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Erkrankungen durch ionisierende Strahlen

Verfasst von: Ralf Uwe Peter
Ionisierende Strahlung führt insbesondere bei akzidentellen Expositionsszenarien mit inhomogener Teilkörperexposition (Kernkraftwerksunfälle, Kontamination mit Nukliden oder Strahlenquellen in der Industrie oder der Medizin, terroristischem Einsatz „schmutziger Bomben“, Herzkatheteruntersuchungen) zu einer charakteristischen Abfolge klinischer Symptome, die durch entzündliche Prozesse, und durch die strahleninduzierte Proliferationshemmung teilungsaktiver Zellen bedingt sind und in ihrer Gesamtheit als kutanes Strahlensyndrom bezeichnet werden. Nach wenigen Minuten bis zu einigen Stunden nach Exposition kommt es zu einem etwa 48 h persistierenden Prodromalstadium mit Rötung und Juckreiz der betroffenen Hautareale. Wenige Tage bis zu 4 Wochen nach Exposition schließt sich das Manifestationsstadium an, das mit intensiver Rötung, Blasenbildung und Hautnekrosen einher- und fließend in das von einer Vaskulititis tief dermaler und subkutaner Gefäße gekennzeichnete subakute Stadium übergeht. Mehrere Monate bis Jahre nach Exposition kommt es im Spätstadium zu epidermaler Atrophie und einer chronisch progredienten subkutanen Fibrose, mit Verlust der Talg- und Schweißdrüsen und einer meist permanenten Atrophie der Haarfollikel. Sekundäre Neoplasien treten meist in den klinisch unauffälligen Nachbararealen der initial betroffenen Hautpartie auf. Eine initiale entzündungshemmende Therapie (mittels topischer und systemischer Steroide) vermag die Ausprägung des Manifestationsstadiums wie auch der Folgestadien abzumildern. Im chronischen Stadium stehen antifibrotisch wirksame Therapeutika (Interferon-γ, Pentoxyfillin) zur Verfügung. Eine lebenslange Nachsorge betroffener Patienten ist erforderlich.
Einführung
Die Anwendung ionisierender Strahlung zur Behandlung gutartiger Erkrankungen ist in den letzten Jahren in der Dermatologie zunehmend zurückgegangen. In der Vergangenheit wurde ionisierende Strahlung beispielsweise zur Behandlung der Tinea capitis verwendet, als wirksame antimykotische systemische Therapeutika noch nicht zur Verfügung standen. In medizinischen Museen können heute die alten Helme besichtigt werden, die zur Expositionskontrolle der verschiedenen Quadranten der Kopfhaut mittels Gleitverschlüssen eingesetzt wurden.
In ähnlicher Weise wurde Röntgentherapie zur Behandlung der Akne wegen ihres sebostatischen Effekts eingesetzt, der erst die systemische Retinoidtherapie überlegen war. In fortgeschrittenem Alter weisen diese Patienten ein erhöhtes Risiko für Schilddrüsen- und Brustkrebs auf.
Die Wirkungen einer Langzeitexposition mit erheblich niedrigeren Dosen konnten an den Fingern von Zahnärzten beobachtet werden, die während einer Zahnaufnahme die Röntgenfilme in Position hielten, an den Händen von Kardiologen, die mit den ersten Fluoroskopieanlagen experimentierten und sogar an den Füßen von Schuhverkäufern, die ihren Kunden an Fluoroskopiegeräten den Sitz ihrer Schuhe demonstrierten.
Auch die Anwendung ionisierender Strahlung ohne ärztliche Überwachung kann Probleme verursachen. Wegen der früher gebräuchlichen Epilationsbehandlung wie beim Damenbart durch nichtärztliches Personal, sollte bei älteren Frauen mit poikilodermatischen Hautbefunden an Oberlippen und Kinn eine diesbezügliche Anamnese erfolgen.
