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Praktische Schmerzmedizin
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Publiziert am: 14.12.2017

Somatische Schmerzdiagnostik

Verfasst von: Klaus Böhme, Christian Simanski und Volker Lindner
Die Erfassung der Schmerzerkrankung eines Patienten soll das bio-psycho-soziale Krankheitsverständnis mitberücksichtigen. Voraussetzung ist deshalb eine ausführliche somatische und psychosoziale Anamnese. Die somatische Anamnese umfasst die spezielle Schmerzanamnese, internistische, medikamentenbezogene, chirurgische und Familienanamnese.

Körperliche Untersuchung

Die Erfassung der Schmerzerkrankung eines Patienten soll das bio-psycho-soziale Krankheitsverständnis mitberücksichtigen. Voraussetzung ist deshalb eine ausführliche somatische und psychosoziale Anamnese . Die somatische Anamnese umfasst die spezielle Schmerzanamnese, internistische, medikamentenbezogene, chirurgische und Familienanamnese.
Bei der psychosozialen Anamnese werden die biografische Anamnese und die Wechselwirkung zwischen psychischem Befinden und körperlichen Störungen erfasst.
Danach erfolgt die erste körperliche Untersuchung. Sie umfasst Inspektion, Palpation und die Untersuchung, die orthopädische und neurologische Aspekte integriert.
Die Untersuchung des Patienten soll in entkleidetem Zustand unter Berücksichtigung der Intimsphäre und vollständig erfolgen. Es wird neben der Beurteilung des Gesamtbildes das Augenmerk vor allem auf solche Körperregionen gelegt, die sich durch die vorausgegangene Schmerzanamnese als besondere Schwerpunkte herausgestellt haben.
Ein Ziel ist es, unspezifische von spezifischen Schmerzen zu unterscheiden.
Die körperliche Untersuchung ist entsprechend Abb. 1 eingebettet in die Anamnese, die ggf. erforderliche interdisziplinäre Beurteilung und die monodisziplinäre oder multimodale Behandlung.

Inspektion

Der Patient wird von vorn, von hinten und in beiden seitlichen Ebenen inspiziert und besonders die rechte mit der linken Seite verglichen. Wir achten auf Bewegungsabläufe, Körperhaltung, Konturen, Haut, Benutzen von Hilfsmitteln, Schmerzverhalten und Stimmung. Beispielsweise zeigt ein Patient mit einem CRPS, der Inspektion zugänglich, schon die typischen somatischen Zeichen der Erkrankung (Abb. 2).

Palpation

Grundlagen der Palpation

Exakte anatomische Kenntnisse der Skelettpunkte, der Sehnenansätze und des Verlaufs der Muskulatur sind unabdingbare Grundlagen der Palpation.
Arten der Palpation sind:
  • Tastpalpation in entspannter Lage,
  • Bewegungspalpation,
  • Druck- und Stoßpalpation,
  • Kibler-Hautfalte (im gesunden Gewebe lässt sich eine Hautfalte abheben und nach cranial walzen, d. h. gute Verschiebbarkeit gegen tiefere Schichten).

Beurteilung

Die Beurteilung der Palpation kann subjektiv – aus der Sicht des Patienten – oder objektiv – aus der Sicht des Untersuchers – erfolgen (Dvorak und Dvorak 1983).
Palpiert werden Haut, Muskeln und Sehnen, Schleimbeutel, Knochen, Gelenke, Nerven und Gefäße. Der Druck, der durch den Daumen ausgeübt wird, soll immer gleich stark sein. Ein vergleichbares Maß kann sein, dass der Druck des Daumens so stark ist, dass die Kapillaren des Untersuchers im vorderen Drittel des Nagelbettes nicht mehr durchblutet werden.
Haut und Unterhaut
Unter Berücksichtigung des Seitenvergleichs werden beurteilt: die Beschaffenheit der Haut, die Temperatur, die Schweißabsonderung sowie die Konsistenz und Beschaffenheit der Subkutis. Wird Schmerz auf geringen Druck angegeben?
Die vegetative Reaktion des Patienten kann über die pilomotorische Reaktion oder den Dermografismus beobachtet werden.
Muskeln und Sehnen
Die Palpation muss präzise an den angegebenen Stellen des Skeletts erfolgen. Der Druck der Palpation muss so groß sein, dass an diesen Stellen die harte Resistenz des Knochens wahrgenommen wird. Die Sehnenansätze müssen lotrecht zum Knochen getroffen werden. Die Myotendinosen werden in der Mitte des Muskels quer zum Faserverlauf, gleichsam pflügend durch die Gewebeschichten, ertastet und dann in beide Richtungen bis zum Sehnenansatz verfolgt (Dvorak und Dvorak 1983). Anzumerken ist, dass eine Myotendinose auch ohne Schmerzsymptomatik vorkommen kann; sie deutet aber schon auf eine Fehlfunktion hin.
Nicht nur bei entsprechender Schmerzangabe wird nach aktiven Triggerpunkten (TRP) wie auch nach latenten Veränderungen gesucht. In das verspannte Muskelfaserbündel eingelagert können sich Triggerpunkte finden: zum einen in den Sehnenansätzen, zum anderen im Bereich der muskulären Endplatte in der Mitte des zu palpierenden Faserbündels im Bereich der motorischen Endplatte. Um sie zu palpieren, werden die Muskeln quer zur verspannten Muskelfaser, die sich „wie ein Seil durch den Muskel erstreckt“, untersucht. Dieses verspannte Muskelfaserbündel unterscheidet sich deutlich von der Druckschmerzhaftigkeit der Fibromyalgie (Simons und Mense 2003). Bei Druck auf den TRP kommt es zum Schmerz im zugehörigen, entfernt vom Punkt liegenden Schmerzareal. Zwar wird in der Mehrzahl der Fälle ein proximaler TRP seine Übertragungszone distal besitzen, aber es ist durchaus möglich, dass ein Triggerpunkt distal im M. soleus liegt und der Schmerz nach proximal, in diesem Fall in das Iliosakralgelenk, projiziert wird („referred pain“) (Mense 2003; Simons und Mense 2003; Travell 1976; Travell und Rinzler 1952).
Darüber hinaus sind die Tenderpoints zu untersuchen, die bei der Fibromyalgiediagnostik eine Rolle spielen. Definitionsgemäß müssen die in den Kriterien des American College of Rheumatology (ACR) genannten 18 Punkte überprüft werden. Die Tenderpoints sind von den Triggerpunkten abzugrenzen. Während bei Triggerpunkten objektiv durch den Untersucher Verhärtungen im Muskel und das angespannte Muskelfaserbündel palpiert werden können, wird ein Tenderpoint dann als positiv gewertet, wenn der Patient den definierten Druck von etwa 4 Kp/cm2, über 1 s gehalten, als schmerzhaft empfindet. Es handelt sich um eine subjektive Bewertung durch den Patienten (Conrad 2003). Eine sich durch den Muskel ziehende muskuläre Verhärtung findet sich nicht.
Palpation der Sehnen und Gleitlager sowie der Schleimbeutel
Insbesondere bei Entzündungen kommt es zu starken Schmerzen.
Knochen
Druck-, vor allem aber Klopfschmerz wird bei Frakturen, z. B. Osteoporose, Entzündungen, Bandscheibenvorfällen und malignen Prozessen auszulösen sein.
Gelenke
Zu achten ist auf Konsistenz der Gelenkkapsel, Schwellungen, Druckschmerz und Breite der Gelenkspalte, Reiben und Knacken bei aktiver oder passiver Bewegung des Gelenkes.
Gefäße
Erfassung der peripheren Pulse an den Extremitäten, auch im Seitenvergleich. Erkennen einer pAVK.
Nerven
Bei Engpasssyndromen finden sich isolierte Klopf- und Druckschmerzen, z. B. ein positives Hoffmann-Tinel-Zeichen.

