Definition und Klassifikation
Für den Begriff enteropathische Arthritis
existiert derzeit keine strenge wissenschaftliche Definition. Die enteropathische Arthritis ist eine Spondyloarthritis
, die bei Patienten mit
chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) (
Morbus Crohn,
Colitis ulcerosa) und anderen gastroenterologischen Erkrankungen wie z. B. dem
Morbus Whipple und der glutensensitiven Enteropathie
auftreten kann. Nach intestinaler Bypasschirurgie kann es ebenfalls zu diesem Krankheitsbild kommen. Die Assoziation von CED mit Gelenksymptomen ist schon länger bekannt. Bargen und Hench beschrieben in den Jahren 1929 und 1935 eine periphere Arthritis bei Patienten mit CED. Die Aktivität der Gelenksymptome präsentierte sich parallel zur Aktivität der CED. Im Jahre 1964 klassifizierte die American Rheumatism Association die mit CED assoziierte Arthritis als eine unabhängige klinische Form. Die endgültige Zurechnung der Enteroarthritis
zur Gruppe der
Spondyloarthritiden erfolgte durch Wright und Moll.
Die Spondyloarthritis wird heute als eine Gruppe unterschiedlicher Erkrankungen mit ähnlichen klinischen Symptomen und einer gemeinsamen genetischen Prädisposition gesehen. Von der European Spondyloarthropathy Study Group (ESSG) wurden 1991 Kriterien für die Einordnung von Patienten mit entzündlichen Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen vorgestellt (Tab.
1). Die ESSG-Kriterien haben eine Sensitivität von 86 % und eine Spezifität von 87 %.
Tab. 1
ESSG-Kriterien zur Klassifikation der entzündlichen Wirbelsäulenerkrankungen
Entzündlicher Wirbelsäulenschmerz oder asymmetrische Synovitis (mit Bevorzugung der unteren Extremität und mindestens eines der folgenden Kriterien): |
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- Psoriasis (zum Zeitpunkt der Arthritis oder in der Vergangenheit) |
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- Nicht auf Gonokokken beruhende Urethritis oder Zervizitis oder akute Durchfallerkrankung innerhalb eines Monats vor der Arthritis |
- Zwischen links und rechts wechselnder Gesäßschmerz (zum Zeitpunkt der Arthritis oder in der Anamnese) |
- Enthesitis (zum Zeitpunkt der Gelenkentzündung oder in der Vergangenheit) |
- Radiologisch nachgewiesene Sakroiliitis (beidseitig mindestens zweiten Grades oder einseitig mindestens dritten Grades) |
Pathophysiologie
Die Pathogenese der enteropathischen Spondyloarthritis ist noch nicht gänzlich geklärt. Das Auftreten von Gelenkentzündungen bei Patienten mit genetischer Prädisposition und bakteriellen Darminfektionen gibt deutliche Hinweise auf eine mögliche Wechselbeziehung der entzündlich-veränderten Darmmukosa und der Arthritis. In den 1980er-Jahren beschrieben mehrere Autoren, dass bei über zwei Drittel der Patienten mit einer Spondyloarthropathie histologische Entzündungszeichen in der Darmmukosa vorliegen, obwohl sie klinisch keine Zeichen einer CED zeigen.
Aktuell wird im Rahmen einer genetischen Prädisposition eine aberrante
Migration intestinaler
Lymphozyten aus der entzündlichen Darmmukosa in die Gelenke angenommen. Darmbakterien spielen dabei eine wichtige Rolle. Deren Interaktion mit dem mukosalen Immunsystem könnte über die Beeinflussung regulatorischer Zellen zu einer Modulation der immunologischen
Toleranz gegenüber der Darmflora führen.
