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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 06.01.2015

Mitralinsuffizienz

Verfasst von: Wolfgang Schillinger und Miriam Puls
Die Mitralinsuffizienz ist der zweithäufigste erworbene Herzklappenfehler des Erwachsenen und die häufigste Form der Herzklappeninsuffizienz. Die Mitralklappe erfüllt Ventilfunktion. Sie gewährleistet den Einstrom von Blut aus dem linken Vorhof in die linke Herzkammer während der Diastole und verhindert den Rückfluss in umgekehrter Richtung während der Systole. Eine Mitralklappeninsuffizienz liegt vor, wenn die Schließfähigkeit der Mitralklappe gestört ist und in der Systole Blut vom linken Ventrikel in den linken Vorhof zurückfließt.

Einleitung und Definition

Die Mitralinsuffizienz ist der zweithäufigste erworbene Herzklappenfehler des Erwachsenen und die häufigste Form der Herzklappeninsuffizienz. Die Mitralklappe erfüllt Ventilfunktion. Sie gewährleistet den Einstrom von Blut aus dem linken Vorhof in die linke Herzkammer während der Diastole und verhindert den Rückfluss in umgekehrter Richtung während der Systole. Eine Mitralklappeninsuffizienz liegt vor, wenn die Schließfähigkeit der Mitralklappe gestört ist und in der Systole Blut vom linken Ventrikel in den linken Vorhof zurückfließt (Vahanian et al. 2012).
Der Mitralklappenapparat besteht aus zwei Klappensegeln, Sehnenfäden, Papillarmuskeln, dem Mitralklappenanulus und umgebender Ventrikelwand. Tab. 1 zeigt eine Einteilung der Mitralinsuffizienz in Abhängigkeit von der Ätiologie und den beteiligten anatomischen Strukturen. Man unterscheidet primäre (auch degenerative oder organische) und sekundäre (auch funktionelle) Mitralinsuffizienz. Die primäre Mitralinsuffizienz umfasst alle Formen der Mitralinsuffizienz, denen eine Pathologie der Klappensegel und Sehnenfäden zugrunde liegt. Die sekundäre Mitralinsuffizienz dagegen ist Folge einer Geometrieänderung des Klappenhalteapparates aufgrund von Dilatation und Remodeling des linken Ventrikels bzw. des Mitralklappenannulus und daraus resultierender Maladaptation der Klappensegel. Zusätzlich unterscheidet man ischämische und nichtischämische Mitralinsuffizienz, wenn die zugrunde liegende Pathologie eine koronare Herzerkrankung darstellt. Der französische Herzchirurg Alain Carpentier hat darüber hinaus eine Einteilung unter Berücksichtigung der Pathophysiologie vorgenommen.
Tab. 1
Ursachen und Mechanismen der Mitralinsuffizienz. (reproduziert mit freundlicher Genehmigung aus (Nickenig et al. 2013))
Ätiologie
Primär (degenerativ bzw. organisch)
Sekundär (funktionell)
Carpentier
Typ Ia
Typ IIb
Typ IIIac, d
Typ Ia/TypIIIbc, e
Nichtischämisch
Degenerativ
Degenerativ („flail leaflet“)
Rheumatisch (chronisch)
Endokarditis (Perforation)
Endokarditis (rupturierte Chordae
Iatrogen (Bestrahlung, Medikamente)
Kongenital (z. B. „Cleft“)
Traumatisch (rupturierte Chordae, Papillarmuskel)
Inflammatorisch (Lupus, eosinophile Endokarditis, Endomyokardfibrose)
Andere Ursachen der linksventrikulären Dysfunktion
Rheumatisch (akut)
Ischämisch
Rupturierter Papillarmuskel
 
Funktionelle Ischämie
aNormale Segelbewegung
bExzessive Segelbewegung
cRestriktive Segelbewegung
dIn der Diastole und Systole
eIn der Systole

