Das Verständnis der Entstehung der Präeklampsie
als ein „evolutiver“ Vorgang und dessen Berücksichtigung bei den verschiedenen Klassifizierungen hat das eher dichotome Denken der letzten Jahre abgelöst. Dies entspricht auch der Einteilung von Redman et al. (
1999), die anhand des Schweregrades und des Gestationsalters der Manifestation ätiologisch die Präeklampsie in eine maternale und eine plazentare Variante unterteilen. Die „maternale Präeklampsie
“ stellt die späte Form mit dem Überwiegen von mütterlichen Symptomen dar, während die „plazentare Variante“ den frühen, schweren Verlauf – charakterisiert durch eine Plazentainsuffizienz mit intrauteriner Wachstumsrestriktion und einer mütterlichen systemischen Reaktion – beschreibt. Entsprechend wird auch von den meisten Gesellschaften die Unterteilung befürwortet (Tranquilli et al.
2013,
2014; Magee et al.
2014) in
Ätiologie und Pathogenese
Die Präeklampsie mit frühem Beginn (vor 34 Wochen) unterscheidet sich von der späten Präeklampsie dadurch, dass Symptome erst in den letzten Wochen der Schwangerschaft auftreten. Auch in Bezug auf Erblichkeit, biochemische Marker, Risikofaktoren, Prognose und weitere klinische Merkmale bestehen deutliche Unterschiede, sodass man durchaus von verschiedenen Krankheitsbildern sprechen kann.
In einer auf Bioinformatik basierenden Untersuchung wurde gezeigt, dass die Präeklampsie verschiedene Phänotypen mit charakteristischer mütterlicher und fetaler genetischer Konstellation umfasst (Triche et al.
2014).
Die eigentliche Ätiologie der Präeklampsie ist jedoch nach wie vor unbekannt.
Wenn auch die Präeklampsie mit frühem Beginn mit weniger als 20 % aller Fälle deutlich seltener ist als die späte Variante, hat sich die Forschung nicht zuletzt wegen der besonders schweren Verläufe auf die Pathogenese der frühen Präeklampsie konzentriert. Bei der Entstehung werden 2 Phasen unterschieden (Roberts und Hubel
1999):
In der normalen Schwangerschaft ist die Interaktion des mütterlichen Immunsystems mit dem semiallogenetischen embryonalen Gewebe Auslöser einer inflammatorischen Reaktion sowohl lokal im Bereich der fetomaternalen Grenzzone wie auch systemisch im mütterlichen Organismus. Auf die Bedeutung der Interaktion des Trophoblasten mit den mütterlichen Immunzellen mit Aktivierung der
Natural-killer-Zellen (NK-Zellen), die durch die Freigabe verschiedener angiogenetisch wirkender Moleküle regulierend auf den Umbau der Spiralarterien und die Entwicklung des uteroplazentaren Kreislaufes einwirken, wurde bereits in Kap.
Präimplantation, Implantation und Plazentation ausführlich eingegangen.
Etwa zeitgleich mit der Dysbalance zwischen pro- und antiangiogenetischen Faktoren wurde die Steigerung der inflammatorischen Antwort, die auch qualitativ verändert ist, als typisches Merkmal der Präeklampsie beschrieben (Ahmed
1997; Ahmad und Ahmed
2004; Redman et al.
1999; Redman und Sargent
2003,
2009). Als Folge einer ungenügenden Invasion der Dezidua durch den extravillösen Trophoblasten ist der Umbau der Spiralarterien gestört (Goldmann-Wohl und Yagel
2002; McMaster et al.
2004). Die Beeinträchtigung der Zufuhr mütterlichen Blutes resultiert in oxidativem Stress mit vermehrter Freigabe von Membranfragmenten des Syncytiotrophoblasten (STBM) (Burton et al.
2009; Redman und Sargent
2010).
Apoptose bzw. Aponekrose im Bereich des Syncytiums führen zu einer vermehrten Abgabe von vesikulären Plasmamembranfragmenten an den mütterlichen Kreislauf, die zur Entwicklung der Dysfunktion des Endothels beitragen (Knight et al.
1998; Van Wijk et al.
2002; Redman und Sargent
2003; Gupta et al.
2005; Huppertz
2008).
Der mangelhafte Umbau der Spiralarterien wird heute allerdings als initiales Ereignis bei der Entstehung einer Präeklampsie zunehmend in Frage gestellt, da dieser eng mit einer intrauterinen Wachstumsrestriktion des Fetus assoziiert ist, diese jedoch nicht zwingend mit den Symptomen einer Präeklampsie wie
Hypertonie und Proteinurie verknüpft ist (Ayuk und Matijevic
2006). Huppertz (
2008) hat darauf hingewiesen, dass die Differenzierungsstörung des Trophoblasten sich
bereits im Blastozystenstadium manifestiert.
Der Konzentrationsanstieg des löslichen Fms-like Tyrosine-Kinase-Rezeptor-1 (sFlt-1), von löslichem Endoglin sowie die Erniedrigung des plazentaren Wachstumsfaktor (PLGF) ist neben der lokalen Störung der Entwicklung der uteroplazentaren Gefäße und des Zottenkapillarkreislaufes zusammen mit anderen Faktoren an der Entstehung der endothelialen Dysfunktion im peripheren mütterlichen Kreislauf beteiligt. Auch die im mütterlichen Kreislauf zirkulierenden Substanzen wie
Zytokine, Lipidperoxide, diverse Proteine und Peptide wirken als Verstärker einer generalisierten Dysfunktion des Endothels in zahlreichen Organen des mütterlichen Organismus. Die Dysfunktion des Endothels begünstigt die Aktivierung von
Leukozyten,
Monozyten sowie
Thrombozyten mit einer prokoagulatorischen Stimulation des Gerinnungssystems.
Als diagnostische Marker für die Früherkennung der Präeklampsie sind die pro- und antiangiogenetischen Faktoren auch klinisch von erheblichem Interesse (Levine et al.
2004,
2006; Abschn.
4.4).
Zellfreies fetales
Hämoglobin (HbF) ist ein weiterer Faktor, der für die Pathogenese der Präeklampsie von Bedeutung ist. Bereits im 1. Trimenon wurden im Blut der Schwangeren erhöhte Konzentrationen von HbF gemessen, und nach Manifestation der Erkrankung fand sich eine Korrelation von freiem HbF mit den Blutdruckwerten. In Ex-vivo-Versuchen mit Perfusion von menschlichem Plazentagewebe konnte durch zellfreies Hb eine Schädigung der Blut-Plazenta-Schranke simuliert werden (Hansson et al.
