Lernziele
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kennen Sie die wichtigsten Autoantikörper (AK), die bei Patienten mit AK-assoziierter schizophreniformer Psychose ursächlich oder als Epiphänomen auftreten können,
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wissen Sie, wie eine organische Abklärung bei Verdacht auf Autoimmunenzephalitiden (AEs) durchzuführen ist,
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sind Sie in der Lage, die wichtigsten Differenzialdiagnosen zu nennen,
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haben Sie mögliche Off-label-Therapien kennengelernt.
Hintergrund
Pathophysiologie
Allgemein
Antigen | Neuropsychiatrisches Syndrom | Symptomatik | Tumorassoziation | Typischer Patient |
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Antikörper gegen neuronale Oberflächenantigene
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NMDA-R (GluN1) | Anti-NMDA-R-Enzephalitis | Psychose, epileptische Anfälle, Bewegungsstörungen, Katatonie, autonome Instabilität, Bewusstseinsstörungen | Abhängig von Alter und Geschlecht, Tumorassoziation insgesamt bei ca. 40 %, meist ovarielle Teratome | Junge Frau mit ovariellem Teratom und initialer Psychose |
CASPR2 | Morvan-Syndrom, limbische Enzephalitis | Gedächtnisstörung, Schlafstörung, Neuromyotonie, psychotische und depressive Symptome | Insgesamt bei ca. 20 % Thymome | Mittelalte oder ältere Patienten |
LGI1 | Limbische Enzephalitis | Gedächtnisdefizite bis zur Demenz, Verwirrtheit, Depression, akut-polymorph psychotische Symptomatik, faziobrachiale Anfälle, Hyponatriämie, REM-Schlafstörungen | Bei 5–10 % Thymome | Mittelalte oder ältere Patienten (Männer > Frauen) |
AMPA-R | Limbische Enzephalitis | Gedächtnisdefizite, Verwirrtheit, atypische Psychose | In ca. 65 %, meist mit Thymomen, kleinzelligen Bronchialkarzinomen und anderen Tumoren | Mittelalte oder ältere Patienten mit Bronchialkarzinom oder Thymom |
GABAB-R | Limbische Enzephalitis mit frühen und ausgeprägten Anfällen | Gedächtnisdefizite, Anfälle, orolinguale Dyskinesien | In ca. 50 %, meist mit kleinzelligem Bronchialkarzinom | Mittelalte oder ältere Patienten mit Bronchialkarzinom und ausgeprägten epileptischen Anfällen |
GABA
A
-R
| Enzephalitis mit therapierefraktären Anfällen, Status epilepticus | Therapierefraktäre Anfälle, Status epilepticus | Selten Thymome | Junge Patienten mit therapierefraktären Anfällen |
DPPX | Enzephalitis, Hyperekplexie | Verwirrtheit, kognitive Defizite, Diarrhö und andere gastrointestinale Symptome, Gewichtsverlust, Hyperekplexie, Wahnerleben, Halluzinationen | Lymphome in <10 % | Mittelalte bis ältere Patienten mit kognitiven Defiziten, Hyperekplexie, Diarrhö |
mGluR5 | Enzephalitis | Gedächtnisdefizite, Verwirrtheit, Verhaltensänderungen, emotionale Instabilität | In ca. 70 % mit Hodgkin-Lymphom assoziiert | Junge Erwachsene oft mit Hodgkin-Lymphon |
Neurexin-3-alpha | Enzephalitis | Prodromalsymptome (Fieber, Kopfschmerzen, gastrointestinale Beschwerden), Anfälle, Verwirrtheit, Bewusstseinsstörung, Verhaltensänderung, Agitation | Keine Tumorassoziation bekannt | Mittelalte Patienten mit Prodromalsymptomen und dann Trias aus Anfällen, Verwirrtheit und Bewusstseinsstörung (ähnl. der NMDAR-Enzephalitis) |
IgLON5 | Schlafstörung | Schlafapnoe, Non-REM- + REM-Schlafverhaltensstörung und Hirnstammdysfunktion (Dysphagie, Ataxie), Depression, Halluzinationen | Keine Tumorassoziation bekannt | Mittelalte bis alte Patienten mit Schlafverhaltensstörungen und Hirnstammsymptomen |
Glycin-R | PERM, Stiff-Person-Syndrom | Verhaltensänderungen, psychotische Symptome | In <5 %, dann Assoziation mit Thymom, Bronchialkazinom und Morbus Hodgkin | Mittelalte oder ältere Patienten mit Muskelsteifigkeit |
