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Adverse Childhood Experiences (ACE) – belastende Kindheitserlebnisse

Verfasst von: Jörg M. Fegert, Cedric Sachser und Andreas Witt
Das vorliegende Kapitel befasst sich mit dem Konzept der belastenden Kindheitserlebnisse (engl. Adverse Childhood Experiences, ACE). Zunächst erfolgt eine begriffliche Einordnung und Erläuterung des Konzeptes. Die historische Entwicklung, insbesondere die sog. ACE-Studie, eine der wichtigsten Public Health Studien, werden dargestellt. Darüber hinaus werden das zugrundeliegende Rahmenmodell, die sog. ACE-Pyramide sowie der nationale und internationale Forschungsstand präsentiert. Insbesondere werden aktuelle Befunde einer aktuellen repräsentativen Studie zur Häufigkeit und zu den psychischen und körperlichen Folgen belastender Kindheitserlebnisse dargestellt und die Implikationen für die Versorgungspraxis diskutiert.

Einleitung

Daten aus dem Bereich Kindesmisshandlung zeigen eindrücklich, dass einzelne Formen von Kindesmisshandlung meist nicht isoliert auftreten, sondern dass das gemeinsame, auch zeitlich versetzte Auftreten verschiedener Formen von Misshandlung eher die Regel als die Ausnahme darstellt. Dies lässt sich in großen bevölkerungsrepräsentativen Studien beobachten (Witt et al. 2017) und zeigt sich noch deutlicher in klinischen Stichproben (Witt et al. 2016). So fassen Herrenkohl und Herrenkohl (Herrenkohl und Herrenkohl 2009) in ihrer Literaturübersicht zusammen, dass unter Einbezug mehrerer Informationsquellen die Rate multipler Misshandlung bei bis zu 95 % liegt. Darüber hinaus zeigen Studien, dass nicht nur verschiedene Formen von Misshandlung häufig gemeinsam auftreten, sondern die Betroffenen auch ein höheres Risiko aufweisen andere belastende Erfahrungen in der Kindheit zu erleben (Finkelhor et al. 2007). Das Konzept der belastenden Kindheitserlebnisse, oder engl. Adverse Childhood Experiences (ACE), trägt diesem Umstand Rechnung. Der Begriff geht über Kindesmisshandlung hinaus, da dieser neben Kindesmisshandlung noch weitere belastende Kindheitserlebnisse im Bereich Probleme im Elternhaus, oder engl. Household Dysfunction mit einschließt (Felitti et al. 1998). Felitti et al. definieren Adverse Childhood Experiences (ACEs) als potenziell traumatische Ereignisse, die negative und anhaltende Folgen für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Betroffenen haben können (Felitti et al. 1998). Das Konzept wird nicht immer einheitlich gebraucht, beinhaltet jedoch meist die beiden Kategorien Kindesmisshandlung und Probleme im Elternhaus. Bei der Einführung des Konzeptes argumentierten Felitti et al. (1998), dass ohne den zusätzlichen Einbezug von negativen Haushaltsfaktoren die Gefahr bestehe, dass die Langzeitfolgen fälschlicherweise ausschließlich auf isolierte Typen von Misshandlung attribuiert werden. Die mit einem Fragebogen retrospektiv erfassten ACEs stellen somit einige der intensivsten und am häufigsten auftretenden Quellen kindlichen Stresses dar. Ursprünglich beinhaltete das Konzept 7 belastende Kindheitserlebnisse aus 2 Kategorien, aktuell werden jedoch 10 Erlebnisse in 2 Kategorien subsummiert (Olofson 2018; Abb. 1). Der Bereich Kindesmisshandlung beinhaltet die 5 gängigen Typen von Kindesmisshandlung: körperliche Misshandlung, emotionale Misshandlung, sexueller Missbrauch, körperliche Vernachlässigung und emotionale Vernachlässigung (Leeb et al. 2008). Der Bereich Household Dysfunction beinhaltet Drogen- oder Alkoholmissbrauch durch die Eltern oder andere Familienmitglieder, den Verlust eines Elternteils durch Scheidung, das Miterleben häuslicher Gewalt, die Inhaftierung eines Familienmitglieds oder psychische Störungen eines Familienmitglieds.
Verschiedene Formen von Kindheitsbelastungen treten meist nicht isoliert auf. Das gemeinsame auch zeitlich versetzte Auftreten verschiedener Kindheitsbelastungen stellt eher die Regel als die Ausnahme dar.
Zur Erfassung dieser belastenden Kindheitserlebnisse wird jedes dieser Items durch 1–4 Fragen repräsentiert. Eine positive Antwort zu einer dieser Fragen wird dann als positive Zustimmung zu dem breiteren Konzept gewertet (Felitti et al. 1998). Für die Erfassung belastender Kindheitserlebnisse steht eine deutschsprachige Version des ACE-Fragebogens zur Verfügung (Wingenfeld et al. 2011). Die Misshandlungsformen und Probleme im Elternhaus sind in Abb. 1 dargestellt. Die Auswertung des ACE-Fragebogens erfolgt über die Berechnung eines Summen-Scores (0–10), der die Anzahl der unterschiedlichen belastenden Ereignisse bzw. Umstände wiedergibt. Die Berechnung von Subskalen ist in der ursprünglichen Version nicht vorgesehen, da mit jedem Item eine andere Dimension früher Belastungen erfragt wird und insbesondere der Effekt der Kumulation in dem Konzept der belastenden Kindheitserlebnisse eine Rolle spielt. Damit ist eine einfache und ökonomische Erfassung der Kumulation von Kindheitsbelastungen möglich. Kritisch wird hier jedoch angemerkt, dass dieses Vorgehen allen ACEs die gleiche Gewichtung bezogen auf die Folgen zuweist (Evans et al. 2013; Olofson 2018). In der Forschung werden deshalb aktuell eher Methoden eingesetzt, die dahinterstehende latente Variablen abbilden (Evans et al. 2013; Olofson 2018).

