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Die Intensivmedizin
Info
Publiziert am: 07.12.2022

Scores in der Intensivmedizin

Verfasst von: Rolf Lefering
Scores sind als wichtiges Hilfsmittel zur Kommunikation und Bewertung auch in der Intensivmedizin nicht mehr wegzudenken. Sie reduzieren komplexe Einzelsituationen in Zahlenwerte und ermöglichen so vergleichende Betrachtungen. Sie unterscheiden sich nach Art, Zusammensetzung und Zielpopulation. Die wichtigsten Scores in der Intensivmedizin gehören in die Bereiche Schweregradklassifikation bei Aufnahme (z. B. SAPS), Monitoring der Organfunktion (z. B. SOFA) und Messung des Therapieaufwandes (z. B. TISS). Breite Anwendung finden sie in der Forschung und der Qualitätssicherung, sie werden aber auch zu ökonomischen Zwecken und in der Ausbildung eingesetzt. Scores zur Beschreibung des Schweregrades beinhalten oft auch prognostische Aussagen. Ihre Anwendung bei Therapieentscheidungen sollte aber kritisch gesehen werden. Die Qualität von Scores lässt sich in den Bereichen Validität, Reliabilität, Anwendbarkeit und Relevanz beschreiben und messen.

Was ist ein Score?

Der Begriff Score stammt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt Punktzahl.
Definition
Score
Ein Score ist der Versuch, eine komplexe klinische Situation auf einen eindimensionalen Punktwert abzubilden. Eine solche Reduktion verfolgt das Ziel, übergreifende Aspekte wie Schweregrad oder Prognose als Kombination einzelner Fakten objektiv zu fassen, um sie dann in unterschiedlichen Kollektiven vergleichend darstellen zu können.
Jeder Versuch, die individuelle Situation eines Patienten zu dokumentieren, stellt bereits eine Reduktion dar, denn sie beschreibt nur das, was wir heute messen können oder meinen, messen zu müssen. Jeder Laborwert, jede Röntgenaufnahme, jede Blutgasanalyse, jedes EKG ist ein kleines Stück Information, ein Mosaikstein im Zustandsbild des Patienten. Die Gesamtheit dieser Befunde und ihre Veränderung über die Zeit ist ein Versuch, diese Komplexität – in reduzierter Form – abzubilden.
Score bedeutet Reduktion
Ein Score geht hier noch einen deutlichen Schritt weiter. Er reduziert die vorliegenden Daten eines Patienten auf einen einzigen Wert, der sich als Punktsumme einzelner Faktoren ergibt, die aus Sicht von Experten oder aufgrund statistischer Datenanalysen als wesentliche Determinanten des Zustands eines Patienten angesehen werden (Abb. 1).
Der große Vorteil dieser Reduktion wird deutlich, wenn man den ersten in der Medizin publizierten Score, den 10-Punkte-Apgar-Score zur Beurteilung von Neugeborenen, betrachtet. Es ist der Versuch, eine komplexe Situation durch die Konzentration auf das „Wesentliche“ überschaubar zu machen und damit eine vergleichende Betrachtung unter vielen Patienten erst zu ermöglichen.
Scores sind der Versuch, durch Reduktion auf das Wesentliche vergleichende Betrachtungen zu ermöglichen.

Scores in der Intensivmedizin

Die Intensivmedizin befasst sich mit schwerkranken Patienten, und nicht jeder Patient überlebt diesen kritischen Zustand, trotz massivem Einsatz von Medikamenten, technischen Hilfsmitteln und permanenter Überwachung. Das Ziel der Intensivtherapie ist letztlich das Überleben der Situation, die zur Einweisung auf die Intensivstation geführt hat, d. h. den Zustand des Patienten soweit zu stabilisieren oder zu normalisieren, dass er der Intensivtherapie nicht mehr bedarf. Es stellt sich bei jedem Intensivpatienten immer die Frage, wie weit er von diesen beiden Extremen, nämlich die Intensivstation lebend und stabil verlassen zu können oder zu sterben, entfernt ist. Scores sind ein Versuch, ein Ansatz, eine Möglichkeit, diesen Zustand zu quantifizieren.
In Tab. 1 sind einige in der Intensivmedizin häufig verwendete Scoresysteme beispielhaft zusammengestellt.
Tab. 1
Auswahl von in der Intensivmedizin gebräuchlichen Scoresystemen
Score
Referenz, Jahr
Patienten
Zeitpunkt
Zusammensetzung Punktwerte
Summenwert*
Bemerkung
Allgemeine Schweregradklassifikation
APACHE II Acute Physiology and Chronic Health Evaluation
(Knaus et al. 1981)
Intensiv allgemein
nach 24 h
12 physiologische Parameter, GCS, Alter, Vorerkrankungen
0–68*
Prognoseberechnung mit zusätzlichen Koeffizienten für 50 Diagnosegruppen
APACHE III
(Knaus et al. 1985) 1991
Intensiv allgemein
nach 24 h
18 physiologische Parameter, GCS, Alter, Vorerkrankungen
0–319*
Formeln für Prognose nicht frei verfügbar
APACHE IV
(Zimmerman et al. 2006)
Intensiv allgemein
nach 24 h
142 Variablen
?
Formel nicht publiziert; 116 Diagnosegruppen
SAPS II Simplified Acute Physiology Score
(Le Gall et al. 1993)
Intensiv allgemein
nach 24 h
14 physiologische Parameter, GCS, Alter, Vorerkrankung
0–163*
Entwickelt mit Daten aus Europa und USA; Teil der Aufwandspunkte
SAPS III
(Metnitz et al. 2006; Moreno et al. 2006)
Intensiv allgemein
nach 1 h
20 Parameter: Patient (5), Aufnahme (5), Physiologie (10)
0–217*
multinationale Datenbasis; mit Prognoseformel
Therapie und Pflege
TISS – Therapeutic Intervention Scoring System
(Cullen et al. 1974)
Intensiv allgemein
täglich
76 therapeutische und pflegerische Maßnahmen; je 1–4 Punkte
0–177*
Erste Version von 1974 u. a. genutzt für ökonomische Analysen/Personalbedarf
TISS-28
(Reis Miranda et al. 1996)
Intensiv allgemein
täglich
28 therapeutische und pflegerische Maßnahmen; je 1–8 Punkte
0–78*
Berechnet aus dem TISS; deutlich robuster und einfacher; weitere Reduzierung auf 9 Maßnahmen als NEMS publiziert (Reis Miranda et al. 1996)
Core-10-TISS
(Burchardi et al. 2004) 2006
Intensiv allgemein
täglich
10 Maßnahmen; 3–8 Punkte
0–47*
Teilmenge der TISS-28-Maßnahmen; für Aufwandspunkte
Organversagen
MOF – Multiple Organ Failure
(Goris et al. 1985)
Intensiv allgemein
täglich
7 Organsysteme: Dysfunktion (1 Punkt), Versagen (2 Punkte)
0–14*
Basiert auf Expertenwissen; einfache Handhabung
MODS – Multiple Organ Dysfunction Score
(Marshall et al. 1995)
Intensiv allgemein
täglich
6 Organsysteme, je 0–4 Punkte
0–24*
Basiert auf Literaturstudien und Daten; keine therapeut. Maßnahmen
SOFA – Sequential Organ Failure Assessment
(Vincent et al. 1996)
Intensiv allgemein
täglich
6 Organsysteme, je 0–4 Punkte
 
