Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination
Unter dem Begriff Vitamin D werden die Substanzen mit ähnlichen physiologischen Wirkungen Ergocalciferol (Vitamin D2) und Cholecalciferol (Vitamin D3) zusammengefasst. Beide Substanzen sind Secosteroide, d. h. Steroide, deren B-Ring aufgebrochen ist (s. Abbildung).
Ergocalciferol und Cholecalciferol entstehen unter Einwirkung von UV-Strahlung aus Ergosterin bzw.
7-Dehydrocholesterin. Ergocalciferol unterscheidet sich vom Cholecalciferol durch eine zusätzliche Doppelbindung und Methylgruppe in der Seitenkette.
Da Ergosterol hauptsächlich als Bestandteil der pilzlichen Zellmembran vorkommt, sind Pilze, die UV-Strahlung ausgesetzt waren (z. B. sonnengetrocknete Shiitake), die einzige relevante natürliche Ergocalciferol-Quelle. Technisch wird Ergocalciferol als Nahrungssupplement durch UV-Bestrahlung von Ergosterin aus Hefen gewonnen.
Unter der Voraussetzung ausreichender Sonnenexposition kann Cholecalciferol im menschlichen Organismus synthetisiert werden. Die Klassifikation als Vitamin ist daher nur bedingt berechtigt. In der Zellmembran eingelagertes
7-Dehydrocholesterin (Provitamin D
3, ein Zwischenprodukt der Cholesterin-de-novo-Synthese) wird im Stratum basale und spinosum der Haut durch UV-Strahlung (UVB: 290–315 nm) zu Prävitamin D gespalten, das sich durch thermische Isomerisierung zu Cholecalciferol umlagert. Fortgesetzte UV-Einstrahlung führt zu weiteren, biologisch inerten Spaltprodukten, sodass maximal 10–15 % des 7-Dehy drocholesterins zu Prävitamin D umgesetzt werden. Cholecalciferol gelangt als Komplex mit dem Vitamin-D-Bindeprotein (DBP) in die Zirkulation. Peak-Level treten 24–48 Stunden nach UV-Exposition auf bei einer Plasmahalbwertszeit von 36–78 Stunden. Durch Einlagerung in das Fettgewebe beträgt die Gesamtkörperhalbwertszeit ca. 2 Monate.
Alimentär wird Cholecalciferol mit allen tierischen Produkten aufgenommen. Allerdings enthalten nur wenige Lebensmittel (fetter Fisch, Schrimps) hohe Konzentrationen. Cholecalciferol wird im Ileum aufgenommen (Resorptionsrate 62–91 %) und in
Chylomikronen eingelagert. Ein Teil des Cholecalciferols wird an DBP übergeben, ein anderer Teil wird mit den Chylomikronenrestkörpern durch Endozytose in Hepatozyten aufgenommen.
Der aktive Metabolit 1,25-Dihydroxycholecalciferol (Synonyme: 1α,25-Dihydroxycholecalciferol; 1,25-Dihydroxyvitamin D3; 1,25(OH)2D3; Calcitriol; Vitamin-D-Hormon) wird in 2 Schritten durch Hydroxylierung von Cholecalciferol an Position 25 und 1 gebildet (s. Abbildung).
Die Hydroxylierung von Cholecalciferol zu 25-Hydroxycholecalciferol (Synonyme: 25-Hydroxyvitamin D; 25(OH)D
3; Calcidiol) erfolgt in der Leber durch die mikrosomale Cytochrom-P450-Monooxygenase CYP2R1. Die
in vitro nachweisbaren Vitamin-D-25-Hydroxylase-Aktivitäten weiterer CYPs sind wahrscheinlich nicht physiologisch relevant; die als erste Vitamin-D-25-Hydroxylase klonierte mitochondriale CYP27A1 ist evtl. an der Metabolisierung synthetischer Vitamin-D-Analoga beteiligt. 25-Hydroxycholecalciferol zirkuliert im Blut als Komplex mit DBP.
Die Hydroxylierung von 25-Hydroxycholecalciferol zu 1,25-Dihydroxycholecalciferol findet hauptsächlich in der Niere statt. Der 25-Hydroxycholecalciferol-DBP-Komplex wird glomerulär filtriert und im proximalen Tubulus, vermittelt durch den Megalin-Cubilin-Rezeptorkomplex, endozytiert. Nach lysosomaler Degradation des DBP gelangt ein Teil des 25-Hydroxycholecalciferols unmodifiziert über die Basolateralmembran der Tubuluszellen zurück in das Blut. Ein anderer Teil wird in den Mitochondrien durch CYP27B1 (1α-Hydroxylase) in 1,25-Dihydroxycholecalciferol umgewandelt, das ebenfalls basolateral ins Blut abgegeben wird. 1,25-Dihydroxycholecalciferol bindet im Blut ebenso wie die anderen Vitamin-D-Metaboliten an DBP.