2013). Häm wird durch Hämoxygenase-1 (HO-1) enzymatisch zu
Biliverdin, Kohlenmonoxid (CO) und freiem
Eisen (Fe
2+) abgebaut. Diese Abbauprodukte von Häm wirken vasodilatatorisch, antiinflammatorisch, antiapoptotisch, antioxidativ und allgemein zytoprotektiv (Levytska et al.
2013). Durch Induktion von HO-1 oder Zugabe von CO in Kulturen von Human-Umbilikalvenen-Endothelzellen (HUVEC) konnte die Freigabe von sFlt-1 und sEng, die als antiangiogenetische Faktoren für die Entstehung der endothelialen Dysfunktion bei der Präeklampsie mit verantwortlich sind, gehemmt werden (Cudmore et al.
2007).
Nuclear-factor-erythroid-like-2 (Nrf2) verstärkt als Transkriptionsfaktor die Gen-Kodierung von HO-1 sowie von weiteren antioxidativen
Enzymen. Diese Zusammenhänge und die mögliche Bedeutung von Nrf2-Aktivatoren für Therapie und Prävention von Präeklampsie wurden kürzlich dargestellt (Kweider et al.
2013).
Eine Störung der Volumenexpansion in der
Frühschwangerschaft kann ebenfalls Ursache für eine frühe Störung der Plazentaentwicklung sein (Shojaati et al.
2004).
Die zentrale Rolle der Dysbalance der angiogenetischen Faktoren und der gesteigerten Inflammation bei der Pathogenese einer Präeklampsie ist zwar unbestritten. Bislang konnte allerdings nicht eindeutig geklärt werden, wie weit eine Assoziation von diagnostischen Merkmalen dieser beiden pathologischen Veränderungen mit Krankheitszeichen einer Präeklampsie beweisend für einen kausalen Zusammenhang ist.
Ausgehend von den ursprünglich von Bradford-Hill definierten Kriterien „Zeitlichkeit“ der Beziehung, d. h. das entsprechende Merkmal ist vor der Manifestation von Krankheitssymptomen nachweisbar, Konsistenz und Stärke der Assoziation, Spezifität sowie Kohärenz und
Plausibilität konnte gezeigt werden, dass die Dysbalance der angiogenetischen Faktoren mit großer Wahrscheinlichkeit ursächlich für die Entstehung einer Präeklampsie ist, während inflammatorische Merkmale eher als Folge des Krankheitsgeschehens anzusehen sind (siehe Abb.
1; Ramma und Ahmed
2011).
Die Schlussfolgerung ist, dass die Suche nach neuen Merkmalen zur Früherkennung sowie nach therapeutischen Ansätzen sich auf den Bereich Angiogenese bzw. deren Störung konzentrieren sollte.
Anhand der Bradford-Hill-Kriterien lässt sich zeigen, dass auch dem freien HbF eine kausale Bedeutung für die Entstehung der Präeklampsie zukommt.
Bei der Präeklampsie mit spätem Beginn ist die Entwicklung der Plazenta in der frühen Schwangerschaft weitgehend normal. Schwangerschaftspathologien mit „großen“ Plazenten wie
Mehrlingsschwangerschaften, Triploidie, Blasenmole oder bei einer diabetischen Stoffwechselstörung der Mutter sind mit einem erhöhten Risiko einer Präeklampsie assoziiert, wobei es sich eher um die Variante mit spätem Beginn handelt. Es wurde postuliert, dass der erhöhte Anfall von apoptotischem Trophoblastmaterial von dem „Clearing-System“ des mütterlichen Organismus nicht vollständig bewältigt werden kann. Überschüssige Trophoblastanteile werden nekrotisch und können dann als Auslöser einer endothelialen Dysfunktion mit entsprechenden mütterlichen Krankheitssymptomen wirksam werden (Huppertz
2008). Dafür spricht auch, dass es in der normalen Spätschwangerschaft
als Ausdruck der Zunahme der Plazentamasse zu Veränderungen kommt, wie sie verstärkt bei einer Präeklampsie auftreten können (Redman et al.
1999; Übersicht).
Auch die mit vorbestehenden Krankheiten wie chronische Infekte, Hyperhomozysteinämie
und angeborene
Thrombophilien (APC-Resistenz
,
Protein-C- und -S-Mangel
) verknüpfte besondere Anfälligkeit gegenüber einer Präeklampsie ist nicht primär plazentar bedingt, sondern muss auf eine konstitutionell bedingte erhöhte Vulnerabilität des mütterlichen Endothels zurückgeführt werden (Ness und Roberts
1996).
Der gemeinsame Nenner für das klinische Bild einer Präeklampsie ist eine endotheliale Dysfunktion, die verschiedene Ursachen haben kann, aber als zentrale Pathologie zu ähnlichen klinischen Symptomen führt.
Schweregrad der Präeklampsie
Die Beurteilung des Schweregrads der Präeklampsie wird durch das breite Spektrum der klinischen Symptome, das Ausdruck der unterschiedlichen Organbeteiligung ist, erschwert (Tab.
3).
Tab. 3
Multiorganbeteiligung der Präeklampsie
Zentralnervensystem | Präeklamptischer Anfall |
Hirnödem, Hirnschlag |
Kortikale Blindheit |
Auge | Netzhautödem, -ablösung |
Lunge | Laryxngsödem |
Lungenödem |
Niere | Nierenrindennekrose |
Tubulusnekrose |
Leber | |
Leberdysfunktion |
|
Leberruptur |
Nausea/Erbrechen, Oberbauchschmerzen |
Gerinnung | |
Hämolyse |
HELLP-Syndrom |
Fetoplazentare Einheit | Infarkte |
Retroplazentares Hämatom |
|
|
Pathologischer Doppler (AREDF) |
Oligohydramnie |
Intrauterine Wachstumsrestriktion |
Das Ausmaß der
Hypertonie ist nicht unbedingt maßgebend für den Schweregrad der Erkrankung. Leichte Formen der Hypertonie können mit einer schweren Beeinträchtigung der Leber- und Nierenfunktion verbunden sein, z. B. beim
HELLP-Syndrom. Schwere Verläufe machen sich klinisch meist in einem früheren Gestationsalter bemerkbar.