Konsensuskonferenz; ursprünglich „sepsis related organ failure assessment“
SIRS – Systemic Inflammatory Response Syndrome
(Bone et al. 1992)
1991
Intensiv allgemein
nach Bedarf
Temperatur, Herzfrequenz, Atemfrequenz, Leukozyten
0–4
Ab 2 Punkten zusammen mit einem Keimnachweis zur Definition einer Sepsis benutzt
Quick SOFA
(Singer et al. 2016)
Intensiv allgemein
nach Bedarf
Atemfrequenz, Bewusstsein, Blutdruck
0–3
Bei der Neudefinition der Sepsis 2016 als Ablösung der SIRS Kriterien entstanden
Spezifische Scores (Auswahl)
GCS – Glasgow Coma Scale
(Teasdale und Jennet 1974)
initial und im Verlauf
Augen öffnen, verbale und motorische Reaktion
3*–15
weltweit angewendet; Teil vieler anderer Scores
ABSI – Abbreviated Burn Severity Index
(Tobiasen et al. 1982)
Patienten mit Verbrennungen
initial
Alter, Geschlecht, verbrannte Körperoberfläche, Inhalationstrauma
0–18*
Verfeinerung der bekannten Baux-Regel
RISC II
Revised Injury Severity Classification
(Lefering et al. 2014)
Schwerverletzte
nach Aufnahme
13 Angaben zum Patienten, seiner Physiologie und den Verletzungen
Überlebens-Wahrscheinlichkeit
Einschätzung der Trauma-Schwere und Prognose nach Eintreffen im Krankenhaus; entwickelt an >30.000 Patienten
Mit * sind jeweils die schlechtest möglichen Werte gekennzeichnet, die teilweise real nicht erreichbar sind
GCS = Glasgow Coma Scale

Zusammensetzung

Ein Score ist immer die Kombination mehrerer Aspekte eines Krankheitsgeschehens, von denen jeder für sich im klassischen Sinne messbar ist, z. B. Blutdruck, Herzfrequenz oder Laborwerte. Zusätzlich zum aktuellen Zustand können auch Aspekte berücksichtigt werden, die der Patient anamnestisch (Alter, Vorerkrankungen) oder akut (Operation, Diagnose) mitbringt. Auch therapeutische Maßnahmen (z. B. Beatmungstherapie, Dialyse) können als indirekte Indikatoren für die Schwere der Erkrankung einbezogen werden. Ein Score wählt gewisse Aspekte aus, gewichtet sie mit Punkten und fügt diese durch Summation zu einem Gesamtwert zusammen. Auswahl und Gewichtung der Aspekte hängen von der Art und Weise der Scoreentwicklung und von der beabsichtigten Anwendung ab. In der Regel unterstützen heute statistische Analysen die von Experten initiierten Ansätze zur Entwicklung und Validierung von Scores.

Physiologische Scores

Die Physiologie eines Patienten beschreibt das „Funktionieren“ des Organismus. Jedes Organ hat eine Aufgabe zu erfüllen, und es wird an ausgewählten klinischen und Laborparametern erfasst, inwieweit ihm diese Aufgabe gelingt. Ein Beispiel für einen solchen physiologischen Score ist der SAPS II (Tab. 2 ), bei dem für Werte in einem definierten Normbereich 0 Punkte vergeben werden, was einer normalen Funktion entspricht. Zunehmende Abweichungen von diesem Normalbereich werden mit steigenden Punktzahlen versehen. Hierbei werden therapeutische Maßnahmen zur Korrektur der Messwerte nicht berücksichtigt.
Tab. 2
SAPS-II-Score, entwickelt an über 13.000 Intensivpatienten aus Nordamerika und Europa (Le Gall et al. 1993). Maßgeblich sind die schlechtesten Werte (d. h. die höchste Punktzahl) in einem 24-h-Zeitraum nach Aufnahme auf die Intensivstation. Für Werte im Normalbereich werden keine Punkte vergeben
 
Punkte bei niedrigen Werten
Normalbereich
Punkte bei hohen Werten
Alter [Jahre]
    
<40
40–59
7
60–69
12
70–74
15
75–79
16
≥80
18
Herzfrequenz [pro min]
  
<40
11
40–69
2
70–119
120–159
4
≥160
7
   
Blutdruck (systolisch) [mm Hg]
  
<70
13
70–99
5
100–199
≥200
2
    
Temperatur [°C]
    
<39,0
≥39,0
3
    
Nur bei Beatmung oder Pulmonaliskatheter: p aO 2 [mm Hg]/FIO2
 
<100
11
100–199
9
≥200
6
     
Urinausscheidung [l/Tag]
  
<0,5
11
0,5–0,99
4
≥1,0
     
Harnstoff [mg/dl] oder Harnstoff-Stickstoff [mg/dl]
    
<60
<28
60–179
28–83
6
≥180
≥84
10
   
Leukozyten [103/mm3]
   
<1,0
12
1,0–19,9
≥20
3
    
Kalium [mmol/l]
   
<3
3
3,0–4,9
≥5,0
3
    
Natrium [mmol/l]
   
<125
5
125–144
≥145
1
    
Serumbikarbonat [mEq/l]
  
<15
6
15–19
3
≥20
     
Bilirubin [mg/dl]
    
<4,0
4,0–5,9
4
≥6,0
9
   
Glasgow Coma Scale (vor Sedierung)
<6
26
6–8
13
9–10
7
11–13
5
14–15
     
Vorerkrankungen
    
Metastasierendes Karzinom
9
Maligne hämatologische Erkrankung
10
Aids
17
  
Zuweisung auf Intensivstation
    
Elektiv chirurgisch
Medizinisch (ohne Operation)
6
Ungeplant chirurgisch
8
   
Abb. 2 zeigt beispielhaft die Verteilung von SAPS-II-Scorewerten bei Aufnahme auf die Intensivstation und wie mit zunehmend größeren Scorewerten die Sterblichkeit zunimmt.