Palpationspunkte

Wirbelsäule
Dornfortsätze, Querfortsätze, paravertebrale Muskulatur, Stauchung durch axiale Belastung.
Schultergürtel
Sternoklavikulargelenk, Klavikula, Akromion, Processus coracoideus, Spina scapula, Sulcus intertubercularis, Tuberculum minus und majus, Fornix humeri, 1. Rippe.
Ellbogengelenk
Radiusköpfchen, Gelenkkapsel beiderseits des Olekranons und des Sulcus N. ulnaris.
Hand
Processus styloideus ulnae und radii, Tabatière, Karpalkanal, Handwurzelknochen und Fingergelenke.
Beckengürtel
Spina iliaca anterior superior und posterior superior, Crista iliaca, Crista sacralis media und Tuber ossis ischii.
Hüftgelenk
Trochanter major. Palpation des Gelenkes von vorn, seitlich und kaudal.
Kniegelenk
Condylus medialis et lateralis femoris, oberer und unterer Pol der Patella, lateraler und medialer Kniegelenkspalt, Tuberositas tibiae, Caput fibulae, Pes anserinus.
Fuß
Malleolus medialis und lateralis, Kalkaneus, Fußwurzelknochen und Zehengrundgelenke, Mittelfußköpfchen.

Funktionelle Untersuchung der Gelenke

Die Beweglichkeit der Gelenke wird nach der Neutral-Null-Methode untersucht. Schmerzhafte Bewegungen – aktiv oder passiv – und Art des Anschlags werden erfasst.

Neurologische Untersuchung

Muskulatur und Motorik
Geprüft werden Tonus, Turgor und Kraft der Muskulatur. Dabei werden der Kraft entsprechend der Einteilung von Daniels et al. (1974) die Grade 0–5 zugeordnet. Der orthopädisch-neurologische Untersuchungsgang ist sehr gut bei Hoppenfeld (1980) dargestellt.
Sensibilität
Geprüft wird seitenvergleichend und von kranial nach kaudal:
  • Berührung: mit Wattebausch, v.-Frey-Haar, Pinsel, ausgezogenem Tupfer
  • Schmerzreiz: Nadelspitze (mehrfach aufgesetzt), zerbrochener Holzmundspatel
  • Lagesinn: Bewegungsempfindung an den Gelenken
  • Temperatur: Metall- oder Plastikzylinder oder Reagenzglas mit kaltem oder warmem Wasser temperiert
  • Vibration: Stimmgabel
Nervendehnungsschmerz
Im Bereich des Plexus brachialis führt eine Rotation des Kopfes zur gesunden Seite zur Schmerzprovokation (Abb. 3). Die Flexion des gestreckten Beines in der Hüfte führt im positiven Fall zur Schmerzausstrahlung in den N. ischiadicus (Lasègue-Zeichen, Abschn. 2.3; Abb. 13a) mit Verstärkung durch Ventralflexion des Fußes (Bragard-Zeichen, Abschn. 2.3; Abb. 6).
Reflexprüfung
Geprüft werden muss das Vorhandensein, das Fehlen oder die Seitendifferenz eines Reflexes. Ferner wird eine abnorme Stärke – gesteigerte Reflexe mit Verbreiterung der Reflexzone – oder ein Klonus untersucht.
  • Muskeleigenreflexe an der oberen Extremität:
    • Bizepssehnenreflex,
    • Brachioradialreflex,
    • Trizepssehnenreflex.
  • Muskeleigenreflexe an der unteren Extremität:
    • Quadrizepssehnenreflex,
    • Achillessehnenreflex.
  • Fremdreflexe, Haut-Muskel-Reflexe:
    • Bauchdeckenreflex, oben,
    • Bauchdeckenreflex, unten,
    • Babinski-Reflex.
Koordination, Allgemeines
Zu nennen sind hier:
  • Finger-Nase-Versuch,
  • Knie-Hacke-Versuch,
  • Abweichung nach einer Seite beim Gehen,
  • Hypermetrie,
  • Adiadochokinese,
  • Romberg-Versuch.
Der Gesamtablauf der Untersuchung ist in Abb. 4 dargestellt. Ergeben sich bei der Untersuchung auffällige Befunde, sollte der Patient einer fachspezifischen Untersuchung und ggf. einer technischen Diagnostik zugeführt werden (Abb. 5).

Orthopädische Untersuchung

Die orthopädische Untersuchung beinhaltet nicht nur die Einzelbetrachtung von Stütz- und Bewegungsapparat, sondern auch die Beurteilung der funktionellen Zusammengehörigkeit beider. Daher muss die orthopädische Untersuchung immer am nahezu unbekleideten Patienten erfolgen. Bei der Patientenentkleidung erfährt der Untersucher etwas über pathologische Befunde schon allein durch die klinische Beobachtung: Beispielsweise können die verzögerte Entkleidung einer Extremität, die Zuhilfenahme der gesunden Gliedmaße bei der Entkleidung der Erkrankten, sichtbare Narben und Hautveränderungen, das Vorhandensein von Orthesen, Einlagen, orthopädischen Maßschuhen und die einseitige Abnutzung von Bekleidung zusätzliche Informationen über die zu erwartende Pathologie geben.

Inspektion

Durch die allgemeine Inspektion werden verschiedene Abweichungen von Körperform und Bewegungsfunktion jeweils immer im Seitenvergleich untersucht. Dabei werden individuelle Haltungs- oder Schonhaltungsmuster sowohl in Ruhe als auch in Bewegung bewertet. Dies kann Aufschluss über die vorliegende Schmerzsymptomatik geben. Es ist wichtig, bei der klinischen Inspektion systematisch vorzugehen und unten stehende Punkte zu beachten.
Bei der klinischen Inspektion zu beachten:
1.
Kopfhaltung
 
2.
Schulterstand
 
3.
Form der Wirbelsäule:
  • Wirbelsäulenlot
  • Halslordose
  • Brustkyphose
  • Lendenlordose
  • Relief der Bauchmuskulatur
 
4.
Becken/Hüftgelenke:
  • Beckenstand
  • Beckenkippung
  • Hüftstreckung
 
5.
Fuß-/Beinachsen:
  • Varus/Valgus Beinachse
  • Verkürzung der Beinlänge
  • Kniestreckung (Rekurvation/Antekurvation)
  • Sprunggelenke
  • Rückfußstellung
  • Fußgewölbe
  • Zehendeformitäten
 
6.
Dynamisches Gangbild
 
Weitere Faktoren sind zu untersuchen, beispielsweise:
  • Schonhaltung (einer Extremität, Hilfsstellungen etc. …),
  • Asymmetrie (Muskelminderung, Skelettdeformitäten, Mimik etc. …),
  • Deformitäten (Skoliosen, Rippenbuckel, Kyphosen, Gelenkachsen, Erguss etc. …),
  • Hautveränderungen (Narben, Tumore, Effloreszenzen, Keratosen, Clavi, Verfärbung, Trophik, Turgor, Durchblutung etc. …),
  • Kontrakturen.

Palpation

Palpiert wird in Ruhe und in Bewegung. Dabei werden Resistenzen, Schwellungen und Druckschmerzpunkte, aber auch physiologische Knochenhöcker, Gelenkspalten und Pulse getastet sowie Gelenkanschlagspunkte und -qualitäten (weicher, harter Anschlag …) beurteilt.