Von den genetischen Faktoren zeigt
HLA-B27 die stärkste genetische Assoziation mit einer Spondyloarthropathie. Dies gilt besonders für die ankylosierende Spondyloarthritis
. Die Bedeutung von HLA-B27 betreffend existieren unterschiedliche Theorien. HLA-B27-exprimierende
Makrophagen können bakterielle
Antigene präsentieren und CD4-positive T-Zellen aktivieren deren
Migration vom Darm zum Gelenk, was in einer Arthritis resultiert
. Weiter könnte die Homologie von bakteriellen Antigenen mit HLA-B27-Sequenzen über einen Mimikrymechanismus zu einer T-Zellaktivierung und Entzündung führen
. Normalerweise bindet die peptidbeladene schwere Kette der HLA-Klasse I das Beta-2-Mikroglobulin im endoplasmatischen Retikulum. Im Rahmen des im Vergleich zu anderen
HLA-Allelen langsameren Faltungsprozesses von HLA-B27 kann es jedoch zur Bildung falsch gefalteter Ketten kommen. Diese können unter bestimmten Bedingungen, wie z. B. viralen Infektionen, akkumulieren und u. a. das Protein BiP sowie NF-Kappa-B aktivieren. Beide sind an der Induktion einer Entzündung beteiligt. Die Ablagerung von Beta-2-Mikroglobulin im Synovialgewebe könnte dann die chronische Entzündung in Gang setzen.
Weitere mit der enteropathischen Spondyloarthropathie assoziierte HLA-Gene sind HLA-B35, HLA-B24 und HLA-DrB10103 bei peripherer Gelenkbeteiligung Typ 1 (s. u.) und HLA-B44 bei peripherer Gelenkbeteiligung Typ 2 (s. u.).
Polymorphismen im Rezeptor für Interleukin-23 (IL-23R) sind als gemeinsame genetische Prädisposition bei Spondyloarthropathien und CED häufig zu finden. Möglichweise könnten also Th17-Zellen eine zentrale Rolle in der gemeinsamen Pathogenese von Spondyloarthropathien und CED spielen, da IL-23 ein wichtiger Faktor der TH17-mediierten Entzündung ist.
Als eines der ersten
Suszeptibilitätsgene für CED wurde CARD15
(NOD2) beschrieben. Bei Patienten mit Spondyloathropathie wurde nun auch eine Assoziation zwischen Trägern von CARD15-Varianten und der Entwicklung einer chronischen subklinischen Darmentzündung beschrieben (Laukens et al.
2005). Eine CARD15-mediierte und NF-Kappa-B-abhängige entzündliche Reaktion wird als ein zentraler pathogenetischer Gelenkprozess angesehen.
Über die genetische Prädisposition hinaus werden auch Umweltfaktoren unter pathogenetischen Gesichtspunkten diskutiert. Bakterielle Darminfekte durch
Salmonella typhimurium,
Shigella spp.,
Campylobacter jejuni und
Yersinia enterocolitica können bei entsprechender Prädisposition zu Arthritiden führen. Bei Patienten mit reaktiver Arthritis nach Darminfektion konnten bakterielle
Antigene in den Gelenken nachgewiesen werden.
Bakterien könnten intrazellulär in
Makrophagen überlebend in Gelenke wandern und eine Arthritis induzieren. Proinflammatorische
Zytokine (TNF, IL-23), DAMPs („damage-associated molecular pattern molecules“)- und PAMPs („pathogen-associated molecular pattern molecules“) verstärken die Entzündung.
Epidemiologie
Für das Auftreten beider Erkrankungen ist weltweit ein Nord-Süd-Gefälle bekannt. Die Inzidenz und
Prävalenz in westlichen Ländern wird bei 6–15/100.000 Einwohner bzw. 50–200/100.000 Einwohner für den
Morbus Crohn und 8–14/100.000 Einwohner bzw. 120–200/100.000 Einwohner für die
Colitis ulcerosa angegeben. In der zweiten und dritten Lebensdekade ist ein Häufigkeitsgipfel zu verzeichnen, ebenso zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr. Der Morbus Crohn betrifft häufiger Frauen, die Colitis ulcerosa häufiger Männer.
Rheumatologische Symptome sind die häufigsten extraintestinalen Manifestationen bei CED-Patienten (17–39 %).
Der axiale Befall (Sakroiliitis mit oder ohne Spondylitis) zeigt sich bei 2–16 % der CED-Patienten (
Morbus Crohn mehr als
Colitis ulcerosa). Die Sakroiliitis hat eine
Prävalenz von 12–20 %. Neuere Studien auf der Basis der ESSG-Kriterien für eine Spondyloarthritis beschreiben eine Prävalenz von 10–25 % für die Spondylitis und 30–36 % für eine Sakroiliitis. Die Prävalenz einer axialen Gelenkbeteiligung ist also höher als bisher angenommen.