Therapeutische Interventionen

Neben der Betrachtung typischer Parameter der Organfunktion ist aber auch das Ausmaß der therapeutisch notwendigen Unterstützung eines Organs ein klinisch äußerst wichtiger Indikator für dessen Zustand. Ein Beispiel für einen ausschließlich auf therapeutischen, diagnostischen und pflegerischen Maßnahmen aufgebauten Score ist der TISS-28 (Tab. 3; [Reis Miranda et al. 1996]), eine Weiterentwicklung des Therapeutic Intervention Scoring System von Cullen (Cullen et al. 1974) und Keene (Keene und Cullen 1983) aus den 1970er-Jahren. Beim TISS-28 werden 28 Maßnahmen bzw. Maßnahmenkomplexe mit Punktwerten zwischen 1 und 8 versehen und, falls durchgeführt, zu einem täglichen Wert addiert. Unabhängige Untersuchungen konnten zeigen, dass TISS-Werte sehr gut mit den klassischen physiologischen Scores (APACHE, SAPS) korrelieren (Lefering et al. 1997, 2000).
Tab. 3
Der TISS-28-Score von Reis Miranda et al. (1996)
 
Punkte
Basis
Standardmonitoring
Stündlich Vitalzeichenkontrolle; regelmäßige Bestimmung der Flüssigkeitsbilanz
5
Labor
Biochemische Bestimmungen; Mikrobiologie
1
Medikation
i.v.; i.m.; subkutan; oral oder Magenschlauch
1 Medikament: 2
2 oder mehr Medikamente: 3
Verbandswechsel
Dekubitusprophylaxe/-pflege; tägliche Verbandswechsel; häufig heißt mindestens einmal pro Schicht oder ausgedehnte Wundpflege
Routine: 1
häufig: 2
Drainagen
Pflege aller Drainagen (außer Magenschlauch)
3
Lunge
Mechanische/assistierte Beatmung, auch Spontanatmung mit PEEP oder Atemunterstützung (Spontanatmung ohne PEEP, O 2-Nasenschlauch/-maske)
Mechanisch: 5*
unterstützt: 2
Künstliche Luftwege
Pflege der künstliche Luftwege; Endotrachealtubus, Tracheostoma
1
Atemtherapie
Behandlung zur Verbesserung der Lungenfunktion: Physiotherapie, Inhalationen, Ergo-/Spirometrie
1
Herz/Kreislauf
Vasoaktive Medikamente
Jedes Medikament, jede Dosis
1 Medikament: 3
2 oder mehr Medikamente: 4*
Flüssigkeitstherapie
Hoher Volumenersatz i.v. (mindestens 5 I pro Tag)
4*
Arterie
5*
Pulmonaliskatheter
Mit oder ohne Messung des Herzzeitvolumens
8*
ZVK
Zentralvenöser Katheter
2
Reanimation
kardiopulmonale Reanimation nach Herzstillstand (ohne 1-maligen präkordialen Faustschlag)
3
Niere
Hämofiltration, Dialyse (diverse Techniken)
3*
Ausfuhr
quantitative Urinmessungen (z. B. über Katheter)
2
Diurese
aktive medikamentöse Diurese (z. B. Furosemid)
3
ZNS
Hirndruck
Messung des intrakraniellen Drucks
4*
Metabolismus
Azidose/Alkalose
Behandlung einer komplizierten metabolischen Azidose/Alkalose
4*
Ernährung
i.v. Hyperalimentation
3
Enterale Ernährung
Durch Magenschlauch oder über Jejunostomie
2
Interventionen
Besondere Interventionen auf der Intensivstation
Endotracheale Intubation, Einsetzen eines Schrittmachers, Kardioversion, Endoskopie, Notfalloperation, Magenspülung (keine Routineinterventionen)
1 Intervention: 3
2 oder mehr Medikamente: 5*
Interventionen außerhalb der Intensivstation
Besondere Interventionen außerhalb der Intensivstation, Diagnostik (z. B. CT) oder Operationen
5*
Die mit * gekennzeichneten Maßnahmen gehören zum Core-10-TISS
Mittlerweile gibt es mit dem NEMS (Tab. 1) eine noch weitere Reduktion des TISS-28 auf nur 9 Maßnahmen, allerdings mit neuer Punktgewichtung. Als Teil der Aufwandpunkte findet der Core-10-TISS Anwendung, eine weitere Kurzform des TISS-28. Dies sind gerade die 9 Items des TISS-28 (außer Standardmonitoring), die mindestens 4 Punkte ergeben, plus die Dialyse (Tab. 3).

Organversagenscores

Eine andere Gruppe von Scoresystemen beschreibt den Zustand eines Patienten über die Funktion seiner wichtigsten Organsysteme. Jedes Organ für sich genommen hat seine spezifischen Aufgaben im Organismus zu erfüllen, es lässt sich in der Regel räumlich gut abgrenzen, und sein Funktionszustand ist durch eine Anzahl direkter oder indirekter Messparameter zu erfassen. Die Nierenfunktion lässt sich beispielsweise gut über die Kreatininclearance beschreiben. Über die Vergabe von Punkten für jedes Organ, je nach Grad der Funktionseinschränkung, ergibt sich in der Summe wieder eine kumulative Gesamtzahl. Häufig werden auch therapeutisch notwendige Interventionen wie Beatmung oder Dialyse zur Beschreibung der Organfunktion mit herangezogen. Organversagenscores dienen in der Regel der Verlaufsbeobachtung, d. h. der wiederholten täglichen Anwendung und Dokumentation.

