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2020 | Buch

Pädiatrie

Grundlagen und Praxis

herausgegeben von: Prof. Dr. Georg F. Hoffmann, Prof. Dr. Michael J. Lentze, Prof. Dr. Jürgen Spranger, Prof. Dr. Fred Zepp, Prof. Dr. Reinhard Berner

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Über dieses Buch

Bewährt als Standardwerk für Kinder- und Jugendärzte in Klinik und Praxis, präsentiert die 5. Auflage lückenlos das gesamte aktuelle Wissen der Pädiatrie in zwei Bänden.

Der Erfahrungsschatz des erweiterten Herausgeberteams und der über 300 renommierten Autoren sorgt für exzellente didaktische und inhaltliche Qualität des Buches. In dem mehrbändigen Werk sind in über 350 Kapiteln alle organspezifischen Erkrankungen bis hin zu seltenen Krankheiten nach aktuellen Behandlungsleitlinien übersichtlich, prägnant und klar beschrieben.

Eingängige Übersichten und instruktive Abbildungen machen das Werk anschaulich. Knappe Literaturangaben geben am Ende jedes Kapitels die wichtigsten Übersichtsarbeiten zu jedem der pädiatrischen Themen und Spezialgebiete an. Die letzte Sektion widmet sich der Arzneimitteltherapie bei Kindern und bietet unter anderem ein Kapitel zur pädiatrischen Labordiagnostik und eine Übersicht über die Interaktion von Arzneimitteln in der Kinder- und Jugendmedizin.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Basiskonzepte der Kinder- und Jugendmedizin

Frontmatter
1. Basiskonzepte der Kinder- und Jugendmedizin
Zusammenfassung
Pädiatrie ist die auf die Betreuung von Kindern und Jugendlichen spezialisierte Disziplin der Medizin. Sie ist ein altersbegrenzter Teil der Allgemeinmedizin mit dem Anspruch, Kinder und Jugendliche im Kontext ihrer Lebenswelt ganzheitlich und umfassend zu betreuen. Ihre breite und vielfältige Differenzierung entspricht der Entwicklung der internistischen Spezialdisziplinen. Als Besonderheit hat sich dabei ein enges Verhältnis zwischen Pädiatrie und Genetik herausgebildet. Dies erklärt sich daraus, dass sich die meisten genetisch determinierten Krankheiten im Kindes- und Jugendalter manifestieren. Fortschritte der genetisch orientierten Medizin ermöglichen es, dass Kinder, die an früher tödlichen, heute aber beherrschbaren Krankheiten leiden, jetzt in guter Lebensqualität das Erwachsenenalter erreichen und selbst bei einer langjährigen Nachsorge eine gezielte Transition, d. h. eine strukturierte Überführung aus der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin erfahren.
Jürgen Spranger, Fred Zepp
2. Ethik in der Pädiatrie
Zusammenfassung
Ethik ist ganz generell die Theorie der Moral. Wenn man sich seiner moralischen Urteile sicher ist, benötigt man eigentlich zur Bestätigung keine Theorie. Das ändert sich aber spätesten dann, wenn man sein Verhalten rechtfertigen muss oder wenn in einer Gesellschaft Unsicherheiten über gültige moralische Grundsätze bestehen oder Neuerungen einen moralischen Konsens über deren Wertigkeit verlangen.
Dietrich Niethammer
3. Grundlagen der kindlichen Entwicklung
Zusammenfassung
Die Pädiatrie zeichnet sich als medizinisches Fachgebiet dadurch aus, dass sich der Kinderarzt mit einem Organismus beschäftigt, der sich ständig verändert. Das Kind wächst und entwickelt sich über viele Jahre. Es verändert seine Gestalt und eignet sich ständig neue Fähigkeiten und Verhalten an. Ausreichende Kenntnisse über die kindliche Entwicklung sind eine notwendige Voraussetzung, um Kinder und Jugendliche und ihre Familien umfassend betreuen zu können. In diesem Kapitel werden grundsätzliche Kenntnisse zur kindlichen Entwicklung in verschiedenen Entwicklungsbereichen, zu Entwicklungsmodellen und -theorien, zum Zusammenwirken von Anlage und Umwelt sowie zur Variabilität in der kindlichen Entwicklung vermittelt. Die Entwicklung in verschiedenen Altersperioden wird in separaten Kapiteln beschrieben.
Oskar Jenni
4. Wachstum und Entwicklung in der Pränatal- und Neugeborenenperiode
Zusammenfassung
Differenzierung, Spezifizierung und Wachstum des kindlichen Organismus sind nie größer als in der Pränatalperiode. Nach der Geburt muss sich das Kind an die neuen Lebensbedingungen anpassen. Dieses Kapitel beschreibt das Wachstum, die Entwicklung der Motorik, des Beziehungsverhaltens, des Ernährungs- und Schlafverhaltens sowie der kommunikativen Fähigkeiten vor der Geburt und in den ersten Lebenstagen.
Oskar Jenni
5. Wachstum und Entwicklung im Säuglingsalter
Zusammenfassung
Im 1. Lebensjahr ist das Kind auf vielerlei Weise damit beschäftigt, sich an die neue Umwelt anzupassen: an flüssige und feste Nahrung, an den Tag-Nacht-Wechsel, an die Schwerkraft und den Raum. Vor allem aber muss es mit den Bezugspersonen und der gegenständlichen Umgebung vertraut werden, die sein Gedeihen ermöglichen und seine Entwicklung gewährleisten. Für die Bezugspersonen dominieren in diesem Alter Themen rund um den Schlaf und die Ernährung. Dieses Kapitel beschreibt die wichtigsten Entwicklungsschritte im 1. Lebensjahr
Oskar Jenni
6. Wachstum und Entwicklung im Kleinkindalter
Zusammenfassung
Zwischen dem 2. und 5. Lebensjahr erweitert das Kind seine geistigen Kompetenzen mehr als in jeder anderen Altersperiode. So entwickelt es ein Verständnis für zeitliche, räumliche und kausale Zusammenhänge sowie eine für den Alltag ausreichende Sprache und Kommunikation. Diese Fähigkeiten machen das Kind zunehmend selbstständiger. Gleichzeitig bleibt es emotional so stark an seine Eltern und andere Bezugspersonen gebunden, dass es ohne sie nicht auskommen kann. Dieses Kapitel beschreibt die wichtigsten Entwicklungsschritte im Kleinkindalter.
Oskar Jenni
7. Wachstum und Entwicklung im Schulalter und in der Adoleszenz
Zusammenfassung
Zwischen 6 und 12 Jahren eignet sich das Kind die grundlegenden Kulturtechniken an. Akademische Fähigkeiten und ein vielfältiges Wissen werden ihm besonders durch die Schule und andere Institutionen vermittelt. Die Beziehungen zu den Gleichaltrigen bekommen für das Schulkind eine immer größere Bedeutung, während es sich langsam von seinen Eltern abzulösen beginnt. In der Adoleszenz werden Entwicklung und Wachstum abgeschlossen. Zuvor macht der Organismus einen letzten Entwicklungsschub durch. Ein hormonell ausgelöster Reifungsprozess bewirkt einen Wachstumsspurt, einen Gestaltwandel und das Auftreten der sekundären Geschlechtsmerkmale. Die kognitiven Fähigkeiten erweitern sich um neue Denkkategorien. Im Bindungs- und Sozialverhalten findet ein tiefgreifender Umbruch statt. Dieses Kapitel beschreibt die wichtigsten Entwicklungsschritte und Wachstumsprozesse zwischen 6 und 18 Jahren.
Oskar Jenni

Krankheitsprävention

Frontmatter
8. Krankheitsfrüherkennungsuntersuchungen
Zusammenfassung
Früherkennungsuntersuchungen sind sekundäre Präventionsmaßnahmen. Als Instrumente dienen dazu Screeningtests. Inhalte und Zeitpunkte legt in Deutschland der Gemeinsame Bundesausschuss in der sog. Kinder-Richtlinie und der Richtlinie zur Jugendgesundheitsuntersuchung fest. Schwerpunkte sind zunächst die postnatale Adaptation, äußere Fehlbildungen, kritische Herzfehler, seltene Hormon- und Stoffwechselstörungen, Mukoviszidose, Hörstörungen, Katarakt, Gallenwegsatresie und Hüftdysplasie. Es schließt sich ein kontinuierliches Screening auf Störungen der motorischen und psychosozialen Entwicklung, des Sehens und von Wachstum und Gedeihen an. Punktuell wird nach chronischen Nierenkrankheiten gefahndet. Im Jugendalter richtet sich das Screening zusätzlich auf Pubertätsstörungen, seelische Probleme, Drogenkonsum, familiäre Hypercholesterinämie und schulische/berufliche Entwicklung. In letzter Zeit wurden primärpräventive Beratungselemente hinzugefügt.
Burkhard Lawrenz
9. Hüftgelenkdysplasie und postnatales Hüftgelenkscreening
Zusammenfassung
Bei der Hüftgelenkdysplasie handelt es sich um eine mangelnde Überdachung des Hüftkopfes durch eine dysplastische Hüftpfanne. Bei der Hüftluxation hat der Hüftkopf die Hüftpfanne bereits verlassen. Davon abzugrenzen sind die teratogene und die neurogene Hüftluxation. Die klinische Untersuchung ist zur sicheren Diagnose einer Hüftreifungsstörung nicht geeignet. Das Röntgen hat vor dem 3. Lebensmonat mangelnde Aussagekraft und die Magnetresonanztomografie außer zur Repositionsbeurteilung keine breite Anwendung. Die Einführung der Hüftsonografie nach Graf ermöglicht die sichere Beurteilung einer Hüftreifungsstörung. Es werden reproduzierbare Bilder durch die Mitte der Gelenkpfanne angefertigt. Die Einteilung wird in 4 Haupttypen vorgenommen. Eine altersbezogene Feindifferenzierung ermöglicht eine abgestimmte Therapie: Reposition bei luxierten und dezentrierten Gelenken, danach stabile Retention in einer sog. Sitz-Hock-Stellung, anschließend erfolgt die Phase der Nachreifung mit Flexionsorthesen. Die Hüftsonografie wurde in Österreich 1992 und in Deutschland 1996 als Screeninguntersuchung eingeführt. Das führte zu einer signifikanten Reduktion der Behandlungszahlen.
Gerolf Schweintzger
10. Neugeborenenscreening
Zusammenfassung
In Deutschland sind nach den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses von Ärzte- und Krankenkassenvertretern (G-BA) derzeit die aufgeführten Zielkrankheiten für ein allgemeines labordiagnostisches Screening empfohlen. Wie auch für andere Screeningaktivitäten (das Hörscreening, das Ultraschallscreening auf angeborene Hüftdysplasien oder das Hypoxiescreening auf angeborene zyanotische Herzvitien) ist der Grundgedanke, dass das neonatale Erkennen von Krankheiten dem Kind einen Benefit verschafft, der in vernünftigem Verhältnis zur Summe aller Nachteile der Maßnahme (finanzielle Kosten, Nebenwirkungen der Diagnostik, negative Effekte falsch-positiver Ergebnisse u. a. m.) steht. Für die WHO wurden durch Wilson und Jungner 1968 erstmals Kriterien für solche Screeningprogramme formuliert und seitdem mehrfach modifiziert.
René Santer, Alfried Kohlschütter, Annerose Keilmann
11. Rachitisprophylaxe
Zusammenfassung
Im gesamten 1. Lebensjahr sollte unbedingt eine Vitamin-D-Prophylaxe durchgeführt werden. Besonders bei Kindern und Jugendlichen mit einem erhöhten Risiko für eine Vitamin-D-Mangelrachitis ist auf eine adäquate Vitamin-D-Zufuhr zu achten.
Dirk Schnabel
12. Jodprophylaxe der Struma
Zusammenfassung
Etwa 75 % des Körperjods wird in der Schilddrüse gespeichert, weitere Orte sind die Speicheldrüsen, die Magenschleimhaut sowie die laktierenden Brustdrüsen. Jod, das nicht gespeichert wird, wird renal ausgeschieden. Indirekt kann aus diesem Zahlenwert die Jodversorgung ermittelt werden. Konzentrationen von 100–299 μg Jod/l Urin werden von der WHO als ausreichende Versorgung definiert. Der Zusammenhang von Jodversorgung, Schilddrüsenvolumen und Synthese von Tetrajodthyronin (T4, Thyroxin) ist seit langem bekannt. Ein Spektrum von Störungen infolge eines Jodmangels wird zusammenfassend als „iodine deficiency disorders (IDD)“ bezeichnet. Bereits ein milder Jodmangel kann zu einer gestörten Hirnentwicklung führen. Ebenso ist ein chronischer Jodmangel Ursache für die Entstehung einer Struma (multi-)nodosa und einer Schilddrüsenautonomie. ‚Ein chronischer Jodmangel, der nicht behandelt wird, hat eine Hypothyreose und einen Kleinwuchs zur Folge‘.
Klaus Mohnike
13. Impfungen und Reiseimpfungen
Zusammenfassung
Impfungen durch aktive Immunisierungen gehören zu den wirkungsvollsten und kostengünstigsten Präventivmaßnahmen der modernen Medizin. Neben dem individuellen Schutz der geimpften Person lässt sich bei einem hohen Durchimpfungsgrad durch die meisten heute empfohlenen Impfungen auch die Zirkulation des entsprechenden Krankheitserregers vermindern. Der resultierende Kollektivschutz der Bevölkerung (Herdenprotektion) schützt indirekt auch nichtgeimpfte Personen vor einer impfpräventablen Infektionskrankheit. Bei hohen Durchimpfungsraten ist es sogar möglich, Krankheitserreger, deren einziges Reservoir der Mensch ist, regional zu eliminieren und schließlich weltweit auszurotten, wie es am Beispiel der Pocken erfolgreich demonstriert wurde. Mit der breiten Nutzung von wirksamen und sicheren Impfstoffen hat die Inzidenz von impfpräventablen Infektionskrankheiten im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts weltweit eindrucksvoll abgenommen. Passive Immunisierungen kommen bei ausgewählten Indikationen insbesondere zur Postexpositionsprophylaxe zum Einsatz und vermitteln nur einen passageren Immunschutz.
Fred Zepp, Markus Hufnagel
14. Zahnärztliche Untersuchung und Prophylaxe
Zusammenfassung
Die Kariesprävention ist in Deutschland eine außerordentliche Erfolgsgeschichte, allerdings vorrangig in der permanenten Dentition. Im Milchgebiss sind die Kariesrückgänge deutlich geringer und die frühkindliche Karies//Nuckelflaschenkaries ist konstant die häufigste chronische Infektionserkrankung bei Kindern, die oft nur durch eine zahnärztliche Sanierung unter Narkose therapiert werden kann. Die wissenschaftliche Evidenz und internationale Leitlinien empfehlen das Zähneputzen vom 1. Zahn an mit fluoridhaltiger Zahnpaste, da dies über die Zahnbelagsentfernung als auch die begleitende Lokalfluoridierung sehr wirksam ist. Gleichzeitig wird die regelmäßige Mundhygiene frühzeitig zur Routine. Systemische Ansätze mit einer Supplementierung durch Tabletten werden international nicht mehr präferiert.
Christian H. Splieth

Kind und Gesellschaft

Frontmatter
15. Prävention und Epidemiologie
Zusammenfassung
Prävention hat einen bevölkerungsbezogenen Ansatz. Durch Vorsorgemaßnahmen bei primär Gesunden bzw. gesund Erscheinenden sollen Erkrankungen verhindert werden. Epidemiologie beschäftigt sich mit dem Auftreten von und Risikofaktoren für Krankheiten in Bevölkerungen. Hierbei stehen zunächst die Häufigkeit der Erkrankung bzw. Veränderungen der Häufigkeit im Zentrum des Interesses. Deshalb ist die Kenntnis epidemiologischer Methoden für die Konzeption und Bewertung von Prävention unverzichtbar. Die im Kontext der einzelnen Erkrankungen möglichen spezifischen Präventionsmaßnahmen werden bei den jeweiligen Zielkrankheiten und Programmen dargestellt. Prinzipien der Prävention und die hierbei zugrunde liegenden epidemiologischen Konzepte sind Inhalt dieses Beitrags. Wann ist Prävention möglich? Wann notwendig? Wie kann die Wirksamkeit überprüft werden?
Rüdiger von Kries
16. Soziale Faktoren und „neue Morbidität“
Zusammenfassung
Bei fast allen Krankheitsbildern gibt es einen markanten sozialen Gradienten, d. h. ein steigendes Erkrankungsrisiko bei sinkendem Sozialstatus, auch in „entwickelten“ Staaten mit gut ausgebautem und sozial ausgleichendem Gesundheitswesen. So haben z. B. Erhebungen in England ergeben, dass in den 1990er-Jahren noch immer die Säuglings- und Kindersterblichkeit sowie die Morbidität an vielen somatischen Krankheiten bei Kindern der untersten Sozialschicht im Durchschnitt etwa doppelt so hoch waren wie in der obersten Sozialschicht.
Knut Brockmann, Hans Georg Schlack, Christiane Deneke, Fuat Aksu
17. Plötzlicher Kindstod
Zusammenfassung
Der plötzliche Kindstod wird in den offiziellen Statistiken von Ländern mit gut ausgebauter Gesundheitsversorgung als häufigste Todesart im Säuglingsalter jenseits der Neugeborenenzeit angegeben. Obwohl bereits in der Bibel erwähnt (1. Buch Könige 3:19), wurde erst vor ca. 50 Jahren der Versuch unternommen, ihn als eigenständige Entität zu definieren.
Christian F. Poets, Gerhard Jorch
18. Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung
Zusammenfassung
Kindesmisshandlung ist eine nicht zufällige, bewusste oder unbewusste, meist wiederholte, gewaltsame körperliche und/oder seelische Schädigung von Kindern und Jugendlichen durch Handlungen oder Unterlassungen. Gewalt gegen Kinder und Jugendliche kann verschiedene Formen annehmen: körperliche, sexuelle und seelische Gewalt, körperliche und seelische Vernachlässigung. Es lassen sich aktive und passive Formen unterscheiden, wobei häufig verschiedene Formen koexistieren.
Bernd Herrmann, Ingo Franke, Meinolf Noeker
19. Internet- und Computersucht
Zusammenfassung
Moderne digitale Kommunikationsmedien sind heute selbstverständlicher Bestandteil der Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen. Mit zunehmendem Alter steigt die mediale Ausstattung der Kinder- und Jugendzimmer an. Mit bis zu 7 Stunden durchschnittlicher Bildschirmnutzungszeit pro Tag im Jugendalter ist dies die dominierende Freizeitbeschäftigung geworden und hat andere Aktivitäten verdrängt, wie Sport, Treffen mit Freunden, Lesen oder Familienunternehmungen. Je reichhaltiger die mediale Ausstattung der Kinder- und Jugendzimmer, desto mehr Zeit wird mit digitalen Medien verbracht und desto problematischer sind die konsumierten Inhalte. Dies wirkt sich nachweislich negativ auf die Schulleistungen aus. Auch somatische Folgeschäden wie Adipositas, Schlafstörungen, Kurzsichtigkeit oder Haltungsschäden entwickeln sich vermehrt.
Christoph Möller
20. Substanzmissbrauch
Zusammenfassung
Der Konsum von Alkohol und illegalen Drogen ist im Kindes- und Jugendalter weit verbreitet, er stellt aber für die Mehrzahl der Jugendlichen ein vorübergehendes, auf die Adoleszenz begrenztes Entwicklungsphänomen dar. Nur ein Teil der mit Substanzkonsum erfahrenen Jugendlichen entwickelt relevante Missbrauchs- oder Abhängigkeitsformen (sog. substanzbezogene Störungen). Bei diesen Jugendlichen treffen häufig genetische und lebensgeschichtlich früh auftretende psychosoziale Belastungen mit den problematischen Folgen des Substanzmissbrauchs in der Adoleszenz zusammen. In diesem Fall ist die frühzeitige Einleitung einer kinder- und jugendpsychiatrischen, suchtspezifischen Diagnostik und Therapie geboten.
Rainer Thomasius
21. Unfälle und Unfallverhütung
Zusammenfassung
„Das Leben ist lebensgefährlich“ – eine Weisheit, die nicht des Pudels Kern trifft. Denn Gefahren, nicht nur die lebensgefährlichen, können vermindert oder gar außer Kraft gesetzt werden. So sind die Unfallzahlen der letzten Jahrzehnte deutlich zurückgegangen. Vor allem die „harte“ Zahl der tödlichen Unfälle ist in den letzten 30 Jahren in Europa um rund 85 % gesunken. Nicht alle Unfälle mit tödlichen oder schweren Verletzungen sind vermeidbar. Viele – spezifisch bis zu 50 % – der Verletzungen können jedoch verhindert oder in der Schwere reduziert werden. In deutschsprachigen Ländern beträgt unter Berücksichtigung aller Bagatellbehandlungen bei Kindern die Injury Rate rund 200/1000. Der Entwicklungsstand eines Kindes und seine psychomotorischen Fähigkeiten sind ausschlaggebend dafür, ob und wie es die Gefahren des täglichen Lebens erkennen, mit ihnen umgehen und präventive Maßnahmen ergreifen kann – der richtige Mix aus Protektion und Edukation ist gefragt. Es ist unmöglich und nicht sinnvoll, Kinder in einem gefahrensterilen Raum aufwachsen zu lassen. Die Maxime in der Präventionsarbeit muss lauten „so viel wie nötig“, und nicht „so viel wie möglich“.
Peter Spitzer, Michael E. Höllwarth
22. Pädiatrische Umweltmedizin
Zusammenfassung
Bei der Umweltmedizin handelt es sich nicht um eine klinische Disziplin. Wohl aber werden etwa vom Öffentlichen Gesundheitsdienst, von Gewerbeaufsichtsämtern und weiteren mit der Umwelt befassten Behörden primärpräventive Ansätze verfolgt werden müssen. Die „klassischen“ chemischen und physikalischen „Schadstoffe“ und Gefährdungen, über die vor 20 und 30 Jahren viel diskutiert worden ist, spielen heute eine geringere Rolle. Es gibt neue, oft persistente, also nur sehr langsam abbaubare Noxen, die in Mengen von Hunderttausenden und Millionen Tonnen jährlich produziert und freigesetzt werden: Duftstoffe (Nitromoschussubstanzen), Weichmacher (Phthalate), perfluorierte Tenside (PFT), Flammschutzmittel (polybromierte Diphenylether), Bisphenol A und viele Pflanzenschutzmittel (u. a. Glyphosat). Diese Substanzen haben z. T. kanzerogene und gentoxische Eigenschaften. Letztlich gibt es insbesondere für uns Kinderärzte ein gesellschaftliches Legat, für eine nachhaltige Entwicklung dieser Welt zu sorgen, sodass auch kommende Generationen nicht von anthropogen bedingten vermeidbaren Krankheiten bedroht werden. Unsere Welt muss „enkeltauglich“ bleiben.
Karl Ernst von Mühlendahl
23. Schadstoffe und Atemwegserkrankungen
Zusammenfassung
Mehrere schwere Smogepisoden in den USA 1930 und 1948 sowie 1952 in London, die zu einem Anstieg der Mortalität respiratorischer Krankheiten geführt haben, zeigten die mögliche Gefährdung weiter Schichten der Bevölkerung durch extrem hohe Luftschadstoffbelastungen auf. Obwohl seitdem die Schadstoffkonzentrationen deutlich gesunken sind, ist die Besorgnis geblieben. Dies hat zu einer regen Forschungstätigkeit geführt, wobei jedoch in den letzten Jahren zunehmend erkannt wurde, dass nicht nur eine Schadstoffbelastung der Außenluft von Bedeutung sein könnte, sondern dass die allgemeinen Lebensbedingungen und die Schadstoffbelastung in Innenräumen, in welchen sich die meisten Menschen zu 70–90 % ihrer Zeit aufhalten, eine mindestens genauso große Beachtung erhalten sollten. Insbesondere kommt der passiven Tabakrauchexposition die größte Bedeutung bei der Entstehung von Atemwegskrankheiten im Kindesalter zu. Bei den Schadstoffen PM2,5 und NO2 ist ein kausaler Zusammenhang mit der Entstehung von Asthma bronchiale, allergischer Sensibilisierung und Heuschnupfen nicht eindeutig gezeigt worden, allerdings können sie Asthmaanfälle auslösen.
Erika von Mutius, Joachim Heinrich
24. Chronische Krankheiten und Rehabilitation
Zusammenfassung
Chronische Gesundheitsstörungen sind nach der Definition im deutschen Sozialrecht Krankheiten mit einer Dauer von mehr als 6 Monaten. Von Behinderung wird gesprochen, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 SGB IX). Die Unterscheidung zwischen „chronischer Krankheit“ und „Behinderung“ ist demnach unscharf, deshalb werden zunehmend beide Begriffe durch den gemeinsamen Oberbegriff „chronische Gesundheitsstörung“ ersetzt. Eine chronische Gesundheitsstörung kann auch dann vorliegen, wenn Funktionsstörungen und subjektive Krankheitslast durch kontinuierliche medizinische oder pflegerische Maßnahmen weitgehend kompensiert oder minimiert werden: Man spricht dann von „besonderem Versorgungsbedarf“.
Knut Brockmann, Rainer Blank, Markus A. Landolt, Hubertus von Voss, Raimund Schmid, Hans Georg Schlack
25. Entwicklungsstörungen und Behinderungen
Zusammenfassung
Die Beurteilung der kindlichen Entwicklung ist eine zentrale Aufgabe des Kinder- und Jugendarztes. Sie ist Bestandteil der Vorsorgeuntersuchungen (U1–U11, J1-2) oder erfolgt auf Nachfrage der Eltern. Die Abklärung der Ätiologie einer Entwicklungsstörung ist im Hinblick auf die Einleitung oder Anpassung einer adäquaten Therapie und Entwicklungsförderung, Erfassung von Komorbiditäten, Integration in die Familienbiografie und weitere Familienplanung von großer Bedeutung. Mit zunehmender Kenntnis und Abklärungsmöglichkeit genetischer Ursachen (besonders Chromosomenstörungen, monogene Ursachen) gewinnt die Mitbeurteilung durch einen Humangenetiker an Bedeutung. Eine medizinisch-kausale Therapie ist bisher allerdings nur bei einzelnen behandelbaren Krankheitsbildern (u. a. einige angeborene Stoffwechselkrankheiten) möglich. Für die Mehrzahl der Entwicklungsstörungen stehen medizinisch orientierte (Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie) und psychologisch-pädagogische Fördermaßnahmen im Vordergrund. Diese sollten rational begründet und an die Symptomkonstellation angepasst eingesetzt werden. Hierzu ist der Bezugsrahmen der International Classification of Functioning, Disability and Health, Children and Youth (ICF-CY) der WHO nutzbar.
Ute Moog, Rainer Blank
26. Pädiatrische Sportmedizin
Zusammenfassung
Die pädiatrische Sportmedizin befasst sich mit der motorischen Entwicklung, Trainierbarkeit und den Auswirkungen von Sport im Kindes- und Jugendalter sowie den Risiken durch Verletzung und Sportschaden. In den letzten Jahrzehnten richtet sich der Fokus dieser Disziplin zusätzlich auf präventiv und therapeutisch nutzbare Effekte des Sports. Durch die deutschlandweite KiGGS-Studie und ihre Folgeerhebungen liegen belastbare Daten zum Bewegungsverhalten vor. Standardisierte inhaltliche, personelle und apparative Voraussetzungen sowie die evidenzbasierte Anwendung sportmedizinischer Methoden, können im Rahmen einer pädiatrisch-sportmedizinischen Untersuchung Sicherheit bei der Sportausübung geben und das Verletzungs- und Erkrankungsrisiko verringern. Kinder mit Herzfehlern, Asthma, Adipositas, Diabetes mellitus, ADHS u. a. profitieren von angepassten und supervidierten Bewegungsinterventionen. Angeleiteter Sport und regelmäßige Bewegung wird auch bei hämatologisch-onkologischen Erkrankungen im Krankenhaus angeboten. Vervollständigt wird dieses Kapitel durch eine kurze Übersicht über die Strukturen und Fördermöglichkeiten für leistungsorientierte junge Athleten.
Andreas Rosenhagen, Eszter Füzéki, Winfried Banzer

Ernährung, Wasser- und Mineralhaushalt

Frontmatter
27. Grundlagen der Ernährung
Zusammenfassung
Die deutschsprachigen Länder erstellen gemeinsame Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr, die regelmäßig aktualisiert werden. Ihre Ableitung entspricht im Wesentlichen der anderer Länder. Trotzdem zeigen Vergleiche mit den Referenzwerten anderer Länder und der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority, EFSA) Unterschiede für einzelne Nährstoffe oder einzelne Lebensalter. Diese, quantitativ meist nicht sehr großen Abweichungen, sind durch Unterschiede in der Herangehensweise und in der Definition von Referenzwerten zu erklären. In Abhängigkeit vom gegenwärtigen Kenntnisstand werden in den deutschsprachigen Ländern Empfehlungen, Schätzwerte und Richtwerte unterschieden. Empfehlungen werden vom experimentell ermittelten oder aus langfristigen Erhebungen erschlossenen durchschnittlichen Bedarf einer vor allem nach Alter und Geschlecht definierten Bevölkerungsgruppe abgeleitet, indem gewöhnlich ein Zuschlag von 20–30 % addiert wird, der größenordnungsmäßig einer hypothetischen doppelten Standardabweichung entspricht. Allerdings gibt es für ältere Säuglinge und Kinder nur wenige experimentelle oder verlässliche langfristige Beobachtungsstudien, sodass ihre Referenzwerte meistens von Erwachsenenwerten extrapoliert werden müssen. Dies geschieht entweder mit Bezug auf Referenzkörpergewichte oder – seltener – mit Bezug auf den Referenzenergiebedarf.
Mathilde Kersting, Hildegard Przyrembel
28. Normale Ernährung von Neugeborenen und Säuglingen
Grundlagen und Umsetzung in Deutschland, Österreich und Schweiz
Zusammenfassung
Die Entscheidung der Mutter über die Ernährung ihres Säuglings fällt in der Regel schon vor der Geburt. Deshalb sollte im Rahmen der Geburtsvorbereitung von erfahrener Seite auch über Säuglingsernährung aufgeklärt werden. Wer dies tut (Frauenarzt oder Hebamme, Kinderarzt, Kinderkrankenschwester oder Laktationsberaterin) spielt keine Rolle, entscheidend sind einvernehmliche umfassende Sachkenntnisse und eine einfühlsame Darstellung. Dazu ist auch eine systematische Weiterbildung des Klinikpersonals und eine entsprechende Betreuung der Mütter während des Klinikaufenthalts unumgänglich. Nur so lassen sich Ängste und Nervosität bei der Mutter und damit Unruhe beim Kind sicher vermeiden, die ein erfolgreiches Stillen gefährden. Eine intensive Stillförderung, wie sie u. a. von WHO und UNICEF mit der weltweiten „Baby-Friendly Hospital Initiative“ eingeleitet wurde, verdient jegliche Unterstützung von Seiten der Kinderärzte. Dazu gehören u. a. die Ermöglichung des initialen Hautkontaktes zwischen der Mutter und ihrem Neugeborenen, das ihr auf den Bauch gelegt wird, das Anlegen des Neugeborenen innerhalb der ersten 1 bis 2 Stunden post partum, die Beschränkung einer Zufütterung auf die wenigen wirklich indizierten Fälle, gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind (Rooming-in) sowie kundige, widerspruchsfreie und warmherzige Beratung und Betreuung. Säuglinge, die nicht gestillt werden, erhalten nach den gesetzlichen Regelungen hergestellte Säuglingsanfangsnahrung oder nach Einführung von Beikost eine Folgenahrung. Beikost wird frühestens ab dem Beginn des 5. Lebensmonats und spätestens ab dem Beginn des 7. Lebensmonats eingeführt, je nach der individuellen sensomotorischen Entwicklung des Säuglings und in gleicher Weise für Kinder mit und ohne familiär erhöhtes Allergierisiko. Gegen Ende des 1. Lebensjahres geht die spezielle Säuglingsernährung nach und nach in die Teilnahme an Mahlzeiten der Familienernährung über.
Mathilde Kersting, Hildegard Przyrembel, Karl Zwiauer, Kurt Baerlocher, Pascal Müller
29. Normale Ernährung von Kindern und Jugendlichen
Zusammenfassung
Die Ernährung von Kindern und Jugendlichen muss nicht nur den Bedarf an Energie und essenziellen Nährstoffen decken, sondern auch die heute bekannten Erfordernisse der Prävention der sog. Zivilisationskrankheiten berücksichtigen. Zu den multifaktoriell bedingten, meist im späten Erwachsenenalter manifest werdenden ernährungsmitbedingten Zivilisationskrankheiten zählen in erster Linie Herz-Kreislauf-Krankheiten auf der Basis von Atherosklerose und/oder Hypertonie und/oder Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2. Zur Prävention werden Ernährungsgewohnheiten mit reichlichem Verzehr pflanzlicher Lebensmittel, vor allem Gemüse und Früchten, und Vermeidung eines hohen Verzehrs zuckerhaltiger Getränke empfohlen. Dementsprechend wurden für Kinder und Jugendliche international weitgehend übereinstimmende präventive lebensmittelbasierte Ernährungsempfehlungen auf Bevölkerungsebene formuliert und in Deutschland zur Sicherung der Nährstoffversorgung auch spezifiziert.
Mathilde Kersting, Hildegard Przyrembel
30. Infusionstherapie und parenterale Ernährung
Zusammenfassung
Eine parenterale Nährstoffzufuhr durch intravenöse Infusionen wird notwendig, wenn eine bedarfsgerechte Nährstoffzufuhr auf oralem oder enteralem Wege über einen längeren Zeitraum nicht realisiert werden kann. Bevor eine parenterale Ernährung begonnen wird, sollte gründlich geprüft werden, ob nicht eine ausreichende enterale Nährstoffzufuhr erreichbar ist. Die intravenöse Nährstoffzufuhr kann als additive oder partielle parenterale Ernährung eine zwar vorhandene, aber insgesamt unzureichende enterale Nährstoffzufuhr ergänzen, wie es beispielsweise während der Phase eines allmählichen enteralen Nahrungsaufbaus bei einem Frühgeborenen der Fall ist. Dagegen kann die totale parenterale Ernährung eine ausschließliche oder ganz überwiegend intravenöse Nährstoffzufuhr gewährleisten, z. B. nach operativen Eingriffen im Abdominalraum oder bei akuten bzw. chronischen Darmkrankheiten mit gestörter Nahrungstoleranz oder schwerer Malassimilation. Eine ausschließliche oder totale parenterale Ernährung sollte wann immer möglich vermieden und durch eine zumindest minimale enterale Ernährung ergänzt werden. Auch wenn diese ergänzende, minimale enterale Ernährung nur einen geringen Beitrag zur Deckung des Substratbedarfs leistet, kann sie das Risiko potenzieller Komplikationen, wie eine Mukosaatrophie oder die Entwicklung einer Cholestase, vermindern.
Berthold Koletzko
31. Adipositas
Zusammenfassung
Aufgrund ihrer Häufigkeit und ihrer Prognose zählt die Adipositas zu den bedeutendsten chronischen Krankheiten im Kindes- und Jugendalter. Sie bedarf erhöhter ärztlicher Aufmerksamkeit sowie neuer Wege für eine effektive Prävention und therapeutische Intervention. In diesem Kapitel sind die Themen Pathophysiologie der Gewichtsregulation, Ursachen, Definition, Prävalenz, Komorbidität, Prävention und Therapie der Adipositas ausführlich dargestellt.
Martin Wabitsch
32. Malnutrition (Unterernährung)
Zusammenfassung
Der über einen längeren Zeitraum bestehende Mangel an Energie und/oder Protein führt beim Menschen, insbesondere bei Kindern, zur Unterernährung, die immer mit Gedeihstörung einhergeht. Hiervon betroffen kann das Gewicht und die Länge sein mit der Entwicklung von Untergewicht und Unterlänge gemessen am Perzentilkurvenverlauf des Kindes. Schwere Unterernährung wird heute im internationalen Sprachgebrauch als Malnutrition bezeichnet. Da es sich bei den hungernden Kindern in der Dritten Welt um eine Kombination aus Proteinmangel und Energiemangel handelt, wird sie auch als Protein-Energie-Malnutrition (PEM) bezeichnet. In der deutschen Sprache verwenden wir dafür die Begriffe Dystrophie oder Atrophie. Bei Kindern in der Dritten Welt mit schwerer Magerkeit („Wasting“) und Längenentwicklungsstörung („Stunting“) sprechen wir von Marasmus. Sind schwere Ödeme vorhanden und Hautstörungen zusammen mit Gedeihstörung, wird dies als Kwashiorkor bezeichnet. Eine Sonderform des Kwashiorkor ist der marantische Kwashiorkor, der sich vom Marasmus durch das gleichzeitige Vorhandensein von Ödemen unterscheidet.
Michael J. Lentze
33. Vitaminmangelkrankheiten
Zusammenfassung
Zum Zeitpunkt der Geburt ist bei Neugeborenen die Konzentration wasserlöslicher Vitamine höher als bei der Mutter. Der aktive Plazentatransport wasserlöslicher Vitamine führt in der Schwangerschaft zu einem Konzentrationsgradienten von 1:1,5 bis 1:6 zugunsten des Fetus. Bei unzureichender Vitaminversorgung der Schwangeren können sich beim Neugeborenen durchaus Mangelzustände entwickeln. Über den Vitaminbedarf Frühgeborener besteht noch weitgehende Unklarheit. Bei oraler Zufuhr werden wasserlösliche Vitamine durch den Gastrointestinaltrakt und die Leber umgebaut. Bei parenteraler Verabreichung dagegen werden diese Organsysteme umgangen und größere Mengen der Vitamine über die Nieren ausgeschieden.
Hansjosef Böhles
34. Wasser- und Mineralhaushalt
Zusammenfassung
Die Homöostase des Elektrolyt- und Wasserhaushalts ist in keinem Lebensabschnitt so störanfällig wie bei Säuglingen und Kleinkindern. Dies ist auf die Besonderheiten des höheren Wasserumsatzes in dieser Lebensphase zurückzuführen. Besonders kritisch ist das Extrazellularvolumen, also der interstitielle und intravasale Flüssigkeitsraum, in dem sich bei Säuglingen etwa 50 %, bei Erwachsenen etwa 30 % des Körperwassers befinden. So muss ein Säugling 1/3 seines Extrazellularraums durch die tägliche Flüssigkeitszufuhr ersetzen, ein Erwachsener nur 1/7. Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass größere Mengen an Natrium in Muskeln und in der Haut ohne entsprechende Wasserretention gespeichert werden können. Diese Natriumspeicher werden endogen und unabhängig von der Salzaufnahme in einer wöchentlichen und monatlichen Rhythmik reguliert und das hypertone Interstitium der Haut vermag Immunzellen (Th17-Antwort) und das Lymphsystem zu stimulieren. Somit wird der Natriumhaushalt nicht nur über die Niere geregelt.
Wolfgang Rascher

Medizinische Genetik

Frontmatter
35. Das menschliche Genom
Zusammenfassung
Das menschliche Genom beinhaltet die Information für die Entwicklung einer befruchteten Eizelle zu einem multizellulären Organismus. Sie ist in der DNA des Kerngenoms in 46 Chromosomen in Genen kodiert. Dies enthält a) Gene, deren Information in Messenger-RNA transkribiert und letztlich in eine Vielzahl von Proteinen mit ganz unterschiedlichen Funktionen übersetzt wird, b) Gene, die für Struktur-RNAs wie Transfer-RNA oder ribosomale RNA kodieren, sowie c) Gene, die für lange und kurze nichtkodierende RNAs oder Antisense-RNAs kodieren. Diese RNA-Moleküle spielen eine wichtige, noch nicht gänzlich aufgeklärte Rolle bei der zeitlichen und räumlichen Steuerung von Genaktivität bei der Entwicklung. Die Kraftwerke der Zellen, die Mitochondrien, besitzen ebenfalls ein Genom, das für einige rRNAs, tRNAs und Atmungskettenproteine kodiert. Veränderung der nukleären oder mitochondrialen DNA, sowohl in proteinkodierenden als auch regulatorischen Bereichen können zu Fehlentwicklungen oder Krankheiten führen.
Dagmar Wieczorek, Hermann-Josef Lüdecke
36. Epigenetik
Zusammenfassung
Im Gegensatz zur Genetik, die den Bauplan für die Erbinformationen in der DNA kodiert, regelt die Epigenetik die Nutzung dieser Informationen. So ist es möglich, dass Zellen im Körper unterschiedlichste Funktionen erfüllen können, obwohl sie in der Regel die identischen Chromosomensätze besitzen. Epigenetische Mechanismen beschreiben die an Tochterzellen mitotisch und meiotisch vererbbaren Veränderungen in der Genfunktion, die nicht aus einer DNA-Sequenzveränderung resultieren. Sie wirken über DNA-Methylierung, Histonmodifikationen und nicht kodierende RNAs, die die Zugänglichkeit des Chromatins modifizieren bzw. die mRNA-Dosis abgelesener Gene verändert. Die Gesamtheit dieser Modifikationen im Genom einer Zelle bezeichnet man als das Epigenom dieser Zelle.
Bernhard Zabel, Dirk Prawitt
37. Angeborene körperliche Anomalien: Definition und Klassifikation
Zusammenfassung
Veränderungen, die auf vorgeburtliche Einflüsse zurückgehen, werden generell als angeboren bezeichnet. Diese können direkt bei der Geburt festgestellt werden oder sich erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestieren (z. B. Taubheit, Zahnanomalien etc.). Angeboren ist hier nicht gleichzusetzen mit genetisch oder vererbt, da auch viele äußere Einflüsse wie Stoffwechselveränderungen der Mutter (z. B. Diabetes mellitus), intrauterine Infektionen (z. B. Rötelnembryopathie) oder Lageanomalien des Fetus zu entsprechenden Veränderungen führen können.
Stefan Mundlos
38. Angeborene körperliche Anomalien: klinische Diagnostik
Zusammenfassung
Aus der klinischen Untersuchung eines in Größe und/oder Gestalt auffälligen Kindes ergeben sich körperliche Abweichungen, die mit denen bekannter Krankheitsbilder verglichen und bei Übereinstimmung diesen zugeordnet werden können. Sind die Ursachen des klinisch vermuteten Syndroms bekannt, kann die Diagnose mit biochemischen, zyto- oder molekulargenetischen Methoden bestätigt werden.
Denise Horn, Peter Meinecke
39. Chromosomale Diagnostik, chromosomale Aberrationen
Zusammenfassung
Chromosomen sind im Zellkern lokalisierte, molekular hochorganisierte Struktureinheiten, die aus DNA, Proteinen und RNA bestehen. Sie sind die Träger der Erbinformation und lassen sich während der Zellteilung (Mitose) lichtmikroskopisch darstellen. Mikroskopische und submikroskopische Chromosomenaberrationen, d. h. chromosomale und segmentale Aneuploidien, z. B. Trisomien, Mikrodeletionen, verursachen komplexe Fehlbildungs- und Dysmorphiesyndrome. Zu den lebensfähigen autosomalen Aneuploidien gehören die Trisomie 21 (Down-Syndrom), 13 (Pätau-Syndrom) und 18 (Edwards-Syndrom). Häufige gonosomale Aneuploidien sind Monosomie X (45,X – Ullrich-Turner-Syndrom), Trisomie X (47,XXX – Triple X) und das Klinefelter-Syndrom (47,XXY). Häufige Mikrodeletionssyndrome sind u. a. DiGeorge-Syndrom und Shprintzen-Syndrom (22q11), Prader-Willi-Syndrom (15q12) und Angelman-Syndrom (15q12), Williams-Beuren-Syndrom (7q11) und Miller-Dieker-Syndrom (17p13). Bei der Labordiagnostik komplexer Syndrome wird die mikroskopische Chromosomenanalyse (Karyogramm; FISH = Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung) durch moderne molekulargenetische Methoden wie DNA-Array-Analyse und Hochdurchsatzsequenzierung (z. B. Exom-Analyse) ergänzt oder ersetzt.
Simone Schuffenhauer, Heidemarie Neitzel
40. Molekulare Diagnostik und Genomanalyse
Zusammenfassung
Viele angeborene Krankheiten sind genetisch bedingt und damit potenziell aus ihrer Ursache bestimmbar. Mit immer feineren Methoden der Genomanalyse werden zahlreiche genetische Krankheiten identifiziert, differenziert und neue Krankheitsgene gefunden. Damit beginnt sich das diagnostische Prozedere grundlegend zu verändern, zumindest bei monogenen Erbleiden, also solchen, die durch einen einzelnen Gendefekt hervorgerufen werden. Je nach Vererbungsmodus handelt es sich hierbei um dominant oder rezessiv erbliche oder auch um Imprintingdefekte. Im Allgemeinen sind diese Krankheiten selten. Häufigere Defekte, z. B. isolierte Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, sind dagegen im Allgemeinen nicht monogen, sondern polygen bedingt durch Veränderungen mehrerer Gene. Solche Veränderungen lassen sich derzeit (noch) nicht molekular diagnostizieren. Allerdings ist die Lage auch bei den monogenen Krankheiten komplex. So kann eine Krankheit einerseits durch mehrere verschiedene Gendefekte ausgelöst werden (sog. genetische Heterogenität), andererseits können verschiedene (allele) Mutationen ein- und desselben Gens völlig verschiedene Krankheitsbilder verursachen. Einem Gen kann damit nicht unbedingt eine Krankheit (und vice versa) zugeordnet werden. Entsprechend sollte eine Diagnose immer nur im Zusammenspiel von Klinik (Phänotyp) und molekularem Befund (Genotyp) gestellt werden.
Stefan Mundlos
41. Angeborene körperliche Anomalien: Epidemiologie
Zusammenfassung
In Deutschland werden bei etwa jedem 15. Neugeborenen große Fehlbildungen (z. B. Spina bifida, Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte) diagnostiziert, ungefähr ein Fünftel davon sind schwer und lebensbedrohlich. Kinder mit angeborenen Fehlbildungen machen etwa ein Drittel aller pädiatrischen stationären Aufnahmen aus. Die angeborenen Entwicklungsdefekte sind die häufigste Ursache der neonatalen Mortalität und benötigen häufig intensive lebenslange Behandlungen, die hohe Kosten verursachen. Diese Kinder sind somit eine sehr wichtige Patientengruppe in der Pädiatrie.
Annette Queißer-Wahrendorf
42. Dysmorphogenetische Syndrome
Zusammenfassung
Etwa 3–6 % aller Neugeborenen haben große Fehlbildungen, d. h. in Deutschland werden im Jahr etwa 12.000–40.000 betroffene Kinder geboren. Bei der etwa gleichen Zahl der Kinder, die nach der Geburt als gesund angesehen wurden, wird bis zum 5. Lebensjahr eine Fehlbildung gefunden. Fehlbildungen sind die häufigste Todesursache im 1. Lebensjahr, und sie sind auch der häufigste Grund, warum Kinder in diesem Lebensabschnitt stationär aufgenommen und in der genetischen Sprechstunde vorgestellt werden. Das Erkennen und Einordnen von Fehlbildungen ist damit eine wesentliche Aufgabe des Pädiaters und klinischen Genetikers. Prinzipiell können Patienten eine einzelne Fehlbildung oder multiple Fehlbildungen haben.
Rainer König
43. Genetische Beratung und Pränataldiagnostik
Zusammenfassung
Die Rahmenbedingungen der ärztlichen Tätigkeit im Kontext von genetischer Beratung und Pränataldiagnostik werden von den im Folgenden beschriebenen Gesetzen geregelt.
Stephanie Spranger
44. Therapie genetisch bedingter Krankheiten
Zusammenfassung
Genetische Krankheiten sind in ihrer Manifestation oft variabel und können durch andere genetische und nichtgenetische Faktoren beeinflusst werden. Dies ist auch die Grundlage der Therapie. Abhängig von der Krankheit bzw. der krankheitsauslösenden Mutation stehen kausale Behandlungsoptionen auf drei Ebenen zur Verfügung: 1. Therapieansätze auf der Ebene der Zell- und Organfunktion sollen die funktionelle Homöostase eines Organs oder des Organismus wiederherstellen; 2. Therapieansätze auf Proteinebene sollen ein fehlendes Genprodukt (z. B. ein Enzym) ersetzen oder ein fehlerhaftes Protein korrigieren bzw. in der Funktion unterstützen; 3. Therapieansätze auf der Ebene der genetischen Information sollen die fehlerhafte genetische Information korrigieren oder fehlende genetische Information ersetzen. In den letzten Jahren sind für zahlreiche genetische Krankheiten effiziente Therapien entwickelt worden, welche beispielhaft vorgestellt und erläutert werden.
Johannes Zschocke

