Epidemiologie und Klassifikation
Systemische Lymphomerkrankungen wie das klassische
Hodgkin-Lymphom, aber auch
Non-Hodgkin-Lymphome manifestieren sich sehr häufig primär in zervikalen Lymphknoten. Zervikale Lymphknotenvergrößerungen müssen daher immer einer sorgfältigen differenzialdiagnostischen Abklärung zugeführt werden.
Primäre
Lymphome der Schilddrüse
sind dagegen sehr selten und machen nur 0,5–5,0 % aller Schilddrüsenmalignome
und weniger als 2 % aller extranodalen Lymphome aus. Die Erkrankung tritt überwiegend in der 6. oder 7. Lebensdekade bei einer Bevorzugung des weiblichen Geschlechts (w:m = 3–4:1) auf.
Non-Hodgkin-Lymphome der B-Zellen stellen den häufigsten Subtyp dar, wobei nahezu alle Subtypen des Lymphoms beschrieben worden sind. In etwa 30 % der Fälle liegen sog. B-Zell-Lymphome des „mucosa-associated lymphoid tissue“ (MALT) vor, die bei Begrenzung auf die Schilddrüse die günstigste Prognose aufweisen. In einem aktuellen Review von 108 Patienten wurden vier Haupttypen beschrieben: diffuses großzelliges B-Zell-Lymphom
ohne Marginalzelllymphom (38 %), diffuses großzelliges B-Zell-Lymphom mit Marginalzelllymphom (Mischtyp) (33 %), Marginalzonen-B-Zell-Lymphom vom MALT-Typ (28 %) sowie follikuläres Lymphom (<1 %) (Mack et al.
2007).
Die chronisch lymphozytäre
Autoimmunthyreoiditis Typ Hashimoto stellt mit einem relativen Risiko von 60–70 % gegenüber Patienten ohne Autoimmunthyreoiditis den größten Risikofaktor dar. Es wird einerseits angenommen, dass ca. 0,5 % der Patienten mit einer Hashimoto-Thyreoiditis ein thyreoidales Lymphom entwickeln. Andererseits kann bei 60–90 % der Schilddrüsenlymphome histologisch eine chronisch lymphozytäre
Thyreoiditis nachgewiesen werden (Dralle et al.
2013; Nguyen et al.
2020; Mack et al.
2007; Stein et al.
2013).
Klinische Symptomatologie
Klinisch imponieren
Lymphome der Schilddrüse als rasch wachsende, indolente Strumen des älteren Menschen. Die wichtigsten Differenzialdiagnosen stellen daher das anaplastische
Schilddrüsenkarzinom sowie
Sarkome der Schilddrüse dar.
30–50 % der Patienten entwickeln Symptome der lokalen Kompression wie Luftnot, Schluckbeschwerden, Stridor oder Recurrensparese. 12 % geben
Schmerzen an. Eine klassische B-Symptomatik bestehend aus
Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust wird nur bei etwa 10 % beobachtet (Dralle et al.
2013; Mack et al.
2007; Stein et al.
2013).
Diagnostik und Differenzialdiagnostik
Die Diagnostik unterscheidet sich nicht von der benignen
Struma oder anderen Malignomen der Schilddrüse. Sonografisch können unter Bewertung von Binnenechos, Randbegrenzung und dorsalen Echos drei Typen des thyreoidalen Lymphoms unterschieden werden:
-
Der noduläre Typ ist gekennzeichnet durch eine unilaterale, echoarme homogene oder pseudozystische Formation mit definierten Rändern zum normalen Schilddrüsengewebe.
-
Der diffuse Typ tritt als echoarme, bilaterale Raumforderung mit unscharfer Begrenzung zum gesunden Schilddrüsengewebe auf.
-
Der gemischte Typ zeigt multiple, uneinheitliche echoarme Läsionen mit fleckigem Muster.
Bei allen drei Typen wird eine charakteristische dorsale Schallverstärkung beschrieben, die eine Abgrenzung zu benignen Knoten ermöglichen soll (Ota et al.
2006; Stein et al.
2013).