Original ACE-Studie

Die ACE-Studie ist eine der bedeutendsten Public Health Studien. Sie hatte ihren Ursprung im Jahr 1985 in einer Klinik für Menschen mit Übergewicht in San Diego. Dr. Vincent Felitti war der Leiter des Kaiser Permanente’s revolutionary Department of Preventive Medicine in San Diego, Kalifornien. Er beobachtete, dass jedes Jahr seit dem Start der Klinik im Jahr 1980 mehr als die Hälfte seiner Patienten in der Klinik für Übergewicht ihre Behandlung abbrachen. Bei einer oberflächlichen Prüfung der Akten der Patienten, die abgebrochen hatten, stellte er fest, dass alle erfolgreich an Gewicht verloren hatten als sie das Programm verließen. Er stellte sich somit die Frage, wieso so viele Patienten trotz Therapieerfolge vorzeitig das Programm abbrachen. Nach tiefergehender Analyse der Patientenakten machte er folgende Feststellungen: Alle Patienten, die abgebrochen hatten, waren bei der Geburt normalgewichtig, zudem nahmen diese nicht langsam an Gewicht über die Jahre zu, sondern die Gewichtszunahme erfolgte abrupt und stabilisierte sich dann. Verloren diese Patienten an Gewicht, so nahmen sie dieses oder mehr innerhalb kürzester Zeit wieder zu. Bei weitergehenden Interviews der Personen, die das Programm vorzeitig abgebrochen hatten, stellten die Interviewer fest, dass die Mehrzahl der Patienten, die das Programm vorzeitig verlassen hatten, eine Form von sexuellem Missbrauch in der Kindheit erlebt hatten.
„It was very disturbing. Every other person was providing information about childhood sexual abuse.“ (Felitti, acestoohigh.com)
Bei einigen Patienten stellten Felitti und seine Kollegen fest, dass die Gewichtszunahme in Folge des Missbrauchs erfolgte.
„In the case of another woman – whose father told her while he was raping her when she was 7-years-old that the only reason he wasn’t doing the same to her 9-year-old sister was because she was fat – being obese protected her. Losing weight increased their anxiety, depression, and fear to levels that were intolerable.“ (Felitti, acestoohigh.com)
Aufgrund der Informationen aus den Interviews stellte Felitti die Schlussfolgerung auf, dass gesundheitsschädliches Verhalten der misslingende Versuch von Stressbewältigung, also einen Copingmechanismus mit negativen Folgen darstellt.
„Overweight is overlooked, and that’s the way I need to be.“
„To them, eating was a fix, a solution“ (Felitti, acestoohigh.com)
In der Folge entstand in Kollaboration mit den Centers of Disease Control and Prevention (CDC) eine der größten Studien zu belastenden Kindheitserlebnissen und deren Folgen. Die Originalstudie wurde am Kaiser Permanente zwischen 1995 und 1997 mit zwei Datenerhebungswellen durchgeführt (Felitti et al. 2007; Krugman 2012). Insgesamt nahmen über 17.000 Patienten an dieser Studie teil. Es erfolgten körperliche Untersuchungen und Fragebogenuntersuchungen zu gesundheitsschädlichem Verhalten und belastenden Kindheitserlebnissen (Felitti et al. 1998). Die Ergebnisse der Studie wurden in einer Vielzahl von wissenschaftlichen Artikeln publiziert (Dong et al. 2004; Dube et al. 2001; Edwards et al. 2003, 2007; Felitti et al. 1998) und zeigten einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Kumulation belastender Kindheitserlebnisse und einer Vielzahl psychischer und somatischer Störungen sowie gesundheitsschädlichen Verhaltens.
„Much of what is recognized as common in adult medicine is the result of what is not recognized in childhood.“ (Felitti 2002)
Die Ergebnisse konnten in einer Reihe weiterer Studien repliziert werden (Hughes et al. 2017; Palusci 2013). Mit der ACE-Studie konnte somit nicht nur gezeigt werden, dass ACEs der Hauptgrund für psychische und soziale Probleme der Betroffenen darstellten, sondern dass diese auch ein bedeutsamer Grund für Erkrankungen Erwachsener in Industrienationen sind. Der Effekt der Kumulation belastender Kindheitserlebnisse auf die (körperliche und psychische) Gesundheit von Personen konnte in einer Vielzahl von Studien (Hughes et al. 2017; Palusci 2013) repliziert werden und unterstreicht die Robustheit dieses Effekts.

