-Dehydrogenase (MCAD),
-
Long-chain-3-Hydroxyacyl-CoA-Dehydrogenase (LCHAD),
-
Very-long-chain-Acyl-CoA-Dehydrogenase (VLCAD).
Der entstehende C
2-Rest wird durch das
mitochondriale trifunktionale Protein (MTP bzw. mTFP) in drei Einzelschritten erst zu Acetyl-CoA sowie für Reduktion von NADH und FADH2 verwendet. Die drei beteiligten Enzyme sind
2-Enoyl-CoA-Hydratase,
Long-chain-3-Hydroxyacyl-CoA-Dehydrogenase und
Long-chain-3-ketoacyl-CoA-Thiolase.
Alle bisher beschriebenen Einzelschritte der intrazellulären Fettsäureverwertung können durch monogenetische Mutationen gestört bzw. gehemmt sein. Ferner gibt es den multiplen Acyl-CoA-Dehydrogenase-Mangel (MAD-Mangel bzw. Glutarazidurie Typ II), bei dem durch Mutationen in der α- und β-Untereinheit des Elektronen-Transfer-Flavoproteins (ETF) und der ETF-Coenzym Q-Oxidodereduktase mehrere Dehydrogenasen betroffen sind.
Im Folgenden werden für die relevantesten und häufigsten Erkrankungen die Pathomechanismen kurz dargestellt:
Klinik
Die Klinik, Therapie und Prognose der verschiedenen Fettsäureoxidationsstörungen weist eine große Heterogenität auf und ist abhängig vom betroffenen
Enzym. Während bei Störungen des Abbaus von kurzkettigen
Fettsäuren wie dem SCAD-Mangel nahezu keine Symptome berichtet werden und die Erkrankung eher als ein biochemischer Phänotyp des Fettabbaus als eine eigenen Krankheitsentität betrachtet wird, kann es beim Vorliegen eines VLCAD-Mangels mit gestörtem Abbau der langkettigen Fettsäuren zu einer lebenslimitierenden
dilatativen Kardiomyopathie, lebensbedrohlichen hypoketotischen
Hypoglykämien oder Rhabdomyolyse kommen. Bei vielen der Erkrankungen kann außerdem in Abhängigkeit der erhaltenden Enzymfunktion zwischen frühen, meistens schweren Formen und im Verlauf erst symptomatisch werdenden, meist milderen Late-onset-Varianten unterschieden werden. Ein Großteil der Patienten mit einer metabolisch gut eingestellten Fettsäureoxidationsstörung imponiert zwischen den Stoffwechselentgleisungen klinisch sowie laborchemisch unauffällig. Die Klinik aller Fettsäureoxidationsstörungen basiert in unterschiedlichem Ausmaß, je nach Erkrankung, aus dem Mangel an Energie und v. a. bei den lcFAOD aus den toxischen Effekten durch die Akkumulation der langkettigen Acylcarnitine.
Im Folgenden werden die Erkrankungen, soweit möglich, in Gruppen zusammengefasst und in ihrer Klinik mit dem Fokus auf das Erwachsenenalter beleuchtet.
Der Körper kann, sobald die Glykogenspeicher in den Muskeln und der Leber im Falle einer katabolen Stoffwechsellage aufgebraucht sind, den Energiehaushalt nicht ausreichend durch die Verwertung von Fetten und der Bildung von Ketonen aufrechterhalten, sodass es zu einer hypoketotischen
Hypoglykämie kommt. Da insbesondere das Gehirn in Fastenperioden auf die Verwendung von
Ketonkörper zur Energiegewinnung angewiesen ist, kann es in solchen Fällen zu einer Enzephalopathie mit Krampfanfällen und
Koma kommen. In der akuten Entgleisung tritt in sehr seltenen Fällen außerdem eine Hepatopathie mit elevierten Transaminasen- und Ammoniakkonzentrationen durch die akute Verfettung der Leber auf. Ferner kann es selten im Rahmen einer Stoffwechselentgleisung zu
Herzrhythmusstörungen mit verlängerter QT-Zeit und schlussendlich zu
ventrikulären Tachykardien oder Kammerflimmern kommen.