Pathophysiologie

In Abhängigkeit von der Dynamik des Auftretens unterscheidet man zwischen akuter und chronischer Mitralinsuffizienz (Vahanian et al. 2012).
Bei der akuten Mitralinsuffizienz, beispielsweise infolge eines Papillarabrisses nach Myokardinfarkt, kommt es zu einer plötzlichen Volumenüberladung des unvorbereiteten linken Ventrikels. Durch Ausschöpfung des Frank-Starling-Mechanismus kann der linke Ventrikel die plötzliche Vorlasterhöhung durch Steigerung des Schlagvolumens zumindest partiell ausgleichen. Bei ausgeprägter Regurgitation reicht dieser Kompensationsmechanismus jedoch nicht aus. Es resultieren eine Abnahme des Herzzeitvolumens und eine Volumenbelastung des linken Vorhofs mit Lungenstauung, Lungenödem und kardiogenem Schock.
Bei der chronischen Mitralinsuffizienz tritt die Volumenüberladung des linken Ventrikel schleichend, oft über Jahre auf. Der linke Ventrikel reagiert mit einer exzentrischen Hypertrophie. Das totale Schlagvolumen (Summe aus Vorwärts- und Rückwärtsschlagvolumen) des Ventrikels nimmt zu, so dass trotz der Regurgitation das Herzzeitvolumen aufrechterhalten werden kann. Die Wandspannung bleibt durch Zunahme der Wanddicke gemäß dem Laplace-Gesetz konstant und die Füllungsdrücke annähernd normal (Phase der Kompensation). Bei zunehmender Regurgitation kommt es schließlich zu einer Erschöpfung der Kompensationsmechanismen. Es resultiert eine linksventrikuläre Dilatation. Hierdurch steigen linksventrikuläre Füllungsdrücke und Wandspannung mit der Folge von Lungenstauung und Herzinsuffizienz (Phase der Dekompensation).

Epidemiologie

Die Prävalenz der Mitralinsuffizienz beträgt 1–2 % in der Gesamtbevölkerung und steigt mit zunehmendem Lebensalter. In der Altersklasse der über 75-Jährigen ist jeder 10. betroffen, das entspricht in etwa 4 Mio. Europäern. Die sekundäre Mitralinsuffizienz tritt gehäuft bei der koronaren Herzerkrankung auf und findet sich bei 11–59 % aller Patienten nach Herzinfarkt (ischämische Mitralinsuffizienz). Bei der systolischen Herzinsuffizienz ist die Prävalenz der sekundären Mitralinsuffizienz ebenfalls erhöht. In etwa jeder 2. Herzinsuffiziente hat eine mindestens mittelgradige, jeder 5. eine hochgradige Mitralinsuffizienz. Eine geschlechterspezifische Verteilung der Mitralinsuffizienz findet sich nicht (Bursi et al. 2006; Koelling et al. 2002; Pecini et al. 2011; Robbins et al. 2003; Trichon et al. 2003; Vahanian et al. 2012).

Klinik

In der Phase der Kompensation sind die Patienten symptomfrei oder -arm. Bei der akuten Mitralinsuffizienz und in der Phase der Dekompensation einer chronischen Mitralinsuffizienz treten Symptome der Herzinsuffizienz wie Belastungsdyspnoe, Leistungsminderung, Schwäche und nächtliche Hustenanfälle auf. In schweren Fällen kommt es zu linksventrikulärer Dekompensation, Lungenödem und kardiogenem Schock. Sekundär können sich Zeichen einer Rechtsherzinsuffizienz (z. B. Beinödeme) entwickeln. Bei Patienten mit Mitralinsuffizienz findet sich ein gehäuftes Auftreten von Vorhofflimmern (siehe Kap. Vorhofflimmern).

Diagnostik

Körperliche Untersuchung

  • Hebender, verbreiteter Herzspitzenstoß
  • Evtl. 3. Herzton, hochfrequentes, holosytolisches Geräusch mit p.m. über der Spitze, Fortleitung in die Axilla. Mesodiastolisches Niederfrequentes Rumpeln (relative Mitralstenose)
  • Zeichen der Herzinsuffizienz

EKG

  • Kein spezifischer Befund, evtl. Vorhofflimmern, Schenkelblock, Hinweise auf Ischämie

Labor

  • Kein spezifischer Befund, internistisches Routinelabor
  • BNP oder NT-proBNP. Erhöhte Plasma-BNP-Spiegel oder Änderungen der BNP-Spiegel sind von prognostischer Bedeutung. Bei asymptomatischen Patienten können erhöhte BNP-Spiegel zur Indikationsstellung für eine Mitralklappenrekonstruktion hilfreich sein. Dagegen sind niedrige BNP-Spiegel mit einer günstigen Prognose assoziiert und können bei asymptomatischen Patienten zur Verlaufskontrolle herangezogen werden.