Pränatale Medizin und Neonatologie

Frontmatter
45. Pränatale Medizin
Zusammenfassung
Eine zeitgemäße Perinatalmedizin strebt eine möglichst umfassende präpartale Einschätzung der Schwangerschaft an, um werdenden Eltern bei fetalen Auffälligkeiten Entscheidungswege im Hinblick auf den weiteren Schwangerschaftsverlauf, den Zeitpunkt und Ort der Entbindung und das postpartale Management für Mutter und Kind zu ermöglichen. Bei den meisten Schwangeren, insbesondere bei besonderen Risikokonstellationen, steht aber die regelmäßige Überprüfung und Bestätigung der normalen Entwicklung des Feten im Mittelpunkt. Dazu sind moderne Screening-Ansätze zur Prädiktion von Komplikationen im späteren Verlauf der Schwangerschaft, Präventionsmöglichkeiten und eine verlässliche Diagnosestellung bei fetalen Auffälligkeiten unerlässlich. Daneben haben sich mit der Weiterentwicklung der pränatalen Medizin auch neue Behandlungskonzepte bei fetalen Erkrankungen ergeben. So gehört die intrauterine Koagulation der kommunizierenden Gefäße bei einem fetofetalen Transfusionssyndrom ebenso wie die thorakoamniale Shunt-Anlage bei einem Hydrothorax oder die endotrachiale Okklusion bei einer ausgeprägten Zwerchfellhernie heute zum Standard der pränatalen Versorgung.
Karl Oliver Kagan, Harald Abele, Christian F. Poets
46. Pränatale Infektionen
Zusammenfassung
Als pränatale oder konnatale Infektionen werden solche Infektionen bezeichnet, die den Embryo oder Feten schon im Mutterleib infizieren und schon intrauterin zu einer Symptomatik mit oder ohne dauerhafte Schädigung von Organsystemen führen können. Die häufigste konnatale Infektion wird durch das Zytomegalievirus (CMV) verursacht. Konnatale CMV-Infektionen werden in symptomatische und asymptomatische Infektionen unterschieden. Die Symptomatik bei den Neugeborenen reicht von milden Thrombozytopenien bis hin zu Leberentzündungen, der Retinitis sowie der am häufigsten vorkommenden Hörstörung. Im Langzeitverlauf sind viele Kinder in ihrer neurologischen Entwicklung beeinträchtigt. Symptomatische Kinder werden mit Ganciclovir oder Valganciclovir behandelt. Pränatale Infektionen durch Toxoplasma gondii, Parvovirus B19 und andere virale und parasitäre Erreger sind deutlich seltener.
Andreas Müller, Peter Bartmann, Christoph Härtel
47. Grundlagen der Neonatologie
Zusammenfassung
In den meisten westlichen Ländern hat die neonatale Mortalität (Anzahl der in den ersten 28 Lebenstagen verstorbenen Früh- und Neugeborenen pro 1000 Lebendgeborene) während der letzten Dekaden kontinuierlich abgenommen. In Deutschland hat sich die neonatale Sterblichkeit in den letzten 25 Jahren mehr als halbiert: Sie liegt bei weniger als 3 pro 1000 Lebendgeborenen. Die meisten dieser Kinder versterben innerhalb der ersten Lebenstage. Die häufigsten Ursachen der neonatalen Sterblichkeit sind die Frühgeburtlichkeit und nicht mit Leben vereinbare schwere Fehlbildungen.
Christian P. Speer
48. Intrauterines Wachstum, Wachstumsstörungen und Postmaturität
Zusammenfassung
Störungen des intrauterinen Wachstums führen entweder zu einem gegenüber der genetisch determinierten Gewichtsentwicklung verminderten Wachstum, häufig resultiert daraus ein Geburtsgewicht unter der 10. Perzentile im Sinne einer Hypotrophie oder, bei pathologisch erhöhtem intrauterinem Wachstum, zu einer Hypertrophie bzw. Makrosomie, d. h. einem Geburtsgewicht über der 90. Perzentile. Ausnahmen von dieser Definition sind gesunde Neugeborene, deren genetisch vorgegebenes Gewicht entweder unter der 10. oder über der 90. Perzentile liegt. Grundsätzlich können sich genetische und nichtgenetische Faktoren, die das Wachstum beeinflussen, verstärken oder auch gegenseitig aufheben. Daraus ergibt sich, dass die Begriffe intrauterine Wachstumsretardierung (intrauterine growth restriction, IUGR) und Untergewicht bei Geburt bezogen auf das Reifealter (small for gestational age, SGA) nicht gleichbedeutend sind.
Michael Zemlin, Ludwig Gortner
49. Enterale Ernährung von Frühgeborenen
Zusammenfassung
Kleine Frühgeborene sind primär parenteral zu ernähren, um dann schrittweise (Steigerung etwa 16–20 ml/kg/d) auf enterale Ernährung umzustellen. Das Hinauszögern des Beginns der enteralen Ernährung hat keinen gesicherten Vorteil. Die Nahrungsverträglichkeit ist anhand von Bauchumfang, präprandialem Magenrestvolumen, Magenrestfarbe, Stuhlfarbe, Stuhlfrequenz und abdominellem Untersuchungsbefund zu überprüfen. Durchgängige intestinale Passage und Mekonium-Entleerung sind wesentliche Voraussetzungen für den Nahrungsaufbau. Frühgeborene müssen etwa bis zum errechneten Termin mit supplementierter Frauenmilch (mit besserem Outcome assoziiert) oder mit spezieller Frühgeborenennahrung ernährt werden. Probiotika sind mit einer reduzierten Inzidenz an nekrotisierender Enterokolitis (NEK) und Sepsis und einer geringeren Mortalität assoziiert. Bei langsamem Wachstum müssen Substratzufuhr, Säure-Basen-Status und Nährstoffresorption überprüft werden. In Einzelfällen kann die Umstellung auf Frühgeborenennahrung von Vorteil sein.
Walter A. Mihatsch
50. Medikamente und toxische Substanzen mit Auswirkung auf den Feten
Zusammenfassung
Intrauterine Exposition gegenüber Medikamenten oder toxischen Substanzen können die fetale Entwicklung schwerwiegend beeinträchtigen. Im folgenden Kapitel werden Schädigungen des ungeborenen Kindes infolge von Substanzmissbrauch durch die Schwangere beschrieben. Aufgrund der hochgradigen Suszeptibilität des Embryos bzw. des Feten für die toxischen Einflüsse des Alkohols und anderer Drogen während der gesamten intrauterinen Entwicklung, ist deren Konsum während der Schwangerschaft grundsätzlich abzulehnen,
Michael Zemlin, Ludwig Gortner
51. Morbus haemolyticus neonatorum
Zusammenfassung
Die häufigsten Ursachen für einen Morbus haemolyticus neonatorum sind Blutgruppenunverträglichkeiten zwischen Mutter und Fetus, die Rhesusinkompatibilität (Rh), die AB0-Erythroblastose und seltene Unverträglichkeiten gegen andere erythrozytäre Antigene (Kell, Duffy u. a.). Durch Übertritt von fetalen inkompatiblen Erythrozyten während der Schwangerschaft oder vorherige Transfusion mit nicht blutgruppengleichen Erythrozyten (Sensibilisierung) reagiert das mütterliche Immunsystem mit der Bildung spezifischer IgG-Antikörper. Diese Immunglobuline sind plazentagängig und binden sich nach Übertritt auf das Kind an spezifische Antigenstrukturen fetaler Erythrozyten. Die Folge ist ein vorzeitiger und vermehrter Abbau der fetalen Erythrozyten. Der Fetus beantwortet diese In-utero-Hämolyse mit einer Steigerung vorwiegend der extramedullären Blutbildung (Leber, Milz). Es gelangen unreife Erythrozyten (Erythroblasten) in die Blutbahn des Kindes. Das durch die gesteigerte Hämolyse anfallende indirekte Bilirubin wird über die Plazenta transportiert und vom hepatischen Enzymsystem der Mutter glukuronidiert und biliär ausgeschieden, selbst bei schwerer fetaler Hämolyse sind die Bilirubinkonzentrationen des Kindes intrauterin kaum erhöht.
Christian P. Speer
52. Neonatale Alloimmunthrombozytopenie und weitere fetomaternale Inkompatibilitäten
Zusammenfassung
Analog zur Pathogenese der Rhesusinkompatibilität kommt es durch den Übertritt von mütterlichen Antikörpern – meist Antikörper der Klasse Immunglobulin G gegen das paternal vererbte thrombozytäre Antigen HPA-1a (human platelet antigen) – zu einer Destruktion der kindlichen Thrombozyten. Darüber hinaus ist heute eine zunehmende Zahl weiterer thrombozytärer Antigene, z. B. HPA-3a, HPA-5b, als Auslöser spezifischer antithrombozytärer Antikörper beschrieben. Die durch Antikörper vermittelte Thrombozytendestruktion kann bei der Alloimmunthrombopenie schon in utero ablaufen und intrakranielle Blutungen ab dem 2. Trimenon zur Folge haben.
Michael Zemlin, Ludwig Gortner
53. Perinatale Asphyxie und hypoxisch-ischämische Enzephalopathie
Zusammenfassung
Unter dem Begriff der perinatalen Asphyxie (griech. „Pulslosigkeit“) wird der Zustand eines unter der Geburt aufgetretenen Sauerstoffmangels zusammengefasst. Dem Sauerstoffmangel können verschiedene Ursachen zugrunde liegen. Dabei ist zwischen einer reinen Hypoxie, d. h. einem Missverhältnis zwischen Sauerstoffangebot und -bedarf, und einer Ischämie zu unterscheiden. Bei letzterer führt die unzureichende Gewebedurchblutung zusätzlich zu einem Substratmangel und einer beeinträchtigten Elimination von Stoffwechselprodukten. In Abhängigkeit von der Definition liegt die Häufigkeit einer Asphyxie zwischen 8 und 0,3 % aller Lebendgeborenen.
Mario Rüdiger
54. Neurologie des Neugeborenen
Zusammenfassung
In der Neonatalperiode können sich akute Schäden des Gehirns mit Krampfanfällen und Allgemeinsymptomen äußern, oft sind sie aber klinisch zunächst stumm. Die funktionellen Konsequenzen entwickeln sich erst im Laufe der Kortikalisierung während der ersten beiden Lebensjahre in Form einer Zerebralparese oder einer Einschränkung der mentalen Leistungsfähigkeit. Die bei Frühgeborenen typischen Läsionen sind intraventrikuläre Hirnblutungen (mit oder ohne konsekutivem Hydrozephalus) und die periventrikuläre Leukomalazie. Schäden bei Reifgeborenen umfassen die hypoxisch-ischämische Enzephalopathie, den perinatalen Hirninfarkt (Schlaganfall) sowie intrakranielle Blutungen und Thrombosen.
Christoph Bührer
55. Lungenkrankheiten bei Früh- und Neugeborenen
Zusammenfassung
Störungen der Lungenfunktion können bei Früh- und Neugeborenen zu schwerwiegenden Komplikationen in der postpartalen Anpassungsphase führen und die Prognose der betroffenen Kinder nachteilig beeinflussen. Das Atemnotsyndrom ist eine typische Krankheit Frühgeborener. Es wird durch den Mangel eines pulmonalen oberflächenaktiven Systems, des Surfactant (surface active agent) verursacht. Insbesondere die Surfactantbehandlung des Atemnotsyndroms stellt einen Meilenstein in der Entwicklung der neonatalen Intensivmedizin dar. Die bronchopulmonale Dysplasie ist eine bedrohliche, aber potenziell reversible Lungenkrankheit Frühgeborener, die meist wegen eines Atemnotsyndroms maschinell beatmet und mit erhöhten inspiratorischen Sauerstoffkonzentrationen behandelt wurden. Eine Mekoniumaspiration führt zu einer akuten Atemnotsymptomatik, die überwiegend bei übertragenen oder reifen hypotrophen Neugeborenen auftritt und durch einen kompatiblen radiologischen Lungenbefund charakterisiert ist. Die persistierende pulmonale Hypertonie (Synonym: persistierende fetale Zirkulation des Neugeborenen) ist ein lebensbedrohliches Krankheitsbild, das ebenfalls überwiegend bei reifen und übertragenen Neugeborenen auftritt und durch einen persistierenden erhöhten pulmonalen Gefäßdruck mit konsekutivem Rechts-Links-Shunt über das offene Foramen ovale den persistierenden Ductus arteriosus und intrapulmonale Shunts ohne Hinweise auf ein Vitium cordis charakterisiert ist. Weitere relevante Störungen der Neonatalperiode sind Pneumothorax, Lungenblutungen, Lungenhypoplasie, lobäres Emphysem, Zwerchfellhernien, Chylothorax und die neonatale Pneumonie.
Christian P. Speer
56. Intestinale Atresien und Stenosen bei Neugeborenen
Zusammenfassung
Obstruktionen oder Verengungen des Darmlumens können prinzipiell in jedem Darmbereich als isolierte, aber auch multiple Atresien oder Stenosen auftreten.
Christian P. Speer
57. Icterus neonatorum und Hyperbilirubinämie
Zusammenfassung
Durch den Abbau von Hämoglobin (Biliverdin) im retikuloendothelialen System entsteht wasserunlösliches unkonjugiertes Bilirubin. Der Bilirubinstoffwechsel des Neugeborenen weist im Vergleich zum Erwachsenen einige Besonderheiten auf. Mehr als die Hälfte aller reifen Neugeborenen und nahezu 80 % aller Frühgeborenen entwickeln 2–3 Tage nach der Geburt einen physiologischen Ikterus, der am 4.–5. Lebenstag seinen Höhepunkt erreicht und dann langsam abklingt. Die meisten Neugeborenen mit physiologischem Ikterus bedürfen keiner speziellen Behandlung. Eine Fototherapie ist nur bei Überschreiten eines altersbezogenen, festgelegten Grenzwerts indiziert, um der Entwicklung eines Kernikterus mit neurologischen Spätfolgen vorzubeugen. Ein länger bekanntes Phänomen ist der deutliche Anstieg des unkonjugierten, sog. indirekten Bilirubins unter Muttermilchernährung. Therapeutische Konsequenzen ergeben sich bei den meisten Neugeborenen nicht. Neben Krankheiten, die mit einer gesteigerten Hämolyse einhergehen, können pathologische Erhöhungen des indirekten Bilirubins bei angeborenen Defekten der Glukoronidierung, bei erhöhtem Bilirubinanfall durch vermehrten Erythrozytenabbau sowie durch eine vermehrte enterale Rückresorption von Bilirubin erfolgen.
Christian P. Speer
58. Störungen der fetalen Erythropoese und Koagulopathien
Zusammenfassung
Die Erythropoese beginnt am 20. Gestationstag und findet in der Fetalzeit überwiegend in Leber und Milz statt. Erst im letzten Trimenon wird das Knochenmark zum Hauptbildungsort der Erythropoese. Die Hämoglobinkonzentration steigt von 8–10 g/dl im Alter von 12 Gestationswochen auf 16,5–20 g/dl im Alter von 40 Gestationswochen an. Nach einem kurzen postnatalen Anstieg der Hämoglobinkonzentration innerhalb von 6–12 Lebensstunden fällt sie kontinuierlich auf 10 g/dl im Alter von 3–6 Monaten ab. Frühgeborene unterhalb der 32. Gestationswoche haben niedrigere Ausgangshämoglobinkonzentrationen und erfahren einen schnelleren Abfall der Hämoglobinkonzentration. Der Tiefpunkt ist 1–2 Monate nach der Geburt erreicht. Während dieser physiologischen Anämisierung lässt sich kaum Erythropoetin im Plasma nachweisen.
Christian P. Speer
59. Metabolische Störungen bei Neugeborenen
Zusammenfassung
Kinder diabetischer Mütter stellen ein besonderes Risikokollektiv dar, da durch die mütterliche Krankheit eine Reihe schwerwiegender Fehlbildungen sowie metabolischer und funktioneller Störungen beim Neugeborenen induziert werden können.
Christian P. Speer
60. Perinatal und postnatal erworbene Infektionen
Zusammenfassung
Perinatal und postnatal erworbene Infektionen des Früh- und Neugeborenen umfassen ein breites Spektrum an bakteriellen, fungalen und viralen Erregern. Die bakteriellen Infektionen des Neugeborenen lassen sich in systemische Entzündungsreaktionen (klinische Sepsis; systemic inflammatory response syndrome, SIRS), eine Sepsis oder Lokal- und Organinfektionen unterscheiden. Die frühe Infektion (Early-onset-Sepsis) tritt in den ersten 72 Lebensstunden auf, wird vor allem von B-Steptokokken und E. coli verursacht und von der späten Infektion (Late-onset-Sepsis) unterschieden, die beim reifen Neugeborenen ebenfalls durch B-Streptokokken und bei Frühgeborenen unter Intensivbehandlung durch verschiedene nosokomiale grampositive und gramnegative Bakterien verursacht wird. Pilzinfektionen werden selten bei Frühgeborenen beobachtet und meist durch Candida spp. verursacht. Gleiches gilt für Virusinfektionen, bei denen insbesondere die Herpes-simplex-Infektion gefürchtet ist.
Andreas Müller, Peter Bartmann, Christoph Härtel

Jugendmedizin

Frontmatter
61. Jugendmedizin und Jugendgesundheitsuntersuchung
Zusammenfassung
Der Begriff Jugendmedizin beschreibt eine pädiatrische Querschnittsdisziplin, die sich mit entwicklungsbedingten Gesundheitsstörungen von Heranwachsenden, üblicherweise im Alter zwischen dem 10. und 18. Lebensjahr, befasst. Während in angelsächsischen Ländern die besonderen medizinischen Herausforderungen von Adoleszenten schon früh erkannt und spezialisierte Ausbildungswege und entsprechende klinische Einrichtungen etabliert wurden, spielte die Jugendmedizin in der deutschsprachigen Pädiatrie bis vor wenigen Jahren nur eine nachgeordnete Rolle.
Uwe Büsching, Fred Zepp
62. Spezielle Organerkrankungen von Jugendlichen
Zusammenfassung
Die Kinderheilkunde und Jugendmedizin werden besonders durch alters- und lebensabschnittbezogene Besonderheiten von Gesundheit und Krankheit charakterisiert. Während es ausschließliche „Jugenderkrankungen“ nicht gibt, gibt es doch viele organ- und entwicklungsbezogene Erkrankungen, die sich besonders in der Jugendzeit manifestieren, exazerbieren oder sich mit Folgeerkrankungen in der Jugendzeit bemerkbar machen. Die meisten dieser Erkrankungen sind chronisch und haben Langzeiteffekte. Außerdem unterliegen therapeutische Interventionen häufig den in der Adoleszenz nicht ungewöhnlichen psychosozialen Belastungen, Nicht-Adhärenz und Nicht-Compliance. Spezielle Organerkrankungen im Jugendalter müssen entsprechend von multiprofessionellen Teams und mit Unterstützung durch Familie und Peergroup (Gleichaltrige) adressiert werden.
Wieland Kiess
63. Jugendgynäkologie
Zusammenfassung
Die Kinder- und Jugendgynäkologie ist ein kleines, komplexes Fachgebiet an der Schnittstelle zwischen Gynäkologie und Pädiatrie. In der ambulanten Versorgung sind Kinder- und Jugendärzte besonders im Rahmen der Früherkennungsuntersuchungen J1 (Alter von 12–15 Jahren) sowie J2 (Alter von 16–17 Jahren) mit den entsprechenden Themen befasst. Dabei stehen vor allem Störungen der Pubertätsentwicklung, Fragen und/oder Probleme rund um die Menstruation, unklare Unterbauchschmerzen, Fragen zur körperlichen Ästhetik und spezielle endokrinologische Problematiken im Vordergrund. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Pädiatern, Gynäkologen und Endokrinologen ist sinnvoll, um die jungen Patientinnen kompetent und umfassend zu versorgen.
Nikolaus Weissenrieder, Ivonne Bedei
64. Jungen – Sexualentwicklung und sexuelle Gesundheit
Zusammenfassung
Unter „Jungen“ verstehen wir Menschen männlichen Geschlechts, in den Lebensphasen zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Jungen unterscheiden sich im Hinblick auf ihre Sexualitäten individuell erheblich, nach ihrem Alter und ihrem Entwicklungsstand, nach elterlichen und gesellschaftlichen Moralvorstellungen, dem sozialen Milieu, in dem sie aufwachsen, nach ihren Aneignungsmöglichkeiten und ihren sexuellen Erfahrungen. Eine „normal-standardisierte“ oder „natürliche“ sexuelle Entwicklung von Jungen gibt es nicht. Das Geschlechtliche in der Jungensexualität – also das Männliche – wird durch drei unterschiedliche Dimensionen beschrieben: 1. durch den Jungenkörper, d. h. durch die körperlichen Bedingungen und Erlebnismöglichkeiten; 2. als Facette der Identität, in Selbstbildern und -definitionen, individuellen Bedürfnislagen und ihrer Befriedigungswünsche oder in Emotionen; 3. als Ausdruck sozialer und kultureller Geschlechtlichkeit, etwa in Vorstellungen darüber, wie männliche Sexualität ist oder sein soll, über Normen oder über kommerzielle, sexualitätsprägende Angebote (Werbung, Pornografie).
Bernhard Stier, Reinhard Winter
65. Transition
Zusammenfassung
Der Übergang von einer pädiatrischen in eine internistische Betreuung geschieht in der Regel in einer besonders schwierigen und vulnerablen Lebensphase von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen mit chronischen Krankheiten. Er stellt einen besonderen und eigenen Abschnitt in der Betreuung von jungen Menschen mit speziellen medizinischen Bedürfnissen dar. In dieser Zeit finden für den Betroffenen einschneidende psychisch-physische, persönliche, berufliche und soziale Veränderungen statt. Bei Stoffwechselerkrankungen kommt es nicht selten zu einer Verschlechterung der Stoffwechseleinstellung. Mögliche Unterschiede in der Betreuungskultur zwischen Pädiatrie und z. B. Neurologie oder Innerer Medizin können für den Betroffenen und auch für die betreuenden Teams Probleme bereiten. Sie eröffnen aber auch neue Möglichkeiten und Chancen. Geeignete Übergangsmodelle im Sinne von Übergangssprechstunden, strukturiertem Übergang (Checklisten, Transfer-Brief etc.) und der Nutzung von gemeinsamen Datenbanken setzen immer eine gute Kooperation aller Beteiligten voraus, z. B. zwischen Pädiater und Internist oder zwischen Neuropädiater und Neurologe.
Wieland Kiess

Stoffwechselkrankheiten

Frontmatter
66. Differenzialdiagnose und Notfallbehandlung von Intermediärstoffwechselkrankheiten
Zusammenfassung
Immer mehr angeborene Stoffwechselkrankheiten sind erfolgreich behandelbar. Umso wichtiger ist es, die Diagnose zeitnah zu stellen, da jegliche Verzögerung des Therapiebeginns schwere irreversible Folgeschäden mit schlechter Prognose zur Folge haben kann. Dies gilt vor allem für Erkrankungen des Harnstoffzyklus, im Stoffwechsel der Aminosäuren, der organischen Säuren sowie der Fettsäuren, Glukose und der Energiehomöostase, die sich oft mit einer akuten metabolischen Entgleisung, häufig bereits neonatal, manifestieren. Hier kommt es auf jede Stunde an. Diagnostik und Einleitung der Notfalltherapie müssen ohne Verzögerung parallel erfolgen, auch nachts und am Wochenende. Für diese Weichenstellung sind noch keine differenzierten Kenntnisse über individuell seltene Stoffwechselerkrankungen erforderlich. Entscheidend sind ein frühzeitiger Verdacht auf eine angeborene Stoffwechselkrankheit, die Initiierung der metabolischen Basisdiagnostik und als erste Notfallmaßnahme insbesondere eine ausreichende Glukosezufuhr. Inzwischen werden durch das erweiterte Neugeborenenscreening, die rasche metabolische Abklärung symptomatischer Patienten sowie durch verbesserte Therapiemöglichkeiten immer mehr Kinder frühzeitig diagnostiziert (aktuelle kumulative Schätzung ca. 1:500–1:1000 Neugeborene) und erfolgreich behandelt. Die Langzeitprognose der Betroffenen hängt wiederum ganz entscheidend vom zeitnahen und verlässlichen Einsatz einer abgestuften und individuell abgestimmten Notfalltherapie ab, die entweder zu Hause durch die Familie, den primär betreuenden Kinder- und Jugendarzt, in der heimatnahen Kinderklinik (immer in enger Absprache mit einem Stoffwechselzentrum) oder im Stoffwechselzentrum durchgeführt wird.
Georg F. Hoffmann, Stefan Kölker
67. Harnstoffzyklusstörungen
Zusammenfassung
Harnstoffzyklusstörungen („urea cycle disorders“, UCD) sind seltene, angeborene, und oftmals lebensbedrohliche Krankheiten der Entgiftung von Ammoniak und der Biosynthese von Arginin. Etwa die Hälfte der Patienten manifestiert bereits als Neugeborene mit einer hyperammonämischen Stoffwechselentgleisung. Harnstoffzyklusstörungen können jedoch in jedem Alter auftreten, auch in höherem Erwachsenenalter. Die häufigste Fehldiagnose bei betroffenen Neugeborenen ist die bakterielle Sepsis, ältere Patienten haben oft eine Odyssee durch verschiedene Disziplinen, oft unter anderem Psychiatrie, hinter sich. Gemeinsames laborchemisches Merkmal ist die Erhöhung von Ammoniak im Blut, sowie weitere Auffälligkeiten im Profil der Aminosäuren im Blut. Die Diagnose wird mittels Molekulargenetik gesichert. Die meisten Patienten benötigen eine eiweißarme Diät sowie verschiedene Medikamente, unter anderem Stickstofffänger („nitrogen scavengers“). Die Lebertransplantation ist die derzeit einzige kurative Therapie. Experimentelle Therapieansätze, unter anderem mittels Gentherapie, sind derzeit in (prä)klinischer Prüfung.
Johannes Häberle
68. Aminoazidopathien
Zusammenfassung
Gemeinsames biochemisches Merkmal aller angeborenen Aminoazidopathien, die durch angeborene Defekte spezifischer Enzyme und Transporter verursacht werden, ist die Akkumulation charakteristischer Aminosäuren und z. T. weiterer diagnostisch relevanter Metaboliten. Die Schwere der klinischen Präsentation wird durch den Schweregrad des Enzymdefektes, die Kompartimentierung und (organ-)spezifische Toxizität akkumulierender Metabolite sowie Ausmaß und Dauer der Proteinzufuhr bzw. des endogenen Proteinabbaus bestimmt. Ein vermehrter Proteinabbau wird durch unzureichende Energie- oder Proteinzufuhr im Rahmen eines Gewebskatabolismus, z. B. nach Operationen und bei interkurrenten Infekten, Nahrungsverweigerung, Erbrechen, aber auch durch eine hohe, über dem Grundbedarf liegende Eiweißzufuhr aktiviert. Eckpfeiler der Behandlung von Aminoazidopathien sind spezielle, an die individuelle Verträglichkeit einzelner Aminosäuren angepasste Diäten und bei schweren Krankheitszuständen eine extrakorporale Entgiftung.
Stefan Kölker, Georg F. Hoffmann
69. Organoazidurien
Zusammenfassung
Organoazidurien sind eine ätiologisch heterogene Gruppe angeborener Stoffwechselerkrankungen: Sie unterscheiden sich weder hinsichtlich ihrer Ätiologie noch ihrer Pathogenese grundsätzlich von den Aminoazidopathien. Klinisch imponieren vor allem akute metabolische Entgleisungen, Entwicklungsstörungen, neurologische oder multiple Organmanifestationen. Durch verschiedene Enzym- und Koenzymdefekte ist zumeist der Abbau von Aminosäuren oder der für die enzymatische Funktion erforderlichen Kofaktoren, z. B. Cobalamin oder Biotin, gestört. Die vor dem Block innerhalb des betroffenen Abbauwegs befindlichen und für jede Krankheit charakteristischen organischen Säuren und/oder deren Folgeprodukte stauen sich an und stören die Körperhomöostase. Häufig akkumulieren CoA-Derivate, die ihrerseits häufig zentrale mitochondriale Stoffwechselfunktionen hemmen und in charakteristische Acylcarnitine umgewandelt werden. Letztere sind mittels Tandem-Massenspektrometrie (MS/MS) detektierbar und bilden die Grundlage des erweiterten Neugeborenenscreenings. In Deutschland gehören drei Organoazidurien – Isovalerianazidurie, Glutarazidurie Typ I und der Biotinidasemangel – zu den Zielkrankheiten des Neugeborenenscreenings.
Stefan Kölker, Georg F. Hoffmann
70. Genetische Defekte des Monosaccharidstoffwechsels
Zusammenfassung
Glukose (Traubenzucker) ist das wichtigste Monosaccharid im menschlichen Organismus. Mit der Nahrung zugeführte Kohlenhydrate enthalten aber auch andere Monosaccharide, Disaccharide (die andere Zucker enthalten) und komplex aufgebaute Kohlenhydrate, bei deren Abbau ebenfalls andere Monosaccharide freigesetzt werden. Diese anderen Monosaccharide werden im Wesentlichen in der Leber durch verschiedene enzymatische Schritte in Glukose übergeführt. Genetische Defekte des Monosaccharidstoffwechsels können diese enzymatischen Schritte betreffen oder den Glukosestoffwechsel selber, wobei die Störungen des Glukosetransports an biologischen Membranen und die hormonelle Regulation der Glukosekonzentration im Blut spezielle Krankheitsgruppen bilden. Die Galaktose- und Fruktosestoff-wechselstörungen, die angeborenen Störungen des Glukosetransports und der kongenitale Hyperinsulinismus werden im Folgenden dargestellt; verschieden Formen des Diabetes mellitus werden an anderer Stelle behandelt.
Thomas Meissner, René Santer
71. Familiäre Hypercholesterinämie und verwandte Störungen des Lipidstoffwechsels (Hyperlipoproteinämien)
Zusammenfassung
Hyperlipidämien (Synonym: Hyperlipoproteinämien) sind Stoffwechselstörungen, bei denen ein oder mehrere Anteile der Serumlipide (Cholesterin, Triglyzeride oder beide) und eines oder mehrere der diese Lipide transportierenden Lipoproteine vermehrt sind. Die wichtigste Form ist die familiäre Hypercholesterinämie, ein monogener Defekt im LDL-Metabolismus, mit einer Prävalenz von ca. 1:200. Träger der Erkrankung erleiden oft in der 3. oder 4. Lebensdekade einen kardiovaskulären Event. Die Behandlung der Erkrankung, die im Kindesalter ohne Symptome verläuft, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit das Auftreten von atherosklerotischen Symptomen verhindern bzw. zumindest hinauszögern. Deshalb ist die Erfassung der betroffenen Kinder und Jugendlichen von größter präventiv medizinischer Relevanz.
Kurt Widhalm
72. Genetische Defekte der Fettsäurenoxidation und des Ketonstoffwechsels
Zusammenfassung
Den Störungen der mitochondrialen Fettsäurenoxidation und des Ketonstoffwechsels liegen autosomal-rezessiv vererbte Enzym- oder Transporterdefekte zugrunde. Erst in den letzten 25 Jahren wurden viele dieser inzwischen mehr als 20 Defekte erstmals identifiziert. Angeborene Störungen des Riboflavin-Metabolismus gehören mittlerweile auch zu den Störungen der Fettsäurenoxidation.
Ute Spiekerkötter
73. Mitochondriopathien
Zusammenfassung
Mitochondriopathien zählen zu den häufigsten neurometabolischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Sie sind klinisch äußerst heterogen, der Übergang ins Erwachsenenalter ist fließend. Betroffen sind vor allem energiebedürftige Organe. Genetische Defekte gibt es im mitochondrialen Genom und häufiger noch in der nukleären DNA. Biochemisch unterscheidet man Defekte der Atmungskettenenzyme, der mitochondrialen DNA-Replikation und Proteinsynthese, von Substraten, Kofaktoren und Homöostase der Organelle. Durch die Entwicklungen der Next Generation Sequenzierung steht die Genetik in der Diagnostik jetzt weit vorne, es gibt einen Shift zu „Genetics first“. Die Therapie ist nach wie vor hauptsächlich symptomatisch. Präimplantationsdiagnostik und Mitochondrien-Transfer sind wichtige neue Ansätze der Pränatalmedizin. Wichtig für die Abklärung, Therapie und Patientenführung ist eine enge Zusammenarbeit mit Kompetenzzentren, vor allem auch zur Entwicklung neuer Behandlungsoptionen.
Wolfgang Sperl, Peter Freisinger
74. Kreatinmangelsyndrome
Zusammenfassung
Kreatinmangelsyndrome werden durch 3 monogene Defekte der Synthese oder des zellulären Imports von Kreatin verursacht. Seit der Erstbeschreibung 1994 wurden ungefähr 100 Patienten diagnostiziert. Hierbei wurde für den erst 2001 identifizierten Defekt des Kreatintransports eine relativ hohe Inzidenz von 0,4 % bei ungeklärter X-gebundener mentaler Retardierung nachgewiesen. Auch hemizygote Frauen können milder und variabel ausgeprägte Entwicklungsstörungen aufweisen.
Georg F. Hoffmann
75. Glykogenspeicherkrankheiten
Zusammenfassung
Mit der Nahrung zugeführte Kohlenhydrate werden im Darm als Monosaccharide resorbiert. Ein großer Teil der ins Blut aufgenommenen Glukose wird nicht sofort metabolisiert, sondern vor allem in der Leber, aber auch in der Muskulatur und der Niere in Glykogen eingebaut. Dieses Glykogen wird in Nüchternphasen wieder mobilisiert. Seltene angeborene, genetisch bedingte Störungen dieses Vorgangs führen zu (meist) enzymatischen Defekten des Glykogenabbaus und zu den unterschiedlichen Formen der Glykogenspeicherkrankheiten (Glykogenosen). Sie können grob eingeteilt werden in die Leberglykogenosen und die Muskelglykogenosen mit zytoplasmatischer Speicherung, sowie die angeborenen Störungen mit generalisierter lysosomaler Glykogenspeicherung. Sie führen je nach genetischem Defekt und Organbefall zu sehr unterschiedlichen klinischen Zeichen und Laborbefunden. Dieses Kapitel beschreibt Klinik, Diagnostik und Therapie dieser wichtigen Krankheitsgruppe des Kohlenhydratstoffwechsels.
René Santer, Kurt Ullrich
76. Mukopolysaccharidosen
Zusammenfassung
Mukopolysaccharidosen (MPS) sind erbliche, progrediente Speicherkrankheiten, hervorgerufen durch die intrazelluläre Anhäufung von Glykosaminoglykanen (sauren Mukopolysacchariden). Glykosaminoglykane sind komplexe Kohlenhydratketten aus Uronsäuren, Aminozuckern und Neutralzuckern. Die wichtigsten sind Chondroitin-4-sulfat, Chondroitin-6-sulfat, Heparansulfat, Dermatansulfat, Keratansulfat und Hyaluronan. Sie werden intrazellulär synthetisiert, überwiegend in den Extrazellulärraum ausgeschieden und teilweise in Lysosomen wieder abgebaut. Im Gewebe sind sie mit Proteinen zu großmolekularen Proteoglykanen verbunden.
Jürgen Spranger
77. Oligosaccharidosen und verwandte Krankheiten
Zusammenfassung
Oligosaccharidosen sind lysosomale Speicherkrankheiten. Gespeichert werden Oligosaccharide (kurzkettige Verbindungen aus Neutralzuckern und Aminozuckern). Ursache sind Mutationen der Oligosaccharid-abbauenden lysosomalen Enzyme. Klinisch ähneln sie weitgehend den Mukopolysaccharidosen, von denen sie sich orientierend durch die erhöhte Ausscheidung von Oligosacchariden statt von Mukopolysacchariden unterscheiden. Die genaue Zuordnung erfolgt durch Enzymbestimmung und/oder molekulare Analyse. Eine Besonderheit sind Mukolipidose II und III. Lyosomale Enzyme sind bei ihnen nicht verändert, werden aber nicht an ihren Wirkungsort, die Lyosomen, transportiert. Die Enzymaktivitäten im Blut sind erhöht. Die Mukolipidose II ähnelt klinisch einer Mukopolysaccharidose I, Patienten mit Mukolipidose III haben nur Skelettveränderungen und Gelenkkontrakturen, jedoch keine groben Gesichtszüge und keine intellektuelle Behinderung.
Jürgen Spranger
78. Sphingolipidosen
Zusammenfassung
Sphingolipidosen sind seltene angeborene lysosomale Speichererkrankungen, bei denen es durch Fehlen bestimmter Enzyme, Transport- oder Aktivatorproteine zu einer Störung im Abbau von Sphingolipiden kommt. Sphingolipide sind essenzielle Membranbestandteile. Nicht degradierte Sphingolipide akkumulieren vor allem in Milz, Leber, Knochenmark und ZNS und führen zu einer Multiorganerkrankung. Sphingolipidosen zeigen ein progressiv verlaufendes variables klinisches Bild. Typische klinische Manifestationen sind Hepatosplenomegalie, ophthalmologische Symptome, wie kirschroter Makulafleck oder Blickparesen, und weitere ZNS-Beteiligungen einschließlich Neurodegeneration.
Julia B. Hennermann
79. Peroxisomale Krankheiten
Zusammenfassung
Die Organellbezeichnung Peroxisom wurde 1966 von de Duve und Baudhuin eingeführt und geht auf den Gehalt an Wasserstoffperoxiden zurück, die durch Oxidasen gebildet und durch Katalase abgebaut werden. Peroxisomen kommen in allen menschlichen Zellen mit Ausnahme der Erythrozyten vor. Die Organellmembran besteht aus peroxisomenspezifischen integralen Membranproteinen. Die peroxisomale Matrix enthält mehr als 50 Enzyme für eine Vielzahl anabolischer Funktionen, wie z.  B. Plasmalogenbiosynthese, Gallensäuresynthese, und auch katabolischer Funktionen, wie z. B. Abbau von Wasserstoffperoxiden, von überlangkettigen Fettsäuren („very long chain fatty acids“, VLCFA) und von Phytansäure. Die besondere Bedeutung von Peroxisomen für das menschliche Stoffwechselnetzwerk zeigen autosomal-rezessiv und X-chromosomal vererbte Krankheiten der Peroxisomen.
Jutta Gärtner, Hendrik Rosewich
80. Angeborene Glykosylierungsdefekte
Zusammenfassung
Während Abbaudefekte von proteinverknüpften Zuckerstrukturen als lysosomale Speichererkrankungen schon Jahrzehnte bekannt sind, wurden angeborene Defekte der Biosynthese solcher Strukturen erst in den letzten Jahren als eigene Krankheitsgruppe erkannt. Seit der Publikation des ersten molekularen Defekts im Jahre 1995 ist das Wissen um diese Krankheiten rasch expandiert. Zur Zeit sind mehr als 100 verschiedene Erkrankungen bekannt und jedes Jahr kommen weitere dazu. Auch für Experten ist es schwierig, angesichts der Vielzahl der Erkrankungen die Übersicht zu behalten.
Thorsten Marquardt
81. Defekte der Cholesterolbiosynthese
Zusammenfassung
Defekte der Cholesterolbiosynthese sind die ersten monogenen Erbkrankheiten, die als Ursache embryofetaler Fehlbildungssyndrome nachgewiesen wurden. Ein einziger Enzymdefekt ist im proximalen Teil des Syntheseweges bekannt: der Mevalonatkinasedefekt. Das distale Segment des Biosynthesewegs beginnt beim ersten Sterol des Biosyntheseweges, Lanosterol. Zusätzlich zum am häufigsten und besten bekannten Smith-Lemli-Opitz-Syndrom (SLO) konnten bisher 10 weitere Enzymdefekte identifiziert werden. Klinisch manifestieren sich der Mevalonatkinasedefekt als inflammatorische Multisystemerkrankung, die distalen Defekte mit unterschiedlichen kraniofazialen Dysmorphien, Organ- und Skelettfehlbildungen sowie schweren körperlichen und psychomotorischen Entwicklungsstörungen.
Georg F. Hoffmann
82. Defekte des Purin- und des Pyrimidinstoffwechsels
Zusammenfassung
Aufgrund der tragenden Rolle von Purin- und Pyrimidinverbindungen für die Erbinformation, den zellulären Energiestoffwechsel, manche Signalkaskaden und andere essenzielle Funktionen im Intermediärstoffwechsel (z. B. als Methylgruppendonor im Rahmen der Myelinisierung des Gehirns) sind genetische Defekte des Purin- und Pyrimidinstoffwechsels extrem vielfältig in ihren Phänotypen. Die einzelnen Defekte gehören ganz überwiegend zu den seltenen Erkrankungen. In diesem Kapitel werden einige Erkrankungen etwas detaillierter besprochen und fast alle klinisch bekannten Störungen mit einigen Schlüsselinformationen in einer Tabelle gelistet. Klinisch relevante generelle Prinzipien der Pathophysiologie werden erläutert sowie daraus resultierende Konsequenzen für die Pharmakotherapie.
Birgit Assmann, Jörgen Bierau
83. Porphyrien
Zusammenfassung
Die Porphyrien umfassen 10 überwiegend hereditär bedingte Stoffwechselkrankheiten der Hämbiosynthese, die durch spezifische biochemische Muster von Porphyrinen und Vorläufern im Urin, Stuhl und Blut diagnostiziert und differenziert werden.
Ulrich Stölzel, Manfred O. Doss

