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Pädiatrie
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Publiziert am: 22.03.2020

Immunologische Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Carsten Speckmann und Stephan Ehl
Eine immunologische Diagnostik sollte erfolgen, wenn die Krankengeschichte und führende klinische Symptome an einen Immundefekt denken lassen. Die folgenden Empfehlungen orientieren sich an einer AWMF-Leitlinie zur Diagnostik von Immundefekten, die 2017 von einer interdisziplinären Expertengruppe publiziert worden ist. Die Empfehlungen betreffen die Indikationen zur Diagnostik sowie die in allen Laboreinrichtungen üblicherweise verfügbare Basisdiagnostik. Die weiterführende immunologische Diagnostik ist hoch spezialisiert und wird bei den spezifischen Erkrankungen zusammengefasst.

Indikationen

Eine immunologische Diagnostik sollte erfolgen, wenn die Krankengeschichte und klinische Symptome an einen Immundefekt denken lassen. Die folgenden Empfehlungen orientieren sich an einer AWMF-Leitlinie (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) zur Diagnostik von Immundefekten, die 2017 von einer interdisziplinären Expertengruppe publiziert worden ist. Die Empfehlungen betreffen die Indikationen zur Diagnostik sowie die in allen Laboreinrichtungen üblicherweise verfügbare Basisdiagnostik. Die weiterführende immunologische Diagnostik ist hoch spezialisiert und wird bei den spezifischen Erkrankungen zusammengefasst.
Eine pathologische Infektanfälligkeit ist meistens das führende Symptom eines primären Immundefekts. Die Abgrenzung zur „physiologischen Infektanfälligkeit“ innerhalb der ersten Lebensjahre ist schwierig. Charakteristisch für Immundefekte sind rezidivierende und protrahierte Infektionen, auch mit niedrig-pathogenen Erregern, die schwere Verläufe verursachen und manchmal an ungewöhnlichen Lokalisationen auftreten. Die wesentlichen Kriterien einer pathologischen Infektanfälligkeit werden unter dem Akronym ELVIS (Erreger, Lokalisation, Verlauf, Intensität, Summe) zusammengefasst. Genetische Störungen von Abwehrvorgängen betreffen jedoch nicht nur die Infektabwehr, sondern beeinträchtigen oft auch die Regulation des Immunsystems. Manifestationen einer gestörten Immunregulation bei primären Immundefekten beschreibt das Akronym GARFIELD (Granulome, Autoimmunität, rezidivierendes Fieber, ungewöhnliche Ekzeme, Lymphoproliferation, chronische Darmentzündung). Auch maligne Erkrankungen, insbesondere Lymphome, können die erste Manifestation von Immundefekten sein. Darüber hinaus können syndromale Aspekte wie Dysmorphien, Albinismus, Mikrozephalie, Kleinwuchs oder eine ektodermale Dysplasie erste Hinweise geben, die zur Diagnose eines Immundefekts führen. Schließlich sind auch Laborbefunde wie Neutropenie, Lymphopenie, verminderte/fehlene „T cell receptor excision circles (TREC)“ im Neugeborenen Screening oder ein Antikörpermangel bei klinisch noch unauffälligen Patienten manchmal ein früher Hinweis.

Basisdiagnostik

Als orientierende Basisuntersuchungen sollten ein Blutbild mit mikroskopischer Differenzierung sowie eine Immunglobulinbestimmung (IgG, IgM, IgE, IgA) erfolgen. Im Differenzialblutbild sollte auf die Absolutzahlen der Leukozytensubpopulationen geachtet werden. Leukozytopenie, Lymphozytopenie, Neutropenie, Monozytopenie oder Thrombozytopenie können Hinweise auf einen Immundefekt geben und müssen weiter abgeklärt und kontrolliert werden. Eine verminderte Anzahl kann auf eine Bildungsstörung (z. B. CID [combined immunodeficiency], kongenitale Neutropenie, Wiskott-Aldrich-Syndrom, GATA2-Defizienz, chronisches Knochenmarkversagen bei kombinierten Immundefekten) oder ein vorzeitiges Absterben der Zellen hinweisen (z. B. ITP [Immunthrombozytopenie], AIHA [autoimmunhämolytische Anämie], Autoimmun-Neutropenie oder Hämophagozytose). Bei einigen Erkrankungen kann auch eine Eosinophilie Hinweis auf einen angeborenen Immundefekt geben, vor allem im Zusammenhang mit Infektanfälligkeit oder Immundysregulation (z. B. Hyper-IgE-Syndrom, Omenn-Syndrom, IPEX-Syndrom I[mmundysregulation-Polyendokrinopathie-Enteropathie-X-chromosomal]). Die morphologische Beurteilung des Blutausstrichs kann Hinweise auf bestimmte Erkrankungen geben (z. B. Howell-Jolly-Körperchen bei Asplenie, Mikrothrombozyten bei Wiskott-Aldrich-Syndrom, Riesengranula bei Chediak-Higashi-Syndrom).

Antikörper

Angeborenen Immundefekte gehen in etwa 50 % der Fälle mit einer Antikörpermangelerkrankung einher. Die Bewertung der Immunglobuline muss altersspezifische Normwerte berücksichtigen. Mütterliche IgG-Antikörper zirkulieren bis zum 6.–10. Lebensmonat, sodass eine eindeutige Beurteilung der kindlichen IgG-Produktion ist erst anschließend möglich ist. Die Fähigkeit zur Produktion von IgA reift nach der Geburt über die ersten Lebensjahre. IgA-Mangel kann erst nach dem 4. Lebensjahr zuverlässig diagnostiziert werden. Für manche Immundefekte ist ein Anstieg der Immunglobuline charakteristisch. Erhöhte IgE-Spiegel finden sich bei Hyper-IgE-Syndrom, Omenn-Syndrom oder IPEX-Syndrom, ein erhöhtes IgM bei Hyper-IgM-Syndrom, manchen Patienten mit APDS (activated PI3 kinase delta syndrome) oder NEMO-Defekt, bei der ALPS-Erkrankung (autoimmunes lymphoproliferatives Syndrom) liegen oft IgG-Erhöhungen vor.

