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Die Ärztliche Begutachtung
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Publiziert am: 27.05.2023

Blutgerinnung – Diagnostik für die Begutachtung

Verfasst von: Theo Leitner und Job Harenberg
Die Hämostase bezeichnet den physiologischen Prozess der Gerinnselbildung nach einer Gefäßverletzung mit dem Ziel der Blutstillung. Sie wird durch das komplexe Zusammenspiel aus dem Endothel der Blutgefäße, den Thrombozyten sowie den im Plasma gelösten Gerinnungsfaktoren gewährleistet. In der Folge einer Gefäßverletzung kommt es im Rahmen der sogenannten primären Hämostase zunächst zu einer Aktivierung und Vernetzung der Blutplättchen und somit zu einem vorläufigen Verschluss des Gefäßschadens. Begleitend wird durch die Freisetzung und gegenseitige Aktivierung der Gerinnungsfaktoren die plasmatische Gerinnung in Gang gesetzt (sekundäre Hämostase). Während der sekundären Hämostase kommt es kaskadenartig zu einer gegenseitigen Aktivierung der Gerinnungsfaktoren und der Bildung eines stabilen Fibringerinnsels, sodass eine dauerhafte Blutstillung ermöglicht wird. Auf der Basis laborexperimenteller Erkenntnisse wird vereinfachend zwischen einem extrinsischen und intrinsischem Gerinnungssystem unterschieden (Abb. 1).

Physiologie der Gerinnung

Hämostase

Die Hämostase bezeichnet den physiologischen Prozess der Gerinnselbildung nach einer Gefäßverletzung mit dem Ziel der Blutstillung. Sie wird durch das komplexe Zusammenspiel aus dem Endothel der Blutgefäße, den Thrombozyten sowie den im Plasma gelösten Gerinnungsfaktoren gewährleistet. In der Folge einer Gefäßverletzung kommt es im Rahmen der sogenannten primären Hämostase zunächst zu einer Aktivierung und Vernetzung der Blutplättchen und somit zu einem vorläufigen Verschluss des Gefäßschadens. Begleitend wird durch die Freisetzung und gegenseitige Aktivierung der Gerinnungsfaktoren die plasmatische Gerinnung in Gang gesetzt (sekundäre Hämostase). Während der sekundären Hämostase kommt es kaskadenartig zu einer gegenseitigen Aktivierung der Gerinnungsfaktoren und der Bildung eines stabilen Fibringerinnsels, sodass eine dauerhafte Blutstillung ermöglicht wird. Auf der Basis laborexperimenteller Erkenntnisse wird vereinfachend zwischen einem extrinsischen und intrinsischem Gerinnungssystem unterschieden (Abb. 1).
Der extrinsische Weg der Gerinnung wird durch das in Folge eines Endothelschadens freigesetzte Gewebethromboplastin eingeleitet. Zusammen mit Faktor VII wird der Faktor X aktiviert. Der erste Schritt des intrinsischen Gerinnungsweges besteht in der Aktivierung von Faktor XII (durch negativ geladene Oberflächen, z. B. Kollagen), wodurch zunächst Faktor XI und in der Folge Faktor IX aktiviert wird. Faktor IX aktiviert zusammen mit Faktor VIII Faktor X. Beide Wege vereinigen sich zu einer gemeinsamen Endstrecke, bei der ein Prothrombinasekomplex aus Faktor X, V, Calcium und Phospholipiden gebildet wird. Der Prothrombinasekomplex wandelt Prothrombin in Thrombin um, welches Fibrinogen in unlösliches Fibrin spaltet. Fibrin vernetzt sich gemeinsam mit den Thrombozyten zu einem stabilen Blutgerinnsel (quervernetzter Fibrinthrombus). Antithrombin, Protein S und C inhibieren die Kaskade, um eine überschießende Gerinnselbildung zu verhindern.
Eine überschießende Gerinnselbildung und somit eine vermehrte Thromboseneigung wird durch spezifische Inhibitoren des Gerinnungssystems (Protein C und S, Antithrombin) verhindert. Die oben beschriebenen Prozesse können im Labor durch eine Vielzahl verschiedener Tests erfasst werden, um Störungen der Blutgerinnung zu diagnostizieren. Die gängigen sog. Globaltests der Gerinnung sind die Aktivierte Partielle Thromboplastinzeit (aPTT) sowie die Thromboplastinzeit (der sog. Quick-Wert). Die Bestimmung der Blutungszeit kann bei Verdacht auf eine Thrombozytenfunktionsstörung angewandt werden. Weiterhin ist eine direkte Aktivitätsmessung der Gerinnungsfaktoren möglich (Einzelfaktoranalyse), ebenso wie eine Aktivitätsmessung der Gerinnungsinhibitoren Protein C und S sowie Antithrombin.