Spezifische vs. allgemeine Scores

Bei der Schweregradbeschreibung konkreter Krankheitsbilder finden sich mit zunehmender Komplexität der Erkrankung fließende Übergänge zwischen „Stadieneinteilung“, „Grading“, „Skalen“ und „Scores“, wobei die beiden Letztgenannten über die Kombination von Punktwerten zu einer Graduierung gelangen. Skalen wie die Glasgow Coma Scale beschreiben eher einen Teilaspekt des Patientenzustands.

Spezifische Scores

Scores, die sich nur auf ganz bestimmte Krankheitsbilder beziehen, betrachten nur eine für diese Situation spezifische Auswahl von Faktoren. Ein gutes Beispiel ist hier der Abbreviated Burn Severity Index von Tobiasen (Tobiasen et al. 1982) (ABSI), der die Schwere eines Verbrennungstraumas beschreibt). Eine Übersicht über traumaspezifische Scoresysteme ist z. B. in (Lefering 2012) zu finden.

Allgemeine Scores

Allgemeine oder krankheitsübergreifende Scores versuchen, Aspekte zu kombinieren, die allgemeine Indikatoren von Gesundheit oder Krankheit sind. Fieber, Tachykardie, Hyper-/Hypotonie oder Leukozytose/-penie sind solche Indikatoren. Bezogen auf die Intensivtherapie lassen sich solche Scores in der Regel auf alle Intensivpatienten anwenden. Die bekanntesten Beispiele solcher krankheitsübergreifenden Scores sind die APACHE-Scores von Knaus et al. (1981, 1985, 1991; Zimmerman et al. 2006) sowie die SAPS-Scores (Le Gall et al. 1993; Metnitz et al. 2006, S. 18) (Tab. 1 und 2).

Vergleich

Spezifische Scores haben den Vorteil, einzelne Aspekte einer Erkrankung deutlich stärker gewichten zu können als ein allgemeiner Score. Sie können auch spezielle Aspekte einbeziehen, die nur bei diesem Krankheitsbild von Bedeutung sind. Bei homogenen Patientengruppen kann dies von Vorteil sein. Beispiel: Der ABSI vermag die Prognose von Schwerverbrannten genauer vorherzusagen als der SAPS; das Gleiche gilt für traumaspezifische Scores bei Unfallopfern (Lefering et al. 1997). Betrachtet man allerdings ein gemischtes Patientengut, wie es bei klinikübergreifenden Ansätzen zur Qualitätssicherung geschieht, wird man ein krankheitsübergreifendes System wählen müssen.

Einmalerhebung versus Verlaufsbeobachtung

Scores sollten nur bei denjenigen Patienten und unter denjenigen Bedingungen angewendet werden, für die sie entwickelt und geprüft wurden. Diese Bedingungen, zu denen auch der Zeitpunkt bzw. der Zeitraum der Erhebung gehören, sind immer in der Originalpublikation angegeben und sollten beachtet werden.
APACHE II und III sowie SAPS II betrachten die schlechtesten Werte innerhalb der ersten 24 h nach Aufnahme auf die Intensivstation, der SAPS III nur in der 1. Stunde nach Aufnahme. Dem Ziel, den Zustand des Patienten bei Aufnahme zu erfassen, kommt damit der SAPS III deutlich näher, denn Veränderungen im Zustand des Patienten in den ersten 24 h können auch auf Interventionen oder deren Fehlen zurückzuführen sein.
Die meisten Organversagenscores erlauben eine täglich wiederholte Anwendung, ebenso die Scores zur Erfassung der therapeutischen Maßnahmen (TISS). Damit eignen sich beide zur Verlaufsdokumentation und -kontrolle und in ihrer kumulativen Form (Summe der Scorewerte über mehrere Tage) auch zur Klassifikation der gesamten Intensivtherapie – ähnlich den Liegetagen.
Der Zeitraum, der einer Scoreerhebung zugrunde liegt, beträgt meistens 24 h, wobei die schlechtesten Werte aus diesem Zeitfenster zu wählen sind. Der Multiple Organ Dysfunction Score von Marshall (Le Gall et al. 1993) dagegen wird täglich zu einem definierten Zeitpunkt erhoben (z. B. immer morgens) und erfasst die aktuellen Werte.
Abweichungen von den publizierten Vorgaben zur Scoreerhebung wie z. B. das tägliche Erheben des SAPS-II-Score für die Aufwandspunkte (Burchardi et al. 2004) sind nicht grundsätzlich unzulässig, bedürfen aber einer eingehenden Validierung und eines Hinweises bei der Publikation solcher abweichend erhobenen Daten.

Ziele der Anwendung von Scores

Ein Score ist die Reduktion einer komplexen Situation auf eine eindimensionale Skala, auf einen einzigen Wert. Dabei gehen Detailinformationen zugunsten einer Reduktion auf das Wesentliche verloren. Der Vorteil oder Gewinn liegt darin, ein objektives, reproduzierbares und patientenübergreifendes Maß zu besitzen, das eine Kommunikation über Krankheiten und deren Therapien wesentlich erleichtert. Dabei ist ein Score relativ unabhängig von der subjektiven, durch Emotionen und Erfahrung beeinflussten Einschätzung des Arztes.
Scores können eingesetzt werden, um die Erkrankungsschwere objektiv zu messen.
Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Scores nicht den Anspruch erheben, den Zustand eines Patienten besser beschreiben zu können als ein Arzt oder ihn ersetzen zu wollen. Die Gewichtung der einzelnen Informationen innerhalb eines Scores erfolgt immer statisch in gleicher Weise, was der Standardisierung förderlich ist, aber einem individuellen Patienten nicht immer gerecht wird. In dieser Funktion werden Scores in den folgenden Bereichen angewendet:

Schweregradklassifikation und Prognose

Das primäre Ziel der Intensivtherapie ist das Überleben eines Patienten, das Überwinden eines kritischen Gesundheitszustands und das Wiederherstellen normaler Organfunktionen. Scores versehen Werte außerhalb eines Normalbereichs mit Punkten, und dies umso mehr, je größer die Abweichung ist. Scores können somit den Grad der Abweichung von einem „gesunden“ Normalzustand quantifizieren, bezogen auf die im Score verwendeten Parameter. Wenn ein Score die für ein spezielles Krankheitsbild relevanten Parameter berücksichtigt, kann mit dem Scorewert der Schweregrad dieser Erkrankung festgelegt werden.
Die Ziele von Scores in der Intensivmedizin sind Schweregradbeschreibung und daraus angeleitete Prognoseschätzungen.
Da mit zunehmendem Schweregrad einer Erkrankung auch das Risiko für eine ungünstige Prognose steigt, lassen sich Scorewerte auch für prognostische Aussagen nutzen. Basis solcher Aussagen sind immer Daten großer Patientengruppen mit bekanntem Outcome. Die Gegenüberstellung von Scorewert und Letalität beispielsweise zeigt beim SAPS II eine deutliche Korrelation (Abb. 2). Anhand mathematischer Formeln lassen sich Scorewerte auch direkt in Überlebenswahrscheinlichkeiten transformieren (z. B. SAPS II [Le Gall et al. 1993]). Für den APACHE III und IV sind diese Formeln allerdings nicht publiziert worden. Prognostische Aussagen in Form von Wahrscheinlichkeiten lassen sich jedoch sinnvoll nur für Gruppen von Patienten interpretieren (Abschn. 5.1).

Forschung

Ziel klinischer Forschung in der Intensivmedizin ist das Erkennen und Beschreiben von Krankheitsbildern, deren Pathophysiologie sowie ihre therapeutische und supportive Beeinflussung zur Verbesserung des Outcome der Patienten. Hierzu ist es notwendig, über den Einzelfall hinausgehende verallgemeinernde Beschreibungen vorzunehmen, wozu sich Scores insbesondere eignen.

Einschlusskriterien

Um ein Krankheitsbild in klinischen Studien nachvollziehbar zu charakterisieren, können Scores als Einschlusskriterien dienen. Mit Hilfe von Scores können sehr leicht oder sehr schwer erkrankte Patienten ausgeschlossen werden, sodass sich eine Homogenisierung des Studienkollektivs ergibt. Die Konsensusdefinitionen der Begriffe „Sepsis“ und „SIRS“ („systemic inflammatory response syndrome“; [Bone et al. 1992]) haben dies deutlich gezeigt. Studien an Schädel-Hirn-Verletzten nutzen die Glasgow Coma Scale häufig zum Patienteneinschluss und zur Definition eines Komas (GCS ≤ 8).

Vergleichbarkeit

In kontrollierten Studien ist die Vergleichbarkeit der untersuchten Patientengruppen eine Grundvoraussetzung für die Interpretation der Ergebnisse. Eine korrekt durchgeführte Randomisierung bei hinreichend großer Fallzahl ist der beste Weg, um vergleichbare Patientengruppen zu erhalten. Doch trotz Randomisierung, und erst recht in nichtrandomisierten Vergleichsstudien, ist eine Prüfung der Strukturgleichheit der Patientengruppen unerlässlich. Scores als zusammenfassendes, objektives Maß zur Schweregradklassifikation leisten hier wichtige Dienste.

Outcomeevaluation

Scores spielen ferner eine immer wichtigere Rolle bei der Outcomeevaluation therapeutischer Maßnahmen. Neben Letalität und Morbidität (Komplikationsraten) findet man zunehmend über Scores definierte Endpunkte in klinischen Studien, wie das ARDS („adult respiratory distress syndrome“), definiert über den LIS von Murray et al. (1988), oder das Auftreten oder die Dauer eines Multiorganversagens, definiert über einen der verfügbaren Organversagenscores (Tab. 1). Kumulative TISS-Punkte spiegeln den tatsächlichen Therapieaufwand deutlicher wider als Liegetage (Lefering et al. 2000). Scores können als integratives Maß sowohl Inzidenz als auch Schweregrad verschiedener Ereignisse erfassen.

Qualitätssicherung

Die Qualität der Intensivtherapie definiert sich über deren Aufgabenstellung, nämlich schwerkranken Patienten durch supportive Maßnahmen über den kritischen Zustand hinweg zu helfen. Primärer Indikator der Ergebnisqualität ist das Überleben der Patienten. Jedoch sind Letalitätsraten ohne Angaben zur Erkrankungsschwere kaum zu interpretieren. Soll die Qualität der Intensivtherapie gemessen werden, kann dies einerseits anhand vorgegebener, definierter „Standards“ erfolgen, oder man vergleicht die Qualität verschiedener Stationen miteinander und erhält so einen relativen Qualitätsvergleich.
Es sei noch darauf hingewiesen, dass scorebasierte Vergleiche nur einen Aspekt im Rahmen des Qualitätsmanagements darstellen. Sie können auch verwendet werden, um Leitlinien zu erstellen. In den Bereich der Qualitätssicherung gehören auch alle Maßnahmen, die in den Routinebetrieb einer Intensivstation eingreifen, beginnend mit der Indikationsstellung für bestimmte therapeutische Maßnahmen (Abschn. 5.2 f.) bis hin zur Triage. Für Letztere sind allerdings die derzeit vorliegenden Scoringsysteme weder vorgesehen noch geeignet (Neugebauer et al. 1996).

Standardisierte Mortalitätsrate (SMR)

Scores können in diesem Zusammenhang als externer Standard dienen. Die mit einem Score berechnete Prognose ist quasi der Sollwert, dem die tatsächlich beobachtete Letalitätsrate (Istwert) gegenübergestellt wird. Die so ermittelte standardisierte Mortalitätsrate (SMR, Istwert dividiert durch Sollwert) sollte um 1 oder darunter liegen. Valide SMR-Werte benötigen jedoch eine große Fallzahl (Konfidenzintervall beachten) (Lefering 2012).
Der Sollwert bezieht sich immer auf die Population, mit welcher ein Score entwickelt wurde. Die SAPS II Prognose gibt beispielsweise an, wie die erwartete Sterblichkeit Anfang der 1990er-Jahre in Europa und USA war. Wenn Validierungsstudien zeigen, dass die Prognosen nicht mehr zutreffen, ist eine Anpassung an aktuelle Daten angezeigt. Die „alten“ Prädiktoren sind zwar heute immer noch aktuell, ihr Einfluss auf die Sterblichkeit kann sich aber mit der Zeit verändern.
Die Identifikation von Patientensubgruppen, in denen der Istwert deutlich größer ist als der Sollwert, d. h. mehr Patienten verstorben sind als gemäß Scoreprognose erwartet (SMR >1), führt über eine Detailanalyse möglicherweise zur Identifikation von Defiziten in der Patientenversorgung. Der Erfolg qualitätssichernder Maßnahmen lässt sich durch wiederholte Messungen ebenfalls mit dieser Methode quantifizieren.
Eine unentbehrliche Rolle spielen Scores zur Schweregradklassifikation, wenn die Ergebnisse verschiedener Abteilungen, Stationen oder Krankenhäuser im Sinne eines Benchmarking miteinander verglichen werden. Erst eine Schweregradadjustierung, beispielsweise mit der SAPS-II-Prognose, erlaubt hier sinnvolle Vergleiche (Lefering und IAG Qualitätssicherung der DIVI 2002).