Impfantikörper

Die Produktion von Impfantikörpern ist das Resultat einer komplexen Immunreaktion, die die Aktivierung von Antigen-präsentierenden Zellen, deren Migration in den Lymphknoten, die Antigenpräsentation von B- und T-Zellen, deren Interaktion im Keimzentrum und den Klassenwechsel von IgM zu IgG umfasst. Die Bestimmung von Impfantikörpern ist daher eine sehr aussagekräftige Untersuchung. Die Befundinterpretation muss die Impfanamnese und das Alter des Patienten berücksichtigen. Außerdem ist die Kenntnis der spezifischen Ansprechraten auf den jeweiligen Impfstoff nötig. Auch bei gesunden Personen sind die Ansprechraten auf Impfungen variabel. Andererseits kann ein partielles Impfansprechen auch bei klinisch relevanten Antikörpermangelerkrankungen erhalten bleiben. Schließlich erfordert die Untersuchung und Interpretation des Impfantikörperprofils oft den gezieltem Einsatz von Booster-Impfungen. Wenn sich Auffälligkeiten in den Impfantworten finden, sollte die Bewertung in Absprache mit einem in der Immundefektdiagnostik und -therapie erfahrenen Arzt erfolgen.

IgG-Subklassen

Die Bestimmung der IgG-Subklassen gehört ebenfalls zu den Untersuchungen, deren Interpretation Erfahrung und Hintergrundwissen bedarf. Die Subklassen-Synthese (vor allem von IgG2 und IgG4) ist einem sehr variablen Reifungsprozess unterworfen, sodass erst nach Erreichen des 4. Lebensjahrs eine zuverlässige Beurteilung möglich ist. Zum anderen kann das Fehlen einzelner Subklassen ohne klinische Bedeutung bleiben, in manchen Fällen hingegen in Kombination mit klinischen Symptomen und verminderten Impfantikörpern auch Hinweise auf das Vorliegen eines Immundefekts geben. Eine Erhöhung der IgG4-Subklasse kann im Kontext autoinflammatorischer Symptome Hinweise auf eine sog. IgG4-assoziierte Erkrankung sein.

Lymphozytenpopulationen

Die Quantifizierung der Lymphozytensubpopulationen per Durchflusszytometrie ist eine weitere wesentliche diagnostische Maßnahme bei Patienten mit Verdacht auf angeborenen Immundefekt. Verminderte Zahlen von T-, B-, oder NK-Zellen können bereits Hinweise auf den zugrunde liegenden Immundefekt geben (z. B. XLA [X-chromosomale Agammaglobulinämie], SCID) und können bei der Planung weiterführender Diagnostik helfen. Aus der einfachen Typisierung lassen sich häufig auch unmittelbare Therapiemaßnahmen ableiten (z. B. Cotrimoxazol-Prophylaxe bei erniedrigten CD4-T-Zell-Lymphopenie). Die Interpretation der Ergebnisse muss unbedingt den klinischen Zusammenhang einbeziehen. Das erfordert ein ausreichendes Hintergrundwissen zu den vielen verschiedenen Immundefekten. Daher sollten Lymphozytentypisierungen bei Verdacht auf einen angeborenen Immundefekt wenn möglich an einem Zentrum durchgeführt werden, das in der Diagnostik und Therapie von Immundefekten erfahren ist oder gemeinsam mit einem Spezialisten interpretiert werden. Dies gilt vor allem für die SCID-Erkrankungen, für die seit August 2019 ein Neugeborenen-Screening zur Verfügung steht. Hierbei werden T-Zell-Rezeptor-Exzisionsringe (TRECs), ein „Abfallprodukt“ der V(D)J-Rekombination in der Guthriekarte quantifiziert. Die zeitnahe Bestätigungsuntersuchung der Lymphozyten mittels Durchflusszytometrie in einem qualifizierten Zentrum muss bei positivem Screening so schnell wie möglich erfolgen.
Immunologische Notfälle
Bei folgenden immunologischen Notfällen soll eine sofortige Kontaktaufnahme mit einer in der Immundefektdiagnostik und -behandlung erfahrenen Klinik erfolgen:
  • Erythrodermie in den ersten Lebenswochen (Verdacht auf Omenn-Syndrom als Ausdruck eines schweren kombinierten Immundefekts)
  • Schwere Lymphopenie im 1. Lebensjahr (Verdacht auf schweren kombinierten Immundefekt)
  • Positives NeugeborenenScreening auf schweren kombinierten Immundefekt, SCID
  • Persistierendes Fieber und Zytopenie (Verdacht auf primäres Hämophagozytose-Syndrom)
  • Schwere Neutropenie von <500/μl im Kindesalter (Verdacht auf schwere kongenitale Neutropenie)
  • Schwere Hypogammaglobulinämie (Verdacht auf schweren kombinierten Immundefekt oder Agammaglobulinämie)
Adressen entsprechender Kliniken sind auf der API Homepage (www.kinderimmunologie.de) zu finden.
Weiterführende Literatur
Aktualisierte Leitlinie zur Diagnostik auf Vorliegen eines primären Immundefekts (2017) http://​www.​awmf.​org/​leitlinien/​detail/​II/​112-001.​html
Farmand S, Baumann U, von Bernuth H et al (2011) Interdisciplinary AWMF guideline for the diagnostics of primary immunodeficiency. Klin Pädiatrie 223(6):378–385CrossRef