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Vitamin B12

Verfasst von: Hassan Jomaa
Vitamin B12
Synonym(e)
Cobalamin; Antiperniziosa-Faktor; Extrinsic Faktor
Englischer Begriff
vitamin B12; cobalamin
Definition
Vitamin B12 ist ein wasserlösliches, nur in tierischen Lebensmitteln enthaltenes Vitamin. Es ist an nur 2 Reaktionen des menschlichen Stoffwechsels beteiligt (Methylierung von Homocystein zu Methionin, Umlagerung von L-Methylmalonyl-CoA zu Succinyl-CoA) und essenziell für den Folatstoffwechsel. Eine Unterversorgung führt zu einer megaloblastären Anämie und Neuropathie.
Molmasse
1355,37 g/mol (Cyanocobalamin); 1346,37 g/mol (Hydroxycobalamin).
Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination
Als Vitamin B12 oder Cobalamin wird eine Gruppe eng verwandter Moleküle bezeichnet, die als charakteristisches Strukturelement ein Corrinringsystem mit zentral gebundenem Kobaltatom enthalten (s. folgende Abbildung).
Struktur von Vitamin B12 (Cobalamin) (aus: Heinrich et al. 2014):
Das Corrinringsystem besteht aus 4 reduzierten Pyrrolringen, von denen (im Gegensatz zu Porphyrin) 2 direkt miteinander verbunden sind. Das Kobaltatom wird durch die Stickstoffatome der 4 Pyrrolringe gebunden; eine fünfte Bindung besteht zu einem Stickstoffatom eines Benzimidazolderivats, das über eine Seitenkette mit dem Corrinringsystem verbunden ist. Eine sechste Koordinationsstelle kann durch unterschiedliche Liganden besetzt sein. Als Kofaktoren aktiv sind 5’-Desoxyadenosylcobalamin und Methylcobalamin. Die Bindung einer Hydroxygruppe führt zum Hydroxocobalamin, das in wässriger Lösung im Gleichgewicht steht mit Aquocobalamin und als Speicher- und Transportform eine Rolle spielt. Cyanocobalamin ist eine besonders stabile Form, die technisch aus bakteriell produziertem Hydroxocobalamin hergestellt wird. Als Supplemente und Pharmaka werden Cyanocobalamin und in zunehmendem Umfang Hydroxocobalamin (u. a. zur Vermeidung der Cyanidfreisetzung im Körper) verwendet. Hydroxocobalamin in hohen Dosen wird auch als Antidot bei Cyanidvergiftungen eingesetzt. Der Begriff Vitamin B12 wird manchmal speziell für Cyanocobalamin gebraucht.
Cobalamin wird ausschließlich von Bakterien synthetisiert. Im Gegensatz zu vielen Tieren wird beim Menschen das durch die Darmflora synthetisierte Cobalamin nur unzureichend resorbiert. In praktisch allen tierischen Lebensmitteln ist Cobalamin enthalten; besonders reichhaltig in Leber, Niere und Muscheln. Pflanzliche Lebensmittel enthalten allenfalls Spuren und sind zur Bedarfsdeckung ungeeignet.
Der Hauptanteil des Cobalamins in der Nahrung ist an Proteine gebunden und wird durch proteolytische Prozesse im Magen und vor allem im Duodenum freigesetzt. Anschließend wird Cobalamin durch den Intrinsic Faktor (IF) gebunden, der durch die Belegzellen der Magenschleimhaut gebildet wird und durch Glykosylierung mit hohem Sialinsäureanteil vor Degradation durch Pankreasproteasen geschützt ist. Bereits in der Nahrung frei vorliegendes Cobalamin bindet im Speichel an Haptocorrin (R-Protein, Transcobalamin I, TCN1) und wird nach Degradation des Haptocorrins durch Pankreasproteasen im Duodenum an IF übergeben.
Der Cobalamin-IF-Komplex wird im unteren Ileum durch rezeptorvermittelte Endozytose aufgenommen. Als Rezeptor dient ein Komplex aus dem löslichen Protein Cubilin und dem Transmembranprotein Amnionless. Der Cobalamin-IF-Komplex dissoziiert in den frühen Endosomen, und IF wird in den Lysosomen abgebaut. Unter Beteiligung der Proteine LMBD1/CblF und ABCD4/CblJ gelangt Cobalamin aus den Lysosomen ins Zytoplasma und wird über verschiedene Transporter (u. a. ABCC1/MRP1) basolateral sezerniert.