Ökonomie

Die Intensivtherapie gehört zu den kostenintensivsten Maßnahmen im Gesundheitswesen; entsprechend hoch kann ihr Anteil am Krankenhausbudget sein. Daher ist nicht nur aus gesellschaftlicher Sicht eine Transparenz in der Verwendung dieser Mittel geboten.
Ökonomische Analysen werden häufig vorschnell mit Mittelkürzungen und Sparmaßnahmen gleichgesetzt. Sie sollen jedoch die tatsächlichen Kosten einer Behandlung möglichst valide wiedergeben, damit z. B. eine kostendeckende Vergütung dieser Maßnahmen möglich ist. Die häufig angewandte Abrechnung über Tagessätze ist insbesondere für die Intensivtherapie zu ungenau.
Eine detaillierte, bis ins Einzelne gehende Kostenanalyse ist wegen des enormen Aufwands aber nur selten durchführbar. Hier können Scoresysteme wie der TISS-28 (Reis Miranda et al. 1996) ein wesentlich genaueres Bild der tatsächlich verbrauchten Ressourcen liefern. Setzt man alle in einem bestimmten Zeitraum erbrachten Leistungen einer Station (gemessen mit TISS) in Relation zu den Gesamtkosten der Intensivtherapie in diesem Zeitraum, lässt sich ein Kostenwert pro TISS-Punkt berechnen.
Bei der Einführung von Aufwandspunkten zur Vergütung intensivmedizinischer Komplexbehandlung im DRG-System spielen Scoresysteme ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Aufwandspunkte als Basis der Vergütung kombinieren den täglichen therapeutischen Aufwand (Core-10-TISS: 10 Maßnahmen aus dem TISS-28; in der Tabelle mit * gekennzeichnet) mit dem Zustand des Patienten, gemessen mit dem SAPS II (ohne GCS) (Burchardi et al. 2004). Damit lässt sich der Aufwand besser abbilden als mit fixen Tagessätzen.

Ausbildung

Ein wichtiges, aber oft übersehenes Ziel von Scores ist der Ausbildungseffekt. Durch den Anspruch, die „wesentlichen“ Aspekte eines Krankheitsbilds oder des Zustands eines Patienten zu erfassen, erfolgt eine Fokussierung auf einige wenige Schlüsselparameter. Sofern nicht der falsche Schluss gezogen wird, dass die übrigen Parameter unbedeutend seien, kann die Beschäftigung mit Scores dem Anfänger eine durchaus hilfreiche Orientierung bieten.
Man kann auch lernen, dass diese Schlüsselparameter unterschiedliche Herkunft haben. Gerade der SAPS III-Score zeigt mit der Aufteilung der Prognosefaktoren in 3 Bereiche (Box I = vorbestehende Bedingungen; Box II = Aufnahmegrund; Box III = akute Physiologie), dass nur ein Teil der Faktoren intensivmedizinisch zu beeinflussen ist (Metnitz et al. 2006).
Scores sind eine Form der „gemeinsamen Sprache“, die sowohl die Kommunikation unter Intensivmedizinern als auch die Darstellung und den Transfer neuer Erkenntnisse fördern kann.

Entwicklung und Evaluation von Scores

Experte plus Statistik

Die Entwicklung eines Scores, d. h. die Auswahl der Parameter und die Festlegung der Punktwerte, beruht immer auf Vorerfahrungen, sei es die klinische Erfahrung von Experten oder die systematisch dokumentierte Verlaufsbeobachtung vieler Intensivpatienten (Abb. 3). Mit statistischen Verfahren lassen sich aus solchen Datensammlungen diejenigen Parameter identifizieren, die mit einem guten bzw. schlechten Outcome verbunden sind, und entsprechend multivariat kombinieren (z. B. mit Hilfe einer logistischen Regression). Ein gutes Beispiel für die interdisziplinäre Entwicklung eines Scores ist der SAPS III (Metnitz et al. 2006; Moreno et al. 2006). Anzumerken bleibt aber, dass erst unabhängige Validierungsstudien die Qualität eines Scores belegen können.

Bewertung von Scores

Bei der Frage, wie „gut“ ein Score ist, müssen mehrere Aspekte geprüft werden. Diese Aspekte beziehen sich sowohl auf die Eigenschaften des Scores als Messinstrument wie auch auf die Anwendbarkeit in der klinischen Situation.
Kriterien zur Bewertung/Auswahl eines Scores
  • Reliabilität (Zuverlässigkeit)
  • Validität (Gültigkeit)
  • Anwendbarkeit
  • Klinische Relevanz

Reliabilität

Bei der Zuverlässigkeit eines Scores steht die Frage im Vordergrund, ob der Score das, was er misst, genau und verlässlich misst.
Die Reliabilität ist unabhängig davon, ob das, was der Score zu messen vorgibt, tatsächlich so ist. Ein reliables Messinstrument kann auch sehr exakt das Falsche messen!
Kriterien guter Reliabilität sind verständlich definierte Komponenten, die eindeutige Wahl der Messwerte (z. B. höchster/niedrigster Wert der letzten 24 h), klare Punktwerte oder Vorgaben zum Verhalten bei fehlenden Werten. Die Verfügbarkeit der notwendigen Messparameter ist ebenfalls ein wichtiges Kriterium. Werden sehr spezifische Laborwerte benötigt, die viele Patienten nicht haben, verschlechtert dies die Reliabilität. Dies ist ebenfalls der Fall, wenn komplizierte Formeln oder aufwändige Untersuchungen benötigt werden.
Zur Prüfung der Reliabilität kann man Test-Retest-Untersuchungen durchführen oder den Score von mehreren Personen unabhängig voneinander erheben lassen und vergleichen (Inter-Rater-Reliabilität). Bekannte Quellen von Beobachtervariationen sind beispielsweise die Bestimmung der Glasgow Coma Scale bei sedierten und beatmeten Patienten, unklare Definitionen von Vorerkrankungen oder lange Beobachtungszeiträume bei sich rasch ändernden Messwerten wie Blutdruck oder Herzfrequenz. Dies ist auch der Grund dafür, dass die GCS bei den Aufwandspunkten (als Teil des täglichen SAPS II) nicht mit erfasst wird.