In ähnlicher Weise erhielten Psoriasispatienten insbesondere bei Nagelpsoriasis gelegentlich exzessive Dosen an den Nägeln, entweder wegen eines zu enthusiastischen Einsatzes der Röntgentherapie durch Ärzte oder weil die Patienten bei Rezidiven einen neuen Arzt aufsuchten, wenn ihr bisheriger Arzt eine weitere Röntgentherapie wegen Erreichens der weitgehend sicheren Gesamtdosis von 5–7 Gy verweigerte.
Trotz zahlreicher Fortschritte im Strahlenschutz gibt es nach wie vor auch in Krankenhäusern ein Risiko einer unerwünschten Strahlenexposition sowohl für das medizinische Personal wie für die Patienten, wobei sich derartige Effekte oft erst mit langjähriger Verzögerung offenbaren. So zeigten sich erst in den 1990er-Jahren, Jahrzehnte nach dem Einsatz von Fluoroskopiegeräten in der Koronarangiografie, die ersten Fälle eines kutanen Strahlensyndroms. Diagnostische Maßnahmen unter Einsatz ionisierender Strahlen sind meist von kurzer Dauer und erfordern nur geringe Strahlendosen pro Untersuchung, aber bei therapeutischen Eingriffen einschließlich der Herzkatheterisierung mit perkutaner transluminaler Koronarangioplastie oder einer Radiofrequenzkatheterablation können Oberflächendosen an der Haut erreicht werden, die ausreichen, um ein kutanes Strahlensyndrom zu induzieren. Als häufigste Fehldiagnose wird in diesen Fällen ein fixes Arzneiexanthem vermutet, da sich die Überexposition der Haut zunächst als scharf begrenzte, schuppende Macula oder Plaque manifestiert. Besonders adipöse Patienten haben diesbezüglich ein höheres Risiko, da bei ihnen für eine exakte Darstellung der Koronargefäße höhere Dosen benötigt werden. Es sollte bedacht werden, dass auch die kontralaterale Austrittsfläche statt der Eintrittsfläche betroffen sein kann.
Natürlich stellt die Strahlentherapie auch eine wesentliche Komponente zahlreicher onkologischer Therapiekonzepte dar. Der zumindest in Europa und den USA erreichte, sehr hohe technische Standard unter Einsatz von computergesteuerten Linearbeschleunigern mit multiplen Eintrittsfenstern statt Röntgengeräten, führte zu einer deutlichen Reduktion der Oberflächendosis und damit therapiebedingter Nebenwirkungen am Hauteintrittsfenster. Allerdings führen einige Chemotherapeutika zu einer zusätzlichen Sensibilisierung der Haut oder anderer Gewebe gegenüber ionisierender Strahlung. Eine seltene, aber charakteristische Nebenwirkung einer onkologischen Chemo- oder Immuntherapie stellt der radiation-recall dar, bei dem es während oder nach der Chemotherapie oder Immuntherapie an in der Vergangenheit bestrahlten Lokalisationen zur Ausprägung eines klinischen Bildes kommen kann, das dem kutanen Strahlensyndrom ähnelt.
Mehrere Monate bis Jahre nach Brustkrebsbestrahlung, selten aber auch nach diagnostischen Maßnahmen unter Einsatz höherer Dosen ionisierender Strahlung, kann es zur Strahlenfibrose im Bestrahlungsfeld kommen, entweder oberflächlich unter dem Bild einer zirkumskripten Sklerodermie oder auch das tiefere Brustgewebe betreffend. In diesen fibrotischen Arealen können sich selten, auch noch Jahrzehnte nach Bestrahlung, ein sklerodermiformes Basalzellkarzinom oder ein Fibrosarkom entwickeln.
Die vaskulären Veränderungen nach Strahlenexposition der Haut umfassen neben harmlosen und kosmetisch störenden oder Juckreiz verursachenden Teleangiektasien und gutartigen Hämangiomen selten auch Angiosarkome, auf deren Entstehung im Rahmen der onkologischen und strahlentherapeutischen Nachsorge geachtet werden muss.