Im Blut bildet Cobalamin mit Transcobalamin (Transcobalamin II, TC) den Komplex Holotranscobalamin, der von den meisten Zellen über den Rezeptor TCblR/CD322 aufgenommen werden kann. Der Rezeptor ist auf schnell proliferierenden Zellen besonders hoch exprimiert. Nur ein kleiner Teil (10–30 %) des Plasmacobalamins ist an Transcobalamin gebunden; der überwiegende Teil ist an Haptocorrin gebunden, das nicht nur im Speichel, sondern auch im Plasma vorkommt. Der Cobalamin-Haptocorrin-Complex wird über den Asialoglykoproteinrezeptor in die Leberzellen aufgenommen. Seine Funktion ist unklar; Haptocorrindefizienz ist asymptomatisch, trotz verringerter Gesamtcobalamin-Plasmaspiegel. Möglich erscheint eine Funktion bei der Akkumulation von Cobalamin in der Leber zur Speicherung, außerdem bei der Beseitigung von biologisch inaktiven Corrinoidderivaten.
Das als Komplex mit Transcobalamin durch rezeptorvermittelte Endozytose in periphere Zellen aufgenommene Cobalamin wird durch Proteolyse des Transcobalamins in den Lysosomen freigesetzt und über den gleichen Mechanismus wie in den Enterozyten (Beteiligung von LMBD1/CblF und ABCD4/CblJ) ins Zytoplasma transportiert. Dort beseitigt das Enzym CblC (MMACHC, „methylmalonic aciduria type C and homocysteinuria“) die unterschiedlichen, in der sechsten Bindungsposition vorhandenen Liganden (Methyl-, Adenosyl-, Hydroxy- oder Cyanoxygruppen). Das entstandene Co(II)-Cobalamin-Derivat dient als gemeinsamer Vorläufer für die Synthese der Kofaktoren Methylcobalamin (im Zytoplasma) und 5’-Desoxyadenosylcobalamin (in den Mitochondrien). Für die weitere Prozessierung des Vorläufers über einen unbekannten Mechanismus ist das Protein CblD (MMADHC) sowohl im Zytoplasma als auch in den Mitochondrien erforderlich.
Im Zytoplasma bindet Co(II)-Cobalamin an die Apo-Methioninsynthase (CblG). Nach Reduktion zur Co(I)-Form durch die Methioninsynthase-Reduktase (CblE) führt die Übertragung einer Methylgruppe von S-Adenosylmethionin zur Bildung des Methylcobalamins. Die Methioninsynthase-Reduktase dient auch der Reaktivierung der Methioninsynthase, wenn durch oxidative Schädigung der Kofaktor in die Co(II)-Form übergegangen ist.
In die Mitochondrien gelangt Co(II)-Cobalamin über einen unbekannten Transporter und bindet an die Adenosyltransferase CblB. Zunächst erfolgt eine Reduktion zu Co(I)-Cobalamin (Reaktionspartner unbekannt, in vitro Reduktion durch Ferredoxin oder Flavodoxin), anschließend wird ein Adenosylrest von ATP übertragen. Der entstandene Kofaktor 5’-Desoxyadenosylcobalamin wird mithilfe des G-Proteins MeaB (ClbA) in die Methylmalonyl-CoA-Mutase eingelagert. MeaB dient auch der Erneuerung des Kofaktors im Fall, dass der Adenosylrest während des Reaktionszyklus aus dem aktiven Zentrum verloren gegangen ist.
Der Cobalamin-Gesamtkörperspeicher wird auf 2–5 mg geschätzt, davon entfallen ca. 50 % auf die Leber. Die Ausscheidung erfolgt hauptsächlich biliär. Ca. 75 % des mit der Galle in den Darm gelangten Cobalamins werden durch den IF gebunden und rückresorbiert. Der tägliche Verlust beträgt 3–5 μg. Cobalamin wird in der Niere aus dem Primärharn unter Beteiligung von Transcobalamin II und Megalin rückresorbiert. Eine Ausscheidung mit dem Harn erfolgt erst nach Aufnahme unphysiologisch hoher Dosen. Die Plazenta passiert Cobalamin wahrscheinlich unter Beteiligung von Megalin.