ACE-Pyramide

Die zugrundeliegenden Mechanismen, über die belastende Kindheitserlebnisse die Gesundheit und das Wohlbefinden über das Leben hinweg beeinflussen, sind in der sog. ACE-Pyramide zusammengefasst. Die ACE-Pyramide bietet den konzeptuellen Rahmen für Studien zu den Folgen belastender Kindheitserfahrungen und soll wissenschaftliche Lücken hinsichtlich der Mechanismen aufzeigen. In der ACE-Pyramide wird davon ausgegangen, dass belastende Kindheitserlebnisse zu Störungen in der neuronalen Entwicklung führen, die wiederum zu emotionalen, kognitiven und sozialen Einschränkungen führen können. Aufgrund dieser bildet sich ein Risikoverhalten heraus, das soziale Probleme, Krankheiten oder Einschränkungen fördert und ultimativ zu einem früheren Tod führt. Wissenschaftliche Lücken werden insbesondere darin gesehen, wie es aufgrund belastender Kindheitserlebnisse zu neuronalen Veränderungen kommen kann und wie diese zu emotionalen, kognitiven und sozialen Einschränkungen führen. Aufgrund ihrer Beobachtungen stellten Felitti et al. (1998) dysfunktionale Stressbewältigung, also Copingverhalten wie Rauchen, Alkohol- oder Drogenmissbrauch etc., in den Fokus ihres Rahmenmodells. Diese würden bewusst oder unbewusst genutzt und aufgrund ihrer pharmakologischen oder psychologischen Wirkungen zu einer Stressreduktion führen. Dahinter steht die Annahme, dass eine erhöhte Exposition gegenüber belastender Kindheitserlebnisse zu Problemen in der Emotionsregulation sowie Angst, Wut und Depression bei Kindern führt. Da Rauchen, Alkohol- oder Drogenkonsum, effektive Copingmaßnahmen darstellen, besteht hier das Risiko, dass diese dauerhaft genutzt werden. So zeigt sich beispielsweise, dass Nikotin regulierende psychoaktive Effekte besitzt (Carmody 1992) und ein enger Zusammenhang zwischen Rauchen und depressiven Symptomen besteht (Anda et al. 1990; Glassman et al. 1990). Somit gehen Felitti und Kollegen davon aus, dass Menschen mit belastenden Kindheitserfahrungen Verhaltensweisen, wie Rauchen, Drogenkonsum oder übermäßiges Essen zur Stimmungsregulation nutzen (Felitti et al. 1998) und diese eine mögliche Erklärung für den Zusammenhang zwischen belastenden Kindheitserfahrungen und gesundheitsschädlichem Verhalten und Erkrankungen im Erwachsenenalter darstellen.
Im Kern des Modells der Vermittlung von Langzeiteffekten belastender Kindheitserlebnisse auf die Gesundheit und das Wohlbefinden, stehen maladaptive Copingverhaltensweisen wie Rauchen, die aufgrund ihrer psychologischen und pharmakologischen Wirkung die Emotionsregulation beeinflussen.
Zu den Fragen, inwiefern sich belastende Kindheitserlebnisse auf die Entwicklung des Nervensystems auswirken und wie diese dann zu sozialen, emotionalen und kognitiven Einschränkungen führen, gibt es mittlerweile Forschungsergebnisse. Unter anderem spielt hier der Begriff des toxischen oder traumatischen Stresses eine wichtige Rolle. Der Begriff „toxischer Stress“ wurde zum Beginn der 2000er-Jahre vom National Scientific Council on the Developing Child geprägt, um umfassende wissenschaftliche Erkenntnisse über die Auswirkungen einer übermäßigen Aktivierung der Stressreaktionssysteme auf das sich entwickelnde Gehirn eines Kindes sowie auf das Immunsystem, die Stoffwechselregulationssysteme und das Herz-Kreislauf-System zu beschreiben (American Academy of Pediatrics 2014). Während ein gewisses Ausmaß an Stress normal – und sogar notwendig für die Entwicklung – ist, kann die Art von Stress, die entsteht, wenn ein Kind belastenden Kindheitserlebnissen ausgesetzt ist, toxisch werden. Dies ist dann der Fall, wenn das Erlebte zu einer starken, häufigen oder langanhaltenden Aktivierung der Stressreaktionssysteme des Körpers führt, ohne den puffernden Schutz einer unterstützenden, erwachsenen Beziehung. Die biologische Reaktion auf diesen toxischen Stress kann stark beeinträchtigend wirken und ein Leben lang anhalten.