Eine neue ernst zu nehmende Option der akzidentellen Exposition stellt der gezielte Einsatz nuklearen Materials bei Aktivitäten des internationalen Terrorismus oder des organisierten Verbrechens dar. Hierbei sind drei Varianten denkbar, die für den klinischen Dermatologen von unterschiedlicher Relevanz sind:
  • Detonation eines kleinen nuklearen Sprengkörpers, beispielsweise in belebten Innenstädten
  • Einbringung radioaktiver Nuklide, meist kurzer Reichweite, in einen konventionellen Sprengsatz
  • Gezielter Einbau radioaktiver Quellen in Gegenstände des täglichen Gebrauchs (wie Schreibtischstühle, Autositze) zur Elimination von Einzelpersonen
Bei allen Szenarien resultiert eine inhomogene Teilkörperexposition, in deren Rahmen an der Körperoberfläche absorbierte Dosen von 60–100 Gy und mehr erreicht werden. Je nach Natur des Nuklids oder Nuklidgemischs, insbesondere bei geringem Gamma- und Neutronenanteil, ergibt sich bereits nach wenigen Zentimetern ein rascher Dosisabfall, sodass am Knochenmark keine letalen Dosen erreicht werden. Hieraus resultiert, dass bei derartigen Unfällen vor allem die Haut betroffen ist.
Dies gilt nicht nur für α- und β-Strahlen emittierende Quellen, sondern auch für solche, deren Radioaktivität wesentlich durch γ-Strahlung bestimmt ist (137Cs, 60Co). Charakteristisch für solche Unfälle ist, dass initial nicht an die Strahlenexposition gedacht wird und die frühen, oft abortiven Symptome nicht korrekt eingeordnet werden. Somit entsteht die für den Therapeuten paradoxe Situation, dass sich die Patienten oft mit akut behandlungsbedürftigen Erscheinungen erstmals vorstellen, obwohl seit dem Expositionsereignis Tage oder gar Wochen vergangen sind. Die Kenntnis des Ablaufs der pathophysiologischen Reaktionen ist daher von großer Bedeutung für die korrekte Einordnung solcher Befunde und die rechtzeitige Durchführung diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen, die das Auftreten des Vollbildes der kutanen Strahlenreaktion verhindern könnten.
Ätiopathogenese
Ionisierende Strahlung führt nicht nur zur Proliferationshemmung von Stammzellen in regenerativen Geweben, sondern induziert auch die Transkription von proinflammatorischen Zytokinen (Interleukin-1, -3, -5, -6), Tumornekrosefaktor-α, Chemokinen (Interleukin-8, Eotaxin, CCR-3-Rezeptor), Rezeptortyrosinkinasen (EGF-R) und Adäsionsmolekülen (ICAM-1, VCAM und E-Selektin) in epidermalen Keratinozyten, dermalen Fibroblasten und kutanen Endothelzellen.
Die spezifische, durch ionisierende Strahlung induzierte Interaktion dieser Faktoren ruft eine lokale Entzündung hervor, die durch die Rekrutierung und lokale Akkumulation von zirkulierenden neutrophilen und eosinophilen Granulozyten selbst perpetuierend bis zum Gewebsuntergang vonstattengeht. Daneben kommt es zur Hemmung der Proliferation epidermaler Stammzellen.
Pathophysiologisch liegen somit dem früh und spät auftretenden Manifestationsstadium zwei völlig unterschiedliche Vorgänge zugrunde. Entsteht das Manifestationsstadium nach nur wenigen Tagen, handelt es sich um eine ausgeprägte entzündliche Reaktion, hervorgerufen durch die radiogene transkriptionelle Aktivierung proinflammatorischer Zytokine in epidermalen und dermalen Zellen. Ein erst nach 3–4 Wochen erkennbares Manifestationsstadium ist durch die Proliferationshemmung epidermaler Stammzellen und dem daraus folgenden epidermalen Defekt bedingt. Im weiteren Verlauf kommt es zur Expression hauptsächlich von transformierenden Wachstumsfaktor (TGF) β1 in den dermalen und subkutanen Fibroblasten mit einer konsekutiven Kollageninduktion. Im chronischen Stadium zeigt sich das Bild einer lymphozytären fibrosierenden Entzündung.