Durch die deutschlandweite Einführung des erweiterten
Neugeborenenscreenings Anfang der 2000er-Jahre wurden auch asymptomatisch verlaufende, milde MCAD-Mängel erkannt, die nur sehr geringe Veränderungen in ihrem Acylcarnitin-Profil aufweisen und durch eine entsprechende Therapie zeitlebens asymptomatisch verbleiben. Zur Vermeidung der oben aufgeführten Klinik ist bei den Patientinnen und Patienten dennoch eine lebenslange Betreuung notwendig.
Vor Einführung des erweiterten
Neugeborenenscreenings war eine häufige Ursache des Sudden Infant Death ein unentdeckter MCAD-Mangel, da dieser, wenn er nicht vorbekannt ist, bei Erstmanifestation eine Letalität von 18–25 % aufweist.
Im Erwachsenenalter stehen v. a. die muskulären Symptome im Vordergrund. Nach körperlicher Belastung und damit einhergehendem erhöhten Energiebedarf der Skelettmuskulatur, nach längeren Hungerphasen wie beispielsweise im Rahmen einer OP oder interkurrenter Erkrankungen kann es zu myopathischen
Schmerzen, Schwäche der Muskulatur oder einer Lethargie kommen. Laborchemisch ist in diesen Fällen eine erhöhte Serumkreatinkinase bis hin zu einer schweren, lebensbedrohlichen Rhabdomyolyse mit Zeichen einer akuten
Niereninsuffizienz nachweisbar. Das Neuauftreten einer Hepatopathie oder
Kardiomyopathie im Erwachsenenalter ist untypisch, kann aber nach längerer unzureichender Stoffwechseleinstellung in Einzelfällen auftreten. Die Kardiomyopathie imponiert initial hypertroph und geht im Verlauf zu einer dilatativen Form über und kann ebenfalls zu den aus der Kindheit berichteten
Herzrhythmusstörungen führen. Die Hepatopathie ist ein Ausdruck der vermehrten Fetteinlagerung in die Leber und geht meistens mit einer isolierten Transaminasenerhöhung im Sinne einer Steatosis hepatis einher. Sowohl die Kardiomyopathie als auch die Hepatopathie sind bei einer zeitigen Diagnose unter einer suffizienten Stoffwechseleinstellung reversibel.
Der
LCHAD- und mTFP-Mangel sind ebenfalls Störungen des Abbaus und der Verwertung der langkettigen
Fettsäuren und weisen in Symptomatik und Verlauf Ähnlichkeiten zum VLCAD-Mangel auf. Ebenfalls können drei Verlaufsformen unterschieden werden: Eine schwere neonatale und häufig letale Variante, eine sich in der Kindheit manifestierende, intermediär-schwere Form mit hauptsächlich kardialen und hepatischen Komplikationen einhergehend mit hypoketotischen
Hypoglykämien und eine mildere, erst später auftretende Variante mit vorwiegend muskulären Symptomen. Bei Patientinnen und Patienten mit einem LCHAD-Mangel liegt im Gegensatz zum mFTP-Mangel meistens eine schwere oder intermediär-schwere Variante vor. Neben den bereits beim VLCAD-Mangel berichteten kardialen und hepatischen Komplikationen treten bei beiden Varianten auch Neuro- und Retinopathien im Verlauf auf. Eine isolierte neuromuskuläre Symptomatik ist hinweisend für einen milderen mTFP-Mangel. Die Patientinnen und Patienten entwickeln im Verlauf meistens eine ausgeprägte Muskelschwäche, sehr geringe körperliche Belastbarkeit und schwere Rhabdomyolysen nach geringeren körperlichen Anstrengungen. Ferner können sensorische und motorische Neuropathien und Retinopathien, eher beim LCHAD-Mangel, auftreten.