Generell zeigt eine sog. Early-onset-Präeklampsie, d. h. Krankheitsbeginn vor 34 + 0 Wochen und im Speziellen vor der 28. Woche, einen schwereren Verlauf als eine Präeklampsie, die erst in der Spätschwangerschaft als sog. Late-onset-Präeklampsie manifest wird.
Die Early-onset-Präeklampsie ist meistens mit einer Plazentainsuffizienz
vergesellschaftet, während dies bei der Late-onset-Präeklampsie seltener der Fall ist (Lisonkova und Joseph
2013).
Pfropfpräeklampsien zeigen öfter einen schwereren Verlauf als die primäre Variante der Präeklampsie.
Die neueste kanadische Klassifizierung
hypertensiver Schwangerschaftserkrankungen (Magee et al.
2014) unterscheidet sich in diesem Punkt sehr von den anderen (Tab.
1) Die SOGC differenziert zwischen einem „ungünstigen Zustand“ und einer „schweren Komplikation“ im Rahmen einer Präeklampsie. Letztere Situation wäre dann eine klare Indikation zur Entbindung, unabhängig vom Gestationsalter. Interessanterweise gehört das
HELLP-Syndrom dabei nicht zu den „schweren Komplikationen“, da es nicht eine absolute Indikation zur Entbindung darstellt. Auch wenn die Argumentation der Kanadier logisch und nachvollziehbar erscheint, wird sie in dieser Form von keiner anderen Gesellschaft geteilt.
Entgegen den Empfehlungen der ACOG macht die ISSHP berechtigterweise geltend, dass es wenig Sinn macht, bei einer schweren
Hypertonie 4 oder 6 h zu warten auf eine Bestätigung (Magee et al.
2014; Tranquilli et al.
2013). Dies könnte zu einer suboptimalen Betreuung und schlechterem Outcome führen.
Pfropfpräeklampsie
Die Abgrenzung einer Pfropfpräeklampsie
von einer vorbestehenden Nierenkrankheit, welche auch mit einer
Hypertonie und einer Proteinurie einhergeht, ist schwierig. Der Anstieg des Harnsäurespiegels im
Serum, eine
Thrombozytopenie, eine Dysfunktion der Leber, des Zentralnervensystems oder anderer Organe deuten auf eine Pfropfpräeklampsie hin. In neuerer Zeit werden auch Angiogenesefaktoren zur Differenzierung zwischen diesen Entitäten verwendet. Dabei ist der spezielle antiangiogenetische Zustand für eine Präeklampsie wegweisend bzw. kann zwischen einer sich verschlechternden Grunderkrankung und einer Pfropfpräeklampsie differenzieren (Chappell et al.
2013; Sibiude et al.
2012).
In Zweifelsfällen sollte die Patientin so behandelt werden, als ob eine schwere Präeklampsie vorliegt.
Dopplersonographie der Uterinagefäße
Hilfreich könnte auch die Dopplersonographie der Uterinagefäße sein. Die Inzidenz von Pathologien im uterinen Strömungsgebiet ist sowohl vom Schweregrad der Präeklampsie als auch vom Gestationsalter bei Diagnosestellung der Präeklampsie abhängig. So werden eine erhöhte Pulsatilität in den Aa. uterinae oder eine persistierende postsystolische Inzisur („Notch“), bei schweren und frühen Formen der Präeklampsie signifikant häufiger vorgefunden als bei den späten Formen. Nach der 37. Woche werden nur in knapp 29 % Auffälligkeiten im Strömungsmuster der A. uterina gefunden, während dies bei Präeklampsie vor der 34. Woche in 87 % der Fall ist (Vetter und Kilavuz
1999; Li et al.
2005).
Zusammen mit der Untersuchung umbilikaler und fetaler Gefäße im Rahmen einer
fetalen Wachstumsrestriktion ist die Dopplersonographie der uterinen Arterien für die Diagnose einer zugrundeliegenden Plazentainsuffizienz als Ursache der intrauterinen Wachstumsrestriktion hilfreich.
Klinische Symptome
In den folgenden Abschnitten werden die wichtigsten klinischen Symptome der Präeklampsie besprochen. Das breite Spektrum spiegelt die Natur der Präeklampsie als Multiorganerkrankung wider.
Die Symptome entwickeln sich typischerweise Wochen bis Monate nach den pathogenetischen Störungen der
Plazentation im 1. und frühen 2. Trimenon. Frühe klinische Zeichen, d. h. vor der 20. SSW, werden bei Schwangerschaften mit Blasenmole, chromosomalen
Aneuploidien (Broekenhuizen et al.
1983) sowie Kokainabhängigkeit der Mutter beobachtet (Towers et al.
1993).
Die Vielfalt der Symptomatik lässt sich auf eine generalisierte Vasokonstriktion, Aktivierung der Gerinnung sowie Mikroangiopathien in verschiedenen Organsystemen zurückführen (Tab.
3).
Für die Ausprägung der Pathologie in verschiedenen Organen und den unterschiedlichen Phänotypen des Krankheitsbildes gibt es bislang keine schlüssige Erklärung.
Zu den wichtigsten Symptomen gehören:
Zentralnervensystem
Im Gehirn kann es infolge der gestörten Autoregulation zu lokalisierten Durchblutungsstörungen kommen mit
Sehstörungen (Augenflimmern, Photophobie, Diplopie, Skotome, Amaurose) und
Kopfschmerzen. Eine Hyperreflexie und ein Klonus sind Ausdruck der gesteigerten zerebralen Erregbarkeit und weisen auf die drohende Gefahr eines eklamptischen Anfalls hin.
Die Eklampsi
e ist eine seltene, schwere Komplikation der Präeklampsie, die sich in generalisierten tonisch-klonischen Krämpfen äußert (Abschn.
6). Bei einem raschen Blutdruckanstieg können die zerebralen Arteriolen geschädigt werden und ihre Autoregulation verlieren. Eine Folge davon sind intrakranielle Blutungen, welche die häufigste vaskuläre Komplikation der Präeklampsie darstellen.