Praktisch die Gesamtmenge des zirkulierenden 1,25-Dihydroxycholecalciferols stammt aus der Niere und entfaltet seine Wirkung an verschiedenen peripheren Geweben (endokrine Wirkung). Zusätzlich können CYP27B1-exprimierende Zellen in peripheren Geweben 25-Hydroxycholecalciferol in 1,25-Dihydroxycholecalciferol umwandeln, das direkt auf die Produzentenzellen oder benachbarte Zellen wirkt (autokrine und parakrine Wirkung).
Die meisten physiologischen Wirkungen von Vitamin D werden durch Aktivierung spezifischer Gene vermittelt. In den Zielzellen bindet 1,25-Dihydroxycholecalciferol an den nukleären Vitamin-D-Rezeptor (VDR), der als Heterodimer mit dem Retinsäure-X-Rezeptor (RXR) an ein spezifisches Sequenzelement im Promotorbereich der jeweiligen Gene bindet. Auch sind sog. nicht genomische Effekte durch Bindung von 1,25-Dihydroxycholecalciferol an den membranassoziierten Rezeptor 1,25D3-MARRs beschrieben.
Für die Inaktivierung und Ausscheidung von Vitamin D ist die mitochondriale CYP24A1 (24-Hydroxylase) notwendig. CYP24A1 hydroxyliert sowohl 25-Hydroxycholecalciferol (in den Nierentubuluszellen) als auch 1,25-Dihydroxycholecalciferol (in den Vitamin-D-sensitiven Zielzellen) in Position 24. Weitere ebenfalls durch CYP24A1 katalysierte Oxidationsschritte führen u. a. zur Calcitronsäure, die mit der
Galle ausgeschieden wird.
Funktion – Pathophysiologie
1,25-Dihydroxycholecalciferol ist an der Regulation von über 1000 Genen beteiligt. Entsprechend vielfältig sind die Wirkungen. Als wichtigste Funktionen gelten die Regulation des Calciumhaushalts und des
Knochenwachstums. Eine Erhöhung des Calciumspiegels wird erreicht durch Steigerung der
1.
intestinalen Calciumabsorption,
2.
renalen Calciumreabsorption und
3.
Calciummobilisierung aus dem Knochen.
Zu 1: Die intestinale Calciumaufnahme findet im gesamten Darm statt; am besten untersucht ist der Mechanismus im Duodenum.
Calcium passiert die Apikalmembran der Enterozyten über den Calciumkanal TRPV6, bindet im Zytoplasma an Calbindin-D
9k und wird basolateral durch die Calcium-ATPase PMCA1b sezerniert. Diese Proteine werden durch 1,25-Dihydroxycholecalciferol induziert. Außerdem wird die Synthese mehrerer Proteine, die mit einem parazellulären Calciumtransport in Verbindung gebracht werden, durch 1,25-Dihydroxycholecalciferol reguliert.
Zu 2: Aufgrund der Bindung an
Plasmaproteine werden nur ca. 60 % des Blutcalciums renal filtriert; davon gelangen 1–2 % in den Endharn. Ca. 65 % des renal filtrierten
Calciums werden im proximalen Tubulus Vitamin-D-unabhängig passiv reabsorbiert. Die Reabsorption im distalen Tubulus erfolgt durch einen aktiven transzellulären Mechanismus, der durch 1,25-Dihydroxycholecalciferol und
Parathormon (PTH) stimuliert wird. Die Apikalmembran der distalen Tubuluszellen passiert Calcium über den Calciumkanal TRPV5 und bindet im Zytoplasma an Calbindin-D
9k und Calbindin-D
28k. Basolateral wird Calcium durch die Calcium-ATPase PMCA1b und den Natrium-Calcium-Austauscher NCX1 sezerniert.
Zu 3: Im Fall einer negativen Calciumbilanz fördert 1,25-Dihydroxycholecalciferol die Osteoklasten-vermittelte Kalziumfreisetzung aus dem Knochen. Für die Entstehung von
Osteoklasten ist ein direkter Zellkontakt zwischen
Osteoblasten und Osteoklastenvorläuferzellen erforderlich. 1,25-Dihydroxycholecalciferol induziert die Expression von RANKL auf der Zelloberfläche der Osteoblasten. Bindung von RANKL an RANK auf der Oberfläche der Osteoklastenvorläuferzellen stimuliert die Osteoklastendifferenzierung und -aktivierung. Die Mechanismen, die bei einer positiven Calciumbilanz zur
Knochenbildung beitragen, sind unvollständig verstanden. In Osteoblasten induziert 1,25-Dihydroxycholecalciferol verschiedene Proteine, die an der Kalzifizierung und dem Aufbau der Knochenmatrix beteiligt sind.