Szintigrafisch finden sich kalte Areale. Besteht anhand klinischer und sonografischer Befunde der Verdacht auf ein primäres Lymphom der Schilddrüse sollte eine Feinnadelpunktion mit immunhistochemischer
Zytologie durchgeführt werden. Mit der Verbesserung zytologischer Methoden und immunhistochemischer Techniken gelingt heute die Diagnosestellung in 40–80 % (Mack et al.
2007; Morgen et al.
2010; Stein et al.
2013). Schwierigkeiten bestehen häufig aufgrund der begleitenden chronischen lymphozytären
Thyreoiditis und in der Diagnose der
MALT-Lymphome. Eine chirurgische offene Biopsie oder Core-Needle-Biopsie wird dann erforderlich, wenn die Zytologie keine eindeutige Diagnose ergeben hat oder eine Biopsie zur Bestimmung des histologischen Subtyps als Grundlage der Therapiestratifizierung erforderlich ist, z. B. bei der Differenzierung von MALT-Lymphomen
gegenüber den diffusen B-Zell-Lymphomen (Mack et al.
2007; Dralle et al.
2013). Zur Frage ob eine offene Biopsie oder eine Core-Needle-Biopsie bevorzugt werden sollte, existieren keine Studien (Mack et al.
2007; Stein et al.
2013). Die offene Biopsie, die ggf. auch als Hemithyreoidektomie durchgeführt werden kann, bietet den Vorteil der deutlich größeren gewonnenen Gewebsmenge für zusätzliche immunhistologische Untersuchungen, chromosomale Untersuchungen und zur sicheren Abgrenzung der MALT-Lymphome (Hirokawa et al.
2017).
Ziel der morphologischen Diagnostik ist die Differenzierung diffuser B-Zell- von
MALT-Lymphomen und insbesondere MALT-Lymphome von einer Hashimoto-Thyreoiditis und vom anaplastischen
Schilddrüsenkarzinom.
Immunzytologisch sind
MALT-Lymphome CD5-, CD10- und CD23-negative, großzellige B-Zell-Lymphome meist CD19-, CD20- und CD45-positiv (Dralle et al.
2013; Mack et al.
2007; Morgen et al.
2010). Unbehandelt können MALT-Lymphome zu diffusen großzelligen B-Zell-Lymphomen transformieren und einen ungünstigeren, aggressiveren klinischen Verlauf nehmen (Stein et al.
2013).
Staging
Bei ausgedehnten zervikalen Befunden sollte analog zu anderen Malignomen der Schilddrüse ein Schnittbildverfahren (CT, MRT) zur exakten Bilanzierung der Tumormanifestation und lokalen Tumorausdehnung zum Einsatz kommen (Stein et al.
2013).
Für das vollständige Staging werden computertomografische Untersuchungen von Hals, Thorax, Abdomen und/oder ein Gankkörper-FDG-PET-CT empfohlen, die Stadieneinteilung erfolgt anhand der Ann-Arbor-Klassifikation (Tab.
1) (Basu et al.
2009; Carbone et al.
1971; Dralle et al.
2013; Stein et al.
2013):
Tab. 1
Ann-Arbor-Klassifikation von Schilddrüsenlymphomen
Stadium IE | Keine |
Stadium IIE | Regionale Lymphknoten |
Stadium IIIE | Lymphknoten auf beiden Seiten des Zwerchfells |
Stadium IVE | Systemische, diffuse Erkrankung |
Die meisten Patienten befinden sich bei Diagnosestellung im Stadium IE (30–66 %) oder IIE (25–66 %), nur 2–7 % weisen ein Stadium IIIE oder IVE auf (Stein et al.
2013).
Im Stadium IIE sind nicht selten perithyreoidale Tumorinvasionen mit Sekundärkomplikationen (Recurrensparese, Trachealbeteiligung) zu beobachten. Bei disseminierten Stadien (IIIE, IVE) liegt am häufigsten ein Befall zervikaler, perithyreoidaler, mediastinaler oder abdomineller Lymphknoten vor (Iyengar et al.
2010; Mack et al.
2007; Dralle et al.
2013).
