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Dévic-Syndrom (Neuromyelitis optica)

Verfasst von: Dierk A. Vagts, Heike Kaltofen, Uta Emmig und Peter Biro
Dévic-Syndrom (Neuromyelitis optica).
Synonyme
Dévic-Gault-Sy; Neuromyelitis optica (Erb-Dévic); Ophthalmoneuromyelitis
Oberbegriffe
Transverse Myelitis, Querschnitts-Sy, Paraplegie, autonome Hyperreflexie.
Organe/Organsysteme
Zentrales Nervensystem, ein- und beidseitige Neuritis des N. opticus.
Inzidenz
Seltene Komplikation in der Schwangerschaft mit allgemein schlechter Prognose, niedrige Inzidenz im Kindesalter. Fast 90 % Frauen, meist im fortgeschrittenen Lebensalter, in Ostasien häufiger als in Europa, ca. 1 % der demyelinisierenden Erkrankungen, Inzidenz: 1–2: 1.000.000/Jahr, Prävalenz 1–9: 100.000.
Mortalität (nicht-diagnostiziert): 30 % in 5 Jahren.
Ätiologie
Inflammatorische Erkrankung des Rückenmarks, die eine funktionelle Transsektion des Rückenmarks bewirkt. Ursache infektiös (z. B. nach Herpes-zoster-Infektion) oder autoimmunologisch (gegen Aquaporin4 (AQP4), Protein der Astrozyten, oder Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein (MO)G-AK). Eine genetische Disposition wird vermutet, wobei die Mechanismen weitgehend ungeklärt sind („multigenetisch, multifaktoriell“).
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
Multiple Sklerose, Balos konzentrische Sklerose, akute disseminierte Enzephalomyelitis, Asiatische optiko-spinale MS (OSMS), idiopathische, virale oder paraneoplastische Myelitis, mit SLE assoziierte Myelitis; ischämische oder bindegewebsassoziierte Optikus-Neuropathien.

Symptome

Häufig Prodrome wie bei einem grippalen Infekt. Krankheit beginnt mit Sehstörungen (Zentralskotome), Augenschmerzen, Kopfschmerzen, akute Erblindung infolge Neuritis des N. opticus beiderseits sowie akuter Querschnittsmyelitis (gleichzeitig oder getrennt). Die Ausfälle sind von der Höhe des Querschnitts abhängig, manchmal liegen dissoziierte Empfindungsstörungen vor. Rückenschmerzen, progressive Paralyse.
Rezidivierendes Auftreten mit sporadischen Schüben und zwischenzeitlicher restitutio ad integrum, monophasischer Verlauf eher bei jüngeren Patienten.
Vergesellschaftet mit
Hohes Risiko für Harnwegsinfekte, autonome Hyperreflexie, therapieresistentes Erbrechen und Übelkeit (Medullaentzündung), endokrine Veränderungen, Schlafstörungen (Hypothalamusbeteiligung), Koma, Hirnödem, bei Schwangeren: Anämie, Neigung zu Frühgeburtlichkeit.
Nicht selten Vorhandensein anderer systemischer Autoimmun-Krankheiten: Systemischer Lupus erythematodes (SLE), Sjögren-Syndrom, Myasthenia gravis.
Therapie
Immunsupression, reduziert Anzahl der rezidivierenden Schübe > 50 %.

Anästhesierelevanz

Je nach Querschnittshöhe autonome Dysregulationen mit lebensbedrohlicher Hypertension und Bradykardie bis zu Krampfanfällen und zerebraler Hämorrhagie.
Spezielle präoperative Abklärung
Neurostatus, aktueller Zustand des Herz-Kreislauf-Systems.
Vorgehen
Bei Indikationen zur Sectio caesarea oder anderen Eingriffen an der unteren Körperhälfte bieten sich Spinal- oder Epiduralanästhesie an, da hiermit die die autonome Hyperreflexie unterstützenden Reflexbögen unterbrochen werden, wobei die Epiduralanästhesie noch eine bessere Steuerung des Blutdruckverhaltens ermöglicht. Auch nach einer Allgemeinanästhesie ist die Ausbildung einer transversen Myelitis beschrieben worden, so dass die Beteiligung des Rückenmarks kein Ausschlusskriterium für eine rückenmarknahe Regionalanästhesie ist.
Das neue Auftreten einer Neuromyelitis optica in Zusammenhang mit einer Spinalanästhesie wurde beschrieben,
Bei Allgemeinanästhesie ist Succinylcholin bei bestehendem Querschnitt kontraindiziert (Hyperkaliämie, Herz-Kreislauf-Stillstand). Die Reaktion der Muskulatur auf nichtdepolarisierende Muskelrelaxanzien ist normal.
Die autonome Dysregulation macht jegliche Art von Rhythmusstörungen unter Stimulation bzw. Operation möglich!
Cave
Autonome Hyperreflexie, Kreislaufdysregulation. KI: Succinylcholin!
Weiterführende Literatur
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