Die Kontrolle der 1,25-Dihydroxycholecalciferol-Plasmakonzentration ist Bestandteil verschiedener Regelkreise des Calcium- und Phosphathaushalts. Schlüsselenzyme sind CYP27B1 (Umwandlung von 25-Hydroxycholecalciferol in 1,25-Dihydroxycholecalciferol) und CYP24A1 (Inaktivierung von 25-Hydroxycholecalciferol und 1,25-Dihydroxycholecalciferol). Reprimiert wird CYP27B1 durch 1,25-Dihydroxycholecalciferol (direkte Rückkopplung), außerdem durch Anstieg der Calciumkonzentration im
Plasma und den Fibroblastenwachstumsfaktor FGF23. Die Bildung von FGF23 (Syntheseort: Knochen; Hauptwirkung: Hemmung der Phosphatrückresorption in der Niere) wird durch 1,25-Dihydroxycholecalciferol stimuliert. Induziert wird CYP27B1 durch
Parathormon (Ausschüttung in der Nebenschilddrüse bei Abfall der Calciumkonzentration im Plasma). Die CYP24A1-Expression wird reziprok reguliert.
Als sog. nicht klassische Aktivitäten von Vitamin D beschrieben sind u. a. Wirkungen auf die Zelldifferenzierung, das kardiovaskuläre System, die Muskelfunktion und das Immunsystem. In myeloiden und epithelialen Zellen induziert 1,25-Dihydroxycholecalciferol das antimikrobielle Peptid Cathelicidin (hCAP18/LL-37). Die klinische Relevanz dieser Aktivitäten ist unklar.
Aufgrund geringer Sonnenexposition und der üblichen Verzehrgewohnheiten ist davon auszugehen, dass eine Vitamin-D-Unterversorgung in Deutschland besonders in den Wintermonaten weit verbreitet ist. Zu den besonderen Risikogruppen zählen Schwangere, Neugeborene, Kleinkinder, Übergewichtige, alte Menschen, Menschen mit dunkler Hautfarbe, Vegetarier und Menschen in stationärer Behandlung. Vitamin-D-Mangel äußert sich bei Kindern als Rachitis, bei Erwachsenen als
Osteomalazie.
Eine Hypervitaminose durch Fehlernährung oder Sonneneinstrahlung ist unbekannt, kann aber bei Überdosierung von Vitamin-D-Präparaten vorkommen. Toxische Effekte sind bei Dosierungen von 500–1000 μg/Tag über einen längeren Zeitraum bei Erwachsenen und über 150 μg/Tag bei Kindern beschrieben und äußern sich in
Hyperkalzämie, Übelkeit, Erbrechen, Anorexie,
Kopfschmerzen, Durchfall, Lähmungserscheinungen, Nervosität,
Nephrokalzinose, Polyurie und
Osteoporose.
Die Vitamin-D-Zufuhr wird in μg angegeben, alternativ in Internationalen Einheiten (1 μg = 40 IE). Als angemessene Vitamin-D-Versorgung gelten 10 μg/Tag für Säuglinge unter 1 Jahr und 20 μg/Tag für alle anderen Altersgruppen, Schwangere und Stillende. Nicht überschritten werden sollten 150 μg/Tag.
Für die Supplementierung wird in Europa v. a. Cholecalciferol (Vitamin D
3) und in den USA Ergocalciferol (Vitamin D
2) verwendet. Bei Supplementierungsempfehlungen werden Vitamin D
3 und D
2 meist als gleichwertig betrachtet. Die Vergleichbarkeit der beiden Formen hinsichtlich
Bioverfügbarkeit und Wirksamkeit ist wissenschaftlich nicht abschließend geklärt. Für vegane Ernährung ist aus Flechten gewonnenes Vitamin D
3 verfügbar.
Genmutationen können Ursachen eines funktionellen Vitamin-D-Mangels sein. Mutationen des CYP27B1-Gens (1α-Hydroxylase) führen zur Vitamin-D-abhängigen Rachitis Typ I mit
Hypokalzämie, sekundärem Hyperparathyreoidismus, erhöhter alkalischer Phosphatase und sehr niedrigem 1,25-Dihydroxycholecalciferol. Mutationen des VDR-Gens (Vitamin-D-Rezeptor) führen zur Vitamin-D-resistenten Rachitis Typ II mit normalen bis deutlich erhöhten Vitamin-D-Serumwerten.