Funktion – Pathophysiologie
Im menschlichen Stoffwechsel sind nur 2 Cobalamin-abhängige Enzyme bekannt:
  • Die im Zytoplasma lokalisierte Methioninsynthase benötigt Methylcobalamin als Cofaktor und katalysiert die Bildung von Methionin durch Übertragung einer Methylgruppe von N5-Methyl-Tetrahydrofolat auf Homocystein (Folsäure). Die Reaktion ist wichtig als Teil des Methionin-Zyklus zur Bereitstellung von S-Adenosylmethionin als universellen Methylgruppen-Donator. Außerdem erlaubt die Reaktion die Umwandlung von N5-Methyl-Tetrahydrofolat in andere Folat-Derivate, die für die Nukleotidsynthese benötigt werden. Eine Methylierung von Homocystein zu Methionin ist auch Vitamin-B12-unabhängig durch die Betain-Homocystein-Methyl-Transferase möglich. Dabei liefert das aus dem Cholinabbau stammende Betain die Methylgruppe, sodass kein N5-Methyl-Tetrahydrofolat umgesetzt wird.
  • Die in den Mitochondrien lokalisierte Methylmalonyl-CoA-Mutase benötigt 5’-Desoxyadenosylcobalamin als Cofaktor und katalysiert die Umlagerung von L-Methylmalonyl-CoA zu Succinyl-CoA (s. folgende Abbildung). Diese Reaktion ist v. a. wichtig beim Abbau ungeradzahliger Fettsäuren und bestimmter Aminosäuren. Als letztes Produkt der vollständigen β-Oxidation ungeradzahliger Fettsäuren entsteht ein Molekül Propionyl-CoA. Dieses wird zu d-Methylmalonyl-CoA carboxyliert. Nach Isomerisierung zu L-Methylmalonyl-CoA erfolgt die Umlagerung zu Succinyl-CoA, das in den Citratzyklus eingespeist wird. Propionyl-Co entsteht auch beim Abbau von Isoleucin, Valin, Threonin und Methionin sowie der Nukleobase Thymin und der Seitenkette des Cholesterins.
Die Abbildung zeigt die Stellung der Vitamin-B12-abhängigen Methylmalonyl-CoA-Mutase im Stoffwechsel:
Vitamin-B12-Mangel manifestiert sich als makrozytäre, hyperchrome Anämie und ist hämatologisch nicht von einem Folatmangel zu unterscheiden. Bei einem Vitamin-B12-Mangel zeigen sich jedoch zusätzlich neurologische Symptome, die als funikuläre Myelose mit dem Auftreten von Entmarkungsherden im Rückenmark einhergehen können. Als Ursache der makrozytären Anämie gilt ein funktioneller Folatmangel aufgrund verminderter Aktivität der Methioninsynthase. Die resultierende eingeschränkte Nukleotidsynthese verursacht eine Reifestörung aller blutbildenden Zelllinien des Knochenmarks. Megaloblasten sind ein Kennzeichen dieser Reifestörung, die zu einer ineffektiven Erythropoese verbunden mit intramedullärem Zelluntergang führt. Zusätzlich zur anfänglichen Retikulozytopenie und Auftreten hypersegmentierter Granulozyten zeigt das Blutbild bei fortschreitender Erkrankung eine Granulozytopenie und Thrombopenie. Die Erythrozyten zeigen eine erhöhte Rigidität der Zellmembran, die eine deutliche (um bis zu 50 %) Verkürzung der Lebensdauer dieser Erythrozyten zur Folge hat. Sowohl die ineffektive Erythropoese als auch die vermehrte Hämolyse führen zu einer Zunahme der Hämolyseparameter Bilirubin und LDH (Laktatdehydrogenase).
Die Ätiologie der Neuropathie ist unklar. Diskutiert werden 3 Mechanismen, die zu einer Veränderung der Myelinscheiden führen
  • Durch den Mangel an S-Adenosylmethionin ist die Phosphatidylcholinsynthese vermindert und damit die Lipidzusammensetzung der Myelinscheiden verändert.