Endokrinologie

Frontmatter
84. Diabetes insipidus und Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion
Zusammenfassung
Diabetes insipidus beschreibt die Unfähigkeit der Niere, Wasser den Bedürfnissen entsprechend einzubehalten. Ursächlich ist die fehlende Wirkung des antidiuretischen Hormons Argininvasopressin (ADH), entweder durch die fehlende Vasopressinfreisetzung aus der Hypophyse (zentrale Form) oder durch die fehlende Vasopressinwirkung an der Niere (nephrogene Form). Zudem kann eine exzessive Flüssigkeitszufuhr (primäre Polydipsie) eine Polyurie verursachen und den Verdacht auf eine Störung der Freisetzung oder Wirkung von Vasopressin aufkommen lassen. Eine mangelhafte Suppression von Vasopressin bei uneingeschränkter Wasserzufuhr kann eine Hyponatriämie verursachen (inadäquate Vasopressin- oder ADH-Sekretion), ebenso wie eine verstärkte Vasopressinwirkung am V2-Vasopressinrezeptor (nephrogenes Syndrom der inadäquate Antidiurese).
Wolfgang Rascher
85. Krankheiten von Hypophyse und Hypothalamus
Zusammenfassung
Die Hypophyse ist ein zentraler Regulator für Wachstum, Stoffwechsel, Fortpflanzung und Homöostase. Sie integriert eine Vielzahl von lebenswichtigen hormonellen Regelkreisen. So sezerniert die Hypophyse Peptide und Proteohormone, welche Wasserhaushalt (Hypophysenhinterlappen), Stressantwort des Organismus (Nebennierenachse), Fortpflanzung (Gonadenachse), Wachstum (Wachstumshormonachse) und Energiehaushalt (Schilddrüsenachse) steuern.
Roland Pfäffle
86. Krankheiten der Schilddrüse
Zusammenfassung
Schilddrüsenhormone spielen nicht nur im Energiestoffwechsel eine zentrale Rolle. Sie sind vor allem für das normale Wachstum und die normale körperliche und geistige Entwicklung des Kindes unentbehrlich. Ihre Wirkung wird durch spezifische Schilddrüsenhormonrezeptoren vermittelt die sich im Zellkern befinden und die Transkription der vom Schilddrüsenhormon abhängigen Gene regulieren. Unter Kontrolle der hypothalamisch-hypophysären-thyreoidalen Achse besteht normalerweise eine euthyreote Stoffwechselsituation. Störungen dieses Regelkreises können die optimale Entwicklung des Kindes gefährden und sollten deswegen frühzeitig erkannt und behandelt werden. Meist handelt es sich um eine Über- oder Unterfunktion der Schilddrüse, deren Ursache in der Schilddrüse selbst (periphere oder primäre Schilddrüsenerkrankung) oder im regulierenden Zentrum (zentrale oder sekundäre/tertiäre Schilddrüsenerkrankung) zu finden ist. Im folgenden Kapitel werden die für den klinischen Alltag wichtigen Störungen der Schilddrüse im Kindes- und Jugendalter besprochen.
Markus Bettendorf, Joachim Pohlenz
87. Störungen des Kalzium-Phosphat-Stoffwechsels
Zusammenfassung
In dem Kapitel wird zunächst die physiologische hormonelle Regulation des Kalzium-Phosphat-Stoffwechsels unter besonderer Berücksichtigung des Neugeborenen-, Kinder- und Jugendalters beschrieben. Danach schließen sich Krankheitsbilder an, die sich einzelnen Störungen der den Kalzium- und Phosphat-Haushalt regulierenden Hormone ergeben. Ausführlich sind die angeborenen und erworbenen metabolischen Knochenstoffwechselstörungen, kalzipenische und hypophosphatämische Rachitis/Osteomalazie beschrieben. Der Abschluss des Kapitels ist den Besonderheiten der Kalzium- und Phosphat-Regulation in der Neugeborenenperiode gewidmet.
Dirk Schnabel
88. Störungen der Nebennierenfunktion
Zusammenfassung
Die Nebennieren bestehen aus der vom Mesoderm abstammenden Nebennierenrinde (NNR) und dem vom Ektoderm stammenden Nebennierenmark (NNM). Während der Fetalzeit ist die NNR deutlich größer als postnatal. In der fetalen NNR finden sich eine breite Innenschicht, die als transitorische fetale Rinde (Fetokortex) bezeichnet wird, und eine schmale Außenzone (Neokortex), aus der die permanente, letztlich dreischichtige NNR hervorgeht. Während der Neokortex durch ACTH stimulierbar ist, scheint der Fetokortex in der 1. Schwangerschaftshälfte unter dem Einfluss von plazentarem hCG (humanes Choriongonadotropin) zu stehen. Die Östrogenproduktion in der Schwangerschaft ist sowohl von einer funktionierenden Plazenta als auch von einer intakten und hormonell aktiven fetalen NNR abhängig (sog. fetoplazentare Einheit). Daher dient die Östriolkonzentration im Plasma oder Urin der Schwangeren als Parameter für die Vitalität des Fetus. Um den 8. Schwangerschaftsmonat beginnt eine Involution des Fetokortex, welche postpartal etwa im 6. Monat abgeschlossen ist. Im Neokortex differenziert sich erst nach der 10. SSW die Zona fasciculata. Ab der 20. SSW ist auch eine schmale Zona glomerulosa abgrenzbar. Die Steroidbiosynthese (Kortisol, Aldosteron) im Neokortex erfolgt in nennenswertem Umfang jedoch erst ab der 32. SSW. Die Zona reticularis demarkiert sich erst vor der Pubertät. Man unterscheidet 3 Zonen in der maturen Nebennierenrinde: Zona reticularis, Zona fasciculata und Zona glomerulosa.
Carl-Joachim Partsch, Felix Riepe
89. Krankheiten der Keimdrüsen
Zusammenfassung
Die Keimdrüsen vereinen reproduktive und endokrine Funktionen in einem Organ. Zu unterscheiden ist die genetisch bestimmte Geschlechtsdeterminierung, die die Entwicklung der Gonaden steuert, von der hormonabhängigen Geschlechtsdifferenzierung der inneren und äußeren Genitalstrukturen.
Olaf Hiort
90. Pubertät und Pubertätsstörungen
Zusammenfassung
Die Pubertät ist eine wichtige Entwicklungsphase des Lebens, in der der Mensch tief greifende körperliche, kognitive und psychosoziale Veränderungen durchläuft. Die körperlichen Veränderungen, die die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale und die Ausreifung der Reproduktionsfunktion umfassen, werden durch die Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Gonadenachse hervorgerufen. Störungen sowohl auf hypothalamischer, hypophysärer, aber auch gonadaler Ebene können zu einem vorzeitigen oder verzögerten Pubertätsprozess führen.
Sabine Heger, Olaf Hiort
91. Diabetes mellitus
Zusammenfassung
Bei Kindern und Jugendlichen ist der immunologisch bedingte insulinabhängige Diabetes mellitus Typ 1 die häufigste Form der Zuckerkrankheit. In Deutschland leben etwa 32.000 Kinder und Jugendliche mit dieser Erkrankung, ca. 1 Kind von 500 ist an Typ-1-Diabetes erkrankt. Die Erstbehandlung der Patienten erfolgt aufgrund der oft vorliegenden Ketoazidose und der erforderlichen metabolischen Einstellung und Schulung stets stationär. Das Kernelement der weiteren Betreuung der Patienten sind interdisziplinäre Schulungsprogramme für die Betroffenen und deren Familien, die an zertifizierten Diabeteszentren angeboten werden. Neben dem Typ-1-Diabetes gibt es eine Reihe von genetisch verursachten Diabetesformen, die zunehmend kausal aufgeklärt werden können. Die Häufigkeit des mit einer Insulinresistenz assoziierten Typ-2-Diabetes bei adipösen Jugendlichen nimmt aktuell zu. Die Behandlung dieser Patienten stellt eine neue Herausforderung dar.
Martin Wabitsch, Beate Karges
92. Wachstumsstörungen
Zusammenfassung
Das Körperlängenwachstum ist ein sehr komplexer Prozess. Von der Konzeption bis zum Schluss der Wachstumsfugen, d. h. bis zum Erreichen der Endgröße, müssen sehr verschiedene Faktoren zusammenwirken, damit das Kind sein Wachstumspotenzial möglichst optimal ausschöpft und eine Endgröße im genetischen Zielgrößenbereich erreicht.
Dirk Schnabel

Immunologie

Frontmatter
93. Physiologie der B- und T-Lymphozyten
Zusammenfassung
Das adaptive Immunsystem bestehend aus T- und B-Zellen ist für die Abwehr einer Vielzahl von Viren, Bakterien und Pilzen unabdingbar. Zudem werden transformierte körpereigene Zellen erkannt und eliminiert. Im Rahmen der Entwicklung dieser Zellen werden bestimmte Gensequenzen der entsprechenden Rezeptoren umgelagert, um eine hohe Variabilität der T- und B-Zell-Rezeptorspezifitäten zu erzielen. Interaktionen der sich entwickelnden Immunzellen mit ihrer Umgebung sorgen dafür, dass potenziell autoreaktive Spezifitäten eliminiert werden. Zudem vermögen regulatorische Subpopulationen von B- und T-Zellen Effektorzellen zu unterdrücken, um Schaden der körpereigenen Zellen zu limitieren. Dieses Kapitel gibt eine Übersicht über die normale Entwicklung und Funktion der T- und B-Zellen.
Mathias Hauri-Hohl, Johannes Trück
94. Immunologische Diagnostik
Zusammenfassung
Eine immunologische Diagnostik sollte erfolgen, wenn die Krankengeschichte und führende klinische Symptome an einen Immundefekt denken lassen. Die folgenden Empfehlungen orientieren sich an einer AWMF-Leitlinie zur Diagnostik von Immundefekten, die 2017 von einer interdisziplinären Expertengruppe publiziert worden ist. Die Empfehlungen betreffen die Indikationen zur Diagnostik sowie die in allen Laboreinrichtungen üblicherweise verfügbare Basisdiagnostik. Die weiterführende immunologische Diagnostik ist hoch spezialisiert und wird bei den spezifischen Erkrankungen zusammengefasst.
Carsten Speckmann, Stephan Ehl
95. Angeborene Immundefekte mit vorwiegender Störung der Antikörperproduktion
Zusammenfassung
Angeborene Immundefekte, welche überwiegend mit einer quantitativ oder funktionell eingeschränkten Antikörperantwort einhergehen (Antikörperdefekte), zählen zu den häufigsten Formen primärer Immundefizienz mit einer geschätzten Inzidenz zwischen 1:400 und 1:100.000. Gemäß der aktualisierten Klassifizierung der IUIS (International Union of Immunological Societies) werden diese Störungen in 4 verschiedenen Untergruppen eingeteilt, basierend v. a. auf der Ausprägung des Antikörpermangels sowie nummerischer Veränderungen der B-Zellen. Antikörper-Defekte sind durch Störungen der B-Zell-Entwicklung im Knochenmark bzw. durch Einschränkung der Proliferation, Differenzierung oder Ausreifung von B-Zellen verursacht. Patienten mit Antikörperdefekten leiden typischerweise unter rezidivierenden Infektionen, welche in der Regel durch (kapseltragende) Bakterien, wie z. B. H. influenzae oder S. pneumoniae, verursacht werden. Charakteristischerweise kommt es bei betroffenen Patienten zu sogenannten Schleimhaut-assoziierten Infektionen, wie Otitiden, Pneumonien und bei älteren Patienten auch Sinusitiden. Die Therapie besteht in einer frühzeitigen und konsequenten Therapie von Infektionen und bei schweren Verlaufsformen in der regelmäßigen prophylaktischen Gabe von intravenös oder subkutan verabreichten Immunglobulinen vom Typ G (IgG).
Johannes Trück, Mathias Hauri-Hohl
96. T-zelluläre und kombinierte Immundefekte
Zusammenfassung
Primäre T-zelluläre Immundefekte umfassen eine Gruppe seltener Erkrankungen, die Folge genetisch bedingter Störungen der Reifung, Differenzierung und Aktivierung oder der Funktion des T-zellulären Immunsystems sind. Wegen der zentralen immunregulatorischen Funktion der T-Zellen zeigen betroffene Patienten meist auch einen sekundären B-Zell-Defekt, daher spricht man auch von kombinierten Immundefekten (= das zelluläre und humorale System betreffend).
Stephan Ehl, Carsten Speckmann
97. Sekundäre Immundefekte
Zusammenfassung
Mikroorganismen können beim Wirt Immundysfunktion induzieren, um ihr eigenes Überleben zu sichern. Obwohl dieses Konzept primär zum Vorteil des ursächlichen Erregers bestimmt ist, führt die induzierte Immundysfunktion bei ausgedehnter Ausprägung zu einem sekundären Immundefekt mit negativen Auswirkungen auf die Abwehr anderer Erreger. Dieses Kapitel befasst sich mit Immundysfunktionen, welche durch menschenpathogene Viren ausgelöst werden. Virusinduzierte Immundysfunktionen müssen bei der diagnostischen Abklärung von Patienten mit klinisch relevanten „Immundefekten“ berücksichtigt werden.
David Nadal
98. HIV-Infektion und AIDS
Zusammenfassung
Eine HIV-Infektion liegt vor, wenn HIV-1 oder HIV-2 sicher nachgewiesen wurde. AIDS (acquired immune deficiency syndrome) bezeichnet den durch HIV induzierten, schweren Immundefekt mit sog. AIDS-definierenden Sekundärerkrankungen (u. a. opportunistische Infektionen, maligne Tumoren). HIV-exponierte Kinder sind Kinder HIV-positiver Mütter. Bei Kindern HIV-infizierter Mütter können mütterliche HIV-Antikörper im Blut nachgewiesen werden.
Tim Niehues, Jennifer Neubert
99. Erhöhte Infektanfälligkeit
Zusammenfassung
Erhöhte Infektanfälligkeit im Kindes- und Jugendalter besteht per definitionem, wenn mehr als 8 Infektionserkrankungen pro Jahr (im Kleinkind- und Vorschulalter) auftreten bzw. chronische, über mehrere Wochen trotz adäquater Therapie nicht ausheilende Infektionen sich entwickeln.
David Nadal
100. Komplementsystem und Komplementdefekte
Zusammenfassung
Das Komplementsystem ist ein wesentlicher Bestandteil im Netzwerk der körpereigenen Immunabwehr. Es besteht aus einer komplexen Kaskade von mehr als 30 verschiedenen Komponenten und Regulatoren. Zu seinen Hauptaufgaben zählt die direkte Zerstörung von Zellen und Erregern, die Opsonisierung von Fremdpartikeln und Immunkomplexen als Vorbedingung zu deren Phagozytose und die Aktivierung von Abwehrzellen des Immunsystems. Seine Leistungen sind permanent und sofort verfügbar. Dem System kommen somit besonders in der Frühphase einer Infektion, aber auch als Mediatorsystem im Bereich der akuten und chronischen Entzündungsreaktion, wichtige Aufgaben zu. Die pathophysiologische Bedeutung von Komplementstörungen liegt einerseits in den relativ selten vorkommenden Komplementdefizienzen, jedoch mehr noch in den Konsequenzen eines überaktivierten und/oder dysregulierten Systems als Basis für eine Vielzahl zum Teil schwerwiegender Entzündungserkrankungen, von Glomerulonephritiden bis hin zur Sepsis und Multi-Organversagen.
Michael Kirschfink
101. Phagozytenfunktionsdefekte
Zusammenfassung
Störungen der Zahl oder Funktion neutrophiler Granulozyten sind oft Defekte hämatopoetischer Stammzellen und als solche häufig mit Störungen der Monozyten und Makrophagen gekoppelt. Die Krankheiten können die Bildung und Ausreifung dieser Zellen im Knochenmark oder ihr Überleben in der Peripherie betreffen (Neutropenien) bzw. ihre physiologischen Funktionen beeinträchtigen (Phagozytenfunktionsdefekte). In letzterem Fall liegen Störungen der Motilität (Chemotaxis und/oder Ingestion) bzw. der Mikrobenabtötung vor, z. B. Leukozytenadhäsionsdefekte, septische Granulomatosen oder Leukozytenmykobakterizidie-Defekte.
Reinhard Seger

Autoimmunkrankheiten

Frontmatter
102. Definition und Pathogenese der Autoimmunkrankheiten
Zusammenfassung
Genetische Faktoren, Einflüsse aus der Umwelt und eine verminderte oder defekte Regulation sind verantwortlich für die Initiierung einer autoimmunen Reaktion. Dabei können genetische Polymorphismen in bestimmten, bei der Immunantwort beteiligten Genen (HLA, Zytokine/Rezeptoren, zentrale Toleranz wie AIRE) die Aktivierung von autoreaktiven T-Zellen ermöglichen und Umweltfaktoren wie Infektionen, das Mikrobiom oder Gewebeschäden diese Aktivierung durch proinflammatorische Faktoren unterstützen. Regulatorische T-Zellen (Tregs) sollten autoreaktive T-Zellen supprimieren, aber Störungen in der Entwicklung oder Funktion von Tregs können diese Kontrollfunktion beeinträchtigen. Alleine oder in Kombination können diese Faktoren zur Aktivierung und Proliferation von autoreaktiven T-Zellen mit nachfolgender Gewebeschädigung und klinischer Erkrankung führen.
Günther Dannecker, Norbert Wagner
103. Juvenile idiopathische Arthritis
Zusammenfassung
Die juvenile idiopathische Arthritis (JIA) ist eine der häufigsten chronischen Krankheiten des Kindes- und Jugendalters. Sie umfasst eine Gruppe von Erkrankungen, die durch eine chronische Arthritis (Dauer mindestens 6 Wochen) mit Krankheitsbeginn vor dem 16. Lebensjahr und den Ausschluss anderer Erkrankungen charakterisiert sind. Durch die Entzündung der Synovialis eines oder mehrerer Gelenke, zum Teil auch der periartikulären Strukturen, kommt es zunächst zur Bewegungseinschränkung; bei Persistenz der Erkrankung später zur Knorpel- und Knochenerosion. Relevante Spätfolgen können Behinderung, Rollstuhlpflichtigkeit, Kontrakturen, regionale Wachstumsstörung und/oder Minderwuchs sein. Auch eine extraartikuläre Beteiligung ist nicht selten und kann zu Organschäden führen, z. B. an Herz, Leber oder Augen mit Sehstörungen bis zur Erblindung. Ein tödlicher Ausgang ist bei adäquater Therapie heute sehr selten. Unter adäquater moderner Therapie ist die Prognose bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten günstig und eine Remission möglich.
Hans-Iko Huppertz, Gerd Horneff, Fred Zepp
104. Juvenile Spondyloarthritiden
Zusammenfassung
Unter dem Begriff juvenile Spondyloarthritis wird eine Gruppe entzündlicher Krankheiten von Achsenskelett und peripheren Gelenken zusammengefasst, denen bestimmte Merkmale, wenn auch in wechselnder Häufigkeit, gemein sind. Diese Merkmale umfassen z. B. eine Entzündung der Gelenke des Achsenskeletts und/oder der peripheren Gelenke mit Arthritis, Enthesitis oder Daktylitis. Typisch ist eine Assoziation zu HLA B27 oder eine positive Familienanamnese für Spondylarthritis, Psoriasisarthritis, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen und bestimmte extraartikuläre Manifestationen. Nach klinischen und radiologischen Kriterien werden verschiedene Krankheitsbilder unterschieden. In der ILAR-Klassifikation der juvenilen idiopathischen Arthritis werden Kinder und Jugendliche mit Spondylarthritis je nach bestehenden Merkmalen als Enthesitis-assoziierte Arthritis, Psoriasisarthritis oder undifferenzierte Arthritis kategorisiert, da auch die Psoriasisarthritis zu den Spondyloarthritiden gezählt wird.
Daniel Windschall, Hans-Iko Huppertz
105. Infektassoziierte Arthritiden
Zusammenfassung
Zu den infektassoziierten Arthritiden zählen die viral-assoziierten Arthritiden, bakteriell-assoziierten Arthritiden durch Borrelien, gramnegative Darmkeime, Chlamydien und Arthritiden im Rahmen eines akuten rheumatischen Fiebers. Im Unterschied zu den rheumatischen Erkrankungen unbekannter Ursache, wie der juvenilen idiopathischen Arthritis, ist bei infektassoziierten Arthritiden der auslösende Erreger bekannt. Von der septischen Arthritis durch Eiter bildende Bakterien wie Staphylokokken unterscheiden sich die infektassoziierten Arthritiden dadurch, dass es nicht zur raschen Zerstörung des Gelenks durch den septischen Prozess kommt.
Hans-Iko Huppertz
106. Systemischer Lupus erythematodes und seltene rheumatische Krankheiten
Zusammenfassung
Der systemische Lupus erythemathodes (SLE) ist eine B-Zell-vermittelte, chronisch-entzündliche Autoimmunkrankheit, die gekennzeichnet ist durch Produktion von Autoantikörpern gegen Zellkernbestandteile und Ablagerung von Immunkomplexen, die eine Vaskulitis verursachen. Zahlreiche Organe können betroffen sein, z. B. Haut, Niere, Lunge und ZNS. Die frühe Manifestation eines SLE ist häufig mit einem schweren Verlauf assoziiert. Zu den hier besprochenen seltenen rheumatischen Erkrankungen gehören mixed connective tissue disease, Sjögren-Syndrom und eosinophile Fasziitis.
Norbert Wagner, Günther Dannecker
107. Episodische Fiebersyndrome – autoinflammatorische Syndrome
Zusammenfassung
Autoinflammatorische Erkrankungen sind eine Gruppe von erblichen und nichterblichen Erkrankungen des angeborenen Immunsystems, gekennzeichnet durch wiederkehrende Entzündungen scheinbar grundlos, in unregelmäßigen Zeitabständen und Manifestationen an Haut, Schleimhäuten, Gelenken, Knochen, Magen-Darm-Trakt, aber auch an Gefäßen oder ZNS. Amyloidose und andere mögliche schwere langfristige Komplikationen sind von Bedeutung. Fortschritte in der Genetik und Molekularbiologie haben das Verständnis der Pathogenese dieser Erkrankungen verbessert. Pathogenetisch sind unterschiedliche Entzündungswege, Interleukin-1-, Interferon-, NF-Kappa-B-vermittelte oder andere Wege bedeutsam. Wenngleich die genetische Analyse der monogenen Krankheiten in der Regel die finale Diagnose liefert, sind Kenntnisse klinischer Merkmale und Unterschiede der autoinflammatorischen Erkrankungen für eine gezielte genetische Diagnostik und zur rechtzeitigen Indikation einer notwendigen Therapie unverändert essenziell.
Gerd Horneff, Angela Rösen-Wolff
108. Amyloidosen
Zusammenfassung
Amyloidose ist der Oberbegriff für Krankheiten, die durch die extrazelluläre Ablagerung von Amyloiden bedingt sind, nichtabbaubare fibrilläre Aggregationsprodukte homogen modifizierter Proteine. Die abgelagerten Amyloide schädigen die betroffenen Organe, z. B. Niere, Leber oder ZNS. Charakteristisch ist die Färbbarkeit mit Kongorot. Die Therapie der sehr seltenen kindlichen Amyloidosen besteht im Versuch, die Produktion der Vorläuferproteine zu vermindern.
Hans-Iko Huppertz
109. Vaskulitiden
Zusammenfassung
Vaskulitis ist ein Sammelbegriff für verschiedenartige und heterogene Erkrankungen, die mit einer Entzündung der Gefäßwand einhergehen. Sie kann ein Symptom anderer zugrundeliegender Erkrankungen oder selbst die Ursache inflammatorischer Erkrankungen sein. Die Klassifikation von Vaskulitiden im Kindes- und Jugendalter basiert auf der Beschreibung des klinischen Phänotyps der Entzündung, der Größe vornehmlich betroffener Gefäße und dem histopathologischen Aussehen der Entzündungsreaktion. Die am häufigsten verwendeten Klassifikationen beruhen auf der Chapel-Hill-Konsensus-Konferenz und den EULAR/PRES-Klassifikationskriterien für Vaskulitis im Kindesalter. Während die Kriterien für primäre Vaskulitiden zwischen den beiden Klassifikationen weitestgehend übereinstimmen, gibt es kleinere Unterschiede bei sekundären Vaskulitiden und Vaskulitis einzelner Organsysteme. Die rechtzeitige Diagnose und Therapie (wo nötig) bestimmen in vielen Fällen die Prognose, weswegen bei Verdacht pädiatrische Rheumatologen und ggf. weitere Fachkollegen hinzugezogen werden sollten.
Christian M. Hedrich
110. Juvenile Dermatomyositis
Zusammenfassung
Die juvenile Dermatomyositis ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung unbekannter Ursache mit Beteiligung von Muskulatur, Haut und manchmal weiteren Organen. Charakteristisch sind proximale Muskelschwäche, schuppende Erytheme über den Streckseiten der Extremitäten und Gesichtsveränderungen. Zur Diagnostik sind Labor und MRT bedeutsam. Unter einer Therapie mit Glukokortikoiden, Methotrexat und weiteren Medikamenten kann meist eine Besserung und schließlich Remission erreicht und Komplikationen wie Verkalkungen vermieden werden.
Hans-Iko Huppertz
111. Sklerodermie
Zusammenfassung
Das gemeinsame klinische Symptom aller Formen der Sklerodermie ist die krankhafte Anhäufung von Kollagen in den betroffenen Geweben und namensgebend vor allem in der Haut. Nach klinischen Gesichtspunkten werden im Wesentlichen 2 Formen unterschieden: die lokalisierten Sklerodermien und die systemischen Sklerodermien.
Hermann Girschick

Allergie und allergische Krankheiten

Frontmatter
112. Allergische Krankheiten
Zusammenfassung
Unter dem 1906 vom österreichischen Kinderarzt Clemens von Pirquet geprägten Begriff einer Allergie (griech. „allos“ und „ergon“; fremde bzw. andere Reaktion) versteht man eine überschießende Immunreaktion auf nichtinfektiöse, an sich harmlose Antigene der Umwelt (Allergene) mit der Ausbildung von klinisch relevanten Entzündungszeichen. Hiervon abzugrenzen sind Pseudoallergien, bei denen klinisch ähnliche Reaktionen ohne nachweisbare immunologische Vermittlung auftreten und die gemeinsam mit den Allergien zu den Unverträglichkeitsreaktionen zusammengefasst werden, und Autoimmunreaktionen, bei denen überschießende Immunreaktionen gegen körpereigene Antigene (Autoantigene) ausgelöst werden. Für die Eigenschaft der erleichterten Ausbildung von Immunglobulin-E-Antikörpern (IgE-Antikörpern) nach Kontakt mit Umweltstoffen wurde 1923 von Coka und Cooke der Begriff der Atopie geprägt. Pathogenetisch kann der Begriff Atopie gleichgesetzt werden mit der krankhaft erhöhten Bildung von IgE.
Eckard Hamelmann

Infektionskrankheiten

Frontmatter
113. Prinzipien der Infektiologie und Infektionsepidemiologie
Zusammenfassung
Infektionskrankheiten unterscheiden sich von allen anderen Krankheiten dadurch, dass sie nach einem Kontakt und aus der daraus resultierenden Auseinandersetzung zweier Lebewesen entstehen – dem „Wirt“ auf der einen und dem Mikroorganismus auf der anderen Seite. Verschiedene Fachdisziplinen haben im Lauf des letzten Jahrhunderts die 3 genannten Aspekte – Mikroorganismen, Makroorganismen und Kontaktmuster – erforscht und sich dabei voneinander abgegrenzt. Im Laborbereich beschäftigt sich die medizinische Mikrobiologie mit den Mikroorganismen, die Immunologie mit den Makroorganismen. Die Hygiene untersucht die Kontaktmuster zwischen Mikroorganismus und Wirt mit dem Ziel, Methoden zu entwickeln, die eine Übertragung des Erregers auf den Wirt verhindern. Daraus hat sich vor allem in den angelsächsischen Ländern die Infektionsepidemiologie entwickelt, welche die Regeln der Verbreitung von Infektionskrankheiten und ihren Erregern erforscht. Infektiologen haben spezielle Kenntnisse auf jedem der 4 vorgenannten Fachgebiete (Immunologie, Mikrobiologie, Hygiene, Infektionsepidemiologie) und beziehen sie auf die Diagnostik, Therapie und Prävention beim individuellen Patienten und in der Bevölkerung.
Reinhard Berner, Ulrich Heininger, Heinz-Josef Schmitt
114. Epidemiologie und Prävention von nosokomialen Infektionen in der Pädiatrie
Zusammenfassung
Eine nosokomiale Infektion (griech. „nosokomeíon“, Krankenhaus) ist laut Infektionsschutzgesetz definiert als eine „Infektion mit lokalen oder systemischen Infektionszeichen als Reaktion auf das Vorhandensein von Erregern oder ihrer Toxine, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer stationären oder einer ambulanten medizinischen Maßnahme steht, soweit die Infektion nicht bereits vorher bestand“.
Thomas Hauer, Arne Simon, Markus Dettenkofer
115. Sepsis und toxisches Schocksyndrom
Zusammenfassung
Sepsis ist eine lebensbedrohliche Organdysfunktion, die durch eine unkontrollierte Reaktion des Körpers (früher auch systemische entzündliche Reaktion des Organismus; SIRS, systemic inflammatory response syndrome) auf eine Infektion mit Bakterien, Viren, Pilzen oder Parasiten hervorgerufen wird. Beim septischen Schock liegen eine schwere kardiovaskuläre Dysfunktion (Notwendigkeit einer vasoaktiven Therapie zur Blutdruckunterstützung) und eine zelluläre/metabolische Dysfunktion (mit Laktaterhöhung) vor. Bei der Sepsis verläuft die Immunreaktion des Organismus so unkontrolliert, dass es zu Temperaturerhöhungen/Untertemperatur, Tachykardie/Bradykardie, Tachypnoe/Beatmungsnotwendigkeit, arterieller Hypotension, disseminierter intravasaler Gerinnung und Multiorganversagen kommen kann. Das toxische Schocksyndrom ist eine durch bakterielle Exotoxine ausgelöste immunvermittelte, fulminant verlaufende, lebensbedrohliche Multisystemerkrankung bei vorher gesunden Patienten. Die häufigsten auslösenden Erreger sind Staphylococcus aureus (klassisches toxisches Schocksyndrom, TSS) und Streptococcus pyogenes (Streptokokken-bedingtes toxisches Schocksyndrom, STSS).
Markus Hufnagel
116. Bakterielle Infektionen: grampositive und gramnegative Kokken
Zusammenfassung
Die wichtigsten Vertreter der grampositiven Kokken gehören zu den Spezies Staphylococcus und Streptococcus (einschl. Pneumokokken und Enterokokken). Staphylokokken und Streptokokken verursachen zahlenmäßig den größten Teil aller bakterieller Infektionskrankheiten bei Kindern und Jugendlichen und haben daher eine große klinische Bedeutung. Dabei reicht das klinische Spektrum von oberflächlichen Haut- und Schleimhautinfektionen bis hin zu schweren lebensbedrohlichen invasiven Erkrankungen sowie Folgeerkrankungen. Die klinisch wichtigsten Vertreter der gramnegativen Kokken sind Meningokokken und Gonokokken, in der Pädiatrie am relevantesten sind Meningokokken-Infektionen. Die wichtigsten, durch Meningokokken verursachten Krankheiten sind die eitrige Meningitis und die perakut verlaufende Sepsis (mit Waterhouse-Friderichsen-Syndrom). Dazwischen gibt es Mischformen.
Reinhard Berner
117. Bakterielle Infektionen: grampositive Stäbchen
Zusammenfassung
Grampositive Stäbchen führen zu relevanten Krankheitsbildern wie Diphtherie, Listeriose, Aktinomykose und Nokardiose in unterschiedlichen Häufigkeiten und mit erregerspezifischen Besonderheiten bezüglich Häufigkeit, Krankheitsbild, Diagnosekriterien und Behandlungsmöglichkeiten.
Ulrich Heininger
118. Bakterielle Infektionen: gramnegative Stäbchen
Zusammenfassung
Gramnegativen Stäbchen gemeinsam ist ihr Färbeverhalten und ihre Gestalt im mikrokopischen Präparat. Ansonsten verursachen sie eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Infektionskrankheiten beim Menschen. Diese Vielfalt und Unterschiedlichkeit erlauben es nur, einige wenige Vertreter herauszugreifen und die für das Kindes- und Jugendalter wichtigsten Krankheitsbilder zu besprechen. Dies reicht von der eitrigen Meningitis durch Haemophilus influenzae Typ b über das Krankheitsbild Keuchhusten bis hin zur Cholera oder Helicobacter-pylori-Infektion.
Reinhard Berner, Ulrich Heininger, Klaus-Michael Keller, Hans-Iko Huppertz
119. Bakterielle Infektionen: Anaerobier
Zusammenfassung
Anaerobier-Infektionen spielen eine vergleichsweise geringe Rolle in der Pädiatrie. Unter besonderen Bedingungen kann es jedoch zu sehr schwer verlaufenden Erkrankungen kommen, die mit einer hohen Mortalität und Morbidität assoziiert sind. Dazu gehören neben der Anaerobier-Sepsis, Organabszessen und Weichgewebeinfektionen nicht zuletzt die spezifischen Krankheitsentitäten Tetanus, Botulismus oder Gasbrand.
Reinhard Berner, Markus Hufnagel, Roland Elling, Klaus-Michael Keller
120. Atypische bakterielle respiratorische Infektionen
Zusammenfassung
In diesem Kapitel werden respiratorische Infektionen abgehandelt, die von atypischen Bakterien der Gattung Mykoplasma und Chlamydia verursacht werden. Der Begriff atypisch leitet sich einerseits von seiner Färbeeigenschaft in der Gram-Färbung ab, in der sich atypische Bakterien nicht darstellen lassen, d. h. sie sind weder grampositiv noch gramnegativ. Ursache ist zum einen eine fehlende Zellwand zur chemischen Färbung (z. B. Mykoplasmen). Andererseits gibt es atypische Bakterien, die nicht oder nur erschwert auf herkömmlichen Agarmedien anwachsen. Das fehlende Wachstum gründet darauf, dass Mykoplasmen und Chlamydien obligat intrazelluläre Bakterien sind, d. h. sie benötigen zur Vermehrung die Zellmaschinerie oder Stoffwechselprodukte von Eukaryonten. Mykoplasmen und Chlamydien werden via Aerosole übertragen und verursachen primär respiratorische und nicht systemische Infektionen. Systemische Infektionen durch andere atypische bakterielle Erreger werden in einem gesonderten Kapitel abgehandelt, ebenso Infektionen durch Spirochaeten und Mykobakterien.
Markus Hufnagel, Roland Elling
121. Atypische bakterielle Infektionen
Zusammenfassung
In diesem Kapitel werden Infektionen beschrieben, die von atypischen Bakterien verursacht werden und primär systemische Erkrankungen hervorrufen. Der Begriff atypisch leitet sich einerseits von der Färbeeigenschaft in der Gram-Färbung ab, mit der sich atypische Bakterien nicht darstellen lassen, d. h. sie sind aufgrund einer fehlenden anfärbbaren Zellwand weder grampositiv noch gramnegativ. Andererseits gibt es atypische Bakterien, die nicht oder nur erschwert auf herkömmlichen Agarmedien anwachsen, weil atypische Bakterien oft obligat intrazelluläre Bakterien sind, d. h. sie benötigen zur Vermehrung die Zellmaschinerie oder Stoffwechselprodukte von Eukaryonten. Ein weiteres Charakteristikum atypischer Bakterien ist ihre Übertragung als Zoonose, hauptsächlich via Aerosole kontaminierter tierischer Ausscheidungen oder via Arthropoden (in erster Linie Zecken) als Vektoren. Mykoplasmen und Chlamydien als Sonderformen atypischer Erreger werden via Aerosole übertragen und verursachen primär respiratorische und nicht systemische Infektionen. Infektionen durch Chlamydien und Mykoplasmen werden deshalb nicht hier abgehandelt, ebenso nicht Infektionen durch Spirochaeten und Mykobakterien.
Markus Hufnagel, Roland Elling, Christoph Berger, Hans-Iko Huppertz, David Nadal
122. Atypische bakterielle Infektionen: Spirochäten
Zusammenfassung
Spirochäten sind Bakterien der Ordnung Spirochaetales. Spiralige Morphologie, Beweglichkeit und hohe Ansprüche an das Kultivierungsmedium sind besondere Kennzeichen dieser Bakterien, die sich zum Teil ausschließlich im tierischen oder menschlichen Organismus vermehren. Humanpathogene Relevanz haben insbesondere Bakterien der Familie Spirochaetaceae mit den Gattungen Borrelia und Treponema sowie der Familie Leptospiraceae mit der Gattung Leptospira. In der Pädiatrie besitzt die Lyme-Borreliose die größte Bedeutung unter den durch Spirochäten verursachten Krankheitsbildern. Nur vereinzelt ist momentan in Westeuropa mit Rückfallfieber, verursacht durch andere Borrelien, angeborener Syphilis durch Treponema pallidum oder Leptospirose zu rechnen.
Hans-Jürgen Christen, Helmut Eiffert
123. Atypische bakterielle Infektionen: Mykobakteriosen
Zusammenfassung
Mykobakterien sind aerobe, sporenlose, unbewegliche Stäbchen und werden eingeteilt in die 3 Spezies-Gruppen Tuberkulose-Komplex, nichttuberkulöse Mykobakterien und Lepra. Erstere und letztere werden nur von Mensch-zu-Mensch übertragen. Demgegenüber sind nichttuberkulöse Mykobakterien ubiquitär, und die Infektionsquelle können unbelebte Natur oder Tiere sein. Das Krankheitsspektrum reicht insbesondere bei nichttuberkulösen Mykobakterien von unspezifischen Manifestationen bis zu spezifischen Bildern wie Lungentuberkulose oder lepromatöse Lepra. Der Immunkompetente kann Infektionen mit Mykobakterien meist eingrenzen und zuweilen keine Symptome zeigen, während der Immuninkompetente eine Dissemination der Infektion und schwersten Verlauf mit Tod erfahren kann. Beim Immuninkompetenten werden die „typischen“ Krankheitsbilder wegen der verminderten Eingrenzung der Infektion atypisch und entgehen deshalb oft einer frühzeitigen klinischen Erkennung. Das klinische Verdachtsmoment ist weichenstellend für Diagnose, Therapie und die Unterbrechung der Infektkette.
Hans-Iko Huppertz, David Nadal
124. Respiratorische Viren
Zusammenfassung
Akute respiratorische Erkrankungen im Kindesalter sind ganz überwiegend durch Viren ausgelöst. Winterliche Epidemien sind die Regel. Die Krankheitszeichen sind initial sehr ähnlich, es gibt nur wenige spezifische Anfangssymptome, z. B. (Pseudo-)Krupp-Symptomatik durch Parainfluenza-Viren. Für die Pathogenese ist die hauptsächlich infizierte Zellpopulation, die Stärke der Immunreaktion sowie das Alter und die Veranlagung des Kindes ausschlaggebend, letzteres insbesondere hinsichtlich einer Asthmareaktion. Die Diagnostik erfolgt in der Regel durch (Multiplex-)PCR. Antigen-Schnellteste für einige Erreger sind ebenfalls verfügbar. Die Behandlung ist supportiv – nur wenige Maßnahmen sind allerdings hinreichend evidenzbasiert. Antivirale Therapien sind wenige verfügbar. Antibiotikagaben sind unwirksam zur Komplikationsprophylaxe. Für die Influenza-Prophylaxe gibt es eine aktive Impfung, für die passive RSV-Prophylaxe Indikationen bei drohenden schwerwiegenden Verläufen im Säuglingsalter.
Marcus Panning, Johannes Forster
125. Gastrointestinale Viren
Zusammenfassung
Gastrointestinale Viren sind in diesem Kapitel zusammengefasst unter dem Gesichtspunkt, dass sie sich im Magendarmtrakt vermehren. Eine Gruppe erzeugt dabei Gastroenteritiden (Rotavirus, Norovirus, Astrovirus), für die eine spezifische Diagnostik möglich, aber für die ausschließlich symptomatische Therapie unnötig ist. Epidemiologisch sind Rotaviren in dieser Gruppe in den ersten beiden Lebensjahren führend, es gibt empfohlene orale Impfstoffe für Säuglinge. Die andere Gruppe (Enteroviren und Parechoviren) vermehrt sich asymptomatisch oder unter Zeichen einer Allgemeininfektion. Je nach Organotropismus entstehen in einer zweiten Krankheitsphase Erkrankungen des ZNS, der Luftwege, der Haut und Schleimhäute sowie der Muskeln und des Herzens. Eine ätiologische Diagnostik ist in diesem Stadium ratsam, insbesondere bei dem Sepsis-artigen Krankheitsbild des Neugeborenen sowie bei Meningitiden bzw. Enzephalitiden. Bei schwerem Verlauf ist hier eine antivirale Therapie möglich.
Marcus Panning, Johannes Forster
126. Masern, Mumps, Röteln
Zusammenfassung
Masern, Mumps und Röteln sind ubiquitär vorkommende Viruserkrankungen, die sich häufig im Kindes- und Jugendlichenalter manifestieren (typische „Kinderkrankheit“). Masern gehen immer mit einer Immunschwäche einher, die Wochen bis Monate anhalten kann. Zu den schweren, oft tödlichen Komplikationen gehören Masernenzephalitis, weiße Masern und subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE). Mumps ist in den meisten Fällen eine akute, selbstlimitierende Erkrankung. Die Mumpsinfektion manifestiert sich neben Parotitis als seröse Meningitis, Pankreatitis und Orchitis. Bei Röteln ist die Rötelnembryofetopathie, die progressive Rötelnpanenzephalitis (PRP) und die akute Rötelnenzephalitis gefürchtet. Säuglinge mit konnatalen Röteln müssen bis zum Ende des 1. Lebensjahrs als infektiös betrachtet werden. Gegen alle 3 Erkrankungen stehen wirksame Lebendimpfstoffe zur Verfügung, meist als Drei- oder Vierfachimpfung mit Varizellen (MMR, MMRV).
Volker Schuster, Christoph Berger, Hans-Wolfgang Kreth
127. Slow-virus-Infektionen
Zusammenfassung
Slow-virus-Infektionen sind durch eine lange Inkubationszeit und einen meist sehr langen Krankheitsverlauf gekennzeichnet. Sie führen zu chronisch-neurologischen, immer letal endenden Erkrankungen. Sie werden durch konventionelle Viren (u. a. Masernviren, Papoaviren) oder durch sog. Prionen ausgelöst. Die Pathogenese ist in allen Fällen noch unbekannt.
Volker Schuster, Hans-Wolfgang Kreth
128. Virale hämorrhagische Fieber
Zusammenfassung
Virales hämorrhagisches Fieber ist ein klinisches Syndrom, das durch hohes Fieber, Blutungsneigung, Organversagen und Schock gekennzeichnet ist. Pathophysiologisch kommt es dabei zum Austritt von Plasma aus kleinen Blutgefäßen (Kapillarleck) und zu Hämorrhagien. Es können allerdings oft leichtere Verläufe mit nur unspezifischen Symptomen auftreten. Das Syndrom wird durch eine Vielzahl an Viren aus unterschiedlichen Familien verursacht, deren natürliches Reservoir kleine Nagetiere, Fledermäuse, Primaten oder Insekten sind. Das Vorkommen der meisten hämorrhagischen Fieberviren ist geografisch beschränkt und an die Ausbreitung des Reservoirs gebunden. Die Viren werden auch als Arboviren (Kurzform für „arthropode-borne“) bezeichnet, da sie meist über Vektoren (Moskitos, Zecken) übertragen werden. Auch durch Kontakt mit dem Reservoir oder akut infizierten Menschen (z. B. Ebola, Marburg), sowie über Aerosole (z. B. Lassa, Ebola) können Patienten sich anstecken.
Markus Hufnagel, David Nadal
129. Rabies
Zusammenfassung
Die Tollwut (Rabies) ist eine weltweit vorkommende, durch das Rabiesvirus verursachte Zoonose, die bei Säugetieren eine fast immer tödliche Enzephalitis verursacht. Die Übertragung des Virus auf den Menschen erfolgt durch erregerhaltigen Speichel mittels Biss- oder Kratzwunde am häufigsten durch Hunde oder Katzen. Nach einer Inkubationszeit von 20–90 Tagen folgt 2–10 Tage nach dem unspezifischen Prodromalstadium die Manifestation einer enzephalitischen (rasenden Wut) oder paralytischen Form der Tollwut, gefolgt von Koma und Tod. Eine kausale Therapie existiert nicht. Hingegen kann die Tollwut durch eine idealerweise kombinierte prä- und postexpositionelle Impfung verhindert werden.
Christoph Berger
130. Adenovirus-Infektionen
Zusammenfassung
Adenoviren vermehren sich primär in den Epithelien der Schleimhäute und erzeugen dabei typische (Keratokonjunktivitis epidemica, pharyngokonjunktivales Fieber) und untypische (Bronchitis, Pneumonie, Gastroenteritis) Krankheitsbilder. Eine spezifische Diagnostik ist bei den gastroenteritischen Erkrankungen durch Schnelltest, bei den übrigen durch PCR möglich. Die Therapie ist primär supportiv. Schwererkrankte können mit Cidofovir (deutliche Nebenwirkungen), Immuninkompetente mit Adenovirus-spezifischem adoptivem Immuntransfer (experimentell) behandelt werden.
Marcus Panning, Johannes Forster
131. Parvovirus-B19-Infektionen
Zusammenfassung
Die Parvovirus-B19-Infektion (PVB19) führt typischerweise zum Krankheitsbild von Ringelröteln, bei älteren Kindern und Jugendlichen auch zum Gloves-and-socks-Syndrom. Gefürchtet ist die Parvovirus-B19-Infektion bei Schwangeren mit Ausbildung eines fetalen Hydrops. Bei Patienten mit vorbestehender hämolytischer Anämie (z. B. Kugelzellanämie) kann eine Parvovirus-B19-Infektion zu einer unter Umständen lebensbedrohlichen aplastischen Krise führen.
Marcus Panning, Volker Schuster, Hans-Wolfgang Kreth
132. Herpesvirus-Infektionen
Zusammenfassung
Alle Viren der Herpesvirus-Gruppe persistieren im Wirtsorganismus nach Erstinfektion lebenslang. Bei Immunsuppression verlaufen Infektionen mit Herpesviren besonders schwer. Infektionen mit Herpes-simplex-Virus Typ 1 und 2 (HSV-1 und -2) führen u. a. zu schweren neonatalen Infektionen und Herpesenzephalitis. Bei Infektionen mit dem Varicella-Zoster-Virus (VZV) sind u. a. neonatale VZV-Infektionen, Enzephalitis, ZNS-Vaskulitis und Herpes zoster gefürchtet. Das Epstein-Barr-Virus (EBV) ist der Erreger der infektiösen Mononukleose. Bei Immunsuppression können lebensbedrohliche lymphoproliferative Krankheitsbilder auftreten. Beim Zytomegalievirus (CMV) ist die konnatale Zytomegalie gefürchtet. Die humanen Herpesviren (HHV) 6 und 7 verursachen das Dreitagefieber und das HHV8 ist mit dem Kaposi-Sarkom assoziiert. Seit längerem existiert eine wirksame Impfung gegen VZV. Gegen HSV und VZV sind Aciclovir und Valaciclovir wirksam, gegen CMV Ganciclovir und Valganciclovir.
Volker Schuster, Hans-Wolfgang Kreth, David Nadal
133. Mykosen
Zusammenfassung
Neben Mykotoxikosen (z. B. durch Aflatoxine) und Hypersensitivitätsreaktionen (z. B. allergische bronchopulmonale Aspergillose) sind Infektionen die häufigsten durch Pilze verursachten Erkrankungen. Pilzinfektionen werden durch eine große Anzahl von Hefen, Fadenpilze und Dermatophyten ausgelöst und können entsprechend ihrer mikrobiologischen Zuordnung unterteilt werden. Klinisch lassen sie sich in 4 Gruppen unterteilen: opportunistische Pilzinfektionen, endemische Pilzinfektionen, subkutane Pilzinfektionen und Pilzinfektionen von Haut und Hautanhangsgebilden.
Andreas Groll
134. Protozoen und Helminthen
Zusammenfassung
Schon immer haben Parasiten den Menschen begleitet und sich dabei gegenseitig beeinflusst und somit die Evolution geprägt. Parasitäre Erkrankungen kommen zwar in allen Klimazonen vor, jedoch zählen die meisten und relevantesten Parasitosen heute zu den oft vernachlässigten Tropenerkrankungen, die auch aufgrund von Armut und damit verbundenen hygienischen Bedingungen meist in benachteiligten Bevölkerungsgruppen anzutreffen sind. Neben Plasmodien, den Erregern der Malaria, sind weitere Parasiten speziell bei Kindern und Jugendlichen von besonderer Bedeutung. Durch vermehrte Reiseaktivität von Kindern, Verwandtenbesuch von Migranten, sowie Zustrom von Geflüchteten in einer globalen Gesellschaft müssen Kinderärzte heute mit den klinischen Symptomen nichtendemischer Infektionskrankheiten vertraut sein. Das Kapitel gibt einen Überblick über die wichtigsten Erreger, die Pathogenese von Krankheitsbildern bei Kindern und Jugendlichen, Diagnostik und Therapie und soll auch einen Einblick in Bekämpfungsstrategien und Forschungsansätze liefern.
Robin Kobbe