Therapie und Prognose
Wie bei anderen
Lymphomen stehen Radio- und Chemotherapie im Vordergrund der therapeutischen Konzepte, die Chirurgie spielt jenseits der diagnostischen Biopsie nur eine untergeordnete Rolle. Da bei dieser sehr seltenen Entität keine randomisierten Therapiestudien vorliegen, müssen die Ergebnisse retrospektiver Untersuchungen sowie Ergebnisse anderer extranodaler Lymphome zugrunde gelegt werden. Die Therapiestrategie wird geleitet vom histologischen Subtyp und dem zugrunde liegenden Stadium.
Die beste Prognose weisen auf die Schilddrüse
begrenze
MALT-Lymphome (Stadium IE) auf. Die Effektivität der alleinigen Operation (Hemithyreoidektomie, Thyreoidektomie) oder alleinigen Radiotherapie wurde in kleinen Serien überprüft. Eine zusätzliche Radiatio nach Schilddrüsenresektion ergab keine Vorteile (Dralle et al.
2013; Mack et al.
2007; Stein et al.
2013). Da mit einer alleinigen Radiotherapie 10-Jahres-Überlebensraten von 80–100 % erreicht werden, ging der Stellenwert der Chirurgie beim MALT-Lymphom im Stadium IE in den letzten Jahren zurück. Bei fehlenden, vergleichenden randomisierten Studien und damit fehlender höhergradiger Evidenz kann die Entscheidung zwischen alleiniger Operation oder alleiniger Radiotherapie beim MALT-Lymphom im Stadium IE nur im interdisziplinären Team unter Einbeziehung individueller Patientencharakteristika getroffen werden. Kontraindikationen zur unimodalen Therapie der thyreoidalen MALT-Lymphome (Operation oder Radiatio) bestehen in Stadien größer IE, bei „bulky disease“ oder gemischten, diffusen großzelligen
Lymphomen (Graff-Baker et al.
2009; Mack et al.
2007; Stein et al.
2013).
Die aggressiveren großzelligen B-Zell-Lymphome
werden aufgrund des höheren Risikos einer systemischen Ausbreitung über alle Stadien hinweg in der Regel einer kombinierten Radio- und Chemotherapie zugeführt (Evidenzlevel 2–3). Gleiches gilt für
MALT-Lymphome ab Stadium IIE. Meist kommt das klassische CHOP-Schema (Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin, Prednisolon), ggf unter Zusatz von Rituximab, zum Einsatz. In Kombination mit lokaler Radiatio können im Stadium IE und IIE Gesamtüberlebensraten von 70–92 % erreicht werden (Mack et al.
2007; Stein et al.
2013).
Bei Vorliegen akuter lokaler Kompressionssymptome kann ein chirurgisches Vorgehen zur raschen Dekompression (Hemithyreoidektomie, Thyreoidektomie, Debulking-Operation) gefolgt von der dargestellten Kombinationstherapie (Radiatio, Chemotherapie) im Einzelfall diskutiert werden. Größere Studien existieren dazu nicht.
Bei Trachealbeteiligung können zur Beherrschung lokaler Tumorkomplikationen auch chirurgische Debulking-Verfahren notwendig werden (Dralle et al.
2013; Joshi
2009; Mack et al.
2007). Da Palliativoperationen mit einer hohen Morbidität verbunden sind (Joshi
2009), wird aufgrund der Effektivität der oben dargestellten Radiochemotherapie in Kombination mit internen Stenting-Verfahren im Allgemeinen der primären Radiochemotherapie der Vorzug gegeben. Nur vereinzelt muss zur Sicherung des Atemwegs eine Tracheotomie erfolgen (Dralle et al.
2013; Mack et al.
2007; Stein et al.
2013).
In der größten vorliegenden Studie von 1408 Patienten über 32 Jahre wurden folgende 5-Jahres-Überlebensraten über alle Subtypen mitgeteilt (Graff-Baker et al.
2009): Stadium IE 86 %, Stadium IIE 81 %, Stadien III/IVE 64 %. Die Stratifizierung nach Subtypen ergab folgende Ergebnisse:
MALT-Lymphom 96 %, follikuläres Lymphom 87 %, diffuses großzelliges B-Zell-Lymphom
75 %.