Die Transporterstörungen der langen
Fettsäuren imponieren meist klinisch ähnlich wie ein VLCAD-Mangel. Der
CPT-1-Mangel wird großteilig neonatal oder in den ersten Lebensjahren symptomatisch, wobei in einzelnen Fallberichten auch von einem Symptombeginn im jungen Erwachsenenalter berichtet wurde. In diesen Fällen kam es meistens zu einem fulminant verlaufenden Leberversagen. Bei den Kindern treten, bedingt durch eine Katabolie, ausschließlich hepatische Symptome mit erhöhten Leberwerten,
hepatischer Enzephalopathie, hypoketotischer
Hypoglykämie und Verfettung der Leber auf. Kardiale oder muskuläre Symptome treten nicht auf. Beim
CPT-2-Mangel werden ähnlich wie beim VLCAD-Mangel eine letal verlaufende neonatale, eine hepatokardiale und eine mildere myopathische Form unterschieden, wobei die myopathische mildere Form, die am häufigsten auftretende Variante ist. Auslösende Faktoren sind wie beim VLCAD-Mangel eine Katabolie bzw. ein gesteigerter Grundumsatz, wodurch der Körper die Verbrennung von Fettsäuren als zusätzlichen Energieträger benötigt.
Muskelschmerzen und vermehrte Müdigkeit nach Belastung stehen als Symptome im Vordergrund.
Im Gegensatz zum CPT-2-Mangel dominiert beim
CACT-Mangel eine schwere und meist letal verlaufende neonatale Form mit schwerer
Kardiomyopathie, maligner Herzrhythmusstörung und akuter Hepatopathie begleitet von einer Hyperammonämie. In seltenen Fällen kann auch eine mildere spätauftretende Form vorliegen, die wie bei den übrigen Störungen der Verwertung von langkettigen
Fettsäuren mit vorwiegend muskulären Beschwerden einhergeht.
Diagnostik
Die erste und wichtigste Diagnostik beim Verdacht auf eine Fettsäureoxidationsstörung ist die Bestimmung des Acylcarnitinprofils mittels einer Tandemmassenspektroskopie in einem entsprechenden Stoffwechsellabor. Hierfür wird Blut auf einer Trockenblutkarte benötigt, wobei die Bestimmung des Profils auch aus dem
Plasma möglich ist. Anhand des Acylcarnitinprofils kann die zugrunde liegende Störung weiter eingegrenzt werden, da die Acylcarnitine der entsprechenden Erkrankung signifikant verändert sind. Beispielsweise liegt bei einem MCAD-Mangel eine deutliche Erhöhung der Acylcarnitine C6–C10 vor. Wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass insbesondere bei milden Verlaufsformen ein unter anabolen Bedingungen abgenommenes Acylcarnitinprofil nicht verwertbar ist, da durch die Anabolie eine Fettsäureoxidationsstörung verschleiert werden kann. Tab.
2 stellt die entsprechenden Veränderungen der Acylcarnitine bei den verschiedenen Erkrankungen und die häufigsten zugrunde liegenden Mutationen in Deutschland dar, soweit bekannt.
Tab. 2
Das krankheitstypische Acylcarnitinprofil mit den betroffenen Genen. Aufgeführt sind für die verschiedenen Fettsäureoxidationsstörungen die spezifischen Veränderungen des Acylcarnitinprofils, das betroffene Gen und, soweit bekannt, die häufigsten Mutationen im zugrunde liegenden Gen bezogen auf Deutschland bzw. Europa
SCAD-Mangel | C4 erhöht | ACADS | c.511C > T, p.Argl71Trp c.625G > A, p.Gly209Ser |
SCHAD-Mangel | C4-OH erhöht | HADHSC | / |
MCAD-Mangel | C6–C10 erhöht, freies Carnitin reduziert | ACADM | c.985A > G, p.Lys329Glu c.199T > C, p.Tyr67His |
LCHAD- u. mTFP-Mangel | C16-OH bis C18:1-OH erhöht, freies Carnitin reduziert | HADHA HADHB | c.1528G > C, p.Glu510Gln für HADHA |