Kardiovaskuläres und pulmonales System
Die
Hypertonie ist ein frühes klinisches Zeichen der Präeklampsie. Der Blutdruck ist zumindest zu Beginn der Erkrankung instabil. Der zirkadiane Rhythmus ist typischerweise verändert. Initial kommt es zu einem Verlust des normalen Blutdruckabfalls („dipping“) in der Nacht, und in fortgeschrittenen Stadien kann man eine Umkehr des Rhythmus („reverse dipping“) mit einer Erhöhung des Blutdrucks während des Schlafes finden (Abb.
2).
Untersuchungen zum hämodynamischen Zustand bei Patientinnen mit Präeklampsie zeigten je nach Stadium und Schweregrad der Erkrankung unterschiedliche Resultate. In der Latenzphase ist das Herzminutenvolumen erhöht bei normalem, peripherem Widerstand. Mit dem Auftreten von Symptomen nimmt das Herzminutenvolumen ab, und der Gefäßwiderstand steigt (Bosio et al.
1999). Bei unbehandelten Patientinnen mit schwerer Präeklampsie wurde unter invasivem Monitoring ein normaler bis verminderter kardialer Index, ein mäßig bis stark erhöhter systemischer Gefäßwiderstand und ein normaler bis tiefer pulmonaler kapillarer Wedge-Druck gefunden (Mushambi et al.
1996).
Die Präeklampsie führt in seltenen Fällen zu einer Linksherzinsuffizienz und einem Lungenödem. Daneben können auch andere Mechanismen wie verminderter onkotischer Druck im
Plasma, erhöhter kapillärer „leak“ oder iatrogen durch übermäßige Infusionsbehandlung beteiligt sein. In der Regel findet man eine Verminderung des Plasmavolumens und eine Hämokonzentration. In 85 % der Fälle kommt es zur Ausbildung von
Ödemen und in schweren Fällen zu
Aszites, Pleura- und Perikardergüssen. Ursächlich von Bedeutung sind die erhöhte Durchlässigkeit der Gefäßwände, der infolge des Eiweißverlustes verminderte kolloidosmotische Druck und die verminderte Aktivität des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems.
Nieren und Flüssigkeitshaushalt
Die
glomeruläre Filtrationsrate ist gegenüber der normalen Schwangerschaft um 30–40 % reduziert. Die Schädigung der Endothelien der Glomeruli geht mit einer nicht selektiven Proteinurie einher (Moran et al.
2004). Infolge einer Störung der tubulären Funktion, die der glomerulären Schädigung i. d. R. vorausgeht, ist die Ausscheidung von
Harnsäure, Kalzium und Kallikrein im
Urin vermindert.
Ein Anstieg von
Kreatinin und
Harnstoff im
Plasma deutet zusammen mit einer Oligo- bis
Anurie auf eine schwere Nierenfunktionsstörung hin. Speziell die
Harnsäure ist aber ein schlechter Marker zur Vorhersage für mütterliche oder fetale Komplikationen (Thangaratinam et al.
2006). Die
Oligurie ist häufig durch eine
Hypovolämie, d. h. prärenal bedingt. In seltenen Fällen, z. B. im Rahmen einer
vorzeitigen Plazentalösung, kommt es infolge des Volumenmangels, des verminderten Herzzeitvolumens und der renalen Vasokonstriktion zu einem akuten
Nierenversagen mit tubulären und kortikalen Nekrosen, sodass eine Dialysebehandlung erforderlich werden kann.
Leber
Eine Leberschwellung äußert sich in epigastrischen Schmerzen, Nausea und Erbrechen. Bei einer Dysfunktion der Leberzellen kommt es zu einem Anstieg der Aminotransferasen im
Serum. In Verbindung mit einer Hämolyse und einer
Thrombozytopenie spricht man von einem
HELLP-Syndrom
(Abschn.
7). Oft sind die eigentlichen Kriterien eines HELLP-Syndroms nicht erfüllt, und man findet lediglich als Zeichen einer Begleithepathopathie leicht erhöhte Transaminasen oder seltener auch ein erhöhtes γ-GT mit oder ohne Hämolysezeichen bei stabilen
Thrombozyten. Histologisch findet man in schweren Fällen periportale Blutungen, ischämische Infarkte und eine mikrovesikuläre Verfettung der Parenchymzellen. Selten kommt es zu ausgedehnten Blutungen mit Ausbildung von subkapsulären Leberhämatomen. Die Kombination von Nausea oder Erbrechen mit einer abnormen Leberzellfunktion und einer
Hypoglykämie lässt an eine akute
Schwangerschaftsfettleber
denken, die mit einer Präeklampsie assoziiert sein kann (Abschn.
8).
Thrombozyten und Blutgerinnung
Die Thrombozytenzahl
ist in 20 % der Fälle leicht vermindert (100.000–150.000/μl) und von einer physiologischen Gestationsthrombozytopenie kaum zu unterscheiden. Die
Thrombozyten sind meist vergrößert (d. h. jünger). Dies deutet zusammen mit erhöhten Spiegeln von plättchenspezifischen Markern (β-Thromboglobulin, Plättchenfaktor 4) auf eine gesteigerte Aktivierung und einen erhöhten Turnover der Thrombozyten hin (Redman
1995).
Die plasmatische Gerinnung ist ebenfalls gesteigert. Während die globalen Gerinnungstests meist noch normal sind, können erhöhte Plasmaspiegel von
D-Dimeren,
Fibrinopeptid A und Thrombin-Antithrombin-III-Komplexen nachgewiesen werden. Die Plasmaspiegel von Inhibitoren der Gerinnung, z. B. Antithrombin III und
Protein C, sind dagegen reduziert.
In der Mehrzahl der Fälle liegt ein chronischer, kompensierter Zustand der aktivierten Gerinnung vor. Außer bei einer vorzeitigen Lösung der Plazenta kommt es selten zu einer akuten
disseminierten intravasalen Gerinnung mit einer Verbrauchskoagulopathie (DIC). Sinkende Spiegel von
Fibrinogen, Faktor VII und VIII sowie der Anstieg von Fibrin-Fibrinogen-Spaltprodukten im
Plasma können eine erhöhte
Blutungsneigung zur Folge haben.
Plazenta und Fetus
Die gestörte Adaptation des uteroplazentaren Kreislaufs mit chronischer
Hypoxie führt auf dem Boden eines unzureichenden Plazentawachstums zusammen mit ischämiebedingtem Gewebeuntergang zu einer chronischen Plazentainsuffizienz
. Diese tritt insbesondere bei vorbestehenden Gefäßschäden frühzeitig in der Schwangerschaft auf und führt zu einer ausgeprägten Wachstumsrestriktion, im Extremfall zu intrauteriner Asphyxie und Tod des Fetus. Je nach fetaler Anpassung an die Plazentainsuffizienz kann sich auch ein Oligohydramnion ausbilden (Odegard et al.