Das wesentliche Merkmal des toxischen Stresses ist die postulierte Störung neuronaler Netzwerke im Gehirn und anderer Organ- und Stoffwechselsysteme während sensibler Entwicklungsphasen. Eine solche Störung kann zu anatomischen Veränderungen und/oder physiologischen Dysregulationen führen, die Vorläufer späterer Lern- und Verhaltensbeeinträchtigungen sowie die Wurzeln chronischer, stressbedingter körperlicher und psychischer Erkrankungen sind. So konnten Richards und Wadsworth (Richards und Wadsworth 2004) Langzeiteffekte von Kindesmisshandlung auf kognitive Funktionen, das Gedächtnis und Konzentration nachweisen. In einer Metaanalyse auf Basis von 23 Studien berichten Kavanaugh et al. (2017), dass Kindesmisshandlung zu einer Beeinträchtigung exekutiver Funktionen, der Intelligenz, Sprachfertigkeiten, räumlich visueller Fähigkeiten und des Gedächtnisses führt. Sie schlussfolgern, dass Kindesmisshandlung womöglich eine Ursache für neurologische Entwicklungsstörungen darstellt. Als Faktoren, die die Stärke des Zusammenhangs bestimmen, nennen die Autoren Dauer, Schweregrad und Typ der Misshandlung sowie die Entwicklungsphase, in der die Misshandlung auftritt. Als Grundlage dieser Einschränkungen können strukturelle und funktionelle Veränderungen durch belastende Kindheitserlebnisse angenommen werden. So berichten mehrere Literaturübersichten (Berens et al. 2017; Eamon et al. 2010; Fisher et al. 2016; McCrory et al. 2012; Teicher et al. 2003) von strukturellen Veränderungen im Corpus callosum, dem Zerebellum sowie dem präfrontalen Kortex. Durch diese strukturellen Veränderungen lassen sich z. T. die oben beschriebenen neurokognitiven Veränderungen erklären. So spielt beispielsweise der präfrontale Kortex bei den exekutiven Funktionen eine wichtige Rolle gerade für die Impulskontrolle, und Veränderungen des Corpus callosum können sich auf das Gedächtnis auswirken (Fisher et al. 2016). Funktionelle Veränderungen wurden für Bereiche beschrieben, die für die Emotions- und Verhaltensregulation zuständig sind, unter anderem die Amygdala und der anteriore zinguläre Kortex. Kinder, welche im DSM-5-Kontext die Diagnose Disruptive Mood Dysregulation Disorder erhalten, haben häufig entsprechende Kindheitsbelastungen in der Vorgeschichte (Kap. „Disruptive mood disregulation disorder in Kindheit und Jugend“). Darüber hinaus wird auf Basis von neuroendokrinologischen Studien eine Assoziation zwischen belastenden Kindheitserlebnissen und einer atypischen Entwicklung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (engl. hypothalamic-pituitary-adrenal-axis, HPA-Axis) angenommen. Diese führt dauerhaft zu einer veränderten Stressantwort und erhöht damit die Vulnerabilität für psychische Störungen im Erwachsenenalter (Eamon et al. 2010; Fisher et al. 2016). Über Glukokortikoidrezeptoren wirkt sich das über die HPA-Achse freigesetzte Kortisol auf das periphere, aber auch das zentrale Nervensystem aus und beeinflusst etwa den präfrontalen Kortex, den Hypocampus sowie die Amygdala (Low 2017). Insbesondere die HPA-Achse, Regionen des präfrontalen Kortex und die Amygdala, die Teil des limbischen Systems ist und für die Emotionsverarbeitung sowie die Erkennung von Bedrohung und Furchtreaktionen zuständig ist, werden als relevant für die Planung neuer Interventionen angesehen (Fisher et al. 2016).