Klinik
1993 wurde auf der Second Consensus Development Conference for the Diagnosis and Treatment of Radiation Injuries beschlossen, einheitlich den Begriff kutanes Strahlensyndrom (Peter 1993) (cutaneous radiation syndrome, CRS) mit den Stadien Prodromalerythem (prodromal erythema), Manifestationsstadium (manifestational stage), subakutes Stadium (subacute stage), chronisches Stadium (chronic stage) zu verwenden.
Wenige Stunden nach Exposition erscheint an der betreffenden Lokalisation ein flüchtiges Prodromalerythem. Es verschwindet nach maximal 36 h und kann von Juckreiz und brennenden Missempfindungen begleitet sein.
Mit einer Latenz von wenigen Tagen bis zu 3 Wochen tritt entweder mit einer intensiven Rötung oder subepidermalen Blase das Manifestationsstadium auf, das nahtlos in eine nekrotisierende Entzündung übergehen kann.
Bei ausgeprägter Exposition kann sich übergangslos, mit oder ohne zusätzliche Latenzphase, das durch eine radiogene Vaskulitis tiefer subkutaner und muskulärer Gefäße bedingte subakute Stadium anschließen. Entgegen dem Manifestationsstadium ist das damit verbundene Erythem lokalisationsbedingt von einer livideren Komponente gekennzeichnet.
Zwischen 3 Monaten und 2 Jahren nach Exposition deutet eine zunehmende Verhärtung der Haut auf die klinische Manifestation des chronischen Stadiums hin (Abb. 1 und 2). Vorherrschendes und klinisch im Vordergrund stehendes Symptom ist die ausgeprägte dermale und subkutane Fibrose, die mit einer Pseudoatrophie des subkutanen Fettgewebes verbunden ist. Die Fibrose führt zur zunehmenden Einengung der Gefäße mit resultierenden lokalen Zirkulationsstörungen; trophische Ulzerationen sind die Folge. Eine ausgeprägte epidermale Atrophie, fokale Keratosen und ausgeprägte Teleangiektasien der oberen dermalen Gefäße ergänzen das klinische Bild (Abb. 3). Die Haut ist in diesem Stadium aufgrund degenerierter Talg- und Schweißdrüsen außerordentlich trocken und weist einen erhöhten transepidermalen Wasserverlust auf. Der Lipidgehalt ist vermindert.
Jahre und Jahrzehnte nach Exposition können im Spätstadium des kutanen Strahlensyndroms neue Teleangiektasien und Ulzerationen auftreten.
Lokalisationsspezifische Besonderheiten
Im Bereich von Gesicht und männlichem Genitale sind Besonderheiten zu beachten.
Exposition des Gesichts
Hier ist besonders an die Mitbeteiligung der Augen und die Gefahr einer Strahlenkatarakt zu denken. Eine radiogene Mukositis der Mund- und Nasenschleimhäute ist auszuschließen.
Exposition des männlichen Genitale
Die radiogene Schädigung des Hodens mit der Folge einer temporären oder permanenten Infertilität ist wahrscheinlich. Hinweisend ist ein Anstieg des follikelstimulierenden Hormons FSH im Serum. Bei Arbeitsunfällen mit Strahlenexposition sollte es unmittelbar nach dem Unfall und einige Wochen später bestimmt werden, um die Berechtigung entsprechender Entschädigungsansprüche im Rahmen gutachtlicher Stellungnahmen adäquat bewerten zu können. Frühzeitig in den ersten Tagen nach der Exposition sollte eine Kryokonservierung der noch fertilen, in den Nebenhodengängen vorhandenen Spermien angestrebt werden, um im Falle noch bestehenden Kinderwunschs bei einer möglicherweise dauerhaften radiogenen Infertilität eine homologe Insemination zu ermöglichen.