2000).
Bei spät einsetzender Präeklampsie werden eher erhöhte mittlere Geburtsgewichte, wahrscheinlich als Folge der großen Plazenta, beobachtet (Rasmussen und Irgens
2003). Im Zusammenhang mit der gestörten vaskulären Adaptation im Bereich des Plazentabetts kommt es gehäuft zu einer
vorzeitigen Plazentalösung oder zu sonomorphologischen Auffälligkeiten der Plazenta (Raio et al.
2004).
Neben dem Untergewicht der Plazenta ist histologisch die sog. diskordante Zottenreifung mit frühzeitiger Ausreifung und kompensatorischer Hypervaskularisierung der Endzotten typisch. Nach einer Präeklampsie
treten vermehrt neonatale Komplikationen auf. Hämatologische Störungen, z. B. eine Neutropenie, eine
Thrombozytopenie und eine
Anämie, werden häufig beobachtet. Generell treten die durch Frühgeburtlichkeit bedingten Störungen wie Atemnotsyndrom, Hirnblutung oder
nekrotisierende Enterokolitis gegenüber gleichaltrigen Neugeborenen von Schwangeren mit normalem Blutdruck gehäuft auf (Friedman et al.
1995).
Psychosoziale Folgen
Bei einer Präeklampsie wird eine hochspezialisierte medizinische Diagnostik und Therapie bei Mutter und Kind durchgeführt. Im psychosozialen Bereich besteht dagegen häufig ein Betreuungsdefizit.
Die Präeklampsie trifft die Mehrzahl der Eltern völlig unerwartet. Der abrupte Rollenwechsel aus dem „Zustand der guten Hoffnung“ in den Zustand der Hochrisikoschwangerschaft stellt ein Trauma dar, das ohne Hilfe häufig schlecht verarbeitet wird. Eine Nachbetreuung der Eltern in einer Gesprächsgruppe unter der Leitung von Hebammen und Ärzten sollte fester Bestandteil des Betreuungsangebotes sein.
Die Auswertung der Gespräche zeigte folgende Verarbeitungsprobleme:
-
Ausgeliefertsein, Machtlosigkeit,
-
Angst um die Mutter und um das Kind,
-
Schuld- und Versagensgefühle der Mutter,
-
erschwerte Eltern-Kind-Beziehung bei einer
Frühgeburt,
-
Hoffnungslosigkeit beim Verlust oder bei einer Behinderung des Kindes,
-
Verunsicherung und Ungewissheit in Bezug auf eine weitere Schwangerschaft.
Durch intensive Information und Zuwendung von Seiten der Betreuenden vor, während und nach der Geburt kann die Belastung der Eltern vermindert und die emotionale Bewältigung der Präeklampsie erleichtert werden. Dies gilt v. a. bei den Fällen mit schwerer Präeklampsie und insbesondere bei denjenigen Fällen assoziiert mit Kindsverlust oder Hospitalisation auf der Neonatologie (Hoedjes et al.
2011; Stern et al.
2013).
Wiederholungsrisiko einer Präeklampsie in einer Folgeschwangerschaft
Schwangerschaftskomplikationen wie Präeklampsie,
Hypertonie, Plazentainsuffizienz, aber auch
Gestationsdiabetes und Frühgeburtlichkeit scheinen darauf hinzuweisen, dass der mütterliche Organismus auf den Belastungstest „Schwangerschaft“ pathologisch reagiert. Es mehren sich die Hinweise, dass Frauen mit Zustand nach plazentaassoziierten Komplikationen im weitesten Sinne ein höheres Risiko aufweisen, später eine Hypertonie zu entwickeln (Wikström et al.
2005), an einer koronaren Herzkrankheit, an einem
Diabetes mellitus oder gar an einer terminalen
Niereninsuffizienz zu erkranken (Vikse et al.
2008; Sattar und Greer
2002; Ray et al.
2005).
Der Ausgang einer Schwangerschaft liefert wichtige Informationen, die für eine adäquate Beratung und entsprechende Anpassungen des Lifestyles verwendet werden können. Die enge Einbindung des Hausarztes in das Betreuungskonzept von Frauen mit komplizierten Schwangerschaften könnte helfen, die beschriebenen vaskulären Langzeitrisiken zu reduzieren.
Bei Erstgebärenden mit einer „klassischen“ Präeklampsie in der Spätschwangerschaft ohne Vorerkrankungen besteht kein wesentlich erhöhtes Risiko für ein Rezidiv in einer nächsten Schwangerschaft oder die Entwicklung kardiovaskulärer Krankheiten im späteren Leben. Das Wiederholungsrisiko und die Langzeitprognose werden hauptsächlich durch mütterliche Vorerkrankungen und bestehende Risikofaktoren (Übersicht) bestimmt.
Da insbesondere
Nephropathien häufig stumm verlaufen, muss im Rahmen der Nachuntersuchung eine gezielte Abklärung erfolgen (Abschn.
9 und
10).
Das Wiederholungsrisiko nach vorausgegangener Schwangerschaft mit schwerer Präeklampsie insbesondere <37 Wochen schwankt in der Literatur zwischen 11,5 % und 27 % (Spinnato et al.
2007; Villar et al.
2007). Bei früher Präeklampsie unter 34 Wochen wird ein Wiederholungsrisiko von 5–62 % angegeben. In einer systematischen Übersichtsarbeit wurde dieses Wiederholungsrisiko für schwere hypertensive Komplikationen (schwere Präeklampsie,
HELLP-Syndrom oder
Hypertonie) vor 34 Wochen mit 7,8 % (95 %-CI 6,7–9 %) angegeben (Langenveld et al.
2010).
Das Wiederholungsrisiko einer schweren hypertensiven Erkrankung in der Folgeschwangerschaft beträgt ca. 8 %.
