Zum Reizdarm-Syndrom wird es in Kürze eine neu überarbeitete S3-Leitlinie geben. Darin wird insbesondere Patienten mit Beschwerden vom Blähungstyp eine Low-FODMAP-Diät empfohlen. Erstmals wird es außerdem eine positive Empfehlung für ausgewählte Probiotika geben. Nach Prof. Andreas Stallmach, Jena, müssen jedoch einige Einschränkungen beachtet werden.
Die Prävalenz eines Reizdarm-Syndroms in der Gesamtbevölkerung ist wahrscheinlich deutlich geringer als vermutet, so Prof. Andreas Stallmach vom Uniklinikum Jena. Bislang ging man von einer Häufigkeit von bis zu 20% aus. Neuere epidemiologische Untersuchungen deuten jedoch auf eine Prävalenz des Reizdarm-Syndroms im engeren Sinne, d. h. nach Anwendung der Rom-IV-Kriterien, von rund 4% hin. Viele Patienten mit Bauchbeschwerden hätten andere Probleme, so der Gastroenterologe, „zum Beispiel eine bakterielle Fehlbesiedlung oder eine Nahrungsmittelintoleranz“. Für die Praxis sei dieses Wissen allerdings meist nicht sehr hilfreich.
Beim Blähungstyp FODMAP reduzieren
Stallmach empfiehlt Patienten mit Meteorismus und Flatulenz als dominanten Symptomen einen Therapieversuch mit einer Low-FODMAP-Diät. Auch in der Neufassung der S3-Leitlinie Reizdarm, die in Kürze publiziert werden soll, wird dieses Vorgehen dem Experten zufolge wegen seiner „hohen Evidenzdichte“ unterstützt. Der Hintergrund: Bei der Verstoffwechslung von zuckerhaltigen Nahrungsmitteln oder mehrwertigen Alkoholen (Fermentable Oligo-, Di-, Monosaccharides And Polyols, FODMAP) durch Darmbakterien entstehen Gase, die den Darm blähen, was die Schmerzen bewirkt. Lässt man Nahrungsmittel mit hohem FODMAP-Gehalt weg oder reduziert diese stark, müssten sich die Beschwerden demnach bessern.
Dass die Theorie stimmt, gilt mittlerweile als bestätigt. Laut Stallmach haben mehr als ein Dutzend randomisierter kontrollierter Studien und Metaanalysen gezeigt, dass unter einer Low-FODMAP-Diät die blähungsbedingten abdominellen Beschwerden deutlich zurückgehen. In einer randomisierten Studie mit 60 Reizdarmpatienten mit überwiegend Blähungen hatten 60% der Teilnehmer aus der Low-FODMAP-Gruppe den Endpunkt, Abnahme der dominanten abdominellen Beschwerden um mindestens 30% innerhalb von vier Wochen, erreicht. In einer Kontrollgruppe war dies nur bei 28% der Fall gewesen.
Therapieversuch auf vier Wochen befristen!
Für die Praxis empfiehlt der Gastroenterologe, sich aus dem Internet eine Liste der verschiedenen FODMAP herunterzuladen und diese gemeinsam mit dem Patienten durchzugehen. Alles mit einem hohen Gehalt sollte dann zunächst aus der täglichen Ernährung eliminiert werden. „Wir machen im Grunde so etwas wie eine Radikal-Diät.“ Wenn es dann zu einer Besserung kommt, werden die einzelnen Bestandteile sukzessive wieder eingeführt, wobei der Patient mithilfe eines Ernährungstagebuchs feststellen soll, ob er sie verträgt. Ziel ist es laut Stallmach, „möglichst dicht wieder an eine Normalkost heranzukommen“. Es gebe allerdings Patienten, die tatsächlich nur eine sehr eingeschränkte Ernährung vertragen, berichtete der Gastroenterologe.
Stallmach rät dringend, den Therapieversuch zu befristen: „Ein Patient, der nach vier Wochen konsequenter Low-FODMAP-Diät nicht profitiert, wird auch nicht profitieren, wenn Sie diese Diät fortsetzen.“ Man solle außerdem alles in einem Protokoll dokumentieren und darauf achten, dass der Patient keine Malnutrition entwickelt.
Leitlinie empfiehlt erstmals Probiotika
Ein weiterer wichtiger Eckpunkt der neuen Leitlinie sind nach Stallmach Probiotika: „Für diese wird es zum ersten Mal klare positive Empfehlungen geben.“ Die therapeutische Rationale bestehe in dem positiven Einfluss auf das Mikrobiom und der Abnahme der viszeralen Hyperalgesie. Von den zahlreichen verfügbaren Produkten seien jedoch nur wenige evidenzbasiert. Auch hier rät Stallmach, die Präparate individualisiert einzusetzen und zunächst nur probatorisch auszutesten: „Wählen Sie diejenigen aus, mit denen Sie persönlich die besten Erfahrungen gemacht haben.“ Der Patient sollte dabei ein Ernährungstagebuch führen, um ggf. die Besserung der Beschwerden dokumentieren zu können. Man müsse ihm jedoch klarmachen, dass die Wirkung nicht vorhergesagt werden könne.
Warnung vor lebensbedrohlichen Fungämien
Wichtig zu wissen sei auch, dass speziell bei schwerkranken oder immunsupprimierten Patienten schwere Nebenwirkungen auftreten können. Im Zusammenhang mit Saccharomyces boulardii warnt ein Rote-Hand-Brief vor potenziell lebensbedrohlichen Fungämien.
Stallmach äußerte sich außerdem kritisch zu einer deutschen Studie, in der Hitze-inaktivierte Bifidobakterien acht Wochen lang gegen Placebo getestet wurden. Im kombinierten primären Endpunkt (mindestens 30%ige Besserung der Bauchschmerzen und adäquate Besserung der Reizdarm-Symptome insgesamt) war die Verumgruppe zwar signifikant überlegen, 34% gegenüber 19% erreichten das genannte Ziel. Allerdings hatten die Bauchschmerzen für sich genommen im Mittel nur um 1,29 Punkte auf einer 10-Punkte-Skala abgenommen, bemerkte der Gastroenterologe. Auch unter Placebo hatten sich die Schmerzen gebessert, und zwar im Mittel um 0,93 Punkte.
Bei Verdacht auf Fehlbesiedelung Rifaximin?
Wenn die üblichen Therapieversuche nicht funktionieren, sollte man nach Stallmach eine bakterielle Fehlbesiedlung in Erwägung ziehen. „Diese zu diagnostizieren, ist jedoch schwierig, deshalb verzichte ich meist darauf.“ Bei entsprechendem Verdacht empfiehlt der Gastroenterologe einen Therapieversuch mit Rifaximin über 14 Tage. „Das ist off-label, aber ich habe deswegen noch keine Regressforderungen bekommen.“ Stallmach greift meist gleich zur 550-mg-Dosis, die eigentlich bei Patienten mit chronischer Lebererkrankung zur Vorbeugung einer hepatischen Enzephalopathie eingesetzt wird. So könne man ausschließen, dass der Therapieversuch evtl. nur wegen einer zu geringen Dosis nicht funktioniert.
Basierend auf Stallmach A: Gastroenterologie. Praxis Update, 23.–24. April 2021