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Addison-Krankheit

Verfasst von: Heike Kaltofen, Uta Emmig, Dierk A. Vagts und Peter Biro
Addison-Krankheit.
Synonyme
Morbus Addison; Primäre Nebennierenrindeninsuffizienz (NNI); Bronze(haut)krankheit; Melasma suprarenale; Hypokortisolismus; Bernard-Sergent-Sy bei vorwiegender gastroenteraler und/oder hämodynamischer Manifestation
Oberbegriffe
Endokrine Dysfunktion, Autoimmunerkrankung.
Organe/Organsysteme
Nebennierenrinde, Endokrinium.
Inzidenz
Keine Angaben verfügbar.
Ätiologie
Heterogen. Unterschieden wird die erworbene Form (Z. n. Adrenalektomie beidseits, NNR-Gewebeverlust durch Tumormetastasierung, septische Herde, medikamentös durch z. B. Etomidat oder Ketoconazol) von der erblichen Form (X-chromosomal rezessiv).
Pathomechanismus der primären NNI: Idiopathische Atrophie der Nebennierenrinde. Die Störung ist in der Nebenniere lokalisiert. Ursache: Autoimmunerkrankungen (ca. 80–90 % der Fälle) oder Destruktion durch Tuberkulose, Einblutungen im Rahmen einer Sepsis (Verbrennungen), Durchblutungsstörungen durch Mikroembolien (HIT), selten Karzinome oder Amyloidose.
Pathomechanismus der sekundären NNI: Suppression der hypothalamisch-hypophysären Achse (ACTH-Mangel) führt zu einer Nebennierenhypoplasie. Ursachen: exogene Kortikoidzufuhr über längeren Zeitraum, Hypophyseninsuffizenz (z. B. Tumoren).
Eine lebensbedrohliche Addison-Krise kann bei kurzfristigem Wegfall einer chronischen Kortikoidzufuhr entstehen.
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
Nicht zu verwechseln mit Addison-Biermer-Sy (historische Bezeichnung der Vit.-B12-Mangelanämie, perniziöse Anämie).

Symptome

Zu unterscheiden ist zwischen den Folgen einer chronischen Nebenniereninsuffizienz und der akuten Addison-Krise.
Die klinischen Symptome sind durch einen Mangel von Aldosteron, Kortisol sowie der Androgene Androstenedion und Dehydroepiandrosteron verursacht: Adynamie, Muskelhypotonie, Erbrechen, Diarrhö, Gewichtsabnahme, orthostatische Kreislaufstörungen, Hypothermie.
Komplexe Störungen des Wasser- und Mineralhaushaltes durch Aldosteronmangel. Natriumverlust und verminderte Kaliumausscheidung mit Hyperkaliämie, Hypotension, Hypovolämie. Der Kortisolmangel führt zu Störungen des Kohlenhydrat-, Fett- und Proteinmetabolismus.
In der akuten Addison-Krise: Kraftlosigkeit, profunde Asthenie, generalisierte Schmerzen, Hypoglykämie, Hypotonie, ggf. Nierenversagen mit Azotämie, Bewusstseinstrübung, Koma. Die Addison-Krise wird meist durch eine akute Infektion, Sepsis, Trauma, operative Eingriffe oder durch Natriumverlust bei verstärktem Schwitzen ausgelöst.
Im EKG kann ein verlängertes PR- und QT-Intervall vorliegen.
Vergesellschaftet mit
Typische klinische Zeichen: Bräunliche Hautpigmentierung (typischerweise an Druckstellen und Handlinien), Bronzehaut. Apathie oder verstärkte Reizbarkeit.
In Kombination mit Hypoparathyreoidismus liegt ein H-A-M-Sy vor, in Kombination mit Hirnsklerose im Kindesalter ein Fanconi-Prader-Sy. Beschrieben sind weitere mögliche Assoziationen mit Leukodystrophie (sog. Adrenoleukodystrophie), autoimmuner Hashimoto-Thyreose oder Leberzirrhose.
Therapie
Die Therapie der chronischen Nebenniereninsuffizienz besteht in der täglichen Gabe von Hydrokortison, 40 mg p.o. sowie 0,05–0,2 mg Fludrocortison (Mineralokortikoid). Bei gleichzeitiger Einnahme von Medikamenten, die den hepatischen Metabolismus beschleunigen, ist ggf. eine Dosiserhöhung erforderlich.
In der akuten Addison-Krise: Gabe von Hydrokortison 100 mg i.v., dann alle 6 h 50–100 mg i.v. Nach Stabilisierung der klinischen Symptomatik langsame Dosisreduktion über mehrere Tage bis zum Erreichen der Erhaltungsdosis von 30 mg/Tag. Bei Vorliegen von Dehydratation und Hyponatriämie Gabe von NaCl 0,9 % sowie Glukose 5 %. Bei akuter Hyperkaliämie Kalzium i.v. und ggf. Glukose-Insulin-Dauerinfusion bis zur langsamen Elektrolytstabilisierung. Im Falle von Fieber antipyretische Therapie, um eine weitere Dehydratation zu vermeiden.

Anästhesierelevanz

Gestörten Volumenhaushalt beachten! Vorsicht bei bestehender Dehydratation und plötzlicher Sympathikolyse durch Spinalanästhesie!
Herzmuskelschwäche und Dehydratation können eine Verminderung des Herzminutenvolumens bewirken.
Durch Katecholamin- und Volumengabe ist kaum ein positiver Effekt zu erzielen. Bei Stress ist keine zusätzliche Bereitstellung von Katecholaminen möglich.
Spezielle präoperative Abklärung
Elektrolyte, Hormonspiegelbestimmung, Glukosetagesprofil.
Wichtiges Monitoring
Invasives Monitoring, EKG, Relaxometrie, Temperatur, engmaschige Elektrolyt- und Blutzuckerkontrollen. Perioperative Intensivüberwachung.
Vorgehen
Der perioperative Ersatz von Hydrokortison ist zwingend erforderlich. In Abhängigkeit von der Größe des operativen Eingriffs muss eine Erhöhung der Hydrokortisondosis (max.100 mg/ 24 Std) vorgenommen werden. Eine Substitution mit Mineralokortikoid ist nicht nötig, wenn die Hydrokortisongabe >50 mg/Tag beträgt. Behandlung einer bestehenden Hypovolämie, Hyperkaliämie und Hyponatriämie. Es gibt keine speziellen Einschränkungen für bestimmte Anästhesieverfahren. Bei ungenügender Substitution mit Kortikoiden ist das Ansprechen des Herz-Kreislauf-Systems auf vasoaktive Medikation (insbesondere auf Katecholamine) eingeschränkt. Wichtig ist eine engmaschige Überwachung und Korrektur des Volumen- und Elektrolytstatus. Bei bestehender Muskelschwäche muss eine Restrelaxierung unbedingt vermieden werden.
Cave
Addison-Krise. Succinylcholin führt zu zusätzlicher Kaliumfreisetzung.
Weiterführende Literatur
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