Echokardiographie

Die transthorakale und bei speziellen Fragen die transösophageale Echokardiographie sind die wichtigsten Untersuchungen zum Nachweis einer Mitralinsuffizienz (Boekstegers et al. 2013; Lancellotti et al. 2010). Es werden hierbei außerdem Informationen zum Schweregrad, den zugrunde liegenden Pathomechanismen und den Möglichkeiten einer operativen oder interventionellen Rekonstruktion gewonnen. Die Schweregradeinteilung basiert auf einer Vielzahl qualitativer, semiquantitativer und quantitativer Messungen und integriert morphologische und dopplersonographische Informationen. Empfohlen werden die Messung der V. contracta, dem engsten Teil des Insuffizienz-Jets, sowie die Bestimmung der proximalen Konvergenzzone – im englischen Sprachgebrauch PISA (proximal isovelocity surface area) – zur Berechnung des Regurgitationsvolumens und der effektiven Regurgitationsfläche (EROA). Tabelle 2 gibt einen Überblick über die Methodik. Die sekundäre Mitralinsuffizienz unterliegt dynamischen Schwankungen und ist von den Lastbedingungen (Blutdruck, medikamentöse Therapie und Belastung) abhängig. Für die Schweregradbestimmung kann daher eine Stressechokardiographie erforderlich sein. Für die sekundäre Mitralinsuffizienz gelten aufgrund ihrer prognostischen Bedeutung andere Grenzwerte für die Schweregradeinteilung als für die primäre Mitralinsuffizienz (vgl. Tab. 2). Der Schweregrad einer ischämischen Mitralinsuffizienz wird durch eine Vollnarkose signifikant reduziert. Die Indikation zur Mitralklappenrekonstruktion muss daher bei Patienten, die einer Bypass-Operation unterzogen werden, vor der Operation überprüft werden.
Tab. 2
Echokardiographische Quantifizierung der Mitralklappeninsuffizienz (PMI primäre Mitralklappeinsuffizienz (), SMI sekundäre () Mitralklappeinsuffizienz, LV linksventrikulär, LA links atrial, CW „continuous wave“, VTI „velocity time integral“, EROA „effective regurgitant orifice area“, LVEDD links-ventrikulärer end-diastolischer Diameter, PM Papillarmuskel, VC V. contracta. (Reproduziert mit freundlicher Genehmigung aus (Boekstegers et al. 2013))
 
Geringgradig
Mittelgradig
Hochgradig
Qualitativ
Mitralklappenmorphologie
Normal/abnormal
Normal/abnormal
„Flail Leaflet“/PM-Ruptur
Farbdoppler-MI-Jet
Schmal/zentral
Intermediär
Großer zentraler Jet/exzentrischer Jet bis zur posterioren Wand
Flusskonvergenzzone
Keine/schmal
Intermediär
Groß
CW-Signal des MI-Jets
Schwach/parabolisch
Dicht/parabolisch
Dicht/triangulär
Semiquantitativ
VC-Breite (mm)
<3 mm
Intermediär
≥7 mm (>8 biplan)
Pulmonaler Venenfluss
Systolisch dominant
Systolisch gedämpft
Systolische Flussumkehr
Mitraler Einstrom
A-Wellen dominant
Variabel
E-Wellen dominant (>1,5 m/s)
VTImitral:VTIaortal
<1
Intermediär
>1,4
Quantitativ
   