Prävalenz international

In der originalen ACE-Studie stellten die Autoren fest, dass 53 % der Befragten mindestens 1 belastendes Kindheitserlebnis angaben. 6,2 % berichteten sogar von 4 oder mehr belastenden Kindheitserlebnissen (Felitti et al. 1998). Am häufigsten wurde Substanzmissbrauch im Haushalt mit 25,3 % und am seltensten die Inhaftierung eines Familienmitglieds genannt. Im Gegensatz zu neueren Studien wurden in der Originalstudie nur 7, statt aktuell 10 Kategorien von belastenden Kindheitserlebnissen erfasst (Felitti et al. 1998).
In einer aktuellen systematischen Literaturübersicht zu den Folgen belastender Kindheitserlebnisse, identifizierten Hughes et al. (2017) 37 Artikel mit insgesamt 253.719 Teilnehmern mit Angaben zur Prävalenz von belastenden Kindheitserlebnissen. Von diesen bezogen sich 21 Studien auf Populationen aus den USA, 7 auf Populationen aus UK, 2 nutzten Stichproben aus Finnland, und je 1 Studie nutzte Stichproben aus Kanada, China, Neuseeland, die Philippinen, Saudi-Arabien und Sri Lanka. Eine Studie kombinierte eine Stichprobe aus Albanien, Lettland, Litauen, Mazedonien, Montenegro, Rumänien, Russland und der Türkei. Interessanterweise befand sich keine Studie aus Deutschland unter den untersuchten Studien. Die meisten Studien nutzten Stichproben aus der Allgemeinbevölkerung und alle Studien nutzten den ACE-Fragebogen zur retrospektiven Erfassung belastender Kindheitserlebnisse. Die Anzahl an Kategorien belastender Kindheitserlebnisse variierte jedoch zwischen den Studien. Im Mittel wurden 9 Kategorien erhoben. Über alle Studien hinweg lag die Prävalenz für mindestens 1 belastendes Kindheitserlebnis bei 57 %, für mindestens 4 belastende Kindheitserlebnisse bei 13 % (Hughes et al. 2017). Die Prävalenz für mindestens 1 belastendes Kindheitserlebnis variierte zwischen 43 % und 88 %, für mindestens 4 belastende Kindheitserlebnisse zwischen 1 % und 38 %.
Betrachtet man spezifische Populationen, wie etwa jugendliche Straftäter (Baglivio et al. 2014), Jugendliche, die in Pflegefamilien aufgewachsen sind (Garrido et al. 2018; Rebbe et al. 2017) oder klinische Stichproben, wie Menschen mit Schizophrenie (Matheson et al. 2013), so wird deutlich, dass die Prävalenz für belastende Kindheitserlebnisse in diesen Populationen noch einmal deutlich über der in der Gesamtbevölkerung liegt.
Die Ergebnisse machen darüber hinaus deutlich, dass einzelne belastende Kindheitserlebnisse nicht isoliert auftreten, sondern die verschiedenen Kategorien sind häufig miteinander korreliert (Dong et al. 2004). Das Rahmenmodell der ACE-Studie geht grundsätzlich von einem kumulativen Risikoindex aus. Zum Teil sind einzelne belastende Kindheitserlebnisse wissenschaftlich sehr ausführlich untersucht worden. Dies unterliegt aber teilweise dem Fehler, alle Resultate auf ein Ereignis zu beziehen. So zeigen etwa Studien von Clemens et al. (2019), dass Effekte einzelner belastender Kindheitserlebnisse nur beim Vorliegen anderer Belastungen nachweisbar sind.
Neuere Ansätze untersuchen jedoch auch Muster gemeinsam auftretender belastender Kindheitserlebnisse. So untersuchte Barboza (Barboza 2018) Muster gemeinsam auftretender belastender Kindheitserlebnisse und deren Assoziation mit HIV und Risikoverhalten, problematischem Alkoholkonsum und depressiver Symptome an einer amerikanischen Stichprobe mit insgesamt 117.555 Teilnehmern. Es konnten 5 sich einander ausschließende Muster identifiziert werden. Das Muster, das die meisten Teilnehmer (56,3 %) aufwiesen, war charakterisiert durch die Absenz eines dysfunktionalen Elternhauses sowie Kindesmisshandlung. Das zweithäufigste Muster (30,3 %) war charakterisiert durch Erlebnisse von emotionaler Misshandlung und Alkoholismus in der Familie. Muster 3 (6 %) war charakterisiert durch emotionale Misshandlung, Alkoholkonsum in der Familie sowie elterliche Konflikte. Muster 4 (4,3 %) war gekennzeichnet durch das Erleben sexuellen Missbrauchs und Muster 5 (3,3 %) durch hohe Raten an Kindesmisshandlung und dysfunktionales Elternhaus. In weitergehenden Analysen zeigte sich, dass jedes der 4 dysfunktionalen Muster im Vergleich zum normativen Muster unterschiedliche Auswirkungen auf die psychosoziale Gesundheit im Erwachsenenalter hatte, auch nachdem auf mögliche Einflussvariablen kontrolliert wurde (Barboza 2018).

Prävalenz in Deutschland

Wie aus der Literaturübersicht von Hughes et al. (2017) ersichtlich, lagen für Deutschland lange keine repräsentativen Daten zum Ausmaß von ACEs vor. Mittlerweile liegen Ergebnisse einer aktuellen bevölkerungsrepräsentativen Studie zur Prävalenz von ACE in Deutschland vor (Witt et al. 2019). Diese zeigen ein vergleichbares Ausmaß der Häufigkeit belastender Kindheitserlebnisse im Vergleich zu internationalen Daten. Darüber hinaus zeigen die Daten, dass die Kombination verschiedener Belastungen häufig ist. Im Durchschnitt gaben die Teilnehmenden 1 belastende Kindheitserfahrung an, jedoch berichteten knapp ein Viertel (23 %) von mehr als 1 belastenden Erfahrung in ihrer Kindheit, 9 % bejahten 4 oder mehr belastende Erfahrungen. Die Anzahl der Häufigkeiten belastender Kindheitserlebnisse ist in Abb. 2 dargestellt. Bei detaillierter Analyse der Daten zeigt sich, dass insbesondere Drogenprobleme in der Familie, elterliche Trennung oder Scheidung sowie emotionale Vernachlässigung häufig berichtet werden (Abb. 3 und 4). Für diese 3 belastenden Kindheitserlebnisse sowie sexuellen Missbrauch liegen die Prävalenzraten für Frauen deutlich über denen für Männer. Die Ergebnisse zu den Häufigkeiten belastender Kindheitserlebnisse in der deutschen Bevölkerung sind somit gut vergleichbar mit den Ergebnissen von Hughes et al. (2017).
Die Studien machen deutlich, dass belastende Kindheitserlebnisse ein häufiges Phänomen in der Gesamtbevölkerung darstellen. Es bleibt jedoch auch festzuhalten, dass ein bedeutender Anteil der Bevölkerung von keinen oder einem belastenden Kindheitserlebnis berichtet. Der Anteil der Hochrisikogruppe mit 4 oder mehr belastenden Kindheitserlebnissen liegt deutlich im Prozentbereich, in einer Metaanalyse (Hughes et al. 2017) zwischen 1 % und 13 %.