Allgemeine Strukturen

Palpiert werden müssen:
  • Gefäße: Aufsuchen der Pulspalpationspunkte zur Erhebung des Gefäßstatus
  • Muskulatur: Hyper-, Normo- oder Hypotonus im Seitenvergleich unter Erschlaffung und unter maximaler Anspannung (Beispiel: Spastik, Kontraktur, Parese …)
  • Sehnenansätze: „Schnappen“ der Sehne in der Sehnenscheide/Ringband, Krepitieren oder Druckschmerzhaftigkeit am Sehnenansatz, knotige Veränderungen (Beispiel: „schnellender“ Finger, Achillodynie …), Einklemmungserscheinungen (Beispiel: Schulterimpingement)
  • Periost: Lokalisierter oder generalisierter Druckschmerz (Beispiel: Osteitis, Tumor, Knochenprellung, -fraktur …)
  • Knochen: Abnorme Beweglichkeit oder Krepitieren (Beispiel: Frakturen und Pseudoarthrosen …)
  • Gelenk: Krepitieren, Blockade, „Schnappen“ (Beispiel: Arthrose, freie Gelenkkörper, Patelladysplasie …)
  • Druckschmerzhaftigkeit: Flächenhafte oder punktförmige Druckdolenz
  • Nervenstatus: Abschn. 3

Spezielle Strukturen

Darüber hinaus gibt es eine Reihe spezieller Strukturen, die palpiert werden müssen. In Klammern sind mögliche pathologische/schmerzhafte Befunde angegeben.
Wirbelsäule
Ertasten der Dornfortsätze aller Wirbel in kraniokaudaler Richtung. Regionale Landmarken für die Zuordnung zu folgenden Strukturen:
  • C7 (Vertebra prominens): Dieser Dornfortsatz zeigt eine „hervortretende“ Position am Übergang der Halslordose zur Brustkyphose.
  • Th3: Dornfortsatz, der auf der Verbindungslinie der beiden Schulterblattgräten (Spinae scapulae) liegt.
  • Th7: Dornfortsatz, der bei angelegten Armen auf der Verbindungslinie der unteren Schulterblattwinkel liegt.
  • L4: Dornfortsatz befindet sich in der Verbindungslinie zwischen den höchsten Punkten beider Beckenschaufeln.
  • S2: Diesen Dornfortsatz findet man auf Höhe der Spinae iliacae posteriores superiores. Diese hinteren oberen Darmbeinstachel sind bei vielen Menschen auch als die seitlichen Eckpunkte der Lenden- bzw. Michaelis-Raute sichtbar, da dort die Haut zu kleinen Grübchen einsinkt.
Beckenregion und untere Extremität
Beckenregion
  • Spina iliaca anterior superior (z. B. Ansatz von M. tensor fasciae latae, Tractus ileotibialis …)
  • Beckenkamm (z. B. postoperativ nach autologer Spongiosaentnahme …)
  • Spina iliaca posterior superior (z. B. postoperativ nach autologer Spongiosaentnahme dorsal …)
  • Ileosakralfugen (ISG-Blockaden, Sakroileitis …)
  • Tuber ossis ischii (z. B. tendinöser Ansatz der „Hamstringsehnen“, Frakturen …)
  • Symphyse (z. B. chronische Instabilität nach Geburtsvorgang …)
  • Steißbein (z. B. Fraktur …)
Untere Extremität
  • Trochanter Major (z. B. Bursitis trochanterica, Coxarthrose …)
  • Medialer und lateraler Femurkondylus (z. B. Gonarthrose, Arthrose im Femoro-patellaren Gleitlager)
  • Patella (z. B. Arthrose im femoropatellaren Gleitlager, Z. n. Patellaluxation mit Knorpelkontusion/abgeschertem osteochondralem Fragment, Patellaspitzensyndrom, -instabilität …)
  • Medialer und lateraler Kniegelenkspalt (z. B. Meniskusschaden …)
  • Tuberositas tibiae (z. B. M. Osgood Schlatter …)
  • Fibulaköpfchen (z. B. chronische Instabiltät im proximalen Tibiofibulargelenk, hohe Fibulafraktur bei Maisonneuve-Verletzung im oberen Sprunggelenk …)
  • Vordere und hintere Syndesmosenregion am oberen Sprunggelenk (z. B. Verletzung der vorderen und/oder hinteren Syndesmosenbänder …)
  • Außen- und Innenknöchel (z. B. Frakturen, Rupturen der Sprunggelenksbänder …)
  • Fersenbein-Würfelbein Bandhaft (z. B. Zerreißen der straffen Bandverbindung bei Supinationstraumen …)
  • Basis des 5. Metatarsale (z. B. Abrissfraktur bei Supinationstrauma, Jones-Fraktur …)
  • Calcaneus (z. B. Frakturen, Haglund-Exostose, Fasziitis plantaris …)
  • Fußwurzelknochen (z. B. postttraumatische Chopart-, Lisfranc-Instabilität, Arthrosen …)
  • Metatarsale-Köpfchen (z. B. Morton Neurom, Transfermetatarsalgie…)
  • Zehengelenke (z. B. Metatarsalgie, Hallux valgus/rigidus …)
Schulterregion und obere Extemität
Schulterregion
  • Sternoklavikulargelenk (z. B. Instabiltät …)
  • Clavicula (z. B. Fraktur …)
  • Processus coracoideus (z. B. Acromioclaviculargelenk-[AC-]Bandverletzung, Fraktur …)
  • AC-Gelenk (z. B. akute oder chronische Instabilität …)
  • Subakromialraum (z. B. chronische Bursitis subacromialis, Impingement …)
  • Tuberculum majus (z. B. Fraktur, Supraspinatussehnenpathologie …)
  • Tuberculum minus (z. B. Fraktur, Infraspinatussehnenpathologie …)
  • Sulcus intertubercularis (z. B. Bizepssehnenpathologie …)
  • Scapula (z. B. Frakturen …)
Obere Extremität
  • Epicondylus humeri radialis und ulnaris (z. B. Frakturen, Tennis-/Golferellenbogen …)
  • Sulcus N. ulnaris (z. B. posttraumatische, postoperative Irritation des Nerven im Kanal …)
  • Olecranon (z. B. chronische Bursitis, Fraktur …)
  • Proximales und distales Radio-Ulnar-Gelenk (z. B. chronische Instabilität, posttraumatisch …)
  • Processus styloideus radii et ulnae (z. B. posttraumatische Griffelfortsatz- und Bandansatzverletzungen …)
  • Tabatière (z. B. Scaphoidfraktur …)
  • Handwurzelknochen (z. B. Arthrose, chronische Instabilität posttraumatisch …)
  • Fingergelenke (z. B. Herberden-, Bouchard-Arthroselokalisation …)

Funktionsüberprüfung des Bewegungsapparates

Allgemeines Bewegungsmuster

Bei der allgemeinen funktionellen Untersuchung des Bewegungsapparates werden Aspekte wie Rotation der Beine, Gangbild (harmonisch, flüssig, humpelnd etc.), Abrollverhalten des Fußes (Steppergang, Zirkumduktion des Beines und Fußes), Gelenkkontrakturen und einseitige Gelenkbelastung sowie das gleichmäßige Schwingen von oberen Extremitäten (Schultergelenke), Rumpf und unteren Extremitäten (Beinen) berücksichtigt.

Bewegungsumfang

Neben dem allgemeinen Bewegungsmuster wird auch der aktive und passive Bewegungsumfang aller Gelenke oder des betreffenden Gelenkes beschrieben.
Der aktive und passive Bewegungsumfang wird durch die Neutral-Null-Methode quantifiziert!
Bei dieser Methode geht man von einem aufrechtstehenden Menschen mit angelegten Armen aus; die Daumen zeigen nach ventral und die Füße sind geschlossen. Eine Person in dieser Haltung befindet sich in der Neutral-Null-Stellung. Jede Bewegung aus den verschiedenen Ausgangsstellungen wird dann in Winkelgraden gemessen.

Bewegungsebene

Darüber hinaus werden 4 Ebenen beschrieben. Die Medianebene ist eine Symmetrieebene, die den Körper in zwei spiegelbildlich gleiche Hälften teilt. Außerdem gibt es 3 Bewegungsebenen: die Frontalebene (Abduktion/Adduktion, Abspreizen/Anspreizen), die Sagittalebene (Flexion/Extension, Ante-/Retroversion) und die Transversalebene (Innen-/Außenrotation). Wichtig ist es auch, diese Messungen im klinischen Verlauf zu beurteilen, um Verschlechterungen oder Verbesserungen detektieren zu können.
Weiterhin kann Traktion eines Gelenkes durch die Abnahme des intraartikulären Druckes zu einer Schmerzlinderung und Kompression/Stauchung durch Zunahme des intraartikulären Druckes zu einer Schmerzzunahme führen (beispielsweise die schmerzhafte Kompression und Stauchung des in 90 Grad Flexion gebeugten Hüftgelenkes bei vorliegender Coxarthrose).