EROA (mm2)
<20
20-29; 30-39
≥40 (PMI)
≥20 (SMI)
Regurgitationsvolumen (ml)
<30
30-44; 45-59
≥60 (PMI)
≥30 (SMI)
LV- und LA-Größe sowie systolischer pulmonaler Druck sind bei geringer Mitralinsuffizienz (MI) üblicherweise normal. Bei akuter hochgradiger MI ist meist der systolische pulmonale Druck erhöht bei normaler LV-Größe. Eine chronische hochgradige MI bedingt meist eine LV-Dilatation. Akzeptierte Cut-off-Werte für eine nicht signifikante Vergrößerung der linken Herzhöhlen sind:
  • LA-Volumen <36 ml/m2
  • LVEDD <56 mm

Herzkatheteruntersuchung

  • Linksherzkatheteruntersuchung: Koronarangiographie zum präoperativen Nachweis oder Ausschluss einer koronaren Herzerkrankung. Laevokardiographie zur Darstellung der Mitralinsuffizienz (meist entbehrlich).
  • Rechtsherzkatheteruntersuchung (Hämodynamik): Meist entbehrlich. Bei unklaren echokardiographischen Befunden liefern der Nachweis einer pulmonalen Hypertonie (zur präoperativen Risikostratifizierung) oder der Nachweis einer hohen v-Welle in PCWP-Position (zur Schweregradbeurteilung der Mitralinsuffizienz) ergänzende Informationen.

Differenzialdiagnostik

Therapie

Akute Mitralinsuffizienz (Vahanian et al. 2012)

  • Senkung von Vor- und Nachlast: Intravenöse Gabe von Nitraten und Diuretika. Eine sehr effektive Nachlastsenkung ist durch intravenöse Gabe von Nitroprussid-Natrium möglich. Eine nicht-medikamentöse Vorlastsenkung kann durch Oberkörperhoch- und Beintieflagerung („Herzbett“) oder durch unblutigen Aderlass (Staubinden an den Extremitäten) erreicht werden.
  • Bei Hypotension und Schock: Inotrope Substanzen und perkutane Unterstützungssysteme, wie intraaortale Ballonpumpe (IABP) oder Mikrokoaxialpumpe (Impella LP 2.5)
  • Mitralklappenchirurgie, Korrektur der Ursache

Chronische primäre Mitralinsuffizienz

Abbildung 1 zeigt einen Entscheidungsalgorithmus zur Therapie der chronischen primären Mitralinsuffizienz (Nickenig et al. 2013; Vahanian et al. 2012).

Mitralklappenchirurgie

Die operative Mitralklappenrekonstruktion wird als Goldstandard zur Therapie der hochgradigen chronischen primären Mitralinsuffizienz betrachtet. Obwohl randomisierte Studien fehlen, wird die Mitralklappenrekonstruktion dem Mitralklappenersatz vorgezogen, da in Kohortenstudien eine geringere perioperative Mortalität, ein besseres Langzeitüberleben und eine besser postoperative linksventrikuläre Funktion beobachtet wurden. Wenn aufgrund der Größe eines Prolapses und des Ausmaßes von valvulären und anulären Verkalkungen eine Rekonstruktion nicht möglich ist, wird ein Klappenersatz mit Erhalt des subvalvulären Apparates empfohlen. Die besten Ergebnisse und die größte Empfehlungsstärke liegen für symptomatische Patienten mit erhaltener linksventrikulärer Funktion vor. Für asymptomatische gibt es keine randomisierte Studie, die einen Nutzen der Operation nachweist. Für Patienten mit einer hohen Wahrscheinlichkeit für eine dauerhafte und suffiziente Rekonstruktion und niedrigem operativem Risiko wird die Operation dennoch empfohlen, wenn Zeichen der beginnenden Dekompensation wie Vorhofflimmern, linksventrikuläre Dilatation (LVESD ≥ 45 mm) oder Dysfunktion (LV-EF ≤60 %) oder pulmonaler Hypertonus (>50 mmHg in Ruhe oder ≥60 mmHg unter Belastung) auftreten. Letztere sind neben dem Alter und den anatomischen Erfolgschancen einer Rekonstruktion aber auch Prädiktoren für das postoperative Outcome und spiegeln ein erhöhtes Risiko wider. Es wird jedoch angenommen, dass der Nutzen der Operation das höhere Risiko überwiegt. Für Patienten mit schlechter linksventrikulärer Funktion (LV-EF <30 %) und relevanten Begleiterkrankungen ist der Nutzen einer Operation gar nicht oder schlecht belegt.