Der periphere Gelenkbefall kommt in 0,4–34,6 % bei Patienten mit CED und häufiger bei Frauen vor (
Morbus Crohn 20 %,
Colitis ulcerosa 10 %). Die untere Extremität ist besonders betroffen.
Als Risikofaktoren für eine Arthritis bei CED gelten eine positive Familienanamnese für CED, eine aktive CED, Nikotinabusus, Zustand nach Appendektomie und das Auftreten eines Erythema nodosum oder Pyoderma gangraenosum.
Klinik
Bei Patienten mit CED ist ein peripherer und ein axialer Gelenkbefall (Sakroiliitis mit oder ohne Spondylitis) möglich. Andere extraintestinale Manifestationen sind beispielsweise eine Tendinitis, Enthesitis, Periostitis oder eine Daktylitis. Daktylitiden sind Schwellungen eines einzelnen Extremitätenstrahls („Wurstzehen“, „Wurstfinger“), die auch im Rahmen einer klassischen Spondylopathie oder Psoriasisarthritis gesehen werden. Die Enthesitis (Entzündung der Insertionsstellen von Sehnen, Gelenkkapseln oder Faszien) manifestiert sich häufig an der Plantaraponeurose und Achillessehne.
Diagnostik
Neben dem klinischen Befund im Rahmen der Grunderkrankung sowie endoskopisch/bioptischer Sicherung der CED steht die Bildgebung im Zentrum der Diagnostik.
Mittels konventioneller Röntgenaufnahmen können klassische Verläufe der
rheumatoiden Arthritis differenzialdiagnostisch abgegrenzt werden. Bei peripherer Gelenkbeteiligung werden charakteristischerweise keine Erosionen, Gelenkspaltverschmälerungen oder eine gelenknahe
Osteoporose gefunden (sog. Kollateralphänomen
bei der klassischen rheumatoiden Arthritis).
Die axiale Beteiligung mit Iliosakralarthritis
kann mittels Magnetresonanztomographie (MRT) früh erkannt werden. Eine Besonderheit der axialen Beteiligung bei Patienten mit CED sind sklerotische und erosive Läsionen in benachbarten Wirbelkörpern oder eine aseptische
Spondylodiszitis (Andersson Läsionen). Mittels MRT können diese Veränderungen bei der enteropathischen Spondyloarthritis früher als bei der klassischen
ankylosierenden Spondylitis oder der Psoriasisarthritis nachgewiesen werden.
Differenzialdiagnostik
Ein spezieller Marker (z. B. Laborwert) zum Nachweis der enteropathischen Arthritis existiert nicht. Zunächst müssen daher im Rahmen einer
Ausschlussdiagnostik andere rheumatische Erkrankungen (z. B.
ankylosierende Spondylitis) abgegrenzt werden. Darüber hinaus dürfen postinfektiöse Arthritiden oder aktivierte Arthosen, die parallel mit einer CED ablaufen können, nicht übersehen werden. Bei Patienten mit einem
Morbus Crohn muss vor Beginn einer immunsuppressiven Therapie eine septische Monarthritis ausgeschlossen werden.
Therapie
Die enge Kooperation von Rheumatologen und Gastroenterologen ist von Vorteil.
Prinzipiell verhält sich die Aktivität der Typ-1-Arthritis kongruent zur Aktivität der CED, d. h., eine effektive immunsuppressive Therapie der CED führt auch zur Reduktion der Arthritiden. Für die Typen 2 und 3 gilt diese Beziehung nicht, trotz suffizienter Therapie der CED persistieren die rheumatologischen Symptome häufig.
Verlauf und Prognose
Die Arthritis im Rahmen eines
Morbus Crohn zeigt im Verlauf meist eine komplette Remission. Bei der Arthritis im Rahmen der
Colitis ulcerosa ist im Verlauf von ein bis zwei Monaten eine Remission möglich. Die Gelenkentzündung ist selten länger als ein Jahr aktiv, wobei aber Rezidive vorkommen können.