Gelenkspiel

Darüber hinaus ist auch die Qualität des Gelenkanschlages bei der passiven Bewegungsprüfung zu beurteilen. Hier unterschiedet man
  • hart-elastischen/knöchernen Anschlag (z. B. vorderer Schubladentest bei der Prüfung auf Festigkeit des vorderen Kreuzbandes im Kniegelenk),
  • weich-elastischen/muskulären Anschlag (z. B. bei der Beugung im Ellenbogengelenk) und
  • fest-elastischen/ligamentären Anschlag (z. B. bei der vorderen Schubladentestung des oberen Sprunggelenkes).
Bei Patienten mit „hyperlaxer“ Gelenkführung ist das Gelenkspiel deutlich lockerer als bei Patienten mit normaler Gelenkführung; dies muss aber nicht pathologisch sein, sofern Seitengleichheit besteht.
Beispielsweise ist der Anschlag nach einer länger zurückliegenden Ruptur des vorderen Kreuzbandes im Kniegelenk bei der vorderen Schubladentestung weich und in der Regel schmerzfrei, bei der akuten Kreuzbandruptur mit vorliegendem Kniegelenkserguss fest-elastisch und schmerzhaft. Dementsprechend kann sich auch die Qualität des Gelenkanschlages je nach vorliegender Pathologie an einem Gelenk verändern.

Muskelkraft

Mit der Muskeltestung gegen Widerstand werden Muskelkraft (isometrische Kontraktion) und die Beschaffenheit der Sehnenansätze spezifischer Muskeln getestet. Durch Muskelminderung nach Kniebinnenschaden etwa werden auch Minderungen des Kraftgrades bei der Kniestreckung resultieren (Atrophie des m. vastus medialis), darüber hinaus kann eine chronische Muskelverkürzung bei Provokationstest zu schmerzhaften Kontraktionen führen (z. B. bei Achillodynie).
Die Muskelkraft wird in einer Skala von 0–5 Kraftgraden eingeteilt.
Kraftgrade
0: Keine Muskelaktion
1: Sicht- oder spürbare Muskelaktion, jedoch ohne Wirkung
2: Geringe Kraft; Bewegung bei Aufhebung der Schwerkraft (z. B. bei Lagerung auf einer Untersuchungsliege)
3: Bewegung gegen die Schwerkraft
4: Kraft gegen Widerstand
5: Volle Muskelkraft

Gelenkachsen

Eine Achsenabweichung in der Frontalebene bezeichnet man als Valgus- oder Varusstellung, in der Sagittalebene als Re- oder Antekurvation. Die Bezeichnungen gelten sowohl für die obere als auch für die untere Extremität.

Nervendehnungstests

Die Nervenwurzeln ziehen durch die engen Foramina intervertebralia der Wirbelkörper und sind dabei von den Hirnhäuten umschlossen. Dies bietet ihnen Schutz vor störenden Einflüssen von außen, macht sie jedoch empfindlich für jegliche Art von raumfordernden Prozessen im Spinalkanal oder in den Foramina selbst (z. B. Facettengelenksarthrose, Tumoren, Bandscheibenvorfälle).
Bei klinischem Verdacht einer Wurzelirritation im LWS-Bereich kann man mit den sogenannten Lasègue- und Bragard-Zeichen provozierenden Zug auf den Nerv und damit i. d. R. einschießenden (neuropathischen) Schmerz ausüben.
Lasègue-Zeichen
Der Patient liegt mit seitlich angelagerten Armen auf dem Rücken (Abb. 13a; Abschn. 3.3). Der Untersucher beugt jeweils ein Bein im Hüftgelenk, während das Kniegelenk gestreckt ist. Ein positiver pathologischer Test liegt vor, wenn bei einer Beugung <70° zur Unterlage provozierende Schmerzen auslösbar sind. Bei einer Beugung >70° sind auch bei Gesunden Schmerzen auslösbar, da bei den meisten untrainierten Patienten eine Verkürzung der ischiokruralen Muskulatur vorliegt.
Bragard-Zeichen
Da die zu untersuchenden Nerven nicht nur dorsalseitig an den unteren Extremitäten verlaufen, sondern auch plantarseits entlangziehen, kann durch eine zusätzliche Dorsalextension des Fußes im Anschluss an die Lasègue-Untersuchung der Zug auf die Nerven verstärkt werden (Abb. 6).

Becken-/Hüftgelenktest

Untersuchung der Iliosakralgelenke (ISG)
Zur klinischen Untersuchung der Iliosakralgelenke werden die Menell-Tests angewendet. Schmerzhafte Bewegungseinschränkungen werden z. B. durch Entzündungen verursacht (Sakroileitis) und können durch provozierende Scherbewegung im Iliosakralgelenk ausgelöst werden.
1. Mennell-Zeichen
Für diese Untersuchung befindet sich der Patient in Bauchlage. Mit einer Untersucherhand wird das Becken manuell fixiert (dadurch entsteht axialer Druck auf das Os sacrum), mit der anderen Untersucherhand wird das gestreckte Bein vorsichtig von der Untersuchungsliege abgehoben. Dadurch entsteht eine Scherbewegung im Iliosakralgelenk der untersuchten Seite, die im Falle einer Entzündung (Sakroileitis) oder muskulären Blockade (ISG-Blockade) zu stechenden Schmerzen führt.
2. Mennell-Zeichen
Der Patient ist in Rückenlage, das nicht zu untersuchende Bein wird an die Brust herangezogen und mit den Armen fixiert (Abb. 7). Dadurch kommt es zu einer Dorsalkippung des Beckens und einer Lendenlordosenabflachung und somit zu einer Beckenfixierung. Anschließend wird eine Scherbewegung durch Hängenlassen des Beines der zu untersuchenden Seite ausgelöst, bei der das Bein über die Kante der Untersuchungsliege zu liegen kommt. Durch senkrechten Druck auf das Bein wird eine Scherbewegung auf das gleichseitige Iliosakralgelenk ausgelöst: Bei Vorliegen einer Pathologie entsteht ein Schmerz.
Hüftgelenktests
Thomas-Handgriff
Bei einigen Patienten kann das Bein nur dann in die Neutral-Null-Stellung gebracht werden, wenn das Becken kompensatorisch nach ventral gekippt wird. Ursache dafür ist eine Verkürzung (Kontraktur) der Beugemuskulatur des Hüftgelenkes (z. B. bei Coxarthrose). Die Kippung des Beckens führt dann zu einer verstärkten Lendenlordose, um die Kontraktur zu kompensieren. Beim aufrechtstehenden oder liegenden Patienten kann es schwierig sein, zwischen einer primären oder einer dadurch bedingten kompensatorischen Hyperlordose der LWS zu differenzieren (Abb. 8a). Dazu wird der Thomas-Handgriff benutzt: Der Patient ist in Rückenlage, auf einer Untersuchungsliege wird ein Hüftgelenk flektiert und das Knie an die Brust herangezogen. Dadurch wird das Becken wieder nach dorsal gekippt. Bei Vorliegen einer Beugekontraktur des anderen Beines wird dieses durch den Zug der verkürzten Muskeln von der Unterlage abgehoben (Abb. 8b).
Trendelenburg-Zeichen
Diese Untersuchung dient zur Testung der pelvitrochanteren Muskulatur. Bei Insuffizienz dieser (Mm. glutaeus medius et minimus) sinkt die Hüfte beim 1-Beinstand auf die kontralaterale (gesunde) Seite ab. Ist die Muskulatur auf der linken Körperseite betroffen (z. B. nach Hüft-TEP-Rezidiveingriffen), so sinkt das Becken auf die rechte Seite, wenn das rechte Bein angehoben wird (Abb. 9). Beim Gehen kommt es dann bei einseitiger Pathologie zum Trendelenburg-Hinken, bei einem beidseitigen Befall zum Watschelgang (Entengang).
Axialer Hüftgelenks-Stauchungsschmerz
Der Patient befindet sich in Rückenlage. Das zu untersuchende Bein wird im Knie- und Hüftgelenk gebeugt. Dabei umfasst der Untersucher mit beiden Händen den distalen Oberschenkel und staucht ihn in axialer Richtung (Abb. 10). Schmerzen mit Projektion in die Leiste weisen auf eine Hüftgelenkspathologie hin (z. B. Coxarthrose), bei Hüft-TEP-Prothesenträgern auf eine Implantatlockerung. Bei Schmerzprojektion in den LWS-Bereich ergeben sich Hinweise auf Bandscheibenpathologien oder degenerative Wirbelveränderungen.