Antikörper gegen synaptische intrazelluläre Antigene
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GAD65 | Limbische Enzephalitis, Stiff-Person-Syndrom, Anfälle | Muskelrigidität, Spasmen, Anfälle, Hirnstammdysfunktion, Ataxie, bizarr anmutende Bewegungsstörungen, psychotische Syndrome, Autismus und ADHS-Symptome | Isoliert selten paraneoplastisch (Thymom oder kleinzelliges Bronchialkazinom) | Junge Frauen mit Anfällen |
Amphiphysin | Stiff-Person-Syndrom, Enzephalomyelitis | Rigidität, Spasmen, Verwirrtheit, Gedächtnisdefizite | >90 % Mammakarzinom, kleinzelliges Bronchialkarzinom | Mittelalte bis ältere Patienten (Frauen > Männer) mit Mamma- oder Bronchialkarzinom und Stiff-Person-Syndrom |
Antikörper gegen onkoneurale nichtsynaptische intrazelluläre Antigene
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Hu, Ri, Yo, CV2 (CRMP5), Ma1, Ma2 (Ta), SOX1, PCA-2, ANNA-3, Zic4, Ca/ARHGAP26, Tra | U. a. limbische Enzephalitis, zerebelläre Degeneration | Bunte neuropsychiatrische Symptomatik, Verhaltensänderungen, Neuropathien, Gangstörungen, Anfälle | In den meisten Fällen tumorassoziiert | Ältere Patienten meist mit Malignomen (Hu: Kleinzelliges Bronchialkarzinom, Ma2: testikuläres Seminom etc.) |
Antikörper gegen Schilddrüsengewebe
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TG/TPO, TRAK | Hashimoto-Enzephalopathie (SREAT) | Epileptische Anfälle, Verwirrtheit, Gedächtnisstörungen, Sprachstörungen, Verfolgungswahn, Myoklonien, schizophreniforme Störung | Keine Tumorassoziation bekannt | Mittelalte Frauen mit u. a. akut einsetzenden kognitiven Defiziten, Verfolgungswahn und Ansprechen auf Steroide |
„Rheumatologische Antikörper“
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ANAs (bei Positivität Anti-dsDNA, ENA-Differenzierung), APAs (Anti-β2-Glykoprotein-I-/Anticardiolipin-AK, Lupus-Antikoagulanz), ANCAs (bei Positivität Spezifizierung für MPO, PR3) | Neurolupus, Antiphospholipidsyndrom, Sjögren-Syndrom, Sklerodermie, ANCA-assoziierte Vaskulitis | Psychose, kognitive Defizite, affektive Störungen, Kopfschmerzen, Anfälle, Stroke-like-Episoden, Optikusneuropathie, Polyneuropathie, Schmetterlingserythem, diskoider Lupus, Photosensibilität, Calcinosis cutis, Raynaud-Phänomen, Teleangiektasien, Sicca-Symptomatik von Augen/Mund, Ulzera, Arthritis, Serositis, Nieren-/hämatologische Beteiligung, ösophageale Dysmotilität, Sklerodaktylie, Thrombose/Embolie, Plazentainfarkte, Rhinitis, Granulome, Hämopthysen, Lungeninfiltrate | Keine Tumorassoziation | Abhängig von Erkrankung, beim Neurolupus z. B. junge Frauen mit verschiedenen Organbeteiligungen |
Antikörpertypen
Antineuronale Antikörper
Schilddrüsen- und rheumatologische Antikörper
Diagnostik
Indikation für Antikörperdiagnostik
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Kombination aus akutem bzw. subakutem Beginn einer ersten psychotischen Episode ODER einer psychotischen Episode bei AE in der Vorgeschichte
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UND
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mindestens einem typischen klinischem Befund ODER
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mindestens einem typischen Verlaufszeichen ODER
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mindestens einem typischen Untersuchungsbefund.
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1. Anamnese
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Neuropsychiatrisch-internistische Anamnese:
| Risikofaktoren: Geburtskomplikationen? Neugeborenenikterus? Epileptische Anfälle/Fieberkrämpfe? Schädel-Hirn-Traumata? Abgelaufene Meningitiden oder Enzephalitiden? Infektionen? Allergien? Unverträglichkeiten? |
Immunologische/neurologische/kardiovaslukäre/Tumorvorerkrankungen?