VLCAD-Mangel | C14–C16 erhöht, freies Carnitin erhöht | ACADVL | c.848T > C, p.Val283Ala |
CPT-1-Mangel | Freies Carnitin erhöht, C14–C18 erhöht | CPT1a | / |
CPT-2-Mangel | C14–C16 erhöht, freies Carnitin erhöht | CPT2 | c.338C > T, p.Ser113Leu |
CACT-Mangel | C14–C16 erhöht, freies Carnitin erhöht | SLC25A20 | / |
MAD-Mangel/Glutarazi-durie II | Freies Carnitin reduziert und verschiedenste Acylcarnitine erhöht | ETFA, ETFB, ETFDH | / |
Primärer Carnitinmangel | Freies Carnitin und verschiedenste Acylcarnitine reduziert | SLC22A5 | / |
Im Falle eines auffälligen Acylcarnitinprofils sollten organische Säuren im
Urin untersucht und eine molekulargenetische Untersuchung auf das Vorliegen einer Mutation in dem entsprechenden Gen sich anschließen. Ferner kann eine Enzymfunktionsdiagnostik aus Fibroblasten erfolgen. Zu betonen ist, dass die meisten Patientinnen und Patienten mit einer Fettsäureoxidationsstörung bereits in der Kindheit aufgrund eines auffälligen
Neugeborenenscreenings oder einer entsprechender Symptomatik erstdiagnostiziert werden. Eine Neudiagnose im Erwachsenenalter ist selten, aber sollte insbesondere bei Patientinnen und Patienten, die über unklare
Muskelschmerzen, geringe körperliche Belastbarkeit oder unklar erhöhte CK-Werte klagen, als Differenzialdiagnose erwogen werden.
Im Rahmen der regelhaften ambulanten Vorstellung erfolgt neben der Anamnese und einer klinischen Untersuchung eine laborchemische Bestimmung der Leber-, Nierenfunktion- und Kreatinkinasewerte im
Serum. Das Vorstellungsintervall ist abhängig von der Erkrankung und dem bisherigen Verlauf, üblicherweise zwischen vierteljährlich bis jährlich. Ferner wird das Acylcarnitinprofil im vierteljährlichen Abstand entweder bei der ambulanten Vorstellung oder per postalisch eingesandter Trockenblutkarte zur Kontrolle der Stoffwechseleinstellung bestimmt. Bei den langkettigen Fettsäureoxidationsstörungen erfolgt, soweit keine neuen Beschwerden auftreten und keine gravierenden kardialen Komplikationen bekannt sind, zusätzlich mindestens jährlich eine Echokardiografie, ein Elektrokardiogramm und eine Abdomensonografie.
Im Falle einer akuten Entgleisung sollte neben einer
Blutgasanalyse zur Erfassung des pH und Säure-Basen-Haushaltes eine Bestimmung der
Kreatinkinase, der Nierenretentionswerte, der Transaminasen und des Ammoniaks erfolgen.
Therapie
Die Therapie ist abhängig von der entsprechenden Erkrankung und reicht von regelmäßiger Kohlenhydrataufnahme, Vermeidung von Fastenzuständen und ggf. der oralen Substitution von
Carnitin beim MCAD-Mangel bis hin zu strenger fettreduzierter und kohlenhydratreicher Diät, engmaschiger kardiologischer Mitbetreuung und Verwendung von MCT („medium-chain-triglyceride“)-haltigen Speziallebensmitteln bei den langkettigen Fettsäureoxidationsstörungen. Da eine lebenslange Therapiebedürftigkeit bei den Patientinnen und Patienten besteht, ist eine suffiziente
Transition von einem Stoffwechselzentrum einer Kinderklinik in ein entsprechendes Zentrum in der Erwachsenenmedizin wichtig, um die Therapieadhärenz zu erhalten und zu verbessern, und sollte allen Patientinnen und Patienten ermöglicht werden. Für die einzelnen Erkrankungsgruppen werden nun im Folgenden die reguläre Therapie und das generelle Vorgehen in einer Notfallsituation beschrieben. Das Mitführen eines Notfallausweises mit dezidierten Handlungsanweisungen ist für alle Fettsäureoxidationsstörungen obligat.