Neurologische Untersuchung

Eine orientierende neurologische Untersuchung sollte bei sämtlichen Patienten mit einer chronischen Schmerzerkrankung erfolgen, auch wenn kein primär neuropathisch anmutendes Beschwerdespektrum vorliegt. Grund dafür ist, dass auch andersartige Schmerzformen durch neurologische Primärerkrankungen eine Negativbeeinflussung oder Triggerung erfahren können. Als Beispiel sind hartnäckige Zervikobrachialgien muskuloskelettärer Prägung zu nennen, wie sie durch den Rigor eines fokal begonnenen Morbus Parkinson initiiert werden können.

Allgemeine Grundsätze

Vor der Durchführung einer neurologischen Untersuchung am schmerzkranken Patienten sollte man sich kurz folgende allgemeingültige Grundsätze in Erinnerung rufen:
1.
Der körperliche Untersuchungsgang vermag keinen Befund zu offenbaren, der als direktes Maß für die Intensität bzw. die Beschwerdecharakteristik eines Schmerzsyndroms heranzuziehen ist. Die festgestellten Auffälligkeiten sind ausschließlich dazu geeignet, die der Schmerzausprägung ganz oder teilweise zugrunde liegenden Nerven- und Muskelschäden in ihrem Ausmaß zu beschreiben. Hierbei zeigt die praktische Erfahrung einer neurologischen Schmerzpraxis immer wieder, dass die Intensität des bestehenden Schmerzsyndroms keine positive Korrelation zeigt zu Schwere und Ausmaß des vorliegenden neurologischen Schädigungsmusters. Oftmals entsteht sogar der Eindruck, dass eine langfristige Aktivierung der schmerzwahrnehmenden Verarbeitungssysteme das Vorhandensein relativ intakter neuronaler Leitungs- und Funktionsstrukturen voraussetzt.
 
Entsprechend ist eine sehr sorgfältige Durchführung der neurologischen Untersuchung auch zum Aufspüren diskreter sensomotorischer Defizite notwendig (u. a. auch zur angemessenen Beurteilung gutachterlicher Fragestellungen).
2.
Nahezu sämtliche Abläufe des neurologischen Untersuchungsgangs erfordern ein relativ hohes Maß an Auffassungs- und Einschätzungsvermögen sowie an Fähigkeit zur realitätsgerechten Handlungskonturierung bei den betroffenen Patienten. Als Beispiele sind hier die Aufforderungen zur Beurteilung des Wahrnehmungsgehaltes unterschiedlicher taktiler Stimuli oder zur differenzierten motorischen Bewegungsaktivierung im Rahmen von Kraft- und Koordinationsprüfungen zu nennen. Dieser Sachverhalt stellt für die Neurologie im Vergleich zu anderen Fachgebieten eine relative Besonderheit dar. So wird auch die traditionelle Nähe zur Psychiatrie/Psychologie – u. a. im Hinblick auf die Beurteilung dissoziativer Zustandsbilder oder somatoformer Störungen des Wahrnehmungs- und Erlebnisspektrums – verständlich.
 
3.
Die Beurteilung neurologischer Befundauffälligkeiten beinhaltet die Notwendigkeit, speziell in morphologisch-topischer Hinsicht sehr großräumige Zuordnungen zu berücksichtigen. So kann z. B. der positive Ausfall des am Fuß auszulösenden Babinski-Zeichens Ausdruck einer Läsion der Pyramidenbahn im Bereich der kontralateralen Gehirnhälfte etwa als Folge eines Hirntumors sein oder ein neuropathisches Schmerzsyndrom der Handregion könnte durch einen (evtl. auch sehr kleinen) Hirninfarkt verursacht werden.
 
4.
Die einzeln erhobenen Untersuchungsbefunde gewinnen ihre Aussagekraft in der Regel erst in einer konklusiven Zusammenschau sämtlicher Befunde. So ist z. B. ein sehr niedriges Reflexniveau bei einem psychovegetativ recht angespannt wirkenden Patienten ohne weitere Untersuchungsauffälligkeiten pathognomonisch als nicht relevant einzuschätzen, stellt aber evtl. eine wichtige Auffälligkeit im Gefolge einer Polyneuropathie dar.
 

Untersuchungsablauf

Es gibt keine durch Übereinkunft oder durch Sachzwänge entstandene Verbindlichkeit zum Ablauf des Untersuchungsvorgangs. Es hat sich aber in den unterschiedlichen Darstellungen zur Erhebung des neurologischen Status die hier eingehaltene Reihenfolge eingebürgert.
Entsprechend ist eine sehr sorgfältige Durchführung der neurologischen Untersuchung auch zum Aufspüren diskreter sensomotorischer Defizite notwendig (u. a. auch zur angemessenen Beurteilung gutachterlicher Fragestellungen).

Überprüfung der Hirnnerven

Hierbei ist aus praktischen Gründen ein funktionsorientiertes Vorgehen notwendig. So sollte z. B. die Testung der Sehleistung, Pupillomotorik und Okulomotorik für die Hirnnerven I, III, IV und VI zusammengefasst erfolgen und gleichzeitig auf die Möglichkeit supranukleärer Störungen (etwa im Sinne einer vertikalen Blickparese) geachtet werden. Auch die Funktionstestung der Gesichtsmuskulatur sollte simultan die motorischen Funktionen der Hirnnerven V und VII erfassen.
Die Prüfung meningealer Reizerscheinungen (sog. Meningismus) als Indiz für eine Hirnhautentzündung oder eine Subarachnoidalblutung und die palpatorische Exploration der A. temporalis als möglicher Hinweis auf eine Arteriitis temporalis im Rahmen akut oder subakut aufgetretener Zephalgien sollte aufgrund praktischer Erwägungen im Verlauf dieses Untersuchungsgangs erfolgen.

Erhebung des Reflexstatus

Hierfür ist eine bequeme Lagerung des Patienten (auf dem Rücken) von besonderer Bedeutung, da bei diesem Untersuchungsschritt eine möglichst weitgehende Muskelentspannung anzustreben ist. Entsprechend sollte auf eine genügende Auflagefläche für die Arme neben dem Körper in einer leicht angewinkelten Position geachtet werden. Eine Überstreckung der Halswirbelsäule aufgrund des Fehlens einer Kissenunterlage bzw. einer Verstellmöglichkeit des Kopfteils ist ebenfalls kontraproduktiv.