Kathetergestützte Therapie

In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl kathetergestützter Verfahren zur Behandlung der Mitralklappeninsuffizienz entwickelt. Jedoch hat nur die Edge-to-Edge-Repair- oder auch Double-Orifice-Repair-Technik mit dem MitraClip eine nennenswerte klinische Verbreitung gefunden. In der randomisierten, kontrollierten Studie EVEREST II war MitraClip weniger effektiv bei der Erzielung eines suffizienten und dauerhaften Rekonstruktionsergebnisses als die konventionelle Mitralklappenchirurgie. Im 4-Jahres-Follow-Up hatte sich jeder 4. Patient des MitraClip-Armes doch noch einer Mitralklappenoperation unterziehen müssen. MitraClip erwies sich aber als sehr sicher (Mauri et al. 2013). Die hohe Sicherheit des Eingriffs konnte auch in verschiedenen Kohortenstudien bestätigt werden (Maisano et al. 2013). Klassische Risikofaktoren der konventionellen Mitralklappenchirurgie wie hohes Alter, weibliches Geschlecht oder linksventrikuläre Dysfunktion schienen sich in Kohortenstudien als nicht prädiktiv für das Outcome zu erweisen (Schillinger et al. 2013). MitraClip sollte daher für Patienten mit symptomatischer primärer Mitralinsuffizienz in Betracht gezogen werden, die nach echokardiographischen Kriterien für den Eingriff geeignet sind, eine Lebenserwartung von mehr als 1 Jahr haben und deren operatives Risiko durch ein Heart-Team als hoch oder inakzeptabel eingeschätzt wird.

Medikamentöse Therapie

Es existiert keine medikamentöse Therapie der chronischen primären Mitralinsuffizienz mit einem nachgewiesenen prognostischen Nutzen. Insbesondere asymptomatische Patienten benötigen daher keine medikamentöse Therapie. Die Mitralinsuffizienz ist aber mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten einer Herzinsuffizienz assoziiert. Bei Patienten mit eingeschränkter linksventrikulärer Funktion sollten ACE-Inhibitoren, Betablocker, Aldosteronantagonisten und Ivabradin entsprechend den Leitlinien für die Therapie der chronischen Herzinsuffizienz verordnet werden. Patienten mit hochgradiger Mitralinsuffizienz, die nicht operiert werden oder die die Operationskriterien noch nicht erreicht haben, müssen besonders sorgfältig und engmaschig kontrolliert werden.

Chronische sekundäre Mitralinsuffizienz

Abbildung 2 zeigt einen Entscheidungsalgorithmus zur Therapie der chronischen sekundären Mitralinsuffizienz (Abb. 2) (Nickenig et al. 2013; Vahanian et al. 2012).

Mitralklappenchirurgie

Im Gegensatz zur primären Mitralinsuffizienz ist der Nutzen der Mitralklappenchirurgie bei der sekundären Mitralinsuffizienz weniger gut belegt, die Rezidivraten sind höher und ein Überlebensvorteil wurde nicht gezeigt. Kohortenstudien zeigen jedoch einen Nutzen der Mitralklappenrekonstruktion im Hinblick auf Symptomatik und linksventrikuläre Funktion bei Patienten mit hochgradiger oder mittelgradiger ischämischer Mitralinsuffizienz, die sich einer Bypass-Operation unterziehen, insbesondere wenn keine schwere linksventrikuläre Dysfunktion vorliegt (LV-EF >30 %). Für die nichtischämische Mitralklappeninsuffizienz ist der Nutzen der Mitralklappenchirurgie schlecht oder gar nicht belegt. Zusammenfassend sollte eine Operationsindikation dann gestellt werden, wenn der Patient symptomatisch ist, das operative Risiko als gering eingeschätzt wird und medikamentöse Möglichkeiten und ggf. Resynchronisation ausgeschöpft wurden.