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Noxen: Nikotinkonsum? Alkoholkonsum? Illegale Drogen? | ||
Aktuelle Systemanamnese (Zentralnervensystem? Gastrointestinal? Gelenke/Muskeln? B‑Symptome? Etc.?) | ||
Medikamentenanamnese:
| Mangelnde Antipsychotikaresponse? Malignes neuroleptisches Syndrom? | |
Erweiterte Familienanamnese:
| Psychiatrische/neurologische/immunologische oder Tumorerkrankungen in Familie? | |
2. Körperliche Untersuchung
| Neurologisch: Vigilanzstörungen? Dyskinesien? Dysphagien? Epileptische Anfälle? Aphasie und Dysarthrie? Fokale neurologische Defizite? Kopfschmerzen? | |
Internistisch: Fieber? Diarrhö? Autonome Instabilität? | ||
3. Neuropsychologische Untersuchungen
a
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Basisdiagnostik – Bedside-Screening:
a
| Z. B. Montreal Cognitive Assessment (MoCA) |
Erweiterte Diagnostik:
a
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Gedächtnis
| Verbal: Verbaler Lern- und Merkfähigkeitstest nach Ray (VLMT) | |
Visuokonstruktiv: Rey-Osterieth Complex Figure Test (ROCF) | ||
Aufmerksamkeit (Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung [TAP]: „Alertness“, geteilte Aufmerksamkeit)
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Arbeitsgedächtnis: Zahlenspanne vorwärts/rückwärts
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Frontalhirnfunktionen: Frontal Assessment Battery (FAB-D)
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Verhaltensänderungen bei Demenz: Neuropsychiatrisches Inventar (NPI)
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Prämorbide Intelligenz: Mehrfachwahl-Wortschatz-Intelligenztest (MWT-B)
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Alltagskompetenz: Instrumental Activities of Daily Living (IADL)
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4. Labor-, Liquor- und AK-Diagnostik
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Blutuntersuchungen:
| Differenzialblutbild, Elektrolyte (v. a. Natrium), Schilddrüsen‑/Leber‑/Nierenwerte, C‑reaktives Protein |
HIV-Test, Lues/Borrelien-Serologie | ||
Empfohlene Antikörperdiagnostik aus den Serum siehe Infobox 2 | ||
Liquordiagnostik:
| Zellzahl (Referenz ≤5/µl): Pleozytose (meist zw. >5 und 100 Zellen pro mm3)? | |
Liquoreiweiß (Referenz <450 mg/l), altersabhängiger Albuminquotient (Referenz: (4 + Alter/15) × 10−3): Blut-Hirn-Schranken-Funktionsstörung? | ||
IgG-Index (pathologisch >0,7), oligoklonale Banden im Liquor: Intrathekale Immunglobulinsynthese? | ||
Empfohlene Antikörperdiagnostik aus Liquor siehe Infobox 2 | ||
5. EEG
| (Temporale) Verlangsamungen? Epileptische Aktivität? Beta-Delta-Komplexe (sog. „extreme delta brush“)? | |
6. Bildgebung: MRT
a
, (FDG-PET)
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MRT (präferenziell 3T-Scanner):
| Empfohlene Sequenzena: FLAIR axial + FLAIR koronare Hippokampusdarstellung, T2 koronar, DWI axial und koronar, T2* axial oder SWI, T1 + KM axial, T1-MPRAGE (1 × 1 × 1 mm; vor KM) |
Fragestellungen: Mesiotemporale Hyperintensitäten? Frontal Hyperintensitäten? Atypische Atrophien? Multifokale demyelinisierende oder inflammatorische Läsionen? | ||
Ggf. FDG-PET (bei unklarer Befundlage):
| Fragestellungen: Mesiotemporaler Hypermetabolismus? Fronto-temporal-okzipitaler Gradient? | |
7. (Tumorscreening)
| Beim Nachweis antineuronaler, paraneolastischer Antikörper | |
Tumorspezifische Standarddiagnostik |
Erweiterte Anamnese
Neurologische und internistische Untersuchung
Neuropsychologische Untersuchungen
Labor- und Liquordiagnostik inklusive AK-Untersuchungen
Elektroenzephalographie
Bildgebung
Tumorscreening
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NMDA-R, CASPR2 („contactin associated protein 2“), LGI1 („leucine-rich, glioma-inactivated protein 1“), AMPA-R (α-Amino-3-Hydroxy-5-Methyl-4-Isoxazol-Propion-Säure-Rezeptor), GABAB-R (γ-Amino-Buttersäure-Rezeptor B), GAD65 (Glutamat-Decarboxylase 65, jeweils im Serum und Liquor)
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Hu, Ri, Yo (jeweils Initialen des erstbeschriebenen Patienten), CV2/CRMP5 („collapsin response mediator protein 5“), Ma2 [Ta], Amphiphysin (Screening im Serum, bei positivem Serumbefund: Liquoruntersuchung ergänzend möglich)
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TPO (Thyreoperoxidase), TG (Thyreoglobulin), TRAK (Thyreoideastimulierendes-Hormon-Rezeptor-Autoantikörper) und ANA (antinukleäre AK; jeweils im Serum)