Prüfung des Muskeltonus, der Muskeltrophik und der Kraftentwicklung

Bei einer Inspektion des Muskelreliefs sollte u. a. berücksichtigt werden, dass die Verschmächtigung von Muskelgruppen aufgrund einer Adipositas in ihrem Ausmaß leicht unterschätzt wird und dass eine umschriebene Atrophie auch im Bereich der Rumpfmuskulatur entstehen kann.
Die Prüfung des Muskeltonus hat die Möglichkeit einer schmerzbedingten Tonuserhöhung z. B. im Sinne einer instinktiven Schutzreaktion zu berücksichtigen. Ebenso kann es zu einer reflektorischen Innervationshemmung als Folge starker Schmerzzustände kommen, deren Vorhandensein nicht als Parese fehlgedeutet werden darf.
Verdeutlichungstendenzen erlebter Defizite werden erkennbar durch eine Diskrepanz zwischen der motorischen Funktionsstörung bei zielgerichteter Überprüfung einerseits und einer relativen Intaktheit der entsprechenden Innervationsmuster im Rahmen zweckorientierter Handlungsabläufe andererseits, z. B. Demonstration einer Fußheberplegie in der unmittelbaren Testsituation bei erhaltener Fähigkeit zum Abrollen des Fußes beim Gehen. Sie erschweren die Beurteilung der (evtl.) zugrunde liegenden, durch direkte neuronale Schäden entstandenen Innervationsstörung erheblich, dürfen aber auf keinen Fall zu dem Umkehrschluss führen, dass eine funktionelle Innervationsstörung ein primäres organisches Schädigungskorrelat bereits „automatisch“ ausschließt.
Die üblicherweise in Rückenlage erfolgende Untersuchung des Patienten birgt die Gefahr, dorsal gelegene Auffälligkeiten zu übersehen (z. B. Manifestation einer Scapula alata, Atrophie der Glutealmuskulatur).
Bei muskuloskelettären Schmerzbildern wird immer wieder ein beginnender M. Parkinson übersehen, der z. B. mit dem fokalen Beginn seiner akinetisch-rigiden Symptomatik im Bereich eines Armes mit der Präsentierbeschwerde eines Schulter-Arm-Syndroms verknüpft sein kann.

Überprüfung der Sensibilitätsfunktion

Dieser Untersuchungsschritt offenbart bei vielen Patienten eine nur gering ausgeprägte Fähigkeit zur differenzierten und nuancierten Selbstwahrnehmung. So besteht häufig die Tendenz, das durch chronische Schmerzen betroffene Körperareal auch mit Sensibilitätsstörungen zu assoziieren, obwohl tatsächliche Defizite sensibler Wahrnehmungsfunktionen nicht vorhanden sind. In jedem Fall sollten die verschiedenen sensorischen Qualitäten gezielt getestet werden, da dissoziierte Empfindungsstörungen (s. unten) durchaus wegweisend für bestimmte Krankheitsprozesse sein können. Hier sei beispielhaft die häufig mit schweren neuropathischen Schmerzzuständen vergesellschaftete Syringomyelie genannt.
Die Testung der Nervendehnungszeichen bzw. der Ausschluss einer erhöhten mechanischen Vulnerabilität der Nervenhauptstämme bietet sich in diesem Untersuchungsabschnitt an.

Evaluation der Koordination

Die koordinativen Funktionsabläufe stellen den Übergang dar – ausgehend von den einzelnen Möglichkeiten der motorischen Impulsgebung hin zu ihrer sinn- und zweckhaften Einbindung in komplexe aufgabenbezogene und zielgerichtete Handlungsmuster. Somit stellen sie relativ hohe Anforderungen sowohl an die planerischen Möglichkeiten als auch die Antriebssteuerung der Patienten, und das Ergebnis wird stark beeinflusst durch ihre kognitive Selbsteinschätzung, motivationale Ausgangssituation und neuropsychologische Funktionsintaktheit. Hierbei darf auch eine „unkritische“ Unterbewertung von Defiziten, z. B. im Rahmen einer Neglektproblematik nach Schlaganfällen oder eines Stirnhirnsyndroms nach Schädel-Hirn-Trauma, nicht übersehen werden. Umgekehrt können primär außergewöhnlich befähigte oder hochtrainierte Menschen (z. B. Jongleure, Drahtseilartisten etc.) bereits initiale Störungen ihrer Koordination zu einem Zeitpunkt wahrnehmen, an dem sie sich noch unseren „durchschnittlichen“ Testmethoden entziehen.
In jedem Fall sind die Koordinationsabläufe aufgrund ihrer Komplexität als besonders „störanfälliger“ Bereich anzusehen für den Einfluss somatoformer Reaktionsbildungen im Rahmen einer psychischen Grund- oder Begleitproblematik chronischer Schmerzerkrankungen.
Für die Erkennung stellt die Stereotypie der Fehlfunktion unter Vernachlässigung auch von Übungseffekten im Rahmen einer repetitiven Funktionsprüfung (z. B. konstant gleichförmiges Vorbeizeigen beim Finger-Nasen-Versuch) ein wichtiges Charakteristikum dar, ebenso wie die bereits für die Kraftprüfung beschriebene Variabilität der Funktionsabläufe in Relation zu den situativen Umständen.

Bewertung der neuropsychologischen Ausgangssituation

Dieser Beurteilungsvorgang durchzieht nahezu automatisch den gesamten Untersuchungsablauf, da speziell bei der neurologischen Statuserhebung der weitaus größte Anteil die tätige Mithilfe des Patienten verlangt. Entsprechend reduzieren sich die neurologischen Untersuchungsmöglichkeiten bei bewusstlosen Personen drastisch.
Die Fähigkeit des Patienten, dem Untersuchungsablauf in seinen passiven und aktiven Anteilen zu folgen, lässt wichtige Schlüsse auf die Intaktheit seiner umgebungsbezogenen Wahrnehmungsqualitäten, seines kognitiven Strukturierungsvermögens und der exekutiven Funktionssteuerung zu. Auch die emotionale Reaktionsbildung auf Anforderungen ist bedeutsam, da sie Rückschlüsse auf die intentionale und motivationale Grundeinstellung des Patienten zulässt und erste Hinweise auf psychische Beeinträchtigungsbilder geben kann.

Untersuchungsgegenstand

In diesem Abschnitt werden die zu prüfenden Funktionsbereiche einzeln dargestellt unter Bezugnahme auf den eben beschriebenen Ablauf.