Kathetergestützte Therapie

Eine Subgruppenanalyse der randomisierten kontrollierten Studie EVEREST II implizierte, dass die Double-Orifice-Repair-Technik mit dem MitraClip in der Gruppe der Patienten mit sekundärer Mitralinsuffizienz und eingeschränkter linksventrikulärer Funktion der konventionellen Mitralklappenchirurgie hinsichtlich der Erzielung eines suffizienten und dauerhaften Rekonstruktionsergebnisses nicht unterlegen sei (Mauri et al. 2014). Große europäische Kohortenstudien wie TRAMI oder ACCESS EU zeigen darüber hinaus ein hohes Sicherheitsprofil der Clip-Therapie in diesen Gruppen (Maisano et al. 2013; Schillinger et al. 2013). Nach aktuellen Leitlinien soll MitraClip bei Patienten mit sekundärer Mitralinsuffizienz in Betracht gezogen werden, die trotz optimaler medikamentöser Therapie der Herzinsuffizienz (inklusive CRT-D, falls indiziert) symptomatisch sind, die nach echokardiographischen Kriterien für den Eingriff geeignet sind, eine Lebenserwartung von mehr als 1 Jahr haben und deren operatives Risiko durch ein Heart-Team als hoch oder inakzeptabel eingeschätzt wird. Es gibt Hinweise aus Kohortenstudien, dass die Hospitalisierungsrate bei Herzinsuffizienten nach erfolgreicher Mitra-Clip-Implantation sinken könnte, randomisierte Studien liegen bislang noch nicht vor.

Medikamentöse Therapie

Die optimale medikamentöse Therapie von Patienten mit sekundärer Mitralinsuffizienz richtet sich nach den Leitlinien für die Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz und schließt die Therapie mit ACE-Inhibitor, Betablocker, Aldosteronantagonist und Ivabradin ein. Diuretika sind bei Flüssigkeitsüberladung indiziert. Außerdem muss die Indikation zur CRT überprüft werden. Die kardiale Resynchronisation kann zur sofortigen Reduktion des Schweregrades der Insuffizienz führen. Die optimale Herzinsuffizienztherapie kann zudem über ein reverses Remodelling zu einer weiteren Reduktion der Mitralinsuffizienz beitragen.

Verlauf und Prognose

Die akute Mitralinsuffizienz hat einen ungünstigen Spontanverlauf und sollte daher frühzeitig einer Rekonstruktion zugeführt werden. Bei der asymptomatischen chronischen primären Mitralinsuffizienz betragen die geschätzten 5-Jahres-Raten für Tod 22 ± 3 %, kardiovaskulären Tod 14 ± 3 % und kardiovaskuläre Ereignisse (Tod, Herzinsuffizienz oder neu aufgetretenes Vorhofflimmern) 33 ± 3 %. Eine Rekonstruktion sollte rasch erfolgen, sobald die Indikationskriterien vorliegen, da das Auftreten von auch nur leichten Symptomen mit einer deutlichen Verschlechterung der postoperativen linksventrikulären Funktion einhergeht. Die Mortalitätsraten bei primärer hochgradiger und symptomatischer Mitralinsuffizienz betragen bis zu 10 % pro Jahr. Patienten mit chronischer ischämischer Mitralinsuffizienz haben eine schlechte Prognose. Das Vorliegen einer sekundären Mitralinsuffizienz ist ein unabhängiger Risikofaktor bei der schweren chronischen Herzinsuffizienz. Bei Patienten mit einer LV-EF <25 % war die Hazard-Ratio für Mortalität 1,58 bei Vorliegen einer mittelgradigen und 1,78 bei Vorliegen einer hochgradigen Mitralinsuffizienz (Bursi et al. 2006; Koelling et al. 2002; Pecini et al. 2011; Robbins et al. 2003; Trichon et al. 2003; Vahanian et al. 2012).

Besondere Aspekte

Eine Mitralinsuffizienz tritt gelegentlich als destruierender Prozess in Folge einer (meist bakteriellen) Endokarditis auf. Die Endokarditis stellt ein eigenes Krankheitsbild dar und wird daher auch in einem eigenen Kapitel behandelt (Kap. Endokarditis).
Literatur
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