Notfall- und Intensivmedizin

Frontmatter
135. Pädiatrische Notfall- und Intensivmedizin
Zusammenfassung
Die pädiatrische Notfall- und Intensivmedizin hat in den vergangenen Jahren deutlich an Aufmerksamkeit hinzugewonnen. Sie umfasst Diagnose, Prävention sowie die Behandlung aller Formen des Versagens vitaler Funktionen. Das Management lebensbedrohlich erkrankter Kinder mit Krankheitsbildern aus allen pädiatrischen Fachbereichen (Allgemeinpädiatrie, Neuropädiatrie, Kinderkardiologie, Kinderonkologie, Kinderchirurgie, Neurochirurgie etc.) vom Säugling bis hin zum Jugendlichen ist komplex und in vieler Hinsicht herausfordernd. Die Betreuung kritisch kranker Kinder auf einer speziell dafür ausgelegten Station mit hochmoderner apparativer Ausstattung erfordert ein multiprofessionelles Team, das neben speziell geschulten und qualifizierten ärztlichen wie pflegerischen Mitarbeitern auch Physiotherapeuten, Psychologen, Sozialarbeiter, Greätetechniker u. v. m. umfasst.
Sebastian Brenner
136. Atemwegsmanagement und Vorgehen bei respiratorischer Insuffizienz
Zusammenfassung
Störungen der Atmung dominieren einen Großteil pädiatrischer Notfallsituationen und stellen den häufigsten Grund für einen Kreislaufstillstand im Kindesalter dar. Anatomische und funktionelle Besonderheiten im Kindes- und Säuglingsalter führen, verglichen mit Erwachsenen, zu einer reduzierten Apnoetoleranz und einer Neigung zu obstruktivem Ventilationsversagen. Im Rahmen dieses Kapitels werden Besonderheiten des Respirationstraktes im Säuglings- und Kindesalter erläutert und Ursachen und Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz systematisch dargestellt.
David Brandt, Sebastian Brenner, Stefan Winkler
137. Akute Herzkreislaufinsuffizienz und Schock
Zusammenfassung
Der Schock ist verursacht durch eine akute Herzkreislaufdysfunktion unterschiedlicher Ätiologie, die als Folge einer Imbalance aus O2-Angebot und -Bedarf zu einer indäquaten Versorgung (Minderperfusion) der Organe bzw. Gewebe mit Sauerstoff und Nährstoffen und konsekutiver Laktatazidose durch einen anaeroben Metabolismus führt. Wird die akute Kreislaufinsuffizienz (kompensiertes Schockstadium) nicht rechtzeitig erkannt bzw. inadäquat behandelt, entwickelt sich rasch ein lebensbedrohliches Multiorganversagen (dekompensierter Schock). Leider ist jedoch auch bei adäquater Therapie die Morbidität und Mortaltität hoch. Epidemiologische Daten für das Kindesalter sind rar. Es handelt sich insgesamt um ein seltenes Krankheitsbild, umso wichtiger ist das Trainieren des Erkennens und der Therapie von Schockzuständen. Neben dem hypovolämischen Schock als häufigste Schockform im Kindesalter sind der kardiogene, distributive und obstruktive Schock zu nennen. In der westlichen Welt erleiden überproportional häufig Kinder mit chronischen Erkrankungen einen Schock.
Heike Schützle, Sebastian Brenner
138. Akute Bewusstseinsstörungen
Zusammenfassung
Gestörte Bewusstseinszustände sind Ausdruck einer unterschiedlich stark beeinträchtigten Hirnfunktion und treten im Rahmen verschiedener intra- und extrakranieller Erkrankungen auf. Eine schnelle Diagnostik und zielgerichtete Therapie ist essenziell, da sonst irreversible Schäden des zentralen Nervensystems drohen.
Heike Schützle, Sebastian Brenner
139. Akzidentelle Hypothermie und Hyperthermie: aktives Temperaturmanagement, thermische Verletzungen
Zusammenfassung
Für das neurologische Outcome der Kinder hat das Temperaturmanagement eine entscheidende Bedeutung. Moderate (28–32 °C) und schwere Hypothermien (<28 °C) führen zu Herzkreislaufversagen und Herzrhythmusstörungen. Patienten, die einen Atem-Kreislaufstillstand unter Hypothermie erleiden, haben eine bessere Prognose als normotherme Patienten. Im Anschluss an eine Reanimation soll bei Kindern jenseits des Neugeborenenalters eine strikte Normothermie eingehalten werden. Patienten mit ausgeprägter Hyperthermie müssen aufgrund des hohen Risikos für eine Rhabdomyolyse und ein Multiorganversagen innerhalb von 30 min unter 39 °C gekühlt werden. Die Ausdehnung thermischer Verletzungen wird im Kindesalter nach der Handflächenregel eingeschätzt, wobei nur Areale ab Grad 2 einberechnet werden. Bei der Verbrennung bzw. Verbrühung stehen die Analgesie und eine angepasste Flüssigkeitszufuhr an oberster Stelle.
Heike Schützle, Sebastian Brenner
140. Vergiftungen
Zusammenfassung
Vergiftungen sind Gesundheitsstörungen, die durch die Einwirkung von chemischen Stoffen, Produkten oder auch natürlichen Stoffen beim Menschen ausgelöst werden. Bei den meisten Vergiftungen handelt es sich nicht um einzelne Stoffe, sondern um die Einwirkung von meist chemischen Produkten, z. B. im Haushalt, die sich wiederum aus verschiedenen Stoffen (Rezeptur) zusammensetzen. Bei tierischen und pflanzlichen Giften ist häufig auch heute noch die genaue stoffliche Giftwirkung nicht ausreichend bekannt, oft werden nur Gruppenbezeichnungen angegeben, z. B. Alkaloide, Terpene, Glykoside usw. Für die Humantoxikologie sind spezielle wissenschaftliche Kenntnisse und langjährige medizinische Erfahrung erforderlich, vor allem dann, wenn es sich um Bewertungen von Vergiftungsfällen handelt. Tiertoxikologische Erkenntnisse sind für die Einschätzung von Vergiftungen beim Menschen nur in einem eingeschränkten Umfang hilfreich.
Axel Hahn

Pharmakotherapie

Frontmatter
141. Grundlagen der Pharmakologie und Arzneimitteltherapie
Zusammenfassung
Eine sichere und wirksame Arzneimittelanwendung bei Kindern und Jugendlichen erfordert fundierte Kenntnisse zur Bedeutung der Ontogenese für die Aufnahme, Verteilung, Metabolisierung, Ausscheidung und Wirkung von Arzneimitteln. Als Leitprinzip gilt, dass Kinder nicht als kleine Erwachsene betrachtet werden können. Obwohl dieser Sachverhalt schon zum Ende des 19. Jahrhunderts offenkundig war, wird er bei der Arzneimitteltherapie im Kindesalter auch heute noch viel zu wenig oder manchmal überhaupt nicht berücksichtigt.
Hannsjörg W. Seyberth, Eva Neumann, Matthias Schwab
142. Antimikrobielle Therapie
Zusammenfassung
Um antibakterielle Therapie effektiv und rational zu gestalten, müssen das Spektrum der antimikrobiellen Aktivität eines Antibiotikums oder Chemotherapeutikums ebenso bekannt sein wie dessen pharmakokinetische Eigenschaften und unerwünschten Wirkungen. Die klinische Wirksamkeit eines von seinem antimikrobiellen Spektrum her geeignet scheinenden Präparats wird wesentlich von der Frage bestimmt, ob die in vivo erreichbare Serum- bzw. Gewebekonzentration die minimale Hemmkonzentration (MHK) des betreffenden Erregers am Infektionsort übersteigen wird. Die Auswahl des geeigneten Medikaments hängt daher neben dem antimikrobiellen Spektrum und pharmakokinetischen Eigenschaften entscheidend von klinischen Aspekten wie Infektionsort, Grundkrankheit, Alter, Vortherapie und möglicher Toxizität ab. Aufgrund der vielfältigen Einflüsse ist es nicht verwunderlich, dass nur in Ausnahmefällen ein einziges Antibiotikum als allein mögliche Wahl angesehen werden kann bzw. alle notwendigen Eigenschaften in idealer Weise auf sich vereint. Klinische Studien zum Nachweis der Wirksamkeit sollten Voraussetzung für den Einsatz eines Antibiotikums in der Kinder- und Jugendmedizin sein und sind relevanter als die antimikrobielle Aktivität alleine.
Reinhard Berner, Thomas Lehrnbecher
143. Schmerztherapie
Zusammenfassung
Wie beim Erwachsenen folgt auch bei Kindern und Jugendlichen die Schmerztherapie je nach Ursache und Chronizität des Schmerzes ganz unterschiedlichen Prinzipien. Akuter Schmerz, ob traumatisch, postoperativ oder entzündlich bedingt, bedarf des konsequenten Einsatzes von Nichtopioid-Analgetika oder Opioiden. Eine eventuelle Sedierung ist dabei eher günstig. Bei schmerzhaften Eingriffen haben Lokalanästhesie und Ablenkungsstrategien ihren wichtigen Platz. Bei chronischen, organisch bedingten Schmerzen, z. B. durch entzündliche oder onkologische Erkrankungen, ist die Behandlung der Grunderkrankung und die Analgetikatherapie durch Maßnahmen der Verhaltensmedizin (allgemeine Aktivierung, veränderter Umgang mit Schmerz im Sinne einer Stärkung antinozizeptiver Kompetenz) zu ergänzen. Solche Maßnahmen stehen bei chronisch-rezidivierenden, funktionellen Schmerzen – im Abdomen, im Muskel- und Skelettsystem oder im Kopf – im Vordergrund. Hier sind Analgetika – außer bei Migräne – meist nicht hilfreich.
Friedrich Ebinger
144. Fieber und fiebersenkende Maßnahmen
Zusammenfassung
Das Leitsymptom Fieber ist einer der häufigsten Gründe für die Inanspruchnahme des Gesundheitssystems in der Pädiatrie. Häufig ist Fieber eine sinnvolle physiologische Reaktion, ein Epiphänomen im Rahmen einer immunologischen Abwehrreaktion. Dabei kann sich die erhöhte Körpertemperatur sogar vorteilhaft auf die Qualität der Immunantwort und den Heilungsprozess auswirken. Bei der medizinischen Betreuung eines fiebernden Patienten müssen die differenzialdiagnostische Abklärung und Identifikation der für die Fieberentwicklung verantwortlichen Ursache/n immer an erster Stelle stehen. Primäre Maßnahmen zur Fiebersenkung umfassen die ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit und Energieträgern, den Ausgleich von (fieberbedingten) Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten und die Verminderung körperlicher Aktivität. Die medikamentöse Senkung von Fieber dient vor allem der Verbesserung des Wohlbefindens des Kindes. Wenn erforderlich, sollte die medikamentöse Therapie mit zugelassenen Antipyretika in empfohlener Dosierung gewichtsbezogen erfolgen.
Fred Zepp
145. Komplementärmedizinische/alternative Verfahren
Zusammenfassung
Der Begriff „Komplementärmedizin“ umfasst Verfahren, welche die Schulmedizin ergänzen. Der Begriff „alternative Medizin“ bezeichnet Verfahren, welche die Schulmedizin ersetzen. Beide Verfahren werden vor allem bei chronischen Krankheiten von einem Großteil der Bevölkerung genutzt, z. B. von 40 % der Familien mit einem neurologisch erkrankten Kind oder juvenilem Diabetes melliltus, 50 % bei Autismus. Die Verfügbarkeit von digitalen Plattformen erleichtert die Suche nach komplementären und alternativen Behandlungsformen. Die Qualität der aus Netzwerken bezogenen Informationen ist dubios. Bei kritischer Prüfung sind nur etwa 4 % der Beiträge inhaltlich und stilistisch vergleichbar mit wissenschaftlichen Arbeiten; 56 % sind substanziell ungenügend oder falsch.
Jürgen Spranger

Krankheiten von Verdauungstrakt, Peritoneum, Bauchwand und Pankreas

Frontmatter
146. Speicheldrüsenkrankheiten
Zusammenfassung
Extravasations- oder Retentionszysten stellen die wichtigsten Fehlbildungen der Speicheldrüsen im Kindesalter dar; stets verlangen sie chirurgische Therapie. Hinter Stauungssymptomen kann sich eine im Kindesalter seltene Steinbildung oder Entzündung der Speicheldrüse verbergen, hier ist das Therapiespektrum weiter. Unter den in den großen Speicheldrüsen vorkommenden vaskulären Fehlbildungen nehmen solche vom lymphatischen Typ eine Sonderstellung ein, da sie eine besondere therapeutische Herausforderung bieten können. Gutartige und insbesondere maligne Tumoren der Speicheldrüsen sind im Kindesalter Raritäten, deren Therapie sich nicht von der bei Erwachsenen unterscheidet.
Rudolf Reich
147. Fehlbildungen im Kiefer- und Gesichtsbereich
Zusammenfassung
Unter den Fehlbildungen des Kiefer- und Gesichtsbereiches kann sich die Pierre Robin-Sequenz mit akuter Atemnot zeigen. Die heutige Therapie der Wahl versucht mit speziellen herausnehmbaren, intraoralen Gaumenplatten die Zungenhaltung zu stimulieren und so einen Wachstumsimpuls auf den hypoplastischen Unterkiefer zu geben; nur in seltenen Fällen ist Chirurgie nötig. Lippen-Kiefer-Gaumenspalten stellen in ihren verschiedenen Ausprägungen das größte Kontingent der Fehlbildungen des Kiefer- und Gesichtsbereiches; ihre Therapie ist multidisziplinär. Die chirurgischen Maßnahmen werden in verschiedenen Schritten, je nach Ausprägung, bis ins frühe Erwachsenenalter durchgeführt. Ziel ist dabei die funktionelle und ästhetische Rehabilitation der Patienten. Daneben gibt es eine Vielzahl syndromaler Fehlbildungen in Kiefer- und Gesichtsbereich, die sequenzielle plastisch-rekonstruktive Chirurgie erfordern.
Rudolf Reich
148. Krankheiten des Kiefergelenks
Zusammenfassung
Erhebliche Funktionsstörungen und Erkrankungen während der Wachstumsphase können zu einer Wachtumsverminderung des Unterkiefers auf der betroffenen Seite und konsekutiv zu Bissstörungen und Gesichtskoliose führen, die oft erst im Laufe der Zeit auffällig wird. Prinzipiell wird versucht, eine operative Therapie wegen hoher Komplikationsdichte im Kindesalter in die Zeit nach der Wachstumsphase zu verschieben. Bei einer im späten Kindesalter einsetzenden Überschussbildung durch kondyläre Hyperplasie kann auch im späten Kindesalter eingegriffen werden. Schmerzhafte oder geräuschverursachende Diskusverlagerungen kommen in der Adoleszenz insbesondere im Zusammenhang mit mangelnder Stressverarbeitung als meist vorübergehendes Phänomen vor. Sie bedürfen neben einer abwartenden Haltung evtl. einer zahnärztlichen Therapie mit einer Aufbissschiene.
Rudolf Reich
149. Zahnkrankheiten
Zusammenfassung
Zahnkrankheiten bei Kindern und Jugendlichen können den Durchbruchszeitpunkt der Zähne in die Mundhöhle, die Zusammensetzung der Zahnhartsubstanzen, die Zahnzahl und -größe sowie farbliche Veränderungen betreffen. Neben Zahnfehlbildungen des Schmelzes und des Dentins werden genetisch bedingte Veränderungen, die alle Zähne beider Dentitionen betreffen, von erworbenen Veränderungen differenziert. Letztere zeigen Auswirkungen an denjenigen Zähnen, deren Zahnhartsubstanzen zum Zeitpunkt des Einflusses gebildet wurden. Erworbene Schmelz- und Dentindysplasien sind sehr viel häufiger als hereditäre Veränderungen. Ätiologisch kann die bei jedem 3. bis 4. Kind in Deutschland feststellbare Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation derzeit nicht erklärt werden. Karies gehört trotz des deutlichen Rückgangs der Prävalenz im Kindesalter immer noch zu den häufigsten chronischen Erkrankungen. Aufgrund der eingeschränkten Fähigkeit zur Kooperation stellen fortgeschrittene Läsionen eine therapeutische Herausforderung dar, sodass der Prophylaxe ein hoher Stellenwert eingeräumt werden muss.
Reinhard Schilke, Georg Hillmann
150. Krankheiten des Zahnfleisches und der Mundschleimhaut
Zusammenfassung
Zahnfleischerkrankungen können in Gingiva- und Parodontalerkrankungen unterschieden werden. Gingivitiden sind bei Kindern und Jugendlichen sehr häufig. Ihnen liegt in der Regel eine unzureichende Entfernung der bakteriellen Zahnbeläge zugrunde. Parodontitiden sind hingegen selten. Oft sind Parodontalerkrankungen bei jungen Patienten Symptom eines Immundefektes. Bindegewebserkrankungen oder Störungen des Kalziumstoffwechsels können ebenfalls zu einem Abbau des parodontalen Stützgewebes oder zu einem frühzeitigen Zahnverlust führen. Bei den Mundschleimhauterkrankungen lassen sich traumatogene Läsionen von viral oder durch Candida-Pilze bedingten Infektionen unterscheiden.
Reinhard Schilke, Georg Hillmann
151. Krankheiten des Ösophagus
Zusammenfassung
Der Ösophagus ist ein Muskelschlauch, und seine Funktion ist der Transport von Speisebrei und Flüssigkeiten aus der Mundhöhle in den Magen. Das gelingt durch ein fein abgestimmtes Zusammenspiel von Öffnung und Schließen des oberen und unteren Sphinkters und einer gerichteten peristaltischen Welle, die den Bolus vor sich herschiebt. Dabei müssen einerseits Aspirationen in die Trachea und andererseits das Refluxieren von Mageninhalt zurück in die Speiseröhre verhindert werden. Leitsymptom von Ösophaguserkrankungen sind entsprechend Dysphagie, Aspiration und Regurgitation.mit ihren Folgen. Erkrankungen der Speiseröhren unterteilen sich in angeborene Fehlbildungen, Störungen des glatten oder gestreiften Muskels und der versorgenden Nerven, oder betreffen die Schleimhaut mit Entzündungen verschiedener Ätiologie (allergisch, infektiös, toxisch) durch Säure und Pepsin aus dem Magen oder durch akzidentelle Ingestion saurer oder alkalischer Substanzen. Letztlich spielen bei Kindern verschluckte scharfe oder steckengebliebene Fremdkörper, vor allem Knopfbatterien, aber auch iatrogen-traumatisch Verletzungen bis hin zur Perforation, z. B. bei Ballondilatation oder durch eine PEG-Platte, eine Rolle. Eine Perforation ist stets eine lebensbedrohliche Situation. Gut- oder bösartige Tumoren kommen im Kinderalter kaum vor. Allerdings sind narbige Stenosen mit einem hohen Risiko für die Entwicklung eines Ösophaguskarzinoms im Erwachsenenalter behaftet.
Sibylle Koletzko
152. Krankheiten von Magen und Duodenum
Zusammenfassung
Unter den Fehlbildungen stellt die Duodenalatresie des Neugeborenen einen akuten Notfall dar, der durch die radiologische Untersuchung schnell diagnostiziert werden kann. Membranöse oder fibröse Duodenalstenosen machen sich oft erst mit Beginn der Beikostfütterung bemerkbar. Die häufigste entzündiche Erkrankung des Magens bei Kindern ist die durch Helicobacter pylori (H.p.) hervorgerufene Gastritis, Magen- und besonders Duodenalulzera als Komplikationen sind bei Kindern und Jugendlichen selten. Nichtinfektiöse Gastritis und Magenulzera können durch Medikamente (nichtsteroidale Antiphlogistika), galligen Reflux oder schwere Stresssituationen hervorgerufen werden. Alle übrigen Gastritisformen (lymphozytäre, kollagene oder atrophische Gastritis) sind selten, ebenso wie benigne und maligne Tumoren. Die infantile Pylorushypertrophie ist eine genetisch determinierte Erkrankung, die aber durch Umwelteinflüsse, z. B. die Gabe von Makrolidantibiotika begünstigt wird. Eine beschleunigte Magenentleerung verursacht ein Dumping-Syndrom und entsteht oft postoperativ, während die Gastroparese durch verschiedene Grundkrankheiten verursacht wird beobachtet. Unter den funktionellen Störungen ist das zyklische Erbrechen mit einer Häufigkeit von 2–3 % bei Kindern eine diagnostische und therapeutische Herausforderung.
Sibylle Koletzko
153. Akute Gastroenteritis und postenteritisches Syndrom (persistierende Diarrhö)
Zusammenfassung
Der akute Brechdurchfall bei Säuglingen ist eine ernste Krankheit, die durch Erbrechen und Durchfall zu schweren Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten führt. Diese können zum hypovolämischem Schock führen. Auslöser sind meist Viren (Rotavirus, Norovirus). Der Flüssigkeitsverlust wird klinisch eingeschätzt. Hautfarbe, -temperatur, -turgor, Puls, trockene Schleimhaut im Mund und Augen, Niveau der Fontanelle sowie Rekapillarisierungszeit der Finger ergeben das Ausmaß der Exsikkose. 3–8 % Exsikkose erfordert eine orale Rehydratation mit Glukose-Elektrolytlösungen, mehr als 9 % erfordert eine i.v.-Therapie. Nach Zufuhr p.o. von 50 ml/kg KG/4 h erfolgt erneut die Beurteilung der Exsikkose. Nach Erholung wird mit der Realimentation begonnen. Das postenteritische Syndrom/persistierende Diarrhö ist eine Komplikation des akuten Brechdurchfalls und beginnt 14 Tage nach Beginn der akuten Gastroenteritis. Bei Persistenz führt er in Schwellenländern zu einer Verschlechterung der Malnutrition. Er ist häufig letal. Ursache sind meist bakterielle Infektionen, bzw. Mischinfektionen mit Parasiten (Giardia lamblia, Amöben oder Cryptosporidien).
Michael J. Lentze
154. Zöliakie
Zusammenfassung
Die Zöliakie ist eine immunologische Multiorganerkrankung, die sich auch extraintestinal (u. a. in Leber, Niere, Haut, Lunge, Nervensystem) manifestieren kann. Sie tritt mit einer Prävalenz von 1 % auf. Die klassische Form der Zöliakie mit Durchfall, Gedeihstörung, ausladendem Abdomen tritt eher selten auf – im Gegensatz zu silenten und oligosymptomatischen Verlaufsformen. Es sind 4 diagnostische Kriterien zu beachten: 1) Symptomatik, 2) Serologie (Gewebstransglutaminase 2 bei normalem Gesamt-IgA), 3) duodenaler Mukosaschaden (≥ Marsh 2) und 4) klinische und serologische Remission unter glutenfreier Diät. Bei 1–3 ist zur Diagnosestellung eine ausreichende Glutenzufuhr erforderlich. Die glutenfreie Diät ist lebenslang einzuhalten. In der ambulanten Nachsorge der Zöliakie-Patienten ist die Diätadhärenz zu fördern, um Langzeitkomplikationen der Zöliakie (Kleinwuchs, Lebensqualität, Infertilität, Osteoporose, Malignome, Autoimmunität, Mortalität) zu vermeiden.
Klaus-Peter Zimmer
155. Kuhmilchallergie
Zusammenfassung
Für die Definition einer Nahrungsmittelallergie, z B. gegen Kuhmilchprotein, werden Reproduzierbarkeit und Nachweis eines immunologischen Reaktionsmechanismus gefordert. Man kann durch Immunglobulin E (IgE) vermittelte (Kuhmilchallergie oder KMA) von nicht-IgE-vermittelten (Kuhmilchproteinintoleranz oder KMPI) Reaktionen unterscheiden. Es gibt nicht einen einzelnen zuverlässigen diagnostischen Test. Nicht mehr verwendet werden sollte der unspezifische Oberbegriff Kuhmilchintoleranz, hinter dem sich z. B. Laktasemangel, gastroösophagealer Reflux oder psychologische Ursachen verbergen können. Bei den gastrointestinalen Manifestationen der KMA/KMPI ist zu unterscheiden zwischen einer allergischen Enteropathie mit Dünndarmmukosaschaden, einer eosinophilen Gastroenteritis mit intestinalem Eiweißverlust und einer allergischen Proktokolitis.
Klaus-Michael Keller
156. Angeborene Krankheiten des Gastrointestinaltrakts
Zusammenfassung
Mit der rapiden Zunahme der Kenntnisse über die genetischen Ursachen von Krankheiten des Magen-Darm-Trakts hat sich die Zahl der angeborenen Krankheiten im Kindesalter drastisch vermehrt, und ihre Zahl nimmt ständig zu aufgrund der Anwendung molekularbiologischer Methoden. Daher ist die vollständige Abhandlung in einem Standardwerk der Pädiatrie schwierig, da sie beim Erscheinen bereits veraltet wäre. Neue Wege des unmittelbaren Wissenszugriffs auf neueste Erkenntnisse genetischer Krankheiten sind notwendig und werden vor allem über neue Medien zur Verfügung gestellt. Eines der potentesten Informationsmedien ist die Datenbank OMIM (Online Mendelian Inheritance of Man) genetischer Krankheiten. Im Kapitel werden die derzeit bekannten genetischen Krankheiten des Gastrointestinaltrakts beschrieben und in 3 Kategorien eingeteilt: (1) Störungen der Digestion, Hydrolyse, Absorption und Sekretion; (2) Motilitätsstörungen und (3) gastrointestinale Polypose, Polypen und Neoplasmen.
Michael J. Lentze
157. Kurzdarmsyndrom
Zusammenfassung
Das Kurzdarmsyndrom ist definiert durch eine Malabsorption, Diarrhö und Gedeihstörung durch den anatomischen und/oder funktionellen Verlust intestinaler resorptiver Kapazität nach Darmresektion, selten auch bei angeborenem Kurzdarm und Mukosadefekten.
Walter Nützenadel
158. Angeborene Krankheiten mit Strukturveränderungen des Darms
Zusammenfassung
Bei den angeborenen Krankheiten des Dünn- und Dickdarms kommt es postpartal zu schweren Durchfällen meist verbunden mit metabolischer Azidose. Die Durchfälle sind weder den osmotisch noch den sekretorisch hervorgerufenen angeborenen Krankheiten zuzuordnen, sondern gehen in der Regel mit Strukturveränderungen der Dünndarmmukosa einher. Sie erfordern eine Dünndarmbiopsie zu Diagnostik. Auf Grund der pathohistologischen Veränderungen kann dann die Verdachtsdiagnose gestellt und durch entsprechende molekulargenetische Untersuchungen bestätigt werden. Die Therapie der angeborenen Strukturveränderungen des Darms ist schwierig. Oft ist eine jahrelange parenterale Ernährung notwendig. Manchmal kann nur eine Dünndarmtransplantation oder eine Knochmarktransplantation eine Verbesserung der schweren Durchfälle erreichen.
Michael J. Lentze
159. Morbus Crohn und Colitis ulcerosa
Zusammenfassung
Zu den chronisch-entzündlichen Darmkrankheiten (CED) gehören der Morbus Crohn (MC), die Colitis ulcerosa (CU) und die unklassifizierte Kolitis (CED-U). Der MC kann den gesamten Magen-Darm-Trakt betreffen, d. h. vom Mund bis zum After reichen, tritt typischerweise segmental im Wechsel mit gesunden Darmabschnitten auf, betrifft nicht nur die Mukosa, sondern die gesamte Darmwand, kann zu Fisteln führen und ist durch zahlreiche extraintestinale Manifestationen gekennzeichnet. Bei der CU ist mit Ausnahme einer „Backwash-Ileitis“ nur das Kolon erkrankt, und zwar primär nur die Mukosa. Das Rektum ist fast immer betroffen, das Kolon kontinuierlich unterschiedlich weit nach proximal beteiligt, extraintestinale Komplikationen sind ebenfalls bekannt. Der klinische Verlauf ist durch Remissionen und Exazerbationen gekennzeichnet. Wenn in etwa 10 % der Fälle nicht zwischen einem MC und einer CU unterschieden werden kann, wird das Krankheitsbild als unklassifizierte Kolitis bezeichnet. Letztere geht im Verlauf entweder in eine CU oder einen MC über, gelegentlich kann auch später keine definitive Zuordnung erfolgen.
Klaus-Michael Keller
160. Eiweißverlierende Enteropathie
Zusammenfassung
Durch eine angeborene oder erworbene Störung des Abflusses der Lymphe über die mesenterialen Lymphgefäße kommt es zu einer Stauung von Chylomikronen und Lymphozyten, was zu einem Ödem der Darmwand führt. Wegen der mangelnden Abflussmöglichkeiten der Lymphe wird eiweißreiche Flüssigkeit in das Darmlumen abgepresst, verbunden mit einer Malabsorption von Fett, Cholesterin, Vitaminen und Mineralstoffen. Der enterale Verlust von Serumproteinen übersteigt die Syntheseleistung der Leber und führt zu schwerer Hypoproteinämie mit Hypalbuminämie verbunden mit Ödemen und Aszites. Verlust von Immunglobulin A (IgA) und IgG aus dem Serum führt zur sekundären Immundefizienz. Im peripheren Blutbild ist eine Lymphopenie auffällig. Bei seltenen angeborenen Defekten der Fettabsorption, wie bei Mutation des DAGT1-Gens kommt es zu einer abnormen Fettabsorption und Anreicherung von DAGT1-Substraten in der Mukosa mit Verlust von Protein in das Darmlumen. Bei CD55-Mangel kommt es zu schwerer proteinverlierender Enteropathie mit entzündlichen Veränderungen im Darm und thromboembolischen Komplikationen. Der Verlust von Plasmalemm-assozierter Vesikelprotein-RNA (PLVAP) führt zur einer Barrierestörung im Darm mit schwerem Eiweißverlust und Hypertriglyzeridämie.
Michael J. Lentze
161. Funktionelle Störungen des Darms
Zusammenfassung
Für diese sog. funktionellen gastrointestinalen Beschwerden, die durch komplexe Interaktionen zwischen Gastrointestinaltrakt und ZNS verursacht werden, gibt es keine pathophysiologischen Marker und daher keine diagnostischen Tests. Gastroenterologen finden keine pathologischen Organveränderungen. Auch für das Kindesalter sind Kriterien für funktionelle gastrointestinale Störungen neu erarbeitet worden (sog. Rom-IV-Kriterien), zu denen das Reizdarmsyndrom und andere funktionelle Bauchschmerzen gehören: rekurrierende Beschwerden über 2–3 Monate Dauer, die sich auf Defäkation bessern und mit Stuhlunregelmäßigkeiten hinsichtlich Frequenz und Konsistenz verbunden sind. Öfter als bei organisch fassbaren Krankheiten finden sich bei diesen Menschen Tenesmen, Schleimabgang, das Gefühl inkompletter Entleerung, Blähungen und Flatulenz, gelegentlich auch Sodbrennen, Dysphagie und biliäre Dyskinesie. Klagen über Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und Abgeschlagenheit oder gar Migräne können hinzukommen. Psychologisch gesehen gibt es oft Ängstlichkeit, Depression, Perfektionismus oder auch Lernschwierigkeiten. In der psychiatrischen Literatur wird auch von somatoformer Störung gesprochen. Meist sind weitere Familienangehörige von solcher Symptomatik betroffen. Die rezidivierenden Bauchschmerzen treten typischerweise nur tagsüber und periumbilikal auf, manchmal steht eine Obstipation im Vordergrund. Betroffene ältere Säuglinge und Kleinkinder präsentieren sich dagegen mit unspezifischen Durchfällen („toddler’s diarrhea“ oder „peas and carots syndrome“).
Klaus-Michael Keller, Sibylle Koletzko, Stephan Buderus
162. Strukturdefekte und neuronale Störungen des Darms
Zusammenfassung
Die Funktionen von Dünn- und Dickdarm, nämlich exo- und endokrine Sekretion, Absorption und Transport, unterliegen einer komplexen myogenen, neurogenen und hormonalen Regulation. Motilitätsstörungen des Darms können also Folge einer Myopathie der Darmmuskelschichten, einer Störung der in- oder extrinsischen Darminnervation oder einer Hormonstörung sein. Funktion und Regulation hängen stark voneinander ab. So beeinträchtigt z. B. die Sekretion die Motilität, und eine neurogene oder myogene Motilitätsstörung kann eine Malabsorption oder eine Sekretionsstörung zur Folge haben. Die Symptomatik der Motilitätsstörungen ist entsprechend vielfältig und wird wegen der unterschiedlichen Funktionen von Dünn- und Dickdarm stark davon geprägt, ob die Krankheit nur den Dünndarm, nur den Dickdarm oder den gesamten Darm betrifft. Einige Krankheiten sind immer angeboren, andere werden während der Kindheit erworben und verlaufen mit unterschiedlicher Progredienz.
Sibylle Koletzko
163. Immundefizienz und Darmkrankheiten
Zusammenfassung
Prinzipiell werden primäre und sekundäre Immundefekte unterschieden. Erstere sind gekennzeichnet durch angeborene Defekte in der Entwicklung und Funktion von humoralen und/oder zellulären Komponenten des immunologischen Abwehrsystems. Viel häufiger sind jedoch die sekundären Immundefekte aufgrund von HIV- bzw. anderen Infektionen, iatrogenen Ursachen (Transplantation, Zytostatika, Bestrahlung) und Frühgeburtlichkeit etc. Da der Gastrointestinaltrakt als innere Barriere das größte immunologische Organ darstellt (sekretorisches Immunglobulin A, sIgA; „gut-associated lymphoid tissue“, GALT), stehen bei vielen primären und sekundären Immundefizienzen gastroenterologische und hepatologische Symptome im Vordergrund. Um die Ursachen dieser Symptome zu finden, sind neben speziellen immunologischen Testverfahren auch invasive Maßnahmen wie Endoskopien und Biopsien erforderlich.
Klaus-Michael Keller
164. Appendizitis
Zusammenfassung
Die akute Appendizitis bleibt ein spannendes Krankheitsbild. Klinische Symptome und Verlauf weisen große Variabilität auf und unterliegen altersabhängigen Besonderheiten. Die Diagnostik wird heute neben der klinischen Untersuchung von einer qualifizierten Sonografie geprägt, die zusammen mit einer Labor-Basisdiagnostik über den Interventionsbedarf zu entscheiden, aber auch mögliche Differenzialdiagnosen zu klären hat. Therapeutisch konkurrieren nicht nur operative Verfahren und Zugänge (offene vs. laparoskopische Operation), sondern auch Empfehlungen einer primär antibiotischen Therapie mit oder ohne Appendektomie im symptomfreien Intervall. Die Krankheitsschwere variiert auch heute, wenngleich für die Mehrzahl betroffener Patienten und unabhängig vom gewählten operativen Vorgehen ein zunehmend kürzerer stationärer Aufenthalt resultiert.
Christian Lorenz
165. Peritonitis und Aszites
Zusammenfassung
Das Peritoneum umkleidet als mesotheliale Zellschicht die Abdominalhöhle (Peritoneum parietale) und die peritonealen Bauch- und Beckenorgane (Peritoneum viszerale). Durch Sekretion seröser Flüssigkeit stellt das Peritoneum die Beweglichkeit der Bauchorgane sicher. Es ermöglicht zudem als bidirektionale Membran den Transport und die Absorption von Wasser, Elektrolyten, Eiweißen, Zellen, Blut, Luft und Medikamenten.
Martin Metzelder, Benno Ure
166. Bauchwanddefekte
Zusammenfassung
Bauchwanddefekte, wie die Laparoschisis und Omphalozele, werden bereits früh pränatal diagnostiziert. Bei Kindern mit Omphalozele liegen oft assoziierte Fehlbildungen vor. Die operative Versorgung erfolgt nach Stabilisierung und diagnostischen Abklärung. Bei der kongenitalen Zwerchfellhernie besteht neben der Zwerchfelllücke mit in den Thorax prolabierten Bauchorganen je nach Schweregrad eine Lungenhypoplasie, die postnatal eine Beatmungstherapie eventuell sogar eine ECMO-Therapie notwendig macht. Davon abhängig ist auch die Prognose mit einer Überlebensrate von bis zu 80 %. Die Leistenhernie des Kindesalters sind angeborene indirekte Hernien, die in der Regel im Säuglingsalter diagnostiziert werden mit einer erhöhten Inzidenz bei Frühgeborenen. Die Therapie ist eine elektive Herniotomie, außer bei Inkarzeration muss nach erfolglosem Repositionsversuch eine Notfallherniotomie erfolgen. Nabelhernien sind im Kindesalter häufig und verschließen sich in überwiegender Zahl spontan.
Martina Heinrich, Dietrich von Schweinitz
167. Pankreaskrankheiten
Zusammenfassung
Das Pankreas besitzt eine zentrale Rolle in der Aufschließung der Nahrungsbestandteile und der Regulation des Blutzuckerspiegels. Neben der zystischen Fibrose ist die Pankreatitis die häufigste Erkrankung des Organs. Eine Pankreatitis verläuft akut oder rezidivierend und äußert sich klinisch mit epigastrischen Schmerzen, Erbrechen und abdominellen Druckschmerz. Bei schweren Verläufen kann es zur Nekrosenbildung und Multiorganversagen kommen. Die chronische Form kann zu einer exokrinen oder endokrinen Pankreasinsuffizienz führen, die sich klinisch als Maldigestion mit Fettstühlen bzw. als Diabetes mellitus manifestiert. Ursächlich sind bei akuter Pankreatitis häufig Trauma, systemische, metabolische und infektiöse Erkrankungen sowie anatomische Anomalien. Bei der chronischen Form finden sich oft Gendefekte in Verdauungsenzymen und deren Inhibitoren. Die Therapie der Pankreatitis ist primär konservativ. In Einzelfällen können chirurgische oder endoskopische Verfahren indiziert sein.
Heiko Witt