Hirnnerven

N. olfactorius (I)
Prüfung der Wahrnehmung aromatischer Riechstoffe (z. B. Pfefferminze, Vanille) getrennt für jedes Nasenloch in Abgrenzung gegenüber der Wahrnehmung sog. Trigeminusreizstoffe (mit einem schleimhautschädigenden Potenzial wie z. B. Salmiak).
Störungen sind z. B. nach Hirnkontusionen mit Beteiligung der basalen Anteile des Frontalhirns oder Schädelfrakturen unter Einbeziehung der Frontobasis denkbar.
N. opticus (II)
Prüfung der Sehkraft (orientierende Wahrnehmungseinschätzung) und der Gesichtsfeldentfaltung (fingerperimetrisch).
  • Monokuläre Störung: gleichseitige prächiasmatische Läsion (z. B. Retrobulbärneuritis).
  • Bitemporale Störung: chiasmatischer Prozess (z. B. Hypophysentumor).
  • Homonyme Hemianopsie: retrochiasmatischer Prozess kontralateral (z. B. Posteriorinfarkt).
Spiegelung des Augenhintergrundes zur Beurteilung der Papille, z. B. Papillenstauung bei Pseudotumor cerebri mit chronischem Kopfschmerzsyndrom.
N. oculomotorius (III), N. trochlearis (IV), N. abducens (VI)
Prüfung der Pupillo- und Okulomotorik.
Die Abduktion des Auges (M. rectus latissimus) erfolgt durch den N. abducens und die Wendung nach innen-unten (M. obliquus superior) durch den N. trochlearis. Sämtliche anderen Funktionen (einschließlich der Pupillenreaktionen auf Licht, konsensuell und bei Konvergenz) sind durch den N. oculomotorius vermittelt. Eine Anisokorie mit Ptosis und Enophthalmus kann auf ein Horner-Syndrom bei einer Störung der sympathischen Innervation (z. B. bei einem Clusterkopfschmerz oder einer ebenfalls häufig mit halbseitigen Kopfschmerzen einhergehenden Dissektion der A. carotis) hinweisen. Hierbei stellt die gleichseitige Verengung der Pupille den pathologischen Befund dar, auch wenn der Untersuchungsaspekt manchmal eher eine Erweiterung auf der Gegenseite auffällig erscheinen lässt. Konjugierte Blickparesen oder ein Nystagmus sind ganz überwiegend als supranukleäre ZNS-Affektionen (z. B. bei einer Multiplen Sklerose) einzuordnen.
N. trigeminus (V)
Prüfung der Sensibilität des Gesichtes sowie der Augen-, Mund- und Nasenschleimhaut und der motorischen Funktion der Kaumuskulatur (Mundschließung und -öffnung):
Aufteilung in 3 Hauptäste (1. Stirn/Nase, 2. Wange, 3. Temporal- und Unterkieferregion). Zuordnung des Kornealreflexes folglich zum 1. Trigeminusast. Trigeminusneuralgien betreffen häufig den 2. und 3. Ast.
N. facialis (VII)
Prüfung der Gesichtsmuskulatur (außer den Kaumuskeln (N. trigeminus) und der Lidöffnung (N. oculomotorius)) und des Geschmackssinnes der vorderen 2/3 der Zunge. Beobachtung einer Störung der Tränen- und Speichelsekretion.
N. statoacusticus (VIII)
Prüfung des Hörvermögens (orientierend durch Fingerreiben) und Beobachtung der Gleichgewichtsfunktion:
Beeinträchtigungsmuster einerseits als Hyper- oder Hypakusis und andererseits in Form eines von den Patienten erlebten Drehschwindels (häufig mit ausgeprägter Übelkeit) spontan oder auf Provokation durch Lagerung mit Auslösung eines begleitenden Nystagmus der Augen.
N. glossopharyngeus (IX)
Prüfung der Sensibilität des Rachens und des weichen Gaumens sowie der Geschmackswahrnehmung im Bereich des hinteren Zungendrittels und Beobachtung des Schluckaktes (oberer Ösophagus, Larynx- und Pharynxmuskulatur quer gestreift):
Auffälligkeiten in Form eines Abweichens des Zäpfchens zur gesunden Seite (Kulissenphänomen) mit Herabhängen des Gaumensegels auf der betroffenen Seite. Abschwächung des Würgreflexes und Dyssynergie des Schluckvorgangs. Entstehung einer Glossopharyngeusneuralgie.
N. vagus (X)
Beobachtung der Stimmbandinnervation (durch den N. laryngeus recurrens Nervi vagi, Störung z. B. nach Strumektomie) und der Schlundinnervation (starke „Überlappung“ mit dem N. glossopharyngeus). Parasympathische Versorgung des gesamten Brust- und Bauchraumes.
N. accessorius (XI)
Überprüfung der motorischen Funktionstüchtigkeit des M. sternocleidomastoideus (Kopfwendung zur Gegenseite) und des M. trapezius (gleichseitige Schulterhebung).
N. hypoglossus (XII)
Prüfung der Zungenmotilität: Bei Lähmungen Abweichen zur betroffenen Seite beim Herausstrecken der Zunge.
Meningeale Reizerscheinungen im Rahmen z. B. einer Subarachnoidalblutung oder einer Meningitis lassen sich provozieren durch ein Vorbeugen des Kopfes mit dem Nachweis einer Steifigkeit der Nackenmuskulatur (Meningismus) oder einer reflektorischen Beugung der Beine in den Knien (positives Brudzinski-Zeichen). Ein positives Lhermitte-Zeichen mit Auslösung von Kribbelmissempfindungen am Rumpf und an den Gliedmaßen ist eher wegweisend für eine Reizung des Myelons selbst in seinem zervikalen Abschnitt, da hierbei insbesondere die Hinterstränge gereizt werden.

Reflexstatus

Muskeleigenreflexe (MER)
Prüfung durch Aktivierung der Dehnungsrezeptoren in den Muskelspindeln mittels eines kurzen Schlages auf die jeweilige Ansatzsehne:
Pathologische Ausprägungsformen als Abschwächung des MER bei Unterbrechung der peripheren Leitungsbahnen und Steigerung des MER evtl. auch mit kloniformer Ausprägung im Sinne einer Enthemmung bei Störungen der modulierend-zügelnden Pyramidenbahn des ZNS.
Praktisch wichtige Muskeleigenreflexe zeigt Tab. 1.
Tab. 1
Muskeleigenreflexe
Eigenreflex
Muskel
Segment
Radiusperiostreflex
M. brachioradialis
Nervenwurzel
C5, C6
Bizepssehnenreflex
M. biceps brachii
Nervenwurzel
C5, C6
Trizepssehnenreflex
M. triceps brachii
Nervenwurzel
C6, C7
Patellarsehnenreflex
M. quadriceps femoris
Nervenwurzel
L3, L4
Achillessehnenreflex
M. triceps surae
Nervenwurzel
S1, S2
Fremdreflexe
Prüfung der sensomotorischen Funktionsintaktheit durch taktile Provokation einer Bewegungsreaktion: Pathologische Ausprägung als Abschwächung (z. B. im Seitenvergleich).
Praktisch wichtige Fremdreflexe
sind:
  • Bauchhautreflexe: Provokation einer Kontraktion der Bauchwandmuskulatur durch intensiven fokalen Sensibilitätsreiz (waagerechtes Bestreichen der Bauchwand) mit spinalem Niveau Th7–12,
  • Kremasterreflex: Provokation einer Kontraktion des M. cremaster durch Oberflächenreiz mittels Bestreichen auf der Oberschenkelinnenseite mit spinalem Niveau L1, L2,
  • Analreflex: Kontraktion des Analsphinkters bei Bestreichen der Analregion mit spinaler Segmenthöhe S3–S5,
  • Plantarreflex: Zehenflexion auf Bestreichen der Fußsohlenaußenkante mit Segmenthöhe S1, S2.
Pathologische Reflexe
Nachweis von Enthemmungsvorgängen bei Läsionen der Pyramidenbahn in Form einer langsamen Dorsalextension der Großzehe und evtl. einer fächerförmigen Spreizung der Zehen II–V auf folgende taktilen Standardreize:
  • Babinski-Phänomen: Bestreichen des lateralen Fußaußenrandes,
  • Oppenheim-Phänomen: Festes Bestreichen des Schienenbeines,
  • Gordon-Phänomen: Kompression des Unterschenkels.

Muskeltonus, -trophik und Kraftentfaltung

Erforderlich ist eine Inspektion des Muskelreliefs im Bereich der Extremitäten und unbedingt auch des Rumpfes von ventral und dorsal (für den Schultergürtel, die Rückenstreckermuskulatur und die Glutealregion).
Tonusprüfung mit Feststellung eines schlaffen Muskeltonus unter passiven Ruhebedingungen
Pathologische Zustände sind Spastik (federnde Tonuserhöhung) bei Pyramidenbahnläsionen (kann auch einschießend auftreten), Rigor (Zahnradphänomen) bei Parkinson-Syndromen unter fakultativem Einschluss auch der Rumpfmuskulatur, insbesondere dann in Form eines (oft als schmerzhaftes Zervikalsyndrom imponierenden) Nackenrigors, Dystonie bei sonstigen extrapyramidal-motorischen Läsionen insbesondere der Stammganglien (z. B. nach hypoxischen Hirnschäden).
Kraftprüfungen
erfolgen isometrisch gegen Widerstand (keine Testung der „Gelenkigkeit“).
Graduierung der Kraftentfaltung
0: Paralyse
1: Sichtbare Kontraktion ohne Effekt
2: Bewegungsimpuls unter Ausschluss der Schwerkraft möglich
3: Bewegung gegen Schwerkraft möglich
4: Bewegung gegen Widerstand kraftgemindert
5: Normale Kraftentfaltung (im Seitenvergleich)
Wechselnde Paresegrade finden sich bei der Myasthenia gravis, dem Lambert-Eaton-Syndrom und den Paresen bei Elektrolytentgleisungen (insbesondere der hypokaliämischen Lähmung).
Peripherer Läsionsort
(Nerv, Plexus, Nervenwurzel, Vorderhornzelle): Parese mit schlaffem Tonus, Abschwächung der Muskeleigenreflexe und Atrophieentwicklung.
Zentraler Läsionsort
(Myelon, Zerebrum): Parese mit Tonuserhöhung, Steigerung der Muskeleigenreflexe und, bei chronischem, hochgradigem Schädigungsmuster, fakultativer Atrophie.