Psychische Folgen von ACEs

Wie in den vorigen Kapiteln beschrieben lassen sich in großen bevölkerungsrepräsentativen Befragungen sowie in Studien in Risikopopulationen hohe signifikante Assoziationen zwischen ACEs und der psychischen und körperlichen Gesundheit der Studienteilnehmer sowie deren Risikoverhalten finden. Eine aktuelle Metaanalyse, die 37 Studien mit insgesamt 253.719 Teilnehmern einschließt, vergleicht die Risikoraten zwischen Personen, die keine ACEs erlebt haben mit Personen, die mehr als 4 ACEs angegeben haben (Hughes et al. 2017). Die Metaanalyse findet hinsichtlich der psychischen Folgen hohe Risikoraten für Angststörungen (OR = 3.70, 95 % KI: 2.62–5.22) und Depression (OR = 4.40, 95 % KI: 3.54–5.46) sowie für eine subjektiv eingeschätzte niedrige Lebenszufriedenheit (OR = 4.36, 95 % KI: 3.72–5.10). Die stärkste Assoziation zeigt sich innerhalb der Studie für Suizidversuche (OR = 30.14, 95 % KI: 14.73–61.67). Dies bedeutet, dass das Risiko für einen Suizidversuch innerhalb der Gruppe mit 4 oder mehr ACEs 30-mal so hoch ist wie in der Gruppe, die keine belastenden Kindheitserfahrungen angeben. Hinsichtlich des Risikoverhaltens zeigen sich moderate Risikoraten für übermäßigen Alkoholkonsum (OR = 2.20, 95 % KI: 1.74–2.78) und Rauchen (OR = 2.82, 95 % KI: 2.38–3.34). Starke Zusammenhänge zeigen sich für Risikoverhaltensweisen wie multiple Sexualpartner (OR = 3.64, 95 % KI: 3.02–4.40), außergewöhnlich frühe sexuelle Aktivität (OR = 3.72, 95 % KI: 2.88–4.80), Teenagerschwangerschaften (OR = 4.20, 95 % KI: 2.98–5.92), Konsum illegaler Drogen (OR = 5.62, 95 % KI: 4.46–7.07), Alkoholismus (OR = 5.84, 95 % KI: 3.99–8.56) und schweren Missbrauch illegaler Drogen (OR = 10.22, 95 % KI: 7.62–13.71). Ebenfalls konnte die Metaanalyse erhöhte Risikoraten für sekundäre Viktimisierung/Gewalterfahrungen (OR = 7.51, 95 % KI: 5.60–10.08) und eigene ausgeführte Gewalttaten (OR = 8.10, 95 % KI: 5.87–11.18) für die Gruppe mit 4 oder mehr ACEs im Vergleich zur Gruppe mit keinen ACEs finden. Zusammenfassend sprechen diese Ergebnisse im Rahmen der Theorie der ACE-Pyramide dafür, dass Personen, welche in der Kindheit 4 oder mehr ACEs erlebt haben, ein deutlich erhöhtes Risiko für psychische Folgeerkrankungen im Erwachsenenalter haben. Die damit einhergehenden erhöhten Raten für Risikoverhaltensweisen, können als effektive, aber schädliche Copingmaßnahmen zum Umgang mit den aus ACEs resultierenden psychischen Folgebelastungen angesehen werden.