Krankheiten der Leber

168. Entwicklung und Funktion der Leber
Zusammenfassung
Die Leber ist das größte Stoffwechselorgan des menschlichen Körpers und erfüllt eine Vielzahl an sekretorischen und mebatolischen Funktionen wie die Synthese von Plasmaproteinen und Gallensäuren, Aufrechterhaltung der Glukose-, Aminosäuren-, Ammoniak- und Hydrogenkarbonathomöostase, sowie Bildung, Speicherung und Prozessierung von Signalmolekülen. Neben der Metabolisierung von endogenen und exogenen Substanzen gewährleistet die Leber den Intermediärstoffwechsel von Substanzen, die über den Intestinaltrakt resorbiert, metabolisiert oder gespeichert werden und stellt durch Abgabe von Substanzen die Funktionsfähigkeit der extrahepatischen Organe und Gewebe sicher. Die fetale Entwicklung ist gekennzeichnet von stetigem Organ- und Körperwachstum sowie intensiven Reifungs- und Differenzierungsprozessen des fetalen Gewebes. Die daraus resultierenden metabolischen Anforderungen werden über die Plazenta und zum Teil schon früh von der fetalen Leber übernommen. Die Expression und Aktivität der verantwortlichen Proteine unterliegen einer komplexen Regulation während der embryonalen, fetalen und postnatalen Entwicklungsphase der Leber.
Thomas S. Weiß, Michael Melter
169. Cholestase
Zusammenfassung
Eine Cholestase ist definiert als Störung der Bildung und Exkretion von Galle und Gallebestandteilen. Durch Akkumulation von Bilirubin oder Gallensäuren kommt es zu Ikterus oder Juckreiz. Mögliche Ursachen einer Cholestase sind eine Obstruktion der Gallenwege, eine Störung der hepatobiliären Galleexkretion oder eine Schädigung des Leberparenchyms. Die Abklärung der neonatalen Cholestase ist ein Notfall. Häufigste Ursache ist die Gallengangatresie; weitere häufige Ursachen sind die CMV-Infektion, eine progressive familiäre intrahepatische Cholestase (PFIC), der α1-Antitrypsin-Mangel, die Mukoviszidose oder das Alagille-Syndrom. Bei älteren zuvor gesunden Kindern sollte bei unklarer Cholestase zunächst der sonografische Ausschluss einer akuten Steinobstruktion erfolgen. Wichtige Ursachen einer Cholestase bei älteren Kindern sind die Autoimmunhepatitis oder der Morbus Wilson. Sie sollten frühzeitig erkannt und therapiert werden. Ein akutes Leberversagen und eine chronische Leberinsuffizienz führen ebenfalls zu einer Cholestase. Die Therapie der Cholestase erfolgt falls möglich kausal. Ist dies nicht oder nur unzureichend möglich, muss auf eine ausreichende Versorgung mit fettlöslichen Vitaminen geachtet werden. Bei chronischer Cholestase kann eine Nahrungssupplementierung mit MCT-Fetten sinnvoll sein. Juckreiz führt zu einer signifikanten Einschränkung der Lebensqualität; die konsequente Behandlung hat höchste Priorität.
Simone Kathemann
170. Morbus Wilson
Zusammenfassung
Der Morbus Wilson (hepatozelluläre Degeneration) ist eine autosomal-rezessiv vererbte Kupferspeichererkrankung, die durch eine verminderte biliäre Kupferausscheidung sowie eine gestörte Inkorperation von Kupfer in das von der Leber synthetisierte Protein Coeruloplasmin charakterisiert ist. Die verminderte Kupferausscheidung führt primär zu einer pathologischen Kupferakkumulation in der Leber, sekundär auch in anderen Organen, insbesondere ZNS, Kornea und Nieren. Die toxische Kupferablagerung in diesen Organen resultiert in primär hepatischen oder neurologischen Symptomen. Der unbehandelte, natürliche Verlauf des Morbus Wilson ist immer letal. Die Früherkennung des Morbus Wilson im Kindesalter ist für den Kinderarzt von zentraler Bedeutung, denn sie ermöglicht dank medikamentöser Therapieoptionen eine exzellente Langzeitprognose mit normaler Lebenserwartung.
Roderick Houwen, Thomas Müller
171. α1-Antitrypsin-Mangel
Zusammenfassung
Der α1-Antitrypsin-Mangel (α1-AT-Mangel) ist besonders in der kaukasischen Rasse europäischer Abstammung verbreitet und wird auch als Proteaseinhibitor-Krankheit bezeichnet. Dieses Defizit ist die häufigste Ursache genetisch bedingter Leberkrankheiten im Kindesalter und ist bei Erwachsenen durch die Zerstörung der pulmonalen bindegewebigen Matrix für die Entwicklung der chronisch-obstruktiven Lungenkrankheit COPD mitverantwortlich. Das α1-AT-Molekül ist ein Glykoprotein mit einer Halbwertszeit von 5 Tagen, einem Molekulargewicht von 54 kD, wird vorwiegend in der Leberzelle gebildet und neutralisiert in vivo gewebedestruktive Proteasen. Als Akute-Phase-Protein steigert sich bei Entzündungsprozessen und Gewebeschäden die Produktion von α1-AT um das 3- bis 5-Fache. Der normale Serumspiegel liegt zwischen 20 und 53 μmol/l (150–350 mg/dl), mindestens 11 μmol/l (80 mg/dl) sind notwendig, um die Lunge vor der Entwicklung eines Emphysems zu schützen. Über 130 Mutationen sind zwischenzeitlich bekannt, die durch isoelektrische Fokussierung anhand ihrer Wanderungsgeschwindigkeit erkannt und durch alphabetische Bezeichnungen definiert werden.
Klaus Pittschieler
172. Hepatitis
Zusammenfassung
Hepatitiden können viraler Genese oder Ausdruck von Autoimmunprozessen sein. In den letzten Jahrzehnten wurden zahlreiche hepatotrope Viren charakterisiert und verschiedenen klinischen Leberkrankheiten zugeordnet. Es sind 5 voneinander verschiedene primär hepatotrope Viren bekannt, die unterschiedliche klinische Verläufe hervorrufen.
Stefan Wirth
173. Krankheiten der extrahepatischen Gallenwege
Zusammenfassung
Krankheiten des extrahepatischen Gallengangssystems umfassen neben Pathologien der Gallengänge Erkrankungen der Gallenblase. Zu den wichtigsten angeborenen Fehlbildungen der Gallenwege zählen die angeborenen Choledochuszysten. Diese etwas irreführende Bezeichnung charakterisiert zystische Erweiterungen des extrahepatischen Gallengangssystems unterschiedlicher Ausprägung. Die Atresie der extrahepatischen Gallenwege zählt zu den wichtigsten Differenzialdiagnosen der neonatalen Cholestase. Sie ist gekennzeichnet durch eine Obliteration des extrahepatischen Gallengangssystems, vermutlich im Zuge eines entzündlichen Prozesses in der Entstehung der Gallenwege. Da die Gallengangsatresie eine der häufigsten Ursachen der frühkindlichen Leberzirrhose darstellt, ist eine gezielte und vor allem rasche Diagnostik essenziell. Gallensteine sind im Kindesalter selten und werden wie auch bei Erwachsenen häufig durch Zufall entdeckt. Nur selten führen sie zu charakteristischen Beschwerden und somit zur Notwendigkeit einer operativen Intervention.
Thomas Lang
174. Akutes Leberversagen und Lebertransplantation
Zusammenfassung
Das pädiatrische akute Leberversagen (pALV) ist selten und potenziell reversibel. Definiert ist es durch biochemische Zeichen einer Lebererkrankung und eine Vitamin K unabhängige Gerinnungsstörung. Eine hepatische Enzephalopathie ist bei pALV keine Conditio sine qua non. Die Ursache ist äußerst variabel und altersabhängig. Ein pALV ist meist durch unspezifische Symptome eines Leberfunktionsverlustes gekennzeichnet, wobei das erste hinweisende Symptom in der Regel ein Ikterus ist. Die pädiatrische Lebertransplantation (pLTx) ist das Standardverfahren im Endstadium von akuten und chronischen Lebererkrankungen, Lebertumoren sowie hepatisch bedingter Stoffwechselerkrankungen. Dabei werden an großen, spezialisierten pädiatrischen Lebertransplantationszentren bei guter Lebensqualität Langzeitüberlebensraten von 85–90 % erreicht. Dieses wurde möglich durch Einführung moderner Immunsuppressiva und von Operationstechniken, die die LTx von an die Größe der Kinder adaptierten Leberteilen ermöglichen.
Michael Melter, Burkhard Rodeck
175. Portale Hypertension
Zusammenfassung
Als portale Hypertension bezeichnet man die dauerhafte Steigerung des Blutdrucks in der Pfortader über den normalen Druck von 5–10 mmHg. Eine invasive Messung des Pfortaderdrucks erfolgt in der Regel nicht. Die Definition erfolgt von daher meist durch Beschreibung der Komplikationen, wie z. B. das Vorhandensein von Ösophagus- und Fundusvarizen. Häufigste Ursachen einer portalen Hypertension sind eine Leberzirrhose oder eine Pfortaderthrombose mit kavernöser Transformation.
Simone Kathemann

Krankheiten der Atmungsorgane

Frontmatter
176. Morphologie der Lunge und Entwicklung des Gasaustauschapparates
Zusammenfassung
Die Lunge beinhaltet 3 Kompartimente: Luft, Gewebe und Blut. Das Lungengewebe liefert das Organgerüst und sorgt dafür, dass Luft und Blut zwar stets getrennt bleiben, aber doch in so engen Kontakt miteinander treten, dass O2 und CO2 durch Diffusion effizient ausgetauscht werden. Nach 15–16 Generationen rein leitender Luftwege mit respiratorischem Epithel, beginnt das Lungenparenchym mit den Acini, welche die Alveolen enthalten. Die feinen Interalveolarsepten bestehen aus einem dichten Kapillarnetz, wenig Bindegewebe und grenzen mit Pneumozyten Typ-1 und -2 an die Atemluft, zu welcher sie eine Oberfläche von ca. 140 m2 aufspannen. Bereits in der 24. SSW, wenn Surfactant-produzierende Typ-2-Pneumozyten auftreten und die dünne Luft-Blut-Schranke sich zu entwickeln beginnt (kanalikuläres Stadium) haben Frühgeborene eine erste Überlebenschance. Die Alveolenbildung beginnt größtenteils nach der Geburt, wobei die nahezu 500 Mio. Alveolen des Erwachsenen mehrheitlich schon im frühen Kindesalter ausgebildet werden. Das Lungenwachstum ist durch eine Erweiterung des parenchymalen Luftraumes und einer weiteren Verfeinerung der Interalveolarsepten, bei gleichzeitigem Wachstum des Kapillarbettes, charakterisiert.
Stefan A. Tschanz, Peter H. Burri
177. Atemregulation und Gasaustausch
Zusammenfassung
Aufgabe der Atemregulation ist die Aufrechterhaltung möglichst konstanter Sauerstoffpartialdruck-(paO2-) und Kohlendioxidpartialdruck-(paCO2-)Werte trotz schwankendem O2-Verbrauch und CO2-Produktion. Dies geschieht im Wesentlichen nach dem klassischen Prinzip eines Regelkreises, der aus zentraler Steuerungseinheit (Atemzentrum), Sensor (periphere und zentrale Chemorezeptoren, Mechanorezeptoren in der Lunge) und Effektor (Atemmuskulatur) besteht. Die einzelnen Elemente dieses Regelkreises sollen im Folgenden kurz beschrieben werden.
Christian F. Poets
178. Atemphysiologie
Zusammenfassung
Es gibt eine Vielzahl von physiologischen und anatomischen Gründen warum, Säuglinge eine respiratorische Beeinträchtigung viel schlechter bewältigen können als ältere Kinder oder Erwachsene. Der klinische bedeutsamste Unterschied liegt vermutlich im höheren Grundumsatz und des damit verbundenen höheren Sauerstoffverbrauchs in Ruhe. Bezogen auf das Körpergewicht ist der Ruhe-Sauerstoffkonsum etwa 2- bis 3-mal höher als beim Erwachsenen und fällt graduell von etwa 7 ml/kg/min bei Geburt auf etwa 3–4 ml/kg/min im Erwachsenenalter. Zusammen mit einer tieferen funktionellen Residualkapazität resultiert daraus eine geringere respiratorische Reserve, wenn der Organismus den Sauerstoffkonsum erhöhen muss. Dieses Kapitel soll erklären, warum der Respirationstrakt des Säuglings nicht einfach als Miniaturversion des Respirationstraktes eines Erwachsenen betrachtet werden darf.
Jürg Hammer, Urs Frey
179. Pulmonale Abwehrmechanismen und mukoziliäre Clearance
Zusammenfassung
Die Atemluft ist mit mikrobiellen Erregern, Allergenen, Schmutzpartikeln und mit Fremdgasen belastet, die die Integrität der Atemwege und der Lunge bedrohen. Je nach Partikelgröße werden feste Substanzen in der Nase oder in den Atemwegen abgefangen, zum Pharynx transportiert, verschluckt und durch das lymphatische System des Darms als Antigene verarbeitet. Partikel von weniger als einem Mikrometer verhalten sich in der Regel wie Fremdgase und werden nicht deponiert, sondern wieder ausgeatmet. Die spezifische Abwehr beginnt im Epithel, dessen Chemokine und Cytokine die erste spezifische Abwehr initiieren. Darunter liegt das schleimhautassoziierte lymphatische System: Sekretorisches IgA bindet Antigene und besorgt deren Abtransport im Schleim, IgG und IgM binden ebenfalls Antigen, durch Opsoninisierung und Complementfixation können sie aber auch Amplifikationsmechanismen aktivieren. Ein Zusammenspiel von Makrophagen, NK-Zellen, B- und T-Lymphozyten entscheidet über die Entwicklung von Toleranz oder spezifischer entweder lokaler oder systemischer Abwehr gegen ein Antigen. Die spezifischen Abwehrmechanismen variieren stark je nach Erreger. So hängt die Abwehr kapselhaltiger Bakterien vor allem von der Anwesenheit von Opsoninen – in erster Linie IgG2-Antikörpern – ab, während Mykobakterien, Mykoplasmen und Pneumocystis carinii zellvermittelte Mechanismen erfordern.
Christian Rieger
180. Kardiopulmonale Reanimation
Zusammenfassung
Die häufigsten Ursachen für den Atem- und Kreislaufstillstand (HKS) im Kindesalter sind der plötzliche Kindstod, Unfälle, Infektionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Intoxikationen und Fremdkörperaspirationen. Bei Kindern mit plötzlichem Tod unklarer Ätiologie sollte, wenn möglich, eine umfassende Nachuntersuchung durchgeführt werden, um vererbbare Grunderkrankungen, wie Ionenkanalpathologien, auszuschließen. Ein Herz-Kreislauf-Stillstand tritt im Kindesalter meist sekundär nach Hypoxämie auf, selten nach primärer Rhythmusstörung. Daher ist die primäre Maßnahme für eine erfolgreiche Reanimation im Kindesalter die Bekämpfung der respiratorischen Insuffizienz, wahrscheinlich am besten mit der Maßnahmenreihenfolge A-B-C. Führt hingegen primär eine Rhythmusstörung zum Kreislaufstillstand, macht die primäre Frühdefibrillation in der Reihenfolge C-A-B eher Sinn.
Bendicht Wagner
181. Symptome und klinische Befunde häufiger respiratorischer Krankheiten
Zusammenfassung
Akute und chronische respiratorische Krankheiten treten im Kindesalter häufig auf. Zu den spezifischen Symptomen zählen Dyspnoe, Husten, Stridor, Pfeifen und Giemen, Zyanose, Hämoptoe und Thoraxschmerz. Eine ausführliche Anamnese mit dem kindlichen oder jugendlichen Patienten sowie dessen Begleitpersonen hilft den zeitlichen Verlauf und den Schweregrad der genannten Symptome zu charakterisieren. Mittels klinischer Untersuchungstechniken (Inspektion, Palpation, Auskultation und Perkussion) kann in vielen Fällen auch ohne aufwendige und belastende oder teure Methoden die richtige Diagnose gestellt werden.
Josef Riedler
182. Diagnostik bei Luftwegskrankheiten
Zusammenfassung
Die pädiatrische Lungenfunktionsdiagnostik umfasst ein Spektrum von Methoden. Die gängigsten Methoden erfordern eine aktive Mitarbeit des Probanden oder Patienten und sind daher in der Routine erst ab dem späteren Kleinkindesalter einsetzbar. Darüber hinaus wurden Methoden entwickelt, die eine Lungenfunktionsdiagnostik auch beim Säugling und jungen Kleinkind ermöglichen. Für die Messung des ausgeatmeten Stickstoffmonoxids (fractional exhaled nitric oxide, FeNO) wird bei kooperativen Probanden am häufigsten die gut standardisierte Single-breath-online-Technik verwendet. In der pädiatrischen Pneumologie werden zur Luftwegsendoskopie heute nahezu ausschließlich flexible Endoskope eingesetzt. Mittels (ultra-)dünner Endoskope sind Untersuchungen auch von Früh- und Neugeborenen problemlos möglich.
Ernst Eber
183. Zwerchfelldefekte
Zusammenfassung
Häufige Zwerchfellerkrankungen im Kindesalter sind angeborene Zwerchfelldefekte und Zwerchfellrelaxationen. Tumoren, wie z. B. Rhabdomyosarkome, oder entzündliche Erkrankungen des Zwerchfells sind Raritäten.
Jörg Fuchs
184. Kongenitale Anomalien von Atemwegen und Lungen inklusive primäre ziliäre Dyskinesie
Zusammenfassung
Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die wichtigsten angeborenen Fehlbildungen von intrathorakalen Atemwegen und Lungen und die primäre ziliäre Dyskinesie. Fehlbildungen der extrathorakalen Atemwege (Nase, Pharynx, Larynx) sowie des pulmonalen Gefäßsystems werden hier nicht besprochen. Bezüglich ebenfalls hier nicht abgehandelter seltener Anomalien wird der Leser auf andere Werke verwiesen. In einigen Bereichen existieren Überschneidungen mit anderen Kapiteln dieses Werks.
Ernst Eber
185. Tracheobronchitis und Bronchiolitis
Zusammenfassung
Tracheobronchitis und Bronchiolitis werden ganz überwiegend von Viren ausgelöst, eine Superinfektion durch Bakterien ist selten. Die akuten Formen werden klinisch diagnostiziert, bedürfen keiner ätiologischen Diagnostik und werden symptomatisch therapiert. Häufige (mehr als 6/Jahr) Bronchitiden sind bei Kindern nicht selten. Einer besonderen Beobachtung, Diagnostik und gegebenenfalls Behandlung bedürfen ansonsten gesunde Kinder, die länger als 4 Wochen produktiv husten (internationale Bezeichnung derzeit: protracted bacterial bronchitis). Internationale Leitlinien bezeichnen die Sauerstoffgabe und minimal belastende Pflege als einzig wirksame Therapie der Bronchiolitis. In den ersten zwei Lebensjahre sind allerdings wichtige Differenzialdiagnosen (u. a. viral ausgelöste obstruktive Bronchitis) mit in Betracht zu ziehen. Deswegen verweisen einige Leitlinien noch auf die Adrenalininhalation, die Inhalation von Salbutamol mit Ipratropium, die Inhalation von hyperosmolarer Kochsalzlösung und die Kombination von systemischem Kortikoid mit inhalativem Adrenalin als mögliche probatorische Therapien.
Johannes Forster
186. Infektiöse Pneumonien
Zusammenfassung
Pneumonien werden nach verschiedenen Kriterien wie Ätiologie, Patientenalter sowie anatomischer Lokalisation bzw. dem Röntgenbefund eingeteilt. Unter den ambulant erworbenen Pneumonien dominieren in den ersten Lebensjahren viral erworbene (RSV, Parainfluenza-, Influenza-, Adeno-, Rhino- und humane Metapneumoviren), häufig gefolgt von bakteriellen Sekundärinfektionen (Pneumokokken, unbekapselte Haemophilus influenzae, Staphylococcus aureus, u. a.). Später überwiegen Bakterien, insbesondere Pneumokokken und Haemophilus influenzae, aber auch Mykoplasmen. Bei Neugeborenen und Säuglingen stehen unspezifische Symptome wie Trinkschwäche, Rhinitis, Husten und Hypo- oder Hyperthermie im Vordergrund, bei älteren Kindern imponieren Husten, Fieber, Tachykardie, Blässe und Krankheitsgefühl. Die Diagnose einer Pneumonie wird durch die Kombination von klinischer Symptomatik, Untersuchungsbefund und Röntgenaufnahme gestellt. Die Therapie richtet sich nach den Symptomen und dem mutmaßlichen Erreger. Pneumonien im Säuglings- und frühen Kleinkindesalter sowie schwere Manifestationen (altersunabhängig) sollten bevorzugt stationär behandelt werden.
Ulrich Heininger
187. Aspirationspneumonien
Zusammenfassung
Pneumonien entstehen im Regelfall durch die Aspiration kleinster Mengen von virulenten Atemwegserregern. Hiervon muss die Aspirationspneumonie im eigentlichen Sinne abgegrenzt werden, deren Vorkommen bei gesunden Kindern selten ist. Häufig sind Aspirationen bei geistig bzw. körperlich behinderten Kindern und Jugendlichen, hier kommt es bei Schluckstörungen zur Aspiration von Speichel und Nahrung, bei gastroösophagealem Reflux auch von Mageninhalt. Bei gesunden Kindern ist die Hauptursache von Aspirationspneumonien die akzidentelle Aspiration von Fremdkörpern. Diese können flüssig, gasförmig oder solide sein. Folgen sind eine toxische Pneumonitis, eine bakterielle Infektion oder eine mechanische Verlegung mit oder ohne sekundäre Infektion. Die akute Therapie richtet sich je nach auslösendem Aspirat, bei infektiöser Aspirationspneumonie müssen anaerobe Erreger in Betracht gezogen werden. Bei rezidivierenden Aspirationen sollten außerdem sämtliche Maßnahmen ergriffen werden, prädisponierende Faktoren zu identifizieren und zu eliminieren.
Philippe Stock
188. Atelektasen
Zusammenfassung
Atelektasen sind Lungenbezirke mit minder- oder unbelüfteten Alveolen, sie sind immer Ausdruck eines übergeordneten Problems. Häufigste Ursache sind durch Sekret verlegte Bronchien („mucoid impaction“) im Rahmen von Infektionen oder bei Asthma bronchiale oder Mukoviszidose. Auch externe Bronchuskompressionen durch Lymphknoten, Tumoren oder aberrante Blutgefäße können zu Atelektasen führen, seltener sind angeborene oder erworbene Störungen des Surfactantsystems verantwortlich. Die typischen klinischen Symptome mit Klopfschalldämpfung und abgeschwächtem bzw. aufgehobenem Atemgeräusch treten nur bei ausgedehnteren Belüftungsstörungen auf, kleinere Atelektasen bleiben meist symptomlos und werden erst im Röntgenbild durch entsprechende lokalisierte Verschattungen entdeckt. Therapeutisch kommen zunächst physiotherapeutische Maßnahmen zum Einsatz, bei Verdacht auf eine Fremdkörperaspiration oder bei starker klinischer Beeinträchtigung ist eine bronchoskopische Intervention indiziert.
Joachim Freihorst
189. Überblähungen und Lungenemphysem
Zusammenfassung
Die Begriffe Überblähung und Emphysem charakterisieren Zustandsbilder, die durch Veränderungen der Transparenz (Überblähung), der veränderten Lungenfunktion und der klinischen Beobachtung (Überblähung und Emphysem) charakterisiert sind. Betrifft die Überblähung permanent die Lufträume distal der terminalen Bronchioli ohne signifikante Fibrose, spricht man von Emphysem. Solche Veränderung sieht man im Kindesalter vor allem bei Fremdkörperaspiration oder als Folge von Sekretansammlung (Hypersekretion, visköses Sekret, immotiles Ziliensyndrom), selten als Folge von Tumoren, Granulationsgewebe (Tbc, Sarkoidose, Granulomatose), angeborenen Fehlbildungen (Bronchomalazien) oder Gefäßanomalien. Selten sind auch ein α1-Antitrypsin-Mangel und das Syndrom der einseitig hellen Lunge (MacLeod-, Swyer-James-Syndrom). Die Ursachen für Überblähung/Emphysem bestimmen die Therapie.
Martin H. Schöni
190. Bronchiektasen und Lungenabszess
Zusammenfassung
Bronchiektasen entstehen durch eine irreversible Zerstörung der Bronchialwand, lokalisiert oder in der gesamten Lunge. Wesentliche Ursachen sind heute die Mukoviszidose, Immunmangelkrankheiten, die Ziliendyskinesie, neurologische Erkrankungen mit Reflux sowie die persistierende bakterielle Bronchitis. Infektionen wie Tuberkulose, Masern- oder Staphylokokkenpneumonie sind in der westlichen Welt als Ursachen selten geworden. Die Diagnose erfolgt durch die Computertomografie. Die Therapie ist bei lokalisierten Bronchiektasen die chirurgische Resektion, bei diffusen Bronchiektasen oder bei der Möglichkeit ihrer Entwicklung (z. B. Mukoviszidose) die Physiotherapie sowie die antibiotische Therapie. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen echten, sackförmigen, somit irreversiblen Bronchiektasen, und Bronchusdeformierungen, die durch eine aktive Therapie reversibel sein können.
Christian Rieger
191. Asthma bronchiale
Zusammenfassung
Das Asthma bronchiale gilt als häufigste chronische Krankheit des Kindesalters und ist trotz gut verfügbarer und effektiver Medikamente nach wie vor mit einer relevanten Morbidität verbunden. Asthma bronchiale ist häufiger Grund für Schulabsenz, führt zu volkswirtschaftlich belastenden Behandlungskosten und wird je nach subjektivem Standpunkt verschieden erlebt. Patienten berichten über wiederholtes, zum Teil situativ gebundenes, meist exspiratorisches Pfeifen (Giemen, Brummen), über chronischen, oft infektunabhängigen, vorwiegend nächtlichen Reizhusten sowie über meist anstrengungsabhängig empfundene inspiratorische Atemnot und beklagen die durch Asthma bedingte Einschränkung im täglichen Leben. Für Eltern bedeutet das Leben mit einem asthmatisch erkrankten Kind die regelmäßige zumeist inhalative Verabreichung von Medikamenten, die zum Teil kostenaufwendige Umgebungskontrolle und die emotionale Belastung und Angst vor bedrohlichen Asthmaanfällen. Für den behandelnden Arzt beinhaltet Asthma bronchiale die Zielsetzung, dank individueller Betreuung eine umfassende Symptomfreiheit, eine altersgerechte Aktivität und Entwicklung der Kinder und eine gute Lebensqualität zu erreichen.
Johannes H. Wildhaber, Alexander Möller
192. Zystische Fibrose (Mukoviszidose)
Zusammenfassung
Mukoviszidose ist eine autosomal-rezessiv vererbte Multisystemerkrankung (v. a. Lunge, Gastrointestinaltrakt). Pathophysiologisch mangelt es an funktionstüchtigem CFTR-Protein, einem Chlorid- und Bikarbonatkanal. Die Diagnose erfolgt v. a. über Neugeborenenscreening, Schweißtest und molekulargenetische Diagnostik. Der progressive Untergang von Lungengewebe infolge von Infektion und Inflammation ist entscheidend für Morbidität und Mortalität. Pseudomonas aeruginosa ist das wichtigste Pathogen. Weitere relevante sind Burkholderia cepacia, Staphylokokken, Stenotrophomonas maltophilia, nichttuberkulöse Mykobakterien, anaerobe Bakterien, Achromobacter xyloxidans, Viren und Pilze. Der pulmonale Verlauf wird mittels Lungenfunktion, radiologischer und mikrobiologischer Diagnostik beurteilt. Therapeutische Optionen sind Antibiotika, Inhalationen mit bronchodilatativen Medikamenten und Sekretolytika, antiinflammatorische Substanzen und CFTR-Modulatoren. Die häufigsten pulmonalen Komplikationen sind Hämoptysen und Pneumothorax. Ultima Ratio ist die Lungentransplantation.
Sabina Schmitt-Grohé, Michael J. Lentze, Jobst Henker
193. Lungenödem, Lungenembolie und Lungeninfarkt
Zusammenfassung
Das Lungenödem ist definiert als eine pathologische Ansammlung von Flüssigkeit und gelösten Teilchen im Interstitium der Lunge. Das führt zu einer Behinderung des Gasaustausches und manifestiert sich klinisch mit einer Tachydyspnoe bis hin zu einer respiratorischen Insuffizienz. Im fortgeschrittenen Stadium tritt die Flüssigkeit in die Alveolen über, was unbehandelt zu einem terminalen respiratorischen Versagen führen kann. Die wichtigste Maßnahme ist die Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung. Eine Lungenembolie ist definiert als eine Verlegung der Pulmonalarterien durch Luft, Fremdkörper, Fett, Tumoren oder Thromben. In Folge einer Embolie kann es zu Gewebsuntergängen (Infarkt) kommen. Sie tritt im Kindesalter relativ selten auf, sollte aber bei suggestiven Symptomen immer und in jedem Alter in Erwägung gezogen werden, da ein früher Therapiebeginn den Verlauf dieser potenziell tödlichen Erkrankung positiv beeinflusst.
Nicolaus Schwerk
194. Lungentumoren
Zusammenfassung
Im Kindesalter sind primäre Tumoren des Respirationstrakts sehr selten. Die meisten Neoplasien des Lungenparenchyms sind Metastasen. In die Lunge metastasierende Tumoren bei Kindern sind: der Wilms-Tumor, das Osteosarkom, Ewing-Sarkom, Rhabdomyosarkom und Hepatoblastom.
Holger Christiansen
195. Thoraxtrauma
Zusammenfassung
Thoraxverletzungen kommen im Kindesalter selten vor, wobei es sich in Westeuropa überwiegend um ein stumpfes Thoraxtrauma handelt. Abhängig von der einwirkenden Kraft auf den Brustkorb kann das stumpfe Thoraxtrauma klinisch von einer milden Beeinträchtigung der Atemsituation bis hin zu lebensbedrohlichen Thoraxverletzungen variieren. Die häufigste Ursache stellen Verkehrsunfälle dar, wobei die Kinder entweder als Fahrzeuginsasse oder als Fußgänger/Radfahrer betroffen sind. Die zweithäufigste Ursache sind Sportunfälle, wobei Jungen hier häufiger als Mädchen betroffen sind. Bei bis zu 50 % der Kinder mit einem Thoraxtrauma liegt ein Polytrauma in Kombination mit einer zusätzlichen Schädel-Hirn-Verletzung, Extremitätenverletzung und/oder Abdominaltrauma vor. Die offenen bzw. penetrierenden Thoraxverletzungen betreffen ca. 10–20 % aller kindlichen Thoraxtraumen.
Martin Metzelder
196. Traumatische Schäden an Trachea und Bronchien
Zusammenfassung
Laryngeale und tracheale Rupturen oder Lecks entstehen durch Kollision der vorderen Halsweichteile mit einer scharfen Kante. Auch bei stumpfen Thoraxtraumata kann es zu Abscherungen und Einrissen an Trachea und Bronchien kommen. Neben der akuten Dyspnoe und einem eventuellen Stridor ist als typisches Zeichen das Entstehen eines Weichteil- und Hautemphysems im Hals- und Mediastinalbereich zu beobachten. Je nach Befund kann ein konservatives oder (manchmal auch notfallmäßiges) chirurgisches Vorgehen indiziert sein. Schäden insbesondere an Larynx und subglottisch können auch durch Intubation oder Tubusdruck beim Intensivpatienten auftreten, lassen sich jedoch bei korrektem Vorgehen fast immer vermeiden. Neuere HNO-chirurgische Verfahren haben die Prognose von Stenosen in diesem Bereich wesentlich verbessert.
Thomas Nicolai
197. Fremdkörperaspiration
Zusammenfassung
Kinder im Alter von 1–4 Jahren haben teilweise Schwierigkeiten mit dem Kauen und Abschlucken von bestimmten Nahrungsmitteln wie Nüssen oder Karotten und nehmen viele Objekte zur Exploration erst einmal in den Mund, darunter auch Kleinteile aus Spielzeugbaukästen etc. Daher werden diese Objekte in dieser Altersgruppe immer wieder aspiriert, bei älteren Kindern passiert dies mit Nadeln, Nägeln etc. Insbesondere bei laryngealer oder trachealer Lage des Fremdkörpers kommt es immer wieder zu tragischen Verläufen mit perakuter Erstickung. Zur Diagnostik ist bei einer entsprechenden Anamnese eine Bronchoskopie indiziert. Die Fremdkörperentfernung wird mit dem starren Instrumentarium in Vollnarkose durchgeführt. Wenn die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich einen Fremdkörper vorzufinden, gering ist, kann mit einer flexiblen Bronchoskopie ein Aspirationsausschluss erfolgen.
Thomas Nicolai
198. Diffuse (interstitielle) Krankheiten der Lunge und der Pleura
Zusammenfassung
Diffuse (interstitielle) pulmonale Veränderungen finden sich bei einem heterogenen Spektrum von zum Teil seltenen Lungenerkrankungen, mit oft chronischem Verlauf und signifikanter Morbidität und Letalität. Relativ häufig ist bereits das Säuglingsalter betroffen, und die Abgrenzung von angeborenen Erkrankungen zu akuten Infektionen ist schwierig. Der hier vorgestellte Algorithmus stellt einen Weg dar, um die Differenzialdiagnosen einzugrenzen und die notwendige Diagnostik und Therapie einzuleiten. Die Bewertung eines Pleuraergusses bzw. Tumors wird ebenfalls dargestellt.
Jürgen Seidenberg, Nicolaus Schwerk
199. Pneumothorax, Pneumomediastinum, Hydrothorax, Hämatothorax und Chylothorax
Zusammenfassung
Der Pneumothorax ist dadurch definiert, dass sich Luft im Raum zwischen den beiden Pleurablättern befindet, falls eine Kompressionswirkung auf die Thoraxorgane auftritt, liegt ein Spannungspneumothorax vor. Je nach Klinik kann eine notfallmäßige Entlastung notwendig sein. Ein Pneumomediastinum ist als Zustand mit frei im Mediastinum befindlicher Luft definiert. Ähnlich liegen ein Hydrothorax bzw. ein Hämato- bzw. Chylothorax vor, wenn sich klare Flüssigkeit, Blut oder Chylus zwischen den Pleurablättern befindet. Je nach Klinik ist gegebenenfalls eine Drainage dieser Flüssigkeiten erforderlich, zudem muss die Ursache der Flüssigkeitsansammlung therapiert werden (Herzinsuffizienz, Infektion, Trauma oder Fehlbildung).
Thomas Nicolai
200. Thoraxdeformität
Zusammenfassung
Die Trichterbrust und die Kielbrust haben entgegen der oft vertretenen Meinung in der Regel keinen somatischen Krankheitswert, auch wenn die Patienten häufig über Beschwerden, wie verminderte Belastungsfähigkeit, Engegefühl oder Schmerzen klagen: Daraus abgeleitete kardiologische und pulmonologische Untersuchungen zeigen nur selten interventionsbedürftige Auffälligkeiten. Die Indikation für ein chirurgisches Vorgehen wird aus dem psychosozialen Leidensdruck abgeleitet, der von den Patienten vermittelt wird. Als State-of-the-Art-Vorgehen gilt hier mittlerweile die minimalinvasive Brustwandkorrektur nach NUSS bei der Trichterbrust, wobei bei der Kielbrust die konservative Therapie mittels einer Druckpelotte erfolgversprechend ist. Anders verhält sich dies bei komplexen Brustwandfehlbildungen, wie z. B. der Sternumspalte, welche nahezu immer eine Operationsindikation darstellt. Die Prognose der behandelten Brustwanddeformitäten ist gut; eine Ausnahme stellt das Jeune-Syndrom als asphyktische Thoraxdystrophie dar.
R. Boehm, Dietrich von Schweinitz
201. Atemphysiotherapie bei pulmonalen Krankheiten
Zusammenfassung
Der Begriff pädiatrische Atemphysiotherapie beschreibt ein breites Spektrum von mechanischen Interventionen, welches Sekretförderung, Aerosoltherapie, Atemmuskeltraining, Thoraxmobilisation, aber auch Tracheostomamanagement, Heimbeatmung, pulmonale Rehabilitation und Leistungstraining beinhaltet.
Beatrice Oberwaldner
202. Sporttherapie und pulmonale Rehabilitation bei chronischem Lungenleiden
Zusammenfassung
Chronische Lungenerkrankungen (z. B. Asthma bronchiale, Mukoviszidose) sind eine der häufigsten Gründe für eine Rehabilitation. Eine solche Rehabilitation wird in Deutschland hauptsächlich stationär durchgeführt, ambulante Rehazentren sind momentan noch im Aufbau. Indiziert ist eine Rehabilitation immer dann, wenn mit der ambulanten Therapie die Erkrankung nicht ausreichend kontrolliert werden kann. Ziel der Rehabilitation ist es, den betroffenen Patienten ausreichend zu stabilisieren und eine möglichst große Teilhabe am Alltagsleben (z. B. Familie, Schule, Sport etc.) zu ermöglichen. Die Schwerpunkte der Rehabilitation liegen neben der medikamentösen Therapie auf Physiotherapie, Sporttherapie, psychologischer Unterstützung und Patientenschulung. Die stationären Rehaprogramme sind zurzeit auf eine Dauer von 4–6 Wochen ausgelegt und die Kinder und Jugendlichen im schulfähigen Alter besuchen in dieser Zeit neben der Therapie die klinikeigene Schule. Mit einer solchen Rehabilitation lassen sich Verbesserungen des Therapiemanagement und damit der Lungenfunktion sowie der Teilhabe (z. B. der krankheitsbedingten Schulfehlzeiten) erreichen.
Carl-Peter Bauer