  • Akkumulierende Propionyl-CoA und Methylmalonyl-CoA werden durch die Fettsäuresynthase (zusätzlich zu den regulären Substraten Acetyl-CoA und Malonyl-CoA) umgesetzt, sodass vermehrt ungeradzahlige bzw. methylverzweigte Fettsäuren entstehen, die ebenfalls zu einer Veränderung der Lipidzusammensetzung der Myelinscheiden führen.
  • Mangel an S-Adenosylmethionin vermindert die reguläre Methylierung des basischen Myelinproteins an Arginin.
Vitamin-B12-Mangel resultiert u. a. aus unzureichender Aufnahme mit der Nahrung (Vegetarier, Veganer, Alkoholiker), geringer Freisetzung von proteingebundenem Vitamin B12 (z. B. bei verminderter Magensäureproduktion durch Antazida) und Störung der Resorption (z. B. durch Zerstörung der Intrinsic-Faktor-produzierenden Belegzellen durch Autoimmunreaktion bei perniziöser Anämie). Vegane Ernährung während der Schwangerschaft und der Stillzeit kann zu teils irreversiblen neurologischen Schäden des Kindes führen, insbesondere bei Ersatz von Kuhmilch durch Sojamilch. Die Tagesempfehlungen für die Vitamin-B12-Aufnahme liegen bei 3 μg für Erwachsene, 3,5 μg für Schwangere, 4 μg für Stillende und 0,4 μg für Säuglinge unter 4 Monate. Nebenwirkungen aufgrund einer Überdosierung sind nicht bekannt.
Ein Vitamin-B12-Mangelzustand aufgrund einer veränderten Ernährung entwickelt sich sehr langsam, da 75 % des mit der Galle ausgeschiedenen Cobalamin an Intrinsic Faktor gebunden rückresorbiert wird. Bei intakter Synthese des Intrinsic Factors reichen die Cobalamin-Reserven der Leber bis zu 2 Jahre.
Abklärung eines Vitamin-B12 Mangels. Vitamin B12 liegt im Blut an den Proteinen Haptocorrin und Transcobalamin gebunden vor. Nur das an Transcobalamin gebundene Vitamin B12 (Holotranscobalamin) steht für die 2 Vitamin-B12-abhängigen Reaktionen im Menschen zur Verfügung. Assays zur Beurteilung des Vitamin-B12-Status erfassen entweder die Gesamt-Vitamin-B12-Menge im Blut (an Haptocorrin- und an Transcobalamin gebundenes Vitamin B12) oder ausschließlich das Holotranscobalamin. Durch die Bestimmung der Substrate (Methylmalonsäure und Homocystein) der Vitamin-B12-abhängigen Enzyme kann eine Aussage darüber gemacht werden, ob diese Reaktionen ausreichend ablaufen.
Untersuchungsmaterial – Probenstabilität
Gesamt-Vitamin B12: Serum und Plasma. Stabilität bei Raumtemperatur 72 Stunden, bei 4 °C 7 Tage, bei –20 °C >12 Monate.
Holotranscobalamin: Serum und Plasma. Stabilität bei Raumtemperatur 1 Tag, bei 2–8 °C 28 Tage, bei –20 °C >16 Monate.
Methylmalonsäure: Serum; Methylmalonsäure.
Homocystein: NaF-Plasma; Homocystein.
Präanalytik
Nüchtern, Absetzen der Vitamin-B12-Medikation am Vortag. Anti-Intrinsic-Faktor-Antikörper können zu falsch hohen Werten bei der Anwendung der kompetitiven Proteinbindungsassays führen.
Analytik
Gesamt-Vitamin B12: Die direkte Bestimmung von Vitamin B12 erfolgt im Serum oder Heparin-Plasma mit mikrobiologischen oder mit kompetitiven Radioligandenassays (immunometrische Assays) wie auch kompetitiven Proteinbindungsassays, z. B. unter Anwendung unterschiedlicher Chemilumineszenztechnologien (CMIA, ECLIA). Hierbei konkurrieren Vitamin B12 in der Patientenprobe mit markiertem Vitamin B12 um eine begrenzte Menge an gereinigtem Intrinsic Faktor. Chemilumineszenzassays haben inzwischen die Radioassays weitgehend abgelöst.
Holotranscobalamin: ELISA, Radio- und Chemilumineszenzimmunoassays.