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GABAA-R, DPPX („dipeptidyl-peptidase-like protein 6“), mGluR5 (metabotroper Glutamatrezeptor 5), Neurexin-3-alpha, IgLON5 (neuronales Zelladhäsionsprotein), Glycin-R (jeweils im Serum und Liquor)
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Bei ANA-Nachweis: AK gegen dsDNA (Doppelstrang-DNA) bzw. ENA(extrahierbare nukleäre Antigene)-Differenzierung, ggf. Komplementdiagnostik (CH50, C3, C4, C3d); ANCA (antineutrophile zytoplasmatische AK, ggf. Spezifizierung für MPO [Myeloperoxidase] und PR3 [Proteinase 3]), Antiphospholipid-AK (Anti-β2-Glykoprotein-I-AK, Anticardiolipin-AK, Lupus-Antikoagulans; jeweils im Blut)
Differenzialdiagnostik
Inflammatorische Differenzialdiagnosen | Nichtinflammatorische Ursachen |
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– Demyelinisierende ZNS-Erkrankungen (Multiple Sklerose, Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen, akute disseminierte Enzephalomyelitis etc.) – ZNS-Infektionen (Neuroborreliose, Neurosyphilis, M. Whipple, Herpes-simplex-Virus-Enzephalitis, HIV-Enzephalopathie, Creutzfeldt-Jakob-Krankheit etc.) – Andere rheumatologische Erkrankungen (Neurosarkoidose, Neuro-Behçet etc.) – Primäre ZNS-Vaskulitis – Andere immunologische Erkrankungen: Rasmussen-Enzephalitis, CLIPPERS | – Intoxikation (illegale Drogen) – „Inborn errors of metabolism“ (z. B. Niemann-Pick Typ C, akute intermittierende Porphyrie, Phenylketonurie, Glykogenspeichererkrankungen) – Mitochondriopathien – Schädel-Hirn-Traumata und andere traumatische Schädigungen des Schädels – Basalganglienerkrankungen (Morbus Parkinson, Chorea minor, Morbus Wilson, Pantothenat-Kinase-assoziierte Neurodegeneration, Huntington-Erkrankung etc.) – Endokrinologische Erkrankungen (Morbus Cushing, Steroidbehandlung etc.) – Neoplasien (Gliome, Lymphome, Meningeosis neoplastica etc.) – Toxisch-metabolische Ursachen (Antikonvulsiva; hepatische/urämische Enzephalopathie etc.) – Vitamindefizienz (B1, Folsäure, B12 etc.) – Epilepsien (Temporallappenepilepsie, iktale/interiktale/postiktale Psychosen, paraepileptische Psychosen etc.) – Vaskulär-hypoxische Schäden (strategische Infarkte etc.) – Neurodegenerativ-demenzielle Syndrome (Morbus Alzheimer, frontotemporale Demenz, Lewy-Body-Demenz etc.) |
Therapeutische Erfahrungen und Überlegungen
Ausblick
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GENERATE (GErman NEtwork for REsearch on AuToimmune Encephalitis): https://generate-net.de/
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S1-Leitlinie zu „Immunvermittelten Erkrankungen der grauen ZNS-Substanz sowie Neurosarkoidose“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN): https://www.dgn.org/leitlinien/2396-ll-32-2012-immunvermittelte-erkrankungen-der-grauen-zns-substanz-sowie-neurosarkoidose
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S3-Leitlinie „Schizophrenie“ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN): https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/038-009.html
Fazit für die Praxis
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Die Antikörper(AK)-Messungen sollten für etablierte antineuronale AK gegen Oberflächenantigene (NMDA-R, CASPR2, LGI1, AMPA-R, GABAB-R) und GAD65 im Serum und Liquor erfolgen.
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Eine psychotische Symptomatik wurde am häufigsten im Rahmen von Autoimmunenzephalitiden (AEs) mit Anti-NMDA-R, CASPR2, LGI1, AMPA-R und GAD65-R-Antikörpern sowie einigen systemischen Antikörpern (Anti-TPO-, -TG-AK und ANAs) beobachtet.
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Die Interpretation positiver Antikörperbefunde sollte immer im Kontext des klinischen Syndroms und der apparativen Zusatzbefunde erfolgen.
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Die Liquordiagnostik und das EEG sind die sensitivsten Methoden zur Detektion autoimmun-entzündlicher Prozesse, das MRT kann auch unauffällig sein.
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Immunsuppressive Behandlungsversuche im Sinne individueller Heilversuche beinhalten Steroide, Plasmapherese/Immunadsorption, intravenöse Immunglobuline („first line“) und Rituximab bzw. Cyclophosphamid („second line“).