Screening und Prävention hypertensiver Schwangerschaftserkrankungen
Die mit einer Präeklampsie assoziierte hohe Rate an mütterlichen und fetalen Komplikationen und die insbesondere in der Dritten Welt hohe Mortalität unterstreichen die Dringlichkeit von effektiven Screeninguntersuchungen, die es erlauben, Hochrisikopopulationen zu selektionieren, bei denen durch intensivierte antenatale Überwachung und Maßnahmen im Sinne einer sekundären Prophylaxe versucht werden könnte, einerseits die
Prävalenz der Erkrankung zu senken und andererseits durch frühe Erfassung die damit verbundenen maternofetalen Komplikationen zu reduzieren.
Eine primäre Prophylaxe erscheint wegen der komplexen und multifaktoriellen Genese des Krankheitsbildes unrealistisch. Auf die Screeninguntersuchung bezüglich Präeklampsie wird in Kap. (
Risikostratifizierung im 1. Trimester) näher eingegangen, und die folgenden Ausführungen zum Screening sind als Ergänzung zu betrachten.
Anamnestische Angaben zusammen mit der Beurteilung des Blutdrucks, der Proteinurie und von
Ödemen werden seit über 50 Jahren zur Früherkennung der Entwicklung einer Präeklampsie genutzt (Barton und Sibai
2008). Ein Screening basierend lediglich auf anamnestischen Angaben würde nicht mehr als 30 % der schweren und 20 % der leichten Formen einer Präeklampsie erfassen (Poon et al.
2009). Während die herkömmliche Blutdruckmessung wenig effektiv ist, ist der mittlere arterielle Blutdruck (MAD) (Formel) für die Vorhersage einer Präeklampsie deutlich besser geeignet.
Mittlerer arterielle Blutdruck (MAD) = diastolischer Blutdruck + 1/3 × [systolischer–distolischer Blutdruck]
Ein MAD von ≥90 mm Hg ist mit einem 3,5-fach (95 %-CI 2,0–5,0) höheren Vorhersagewert assoziiert und weist eine bessere Diskriminierungsfähigkeit auf als der systolische oder diastolische Blutdruck im 1. oder 2. Trimenon (Cnossen et al.
2009).
Auf den Stellenwert von biophysikalischen Markern wie die Impedanzparameter der uterinen Arterien für die Präeklampsierisikoevaluation wurde bereits in Kap.
Risikostratifizierung im 1. Trimester hingewiesen.
In den 1960er-Jahren konzentrierte sich die Forschung auf eine erhöhte Sensitivität gegenüber vasoaktiven Substanzen wie Angiotensin-II als Indikator für eine Präeklampsie (Talledo
1966). In den Folgejahren fokussierte sich die Wissenschaft auf die Identifikation von biochemischen Substanzen für die Risikoevaluation einer im weiteren Verlauf manifest werdenden Präeklampsie. Die Liste potenzieller Serummarker für die Vorhersage einer Präeklampsie wird ständig länger (Baumann et al.
2007):
Inhibin A, Activin A, „placental growth factor“ (PlGF), „vascular endothelial growth factor“ (VEGF), „soluble vascular endothelial growth factor receptor-1“ (sVEGFR-1) oder „soluble fms-like
tyrosine kinase-1“ (sFlt-1), „placental protein 13“ (PP-13), „pregnancy-associated
plasma protein A“ (PAPP-A),
humanes Choriongonadotropin (HCG) , „soluble endoglin“ (sEng), α-Fetoprotein (AFP), „corticotropin-releasing factor“ (CRF), „CRF-binding protein“ (CRF-BP), „insulin-like growth factor-1“ (IGF-1), „IGF-binding protein-1“ (IGFBP-1), Homozystein, „asymmetric dimethylarginine“ (ADMA), fetale
Erythroblasten und fetale DNA im mütterlichen
Serum.
Zellfreies fetales
Hämoglobin (HbF) in Verbindung mit dem Antioxidans α
1-Mikroglobulin wurde ebenfalls als Biomarker im 1. und frühen 2. Trimenon für die Vorhersage einer Präeklampsie beschrieben (Anderson et al.
2011).
Viele dieser Marker wurden während des 2. Trimenons untersucht und sind wegen des relativ späten Zeitpunktes einer Risikoevaluation sowie auch wegen niedriger prädiktiver Werte für ein Screening nicht geeignet (Levine et al.
2005).
Wie bereits in Abschn.
4.1 („Ätiologie und Pathogenese“) beschrieben, entwickelt sich die Präeklampsie aufgrund einer gestörten Trophoblastdifferenzierung im Blastozystenstadium 6 Tage post conceptionem (Huppertz
2008). Die daraus resultierende beeinträchtigte Trophoblastfunktion führt zu einem Ungleichgewicht in der Sezernierung von angiogenen und antiangiogenen Faktoren (Stepan und Jank
2009), die eine pathologische
Plazentation bewirken (Ahmad und Ahmed
2004). Systemische Inflammation und eine generalisierte endotheliale Dysfunktion führen zu einer Schädigung verschiedener Organe im mütterlichen Organismus (Venkatesha et al.
2006).
Angiogene Faktoren wie „placental growth factor“ (PLGF) und antiangiogene Faktoren wie sEng und sFlt-1 rückten auf der Suche nach Präeklampsiemarkern und einer prophylaktischen oder therapeutischen Interventionsmöglichkeit ins Zentrum der Forschung. Bereits in der 12–14. Woche sind die Serumkonzentrationen von sFLT-1- und sEng bei Schwangeren, die später eine Präeklampsie entwickelten, im Vergleich mit Kontrollen deutlich erhöht (Baumann et al.
2008). Zwischen der Feststellung pathologischer Serumspiegel und der Manifestation von Präeklampsiessymptomen lagen mehr als 21 Wochen, während in einer anderen Studie zwischen dem Nachweis eines erhöhten sFlt-1/PLGF-Quotient (
Cut-off-Wert: 85) und dem Auftreten von klinischen Zeichen einer Präeklampsie 5 Wochen vergingen (Verlohren et al.
2010).
Diese vielversprechenden Screeningmarker müssen jedoch noch in prospektiven Longitudinalstudien geprüft werden, bevor sie für den klinischen Alltag genutzt werden können.
Es liegt nahe, dass durch den kombinierten Einsatz verschiedener voneinander unabhängiger Parameter (biochemische und nichtbiochemische Marker) und durch die Verwendung von Prädiktionsalgorithmen die Vorhersage verbessert werden kann. Während des 2. Trimenons konnte durch eine kombinierte Messung von uteriner Dopplersonographie, von Serumspiegeln von sEng und sFlt-1 für die Prädiktion einer Präeklampsie eine Sensitivität von 80 % bei einer Spezifität von 89 % und eine positive Vorhersage von 50 % erreicht werden (Stepan et al.