Methylmalonsäure: GC-MS, LC-MS/MS; Methylmalonsäure, Massenspektrometrie.
Homocystein: Immunoassay, LC-MS/MS, Homocystein.
Referenzbereich – Erwachsene
Vitamin B12 (kompetitiver Immunoassay mit direkter Chemilumineszenz): 211–911 ng/L (156–672 pmol/L).
Holotranscobalamin: Serum 36–129 pmol/L (RIA).
Methylmalonsäure: Serum/Plasma 53–376 nmol/L Methylmalonsäure.
Homocystein: Homocystein.
Referenzbereich – Kinder
Dargestellte Werte (Hicks et al. 1993) für Kinder und Jugendliche wurden mit RIA ermittelt. Aktuelle mit ECLIA ermittelte Werte aus der KIGGS-Studie stehen weitgehend im Einklang.
Alter (Jahre)
Weiblich
Männlich
ng/L
ng/L
<1
228–1515
293–1210
2–3
414–1210
264–1215
4–6
313–1410
245–1075
7–9
247–1175
271–1170
10–12
196–1020
183–1090
13–18
182–820
214–864
Referenzwerte für Holotranscobalamin für Kinder sind nicht bekannt; für Methylmalonsäure und Homocystein s. dort.
Indikation
  • Lang anhaltende Mangel- und Fehlernährung durch streng vegetarische Ernährung oder durch Malabsorption infolge gastrischer Ursachen (Mangel an Intrinsic Faktor, totale bzw. partielle Gastrektomie, Hypochlorhydrie, Achlorhydrie, Pankreasinsuffizienz, Erkrankungen im Endabschnitt des Ileum (Resektion, Sprue, Morbus Crohn, Zollinger-Ellison-Syndrom, Imerslund-Gräsbeck-Syndrom)
  • Chronischer Alkoholmissbrauch
  • Behandlung mit Antazida (verminderte Freisetzung von proteingebundenem Vitamin B12), Metformin (verringerte Darmmotilität)
  • Makrozytäre Störungen, perniziöse Anämie (Biermer-Anämie)
  • Megaloblastäre (makrozytäre) Anämie
  • Neurologische und psychiatrische Störungen (funikuläre Myelose)
  • Bakterielle Fehlbesiedlung des Darms (Blind-loop-Syndrom)
  • Wurminfektion (Fischbandwurm Diphyllobothrium latum)
Interpretation
Die Beurteilung des Vitamin-B12-Status beinhaltet Veränderungen des Blutbilds, Gesamt-Vitamin B12 im Serum oder Plasma, Holotranscobalamin im Serum oder Plasma, Methylmalonsäure im Serum oder Urin und Homocystein im Plasma.
Blutbild: MCV-Erhöhung, hypersegmentierte Granulozyten und eine makrozytäre Anämie sind sensitive, jedoch nicht spezifische Blutbildmarker für das Vorliegen eines Vitamin-B12-Mangels.
Gesamt-Vitamin B12: Werte unter 200 ng/L (148 pmol/L) werden als Vitamin-B12-Mangel bewertet. Werte über 300 ng/L (221 pmol/L) schließen in der Regel einen Vitamin-B12-Mangel aus. Liegt der Wert zwischen 200–300 ng/L erfolgt die weitere Abklärung durch Bestimmung der Methylmalonsäure im Serum. Bei Gesamt-Vitamin-B12-Werten größer als 650 ng/L und entsprechender Klinik sollte eine diagnostische Abklärung einer Lebererkrankung und einer hämatologischen Erkrankung erfolgen.
Holotranscobalamin: Werte unter 35 pmol/L werden als Vitamin-B12-Mangel oder Depletion interpretiert. Werte über 50 pmol/L sprechen für eine gute Versorgung mit Vitamin B12. Bei Werten zwischen 35–50 pmol/L wird die anschließende Methylmalonsäurebestimmung im Serum empfohlen. Dies ist auch zu beachten bei Patienten mit einer Nierenfunktionsstörung, da Holotranscobalamin bei Niereninsuffizienz ansteigt.