Wie bereits beim MCAD-Mangel erwähnt, wird die generelle Substitution von L-Carnitin kritisch diskutiert und sollte nur bei einem nachgewiesenen Mangel (
freies L-Carnitin <8 μmol/l) erwogen werden. Eine generelle Substitution für jeden Patienten kann daher nicht empfohlen werden, insbesondere da die Substitution von L-Carnitin bei langkettigen Fettsäureoxidationsstörungen zu einer vermehrten Bildung von langkettigen Acylcarnitinen führt, welche toxisch auf das Myokard wirken und die Gefahr von
Herzrhythmusstörungen noch erhöhen können. Eine L-Carnitin-Substitution sollte daher bei jedem Patienten im Einzelfall anhand des Acylcarnitinprofils erwogen werden. Eine Substitution erfolgt üblicherweise mit 10–25 mg pro kg Körpergewicht pro Tag, verteilt auf 3–4 Einzeldosen.
Eine weitere neue Therapieoption stellt die Substitution mit Triheptanoin (3 × C7-Fette) dar. Die ungeraden
Fettsäuren werden in den Mitochondrien zu Acetyl-CoA und Propionyl-CoA abgebaut. Das Propionyl-Coa kann in anaplerotischen Reaktionen den sekundären Verlust von Substraten des Citratzyklus ausgleichen und den Stoffwechsel stabilisieren. Ferner werden hierdurch die Glukoneogenese und die Glykogenspeicherung angeregt. Es konnte gezeigt werden, dass durch die Substitution von 0,5–1 g Triheptanoin pro kg Körpergewicht pro Tag die Rate an Rhabdomyolysen,
Kardiomyopathien und stationären Krankenhaustagen reduziert werden kann. Eine fettreduzierte Diät ist dennoch weiterhin notwendig. Als relevante Nebenwirkung können transiente abdominelle
Schmerzen oder Diarrhöen auftreten. Triheptanoin wurde 2020 durch die FDA für die lcFAOD in den USA zugelassen. Eine generelle Marktzulassung in Deutschland durch die EMA ist aktuell ausstehend.Aktuelle kleinere klinische Studien konnten eine Verbesserung der Myalgien und auch der
Lebensqualität bei Patientinnen und Patienten mit milder Symptomlast durch die Therapie mit Bezafibrat aufzeigen. Bezafibrat induziert als Agonist der Peroxisom-Proliferator-aktivierten Rezeptoren (PPAR) verschiedene, für die Fettsäureoxidation notwendige
Enzyme, wodurch wahrscheinlich der positive Effekt der Therapie erzielt wird. Außerhalb von Studien wird aktuell Bezafibrat noch nicht in der Therapie eingesetzt. Weitere Studien sind notwendig, um eine abschließende Bewertung vorzunehmen.Im Falle einer
akuten Stoffwechselentgleisung ist das primäre Therapieziel die Durchbrechung der Katabolie mittels Gabe von Kohlenhydraten. Die Gabe kann oral bzw. bei kritisch kranken Patientinnen und Patienten intravenös erfolgen. Hierfür sollte, falls die orale Aufnahme nicht möglich ist, intravenös 2 ml 10 %
Glukose pro kg Körpergewicht pro Stunde infundiert werden (bspw. bei einem 70 kg Patient 140 ml/h 10 % Glukose bzw. bei Vorhandensein eines zentralen Zugangs 28 ml/h 50 % Glukose). Das Blutzuckerziel beträgt 120–170 mg/dl. Bei schweren Entgleisungen kann eine intravenöse L-Carnitin Substitution mit 100 mg pro kg Körpergewicht erwogen werden. Eventuell kann zur Unterbindung der Lipolyse die zusätzliche Gabe von
Insulin erfolgen. Bei schwerer metabolischer Azidose (pH < 7,1) sollte ein Puffern des pHs mit Bikarbonaten durchgeführt werden (
Menge Natriumbikarbonat 8,4 % = [−BE] × 0,3, × kgKG, erste Hälfte sofort, zweite Hälfte langsam unter regelmäßigen pH-Kontrollen). Bei schwerer metabolischer Entgleisung, akutem
Nierenversagen oder schwerer Kardiomyopathie sollte unbedingt eine zeitnahe Verlegung auf eine Intensivstation und die Kontaktaufnahme zu dem betreuenden Stoffwechselzentrum erfolgen. Ein Notfallausweis mit entsprechenden Handlungsanweisungen und Kontaktdaten zum behandelnden Stoffwechselzentrum ist daher obligat.