Validität

Ein Score ist valide, wenn er tatsächlich das misst, was er zu messen vorgibt.
Ein Score zur Schweregradklassifikation sollte Patienten, die aus klinischer Sicht tatsächlich schwer krank sind, deutlich höhere Punktwerte zuweisen als weniger schwer kranken Patienten.
Die Prüfung der Validität erfolgt einerseits durch die sog. „face validity“, d. h. man prüft, ob die im Score verwendeten Parameter „offensichtlich“ mit dem Ziel des Scores (Prognose, Schweregrad, Therapieaufwand) übereinstimmen. Andererseits gibt es formale Methoden zur Prüfung der Validität. Hierzu zählt beispielsweise ein Anstieg der Letalität bei steigenden Scorepunkten, wie in Abb. 2 für den SAPS II gezeigt. Es kann auch die Übereinstimmung (Korrelation) mit bekannten und akzeptierten Verfahren (z. B. anderen Scores) überprüft werden. Subgruppen von Patienten, die sich prognostisch unterscheiden, sollten auch im Scorewert Unterschiede zeigen.
Zeigt ein Prognosescore beispielsweise bei Anwendung auf neuen Daten oder durch unterschiedliche Nutzer eine vergleichbar gute Vorhersagegenauigkeit, ist dies ebenfalls ein deutlicher Nachweis der Validität. Auch in größeren zeitlichen Abständen sollte ein Score anhand aktueller Daten erneut validiert werden, um zu prüfen, ob seine Prognosen immer noch zutreffend sind.

Anwendbarkeit

Vor seiner Anwendung muss geprüft werden, ob der Score für die betrachtete Patientenpopulation überhaupt geeignet ist.
Bei der Anwendbarkeit stellt sich die Frage, ob ein Score für die Zielgruppe von Patienten geeignet ist, d. h. ob das betreffende Krankheitsbild identisch ist mit demjenigen, das die Entwickler des Scores betrachtet hatten. Ist dies nicht der Fall, sind erst Validierungsstudien durchzuführen, die möglicherweise die Aussagekraft des Scores einschränken.
Beispielsweise konnten mehrere Untersucher zeigen, dass der APACHE II die Prognose von Traumapatienten deutlich unterschätzt (Lefering et al. 1997). Mit den „Augen des Scores“ sieht ein operativ versorgter, stabilisierter junger Traumapatient besser aus, als es seiner tatsächlichen Situation entspricht. Scores für spezielle Subgruppen von Patienten, zum Beispiel der RISC-II für Schwerverletzte (Lefering et al. 2014), haben gegenüber allgemeinen Scores oft einen Vorteil, da sie zusätzlich spezifische Aspekte mit betrachten und so genauer den Zustand des Patienten beschreiben können. Kinder, Patienten mit Verbrennungen, Patienten mit kurzer Liegedauer oder solche nach kardiovaskulären Eingriffen sind weitere Gruppen, die oft bei der Entwicklung allgemeiner Intensiv-Scores ausgeklammert wurden.

Klinische Relevanz

Ein Score ist nur dann von Nutzen, wenn seine Ergebnisse klinisch gut interpretierbar sind.
Bei der Wahl eines Scores zur Beschreibung von Patienten oder als Zielgröße in klinischen Studien sollten die Ergebnisse klinisch gut interpretierbar und beobachtete Unterschiede klinisch relevant sein. Ein Scorewert an sich hat nur für denjenigen eine Bedeutung, der sich intensiv mit diesem Score befasst hat; daher ist die Verwendung allgemein bekannter Scores einer Neuentwicklung vorzuziehen. Scorewerte sollten sich leicht in klinische interpretierbare Größen übertragen lassen. Die Umrechnung eines Scorewerts in eine Prognose (Überlebenswahrscheinlichkeit) ist hierfür ein gutes Beispiel. Bei kumulativen TISS-28-Punkten (Summe der TISS-Punkte während des Intensivaufenthaltes) entsprechen 28 Punkte im Mittel einem Liegetag.
Will man mit einem Score das Outcome einer Intervention messen, sollten sich die erwarteten Effekte im Score deutlich widerspiegeln (Änderungssensitivität).

Sensitivität und Spezifität

Für Scores, die aufgrund ihres Wertes oder einer daraus abgeleiteten Wahrscheinlichkeit ein zukünftiges Ereignis vorhersagen (bei prognostischen Scores das Überleben oder Versterben eines Patienten), gibt es spezielle Kenngrößen, die die Güte oder Genauigkeit der Vorhersage quantifizieren. Für solche prognostischen Aussagen muss der Scorewert in eine Ja/Nein-Aussage verwandelt werden. Dies geschieht anhand eines Cut-off-Punkts, eines Grenzwerts. Beispielsweise könnte man allen Patienten mit einem initialen SAPS-II-Wert von 60 Punkten oder darüber ein Versterben prognostizieren. Kennt man nun das wahre Outcome dieser Patienten, lässt sich die Richtigkeit der Prognose ermitteln. Wenn man das für verschiedene Cut-Off Punkte durchrechnet, ergibt sich ein Bild von der Güte der Prognose.
Erhöht man beispielsweise beim SAPS II den Cut-off-Wert, verschlechtert sich die Sensitivität (immer weniger tatsächlich Verstorbene werden erkannt), und die Spezifität verbessert sich (immer mehr Überlebende liegen unterhalb des Wertes). Senkt man den Cut-off-Wert, ist dieser Trend gegenläufig.
Qualitätsmerkmale eines Scores zur Prognose der Letalität
Sensitivität
Richtigkeit der Prognose, bezogen auf alle verstorbenen Patienten.
Spezifität
Richtigkeit der Prognose, bezogen auf alle überlebenden Patienten.
Positiver Vorhersagewert
Richtigkeit der Prognose, bezogen auf alle vom Score als „versterbend“ prognostizierten Patienten.
Negativer Vorhersagewert
Richtigkeit der Prognose, bezogen auf alle vom Score als „überlebend“ prognostizierten Patienten.
Trägt man nun für jeden Cut-off-Punkt Sensitivität und Spezifität in ein Diagramm ein und verbindet diese Punkte, erhält man eine sog. ROC-Kurve („receiver operating characteristic“, Abb. 4). Ein Score ist umso exakter, je weiter sich seine ROC-Kurve in die linke obere Ecke der Grafik bewegt (hohe Sensitivität und zugleich hohe Spezifität). Ein Score ohne jegliche prognostische Information würde eine Diagonale ergeben.
Als zusammenfassendes Maß für die Güte eines Scores wird häufig die Fläche unter der ROC-Kurve berechnet (AUC = „Area Under the Curve“). Die Werte liegen hier zwischen 0,5 und 1,0; je höher der Wert, desto besser diskriminiert der Score. Flächen unter ROC-Kurven aus verschiedenen Publikationen sind aber nur bedingt vergleichbar, denn die Kollektive unterscheiden sich oft deutlich. Wenn viele leicht prognostizierbare Fälle enthalten sind, liegt der Score öfter richtig und die AUC steigt an.