Diagnostisches Vorgehen
Im Prodromalstadium sind die Beschreibung und, wenn möglich, exakte Dokumentation des klinischen Bilds, insbesondere für spätere eventuelle gutachtliche Fragestellungen, von erheblicher Bedeutung, da die Ausdehnung des Prodromalerythems hinweisend auf die zu erwartende betroffene Körperoberfläche, aber nicht auf die zu erwartende Intensität im Manifestations- und das Ausmaß der zu erwartenden Behinderung im chronischen Stadium ist.
Die Ausdehnung und Intensität des Prodromalerythems korrelieren nicht mit der zu erwartenden Intensität des Manifestationsstadiums.
Im Manifestationsstadium kommen neben der klinischen Befunddokumentation vor allem nichtinvasive Methoden, wie hochfrequente Sonografie, Thermografie, Magnetresonanztomografie (mit Kontrastmittel), zur Diagnosesicherung und zur Beurteilung der zu erwartenden Intensität und des prognoserelevanten Nekroserisikos in Betracht. Der Zeitpunkt des Auftretens nach Exposition (sofern bekannt oder rekonstruierbar) gibt wichtige Hinweise auf die zu erwartende Stärke der Reaktion.
Verlauf
Im Gegensatz zu Verbrennungen ist die Fibrose im chronischen Stadium des kutanen Strahlensyndroms im Grundsatz chronisch progredient.
Sekundäre Tumoren kommen wie nach thermischen Verbrennungen, chemischen Verätzungen oder physikalischen Traumen der Haut auch nach akzidenteller Exposition mit ionisierenden Strahlen vor. Sowohl ihre Frequenz als auch ihr Verteilungsmuster werden erfahrungsgemäß erheblich fehleingeschätzt. In Hautarealen mit sehr ausgeprägter Hochdosisexposition sind sekundäre Tumoren sehr selten. In Übergangsregionen zu klinisch unauffälliger Haut werden sie mit einer Frequenz von bis zu 10 % der betroffenen Patienten und Latenzen von bis zu 30 Jahren nach Exposition beobachtet.
Die häufigsten kutanen Tumoren nach Exposition der Haut mit ionisierenden Strahlen stellen Basalzell- und Plattenepithelkarzinome dar, wobei Erstere etwa 5-mal häufiger sind. Sarkome der Dermis oder Angiosarkome sind Raritäten. Maligne Melanome wurden nach akzidenteller Strahlenexposition nie beobachtet.
In der Begutachtung ist es wichtig, die Möglichkeit von Kombinationsschäden (wie kutanes Strahlensyndrom in sonnenlichtexponierten Arealen) zu berücksichtigen, da sich hierdurch die Risikobewertung insbesondere für maligne Melanome deutlich ändert.
Hinsichtlich der Verteilung strahleninduzierter kutaner Tumoren ergibt sich analog zur Situation bei strahleninduzierten Leukämien eine offenbar fehlende Linearität der Dosis-Wirkungs-Beziehung im Hochdosisbereich. Gerade in Hautarealen, die deutliche Symptome des chronischen Stadiums des kutanen Strahlen-Syndroms zeigten, konnten bei Überlebenden verschiedener Unfälle nie sekundäre Tumoren beobachtet werden. Diese fanden sich bei diesen Patienten vor allem in Hautarealen, die keinerlei klinische Zeichen einer Strahlenexposition zeigten, für die jedoch gut dokumentierte Evidenz bestand, dass Expositionen <2 Gy (Einzeldosis) stattgefunden hatten.
Therapie
Tritt das kutane Strahlensyndrom als Folge einer Kontamination der Haut mit radioaktiven Nukliden auf, muss vor Therapiebeginn dekontaminiert werden. Dies erfolgt nach Entfernen der Kleidung (trivial, aber immer wieder vergessen), die oft bereits bis zu 80 % der Oberflächenradioaktivität enthält, mittels lauwarmen Wassers, dem bestenfalls ein pH-neutrales Syndet zugesetzt wird. Je nach Zusammensetzung der kontaminierenden Nuklide werden spezifische, topisch anwendbare Ionenaustauscher und Chelatbildner eingesetzt. Hyperämisierende Maßnahmen und lipophile Externa sind vor Dekontamination kontraindiziert, da sie die Resorption radioaktiver Partikel verstärken.