Herz- und Gefäßkrankheiten

Frontmatter
203. Herz- und Gefäßkrankheiten: allgemeine Symptomatik, Anamnese, klinische und ergänzende Untersuchungen
Zusammenfassung
Herz- und Gefäßkrankheiten fallen durch klinische Symptome wie Zyanose, Herzinsuffizienz, Tachypnoe, Synkopen, Herzschmerzen unter Belastung oder durch einen auffälligen Auskultationsbefund auf. Einfache technische Untersuchungen sind Blutdruckmessung, 24-h-Blutdruckmessung, EKG, 24-h-EKG, Belastungs-EKG und Röntgenthorax. Das wichtigste diagnostische Mittel des Kardiologen ist die Echokardiografie (B-Bild, M-Mode, Doppler, Farbdoppler, zunehmend auch 3D-Echo), die in der Routine meist transthorakal, bei besonderen Fragestellungen aber auch transösophageal durchgeführt wird. Schnittbildverfahren wie Kardio-CT und MRT werden immer häufiger genutzt und liefern hervorragende anatomische Darstellungen des Herzens. Mittels nuklearmedizinischer Methoden kann die kardiale Funktion (Perfusion, Ejektionsfraktion) untersucht werden. Die Herzkatheteruntersuchung verliert dabei als diagnostisches Mittel an Bedeutung, dagegen nehmen Katheterinterventionen (Ballondilatation, Implantationen von Stents oder Herzklappen, Verschluss von Defekten u. v. a.) immer weiter zu.
Gernot Buheitel
204. Fetaler und neonataler Kreislauf
Zusammenfassung
Die fetale Zirkulation besitzt anatomische und funktionelle Besonderheiten, die für das Verständnis perinataler Anpassungsstörungen wie auch für die perinatale Therapie von Herzfehlern von Bedeutung sind. In dem vorliegenden Kapitel wird der fetale Kreislauf erläutert und die normale wie auch gestörte Transition vom fetalen zum neonatalen Kreislauf dargestellt (persistierende fetale Zirkulation, offener Ductus Botalli). Beim Übergang der fetalen zur neonatalen Zirkulation schließen sich wichtige Shuntverbindungen wie das Foramen ovale und der Ductus Botalli, sodass die vormals parallel geschalteten Kreisläufe in Serie geschaltet werden. Dadurch werden schwere angeborene Herzfehler wie univentrikuläre Herzen oder eine d-Transposition der großen Arterien symptomatisch. Eine Wiedereröffnung fetaler Shuntverbindungen (medikamentös mittels Prostaglandin E2, interventionell mittels Atrioseptostomie) ist für diese Patienten lebensnotwendig.
Ulrike Herberg
205. Herzinsuffizienz und Hypoxämie
Zusammenfassung
Herzinsuffizienz im Kindesalter betrifft am häufigsten Säuglinge mit angeborenen Herzfehlern, die eine Volumenbelastung hervorrufen. Während diese durch operative oder interventionelle Behandlung kausal frühzeitig beseitigt werden kann, erfordert die Herzinsuffizienz vor allem bei nur palliativ behandelten Herzfehlern im Langzeitverlauf ebenso wie bei Kardiomyopathien eine medikamentöse Therapie. Wenngleich die wissenschaftlichen Daten für eine evidenzbasierte Therapie im Vergleich zum Erwachsenenalter erheblich geringer sind, stellt das Kapitel die verfügbaren Informationen über die Behandlung sowohl der chronischen als auch der akuten Herzinsuffizienz prägnant dar.
Hans Heiner Kramer
206. Angeborene Herz- und Gefäßanomalien: Epidemiologie und Ätiologie
Zusammenfassung
Acht bis zehn von 1000 lebend geborenen Kindern haben eine angeborene Herz- oder Gefäßanomalie. Hierbei sind der offene Ductus arteriosus des Frühgeborenen sowie im Kindesalter oft nicht auffallende, aber durchaus häufige Anomalien wie die bikuspide Aortenklappe, der Mitralklappenprolaps, asymptomatische Aortenbogenanomalien und eine persistierende linke V. cava superior nicht mitgerechnet. Bei 2–3 von 1000 Neugeborenen ist die Anomalie so schwer, dass sie bereits im Säuglingsalter Symptome verursacht und einer Behandlung bedarf. Aufgrund der chirurgischen, katheterinterventionellen und medikamentösen Behandlungsfortschritte in den letzten Jahren werden heute ca. 95 % aller mit einer Herz- oder Gefäßanomalie geborenen Kinder erwachsen. Allerdings bestehen zwischen den einzelnen Herzfehlern zum Teil erhebliche Unterschiede.
Johannes Breuer
207. Primär nichtzyanotische Vitien
Zusammenfassung
Die primär nichtzyanotischen Herzfehler umfassen im Wesentlichen die Ausflussbahnobstruktionen des rechten und linken Ventrikels, Herzklappenfehlbildungen sowie Vitien mit Links-rechts-Shunt. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass in der Regel keine zentrale Zyanose (= Mischungszyanose) besteht und die pulsoxymetrisch gemessene Sauerstoffsättigung an den oberen Extremitäten normal ist. Allerdings kann bei einer in Folge des Herzfehlers bestehenden Herzinsuffizienz eine periphere Zyanose (= Ausschöpfungszyanose) vorliegen. Möglicherweise bestehen auch Begleitfehlbildungen, die dann doch zu einer zentralen Zyanose führen. Diese Besonderheiten sind bei der Interpretation des pulsoxymetrischen Screenings im Neugeborenenalter zu beachten. Bei dem geringsten Verdacht auf das Vorliegen eines Herzfehles ist eine umgehende kinderkardiologische Untersuchung indiziert.
Johannes Breuer
208. Primär zyanotische Vitien
Zusammenfassung
Bei dieser Gruppe von Herzfehlern besteht von Geburt an eine mehr oder weniger ausgeprägte Zyanose aufgrund eines Rechts-links-Shunts, wodurch es zur Vermischung von sauerstoffreichem und sauerstoffarmem Blut im Herzen (= Mischungszyanose) kommt. Das Ausmaß der Zyanose hängt in der Regel von der Lungendurchblutung ab: Je geringer diese ist, umso ausgeprägter ist die Zyanose und die Sauerstoffuntersättigung. Im Allgemeinen ist bei diesen Patienten die Systemdurchblutung ausreichend, sodass präoperativ keine Herzinsuffizienz besteht und die Kinder gut gedeihen. Klassisches Beispiel für diese Gruppe von Herzfehlern sind die Fallot’sche Tetralogie und die einfache D-Transposition der großen Gefäße. Auch Kinder mit einem univentrikulären Herzen gehören dazu, für die erst seit den 1970er-Jahren ein palliatives Operationskonzept erarbeitet wurde – die sog. Fontan-Zirkulation. Diese kann im Langzeitverlauf zu einer Reihe von komplexen Problemen führen, deren Kenntnis daher für den Pädiater, den Allgemeinmediziner oder auch den Anästhesisten von großer Bedeutung ist.
Johannes Breuer
209. Angeborene Gefäßanomalien
Zusammenfassung
Es gibt zahlreiche Abweichungen von der normalen Entwicklung der Aorta und ihrer Äste sowie der Pulmonalarterie, aber nur wenige sind bedeutsam. Die wichtigsten sind diejenigen, die den Ösophagus (Schluckstörungen!) und die Trachea (Atemstörungen!) durch einen Gefäßring oder eine Schlinge einschnüren. Der Fehlabgang einer Koronararterie aus der Pulmonalarterie kann aufgrund der resultierenden Myokardischämie zu einem lebensbedrohlichen Krankheitsbild führen.
Johannes Breuer
210. Herzrhythmusstörungen
Zusammenfassung
Unter bradykarden Herzrhythmusstörungen versteht man eine temporär oder permanent abnorm verminderte Herzfrequenz unterhalb der Altersnorm. Bei symptomatischen Patienten ist die definitive Therapie die Herzschrittmacherimplantation. Tachykarde Herzrhythmusstörungen sind durch eine Erhöhung der Vorhof- und/oder Kammerfrequenz gekennzeichnet. Akute Episoden einer supraventrikulären Tachykardie können durch Vagus-Manöver, Antiarrhythmika sowie durch externe Kardioversion behandelt werden. Bei Kindern und Jugendlichen mit symptomatischen supraventrikulären Tachykardien wird die Katheterablation des anatomischen Substrats empfohlen. Akute ventrikuläre Tachykardien sollten primär durch externe Kardioversion terminiert werden. Zur Prävention des Wiederauftretens ventrikulärer Tachykardie kommen Antiarrhythmika, die Hochfrequenzstromablation des anatomischen Substrats der Tachyarrhythmie, chirurgische Eingriffe sowie die Implantation eines internen Kardioverter-Defibrillators zum Einsatz.
Thomas Paul
211. Kardiomyopathien
Zusammenfassung
Kardiomyopathien sind Herzmuskelveränderungen, die nicht Folge einer koronaren Herzerkrankung, eines Hochdrucks, eines Herzklappenfehlers oder einer angeborenen Herzerkrankung sind. Die hypertrophe Kardiomyopathie ist eine Erkrankung des Sarkomers mit einer asymmetrischen, konzentrischen oder apikalen Myokardhypertrophie ohne hämodynamische Ursache. Die dilatative Kardiomyopathie ist durch eine Ventrikeldilatation gekennzeichnet, 30 % der dilatativen Kardiomyopathien sind monogenetisch bedingt. Die restriktive Kardiomyopathie ist eine Erkrankung mit herabgesetzter Dehnbarkeit des Myokard. Neben sporadischen sind familiäre Formen bekannt mit Mutatation des Troponin I. Die arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie ist eine Erkrankung infolge Mutationen desmosomaler Proteine mit elektro-anatomischen Auffälligkeiten, die aufgrund der altersabhängigen Penetranz im Kindesalter kaum diagnostiziert wird. Die Noncompaction-Kardiomyopathie ist eine Herzmuskelerkrankung, die ein endoluminal aufgelockertes Myokard aufweist, zum Teil mit Mutationen des Sarkomers, des Zytoskeletts oder der Mitochondrien.
Ludger Sieverding
212. Herztumoren
Zusammenfassung
Zahlreiche Literaturübersichten und Fallberichte dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Herztumoren im pädiatrischen Krankengut äußerst seltene Fehlbildungen des Herzens darstellen So liegt die Inzidenz in echokardiografischen Studien bei 0,32 %, in Autopsieserien bei 0,027 %. Die Einteilung erfolgt in primäre und sekundäre Tumoren. Die primären Tumoren sind überwiegend (90 %) gutartig. Dabei finden sich bei Säuglingen in 75 % der Fälle Rhabdomyome und Teratome. Bei Kindern und Jugendlichen stellen ebenfalls Rhabodmyome die häufigste Tumorart dar, gefolgt von Fibromen, Myxomen und Hämangiomen. Bei den seltenen malignen Tumoren überwiegen Sarkome (Rhabdomyosarkome, Fibrosarkome, Angiosarkome, Synovialsarkome) und Lymphome (Burkitt's Lymphom, B-Zelllymphom, lymphoblastische Lymphome). 20- bis 40-mal häufiger als primäre Tumoren finden sich allerdings sekundäre Tumoren des Herzens (Non-Hodgkin-Lymphome, Leukämien, Neuroblastome, Nephroblastome, Sarkome und Hepatoblastome).
Ludger Sieverding
213. Myokarditis
Zusammenfassung
Die Myokarditis ist als ein inflammatorischer Prozess des Myokards definiert. In der Mehrzahl der Erkrankungen liegt eine Virusinfektion mit Zerstörung von Kardiomyozyten in Kombination mit einer immunologischen Reaktion des Wirtsorganismus zugrunde. In vereinzelten Fällen kann sich die akute Myokarditis zu einer chronischen dilatativen Kardiomyopathie entwickeln. Die Diagnose kann durch die Kombination von Laboruntersuchungen, Echokardiografie und Kardio-MRT gestellt werden. Die Myokardbiopsie als diagnostischer Goldstandard führt mit Hilfe der PCR und In-situ Hybridisierung zur Detektion des Virusgenoms, die Immunhistochemie erlaubt eine Charakterisierung des zellulären Infiltrats. Die Therapie richtet sich primär nach dem Ausmaß der Herzinsuffizienz. Die Ergebnisse der Myokardbiopsie sind bei der Therapieentscheidung zur Immunglobulintherapie, immunsuppressiven Therapie bzw. der Behandlung mit Interferon hilfreich. Komplette Erholung bis zur Entwicklung einer dilatativen Kardiomyopathie mit letalem Ausgang sind möglich.
Thomas Paul
214. Perikarditis
Zusammenfassung
Die Perikarditis ist eine entzündliche Erkrankung des Herzbeutels. Häufigste Ursache ist eine Virusinfektion. Die akute Ergussbildung kann zu einer Tamponade mit einer lebensbedrohlichen Beeinträchtigung der Herzfunktion führen. Die zeitgerechte Diagnose und Therapie sind von vitaler Bedeutung. Die Perikarditis ist häufig mit einer Myokarditis vergesellschaftet.
Thomas Paul
215. Infektiöse Endokarditis
Zusammenfassung
Eine Endokarditis stellt eine bedrohliche Komplikation bei Patienten mit angeborenen Herzfehlern dar. Ihre zeitgerechte Diagnosestellung ist wichtig, aber gelingt in der Praxis oft viel zu spät, weil vermeidbare Fehler gemacht werden. Besonders wichtig ist, dass bei herzkranken Kindern die Ursache von Fieber einwandfrei geklärt werden muss, bevor Antibiotika verordnet werden. Lässt sich kein Fokus für das Fieber finden, ist eine Blutentnahme zum Nachweis von Parametern einer bakteriellen Infektion, eine Echokardiografie zum Nachweis eventueller Vegetationen sowie die Abnahme mehrerer Blutkulturen zum Erregernachweis erforderlich. Häufigste Erreger der subakuten Form der Endokarditis sind vergrünende Streptokokken, die als Saprophyten im Oropharynx vorkommen. Daher ist eine gute Mund- und Zahnhygiene wichtig. Vor zahnärztlichen Eingriffen ist bei Hochrisiko-Patienten die orale Gebe eines Antibiotikums zur Endokarditisprophylaxe indiziert. Erreger von Endokarditiden mit hochakutem Verlauf sind häufig Staphylococcus-aureus-Stämme. Die Prognose dieser Erkrankung ist sehr ernst, in den letzten Jahren aber durch eine operative Intervention in der akuten Phase verbessert worden.
Hans Heiner Kramer
216. Rheumatische Erkrankungen und Herzbeteiligung
Zusammenfassung
Die Herzbeteiligung bei rheumatischen Systemerkrankungen ist ein ubiquitäres Problem. Das klassische Beispiel ist im Verlauf des akuten rheumatischen Fiebers die rheumatische Karditis. Diese stellt eine Pankarditis dar und ist eine immunologische Folgeerkrankung nach einer Infektion mit β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A. Die revidierten Jones-Kriterien sind als Weg zur Diagnose beschrieben. Ziele der antibiotischen Behandlung sind die Beseitigung des Antigens sowie die Rezidiv- und Umgebungsprophylaxe. Die Therapie der Karditis erfolgt in Abhängigkeit vom Befund mit Glukokortikoiden. Grundsätzlich ist auch bei der eigentlichen Rheumaerkrankung, der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA), eine Herzbeteiligung möglich. Dies gilt auch für Vaskulitiden und Kollagenosen, hier vor allem für den systemischen Lupus erythematodes.
Ulrich Neudorf, Thomas Paul
217. Arterielle Hypertonie
Zusammenfassung
Während mehr als 20 % der Erwachsenen von Bluthochdruck betroffen sind, ist dieser im Kindesalter eine zwar seltene, aber oftmals nicht erkannte Erkrankung. Unbehandelt führt Bluthochdruck unabhängig von der Ätiologie zur Arteriosklerose und weiterer Progredienz von Gefäßveränderungen. Daher hat bereits der Bluthochdruck im Kindesalter eine erhöhte Morbidität und Letalität im späteren Lebensalter zur Folge. Um das Risiko späterer zerebrovaskulärer ischämischer oder hämorrhagischer Ereignisse zu reduzieren, ist die frühzeitige Diagnosestellung und Behandlung auch bei asymptomatischen Kindern und Jugendlichen wichtig.
Brigitte Stiller
218. Pulmonale Hypertonie
Zusammenfassung
Von einer pulmonalen Hypertonie (PH) spricht man, wenn der pulmonalarterielle Mitteldruck in Ruhe mehr als 25 mmHg beträgt. Im Fall eines Shunt-Vitiums ist für die Beurteilung der hämodynamischen Bedeutung zusätzlich der Lungengefäßwiderstand bzw. das Gefäßwiderstandsverhältnis zwischen Lungen- und Systemkreislauf Rp/Rs zu berücksichtigen. Nach der Ätiologie wird die pulmonale Hypertonie in 5 Klassen eingeteilt. Der erhöhte Lungendruck führt zu einer chronischen Druckbelastung des rechten Ventrikels und später oft zu einem Rechtsherzversagen. Hat sich die PH auf dem Boden eines angeborenen Herzfehlers entwickelt, ist eine Korrekturoperation mit einem erhöhten Risiko verbunden oder gar gänzlich unmöglich. Durch eine moderne, zielorientierte medikamentöse Therapie kann häufig der klinische Zustand verbessert und stabilisiert werden.
Johannes Breuer
219. Orthostatische Dysregulation
Zusammenfassung
Die orthostatische Dysregulation bzw. Intoleranz ist eine Funktionsstörung des autonomen vegetativen Nervensystems, die sich akut als neurokardiogene/vasovagale Synkope, chronisch als posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom zeigt. Aufrichten oder längeres Stehen sind typische Auslöser einer inadäquaten Reflexantwort der Kreislaufregulation. Die Diagnose wird in der Regel durch eine strukturierte Anamnese gestellt. Die Aufklärung über die Gutartigkeit der Beschwerden, Beratung über Ernährung/Flüssigkeitszufuhr, sowie regelmäßiger Sport mit insbesondere auch statischer Belastung stehen im Zentrum der Patientenführung.
Karl-Otto Dubowy
220. Sporttauglichkeit und Leistungsphysiologie
Zusammenfassung
Die körperliche Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen ist alters- und geschlechtsabhängig. Bis zur Pubertät sind Jungen und Mädchen vergleichbar leistungsfähig. Jenseits der Pubertät nimmt die Ausdauer der Jungen im Verhältnis zu den Mädchen deutlich zu und beträgt im Allgemeinen etwa 30 % mehr im Vergleich zum weiblichen Geschlecht. Dabei spielen neben der Muskulatur auch das Herzkreislaufsystem und die Lunge eine entscheidende Rolle.
Karl-Otto Dubowy

Krankheiten der blutbildenden Organe, Gerinnungsstörungen und Tumoren

Frontmatter
221. Erythrozyten: physiologische Besonderheiten im Kindesalter
Zusammenfassung
Das rasche Wachstum sowie die Umstellung von intrauterin nach extrauterin bestimmen die Entwicklung und die Besonderheiten der Erythropoese im Kindesalter. Schon in der Fetalzeit ändern sich sowohl Ort als auch die Qualität der Erythropoese, die sich unter anderem in der Art der synthetisierten Hämoglobinketten widerspiegelt. Der letzte Wechsel in der Expression der Hämoglobinketten findet während des 1. Lebensjahres statt, in dem die Synthese des γ-Globins ersetzt wird durch die Synthese von β-Globin. Auch der Eisenstoffwechsel im Kindesalter unterscheidet sich von dem des Erwachsenenalters: Während des 1. Lebenshalbjahres kann das reife Neugeborene noch fast ausschließlich von der intrauterin erworbenen „Eisenmitgift“ zehren. In den nachfolgenden Wachstumsphasen muss der kindliche Organismus jedoch deutlich mehr Eisen resorbieren als im Erwachsenenalter und ist entsprechend anfälliger für Eisenmangelzustände.
Joachim Kunz, Andreas Kulozik
222. Anämien
Zusammenfassung
Die normale Hämglobinkonzentration (Hb) zeigt im Verlauf der Entwicklung erhebliche Unterschiede, sodass die Anämie in verschiedenen Altersklassen durch variable untere Hb definiert ist. Pathogenetisch kann einer Anämie eine Bildungsstörung, eine verkürzte Lebensdauer der Erythrozyten bzw. eine ineffektive Erythropoese mit Untergang der erythropoetischen Vorläuferzellen bereits im Knochenmark oder ein Blutverlust zugrunde liegen. Differenzialdiagnostisch ist nach sorgfältiger Erhebung der Anamnese und des körperlichen Untersuchungsbefundes die Einteilung nach der Größe der Erythrozyten und nach Retikulozytenzahl hilfreich. Die Sicherung der Diagnose kann bei der Vielzahl erworbener und hereditärer, oft seltener Erkrankungen eine Herausforderung darstellen, ist bei der Mehrzahl der Patienten bei Einsatz des im Kapitel beschriebenen Algorithmus jedoch recht einfach. Die Therapie hängt von der korrekten Diagnose ab und zeigt ein weites Spektrum vom aufmerksamen Zuwarten, über die Ernährungsumstellung und Substitution von Eisen oder Vitaminen, die Erythrozytentransfusion bis zur allogenen Stammzelltransplantation.
Joachim Kunz, Andreas Kulozik
223. Funktionsstörungen des Hämoglobins und Polyzythämie
Zusammenfassung
Funktionsstörungen des Hämoglobins können entweder, bei den Thalassämien, durch eine verminderte Synthese einer der Globinketten oder, bei den Hämoglobinanomalien, durch die Produktion eines fehlerhaften Hämoglobins verursacht sein. Dieses Kapitel fokussiert auf die hereditären Varianten und erworbenen Funktionsstörungen des Hämoglobins, die entweder zur Instabilität, zur veränderten Sauerstoffaffinität, zur Methämoglobinbildung oder zur Polyzythämie führen.
Joachim Kunz, Andreas Kulozik
224. Neutrophile Granulozyten - Neutrophilien, Neutropenien und Neutrophilenfunktionstörungen
Zusammenfassung
Reife neutrophile Granulozyten sind mit einem Anteil von 60–70 % der Leukozyten die häufigsten kernhaltigen Blutzellen des Menschen. Täglich werden ca. 1,7 × 109 Neutrophile/kg KG gebildet und abgebaut. Eine Neutropenie kann bei einer Vielzahl primärer und sekundärer Krankheitsbilder auftreten. Symptome und Krankheitsschwere variieren dabei deutlich je nach Ursache. Die häufigste Form der Neutropenie im Kleinkindesalter, die Autoimmunneutropenie (AIN), verläuft meist selbstlimitierend ohne schwere Infektionen. Dagegen waren noch bis in die späten 1980er-Jahre die seltenen, schweren kongenitalen Neutropenien (SCN) nicht behandelbar und verliefen oft tödlich. Die Entdeckung hämatopoetischer Wachstumsfaktoren und deren pharmakologische Verfügbarkeit, insbesondere des Granulozytenkolonie-stimulierenden Faktors (G-CSF), veränderten die Prognose maßgeblich. Während für die angeborenen Neutropenien zuvor die einzige Therapieoption in einer Knochenmarktransplantation bestand, können diese Patienten heute mit einer G-CSF-Dauertherapie erfolgreich behandelt werden.
Cornelia Zeidler, Nicole Töpfner
225. Physiologie der Gerinnung
Zusammenfassung
An den Aufgaben der Hämostase, die Fließfähigkeit des Bluts optimal zu erhalten und gleichzeitig Blutverluste nach Verletzungen zu verhindern, sind im Wesentlichen 3 Systeme beteiligt: das Gefäßsystem selbst, die Blutplättchen und die plasmatische Gerinnung.
Frauke Bergmann, Ralf Knöfler
226. Hämorrhagische Diathesen
Zusammenfassung
Hierbei handelt es sich um angeborene oder erworbene Störungen der Blutstillung im Sinne einer verstärkten Blutungsneigung (hämorrhagische Diathese), bedingt durch Defekte und Veränderungen der Gefäßwand (Vasopathie), Verminderung (Thrombozytopenie) oder Dysfunktion (Thrombozytopathie) der Thrombozyten sowie durch Defekte und Verminderung bzw. Fehlen der Gerinnungsfaktoren (Koagulopathie).
Frauke Bergmann, Ralf Knöfler
227. Hereditäre Thrombophilie
Zusammenfassung
Die Thrombophilie ist definiert als Neigung zu Gefäßverschlüssen auf der Grundlage angeborener oder erworbener Defekte der Inhibitoren der Gerinnung, einzelner Gerinnungsfaktoren, der Fibrinolyse sowie von Funktion und Integrität des Endothels beeinflussender Faktoren (z. B. Verletzung). Auch über die Norm erhöhte prokoagulatorische Einzelfaktoren gehen mit einem erhöhten Thromboserisiko einher. Als dritter Aspekt ist die Stase, der verlangsamte Blutfluss, bei der Thrombusentstehung zu berücksichtigen – wie es bereits 1856 von R. Virchow beschrieben wurde.
Frauke Bergmann, Ralf Knöfler
228. Erworbene Koagulopathien
Zusammenfassung
Die erworbene Koagulopathie ist eine Störung der sekundären Hämostase durch Synthesedefizite, immunologische oder medikamentöse Faktoren. Seltener sind Störungen der primären Hämostase durch erworbene Veränderungen des Von-Willebrand-Faktors oder durch Thrombozytopathie bzw. -penie bedingt.
Frauke Bergmann, Ralf Knöfler
229. Krankheiten der Milz
Zusammenfassung
Neben der Sequestration von Blutzellen hat die Milz aufgrund ihrer immunologischen Funktionen eine deutlich größere Bedeutung, als lange Zeit bekannt war. Die Ursachen einer Milzvergrößerung sind vielfältig und therapeutisch steht die Behandlung der Grundkrankheit im Vordergrund. Außer im Falle einer akuten Milzruptur ist die Indikation zur Milzexstirpation kritisch zu stellen und es kann auch die Teilsplenektomie als Alternative erwogen werden. Bei Asplenie gilt es, prophylaktische Maßnahmen (Impfungen, antibiotische Prophylaxe, Notfallmaßnahmen) zu beachten, um einer potenziell lebensbedrohlichen Infektion, insbesondere durch bekapselte Bakterien (overwhelming postsplenectomy infection, OPSI), vorzubeugen.
Nicole Töpfner
230. Grundlagen der pädiatrischen Onkologie
Zusammenfassung
Krebs ist nach Unfällen die häufigste Todesursache von Kindern jenseits des 1. Lebensjahres. Gegenüber Krebskrankheiten im Erwachsenenalter bestehen erhebliche Unterschiede hinsichtlich Art, Häufigkeit, Behandlungskonzepten und Prognose. Bei Kindern treten vor allem akute Leukämien (akute lymphoblastische Leukämie, ALL; akute myeloische Leukämie, AML), Hirntumoren und Sarkome auf, während im Erwachsenenalter Karzinome und chronische Leukämien das Bild beherrschen. Die Epidemiologie der einzelnen Krankheiten in Deutschland ist heute gut bekannt, nicht zuletzt, weil diese von den pädiatrischen Onkologen seit 1980 an das Deutsche Kinderkrebsregister in Mainz gemeldet und dort inzwischen mehr als 95 % aller Erkrankungsfälle erfasst werden.
Thomas Klingebiel, Peter Bader, Simone Fulda
231. Leukämien
Zusammenfassung
Leukämien sind die häufigsten malignen Erkrankungen im Kindesalter. Sie sind durch die unkontrollierten, klonalen Proliferationen von Vorläuferzellen des hämatopoetischen Systems charakterisiert. Leukämien entstehen im Knochenmark und können sekundär extramedulläre Organe wie ZNS, Leber, Milz, Hoden, Ovarien u. a. infiltrieren. Das Spektrum der klinischen Initialsymptome kann außergewöhnlich breit sein. Auch bei Kindern, die bei Diagnosestellung praktisch asymptomatisch erscheinen und nur Blutbildveränderungen als Zufallsbefund aufweisen, kann sich eine schwere, vital bedrohliche Krankheitssymptomatik innerhalb von wenigen Stunden entwickeln.
Arndt Borkhardt, Peter Bader, Thomas Klingebiel
232. Lymphome
Zusammenfassung
Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) und Hodgkin-Lymphome (HL) kommen etwa gleich häufig im Kindes- und Jugendalter vor und machen ca. 14 % der malignen Tumoren dieser Altersgruppe aus. Die Prognose ist mit aktuellen risikoadaptierten Therapieschemata generell als sehr günstig anzusehen. NHL stellen eine heterogene Gruppe maligner Tumoren des lymphatischen Systems dar. Anhand der Einteilung gemäß der WHO-Klassifikation mit klinischen, morphologischen, immunologischen, zytogenetischen und molekulargenetischen Kriterien gelingt die Klassifizierung von >90 % der Fälle. Wie bei den akuten lymphoblastischen Leukämien dominieren die NHL der B-Zell-Reihe gegenüber denen der T-Zell-Reihe. Anders als bei Erwachsenen kommen bei Kindern und Jugendlichen fast ausschließlich hochmaligne, rasch proliferierende Lymphome vor, die generell sehr gut auf eine Chemotherapie ansprechen. Bei den HL liegen deutlich mehr Übereinstimmungen zwischen Kindern und Erwachsenen als bei NHL vor. Diese paucizellulären Tumoren zeigen ein langsameres Wachstum als NHL im Kindesalter. Die Behandlung besteht aus einer kombinierten Chemo- und Radiotherapie in Abhängigkeit vom Therapieansprechen. Bei ausgesprochen guten Heilungsraten rückt eine mögliche Reduktion therapieassoziierter Spätfolgen zunehmend in den Vordergrund. Mit der Einführung von Antikörperkonjugaten und Checkpoint-Inhibitoren ergeben sich neue vielversprechende Behandlungsoptionen.
Alexander Claviez
233. Histiozytosen
Zusammenfassung
Krankheiten, bei denen Monozyten, Gewebsmakrophagen (Histiozyten) und dendritische Zellen, sowie deren Knochenmarkvorläufer eine dominierende Rolle spielen, werden als Histiozytosen bezeichnet. Hauptfunktion der dendritischen Zellen ist die Antigenpräsentation, während bei den Makrophagen die Phagozytose im Vordergrund steht. Beide Zellarten haben eine hohe sekretorische Leistung, u.  a. von inflammatorischen Zytokinen. Häufigste Vertreter der Histiozytosen im Kindesalter sind die Langerhans-Zell-Histiozytose (engl. Langerhans Cell Histiocytosis; LCH), ausgehend von dendritischen Zellen, und die hämophagozytischen Lymphohistiozytosen, bei denen Makrophagen beteiligt sind. Die LCH ist durch aktivierende somatische Mutationen im MAPK-Signalübertragungswegs sowie Zeichen systemischer Inflammation gekennzeichnet, weswegen diese auch als inflammatorische Neoplasie bezeichnet wird.
Milen Minkov, Gritta Janka-Schaub
234. Transplantation hämatopoetischer Stammzellen
Zusammenfassung
Die allogene Stammzelltransplantation ist zu einem sehr gut etablierten Behandlungsverfahren in der Therapie verschiedener maligner und nichtmaligner Erkrankungen geworden. Prinzipielles Ziel dieses Therapieverfahrens ist es, fehlende, dysfunktionelle oder maligne entartete Zellen des lymphohämatopoetischen Systems des Empfängers durch das Hämatopoese-Immunsystem eines gesunden Spenders zu ersetzen.
Peter Bader
235. Solide Tumoren
Zusammenfassung
Solide Tumoren im Kindesalter sind selten und vielfältig. Sie stellen sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie erhebliche Herausforderungen an die behandelnden Disziplinen. Nur eine multidisziplinäre Herangehensweise und eine Diskussion eines jeden Patienten in einer entsprechend besetzten Tumorkonferenz werden den Betroffenen gerecht.
Thomas Klingebiel, Thorsten Langer, Arndt Borkhardt
236. Tumoren des Gehirns und des Spinalkanals
Zusammenfassung
Unter allen onkologischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter stellen die primären ZNS-Tumoren mit ca. 25 % die zweithäufigste Gruppe dar. Die primäre Resektion ist meist von großer Bedeutung, da die Patienten häufig durch die lokale Raumforderung oder einen Verschlusshydrozephalus vital bedroht sind. Die Resektion sollte immer nur so weit wie verantwortbar und unter Vermeidung weiterer neurologischer Ausfälle erfolgen. Von jedem ZNS-Tumor sollte, wenn klinisch vertretbar, ausreichend Formalin-fixiertes, Paraffin-gebettetes und frisch gefrorenes Material asserviert werden. Als Vergleichsgewebe für molekulare Tumoranalysen dient EDTA-Blut, wobei eine genomweite Methylierungsarrayanalyse und/oder eine Neurogenpanelanalyse als Standard gelten. Immer sollte zusätzlich Liquor asserviert werden. In Abhängigkeit von der Entität, dem Vorliegen eines Prädispositionssyndroms und dem Resektionsausmaß kommen eine systemische, ggf. auch intraventrikuläre Chemotherapie und eine lokale und/oder kraniospinale Radiotherapie zum Einsatz. Zielgerichtete Therapien sind heute noch die Ausnahme, werden bei besserem Verständnis der molekularbiologischen Veränderungen in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Die Aufsplitterung der Entitäten in immer kleinere, prognostisch unterschiedliche Subgruppen erfordert neben standardisierter Diagnostik, eine stratifizierte, risikoadaptierte Therapie, die bei kleinen Fallzahlen eine zunehmende nationale und internationale Vernetzung der translationalen und klinischen Forschungsgruppen und Versorgern bedingt.
Gudrun Fleischhack, Kristian Pajtler, Stephan Tippelt

Krankheiten der Niere, der ableitenden Harnwege und des äußeren Genitales

Frontmatter
237. Physiologische Grundlagen der Nierenfunktion
Zusammenfassung
Die Funktion der Nieren lässt sich in folgende wesentliche Aufgaben gliedern: Die Ausscheidung von Wasser und hydrophilen Substanzen, die Konstanterhaltung des Wasser-, Mineral- und Säure-Basen-Haushalts, die endokrine Regulation des Blutdrucks, der Kalzium-Phosphat-Homöostase und der Erythropoese sowie die Beteiligung am Intermediärstoffwechsel (z. B. durch Glukoneogenese aus Aminosäuren und Laktat).
Siegfried Waldegger
238. Nephrologische Diagnostik
Zusammenfassung
Die nephrologische Diagnostik im Kindes- und Jugendalter beginnt in aller Regel mit der Durchführung von Blut- und Urinuntersuchungen und wird dabei durch die Sonografie als nichtinvasivem bildgebendem Verfahren komplementiert. In Abhängigkeit vom Krankheitsbild kommen invasivere Methoden, wie z. B. die Miktionszystourethrografie zum Nachweis eines vesikoureterorenalen Refluxes oder die MAG3-Szintigrafie, die Rückschlüsse auf die Nierenperfusion gibt, zur Anwendung. In einigen Fällen sind sogar erst durch eine perkutane, sonografiegesteuerte Nierenbiopsie die korrekte Diagnose der Erkrankung und damit die adäquate Therapiesteuerung möglich.
Anette Melk
239. Fehlbildungen der Nieren (inklusive zystischer Nephropathien) und ableitenden Harnwege
Zusammenfassung
Angeborene Fehlbildungen der Niere und ableitenden Harnwege („congenital anomalies of the kidney and urinary tract“, CAKUT) bilden die Hauptursache für chronisches Nierenversagen im Kindesalter. Sie werden bei etwa 3–6 von 1000 Geburten beobachtet und gehören somit beim Menschen zu den häufigsten angeborenen Fehlbildungen. Bezogen auf die kindliche Mortalität sind sie für etwa 6 % aller Todesfälle verantwortlich. Neben den isolierten CAKUT-Fällen wurden Kombinationen von renalen und urogenitalen Malformationen mit Anomalien anderer Organsysteme bei mehr als 500 bekannten syndromalen Erkrankungen beschrieben. Zu den für CAKUT charakteristischen Krankheitsbildern zählen u. a. renale Malformationen wie Nierenagenesie, Nierenhypo- oder -dysplasie sowie Fehlbildungen der ableitenden Harnwege und der vesikoureterale Reflux (VUR). Im weiteren Sinne lassen sich auch Anomalien der Blase und Urethra dazu zählen. Von den zystisch-dysplastischen Nierenerkrankungen müssen die autosomal-dominante und autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung ätiologisch abgegrenzt werden. Sie werden nachfolgend gesondert behandelt.
Stefanie Weber
240. Harnwegsinfektionen
Zusammenfassung
Harnwegsinfektionen zählen zu den häufigsten bakteriellen Infektionen im Säuglings- und Kleinkindesalter. Sie gehen mit dem potenziellen Risiko für persistierende Nierenparenchymschäden einher. Nicht zuletzt deswegen ist die rasche Diagnose einer Pyelonephritis durch die Untersuchung einer geeigneten Urinprobe und die zügige Einleitung einer kalkulierten antibakteriellen Therapie notwendig. Durch weiterführende bildgebende und funktionelle Diagnostik lassen sich Rezidiv- und Schädigungsrisiko bei konnatalen Harntraktanomalien und Blasenfunktionsstörungen einschätzen und einer gezielten Therapie oder Prophylaxe zuführen.
Rolf Beetz
241. Enuresis und funktionelle Harninkontinenz
Zusammenfassung
Unter Harninkontinenz wird jeder unwillkürliche Urinverlust verstanden. Sie ist im Säuglings- und Kleinkindesalter noch „physiologisch“. Mit zunehmendem Alter erreichen Kinder in der Regel mehr oder weniger früh eine vollständige Blasenkontrolle. Die Festlegung einer zeitlichen Grenze, nach der es sich bei einer kindlichen Inkontinenz um ein nicht mehr physiologisches Phänomen handelt, ist schwierig und nicht zuletzt von soziokulturellen Faktoren abhängig.
Rolf Beetz
242. Nephritisches und nephrotisches Syndrom
Zusammenfassung
Nierenerkrankungen, die sich am Nierenkörperchen abspielen, werden als Glomerulopathien bezeichnet. Es handelt sich um einen Oberbegriff für eine große Gruppe von Nierenerkrankungen. Häufig trifft man bei der Bezeichnung einzelner Erkrankungen auf den Begriff Glomerulonephritis, der synonym verwendet wird, obwohl nicht immer eine Entzündung zugrunde liegt. Das Risiko, im Verlauf einer Glomerulopathie eine akute oder chronische Niereninsuffizienz zu erleiden, ist groß, aber bei den verschiedenen Erkrankungen der Gruppe unterschiedlich. Die klinische Manifestation unterteilt sich in die nephritische und die nephrotische Verlaufsform, nicht selten mit Überschneidungen.
Lutz T. Weber
243. Hereditäre Glomerulopathien
Zusammenfassung
Unter dem Begriff Glomerulopathie subsumieren sich Erkrankungen der Niere, deren Ursache in einer Störung der Funktion der Nierenkörperchen liegt, die in ihrer Gesamtheit das Filtrationsorgan der Niere darstellen. Leitsymptome sind das Auftreten einer Proteinurie (nephrotisches Syndrom) oder einer Hämaturie und/oder Leukozyturie (nephritisches Syndrom). Die klassische Einteilung in nephrotisch und nephritisch wird nicht von allen Autoren geteilt, ist im klinischen Alltag aber häufig hilfreich. Das nephrotische Syndrom kann weiter unterteilt werden in primäre und sekundäre Formen, wobei die sekundären Formen das Auftreten einer Nephrose im Rahmen anderer Grunderkrankungen umfassen (z. B. immunologisch, metabolisch, infektiologisch, allergologischer oder toxischer Natur). Das primäre nephrotische Syndrom unterteilt sich darüber hinaus in steroidsensible und steroidresistente Formen, je nach Ansprechen auf eine standardisierte Prednisontherapie. Neue Erkenntnisse zeigen, dass viele der ursprünglich als primäre oder idiopathische Glomerulopathien bezeichneten Erkrankungen genetisch determiniert sind. Hierzu zählen das steroidresistente nephrotische Syndrom (SRNS) und das Alport-Syndrom.
Stefanie Weber
244. Glomerulonephritiden
Zusammenfassung
Eine Glomerulonephritis im Kindesalter präsentiert sich in der Regel mit den Symptomen Hämaturie, Proteinurie, peripheren Ödemen und häufig einer arteriellen Hypertonie. Verschiedene Faktoren können eine Glomerulonephritis auslösen, gemeinsam ist allen Formen eine glomeruläre Schädigung durch Entzündung. Die Entzündung beruht in unterschiedlichem Ausmaß auf einer Komplementaktivierung, der Infiltration von Entzündungszellen und der Freisetzung von Zytokinen und Wachstumsfaktoren. In manchen Fällen kann eine Glomerulonephritis zur irreversiblen Schädigung des Nierengewebes mit progredienter Nierenfunktionsstörung führen. Man unterscheidet primäre Glomerulonephritiden, die sich isoliert in der Niere abspielen, sekundäre Glomerulonephritiden als Folge einer Infektionskrankheit und Glomerulonephritiden bei Systemerkrankungen wie z. B. dem Lupus erythematodes.
Burkhard Tönshoff
245. Tubulopathien
Zusammenfassung
Tubulopathien sind Störungen einzelner oder mehrerer tubulärer Funktionen bei primär normaler glomerulärer Filtration. Meist handelt es sich um hereditäre Defekte, nur selten kommt es zu einer erworbenen Störung der Tubulusfunktion, z. B. durch die Zufuhr nephrotoxischer Substanzen. Die hereditären Formen werden weiter unterteilt in primäre und sekundäre Tubulopathien. Während bei primären Tubulopathien – bedingt durch einen spezifischen genetischen Defekt – meist nur ein isolierter Transportprozess gestört ist, treten die sekundären komplexen Tubulopathien oft im Rahmen angeborener Stoffwechselerkrankungen auf. Sie umfassen fast immer mehrere tubuläre Transportmechanismen und können auch mit Veränderungen am Glomerulus und anderen Organsystemen einhergehen.
Jens König, Martin Konrad
246. Urolithiasis und Nephrokalzinose
Zusammenfassung
Im letzten Jahrzehnt konnte in den Industrieländern ein deutlicher Anstieg von Inzidenz (auf 1,5 %) und Prävalenz (auf 5,2 %) der Urolithiasis und Nephrokalzinose beim Erwachsenen beobachtet werden, am ehesten begründet durch das sog. metabolische Syndrom. Beim pädiatrischen Patienten sind immer noch genetische und anatomische Erkrankungen die Hauptursachen (~75 %) für Nierensteinerkrankungen.
Bernd Hoppe
247. Vaskulitiden mit renaler Beteiligung
Zusammenfassung
Systemische Vaskulitiden sind entzündliche Erkrankungen der Blutgefäße, die den gesamten Körper befallen können. Unterteilt werden die systemischen Vaskulitiden nach dem Durchmesser der überwiegend von der Entzündung betroffenen Blutgefäße in Groß-, Mittel- und Kleingefäßvaskulitiden. Zu den im Kindes- und Jugendalter relevanten Vaskulitiden mit renaler Beteiligung zählen die Lupusnephritis, die Purpura-Schönlein-Henoch-Nephritis, die Granulomatose mit Polyangiitis, die mikroskopische Polyangiitis und die Panarteriitis nododsa. Die Erkrankungen bedürfen in der Regel einer intensiven immunsuppressiven Therapie um eine progrediente Niereninsuffizienz zu verhindern.
Dieter Haffner
248. Hämolytisch-urämisches Syndrom
Zusammenfassung
Das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) ist als Trias von hämolytischer Anämie, Thrombozytopenie und akuter Niereninsuffizienz definiert. Das HUS ist die häufigste Ursache des kindlichen akuten Nierenversagens jenseits der Neugeborenenperiode. Die jährliche Inzidenz beträgt ca. 3 Fälle pro 100.000 Kinder unter 5 Jahren. Man unterscheidet eine typische und eine atypische Form der Erkrankung. Das klassische HUS macht 90 % der HUS-Fälle aus. Es tritt überwiegend bei Kindern unter 5 Jahren im Anschluss an eine Darminfektion (Diarrhö) auf (D+-Form). Die atypische HUS-Variante kann in jedem Lebensalter auftreten und beginnt meist schleichend ohne gastrointestinale Prodromalerkrankung (D-Form). Dem atypischen HUS liegen zumeist genetische oder erworbene Anomalien des alternativen Komplementwegs zugrunde.
Franz Schaefer
249. Akutes Nierenversagen
Zusammenfassung
Unter akutem Nierenversagen (ANV) versteht man eine akute und potenziell reversible Funktionseinschränkung mit Anstieg der Nierenfunktionsparameter (z. B. Kreatinin, Harnstoff, Cystatin C). Das ANV geht häufig mit einem Rückgang der Urinausscheidung einher (Oligurie <300 ml/m2 KOF/Tag, Anurie <100 ml/m2 KOF/Tag), kann jedoch auch mit einem abnorm erhöhten Urinvolumen (Polyurie: Diurese über 1200 ml/m2 KOF/Tag) einhergehen.
Christoph Aufricht
250. Chronische Niereninsuffizienz
Zusammenfassung
Die chronische Niereninsuffizienz (CNI) wird in 5 Schweregrade unterteilt (Klassifikation der KDOQI, Kidney Disease Outcomes Quality Initiative). Im CNI-Stadium 1 besteht eine chronische Nierenschädigung bei noch erhaltener oder sogar gesteigerter glomerulärer Filtrationsrate (GFR >90 ml/min/1,73 m2 KOF). Im Stadium 2 liegt eine leichte (GFR 60–90), im Stadium 3 eine mäßige (GFR 30–60), im Stadium 4 eine fortgeschrittene (GFR 15–30) und im Stadium 5 eine subtotale Einschränkung oder vollständiger Verlust der Nierenfunktion vor (GFR 0–15 ml/min/1,73 m2 KOF). Durch Normierung auf die Körperoberfläche ist diese für erwachsene Patienten konzipierte Klassifikation auch auf Kinder anwendbar. Bei Säuglingen ist allerdings zu berücksichtigen, dass die untere Grenze des GFR-Normbereichs erst gegen Ende des 1. Lebensjahres erreicht wird. Reife Neugeborene weisen eine GFR von etwa 30 ml/min/1,73 m2 KOF auf.
Franz Schaefer
251. Dialyse
Zusammenfassung
Bei schwerer akuter und chronischer Vergiftung durch körpereigene Metabolite oder exogene Substanzen muss bei Kindern eine Blutreinigung (Dialyse) durchgeführt werden. Die meisten der Verfahren können in der Zwischenzeit weitgehend unabhängig vom Alter des Patienten realisiert werden. Bei der Auswahl des Blutreinigungsverfahrens muss auch die zugrunde liegende Erkrankung bzw. die Art der Vergiftung berücksichtigt werden. Wasserlösliche Gifte benötigen grundsätzlich andere Dialyseformen als eiweißgebundene Substanzen.
Claus Peter Schmitt
252. Nierentransplantation
Zusammenfassung
Prinzipiell ist bei jeder Form der terminalen Niereninsuffizienz im Kindesalter die Nierentransplantation die Behandlungsmethode der Wahl. In Deutschland erfolgt eine Nierentransplantation bei ca. 120 Kindern und Jugendlichen pro Jahr, entsprechend ca. 5 % der Gesamtzahl an Nierentransplantationen. Bei etwa 16 % der Patienten erfolgt eine präemptive Transplantation, d.  h. ohne vorherige chronische Dialysetherapie und bei etwa 33 % eine Nieren-Lebendspende. Die präemptive Nierentransplantation nach Lebendspende führt zu den besten Behandlungsergebnissen und ist daher anzustreben.
Burkhard Tönshoff
253. Renale Hypertonie
Zusammenfassung
Die renale Hypertonie ist die häufigste Ursache einer sekundären Hypertonie im Kindesalter und liegt vor, wenn eine renoparenchymatöse oder renovaskuläre Erkrankung ursächlich für die Blutdruckerhöhung ist. Je jünger ein hypertensives Kind, desto wahrscheinlicher ist eine sekundäre und somit renale Hypertonie. Daher wird bei der Hypertonieabklärung im Kindesalter eine umfassende Diagnostik zum Ausschluss einer renalen Erkrankung empfohlen. Bei Kindern mit bekannten Nierenerkrankungen ist das Risiko für eine arterielle Hypertonie stark erhöht und regelmäßige Blutdruckkontrollen sind indiziert. Ein renoparenchymatöser Hypertonus benötigt in der Regel eine medikamentöse Dauertherapie. Hier sind Antagonisten des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems Medikamente der ersten Wahl, da sie nicht nur eine antihypertensive, sondern auch antiproteinurische und nephroprotektive Wirkung haben. Durch eine konsequente Blutdruckeinstellung sollen kardiovaskuläre Endorganschäden und eine Progredienz der Nierenerkrankung vermieden werden.
Elke Wühl
254. Fehlbildungen und Krankheiten des äußeren Genitales
Zusammenfassung
Fehlbildungen und Krankheiten des äußeren Genitales umfassen angeborene und erworbene Störungen. Zu den erworbenen Krankheiten zählen Phimose und Paraphimose, sowie die Hodentorsion. Im Gegensatz dazu sind der Hodenhochstand und die Hypospadie als Fehlöffnung der Urethra angeboren. Hier ist in definierten Fällen eine diagnostische Abklärung vonnöten, bevor eine Therapie eingeleitet wird.
Olaf Hiort

