Als orientierende Basisuntersuchungen sollten ein Blutbild mit mikroskopischer Differenzierung sowie eine Immunglobulinbestimmung (IgG, IgM, IgE, IgA) erfolgen. Im
Differenzialblutbild sollte auf die Absolutzahlen der Leukozytensubpopulationen geachtet werden. Leukozytopenie, Lymphozytopenie, Neutropenie, Monozytopenie oder
Thrombozytopenie können Hinweise auf einen Immundefekt geben und müssen weiter abgeklärt und kontrolliert werden. Eine verminderte Anzahl kann auf eine Bildungsstörung (z. B. CID [combined immunodeficiency], kongenitale Neutropenie,
Wiskott-Aldrich-Syndrom, GATA2-Defizienz, chronisches Knochenmarkversagen bei
kombinierten Immundefekten) oder ein vorzeitiges Absterben der Zellen hinweisen (z. B. ITP [Immunthrombozytopenie], AIHA [autoimmunhämolytische Anämie], Autoimmun-Neutropenie oder Hämophagozytose). Bei einigen Erkrankungen kann auch eine Eosinophilie Hinweis auf einen angeborenen Immundefekt geben, vor allem im Zusammenhang mit Infektanfälligkeit oder Immundysregulation (z. B.
Hyper-IgE-Syndrom, Omenn-Syndrom, IPEX-Syndrom I[mmundysregulation-Polyendokrinopathie-Enteropathie-X-chromosomal]). Die morphologische Beurteilung des
Blutausstrichs kann Hinweise auf bestimmte Erkrankungen geben (z. B. Howell-Jolly-Körperchen bei Asplenie, Mikrothrombozyten bei Wiskott-Aldrich-Syndrom, Riesengranula bei
Chediak-Higashi-Syndrom).
Antikörper
Angeborenen Immundefekte gehen in etwa 50 % der Fälle mit einer Antikörpermangelerkrankung einher. Die Bewertung der
Immunglobuline muss altersspezifische Normwerte berücksichtigen. Mütterliche IgG-Antikörper zirkulieren bis zum 6.–10. Lebensmonat, sodass eine eindeutige Beurteilung der kindlichen IgG-Produktion ist erst anschließend möglich ist. Die Fähigkeit zur Produktion von IgA reift nach der Geburt über die ersten Lebensjahre. IgA-Mangel kann erst nach dem 4. Lebensjahr zuverlässig diagnostiziert werden. Für manche Immundefekte ist ein Anstieg der Immunglobuline charakteristisch. Erhöhte IgE-Spiegel finden sich bei
Hyper-IgE-Syndrom, Omenn-Syndrom oder IPEX-Syndrom, ein erhöhtes IgM bei
Hyper-IgM-Syndrom, manchen Patienten mit APDS (activated PI3 kinase delta syndrome) oder NEMO-Defekt, bei der ALPS-Erkrankung (
autoimmunes lymphoproliferatives Syndrom) liegen oft IgG-Erhöhungen vor.
Impfantikörper
Die Produktion von
Impfantikörpern ist das Resultat einer komplexen Immunreaktion, die die Aktivierung von Antigen-präsentierenden Zellen, deren
Migration in den Lymphknoten, die Antigenpräsentation von B- und T-Zellen, deren Interaktion im
Keimzentrum und den Klassenwechsel von IgM zu IgG umfasst. Die Bestimmung von Impfantikörpern ist daher eine sehr aussagekräftige Untersuchung. Die Befundinterpretation muss die Impfanamnese und das Alter des Patienten berücksichtigen. Außerdem ist die Kenntnis der spezifischen Ansprechraten auf den jeweiligen Impfstoff nötig. Auch bei gesunden Personen sind die Ansprechraten auf Impfungen variabel. Andererseits kann ein partielles Impfansprechen auch bei klinisch relevanten Antikörpermangelerkrankungen erhalten bleiben. Schließlich erfordert die Untersuchung und Interpretation des Impfantikörperprofils oft den gezieltem Einsatz von Booster-Impfungen. Wenn sich Auffälligkeiten in den Impfantworten finden, sollte die Bewertung in Absprache mit einem in der Immundefektdiagnostik und -therapie erfahrenen Arzt erfolgen.
IgG-Subklassen
Die Bestimmung der IgG-Subklassen gehört ebenfalls zu den Untersuchungen, deren Interpretation Erfahrung und Hintergrundwissen bedarf. Die Subklassen-Synthese (vor allem von IgG2 und IgG4) ist einem sehr variablen Reifungsprozess unterworfen, sodass erst nach Erreichen des 4. Lebensjahrs eine zuverlässige Beurteilung möglich ist. Zum anderen kann das Fehlen einzelner Subklassen ohne klinische Bedeutung bleiben, in manchen Fällen hingegen in Kombination mit klinischen Symptomen und verminderten
Impfantikörpern auch Hinweise auf das Vorliegen eines Immundefekts geben. Eine Erhöhung der IgG4-Subklasse kann im Kontext autoinflammatorischer Symptome Hinweise auf eine sog. IgG4-assoziierte Erkrankung sein.
Lymphozytenpopulationen
Die Quantifizierung der Lymphozytensubpopulationen per
Durchflusszytometrie ist eine weitere wesentliche diagnostische Maßnahme bei Patienten mit Verdacht auf angeborenen Immundefekt. Verminderte Zahlen von T-, B-, oder NK-Zellen können bereits Hinweise auf den zugrunde liegenden Immundefekt geben (z. B. XLA [X-chromosomale Agammaglobulinämie], SCID) und können bei der Planung weiterführender Diagnostik helfen. Aus der einfachen Typisierung lassen sich häufig auch unmittelbare Therapiemaßnahmen ableiten (z. B. Cotrimoxazol-Prophylaxe bei erniedrigten CD4-T-Zell-Lymphopenie). Die Interpretation der Ergebnisse muss unbedingt den klinischen Zusammenhang einbeziehen. Das erfordert ein ausreichendes Hintergrundwissen zu den vielen verschiedenen Immundefekten. Daher sollten Lymphozytentypisierungen bei Verdacht auf einen angeborenen Immundefekt wenn möglich an einem Zentrum durchgeführt werden, das in der Diagnostik und Therapie von Immundefekten erfahren ist oder gemeinsam mit einem Spezialisten interpretiert werden. Dies gilt vor allem für die SCID-Erkrankungen, für die seit August 2019 ein Neugeborenen-Screening zur Verfügung steht. Hierbei werden T-Zell-Rezeptor-Exzisionsringe (TRECs), ein „Abfallprodukt“ der V(D)J-Rekombination in der Guthriekarte quantifiziert. Die zeitnahe Bestätigungsuntersuchung der
Lymphozyten mittels Durchflusszytometrie in einem qualifizierten Zentrum muss bei positivem Screening so schnell wie möglich erfolgen.