Diagnostik der Gerinnung

  • Das endogene Gerinnungssystem wird mit der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit (aPTT) gemessen, bei welcher sogenannte partielle Thromboplastine, die aus Phospholipiden bestehen, Faktor XII aktivieren. Die aPTT ist verlängert bei Mangel an Faktor V, X, VIII, IX, XI und XII sowie Thrombin und Fibrinogen. Sie erlaubt eine Therapieüberwachung mit unfraktioniertem Heparin. Insbesondere bei Vorliegen einer Hämophilie A und B sowie bei einem Von-Willebrand-Syndrom ist die aPTT verlängert.
  • Das exogene Gerinnungssystem wird durch die Thromboplastinzeit (sog. Quick-Wert) erfasst. Thromboplastin aktiviert, wie bei einer Gewebsverletzung, direkt Faktor VII. Der Quick-Wert dient insbesondere dem Ausschluss einer Gerinnungsstörung mit angeborenem oder erworbenem Mangel an Faktor VII, X, II und Fibrinogen. Da es sich bei den Faktoren VII, X und II auch um Vitamin-K-abhängige Gerinnungsfaktoren handelt, dient er der Überwachung und Steuerung einer Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten wie Marcumar. Weiterhin kann eine verlängerte Thromboplastinzeit Zeichen eines Vitamin-K-Mangels oder eine Lebersynthesestörung sein. Zur besseren Vergleichbarkeit verschiedener Messverfahren und zwischen verschiedenen Laboren wird der Quick-Wert häufig (insbesondere im Rahmen einer Überwachung der Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten) in Form der Internatinal Normalized Ratio (INR) angegeben.
  • Die Thrombinzeit misst die Gerinnselbildung unter Zusatz von Thrombin. Sie kann zum Monitoring einer Behandlung mit unfraktioniertem Heparin und Fibrinolytika sowie in der Diagnostik einer Dysfibrinogenämie oder eines Fibrinogenmangels angewendet werden.
  • Eine wichtige Bedeutung im Gerinnungssystem hat weiterhin das gerinnbare Fibrinogen, das in seiner Konzentration direkt gemessen werden kann. Insbesondere in der Diagnostik eines angeborenen Fibrinogenmangels, einer Verbrauchskoagulopathie sowie zur Überwachung einer Fibrinogensubstitution ist eine Bestimmung sinnvoll. Als Akute-Phase-Protein ist Fibrinogen im Rahmen entzündlicher Prozesse erhöht.
  • Den Thrombozyten kommt in der Hämostase eine wichtige Bedeutung zu. Die Bestimmung der Thrombozytenzahl ist daher für die Basisdiagnostik der Hämostaseologie immer erforderlich.
Aufgrund dieser Überlegungen ergibt sich das in Tab. 1 dargestellte Schema für eine Routinediagnostik in der Hämostaseologie.
Tab. 1
Routinediagnostik in der Hämostaseologie
Parameter
Normwert
Bedeutung
Therapiekontrolle
Thromboplastinzeit (Quick-Wert)
70–120 %
Leberfunktion, Vitamin K
Markumar
aPTT
25–40 s
Hämophilie A oder B
Heparin, Hirudin, Argatroban
12–21 s
Genetische Defekte von Fibrinogen
Heparin, Fibrinolyse
Gerinnbares Fibrinogen
1,6–4,0 g/l
Leberfunktion, angeborener Mangel, Akute-Phase
Fibrinolyse, Verbrauchskoagulopathie
Thrombozytenzahl
150–450/μl
Hämatologische Erkrankungen, Verbrauchskoagulopathie,
ITP
Verbrauchskoagulopathie, Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT)
Nach Transfusion
In Abhängigkeit von den Ergebnissen dieses Routineprogramms ergeben sich weitere Einzelanalysen.
  • Für die Gerinnungsfaktoren II, V, VII, VIII, IX, X, XI, XII, XIII stehen Einzelfaktorbestimmungen zur Verfügung. Weiterhin können Kallikrein, Präkallikrein, Kinin und Kinogen mit Einzeltests gemessen werden. Die Ergebnisse werden als Prozent der Norm angegeben, sodass der Normalbereich in der Regel 70–150 % beträgt.
  • Die herkömmlichen Globaltests eignen sich nicht zur Therapieüberwachung und -steuerung der direkten oralen Antikoagulantien (Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban, Dabigatran). Eine routinemäßige laboranalytische Überwachung ist in der Anwendung direkter oraler Antikoagulantien jedoch im Regelfall auch nicht notwendig. Die Bestimmung des medikamentösen Plasmaspiegels ist möglich.
  • Mit dem Thrombelastogramm wird die Zeit bis zur Entstehung und Auflösung eines Gerinnsels unter Verwendung von Vollblut gemessen. Sie ist sowohl von der Fibrinbildung als auch von der Thrombozytenzahl und -funktion abhängig.
  • Die Blutungszeit erfasst Störungen der Thrombozytenfunktion und des von-Willebrand-Faktors. Die Blutungszeit ist eine In-vivo-Methode: Es wird eine standardisierte, intrakutane Verletzung gesetzt. Die Zeit bis zu ihrer Blutstillung wird gemessen. Der Normwert ist Test-abhängig (zwischen 2 und 7 Minuten). Er hat in der klinischen Praxis an Bedeutung verloren.
  • Rumpel-Leede-Test: Am Oberarm wird eine Blutdruckmanschette für 10 Minuten auf etwa 50 mmHg aufgeblasen. Wenn am Unterarm petechiale Blutungen auftreten, gilt der Test als positiv. Ursache eines positiven Tests sind eine Thrombozytenfunktionsstörung, eine Thrombozytopenie und Schädigungen des Gefäßendothels (z. B. Morbus Osler).
Thrombophiliediagnostik: Die Durchführung einer Thrombophiliediagnostik dient der Klärung der Ursache rezidivierender Thrombosen und soll ergänzende Informationen zur Risikoabschätzung für das Auftreten (wiederholter) thromboembolischer Ereignisse liefern. Indikationen zur Durchführung einer Thrombophiliediagnostik sind das Auftreten rezidivierender, insbesondere spontaner Thrombosen oder wenn Hinweise auf eine familiäre Thromboseneigung vorliegen. Sie beinhaltet u. a. die Bestimmung von Antithrombin, Protein C und S sowie eine molekulargenetische Diagnostik zum Ausschluss eines Faktor-V-Leiden und Prothrombin-20210-Mutation. Insbesondere bei Nachweis einer unklaren aPTT-Verlängerung und bei Patientinnen mit wiederholten Aborten sollte eine Bestimmung der Antiphospholipid-Antikörper zum Ausschluss eines Antiphospholipidsyndroms erfolgen.