Krankheiten des Nervensystems

Frontmatter
255. Neurologische Untersuchung
Zusammenfassung
Die neurologische Untersuchung von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen ist eine genuin ärztliche Aufgabe. Mit ihr gestaltet der Kinder- und Jugendarzt den klinischen Zugang zu seinen Patienten. Mit ihr erfasst er die jeweilige Entwicklung, das „Schwarz und Weiss“ von Gesundheit und Krankheit ebenso wie das vielfältige Grau dazwischen. Mit ihr konstituiert der Kinder- und Jugendarzt die Arzt-Patienten-Familien-Beziehung.
Florian Heinen, Steffen Berweck
256. Entwicklungsstörungen des Nervensystems
Zusammenfassung
Kongenitale Anlage- und Entwicklungsstörungen sind mit einer erhöhten prä- und postnatalen Mortalität und Morbidität assoziiert. Sie treten isoliert oder im Rahmen genetischer Syndrome auf und werden in Malformationen, Deformationen, Disruptionen und Dysplasien unterteilt. Anomalien des Zentralnervensystems stellen mit einer Prävalenz von 1 % die größte Gruppe der Anlage- und Entwicklungsstörungen dar. Demgegenüber beträgt die Prävalenz von Herzfehlern 0,8 %, die Prävalenz von Nieren- und Extremitätenanomalien 0,4 % bzw. 0,1 %. Alle weiteren Anlage- und Entwicklungsstörungen weisen eine kumulative Prävalenz von 0,6 % auf. Die Entwicklung und Prognose betroffener Patienten hängt maßgeblich vom Ausmaß und von der Lokalisation der Störung sowie vom Vorhandensein weiterer Symptome ab.
Angela Kaindl, Eugen Boltshauser, Georg C. Schwabe, Heidi Bächli
257. Umschriebene Entwicklungsstörungen motorischer Funktionen
Zusammenfassung
Die umschriebenen Entwicklungsstörungen motorischer Funktionen (UEMF) sind mit ca. 5–6 % die häufigsten motorischen Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter. Es bestehen häufige Komorbiditäten, v. a. mit Störungen der Aktivität und Aufmerksamkeit, der Sprache sowie Teilleistungsstörungen (Lese-, Rechtschreibstörungen). Die komplexen neurobiologischen Mechanismen werden zunehmend besser verstanden. Die Diagnose gründet sich auf 4 Kriterien: Beginn der Störung im Kindesalter, Ausschluss anderer Ursachen für die motorischen Störungen, Alltagsrelevanz und objektive Evaluation mittels Testdiagnostik. Als Therapiemethoden kommen v. a. aufgaben- und alltagsorientierte Verfahren infrage. Körperfunktionsorientierte Verfahren, v. a. motorisches Training wie z. B. Fitnesstraining können sinnvoll sein, insbesondere zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit und in psychosozialer Hinsicht. Gerade im Kontext mit anderen Entwicklungsstörungen spielt die UEMF eine wichtige Rolle bei der psychosozialen Prognose.
Rainer Blank
258. Zerebralparesen
Zusammenfassung
Zerebralparesen (CP) sind statische Enzephalopathien mit klarer neurologischer Symptomatik (spastisch, ataktisch, dyskinetisch), die vor dem Ende der Neonatalperiode entstehen. Die CP ist die häufigste Behinderung zentralmotorischer Ursache bei Kindern, insbesondere bei Frühgeborenen, mit hier 10- bis 100-fach höherem Vorkommen. Ihre Prävalenz nimmt seit Jahren jedoch gerade bei dieser Gruppe ab. Die CP ist ein vorwiegend läsionelles Krankheitsbild, monogene Ursachen sind selten. Die Topografie und Ausdehnung der Schädigung bestimmt die Schwere der motorischen Behinderung und der zusätzlichen Störungen im Bereich z. B. der Kognition, des Sehens, das Auftreten von Epilepsie. Daher kommt der Bildgebung eine zentrale diagnostische und differenzialdiagnostische Rolle zu. Therapeutische Unterstützung ist häufig mehrdimensional und dauerhaft notwendig.
Ingeborg Krägeloh-Mann
259. Neurokutane Syndrome
Zusammenfassung
Die neurokutanen Syndrome sind eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, die sich durch das gemeinsame Auftreten zerebraler und kutaner Symptome auszeichnen. Beteiligt sein können alle 3 Keimblätter, bevorzugt aber das Ekto- (Haut und Hautanhangsgebilde, ZNS) und Mesoderm (Bindegewebe). Die kutanen Merkmale sind häufig bereits bei der Geburt vorhanden und ermöglichen so eine frühzeitige Diagnose.
Gerhard Kurlemann
260. Rett-Syndrom
Zusammenfassung
Das Rett-Syndrom wurde 1966 erstmalig vom Wiener Kinderneurologen Andreas Rett beschrieben. Er fand eine Entwicklungsstörung bei Mädchen mit wieder zu erkennenden Handstereotypien. Zusätzlich beschrieb er eine Hyperammonämie bei diesen Kindern. Die Beobachtungen wurden in der Wiener medizinischen Wochenschrift publiziert, die Hyperammonämie beruhte aber auf einem Messfehler. In der Folge geriet das Krankheitsbild in Vergessenheit und wurde erst 1983 von B. Hagberg „wiederentdeckt“ und bei 30 Mädchen beschrieben. 1999 wurde das ursächliche Gen entdeckt und in der Folge der Pathomechanismus immer weiter aufgeklärt. Im Jahr 2010 wurden die diagnostischen Kriterien überarbeitet und veröffentlicht. Eine kausale Therapie existiert zur Zeit nicht, eine Gentherapie ist aber in Vorbereitung. Eine Zulassung für diese Behandlung ist aber im Augenblick noch nicht erteilt. Weitere Ansätze sind eine Proteinersatztherapie, die aber von der klinischen Anwendung noch entfernt ist.
Bernd Wilken, Folker Hanefeld
261. Neurodegenerative Erkrankungen der grauen Hirnsubstanz
Zusammenfassung
Genetische degenerative Krankheiten des Gehirns können pathogenetisch und klinisch eingeteilt werden in solche vorwiegend der grauen oder der weißen Gehirnsubstanz, wobei diese Trennung nicht absolut ist. Degeneration der Neuronen in der grauen Substanz führt initial hauptsächlich zu Demenz und Epilepsie, manchmal wegen Befall der Netzhaut auch zu Visusverlust. Viele dieser Krankheiten sind lysosomale Speicherkrankheiten. Ihr wesentliches klinisches Kennzeichen ist die Progredienz der Symptome, die sehr langsam sein kann. Besonders ist auf das Erkrankungsalter zu achten, da die Krankheiten als infantile, spätinfantile oder juvenile Formen auftreten können.
Alfried Kohlschütter
262. Neurodegenerative Erkrankungen der weißen Hirnsubstanz
Zusammenfassung
Leukoenzephalopathien (LE) bezeichnen eine ätiologisch und klinisch heterogene Gruppe seltener Erkrankungen, bei denen es zu Störungen im Aufbau oder im Erhalt der weißen Substanz des zentralen Nervensystems (ZNS) kommt. LE liegen genetische oder erworbene Ursachen zugrunde, erworbene Erkrankungen werden hier nicht näher behandelt. Genetische LE manifestieren sich vorwiegend im Kindes- und Jugendalter, können aber in jedem Lebensalter auftreten. Der Krankheitsverlauf kann statisch oder progredient sein. Leukodystrophien (LD) sind progredient verlaufende genetische LE. Durch bildgebende Verfahren, v. a. die Magnetresonanztomographie (MRT) ist eine frühzeitige und zuverlässige Erkennung von Veränderungen der weißen Substanz des ZNS möglich. Die Fortschritte der Biotechnologie in den letzten Jahren haben zu einem deutlichen Anstieg der Anzahl definierter genetischer LE geführt. Dieses Kapitel liefert einen Überblick zu relevanten genetischen LE.
Marco Henneke, Jutta Gärtner
263. Bewegungsstörungen und Neurotransmittererkrankungen
Zusammenfassung
In diesem Kapitel werden Bewegungsstörungen vom Typ Dystonie, Parkinsonismus und Chorea bezüglich ihrer pädiatrischen Differenzialdiagnosen dargestellt. Myoklonien, Tremor, Tics und zerebelläre Symptome werden nur als Teilaspekte von beschriebenen Erkrankungen behandelt. Spastische und neuromuskulär bedingte Bewegungsstörungen sind nicht Gegenstand des Kapitels. Die dargestellten Neurotransmitterdefekte betreffen genetisch bedingte Störungen von Synthese, Abbau und Transport der biogenen Amine Dopamin und Serotonin (und damit auch der Katecholamine), nicht jedoch von GABA und anderen Transmittersubstanzen. Die Auswahl der Erkrankungen, die Ausführlichkeit der Darstellung und die Anzahl der Literaturzitate sind nicht nach akademischen Gesichtspunkten, sondern nach pragmatischen Gesichtspunkten für die pädiatrische klinische Praxis zusammengestellt. Seltene und insbesondere relativ neu gefundene behandelbare Erkrankungen werden z. B. überproportional detailliert beschrieben.
Birgit Assmann, Christine Klein
264. Vitaminresponsive Enzephalopathien
Zusammenfassung
Vitamine sind als Kofaktoren zahlreicher Enzyme wichtige Bestandteile unserer Nahrung. Ein alimentärer Vitaminmangel ist in westlichen Ländern nur noch selten im Rahmen schwerer Grunderkrankungen oder Fehlernährung anzutreffen. Hingegen wurden in den letzten Jahren zahlreiche genetische Defekte im endogenen Vitaminstoffwechsel entdeckt. Diese können die Resorption, den Transport, die Aktivierung oder Bioverfügbarkeit einzelner Vitamine betreffen. Dabei können organspezifische Prozesse zu einer isolierten ZNS-Manifestation führen. Vitaminabhängige Enzephalopathien können sich mit therapieresistenter Epilepsie, Bewegungsstörungen oder als Bewusstseinsstörung manifestieren. Für einen Teil der Erkrankungen sind spezifische Biomarker verfügbar. Nur bei raschem Therapieversuch können irreversible Schäden vermieden werden.
Barbara Plecko
265. Spinozerebelläre Ataxien und hereditäre spastische Paraplegien
Zusammenfassung
Zerebelläre Ataxien im Kindesalter haben eine breite Differenzialdiagnose. Erster Schritt in der Diagnostik ist die MRT-Untersuchung des Gehirns. Bei einem Normalbefund oder einer zerebellären Atrophie, die bei vielen Erkrankungen gefunden wird, ist die nächste diagnostische Stufe die genetische Diagnostik, am besten als Untersuchung eines Genpanels. Die häufigste Heredoataxie ist die Friedreich Ataxie. Die kraniale MRT ist hier normal. Da beinahe alle Patienten ein Triplet-Repeat auf beiden Allelen von FXN tragen, wird diese Erkrankung nicht immer mit Next-generation-Sequenzierungstechniken erfasst. Auch bei hereditären spastischen Paraplegien ist die kraniale MRT meist nicht hilfreich für die Diagnose. Eine breite genetische Diagnostik sollte am Beginn der Abklärung stehen.
Nicole I. Wolf
266. Infantile neuroaxonale Dystrophie Seitelberger und Cockayne-Syndrom
Zusammenfassung
Die infantile neuroaxonale Dystrophie (INAD) und das Cockayne-Syndrom (CS) sind zwei seltene autosomal-rezessiv vererbte neurodegenerative Erkrankungen, die bei typischem Verlauf in den ersten beiden Lebensjahren beginnen und einen schweren, im 1. bis 2. Jahrzehnt zum Tode führenden Verlauf zeigen. Ätiologisch und pathophysiologisch haben sie nichts gemeinsam. Mutationen im PLA2G6-Gen bei INAD führen zu mitochondrialen Funktionsstörungen und Eisenakkumulation im Gehirn, während bei CS Mutationen der Gene ERCC6 oder ERCC8 zu gestörten DNA-Reparaturmechanismen und vorzeitigen Alterungsprozessen beitragen. Das Kapitel beschreibt die Wege zur Diagnose, eine spezifische Therapie ist nicht verfügbar.
Rudolf Korinthenberg
267. Vaskuläre Krankheiten des Gehirns
Zusammenfassung
Arteriovenöse Malformationen oder AV-Angiome des Gehirns sind kongenitale Fehlbildungen des arteriolär-kapillären Gefäßbettes. Sie entstehen zwischen der 4. und 8. Gestationswoche aus direkten Verbindungen zwischen arteriellen und venösen Schenkeln eines primitiven vaskulären Plexus. Nach neuropathologischer Einteilung werden folgende zerebrale Gefäßmalformationen unterschieden: arteriovenöse Malformationen (V.-Galeni-Malformation und V.-Galeni-Dilatation als Sonderformen), kavernöse Angiome oder Kavernome, sog. venöse Angiome und kapilläre Teleangiektasien. Aneurysmen sind ebenfalls zu den Entwicklungsstörungen zerebraler Gefäße zu rechnen.
Martin Schöning
268. Kopfschmerzen
Zusammenfassung
Kopfschmerzen sind ein häufiger Vorstellungsgrund beim Pädiater. Dort gilt es, primäre Kopfschmerzen wie Migräne oder Kopfschmerz vom Spannungstyp von sekundären Kopfschmerzen, d. h. solchen mit einer zugrunde liegenden Erkrankung, zu differenzieren, im Falle primärer Kopfschmerzen diese näher einzuordnen und gegebenenfalls Risikofaktoren zu ermitteln. Finden sich in der Primärdiagnostik – genaue Anamnese in Kenntnis des typischen Bildes primärer Kopfschmerzen, gründliche körperliche Untersuchung, ophthalmologische Vorstellung – Auffälligkeiten, sind weitere Untersuchungen angezeigt. Bedürfen Kopfschmerzen vom Spannungstyp meist keiner Akut-Analgesie, ist bei Migräneattacken die frühzeitige Therapie mit einem ausreichend hoch dosierten Analgetikum (1. Wahl Ibuprofen) und/oder einem Triptan wichtig. In der Prophylaxe stehen verhaltensmedizinische Maßnahmen (Entspannungstechniken, Tagesstrukturierung, Ausgleichssport etc.) im Vordergrund. Eine medikamentöse Migräneprophylaxe ist nur selten indiziert.
Friedrich Ebinger
269. Bakterielle Infektionen des zentralen Nervensystems
Zusammenfassung
In einer Umfrage unter Studenten nach wichtigen Krankheitsbildern wurde die bakterielle Meningitis auf Platz 1 gewählt: Die rechtzeitige Diagnose und adäquate Therapie verhindert deletäre Verläufe und vermindert Folgeschäden. Das Kapitel „Bakterielle Infektionen des zentralen Nervensystems bei Kindern und Jugendlichen“ stellt die notwendigen Voraussetzungen zur Verfügung. Definition, Epidemiologie, Pathogenese, Symptomatik, Diagnostik und Therapie werden sowohl für Studierende, für Assistenzärzte als auch für Fachärzte nach aktuellem Wissensstand ausführlich beschrieben.
David Nadal, Horst Schroten, Franz J. Schulte
270. Virusinfektionen und antikörpervermittelte Krankheiten des zentralen Nervensystems
Zusammenfassung
Unter Enzephalitis versteht man eine Entzündung des Hirnparenchyms und unter Meningitis eine Entzündung der Hirnhäute. Erstere kann direkt erregerbedingt oder infektionsassoziiert sein oder eine nicht erregerbedingte Ätiologie haben. Dieser Abschnitt behandelt die viral bedingten Enzephalitiden und die wichtigsten nichtinfektiösen Ursachen sowie die viralen Meningitiden.
David Nadal, Matthias Kieslich, Martin Häusler, Andreas van Baalen
271. Multiple Sklerose und andere entzündliche demyelinisierende Erkrankungen des zentralen Nervensystems
Zusammenfassung
Die entzündlich-demyelinisierenden Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) sind eine Gruppe von Erkrankungen, bei der autoimmunologische Prozesse zu einer vorübergehenden oder dauerhaften Schädigung des Myelins im Gehirn und/oder Rückenmark führen. Hierzu zählen die akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM), die multiple Sklerose (MS), die Optikusneuritis, die Myelitis transversa und die Neuromyelitis optica (NMO). Während die MS eine multiphasische bzw. progrediente lebenslange Erkrankung ist, können die übrigen Erkrankungen dieser Gruppe auch monophasisch auftreten. Im Gegensatz zu den Leukenzephalopathien, die eine wichtige Differenzialdiagnose darstellen und in der Regel klinisch progredient verlaufen, sind entzündliche ZNS-Erkrankungen durch Krankheitsschübe mit häufig kompletter Restitution der klinischen Beschwerden gekennzeichnet.
Jutta Gärtner, Peter Huppke
272. Verletzungen des zentralen Nervensystems
Zusammenfassung
Abhängig vom Schädigungsmechanismus kann das Schädel-Hirn-Trauma (SHT) in fokale und diffuse, geschlossene und offene sowie primäre und sekundäre Hirnschädigungen unterteilt werden. Diese Unterscheidungen gehen mit verschiedenen pathophysiologischen Vorgängen, klinischen Erscheinungsbildern, Verläufen, Behandlungsnotwendigkeiten und Prognosen einher. Die klinische Differenzierung des Schweregrades in leichte, mittelschwere und schwere SHT anhand der Glasgow Coma Scale ist für das klinische Management des verletzten Patienten relevanter als die nur rückblickend mögliche Unterscheidung in Commotio mit kurz dauernder neurologischer Funktionsstörung ohne Herdsymptomatik, Amnesie, Kopfschmerzen, Erbrechen und Contusio mit länger dauernder Depression der zerebralen Funktionen mit oder ohne Herdsymptomatik.
Steffen Berweck, Florian Heinen
273. Epilepsien
Zusammenfassung
Das wiederkehrende Auftreten von unprovozierten epileptischen Anfällen ist die Definition einer Epilepsie. Symptomkonstellationen, die ein Anfallsrisiko von über 60 % bedingen, erlauben die Diagnosestellung bereits nach einem Anfall. Die Epilepsie gilt als überwunden bei Patienten, die an einem altersgebundenen Epilepsiesyndrom leiden und das Ende des Manifestationsalters erreicht haben. Dies gilt auch für Patienten, die seit mindestens 10 Jahren anfallsfrei sind und seit mindestens 5 Jahren keine Antiepileptika mehr einnehmen. Im Mittel erkranken in den entwickelten Ländern ca. 50 von 100.000 Kindern jedes Jahr an einer Epilepsie. Im 1. Lebensjahr ist dieser Anteil fast 3-mal so hoch und fällt dann bis zum 5.–10. Lebensjahr kontinuierlich ab. Insgesamt machen Kinder einen Anteil von ca. 25 % aller Neuerkrankungen aus. Die Prävalenz der Epilepsien im Kindesalter beträgt etwa 0,5 %. In der Gesamtgruppe aller Erkrankten überwiegen etwas die Jungen. Etwa 2/3 aller Kinder mit Epilepsie sind kognitiv normal entwickelt. Zwei von drei Kindern mit Epilepsie werden unter Behandlung komplett anfallsfrei. Bei über 50 % der Kinder mit Epilepsie können langfristig die Medikamente sogar folgenlos abgesetzt werden.
Bernd A. Neubauer, Thomas Bast
274. Nichtepileptische Anfälle und paroxysmale Phänomene
Zusammenfassung
Viele paroxysmal auftretende Phänomene bzw. Krankheiten können epileptischen Anfällen mehr oder minder ähneln und stellen somit relevante Differenzialdiagnosen dar, die dem Pädiater bekannt sein sollten. Die Qualität der Anamnese ist der entscheidende Faktor in der Diagnostik. Es konnte gezeigt werden, dass 10–20 % aller Patienten, die wegen einer therapierefraktären Epilepsie in einem spezialisierten Zentrum vorgestellt werden und bereits mehrere Antiepileptika erhielten, an nichtepileptischen Anfällen leiden. Diese Patienten litten meist an Synkopen, psychogenen Störungen, Affektkrämpfen oder Parasomnien. Die übergeordnete Zuordnung einzelner Krankheiten kann unterschiedlich getroffen werden.
Bernd A. Neubauer

Krankheiten der Muskulatur und Nerven

Frontmatter
275. Spinale Muskelatrophien
Zusammenfassung
Bei den spinalen Muskelatrophien (SMA) handelt es sich um eine Gruppe genetischer Erkrankungen, die durch eine primäre Schädigung der spinalen Motoneurone gekennzeichnet sind. Im Kindes- und Jugendalter ist das bis auf wenige Ausnahmen die spinale Muskelatrophie durch Mutationen im SMN1-Gen auf Chromosom 5. Die Erkrankung wird autosomal-rezessiv vererbt und tritt mit einer Inzidenz von mindestens 1:10.000 auf. Klinisch manifestiert sich die spinale Muskelatrophie als ein Krankheitsspektrum mit sehr unterschiedlichem Schweregrad.
Janbernd Kirschner
276. Krankheiten der peripheren Nerven
Zusammenfassung
Erkrankungen und Verletzungen peripherer Nerven benötigen bei Kindern wie bei Erwachsenen eine genaue klinische, neurologisch-topische Beurteilung und häufig eine elektrophysiologische Untersuchung. 75 % der chronischen Polyneuropathien bei Kindern und Jugendlichen sind hereditär bedingt. Dies erfordert eine gezielte Familienanamnese, klinische und elektrophysiologische Klassifikation sowie heute meist eine molekulargenetische Diagnostik, die bei den demyelinisierenden Neuropathien in 70 %, bei den axonalen hingegen nur bei 20 % der Familien erfolgreich ist. Anders als die erworbenen postinfektiösen Polyneuropathien können die hereditären Neuropathien nicht ursächlich behandelt werden. Symptomatische und rehabilitative Maßnahmen sind jedoch zur Verbesserung und zum Erhalt der Funktionsfähigkeit und der Lebensqualität entscheidend.
Rudolf Korinthenberg
277. Krankheiten der neuromuskulären Übertragung
Zusammenfassung
Kongenitale myasthene Syndrome (CMS) sind genetisch und klinisch heterogene Erkrankungen der neuromuskulären Endplatte (NME), die zu einer Störung der neuromuskulären Übertragung führen. Abhängig von der Lokalisation des genetisch determinierten Defekts unterscheidet man präsynaptische Störungen am Nervenende, Störungen der muskulären Basallamina-assoziierten Acetylcholinesterase (AChE) und Defekte der postsynaptischen Muskelmembran. Die Erkrankungen sind selten: Sie machen ca. 10 % aller Myasthenien aus (hier Prävalenz 25–125:1 Mio.).
Ulrike Schara, Angela Abicht
278. Kongenitale Myopathien und Muskeldystrophien
Zusammenfassung
Die kongenitalen Strukturmyopathien bezeichnen eine seltene klinisch und genetisch heterogene Erkrankungsgruppe mit einer angenommenen Inzidenz von 6:100.000 Lebendgeborenen; relativ häufig sind die Nemaline-Myopathie, die Central-Core-Myopathie und die zentronukleären Myopathien. Bei den kongenitalen Muskeldystrophien (CMD) handelt es sich um eine heterogene Gruppe von seltenen genetisch determinierten Erkrankungen (angenommene Inzidenz aller CMD 4–5:100.000), charakterisiert durch eine Muskelschwäche seit Geburt oder frühem Säuglingsalter assoziiert mit variablen klinischen Symptomen.
Ulrike Schara
279. Progressive Muskeldystrophien und fazioskapulohumerale Muskeldystrophie
Zusammenfassung
Bei den progressiven Muskeldystrophien handelt es sich um eine Gruppe genetischer Erkrankungen, die sich in Bezug auf klinische Präsentation und Krankheitsverlauf zum Teil deutlich unterscheiden. Gemeinsames Charakteristikum ist der progrediente Kraftverlust aufgrund von dystrophen Veränderungen der Skelettmuskulatur. Die mit Abstand häufigste Form ist die X-chromosomal vererbte Muskeldystrophie Duchenne (DMD). Die Muskelschwäche manifestiert sich bereits im Kleinkindalter und führt meist zum Verlust der Gehfähigkeit zwischen dem 10. und 12. Lebensjahr. Aufgrund der Beteiligung der Herz- und Atemmuskulatur versterben die meisten Patienten im jungen Erwachsenenalter. Deutlich seltener sind die autosomal-rezessiv oder -dominant vererbten Gliedermuskeldystrophien. Sie unterscheiden sich unter anderem in dem Verteilungsmuster der Muskelschwäche und der Beteiligung der Herzmuskulatur. Die fazioskapulohumerale Muskeldystrophie (FSHD) wird autosomal-dominant vererbt und ist in ihrer Ausprägung und Beginn der Symptomatik sehr variabel. Typischerweise zeigt sich bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen eine langsam progrediente Schwäche der Gesichts-, Schulter-, Fußheber- und Hüftmuskulatur.
Janbernd Kirschner
280. Myotone Dystrophie Typ 1 (DM1)
Zusammenfassung
Die myotone Dystrophie Typ 1 (DM1) ist nach der Muskeldystrophie Duchenne die weltweit zweithäufigste Muskelerkrankung und erreicht in Europa und Nordamerika eine Inzidenz von 1:8000 bei einer Prävalenz von 1:37.000. Sie ist eine Multisystemerkrankung, wenngleich der Verlauf durch Veränderungen von Skelett- und Herzmuskulatur wie auch von glatter Muskulatur dominiert wird. Die schwere kongenitale Form der DM1 mit Symptomen unmittelbar postnatal hat einen Anteil von 10–15 % an allen DM1-Fällen, die Vererbung erfolgt überwiegend über die Mutter. In selteneren Fällen konnte der Anteil betroffener Väter mit 10–13 % der kongenitalen Form angegeben werden. Dieser Verlauf muss von leichteren Formen bei Kindern und Jugendlichen abgegrenzt werden, die Symptome hierbei sind teilweise unspezifisch und können lediglich Teilleistungsstörungen oder sprachliche Entwicklungsverzögerung umfassen. Aufgrund ihrer Heterogenität und oft nur unspezifischer Befunde vergeht oft ein längerer Zeitraum bis zur Diagnosestellung.
Ulrike Schara, Sören Lutz
281. Krankheiten mit Myotonie oder periodischen Paralysen
Zusammenfassung
Die Chloridkanalmyotonien gehören zu den nichtdystrophen Myotonien und sind Ionenkanalkrankheiten, bei denen nur die Muskulatur betroffen ist. Das vorherrschende Symptom ist eine Störung der Muskelrelaxation (Myotonie), die von den Betroffenen als Steifheit wahrgenommen wird. Die Erkrankung kann einem autosomal-rezessiven Erbgang folgen, sog. Myotonia congenita Becker (Prävalenz 1:25.000) oder seltener autosomal-dominant vererbt werden, Myotonia congenita Thomsen (Prävalenz 1:400.000).
Ulrike Schara, Birgit Uhlenberg
282. Idiopathische entzündliche Myopathien
Zusammenfassung
Die juvenilen idiopathischen entzündlichen Myopathien sind eine heterogene Gruppe systemischer Autoimmunerkrankungen, bei denen muskuläre Schwäche und entzündliche Veränderungen der Skelettmuskulatur im Vordergrund stehen. Am weitaus häufigsten sind die juvenile Dermatomyositis, die Overlap-Myositis sowie die Polymyositis. Die Einschlusskörpermyositis ist die häufigste Myositis des älteren Patienten, im Kindesalter tritt sie nur sporadisch auf. Ebenfalls sehr seltene Entitäten sind die granulomatöse und eosinophile Myositis, die Makrophagen-Myofaszitis, die fokale und orbitale Myositis. Die nekrotisierende autoimmune Myopathie nimmt häufig einen schweren chronischen Verlauf. Neben diagnoseweisenden Laborparametern wie Myositis-spezifischen und Myositis-assoziierten Antikörpern wird eine Reihe von Differenzialdiagnosen diskutiert.
Mareike Lieber, Tilmann Kallinich
283. Stoffwechselbedingte Myopathien
Zusammenfassung
Metabolische Myopathien werden durch angeborene Gendefekte in der Bereitstellung oder Verstoffwechselung energieliefernder Substrate verursacht. Zur Erzeugung von Muskelkraft benötigt der menschliche Skelettmuskel die 2 Substrate Glukose und Fett. Hierfür müssen Glukose über den Pyruvatstoffwechsel sowie Fettsäuren über Carnitinzyklus und β-Oxidation zu Acetyl-CoA verstoffwechselt werden. Acetyl-CoA wird über den Zitratzyklus als NADH und FADH2 der mitochondrialen ATP-Produktion zugeführt. ATP kann im Muskel in Form von Kreatinphosphat gespeichert und über Vermittlung der Kreatinkinase (CK) für den Phosphatshuttle genutzt werden. In Abhängigkeit von Belastungsdauer und Belastungsintensität kann der Muskel die unterschiedlichen Substrate konsekutiv nutzen. In den ersten Minuten der Muskelarbeit wird vorhandenes ATP sowie Kreatinphosphat genutzt und später durch Aktivierung der anaeroben und nachfolgend aeroben Glykolyse abgelöst. Erst bei einer Muskelarbeit über 10–15 min kommt es zu einer Aktivierung der Lipolyse sowie der β-Oxidation.
Barbara Plecko

Seelische Entwicklung und ihre Störungen

Frontmatter
284. Kinder- und jugendpsychiatrische und -psychologische Untersuchung
Zusammenfassung
Die kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik versucht, für die Palette psychischer Leidenszustände und Verfassungen sowie die vielfältigen Störungen von Verhalten und Kommunikation im Kindes- und Jugendalter verbindliche Begriffe festzulegen, die eine Verständigung zwischen den Helfersystemen erlauben und zur Grundlage therapeutischer Entscheidungen gemacht werden können. Handlungsleitend ist jedoch nicht nur die Feststellung einer psychischen Störung, die im Klassifikationssystem aufgelistet ist. Wichtig für den Therapeuten sind auch die sozialen Rahmenbedingungen, das persönliche und emotionale Umfeld in Familie, Verwandtschaft und Nachbarschaft, die Leistungsfähigkeit in Schul- und Arbeitssituationen und die Frage der Ausgestaltung von Freundschaften. Auch die körperliche Verfassung darf aus der diagnostischen Entscheidung nicht ausgeklammert werden. Die Diagnose in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist immer eine biopsychosoziale Diagnose.
Franz Resch
285. Psychiatrische und psychologische Behandlung im Kindes- und Jugendalter
Zusammenfassung
Es ist das Ziel kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung, Veränderungen im Erleben, Verhalten, in der Einstellung und ggf. körperlichen Verfassung des Patienten zu bewirken, die für den Patienten und seine Umwelt zu einer Verbesserung der Lebensqualität führen. Die moderne kinder- und jugendpsychiatrische Therapie ist störungsspezifisch und meist multidisziplinär und multimodal, d. h. umfasst unterschiedliche Berufsgruppen und Methoden (z. B. Elternberatung, individuelle Psychotherapie und medikamentöse Behandlung).
Beate Herpertz-Dahlmann, Michael Simons
286. Psychische Störungen bei Säuglingen, Klein- und Vorschulkindern
Zusammenfassung
Psychische Störungen sind in diesem frühen Alter mit 10–15 % genauso häufig wie bei älteren Kindern und Jugendlichen, werden jedoch häufig übersehen und seltener vorgestellt, diagnostiziert und behandelt, obwohl spezifische, wirksame Therapien zur Verfügung stehen. Sie unterscheiden sich je nach Entwicklungsstand mit einer alterstypischen Symptomatik. Hilfreich dabei ist die angloamerikanische Alterseinteilung nach „infants“ (0–18 Monate), „toddlers“ (18–36 Monate) und „preschoolers“ (4–5 Jahre), die sehr gut der Entwicklungspsychologie dieser Altersabschnitte entspricht.
Alexander von Gontard
287. Posttraumatische Belastungsstörungen
Zusammenfassung
Mehr als 1 von 4 Kindern erlebt ein signifikantes traumatisches Ereignis vor Erreichen des Erwachsenenalters. Solche Erfahrungen umfassen Kindesmissbrauch, Gewalterfahrungen im häuslichen Umfeld, der Schule oder Gemeinde, Naturkatastrophen, Verkehrsunfälle oder sonstige Unfälle, Krieg, Flucht und nicht zuletzt auch Traumatisierung im medizinischen Behandlungskontext durch Hospitalisierung, invasive Behandlungen, Operationen oder Konfrontation mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Obwohl die meisten Kinder ein traumatisches Ereignis psychisch ohne Störungsentwicklung kompensieren können, entwickelt eine Subgruppe anhaltende, schwerwiegende, nicht spontan remittierende Beeinträchtigungen ihrer psychischen Funktionsfähigkeit in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) oder anderer Störungen. Kinderärzte sind häufig die ersten Fachpersonen, denen traumatische Erfahrungen mitgeteilt werden. Der Kinderarzt kann erste eigene Unterstützung anbieten sowie auch die Indikation für eine weitergehende psychotherapeutische bzw. psychiatrische Anschlussbehandlung stellen und in die Wege leiten.
Meinolf Noeker, Ingo Franke, Bernd Herrmann
288. Prävention und Intervention bei Vernachlässigung und Deprivation
Zusammenfassung
Psychische Vernachlässigung sowie sensorische, emotionale und soziale Deprivation eines Kindes stellen in vielen Fällen eine diagnostisch besonders schwierig zu identifizierende und therapeutisch zu beeinflussende Form der Kindesmisshandlung dar. Die Diagnose lässt sich nicht zielgerichtet auf die Abklärung konkreter Episoden ausrichten wie beim zeitlich-räumlich umschriebenen gewaltsamen oder sexuellen Übergriff. Vernachlässigung und Deprivation des Kindes sind vielmehr Ergebnis einer überdauernd gestörten Beziehungsgestaltung der Eltern zu ihrem Kind.
Meinolf Noeker, Ingo Franke, Bernd Herrmann
289. Umschriebene Entwicklungsstörungen
Zusammenfassung
Umschriebene Entwicklungsstörungen (UES) sind durch einen frühen Beginn (meist im Vorschulalter), durch eine spezifische Beeinträchtigung in den Bereichen der motorischen, der sprachlichen und in einzelnen Bereichen der schulischen Fertigkeiten (Lesen, Rechtschreiben, Rechnen) gekennzeichnet. UES beeinflussen nachhaltig die psychosoziale, schulische und berufliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen. Die Symptomatik unterliegt einem Entwicklungsverlauf, und eine Restsymptomatik bleibt bis ins Erwachsenenalter bestehen. Die UES werden von Entwicklungsverzögerungen abgegrenzt, die vorübergehend auftreten und durch Faktoren der Umwelt (z.  B. fehlende Sprachförderung oder Unterrichtung) erklärt werden können.
Gerd Schulte-Körne
290. Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung
Zusammenfassung
Die Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) ist ein von der Norm abweichendes Verhalten mit Funktionsbeeinträchtigung. Die Prävalenz beträgt 4–5 %. Genetische Ursachen sind wichtig, seltener prä- oder perinatale Schädigungen oder schwerer frühkindlicher Stress. Symptome sind Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Selbstregulationsfähigkeit, Belohnungsaufschub und Arbeitsgedächtnis sind gestört. Komorbiditäten sind umschriebene Entwicklungsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens und affektive Störungen. Zur Diagnose führen biografische und störungsspezifische Angaben, die Befragung von Patienten und Bezugspersonen, eine körperlich-neurologische Untersuchung und testpsychologische Verfahren. Die multimodale Therapie umfasst Psychoedukation, Interventionen im Umfeld, Training und verhaltenstherapeutische Verfahren. Zur medikamentösen Therapie sind Methylphenidat, Amphetamine, Atomoxetin und Guanfacin zugelassen. Verlaufskontrollen und Auslassversuche bei medikamentöser Behandlung sind erforderlich.
Harald Bode
291. Tic-Störungen
Zusammenfassung
Unter Tics werden plötzlich einschießende, rasche, sich wiederholende Bewegungen verstanden, die nicht rhythmisch und auf einige funktionelle Muskelgruppen beschränkt sind (z. B. Kopfrucken, Grimassieren). Auch plötzlich einsetzende und zwecklose Lautproduktionen (Vokalisationen) werden zu den Tics gezählt (z. B. Grunzen, Bellen). Die Betroffenen erleben ihre Tics als willentlich nicht beeinflussbar, können sie aber bei bewußter Konzentration und zielgerichtetem Handeln vorübergehend unterdrücken. Mitunter wird vor einem Tic ein sensomotorisches Vorgefühl wahrgenommen (z. B. Muskelanspannung). Im Schlaf sind Tics deutlich geringer ausgeprägt als im Wachen.
Aribert Rothenberger
292. Störungen des Sozialverhaltens und Persönlichkeitsstörungen
Zusammenfassung
Bei Störungen des Sozialverhaltens und Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter handelt es sich um 2 Diagnosen, die in der Überarbeitung der internationalen Klassifikationssysteme DSM und ICD deutliche Veränderungen erfahren haben bzw. erfahren werden. Beiden Störungsbildern ist gemeinsam, dass sie bei nicht ausreichender oder inadäquater Behandlung in einem hohen Ausmaß chronifizieren können und dann zu nachhaltiger Beeinträchtigung der zwischenmenschlichen Beziehungen, der schulischen und beruflichen Entwicklung sowie der Teilhabe an gesellschaftlichen Aktivitäten führen. Während Störungen des Sozialverhaltens gemeinsam mit hyperkinetischen Störungen im Vorschul- und Grundschulalter die häufigsten Gründe (vor allem bei Jungen) für die Vorstellung in einer kinderpsychiatrischen Sprechstunde darstellen, herrscht bei der Wahrnehmung und Benennung von Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter noch Zurückhaltung, obwohl die für eine Persönlichkeitsstörung charakteristischen Symptome in der Regel schon im Kindesalter, spätestens aber im Jugendalter zu beobachten sind und für die Diagnose einer solchen Störung im Erwachsenenalter das Vorliegen von entsprechenden Symptomen in Kindheit und Jugend sogar vorausgesetzt werden.
Klaus Schmeck
293. Suchttherapie
Zusammenfassung
Bei der Diagnostik substanzbezogener Störungen ist das Vertrauen des Jugendlichen in die Person des Untersuchers von großer Bedeutung. Selbstauskünfte über den Substanzkonsum sind in diesem Fall meistens zuverlässig zu erhalten. Sie werden durch Auskünfte der Eltern und weitere Bezugspersonen ergänzt. Eine toxikologische Urinuntersuchung gehört zur Standarddiagnostik. Die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit einer substanzbezogenen Störung erfordert ein hohes Maß an störungs- und altersspezifischer Orientierung. Vier verschiedene Ebenen müssen berücksichtigt werden: die körperlichen Auswirkungen des Substanzmissbrauchs, psychische Funktionsstörungen, Entwicklungsstörungen und komorbide psychische Störungen.
Rainer Thomasius
294. Dissoziative und somatoforme Störungen
Zusammenfassung
Dissoziative Störungen sind durch einen Verlust der normalen Integration des Erinnerungsvermögens, des Identitätsbewusstseins, der unmittelbaren Empfindungen und der Kontrolle von Körperbewegungen charakterisiert. Solch eine fundamentale Störung der integrativen Funktionen wirkt sich in retrograden Erinnerungsdefiziten (dissoziative Amnesien) sowie angstinduzierenden Entfremdungserlebnissen (Depersonalisations- und Derealisationsphänomenen) aus. Demgegenüber ist das gemeinsame Kennzeichen der somatoformen Störungen die wiederholte Präsentation von körperlichen Krankheitssymptomen, die eine medizinische Ursache nahelegen, aber nicht oder nicht vollständig durch ein organisches Korrelat das Ausmaß an körperlichen und seelischen Funktionseinschränkungen erklären lassen.
Franz Resch
295. Psychische Störungen im Zusammenhang mit somatischen Krankheiten
Zusammenfassung
Bei Kindern und Jugendlichen mit chronischen körperlichen Erkrankungen treten psychische Störungen wie Depressionen, Angststörung oder Anpassungsstörungen etwa 3-mal häufiger auf als bei gesunden Gleichaltrigen. Wesentliche Risikofaktoren für die Entwicklung psychiatrischer Komorbidität sind neben einer biologisch bedingten Prädisposition (genetisch/durch die medizinische Behandlung bedingt) auch soziale und psychische Prozesse wie Bewältigungsstil, soziale Integration und das familiäre Funktionsniveau. Hinsichtlich der Behandlung ist ein frühzeitiger interdisziplinärer pädiatrisch/psychiatrischer Behandlungsansatz erfolgversprechend. Neben der psychiatrischen Behandlung profitieren betroffene Kinder und Jugendliche von verhaltensmedizinisch-psychotherapeutischen Angeboten ebenso wie von Maßnahmen zur Unterstützung der sozialen Integration, u. a. durch Jugendhilfen. Wichtig sind weiterhin das frühzeitige Erfassen der familiären Ressourcen und eine spezifische, aktive Unterstützung der Familie im Umgang mit Erkrankung und psychiatrischer Komorbidität der betroffenen Kinder und Jugendlichen.
Georg G. von Polier
296. Anorexia nervosa
Zusammenfassung
Die Anorexia nervosa (AN) ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen der weiblichen Adoleszenz. Durch neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der Neurobiologie hat sich die Konzeption der Erkrankung in den letzten Jahren deutlich verändert. Während noch vor 10–15 Jahren die Genese der AN psychodynamisch/familiensystemisch erklärt wurde, geht man heute von einer neuropsychiatrischen Erkrankung mit genetisch-biologischen Ursachen aus. Ein nicht unerheblicher Anteil der Erkrankten wird immer noch nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, sodass eine frühzeitige Diagnose durch den Kinder- und Jugendarzt von großer Bedeutung ist.
Beate Herpertz-Dahlmann
297. Suizidversuch und Suizid
Zusammenfassung
Unter Suizidalität versteht man die Summe aller Denk- und Verhaltensweisen von Menschen, die in Gedanken durch aktives Handeln oder passives Unterlassen – oder durch Handelnlassen – den eigenen Tod anstreben bzw. als mögliches Ergebnis einer Handlung in Kauf nehmen (Definition von M. Wolfersdorf).
Franz Resch
298. Autistische Störungen
Zusammenfassung
Autistische Störungen sind in der Kategorie der tief greifenden Entwicklungsstörungen der ICD-10 gelistet. Diese Kategorie umfasst verschiedene Subgruppen. Entsprechend dem aktuellen Forschungsstand werden der frühkindliche Autismus (F84.0), der atypische Autismus (F84.1), das Asperger-Syndrom (F84.5), die nicht näher bezeichnete Entwicklungsstörung (F84.9) und sonstige tief greifende Entwicklungsstörungen (F84.8) unter dem Begriff Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) zusammengefasst und somit von den anderen tiefgreifenden Entwicklungsstörungen wie dem Rett-Syndrom (F84.2), der desintegrativen Störung (F84.3) oder der überaktiven Störung mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien (F84.4) abgegrenzt. In der DSM 5 wird eine neue Metakategorie „mentale und neuronale Entwicklungsstörungen“ definiert, in der Autismus-Spektrum-Störungen zusammen mit der Intelligenzminderung, der Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, den Sprachentwicklungsstörungen und den motorischen Störungen klassifiziert werden.
Michele Noterdaeme
299. Psychosen
Zusammenfassung
Psychosen sind eine Gruppe psychiatrischer Erkrankungen, die durch eine grobe Beeinträchtigung der Realitätstestung charakterisiert sind und sich typischerweise durch das Auftreten von Wahnsymptomen, Halluzinationen, desorganisierter Sprache oder von desorganisiertem oder katatonem Verhalten manifestieren. Klinisch lassen sich Psychosen in organische (exogene) und nichtorganische (endogene) Psychosen unterteilen, die nichtorganischen Psychosen wiederum in nichtaffektive und affektive Psychosen. Diese klinisch nützlichen Begriffe findet man allerdings nicht in den internationalen Klassifikationssystemen (ICD-10 oder DSM-IV-TR).
Benno Graf Schimmelmann, Franz Resch