Im Prodromalstadium können topische nicht atrophogene Glukokortikoide und Antihistaminika eingesetzt werden.
Ist angesichts der Ausdehnung des Prodromalerythems ein lebensbedrohliches (mehr als 10 % Körperoberfläche) Manifestationsstadium zu erwarten, sollten bereits in der Latenzphase hochdosiert topisch und systemisch Glukokortikoide (1–10 mg Methylprednisolon/kg KG/Tag) eingesetzt werden, um die Ausprägung des Manifestationsstadiums zu attenuieren.
Während des Manifestationsstadiums muss die Therapie verbrennungsmedizinische Erkenntnisse berücksichtigen (Flüssigkeitsersatz, Analgesie, Infektprophylaxe). Kommt es zu hämorrhagischen Nekrosen, sind diese häufig mit Problemkeimen kontaminiert, möglicherweise als Ausdruck der reduzierten Immunabwehr.
Demarkierte Nekrosen können chirurgisch abgetragen werden. Für die Defekte kommen die Prinzipien der feuchten Wundbehandlung zur Anwendung. Die früher geübte großzügige Umschneidung lässt sich durch eine effiziente präoperative antiinflammatorische Behandlung oft vermeiden.
Im Gegensatz zu Strahlenulzera nach einer Röntgentiefen- oder Elektronentherapie können operative Defekte nach kontaminationsbedingter Strahlenexposition der Haut durch Nuklide kurzer Reichweite auch mit Spalthaut- und Vollhauttransplantaten gedeckt werden, da die tiefen muskulären und subkutanen Gefäße noch intakt sind.
In der Therapie des chronischen Stadiums wurden erhebliche Fortschritte erzielt. Die Fibrose lässt sich entweder durch eine Kombinationstherapie mit Vitamin E (Tocopherol 500 mg/Tag) und Pentoxyfyllin (3-mal 400 mg/Tag) für 6–18 Monate oder durch die subkutane Injektion von Interferon-γ (Imukin, 3–6 Mio. IE subkutan 3-mal/Woche) für 3–12 Monate behandeln. Der Erfolg einer Behandlung mit Interferon-γ setzt schneller, etwa nach 8–12 Wochen ein. Die Therapie mit Pentoxyfyllin und Vitamin E ist erheblich preiswerter und stellt weniger Anforderungen an die Logistik (keine Kühlkette), allerdings ist ein Wirkungseintritt frühestens nach 5–6 Monaten zu erwarten. Dies ist bei der Aufklärung der Patienten zu berücksichtigen. Neuerdings wurden im Tierversuch Erfolge mit intramuskulär injizierten autologen adipösen Stammzellen bei der Therapie des kutanen Strahlensyndroms berichtet. Systematische Untersuchungen dieses therapeutischen Ansatzes am Menschen stehen aus.
Keratosen können mit topischen Retinoiden behandelt werden. Ob der Übergang in Plattenepithelkarzinome durch deren Einsatz verhindert oder minimiert werden kann, ist zwar denkbar, bisher aber nicht sichergestellt.
Eine effiziente Rehydratation mit rückfettenden, linolsäure- und harnstoffhaltigen Externa ist entscheidend, um dem ständigen transepidermalen Wasserverlust zu begegnen.
Die im chronischen Stadium häufigen Teleangiektasien sind bei stärkerer Ausprägung oft mit brennenden Missempfindungen und einem ständigen lokalen Hitzegefühl assoziiert, was die Patienten erheblich stören kann. Hieraus ergibt sich eine relative Indikation zur Lasertherapie der Teleangiektasien beispielsweise mit Diodenlasern.
Grundsätzlich bedürfen Patienten, die an einem kutanen Strahlensyndrom leiden, einer lebenslangen Therapie und Nachsorge.
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Erstbeschreiber
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