Grenzen und Gefahren

Die Anwendung von Scores birgt aber auch Gefahren. Ähnlich wie bei Medikamenten müssen die „Nebenwirkungen“ bekannt sein. Die häufigsten Fehler ergeben sich aus dem fehlenden Wissen um die Intention von Scores und aus der Überbewertung der Ergebnisse. Dies gilt insbesondere für die Anwendung von Scores bei individuellen Patienten (Neugebauer et al. 1996).
Typische Fehlerquellen und Gefahren bei der Anwendung von Scoresystemen liegen in den Bereichen:
  • Interpretation,
  • Therapieentscheidung,
  • Therapieabbruch,
  • starre Komponenten,
  • Aktualität.

Interpretation

Insbesondere die Angabe einer scorebasierten Prognose in Form einer Wahrscheinlichkeit führt häufig zu Fehlinterpretationen. Was ist, wenn bei Aufnahme eines Patienten auf der Intensivstation der Score nur ein Letalitätsrisiko von 5 % prognostiziert, der Patient am Ende aber nicht überlebt? Hat sich der Score geirrt? Dies ist ein Problem der richtigen Interpretation von Wahrscheinlichkeiten. Kommen solche Fälle auf lange Sicht nicht häufiger als 1 in 20 Fällen vor (d. h. 5 %), dann entspricht dies genau dem Erwarteten. Ein Score kann aber nicht sagen, ob ein einzelner Patient zu den 5 % gehört, die diese Erkrankung nicht überleben werden, oder zu den übrigen 95 % (Abb. 1).

Therapieentscheidungen

Die Entscheidung für oder gegen gewisse Therapiemaßnahmen beruht auf vielen Aspekten. Da Scores viele Aspekte zu einem Gesamtwert kombinieren, könnte man meinen, solche Entscheidungen könnten sich am Scorewert allein orientieren. Dies würde aber einem Automatismus entsprechen, der auch falsche Entscheidungen induziert. Gerade wegen der vielfältigen Situationen, die zu einem bestimmten Scorewert führen (Abschn. 5.4), darf eine Therapieentscheidung nie allein auf einem Scorewert beruhen. Scorewerte können aber durchaus das Spektrum der verfügbaren Informationen erweitern und damit Therapieentscheidungen beeinflussen; das individuelle Abwägen können sie allerdings nie ersetzen.

Therapieabbruch

Scores können, wie gesagt, nur Prognosen in Form von Wahrscheinlichkeiten liefern, beinhalten also eine Unsicherheit. Bewegt sich eine Wahrscheinlichkeit aber gegen 0 % oder 100 %, werden daraus nahezu sichere Aussagen. Dies mag dazu verleiten, daraus auch für den Einzelpatienten Konsequenzen zu ziehen. Diese Sicherheit ist aber nur relativ. Eine aus einem Scorewert abgeleitete 100 %ig negative Prognose bedeutet lediglich, dass in dem Datensatz, der der Scoreentwicklung zugrunde lag, unter den wenigen Patienten mit gleich hoher Punktzahl keiner überlebt hatte. Es ist aber fraglich, ob unter diesen ein vergleichbarer Patient war. Zudem entwickelt sich die Medizin fort, und die Prognosen, beispielsweise des APACHE II, stammen aus dem Anfang der 1980er-Jahre.
Ein Scorewert beim Einzelpatienten, auch ein „100 %iger“, darf nur gemeinsam mit der individuellen Situation (Alter, Vorgeschichte, akutes Problem, Wünsche des Patienten etc.) interpretiert werden.

Starre Komponenten

In der Regel besteht ein Score aus der Summe einzelner, fest definierter Komponenten. Ein bestimmter Scorewert kann auf unterschiedliche Weise zustande kommen und viele unterschiedliche klinische Situationen repräsentieren.
Ein weiterer Punkt ist, dass die in einem Score berücksichtigten Parameter häufig synergistische Effekte zeigen, d. h., dass 2 Beeinträchtigungen „A“ und „B“ jede für sich nicht so schwerwiegende Folgen haben wie das gemeinsame Auftreten von „A“ und „B“. Um dies in einem Score zu berücksichtigen, müsste eine Punktvergabe variabel und in Abhängigkeit von den übrigen Parametern erfolgen. Dies würde aber sehr schnell zu komplexen Abhängigkeiten führen, die ihrerseits wieder validiert werden müssten. Scores sind daher nur Näherungswerte für den tatsächlichen Schweregrad einer Erkrankung.

Aktualität

Der Fortschritt der Medizin zeichnet sich nicht zuletzt auch in der Intensivmedizin ab. Daher ist ein regelmäßiges Hinterfragen der Scorekomponenten sowie deren Gewichtung unerlässlich. Auch liefern Validierungsstudien häufig Ergebnisse, die in eine Überarbeitung eingebracht werden sollten. Häufig verwendete Scoresysteme sollten regelmäßig aktualisiert werden, um dem Fortschritt der Medizin gerecht zu werden. Die Entwicklung des SAPS III wurde nicht zuletzt wegen der bereits über 10 Jahre alten Datenbasis des SAPS II initiiert.
Bei älteren Scores sollten die aus einem Score abgeleiteten Prognosen regelmäßig aktualisiert werden.
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