Sensibilität

Ausbreitung und Verteilung
Alle Sensibilitätsstörungen und Schmerzen können bestimmten Verteilungsmustern am Körper folgen, die Rückschlüsse auf die Lokalisation der Schmerzursache zulassen (Abb. 11).
Erfassung von Reizzuständen
Hierzu gehören die Parästhesie (z. B. Kribbelsensationen) und als neuropathische Spontanschmerzen die Neuralgie (z. B. messerstichartig anfallsweise einschießende Schmerzattacken) oder Kausalgie (anhaltender Brennschmerz).
Wahrnehmungsqualitäten
Hier müssen folgende Empfindungen geprüft werden:
  • Oberflächliches Berührungsempfinden einschließlich Zweipunktdiskrimination
    • Störungsmuster: Hyper-, Hyp- und Anästhesie
  • Temperaturempfindung für Kälte- und Wärmereize
    • Störungsmuster: Thermhypästhesie, Thermanästhesie
  • Bewegungs- und Lageempfindung durch adäquate Wahrnehmung auch von diskreten Stellungsveränderungen an den Gelenken (vorzugsweise Endphalangen der Hände und Füße)
    • Störungsmuster: Abschwächung
  • Vibrationsempfinden (Stimmgabeltest mit knöcherner Schwingungsübertragung)
    • Störungsmuster: Pallhypästhesie, Pallanästhesie
  • Schmerzempfinden seitens oberflächlich (aus der Haut) und auch tief (aus den Gelenkkapseln und Muskelfaszien) entspringender Afferenzen, die durch sämtliche sensiblen Reizqualitäten (insbesondere Berührung, Hitze, Kälte) evozierbar sind, sobald die Reizintensität eine entsprechende Schwellenstärke überschreitet
    • Störungsmuster: Hyper-, Hyp- und Analgesie
Eine Dysästhesie ist die qualitative Veränderung des eigentlich durch einen bestimmten Reiz evozierten Wahrnehmungscharakters, insbesondere in Form einer Allodynie als evozierbarer neuropathischer Schmerz auf eine primär als nicht schmerzhaft einzustufende Reizform.
Insbesondere Schäden des Myelons können zu dissoziierten Empfindungsstörungen führen mit isolierter Beeinträchtigung des Schmerz- und Temperaturempfindens bei umschriebenen Läsionen des kontralateralen Vorder-/Seitenstranges z. B. im Rahmen eines Brown-Séquard-Syndroms (Abb. 12). Auch ein isolierter Befall markloser Nervenfasern im Rahmen einer Polyneuropathie kann zu einer akzentuierten Störung der genannten sensiblen Qualitäten führen.
Das Nervendehnungszeichen nach Lasègue (Abb. 13a) mit einer Schmerzprovokation im Verlauf des N. ischiadicus durch ein Anheben des gestreckten Beines stellt in der Regel einen Hinweis für ein radikuläres Reizsyndrom der den N. ischiadicus versorgenden Nervenwurzeln dar. Gleiches gilt für den N. femoralis durch die Prüfung des umgekehrten Lasègue-Zeichens (Abb. 13c) mit Überstreckung des Beines in der Hüfte.
Für die Prüfung peripherer Nervenreizzustände (z. B. im Rahmen eines Karpaltunnelsyndroms oder eines Sulcus-ulnaris-Syndroms) eignet sich das Hoffmann-Tinel-Zeichen mit einem Beklopfen der Nervenhauptstämme in den entsprechenden Engpassbereichen.

Koordinationsfunktionen

Zeigeversuche und Zielbewegungen
Finger-Finger-Versuch (Zusammenführung der Finger), Finger-Nase-Versuch (Berührung der Nasenspitze mit dem Zeigefinger nach weit ausholender Zielbewegung) und Knie-Hacken-Versuch (Berührung einer Kniescheibe mit der kontralateralen Ferse und anschließendes Hinabfahren an der Schienbeinkante) jeweils mit geschlossenen Augen zur Testung einer komplexen Integrationsleistung der körperbezogenen Wahrnehmungsfunktion einerseits und der zielgerichteten Bewegungssteuerung andererseits:
Pathognomonische Auffälligkeiten finden sich in Form eines Intentionstremors und überschießender Bewegungsabläufe als zerebelläres Symptom bzw. einer dysmetrisch/hypometrisch-hypermetrischen Durchführung als Hinweis auf Afferenzstörungen, Hyperkinesen, aber auch Paresen (insbesondere bei Hypometrie).
Bewegungskoordination
Prüfung der Diadochokinese (rasch aufeinanderfolgende Pro- und Supinationsbewegung der Unterarme) und des Reboundphänomens (Reaktionsfähigkeit auf den raschen und überraschenden Wegfall eines mit deutlicher isometrischer Kraftentfaltung kontrollierten Widerstandes) zur Testung zerebellärer Steuerungseigenschaften:
Pathognomonische Auffälligkeiten sind eine A-, Dys- oder Bradydiadochokinese bzw. ein überschießendes Reboundphänomen.
Koordination des Körpers im Raum
Prüfung des Stehvermögens (Stand mit geschlossenen Augen, nach vorn ausgestreckten Armen und geschlossenen Füßen), Unterberger-Tretversuch (Treten auf der Stelle mit geschlossenen Augen), Blindgang, Seiltänzergang (Gehen auf einem imaginären Strich) zur Testung afferenter Wahrnehmungsfunktionen (peripher, medullär) und zerebellovestibulärer Abläufe:
Pathognomonische Auffälligkeiten finden sich in Form einer ungerichteten Fallneigung bei Tiefensensibilitätsstörungen und einer einseitigen Fallneigung bzw. Drehtendenz in die entsprechende Richtung bei gleichseitigen vestibulären oder zerebellären Beeinträchtigungen. Abasie als Gangunfähigkeit.
Eine Dysmetrie der Sprache zeigt sich in Form einer Dysarthrie (z. B. skandierende Sprachproduktion, verwaschene Artikulation), die nicht mit einer Aphasie (s. unten) zu verwechseln ist.

Neuropsychologie

Psychoorganische Grundfunktionen
sind:
  • Bewusstseinssteuerung,
  • umgebungsbezogene Aufmerksamkeitsfokussierung,
  • Stabilität des Konzentrationsniveaus,
  • gedankliches Reflexionsvermögen formal und inhaltlich,
  • situationsbezogenes Handeln und sinnbezogene Strukturierung von Entscheidungsvorgängen,
  • Affektkonturierung,
  • angemessene Antriebsaktivierung für exekutive Funktionsabläufe.
Hirnlokale kortikale Leistungseigenschaften
sind:
  • Merkfähigkeit und Gedächtnisfunktion (Temporalhirn).
  • Sprachverständnis, -gedächtnis und Sprachproduktion mit einem Störungsmuster z. B. als Broca-Aphasie (Beeinträchtigung der Sprachflüssigkeit bei relativ gut erhaltenem Verständnis) oder als Wernicke-Aphasie (schwerpunktmäßige Sprachverständnisproblematik).
  • Praktisches Strukturierungsvermögen von zweckbezogenen Handlungsabläufen mit einem Beeinträchtigungsprofil im Sinne einer ideomotorischen Apraxie (Störung der Bewegungsarchitektur), ideatorischen Apraxie (Zusammensetzung der einzelnen Bewegungsmuster zu einem Handlungsablauf) und konstruktiven Apraxie (Integration der Handlungsabläufe in eine Planungsstruktur).
  • Erkenntnisfunktion für den eigenen Organismus in Verknüpfung mit den Umgebungsbezügen mit einer Defektbildung im Sinne einer Agnosie (z. B. als Hemineglect nach Schlaganfall mit Beeinträchtigung des parietalen Assoziationskortex oder als Autotopagnosie mit Orientierungsverlust für die eigenen Körperkonstellationen).
Weitere Einzelheiten zum psychischen Befund finden sich im Kap. „Psychische Erkrankungen und Schmerz“.
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