Somatische Folgen von ACEs

Die im letzten Abschnitt beschriebene Metaanalyse gibt ebenfalls Aufschlüsse über den Zusammenhang von ACEs und somatisch/körperlichen Erkrankungen. Hughes et al. (2017) finden hinsichtlich der somatischen Folgen nur schwache Risikoraten für Übergewicht und Adipositas (OR = 1.39, 95 % KI: 1.13–1.71) sowie Diabetes (OR = 1.52, 95 % KI: 1.23–1.89). Moderate Zusammenhänge konnten hinsichtlich kardiovaskulärer Erkrankungen (OR = 2.07, 95 % KI: 1.66–2.59), Krebserkrankungen (OR = 2.31, 95 % KI: 1.82–2.95), Leberkrankheiten und Verdauungsstörungen (OR = 2.76, 95 % KI: 2.25–3.38) sowie Atemwegserkrankungen (OR = 3.05, 95 % KI: 2.47–3.77) gezeigt werden. Das höchste Risiko für somatische Erkrankungen konnte für sexuell übertragbare Krankheiten gefunden werden (OR = 5.92, 95 % KI: 3.21–10.92), was natürlich in engem Zusammenhang mit sexuellem Risikoverhalten steht. Das Risiko eine sexuell übertragbare Krankheit zu bekommen für Personen mit 4 oder mehr ACEs ist somit fast 6-mal so hoch wie für Personen, die keine ACEs erlebt haben. Unter Betrachtung der Theorie hinter der ACE-Pyramide können die moderaten bis hohen Risikoraten für körperliche Krankheiten z. T. durch das erhöhte Risikoverhalten, wie Rauchen, Trinken, höherer Drogenabusus und risikoreicheres Sexualverhalten in der Gruppe mit 4 oder mehr ACEs erklärt werden. In einer Studie an einer deutschsprachigen bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe fanden sich signifikant erhöhte Odds Ratios für Übergewicht (1.8), Diabetes (1.26), Krebs (1.28), Bluthochdruck (1.16), chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen (1.51), einer Vorgeschichte von Herzinfarkten (1.29) und Schlaganfällen (1.31; Clemens et al. 2018).

Gesundheitsökonomische Folgen der ACEs

Zusammenfassend zeigt sich, dass das Erleben multipler ACEs ein starker Risikofaktor für die Entwicklung von schwerwiegenden psychischen und somatischen Erkrankungen ist und einen direkten Einfluss auf gesundheitsschädigendes Verhalten (Rauchen, Alkohol, Drogen, risikoreiches Sexualverhalten etc.) hat. Neben den direkt entstehenden Gesundheitskosten für Betroffene zeigen sich auch deutliche Zusammenhänge mit niedriger kognitiver Leistungsfähigkeit, niedrigem Bildungsabschluss (Perez und Widom 1994; Boden et al. 2007) und sozialer Isolation, was wiederum mit einer höheren Arbeitslosigkeit assoziiert ist (Liu et al. 2013). Die Folgekosten von ACEs sind also komplex und lassen sich nur auf gesamtgesellschaftlicher Ebene bewerten, da nicht nur individuelle Kosten entstehen, sondern eine Vielzahl indirekter Kosten mit ACEs in Verbindung gebracht werden können. Eine Studie aus dem Jahr 2007 geht in einer konservativen Schätzung davon aus, dass die jährlichen Folgekosten von ACEs in den USA bei 103,8 Mrd. US-Dollar liegen (Wang und Holton 2007). Auch die 2012 veröffentlichte Deutsche Traumafolgenkostenstudie berechnet die in Deutschland jährlich entstehenden gesellschaftlichen Kosten durch Kindesmisshandlung auf etwa 11 Mrd. €, wobei davon nur etwa ein Anteil von 524,5 Mio. € bis 3,3 Mrd. € jährlich direkte Gesundheitskosten darstellt (Habetha et al. 2012).
Die Kumulation belastender Kindheitserlebnisse ist mit einer Vielzahl somatischer und psychischer Problemen assoziiert. Neben den individuellen Folgen für die Betroffenen, führt die Kumulation belastender Kindheitserlebnisse zu einer hohen gesamtgesellschaftlichen Belastung.