Krankheiten des Stütz- und Bindegewebes

Frontmatter
300. Osteochondrodysplasien
Zusammenfassung
Osteochondrodysplasien sind konstitutive Anomalien des Skeletts aufgrund von Mutationen chondro-ossär exprimierter Gene. Die Mutationen verändern die Aktivität von Knorpel- oder Knochenzellen und damit Form und Struktur der von ihnen gebildeten Komponenten des Skeletts. Klinisch äußern sich Osteochondrodysplasien meist in Kleinwuchs, der aufgrund segmental betonter Defekte oft unproportioniert ist. Verkürzung und Achsabweichung der Röhrenknochen, Skoliose, gestörte Statik, kontrakte oder lockere Gelenke und Anomalien von Muskel- und Bindegewebe behindern häufig die motorische Entwicklung der Kinder. Die Vielzahl der an der Skelettentwicklung beteiligten Gene und die unterschiedliche Auswirkung alleler Mutationen erklären die große Zahl verschiedener Krankheitsbilder mit eigener Prognose, Komplikations- und Wiederholungsgefahr in künftigen Schwangerschaften. Therapeutisch sind Ausprägung und Komplikationen zu verhindern oder zu korrigieren, bei einigen Krankheiten durch Enzymsubstitution. Klinisch und radiologisch vermutete Diagnosen lassen sich molekulargenetisch sichern oder ausschließen.
Jürgen Spranger
301. Dysostosen
Zusammenfassung
Dysostosen sind Fehlbildungen einzelner Knochen oder Knochengruppen. Sie sind das Ergebnis einer gestörten Morphogenese in der frühen Embryonalzeit. Im Unterschied zu Dysplasien ist die pathologische Entwicklung bereits vor der Geburt abgeschlossen, und die fehlgebildeten Organe sind histologisch normal. Dysostose und Dysplasie können kombiniert auftreten, wenn ein Gen sowohl die pränatale Morphogenese als auch postnatal die Entwicklung und das Wachstum steuert. Ein Beispiel ist die Fibrodysplasia ossificans progressiva, die sich bei der Geburt mit einer Hypoplasie der Großzehen, oft auch des Daumens, und postnatal mit ektopischer Knochenbildung in Muskel und Bindegewebe manifestiert. Dies kann durch die gestörte Funktion eines Signalgens erklärt werden, welches sowohl die Morphogenese als auch die postnatale Gewebshomeostase beeinflusst.
Andrea Superti-Furga
302. Hereditäre Bindegewebskrankheiten
Zusammenfassung
Das Bindegewebe besteht aus Zellen, die in einer von ihnen selbst gebildeten, für die Funktion wichtigen extrazellulären Matrix eingebettet sind. Die Matrix enthält verschiedene Typen von Kollagenen, die Fasern bilden und dem Gewebe seine Zugfestigkeit verleihen. Die Mikrofibrillen und die um sie herum gebildeten elastischen Fasern in Haut, großen Gefäßen und Ligamenten geben den Geweben die nötige Dehnbarkeit und Elastizität. Die Proteoglykane wiederum verleihen diesen dank ihrer Wasserbindungskapazität Turgor und Stabilität. Quantitative und qualitative Änderungen einzelner gewebespezifisch exprimierter Bestandteile der extrazellulären Matrix führen direkt oder über veränderte Bindung von Wachstums- und Differenzierungsfaktoren zum mechanischen Versagen und damit zu Bindegewebskrankheiten mit charakteristischem Organbefall.
Beat Steinmann, Marianne Rohrbach, Gabor Matyas
303. Arthrogryposen
Zusammenfassung
Der Begriff Arthrogryposis (multiplex congenita) beschreibt multiple, nichtprogressive, kongenitale Kontrakturen in verschiedenen Körperregionen. Arthrogrypose ist keine spezifische Diagnose, sondern ein Symptomenbild, das bei mehr als 300 Krankheitsbildern gefunden wird. Die Häufigkeit beträgt etwa 1:3000.
Rainer König
304. Wirbelsäulenkrankheiten
Zusammenfassung
Die harmonischen Krümmungen der adulten Wirbelsäule entwickeln sich von der Geburt bis zum Abschluss der Pubertät. Beim Neugeborenen und im höheren Alter überwiegt die Brustwirbel-Kyphose. Rundrücken, Hohlrundrücken und Flachrücken sind Extremvarianten der physiologischen Krümmungen. Bildungs- und Segmentationsdefekte einzelner Wirbelkörper können sich bereits bei der Geburt in Krümmungsanomalien, eine komplette Sakralagenesie in einer Verkürzung des Rumpfes äußern. Angeborene Wirbelkörperdefekte sind häufig mit anderen Fehlbildungen oder neurologischen Ausfällen assoziiert. Skoliosen können bereits bei der Geburt vorliegen oder sich in der Wachstumsphase entwickeln, häufiger bei Mädchen als bei Knaben. Eine zunehmende Kyphosierung zwischen dem 10. und 14. Lebensjahr muss an einen Morbus Scheuermann denken lassen. Eine Spondylolyse, eine Dehiszenz in der Pars interarticularis des Wirbelbogens, kann zu einer Spondylolisthesis, einem Abgleiten des betroffenen Wirbelkörpers nach ventral führen. Der angeborene Schiefhals des Säuglings – Torticollis – geht mit einer Verkürzung des M. stenocleidocranialis einher und führe unbehandelt zu einem Plagiozephalus und Gesichtsasymmetrie.
Sylvie Marx, Sean Nader
305. Beinachsenfehler
Zusammenfassung
Die kindliche Beinachse verändert sich physiologisch vom kleinkindlichen O-Bein über eine vorübergehende X-Beinstellung zur adulten Geradlinigkeit. Physiologische und pathologische Achsabweichungen sind in allen Raumebenen möglich (Frontalebene: X- oder O-Fehlstellung; Sagittalebene: Antekurvation , Rekurvation; Drehfehler: Rotation, Torsion). Anomalien der Frontalebene lassen sich mittels Epiphysenklammerung korrigieren, ausgeprägte komplexe Abweichungen überwiegend nur operativ.
Johanna Correll, Sylvie Marx, Faik Kamel Afifi, Sean Nader
306. Hüftgelenkerkrankungen
Zusammenfassung
Die Begriffe Coxa valga und Coxa vara bezeichnen eine Vergrößerung bzw. eine Verkleinerung des physiologischen Winkels zwischen dem Schenkelhals und dem Femurschaft. Bei der Coxa antetorta vergrößert sich die physiologische Verdrehung zwischen dem Schenkelhals und dem Femurschaft nach vorne; bei der Coxa retrotorta fehlt diese Verdrehung bzw. ist sie in die Gegenrichtung, d. h. nach hinten, orientiert. Die angeborene Hüftgelenkdysplasie bzw. -luxation besteht aus einer Unterentwicklung, d. h. Abflachung der Hüftpfanne mit der Folge einer unvollständigen bzw. fehlenden Überdachung und Zentrierung des Femurkopfs in der Hüftpfanne. Sie ist sonografisch bei der Geburt auszuschließen. Beim Morbus Perthes (Morbus Legg-Calvé-Perthes) handelt es sich um einen spontan auftretenden mehr oder weniger vollständigen Zerfall der wachsenden Hüftkopfepiphyse mit Deformierungs- und Reparaturvorgängen. Eine Epiphyseolysis capitis femoris entsteht durch Dehiszenz der proximalen Wachstumsfuge des Femurs mit Instabilität und Kranialisierung des Schenkelhalses gegenüber dem Hüftkopf.
Christel Schäfer, Leonhard Döderlein
307. Kniegelenkerkrankungen
Zusammenfassung
Angeborene Kniegelenkdislokationen sind Folge einer intrauterinen Lageanomalie. In Kombination mit Hüftgelenkdislokationen oder Klumpfüßen können sie Symptom einer angeborenen Bindegewebskrankheit sein. Die Tibia vara (Morbus Blount) ist eine Osteochondronekrose der proximalen, medialen Tibiaepiphyse mit resultierender O-Bein-Deformität. Kongenitale Anomalien der Kniescheibe umfassen die Patella partita, sowie die luxierte oder subluxierte Patella. Als Scheibenmeniskus wird eine Formveränderung des Meniskus von der üblichen Halbmondform auf eine diskoide Form bezeichnet. Poplitealzysten sind von der Bursa der Sehne des M. semimembranosus, seltener auch einmal von der Gelenkkapsel ausgehende Gebilde, die nicht mit der Baker-Zyste des Erwachsenen zu verwechseln sind. Aseptische Knochennekrosen im Bereich des Kniegelenks umfassen die Osteochondrosis dissecans, überwiegend am lateralen Femurkondylus, den Morbus Sinding-Larsen-Johannson meist am unteren gelenkfernen Patellapol und den Morbus Osgood-Schlatter im Bereich der Apophyse der Tuberositas tibiae.
Sean Nader, Sylvie Marx
308. Fußerkrankungen
Zusammenfassung
Prinzipiell zu unterscheiden sind altersabhängig physiologische Fehlhaltungen von strukturellen Fehlstellungen des Fußes. Zu ersteren gehören der physiologische Knicksenkfuß, der physiologische Plattfuß und die Spitzfußhaltung beim physiologischen Zehenspitzengang des Kleinkinds. Pathologisch und damit behandlungsbedürftig sind der flexible Plattfuss mit Verkürzung der Wadenmuskulatur, verschiedene Ausprägungen des Sichelfußes, der angeborene Klumpfuß, der Talus verticalis mit konsekutivem Tintenlöscherfuß, der Hohlfuß und der mit einer Kontraktur/Verkürzung der Wadenmuskulatur einhergehende Spitzfuß.
Johanna Correll, Sylvie Marx, Faik Kamel Afifi, Sean Nader
309. Osteomyelitis
Zusammenfassung
Die akute Osteomyelitis ist eine Infektion des Knochens, die von Bakterien und seltener von Pilzen oder anderen Mikroorganismen hervorgerufen wird. Diese gelangen überwiegend auf hämatogenem Wege in den Knochen. Seltener ist die direkte traumatisch oder chirurgisch bedingte Inokulation oder eine von einer benachbarten Infektion ausgehende lokale Invasion. Eine Komplikation ist die septische Arthritis bei Durchbruch osteomyelitischer Herde in Gelenke. Die chronisch-nekrotisierende Osteomyelitis (CNO) ist eine nichtbakterielle, monofokale und zeitlich begrenzte Knochenentzündung. In ihrer schwersten Verlaufsform, der chronisch-multifokalen Osteomyelitis (CRMO), rezidivieren die kausal ungeklärten entzündlichen Reaktionen des Skeletts über Jahre. Multiple Herde betreffen die Metaphysen der Röhrenknochen und charakteristischerweise auch den Sternoklavikularbereich mit Hyperostose des Schlüsselbeins.
Markus Knuf
310. Gutartige Knochentumoren
Zusammenfassung
Gutartige Knochentumoren sind klinisch wie biologisch sehr diverse Läsionen. Sie werden nach der jeweils vorherrschenden Gewebematrix geordnet. Klinisch sind sie oft asymptomatisch; einige verursachen unspezifische, lediglich Osteoidosteome führen zu charakteristischen Beschwerden. Röntgenuntersuchungen in 2 Ebenen erlauben dem kinderradiologisch Erfahrenen zusammen mit Anamnese und klinischem Befund oft die korrekte Diagnosestellung oder sind für das weitere Vorgehen wegweisend. Die weitere Diagnostik und Therapie richtet sich nach der Art und Lage der Läsion und den von ihr verursachten Beschwerden: Während bei manchen Tumoren eine Do-not-touch-Strategie angezeigt ist, sollten andere kürettiert oder reseziert werden. Medikamentöse Therapien spielen, von wenigen Situationen abgesehen, eine untergeordnete Rolle. Bestrahlung sollte, wenn möglich, vermieden werden.
Stefan Bielack, Thekla von Kalle, Thomas Wirth

Augenkrankheiten

Frontmatter
311. Entwicklung des Sehorgans und der Sehfunktion
Zusammenfassung
In der Embryonalzeit im 1. Trimenon werden die meisten Strukturen des Augapfels und seiner Adnexe schon angelegt. Morphologisch ist das Auge mit Ende des 1. Lebensjahres ausgereift, wobei seine endgültigen Ausmaße in der Pubertät erreicht werden. Bei der Funktionsentwicklung erreicht das Auflösungsvermögen des Einzelauges in der Pubertät seinen Höhepunkt. Die meisten anderen Sehfunktionen (beidäugige Zusammenarbeit, Kontrastsehen) entwickeln sich im 1. Lebenshalbjahr und stabilisieren sich in den ersten 3 Jahren.
Birte Neppert
312. Ophthalmologische Untersuchungsmethoden
Zusammenfassung
Schulkinder und Jugendliche lassen sich in der Regel mit denselben Techniken wie Erwachsene untersuchen. Bei allen jüngeren Altersgruppen ist die Methodik dem jeweiligen Entwicklungsstand anzupassen. Distanzuntersuchungen wie der Durchleuchtungstest nach Brückner, bei dem das vom Augenhintergrund zurückfallende Licht auf Trübungen der optischen Medien und stärkere Brechungsfehler ausgewertet wird, tragen der Scheu vieler Kleinkinder, angefasst zu werden, und dem Screeningaspekt Rechnung. Berührungsfrei stellt der Hornhautreflexbildchen-Test den Schielwinkel und die Skiaskopie den Refraktionszustand des Auges dar. Sehschärfentests erfordern stets ein gewisses Ausmaß an Kooperation seitens des kleinen Patienten. Die Ergebnisse müssen mit altersabhängigen Normwerten verglichen werden.
Birte Neppert
313. Augenstellungs- und Motilitätsstörungen
Zusammenfassung
Parallelstand der Sehachsen in allen Blickrichtungen bzw. deren Ausrichtung auf das fixierte Sehobjekt ist die Voraussetzung für die Entwicklung der monokularen und binokularen Sehfunktionen im Kindesalter. Abweichungen vom Parallelstand sind konkomitierend (annähernd gleiche Schielwinkel in den Blickrichtungen = nichtparetisches Schielen) bei einer Reihe kindlicher Schielformen. Ein sekundärer Strabismus durch primär sensorischen Defekt eines Auges (z. B. Katarakt, Retinoblastom, Optikustumor etc.) ist bei jedem einseitigen Schielen auszuschließen. Primär motorische Abweichungen mit ungleichen Winkeln in verschiedenen Blickrichtungen (Inkomitanz) sind bedingt durch Hirnnervenparesen, Fehlbildungen, Augenmuskel- oder Orbitaerkrankungen. Seltener sind supranukleäre zerebrale Läsionen als Ursache von Stellungsabweichungen im Kindesalter. Nystagmus als zyklische Augenbewegungsstörung kann als neuroophthalmologisches abklärungsbedürftiges Symptom wie beim Erwachsenen vorkommen, aber natürlich werden die häufigeren anlagebedingten Nystagmusformen in der Regel im Kindesalter diagnostiziert und eingeordnet.
Birte Neppert
314. Sehfunktionsminderungen
Zusammenfassung
Sehfunktionseinschränkungen im Kindes- und Jugendalter können auf eine erworbene oder konnatale Strukturanomalie des Auges oder/und als Amblyopie auf einen Reifungsrückstand der kortikalen visuellen Areale zurückgeführt werden. Organdefekte werden wie im Erwachsenenalter soweit möglich kausal behandelt. Zur Therapie der Amblyopie werden mögliche Ursachen behoben, aber oft muss zusätzlich durch Abkleben des besseren Auges entwicklungsfördernd therapiert werden.
Birte Neppert
315. Krankheiten der Lider
Zusammenfassung
Hämangiome der Augenregion können zu Ptosis, Verlegung der Sehachse und Amblyopie führen und sollten frühzeitig mit systemischer Propanolol-Therapie behandelt werden. Bei einer kindlichen Ptosis besteht bereits bei leichter bis mittlerer Ausprägung die Gefahr einer Amblyopie, welche zeitnah augenärztlich therapiert werden muss (Brille, Abkleben des besseren Auges, gegebenenfalls Operation). Bei entzündlichen Liderkrankungen ist in der Regel eine Lokaltherapie ausreichend.
Bettina Wabbels
316. Krankheiten der Tränenwege
Zusammenfassung
Die häufigste kindliche Tränenwegserkrankung ist die Dakryostenose bei Säuglingen durch fehlende Öffnung der Hasner-Klappe. Durch Tränenwegsmassage gelingt die Öffnung meist bis zum 12. Lebensmonat. Tränendrüsenentzündungen (Dakryoadenitis) sind im Kindesalter selten, bei akuter Dakryozystitis (Entzündung des Tränensacks) ist in der Regel eine systemische Antibiotikatherapie erforderlich.
Bettina Wabbels
317. Konjunktivitis und andere Bindehautveränderungen
Zusammenfassung
Die Konjunktiva reagiert auf eine Vielzahl von Bakterien, Viren, Allergenen, Toxinen, äußeren Reizen sowie bei systemischen Erkrankungen. Eine Konjunktivitis im Kindesalter ist häufig und kann infektiöser sowie nichtinfektiöser Natur sein.
Thorsten Böker
318. Krankheiten der Hornhaut
Zusammenfassung
Bei der Megalokornea handelt es sich um eine angeborene, familiär gehäuft auftretende Anomalie mit einem Hornhautdurchmesser von mehr als 13 mm. Andere Entwicklungsstörungen können vergesellschaftet sein. Die Veränderung schreitet nicht fort, eine oft begleitende hohe Fehlsichtigkeit muss ausgeglichen werden. Nimmt der Hornhautdurchmesser zu oder treten zusätzlich Fotophobie, Tränenfluss oder Trübungen der Hornhaut auf, so ist eine unverzügliche ophthalmologische Untersuchung zum Ausschluss eines angeborenen Glaukoms notwendig.
Thorsten Böker
319. Krankheiten der Linse
Zusammenfassung
Alle Trübungen der Linse werden trotz unterschiedlicher Ätiologie, Morphologie oder Beeinträchtigung des Sehvermögens als Katarakt bezeichnet.
Thorsten Böker
320. Krankheiten der Iris
Zusammenfassung
Die Iris (Regenbogenhaut) kann in Form, Farbe, entzündlich und neoplastisch erkranken. Formveränderungen sind meist kongenital und äußern sich in Pupillenanomalien. Iritiden sind meist autoimmunologisch und werden unter den Uveitiden beschrieben. Tumoren sind im Kindesalter in der Regel benigne und oft als Hamartome kongenital.
Birte Neppert
321. Krankheiten der Pupille
Zusammenfassung
Da die Pupille das Loch in der Iris ist, sind ihre Krankheiten eigentlich Regulationsstörungen der Irismuskulatur oder Pathologien der angrenzenden Gewebe. Man unterscheidet Seitendifferenzen der Pupillenweite (Anisokorie), Funktionsstörungen und Formveränderungen (z. B. unrunde Pupille). Die Leukokorie beschreibt einen unnatürlich hellen Weißreflex der Pupille im zurückfallenden Licht.
Birte Neppert
322. Krankheiten der Uvea
Zusammenfassung
Die Uvea, die innere Gefäßschicht des Auges, bestehend aus Iris, Ziliarkörper und Chorioidea (Aderhaut), kann bei einer Vielzahl von entzündlichen Erkrankungen lokaler oder systemischer, infektiöser und nichtinfektiöser Natur oder als Reaktion auf äußere Noxen und Traumen entzündlich mitbeteiligt sein. Die Uveitis kann jeden Teil der Uvea separat (Iritis, Zyklitis, Chorioretinitis) oder alle Teile gemeinsam betreffen.
Thorsten Böker
323. Krankheiten von Netzhaut und Glaskörper
Zusammenfassung
Die Frühgeborenenretinopathie (retrolentale Fibroplasie; retinopathy of prematurity, ROP) resultiert aus der Unreife der sich entwickelnden retinalen Gefäße und einer pathologischen Störung der vasoformativen Faktoren. Sie tritt vorrangig bei Frühgeborenen mit sehr niedrigem Geburtsgewicht auf, die auf zusätzliche Sauerstoffgabe in der frühen Phase angewiesen waren. Die klinischen Veränderungen variieren von geringen Veränderungen der peripheren Netzhaut über schwere Verläufe mit progressiven Neovaskularisationen, Vernarbungen bis hin zur Erblindung infolge einer kompletten Netzhautabhebung. Der Begriff Frühgeborenenretinopathie bezeichnet mit Stadienangabe alle Formen der Retinopathie, während der ältere Begriff retrolentale Fibroplasie lediglich das fortgeschrittene Stadium V beschreibt.
Thorsten Böker
324. Krankheiten des Sehnervs
Zusammenfassung
Die Sehnervenhypoplasie ist die häufigste Sehnervenfehlbildung und kann mit Sehstörungen sehr unterschiedlicher Stärke verbunden sein (bis zur Blindheit), die nicht direkt mit der Größe des Sehnervenkopfs korreliert sind. Sie ist gegebenenfalls auch Teil der septooptischen Dysplasie (De-Morsier-Syndrom). Bei der Stauungspapille ist die Sehschärfe im Gegensatz zur funduskopisch ähnlichen Papillitis im Allgemeinen nicht verschlechtert. Eine lange bestehende Stauungspapille kann zur Optikusatrophie führen.
Bettina Wabbels
325. Krankheiten der Orbita
Zusammenfassung
Die meisten Krankheiten der Orbita zeigen einen Exophthalmus. Die Mehrzahl der Orbitaerkrankungen bei Kindern bis ca. 10 Jahren sind Neubildungen und (angeborene) strukturelle Veränderungen (inklusive Dermoidzysten), während bei älteren Kindern und Jugendlichen das Verteilungsmuster dem von Erwachsenen entspricht mit 60 % entzündlichen Veränderungen (inklusive endokriner Orbitopathie).
Bettina Wabbels
326. Erhöhter und erniedrigter Augeninnendruck
Zusammenfassung
Das Glaukom (grüner Star) ist eine Krankheit mit kontinuierlichem Verlust von Nervenfasern des Sehnervs. Die Folgen sind eine zunehmende Exkavation des Sehnervenkopfes und progrediente Gesichtsfeldausfälle, die anfangs vom Patienten nicht bemerkt werden. Ein Hauptrisikofaktor ist die Erhöhung des Augeninnendrucks. Meist sind ältere Menschen betroffen, selten tritt ein Glaukom bei Neugeborenen und Kindern auf. Die ersten Zeichen sind dann vermehrter Tränenfluss, Fotophobie, Blepharospasmus, Hornhauttrübung (Ödem) und zunehmende Vergrößerung des Auges (Buphthalmus) mit Zunahme des Hornhautdurchmessers. Papillenexkavation, Sehnervatrophie und Sehverlust können folgen.
Thorsten Böker
327. Augenverletzungen
Zusammenfassung
Kindliche Augenverletzungen haben eine besondere Bedeutung, weil sich ihre Folgen über sehr viele Lebensjahre auswirken und sie überproportional häufig besonders schwerwiegend sind. Die meisten Verletzungen verursachen Schmerzen, Lichtscheu, Tränen, Lidkrampf, Unterblutung oder Rötung der Haut und führen zur sofortigen Vorstellung bei einem Arzt. Ernsthafte Augenverletzungen gibt es jedoch auch ohne Vorliegen derartiger Symptome. Für die meisten Augenverletzungen gilt: Es ist wichtiger, dass die Versorgung durch erfahrene Ärzte in einer gut ausgerüsteten Augenklinik erfolgt, als dass weite Anfahrtswege vermieden werden! Hinweise auf Perforation ergeben sich u. a. durch einen weichen, ggf. untypisch geformten Augapfel, die Aufhebung der vorderen Augenkammer und Veränderungen der Pupille. Frakturen der knöchernen Orbita sind häufig die Folge von stumpfen Traumen und erfordern in der Regel eine CT (koronare Schichten). Verätzungen erfordern eine sofortige ausgiebige Spülung des Bindehautsacks.
Bettina Wabbels

Hals-Nasen-Ohren-Krankheiten

Frontmatter
328. Krankheiten des äußeren Ohrs
Zusammenfassung
Krankheiten des äußeren Ohres bei Kindern sind selten. Fehlbildungen äußern sich meist in harmlosen Aurikularanhängen, wohingegen präaurikuläre Fisteln zu rezidivierenden Entzündungen neigen und dann operativ entfernt werden sollten. Die häufigste Fehlbildung ist die abstehende Ohrmuschel, deren operative Korrektur streng indiziert werden muss. Bei Ohrmuschelverletzungen muss besonders auf das Auftreten von Othämatomen geachtet werden, die dringend operativ entlastet werden müssen. Entzündliche Erkrankungen der Ohrmuschel wie Erysipel, Perichondritis oder Herpes-Infektionen sind selten und werden konservativ behandelt. Auch eine Otitis externa ist selten und tritt in der Regel als Badeotitis auf, die lokal konservativ behandelt wird. Fremdkörper im Gehörgang, die häufiger bei Kleinkindern zu finden, sind sollten ausschließlich vom Facharzt entfernt werden.
Friedrich Bootz
329. Krankheiten des Mittelohrs
Zusammenfassung
Erkrankungen des Mittelohres sind häufig, sie sind meist entzündlicher Genese, Fehlbildungen hingegen treten selten auf. Oft entsteht durch Tubenventilationsstörungen und adenoide Vegetationen ein Sero- oder Mukotympanon, das meist einer operativen Behandlung in Form einer Adenotomie und einer Paukendrainage bedarf. Als weitere Folgen können eitrige Mittelohrentzündungen auftreten, die unter antibiotischer Therapie relativ schnell ausheilen. In seltenen Fällen kann sich daraus eine Mastoiditis entwickeln, die meist operativ, selten konservativ behandelt wird. Als weitere Folge der chronischen Belüftungsstörung können Cholesteatome entstehen, die grundsätzlich operativ behandelt werden müssen. Verletzungen des Mittelohres können direkt z. B. durch spitze Gegenstände oder indirekt z. B. durch enorme Druckerhöhung im Gehörgang hervorgerufen werden. Sie treten häufig im Rahmen von Längsfrakturen des Felsenbeins auf. Neben der Perforation des Trommelfells kann es auch zu einer Luxation der Gehörknöchelchenkette kommen, die durch eine Tympanoplastik behandelt wird.
Friedrich Bootz
330. Krankheiten des Innenohrs
Zusammenfassung
Angeborene Fehlbildungen des Innenohres stellen den größten Teil aller frühkindlichen Hörstörungen dar. Bei der Mondini-Dysplasie sind die Windungen der knöchernen Kochlea unvollständig und die membranöse Kochlea nur rudimentär angelegt. Neben entsprechendem Hörscreening können diese Fehlbildungen durch CT und MRT aufgedeckt werden. Die häufigste Ursache pränataler Innenohrschwerhörigkeiten sind mütterliche Infekte, z. B. Röteln im 2.–4. Schwangerschaftsmonat. Postnatale Schädigungen des Innenohres werden häufig durch Infektionen, wie Mumps, Masern und Keuchhusten ausgelöst. Auch bei der bakteriellen Meningitis ist das Risiko einer Innenohrschädigung hoch. Toxische Schäden des Innenohres sind gefürchtete Nebenwirkungen von Aminoglykosiden und Chemotherapeutika, wie z. B. Cisplatin oder Carboplatin. Über diese Nebenwirkung muss vor jeder Chemotherapie aufgeklärt werden. Hörstürze sind bei Kindern selten, sie manifestieren sich durch eine plötzlich auftretende einseitige Hörminderung (Schallempfindungsschwerhörigkeit). Da die Ursache nicht bekannt ist, ist eine kausale Therapie nicht möglich, die Gabe von Glukokortikoiden wird kontrovers diskutiert. Tinnitus kann auch bereits bei Kindern auftreten und ist häufig mit Stresssituationen verbunden. In diesen Fällen ist allenfalls eine psychologische Betreuung der betreffenden Kinder möglich. Lang anhaltende Lärmeinwirkung kann zu einer Innenohrschwerhörigkeit führen, was bei Jugendlichen durch das Hören von sehr lauter Musik über Kopfhörer die häufigste Ursache ist. Hier ist lediglich eine entsprechende Aufklärung und Prophylaxe möglich. Akustikusneurinome sind sehr selten bei Kindern, wohingegen die Neurofibromatose sich bereits durch Neurofibrome im inneren Gehörgang manifestieren können. Diese können auch beidseitig auftreten. Therapeutische Optionen sind neben der Bestrahlung die operative Entfernung. Kochleäre Hörstörungen können nur durch Hörgeräte ausgeglichen werden. Bei Ertaubungen ist der Einsatz von Kochleaimplantaten ein- und beidseitig möglich.
Friedrich Bootz
331. Krankheiten der Nase und der Nasennebenhöhlen
Zusammenfassung
Die Epistaxis ist ein häufiges, meist harmloses Symptom bei Kindern. In seltenen Fällen kann jedoch z. B. ein Hämangiom, ein juveniles Nasenrachenfibrom und sehr selten ein maligner Tumor vorliegen, bei denen neben der Epistaxis auch die Nasenatmungsbehinderung ein wichtiges Symptom darstellt. Fehlbildungen der Nase sind selten und meist mit anderen Syndromen assoziiert. Häufigste Fehlbildung der Nase ist die Choanalatresie, die ein- und beidseitig auftreten kann. Bei beidseitigem Auftreten ist eine sofortige postpartale Therapie notwendig. Frakturen des Nasenbeins sind im Kindesalter sehr selten, jedoch kann es zu einem Septumhämatom kommen, das operativ entlastet werden muss. Bei einseitiger Nasenatmungsbehinderung und Sekretion aus der Nase muss ein Fremdkörper als Ursache in Betracht gezogen werden. Polypen der Nase und der Nasennebenhöhlen sind bei Kindern selten und treten meist im Rahmen einer Mukoviszidose auf. Orbitale Komplikationen können auch im Kindesalter bei akuten, protrahierten Siebbeinentzündungen entstehen und werden meist operativ behandelt.
Friedrich Bootz
332. Krankheiten der Mundhöhle, der Zunge, des Mundbodens und der Kopfspeicheldrüsen
Zusammenfassung
Verletzungen der Schleimhaut der Mundhöhle bedürfen selten einer operativen Therapie abgesehen von Perforationen des weichen Gaumens. Entzündliche Veränderungen, wie z. B. die Stomatitis aphthosa und ulcerosa werden lokal behandelt. Die häufigsten Raumforderungen der Mundhöhle sind Hämangiome, Lymphangiome und die Ranula, die je nach Ausdehnung operativ entfernt werden sollten. Phlegmonöse Entzündungen des Mundbodens sind meist dentogener Ursache und müssen zahnärztlich mitbehandelt werden. Bei Schnitt- oder Bissverletzungen der Glandula parotis kann es zu einer Schädigung des N. fazialis kommen, die gegebenenfalls durch eine Nervennaht versorgt werden muss. Eine Sialadenitis (Glandula parotis) tritt meist bei atrophen und frühgeborenen Kindern auf, begünstigt durch eine Mastitis der Mutter. Tumoren der Speicheldrüsen sind selten, meist handelt es sich um benigne Tumoren, wobei Lymphangiome und Hämangiome am häufigsten sind.
Friedrich Bootz
333. Krankheiten des Rachens und Halses
Zusammenfassung
Die akute Tonsillitis ist die häufigste Erkrankung des Rachens, meist verursacht durch Streptokokken. Als Komplikation kann ein parapharyngealer Abszess entstehen, der durch eine Abszesstonsillektomie behandelt werden muss. Eine Tonsillenhyperplasie kann zu einem obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom führen und sollte durch eine Tonsillotomie behandelt werden. Eine einseitige Tonsillenhyperplasie ist verdächtig auf ein malignes Lymphom. Adenoide Vegetationen sind bei Kleinkindern häufig und können zu einer chronischen Nasenatmungsbehinderung und Sero-/Mukotympanon führen. Eine Adenotomie ist in diesen Fällen angezeigt. Das juvenile Nasenrachenfibrom ist der häufigste benigne Tumor bei männlichen Heranwachsenden. Maligne Tumore des Rachens sind sehr selten (Rhabdomyosarkom, Nasopharynxkarzinom u. a.). Im Halsbereich können branchiogene Zysten und Fisteln, Hämangiome und Lymphangiome auftreten, die meist operativ entfernt werden. Bei Kindern kommt es häufig zu einer Lymphadenitis colli, die jedoch gegenüber malignen Lymphomen (Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphome) und Sarkomen (Rhabdomyosarkome) abgegrenzt werden müssen. Neben primär im Halsbereich entstandenen Malignomen können auch Metastasen anderer Primärtumoren (z. B. Schilddrüse) auftreten. Bei Verletzungen des Halses müssen neben großen Blutgefäßen, Pharynx, Ösophagus, Larynx und Trachea auch die entsprechende Nerven (Nn. accessorius, recurrens u. a.) berücksichtigt werden.
Friedrich Bootz
334. Krankheiten des Kehlkopfes und der Trachea
Zusammenfassung
Fehlbildungen des Kehlkopfes und der Trachea können unterschiedliche Ausmaße besitzen und reichen von der harmlosen Laryngomalazie, dem Diaphragma laryngis bis zur Kehlkopfatresie, die ohne sofortige Tracheotomie zum Tode des Neugeborenen führt. Die Stimmlippenlähmung ist die häufigste Kehlkopfanomalie des Neugeborenen und bedarf bei einer beidseitigen Ausprägung einer sofortigen Intubation oder Tracheotomie. Anomalien der Trachea sind seltener als die des Kehlkopfes, wobei tracheoösophageale Fisteln am häufigsten vorkommen. Stenosen finden sich vor allem als Folge einer Langzeitintubation im Neugeborenen- und frühen Säuglingsalter meist im Ringknorpelniveau. Stimmlippenknötchen entstehen bei chronischer Überlastung der Stimme und werden logopädisch behandelt. Schwerwiegende Entzündungen sind die subglottische Laryngitis und die Epiglottitis, verursacht durch eine Haemophilus-influenza-Infektion. Verletzungen des Kehlkopfes sind selten, Frakturen extrem selten. Sie können zu einer Schleimhautschwellung und Dyspnoe führen. Tumore des Kehlkopfes sind selten (Hämangiome, Rhabdomyosarkome u. a.). Das durch HPV-Viren verursachte Papillom des Kehlkopfes wird operativ entfernt, neigt jedoch zu Rezidiven.
Friedrich Bootz
335. Hörstörungen, Sprachstörungen, Sprechstörungen und Stimmstörungen
Zusammenfassung
Hören wird als Aufnahme von akustischen Informationen aus der Umgebung einschließlich der zentralen auditiven Wahrnehmung definiert. Die bei Kindern vorkommenden Hörstörungen lassen sich entsprechend ihrer Topografie systematisch einteilen in: Schallleitungsschwerhörigkeiten (Störung des Schalltransportes), Schallempfindungsschwerhörigkeiten (Störung der Reizaufnahme und Reizumwandlung) und zentrale Schwerhörigkeiten (Störung der zeitlichen, spektralen und räumlichen Hörwahrnehmung).
Götz Schade

Hautkrankheiten

Frontmatter
336. Benigne Dermatosen bei Neugeborenen und Säuglingen
Zusammenfassung
Die Haut erfüllt mehrere Funktionen. Sie dient als physikalische und chemische Barriere, produziert Talg und reguliert über die Abdunstung durch Schweißbildung den Wärmehaushalt. Während bei der Geburt die Talgproduktion gut entwickelt ist (außer bei Frühgeborenen), haben die anderen Funktionen noch nicht ihre Reife erreicht. Diese Unreife der kutanen Physiologie hat tief greifende Konsequenzen.
Regina Fölster-Holst, Thomas Bieber, Astrid Steen
337. Bakterielle Infektionen der Haut
Zusammenfassung
Bei der Impetigo contagiosa handelt es sich um eine hochkontagiöse, oberflächliche Infektion der Haut, die durch die Besiedlung von Staphylokokken oder Streptokokken verursacht wird. Man unterscheidet einen kleinblasigen Typ, bestehend aus kleinen, rasch platzenden Bläschen, die in der Regel durch β-hämolysierende Streptokokken verursacht werden, und einen durch Staphylococcus aureus (Phagentyp 71) hervorgerufenen Typ mit Ausbildung größerer, schlaffer Blasen und typischer honiggelber Krustenbildung. Dieser großblasige Typ wird sehr häufig epidemieartig in Schulen und Kindergärten angetroffen. Die befürchtete Impetigo-Nephritis (meist durch Streptokokken verursacht) wird heute nur noch selten gesehen.
Regina Fölster-Holst, Thomas Bieber, Astrid Steen
338. Virale Infektionen der Haut
Zusammenfassung
Warzen werden durch HPV (humane Papillomviren) hervorgerufen und treten sehr oft bei Kindern und Jugendlichen auf. Bei einer besonders starken Ausdehnung der Warzen sollte auch an eine Immundefizienz gedacht werden. Die Warzen werden durch verschiedene HPV-Genotypen (mittlerweile >100) verursacht. Sehr oft erfolgt die Infektion in Schulen und Schwimmbädern bzw. Turnhallen.
Regina Fölster-Holst, Thomas Bieber, Astrid Steen
339. Mykosen der Haut
Zusammenfassung
Hefen und Dermatophyten können bei Kindern unterschiedliche Hautkrankheiten auslösen, wobei wie bei Virusinfektionen prädisponierende Faktoren, beispielsweise Diabetes und Immundefizienz unter Umständen eine wichtige Rolle spielen.
Regina Fölster-Holst, Thomas Bieber, Astrid Steen
340. Epizoonosen
Zusammenfassung
Der ausschließlich anthropophile Milbenbefall durch Sarcoptes scabiei tritt meist epidemieartig in der Bevölkerung auf. Das ca. 0,4 mm große Weibchen legt täglich bis zu 4 Eier in den sog. Milbengängen der Epidermis. Nach Ausreifung über das Larven- und Nymphenstadium entstehen dann weitere geschlechtsreife Milben nach ca. 3 Wochen. Diese Epizoonose ist leicht übertragbar, entweder direkt durch Körperkontakt oder wesentlich seltener indirekt über Bekleidung bzw. Bettwäsche.
Regina Fölster-Holst, Thomas Bieber, Astrid Steen
341. Lichtdermatosen
Zusammenfassung
Die insbesondere im Sommer häufig auftretende fototoxische Dermatitis durch Riesenbärenklau und die Wiesengräserdermatitis (Dermatitis pratensis) wird durch den Kontakt der feuchten Haut mit fototoxischen Substanzen (z. B. Furocumarine) der Pflanzen verursacht.
Regina Fölster-Holst, Thomas Bieber, Astrid Steen
342. Ekzematöse Dermatosen
Zusammenfassung
Ekzemkrankheiten sind primär epidermale oder dermale entzündliche Reaktionen auf einen äußeren oder hämatogenen Reizfaktor.
Regina Fölster-Holst, Thomas Bieber, Astrid Steen
343. Urtikarielle Dermatosen
Zusammenfassung
Der Begriff Urtikaria bezeichnet eine heterogene, durch Quaddeln charakterisierte Gruppe von Krankheiten. Es lassen sich klassischerweise 2 Formen unterscheiden. Die akute Urtikaria ist der häufigste Urtikariatyp und verläuft meist über 2–6 Wochen. Sie kann sowohl durch Infektionen als auch durch allergische (IgE-vermittelte) oder pseudoallergische Reaktionen ausgelöst werden. In der Regel handelt es sich um Substanzen, die oral aufgenommen wurden. Bei der chronischen Urtikaria (>6 Wochen Dauer) sind mehrere auslösende Faktoren bekannt, unter anderem physikalische Noxen (Kälte, Wärme, Druck), Störungen im Prostaglandinstoffwechsel (verstärkt durch Aspirin), typische Allergien wie auch Pseudoallergien sowie Infektionen oder Systemerkrankungen. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass in mehr als 80 % der chronischen Urtikariafälle keine Ursache gefunden wird und die Krankheit mittlerweile als Autoimmunkrankheit erkannt wurde, bei der Antikörper gegen den hochaffinen Rezeptor für IgE (FcRI) gerichtet sind.
Regina Fölster-Holst, Thomas Bieber, Astrid Steen
344. Erythematosquamöse Krankheiten
Zusammenfassung
Die Psoriasis ist als eine der häufigsten Hautkrankheiten bei ca. 2 % der Bevölkerung anzutreffen. Immungenetische Untersuchungen konnten zeigen, dass, in Anlehnung an Diabetes mellitus, 2 verschiedene Typen der Psoriasis vulgaris unterschieden werden können: Typ 1 mit einer meist positiven Familienanamnese und einem Beginn im Kindes- bzw. Jugend- und frühen Erwachsenenalter und Typ 2 meist ohne Familienanamnese und mit Krankheitsbeginn jenseits des 40.–50. Lebensjahres. Daraus ergeben sich auch bestimmte Assoziationen mit einzelnen HLA-Haplotypen, wie z. B. Cw6 (PSORS1). Weitere Genloki wurden auf 17q (PSORS2), 4q (PSORS3), 1q (PSORS4), 3q (PSORS5) sowie 19p (PSORS6) gefunden. Interessant ist auch die Gemeinsamkeit einiger dieser Loki mit denen des atopischen Ekzems.
Regina Fölster-Holst, Thomas Bieber, Astrid Steen
345. Papulöse und nodöse Krankheiten
Zusammenfassung
Das Granuloma anulare, eine bei Kindern gehäuft auftretende granulomatöse Dermatose, kann gelegentlich mit einer diabetischen Stoffwechselneigung assoziiert sein.
Regina Fölster-Holst, Thomas Bieber, Astrid Steen
346. Erworbene bullöse Autoimmunerkrankungen
Zusammenfassung
Die erworbenen bullösen Krankheiten im Kindesalter sind relativ selten und klinisch in der Regel sehr schwer voneinander zu unterscheiden. Die diagnostische Klärung erfolgt in der Regel über die direkte Immunfluoreszenz oder das sog. Immunomapping und/oder Immunoblotting. Im Wesentlichen ist wie im Erwachsenenalter zwischen den Erkrankungen der Pemphigus- und der Pemphigoid-Gruppe zu unterscheiden, die aufgrund der Höhe der Spaltbildung bzw. der Zielstrukturen zu differenzieren sind.
Regina Fölster-Holst, Thomas Bieber, Astrid Steen
347. Genodermatosen
Zusammenfassung
In diesem hochkomplexen Bereich der pädiatrischen Dermatologie wurden durch die genetische Forschung in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte im Verständnis der Pathophysiologie erzielt. Bei den Genodermatosen handelt es sich in der Regel um monogene Krankheiten, bei denen funktionell relevante Mutationen zur Generierung von abnormen Strukturproteinen führen.
Regina Fölster-Holst, Thomas Bieber, Astrid Steen, Rainer König
348. Hauttumoren
Zusammenfassung
Pigmentzellnävi werden hervorgerufen durch eine zu große Anzahl und/oder Aktivität der dermalen und/oder epidermalen Melanozyten. Bei den Café-au-Lait-Flecken handelt es sich um rundliche bis ovale, homogene, pigmentierte, milchkaffeefarbene Flecken. Finden sich mehr als 5 größere dieser an sich harmlosen Flecken, so kann dies, insbesondere in Kombination mit sommersprossenartigen Hyperpigmentierungen in den Axillen, ein Hinweis auf das Vorliegen einer Neurofibromatose sein. Epheliden, sog. Sommersprossen, sind sehr kleine, gelb bis bräunliche, scharf begrenzte Pigmentflecken, die häufiger bei rothaarigen Menschen zu finden sind und durch UV-Licht im Sommer besonders deutlich hervortreten. Davon abzugrenzen sind Lentigines, die den Sommersprossen ähneln, aber meist dunkler und bis linsengroß sind und lichtunabhängig entstehen. Bei plötzlicher Aussaat und Auftreten zahlreicher Lentigines spricht man von einer Lentiginose, die auch auf innere Veränderungen hinweisen kann, wie z. B. beim LEOPARD-Syndrom.
Regina Fölster-Holst, Thomas Bieber, Astrid Steen
349. Acne vulgaris bei Jugendlichen
Zusammenfassung
Die meist in der Adoleszenz und im frühen Erwachsenenalter auftretende Akne ist sehr häufig, wobei gewöhnlich der Beginn in das 10.–12. Lebensjahr fällt. Bei früherem Beginn ist mit einem schwereren Verlauf zu rechnen. Der spontane Verlauf der Akne kann sich bis zum 30. Lebensjahr hinstrecken. In der westlichen Hemisphäre kann man davon ausgehen, dass 60–80 % der 12- bis 25-Jährigen von Akne betroffen sind.
Regina Fölster-Holst, Thomas Bieber, Astrid Steen
350. Krankheiten der Hautanhangsgebilde
Zusammenfassung
Die Alopecia areata, eine nichtvernarbende Alopezie, kann in jedem Lebensalter auftreten, insbesondere bei Kindern im Schulalter. Es handelt sich offensichtlich um eine Autoimmunaggression zytotoxischer Lymphozyten gegen Bestandteile des Follikelapparats. Bei länger bestehender Krankheit kann es zur irreversiblen Zerstörung des Follikels kommen.
Regina Fölster-Holst, Thomas Bieber, Astrid Steen
351. Krankheiten des Nagelorgans
Zusammenfassung
Angeborene oder erworbene Erkrankungen des Nagelorgans sind bei Kindern relativ selten. Wie bei Erwachsenen stellen diese sehr oft diagnostische und therapeutische Herausforderungen dar. Die gründliche körperliche Untersuchung sollte stets die Untersuchung der Nägel beinhalten, da sie gegebenenfalls wichtige Hinweise für angeborene, meist monogenetische Erkrankungen oder weitere erworbene, meist entzündliche Dermatosen liefern.
Regina Fölster-Holst, Thomas Bieber, Astrid Steen

Materialien

Frontmatter
352. Arzneimitteltabellen für die Pädiatrie
Zusammenfassung
Die in den folgenden Tabellen des Kapitels aufgeführten Angaben zur Medikation wurden sorgfältig geprüft. Dennoch können Herausgeber, Autoren und Verlag keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben übernehmen. Denn medizinische Diagnostik und Therapie unterliegen einem laufenden Wandel und insbesondere neuen Erkenntnissen durch Forschung und klinische Erfahrung. Aus diesem Grunde besteht die Verpflichtung des Benutzers dieser Liste, anhand der Literatur und insbesondere auch der Beipackzettel zu verschriebenen Präparaten zu überprüfen, ob die in diesem Buch gemachten Angaben damit übereinstimmen. In jedem Fall und insbesondere auch bei Abweichungen erfolgen die therapeutische Behandlung und auch die Verschreibung von Medikamenten in eigener Verantwortung des Arztes.
Tobias Ankermann
353. Dosierungstabellen für Digitalispräparate in der Kinderkardiologie
Zusammenfassung
Die in den folgenden Tabellen aufgeführten Angaben zur Medikation wurden sorgfältig geprüft. Dennoch können Herausgeber, Autoren und Verlag keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben übernehmen. Denn medizinische Diagnostik und Therapie unterliegen einem laufenden Wandel und insbesondere neuen Erkenntnissen durch Forschung und klinische Erfahrung. Aus diesem Grunde besteht die Verpflichtung des Benutzers dieser Liste, anhand der Literatur und insbesondere auch der Beipackzettel zu verschriebenen Präparaten zu überprüfen, ob die in diesem Buch gemachten Angaben damit übereinstimmen. In jedem Fall und insbesondere auch bei Abweichungen erfolgen die therapeutische Behandlung und auch die Verschreibung von Medikamenten in eigener Verantwortung des Arztes.
Tobias Ankermann
354. Pädiatrisch relevante Arzneimittelinteraktionen
Zusammenfassung
Unter Interaktion oder Wechselwirkung von zwei oder mehr Substanzen wird die quantitative oder qualitative Änderung der Wirkung der Substanzen verstanden. Diesen Änderungen der Wirkung können Veränderungen der Pharmakokinetik (Absorption, Biotransformation, Verteilung, Ausscheidung) oder der Pharmakodynamik zugrunde liegen. Die pharmakodynamischen Mechanismen von Interaktionen können rezeptor- oder nichtrezeptorvermittelt sein. Eine Klassifikation von Interaktionen erfolgt entweder nach dem Effekt (additiv, synergistisch, potenzierend, antagonisierend) oder dem Mechanismus (funktionell, chemisch, dispositionsbedingt, rezeptorvermittelt). Auch pharmakologisch indifferente Bestandteile von Arzneistoffen können zu Wechselwirkungen führen.
Tobias Ankermann
355. Grundlagen der Laboranalytik in der Pädiatrie
Zusammenfassung
Der Prozess der Messwerterstellung wird systematisch in drei Abschnitte unterteilt, die als präanalytische, analytische und postanalytische Phase bezeichnet werden. In jeder dieser Phasen können typische Probleme auftreten, die zu falschen Laborergebnissen führen. Durch den technischen Fortschritt und die Etablierung eines weitgehend flächendeckenden Qualitätsmanagements wurden die analytischen und postanalytischen Fehler auf ein Minimum reduziert. Etwa zwei Drittel aller Fehler können auf die Präanalytik zurückgeführt werden.
Johannes Lotz
356. Ausgewählte Referenzwerte in der Pädiatrie
Zusammenfassung
Die vorliegenden Tabellen zeigen ausgewählte Referenzwerte für die Pädiatrie. Vereinzelt wurden die in der zitierten Literaturstelle angegebenen Altersgruppen zusammengefasst und gerundet, um die Struktur der Tabellen zu erhalten. Dies erfolgte jedoch nur, wenn keine medizinische Relevanz zu erwarten war.
Johannes Lotz
Backmatter
Metadaten
Titel
Pädiatrie
herausgegeben von
Prof. Dr. Georg F. Hoffmann
Prof. Dr. Michael J. Lentze
Prof. Dr. Jürgen Spranger
Prof. Dr. Fred Zepp
Prof. Dr. Reinhard Berner
Copyright-Jahr
2020
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-662-60300-0
Print ISBN
978-3-662-60299-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-60300-0

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