2008). Für die Early-onset-Präeklampsie erhöhen sich diese Werte substanziell auf eine Sensitivität von 99 %, eine Spezifität von 93 % und eine positive Vorhersage von 71 %.
Der Grund der besseren Vorhersage der Early-onset-Präeklampsie liegt wohl darin, dass die als Marker verwendeten antiangiogenen Faktoren sEng und sFlt-1 vorwiegend plazentarer Provenienz sind und auch ein pathologischer Doppler der Uterina Ausdruck einer Plazentationsstörung ist, die bei der Entstehung der frühen Präeklampsie von besonderer Bedeutung ist. Bei den späten Formen sind eher konstitutionelle Momente der Mutter mit Dysfunktion der mütterlichen Endothelien von Bedeutung.
Diese von verschiedenen Gruppen beschriebenen Resultate (s. auch Kap.
Risikostratifizierung im 1. Trimester) sind vielversprechend, müssen jedoch vorerst noch in prospektiven Studien mit unterschiedlichen Populationen validiert werden, bevor ein solcher Algorithmus für den klinischen Alltag empfohlen werden kann.
Ein Screening macht nur dann Sinn, wenn bei positivem Resultat mittels einer geeigneten Intervention die
Prävalenz der Erkrankung und/oder die damit assoziierte Morbidität gesenkt werden können. Für die Präeklampsie wurde eine ganze Reihe von Interventionen untersucht, die größtenteils als ineffizient oder sogar als gefährlich eingestuft werden mussten (Meads et al.
2008). So wurde z. B. in älteren Arbeiten eine kochsalzarme Diät zur Ödemtherapie im Rahmen einer Präeklampsie propagiert. Diese Empfehlung ist weitgehend obsolet (Robinson
1958). Eine kochsalzrestriktive Ernährung ist nur dann angezeigt, wenn entweder eine kochsalzempfindliche
Hypertonie oder eine eingeschränkte mütterliche Nierenfunktion vorliegen.
Als Prophylaxe, die die Entwicklung einer Präeklampsie verhindern oder in ihrer Ausprägung günstig beeinflussen kann, werden die folgenden Interventionen diskutiert:
-
Low-dose-Aspirin (60–100 mg/Tag),
-
Low-dose-Heparin (5.000–10 000 IE niedermolekulares Heparin/Tag),
-
Supplementation von Kalzium, ω-3-Fettsäuren und Antioxidanzien.
Azetylsalizylsäure
Die Aktivierung der
Thrombozyten mit gesteigerter Aggregationsneigung und einer Aktivierung der Gerinnung mit einem Ungleichgewicht zwischen Prostazyklin, einem potenten Vasodilatator und
Thromboxan, einem Vasokontriktor, sind Teil der Pathogenese der Präeklampsie. Azetylsalizylsäure hemmt in einer täglichen Dosis von 60–100 mg selektiv die Thromboxansynthese ohne wesentliche Beeinträchtigung der Synthese von Prostazyklin, sodass es zu einer Korrektur des Thromboxan-Prostazyklin-Ungleichgewichts zugunsten von Prostazyklin kommt.
Die zahlreichen Studien zur Aspirinprophylaxe lassen keine verbindlichen Rückschlüsse darüber zu, welche Untergruppen von Schwangeren von einer niedrig dosierten Aspirineinnahme tatsächlich profitieren. Auch über den Zeitpunkt des Beginns und die optimale Dosierung besteht keine Einigkeit (Dekker und Sibai
2001).
Während größere Studien den auf Untersuchungen mit kleineren Fallzahlen basierenden Optimismus abgeschwächt haben (CLASP
1994), konnte in kürzlich erschienenen
Metaanalysen gezeigt werden, dass Aspirin das Risiko für Präeklampsie signifikant senkt. Dabei scheint der frühzeitige Beginn der Einnahme entscheidend zu sein. Negative Effekte auf den Fetus und ein erhöhtes Blutungsrisiko unter der Geburt wurden bei der verwendeten Dosierung nicht gefunden.
Bei einem Niedrigrisikokollektiv konnte kein eindeutiger Effekt von Aspirin auf die Inzidenz von Präeklampsie festgestellt werden, sodass eine generelle prophylaktische Gabe in dieser Gruppe nicht angezeigt ist (Subtil et al.
2003a). Der frühe Beginn der Einnahme von Aspirin scheint für den prophylaktischen Effekt entscheidend zu sein. So ergab eine Multicenterstudie der gleichen Gruppe aus Frankreich, dass ein Screening mittels uteriner Dopplersonographie in der 20.–24. SSW in einer Population mit geringem Risiko in Verbindung mit der Gabe von 100 mg Azetylsalizylsäure bei pathologischen Werten nicht sinnvoll ist (Subtil et al.
2003b).
Das National Institute for Health and Care Excellence in Großbritannien hat die in der Übersicht genannten Richtlinien zur Prophylaxe empfohlen (NICE Clinical Guideline 107; August 2010).
Heparin
Der Einsatz von unfraktioniertem (UH) oder Low-molecular-weight-Heparin (LMWH) zur Senkung des Thromboserisikos bei Frauen mit
Thrombophilie oder Zustand nach thromboembolischen Komplikationen ist gut untersucht und wurde in den 2008 erschienenen Guidelines von Bates et al. (
2008) zusammengefasst. Auf die daraus resultierenden Empfehlungen wird in Kap. Thromboembolische Komplikationen in Schwangerschaft und
Wochenbett,
Gerinnungsstörungen in der Geburtshilfe näher eingegangen.
Obschon thrombotische Ereignisse im uteroplazentaren Kreislauf häufig mit Komplikationen wie einer schweren Präeklampsie, Small-for-gestational-age-Kindern und
vorzeitiger Plazentalösung assoziiert sind, ist die Datenlage bezüglich des Zusammenhangs zwischen
Thrombophilie und Präeklampsie widersprüchlich (Kupferminc et al.
1999; Facchinetti et al.
2009; Kahn et al.
2009).
Bislang gibt es keine zuverlässigen Studien, die zeigen konnten, dass die Gabe von unfraktioniertem Heparin oder LMWH das Präeklamspsierisiko bei Frauen mit kongenitaler oder
erworbener Thrombophilie reduziert (Rodger et al.