Methylmalonat: Werte unter 271 nmol/L machen das Vorliegen eines funktionellen Vitamin B12 unwahrscheinlich. Werte über 271 nmol/L sind mit einem funktionellen Vitamin-B12-Mangel vereinbar. Methylmalonsäure ist bei Patienten mit Nierenfunktionsstörungen erhöht, daher sollte bei erhöhten Methylmalonsäurewerten die Nierenfunktion überprüft werden. Für diese Patienten sollte der Methylmalonsäurewert 2 Wochen nach Substitutionsbeginn kontrolliert werden. Bei ausreichender Versorgung kann davon ausgegangen werden, dass der Wert sich innerhalb dieser kurzen Frist normalisiert.
Homocystein: Werte unter 12 μmol/L machen das Vorliegen eines Vitamin-B12-Mangels unwahrscheinlich. Die Interpretation eines hohen Homocysteinwerts als Surrogate-Marker für die Versorgung mit Vitamin B12 ist nur bei Kenntnis der Nierenfunktion, Folsäure und Vitamin-B6-Status möglich, da Homocystein auch bei nicht ausreichender Versorgung mit genannten Vitaminen nicht zu Methionin abgebaut wird und akkumuliert.
Bei der Abklärung einer makrozytären Anämie erfolgt zusätzlich die Bestimmung der Folatkonzentration, da hämatologisch ein Folatmangel nicht von einem Vitamin-B12-Mangel unterschieden werden kann. Bei Folatmangel fehlt aber meist die für einen Vitamin-B12-Mangel typische Neuropathie.
Vor allem bei Kindern sollten seltene genetische Formen des Vitamin-B12-Mangels in Erwägung gezogen werden, z. B. das Imerslund-Gräsbeck-Syndrom, bei dem aufgrund einer Mutation des Cubilin- oder Amnionless-Gens kein funktioneller IF-Rezeptor gebildet wird.
Diagnostische Wertigkeit
Die Bestimmung des Gesamt-Vitamin B12 ist meistverbreitet. Sie besitzt eine limitierte Sensitivität und Spezifität für die Identifizierung eines Vitamin-B12-Mangels. Gesamt-Vitamin B12 umfasst Holohaptocorrin und Holotrancobalamin. Holotranscobalamin hat eine Halbwertszeit von 60–90 Minuten. Holohaptocorrin ist mit einer Halbwertszeit von mehreren Tagen weniger Veränderungen unterworfen. In Patienten mit Symptomen eines Vitamin-B12-Mangels kann das Gesamt-Vitamin B12 im Referenzbereich liegen, und ein niedriger Gesamt-Vitamin-B12-Wert ist nicht gleichzusetzen mit einem Vitamin-B12-Mangel. Denn in bis zu 50 % der Patienten mit einem niedrigen Gesamt-Vitamin B12 zeigen sich MCV, Methylmalonsäure und Homocystein im Referenzbereich. Ähnliche Limitierungen besitzt auch die Holotranscobalaminbestimmung. Die Gesamt-Vitamin-B12- und die Holotranscobalaminbestimmung haben eine ähnliche diagnostische Aussagekraft als First-line-Bestimmung in der Beurteilung des Vitamin-B12-Status. Jedoch ist die Gesamt-Vitamin-B12-Bestimmung aufgrund der niedrigeren Kosten meistverbreitet.
Beide Bestimmungen besitzen einen Graubereich, der eine weitere Abklärung durch Hinzunahme weiterer Tests notwendig macht. Hier spielt Methylmalonsäure als Second-line-Bestimmung eine wesentliche, Homocystein eine untergeordnete Rolle. Beide Algorithmen (Gesamt-Vitamin B12 und Methylmalonsäure oder Holotranscobalamin und Methylmalonat) besitzen eine ähnliche diagnostische Aussagekraft.
In den meisten klinischen Fällen reicht die Einzelbestimmung von Gesamt-Vitamin B12 oder Holotranscobalamin oder die Zweierkombination mit Methylmalonsäure aus, um eine ausreichende Beurteilung des Vitamin-B12-Status zu erreichen.
Dreierkombinationen besitzen eine höhere Aussagekraft, wobei die kombinierte Bestimmung von Gesamt-Vitamin B12, Holotranscobalamin und Methylmalonsäure die höchste Aussagekraft besitzt. Auch in der Dreierkombination spielt Homocystein eine untergeordnete Rolle.
Literatur
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Thomas L, Labor und Diagnose, 8. Auflage. TH‐Books Verlagsgesellschaft mbH, Frankfurt/Main