Resilienz

Obwohl die Ergebnisse der zuvor berichteten Studien den Zusammenhang zwischen dem Erleben belastender Kindheitserlebnisse und negativen Folgen für die Betroffenen deutlich herausstellen, ist immer wieder festzustellen, dass nicht jedes Kind, das belastende Ereignisse erlebt, klinische Symptome entwickelt. In diesem Kontext wird häufig von Resilienz gesprochen. Für eine vertiefende Darstellung, Kap. „Resilienz bei Kindern und Jugendlichen“. In Felittis Konzept, spielt Resilienz eine eher untergeordnete Rolle, da es in dem Konzept der belastenden Kindheitserlebnisse vornehmlich um die Darstellung des Zusammenhangs belastender Kindheitserlebnisse und assoziierter somatischer und psychischer Folgen geht. Resilienz ist jedoch ein wichtiges Konzept im Kontext von aversiven Erlebnissen, wie etwa Kindesmisshandlung. So zeigen Studien (Domhardt et al. 2015), dass ein nicht unerheblicher Teil von Kindern und Jugendlichen auch schwere Misshandlung ohne klinisch relevante Symptome überstehen. Dabei nehmen eine Vielzahl von Faktoren einen moderierenden Einfluss auf die Auswirkungen belastender Kindheitserfahrungen auf die spätere Entwicklung (Afifi und MacMillan 2011). Soziale Unterstützung, durch die Familie, Gleichaltrige und durch nichtmisshandelnde Erwachsene ist sicherlich als einer der bedeutendsten Resilienzfaktoren zu sehen (Afifi und MacMillan 2011). Im Kontext der belastenden Kindheitserlebnisse machen die Ergebnisse jedoch auch deutlich, dass die Chance auf Resilienz von der Kumulation der Exposition gegenüber belastenden Kindheitserlebnissen abhängig ist. So zeigt sich ein Dosis-Wirkungs-Effekt, da mit der zunehmenden Anzahl an belastenden Kindheitserlebnissen das Risiko für körperlich und psychische Probleme steigt. Aufgrund dieses Dosis-Wirkungs-Effekts könnte man annehmen, dass die Absenz aversiver Lebensereignisse das Optimum darstellt. Jedoch gibt es Hinweise darauf, dass die Beziehung zwischen aversiven Lebensereignissen und negativen Effekten nicht immer einem linearen Zusammenhang folgt, sondern eher einer U-förmigen Funktion folgt (Seery 2011). So zeigen Studien, dass das Erleben einiger aversiver Lebensereignisse eine bessere Gesundheit und ein besseres Wohlbefinden in Reaktion auf ein kurz zuvor erlebtes aversives Lebensereignis vorhersagt, als das Erleben vieler aversiver Lebensereignisse, aber auch im Gegensatz zu der völligen Absenz von aversiven Lebensereignissen (Seery et al. 2010, 2013). Diese Ergebnisse deuten also darauf hin, dass die mit einem aversiven Lebensereignis verbundenen Adaptions- und Lernprozesse und die Aktivierung von Resilienzfaktoren, wie soziale Unterstützung protektiv bei der Exposition zukünftiger aversiver Lebensereignisse wirken, sich also das Erleben einiger belastender Kindheitserlebnisse nicht zwingend negativ für die Betroffenen auswirkt.
Im Kontext von belastenden Kindheitserlebnissen besteht immer auch die Chance auf Resilienz. So entwickelt ein nicht unerheblicher Teil der Betroffenen belastender Kindheitserlebnisse keine klinischen relevanten Symptome.

Fazit

Im Rahmen der kinder- und jugendpsychiatrischen Abklärung und Diagnostik wird mittlerweile häufig auf interpersonelle Traumata, Misshandlung und Vernachlässigung geachtet, da diese insbesondere in der Population kinder- und jugendpsychiatrischer Inanspruchnahme, wie auch in anderen Risikopopulationen, z. B. bei Heimkindern sehr häufig sind (Dölitzsch et al. 2014; Münzer et al. 2016). Weniger Beachtung finden kombinierte Belastungen im Elternhaus, die ebenso häufig sind, aber im Rahmen elterlicher Sorgen oftmals eine zentrale Rolle spielen und ebenfalls von hoher Relevanz sein können. So macht es z. B. in Scheidungssituationen einen erheblichen Unterschied, ob die Scheidung alleine eine sehr häufige und gut zu bewältigende Belastung darstellt (Amato 2000), oder ob die Trennung in einem Kontext emotionaler Vernachlässigung oder im Kontext häuslicher Gewalt erfolgt, wo Umgang, auch begleiteter Umgang, dann eine besondere Belastung darstellen kann. Belastende Kindheitsereignisse sollten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie nie nur als Risikofaktoren wahrgenommen und prognostisch berücksichtigt werden. Sie stellen auch den Ausgangspunkt von (Früh-)Interventionen oder indizierter Prävention dar. In der Literatur zu den einzelnen Risiken, z. B. Kinder psychisch kranker und suchtkranker Eltern werden aber z. T. wieder eher selten die spezifischen Effekte der Kombination mit anderen Household Dysfunctions, wie häusliche Gewalt oder einer oder mehrerer der Misshandlungsformen, berücksichtigt.
Es bestehen eine Reihe von Projekten, die Belastungen als Interventionschancen aufgreifen. Beispielhaft sei hier das Projekt „Chance“ (www.projekt-chance.de) bei den Inhaftierten-Kindern oder Projekte, die sich mit der psychischen Gesundheit von Kindern in Frauenhäusern beschäftigen (Himmel et al. 2017), genannt. Auch das Buch von James J. Hudziak stellt den Versuch dar, die Belastungsfaktoren als Interventionschance aufzufassen und plädiert für eine spezifische Teilhabeförderung auf der Basis der erkannten Risikomomente (Hudziak 2009).
In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass belastende Kindheitserlebnisse nicht nur determinierte Faktoren darstellen, die ungünstige Verläufe prognostizieren, sondern dass bei Vorliegen dieser, gleichermaßen ein Anlass für therapeutisches Handeln mit spezifischer Intervention indiziert ist. Im Rahmen der kinder- und jugendpsychiatrischen Anamnese geht es nicht allein darum bei Misshandlung ebenfalls einzelne Belastungen im Haushalt mit zu erfassen, vielmehr zeigt sich, dass Dysfunktionen innerhalb des Haushalts anamnestisch leichter zugänglich sind. Sind diese bekannt, sollte also auch an das Vorliegen weiterer Belastungen aus dem Bereich Misshandlung gedacht werden. Dies ist für Fragen, z. B. der elterlichen Sorgen, von hoher Relevanz.
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