2008; Middeldorp
2007). Bei Frauen mit
Thrombophilie und Zustand nach plazentagebundener Komplikation beschränkt sich deshalb die Indikation zur präventiven Verabreichung von unfraktioniertem Heparin oder LMWH auf die Thromboembolieprophylaxe.
Präeliminäre Daten zeigen aber, dass in einem selektionierten Hochrisikokollektiv ohne kongenitale
Thrombophilie die Rate an plazentagebundenen Komplikationen signifikant gesenkt werden konnte (Rey et al.
2009): Dalteparin wurde gewichtsadaptiert vor der 16. Woche bis maximal zur 36. Woche verabreicht. Das Risiko für Schwangerschaftskomplikation generell wurde im Kollektiv mit LMWH von 23,6 % auf 5,5 % (OR 0,15, 95 %-CI 0,03–0,70) signifikant gesenkt. Ein besseres Schwangerschaftsoutcome wurde auch von Sergio et al. (
2006) beschrieben bei Frauen mit Zustand nach schwerer Präeklampsie, die in der Folgeschwangerschaft mit LMWH allein oder zusätzlich mit niedrig dosiertem Aspirin behandelt wurden (Mello et al.
2005). Aspirin und LMWH zeigten ebenfalls bessere Resultate bei Frauen mit renalen Störungen (North et al.
1994).
In Anbetracht der kleinen Fallzahlen und der größtenteils nicht randomisierten Studien sollte Heparin allein oder in Kombination mit Aspirin im Sinne einer Präeklampsieprävention allenfalls für ein Hochrisikokollektiv diskutiert werden (Dao und Rodger
2009).
Kalzium
Eine inverse Relation zwischen Kalziumzufuhr und der Inzidenz von
hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen wurde von Belizan et al. (
1991) beschrieben. Eine niedrige Kalziumzufuhr führt zu einer Erhöhung des Parathormonspiegels im
Plasma oder zu einer vermehrten Reninausschüttung. Daraus resultieren erhöhte Kalziumspiegel in den glatten Muskelzellen, die via Vasokonstriktion die Entstehung einer
Hypertonie begünstigen (Bucher et al.
1996). In einer systematischen Übersichtsarbeit (Hofmeyr et al.
2007) konnte gezeigt werden, dass nicht nur die Hypertonie in der Gruppe mit Kalzium gesenkt wird (RR 0.70; 95%CI 0,57–0,86) sondern auch die Präeklampsie (RR 0,48; 95 %-CI 0,33–0,69). Dabei war der Effekt der Prophylaxe am größten bei Frauen mit hohem Risiko für hypertensive Schwangerschaftserkrankungen (RR 0,22; 95 %-CI 0,12–0,42) oder kalziumarmer Ernährung (RR 0,36; 95 %-CI 0,18–0,70). Entsprechend konnten auch die mütterliche Morbidität und Mortalität signifikant gesenkt werden (RR 0,80; 95 %CI 0,65–0,97).
Eine Kalziumsubstitution von mindestens 1–2 g täglich halbiert das Risiko für Präeklampsie, wobei der Effekt ausgeprägter ist bei Frauen mit hohem Risiko für hypertensive Erkrankungen oder niedriger Kalziumzufuhr. Für dieses spezielle Kollektiv wird Kalzium als präventive Maßnahme empfohlen.
ω-3-Fettsäuren
ω-3-Fettsäuren kommen in der Nahrung als Linolensäure, Eikosapentaensäure (EPA) und Decosahexaensäure (DHA) vor. Linolensäure ist in pflanzlichen Ölen enthalten, EPA und DHA finden sich ausschließlich in Fischölen.
Die essenziellen ω-3-Fettsäuren sind Vorläufer des Prostazyklins und hemmen kompetitiv die Arachidonsäure, den Vorläufer des
Thromboxans A2. Die Downregulation der Prostaglandinsynthese kann auch zu einer Senkung der Frühgeburtlichkeit führen. Frauen der Inuit, die sich fischölreich ernähren, weisen ein geringeres Risiko für die Entwicklung einer Präeklampsie und einer IUWR als Europäerinnen auf (Olson et al.
2000; Williams et al.
1995). Eine adäquate Anreicherung der Ernährung mit diesen
Fettsäuren (mindestens 340 g Meeresfrüchte/Woche) führt auch zu einer besseren kindlichen neurologischen Entwicklung (McGregor et al.
2001; Hibbeln et al.
2007; Genius
2008).
Die Überprüfung anderer Modifikationen der Diät während der Schwangerschaft wurde in kleineren randomisierten Untersuchungen vorgenommen. Dabei konnten keine positiven Einflüsse auf den Schwangerschaftsverlauf gezeigt werden (Villar et al.
2004).
Antioxidanzien
Es wird vermutet, dass oxidativer Stress mit Schädigung der Zellmembranen von Endothelien,
Leukozyten und
Thrombozyten durch überschießende Lipidperoxidation eine Rolle in der Pathogenese der Präeklampsie spielt (Roberts und Hubel
1999).
Die Lipidperoxidation wird durch freie Radikale initiiert. Antioxidanzien schützen die Zellmembranen, indem sie die Energie, die durch freie Radikale generiert wird, absorbieren. In kleineren Studien wurde eine verminderte
Prävalenz von Präeklampsien in der Gruppe mit
Vitamin C und E als antioxidativ wirkende Substanzen gefunden (Mikhail et al.
1994), in anderen wiederum nicht (Beazley et al.
2005). Die Cochrane-Analyse vom 2008 über den Einsatz von Antioxidanzien in der Schwangerschaft konnte ebenfalls keinen eindeutig positiven Zusammenhang zwischen Vitamin C und E und positivem Ausgang der Schwangerschaft zeigen. Beunruhigend ist die Tatsache, dass im Vergleich mit Kontrollen mehr Frauen, die Vitamin C und E erhalten hatten, einer hypertensiven Behandlung bedurften und deswegen hospitalisiert wurden (Rumbold et al.
2008) und das Risiko für untergewichtige Kinder sogar höher war als in der Placebogruppe (Poston et al.
2006).
Publikationen von klinische Studien zum prophylaktischen Einsatz von α
1-Microglobulin als Antioxidans liegen bislang nicht vor (Hansson et al.
2013).