Grundlagen
Therapie
Isotretinoin
Isotretinoin
(
13-cis-Retinsäure), das Stereoisomer der
all-trans-Retinsäure, ist das einzige orale Retinoid zur Aknetherapie. Es wird meist als Monotherapie eingesetzt. Isotretinoin hemmt alle pathogenetischen Hauptfaktoren der Akne: die gesteigerte Synthese der Talgdrüsenlipide (>90 %), Hyperkolonisierung von
P. acnes, Komedonenbildung und Entzündung. Isotretinoin ist das wirksamste Aknetherapeutikum und für schwere, therapieresistente Akneformen, insbesondere Acne conglobata und Acne fulminans, oft notwendig. Entsprechend der Europäischen Direktive (EMEA) zur Verschreibung von systemischem Isotretinoin bei Akne ist die Substanz nur bei schweren Formen der Akne indiziert, die sich gegenüber adäquaten Standardtherapien mit systemischen
Antibiotika und
topischer Therapie als resistent erwiesen haben.
Isotretinoin wirkt dosisabhängig sebumsuppressiv, exfoliativ oder komedolytisch, antikomedogen und antiinflammatorisch. Der primäre Wirkungsmodus ist die
Apoptose von Sebozyten. Isotretinoin wird als
Prodrug in der Zelle zur
all-trans-Retinsäure isomerisiert, die nach Bindung an zelluläres Retinsäurebindungsprotein-2 (CRABP-2) in den Zellkern transloziert und hier nach Aktivierung von Retinsäurerezeptoren proapoptotische Transkriptionsveränderungen (Induktion von TRAIL) unter Vermittlung von FoxO-Proteinen induziert. Die Reduktion des Sebums beeinträchtigt Wachstum, Biofilmbildung und Aktivität von
P. acnes. Isotretinoin vermindert auch die Serumspiegel von IGF-1.
Alle dosisabhängigen
unerwünschten Wirkungen von Isotretinoin lassen sich ebenfalls durch
Apoptose erklären: mukokutane Cheilitis, trockene Vestibulitis nasi, Nasenbluten, Sebostase, trockene Binde- und Genitalschleimhäute. Stärkere körperliche Belastung kann insbesondere eine Myopathie mit Anstieg der
Kreatinkinase aggravieren. Apoptose von Leberzellen erklärt den Anstieg der Transaminasen. Isotretinoin induziert eine vermehrte Bildung von
Very-Low-Density-Lipoproteinen (sekundäre
Hypertriglyzeridämie) (Kap. „Systemische Therapie bei Hauterkrankungen“). Wegen der Tendenz zur Hirndrucksteigerung (
Pseudotumor cerebri) darf Isotretinoin nicht mit Tetrazyklinen kombiniert werden. In seltenen Fällen können sich unter Isotretinoin Depressionen entwickeln, sogar sehr selten eine Suizidgefährdung. Auch hier wird eine vermehrte durch Isotretinoin induzierte Apoptose hypothalamischer Neuronen vermutet. Es ist ratsam, Patienten mit Neigung zu Depression über das mögliche, seltene Auftreten depressiver Verstimmungen zu informieren und engmaschig zu kontrollieren. Aktivitätssteigernde Polymorphismen des Retinsäurerezeptors-α (
RARA) liefern die Erklärung für die erhöhte Disposition zur Manifestation einer Depression unter Isotretinointherapie. In vereinzelten Fällen wurde unter oraler Isotretinointherapie vermindertes Nachtsehen beobachtet, das für Kraftfahrer und Piloten von Bedeutung ist.
Diabetes mellitus, Organtransplantation sowie diverse andere Begleitmedikationen stellen grundsätzlich keine Kontraindikation dar. Über ein vermehrtes Auftreten von
Reizdarmsyndrom unter Isotretinointherapie wurde berichtet. Beim Reizdarmsyndrom besteht eine erhöhte Apoptoserate intestinaler Epithelzellen. Entsprechende Vorsicht ist daher angebracht.
Isotretinoin wirkt teratogen (vermehrte
Apoptose von Zellen der Neuralleiste) und darf daher bei gebärfähigen Frauen nicht angewendet werden. Sollte unter Isotretinoin eine Schwangerschaft auftreten, besteht ein hohes Risiko für Organmissbildungen. Umfassende Aufklärung mit schriftlicher Dokumentation ist erforderlich. Bei Minderjährigen sind die Eltern in die Therapieplanung mit einzubeziehen. Der Arzt muss sicher sein, dass Patientinnen und Eltern die Tragweite der Isotretinointherapie verstehen. Ohne sichere Kontrazeption darf keine Anwendung erfolgen. Eine Schwangerschaft muss vor Behandlungsbeginn ausgeschlossen werden. Dies erfolgt durch eine qualitative Analyse des
Morgenurins auf β-hCG. Patientinnen sind vom Gynäkologen bezüglich einer sicheren oralen Kontrazeption zu beraten. Diese sollte 1 Monat vor Beginn der Isotretinointherapie eingeleitet werden; am sichersten ist ein zweiter Schwangerschaftstest bei Einsetzen der nächsten Menstruation vor Beginn der Behandlung. Das nur 7 Tage gültige Rezept wird erst nach Erfüllung dieser Bedingungen ausgehändigt, wobei jeweils nur 30 Kapseln verordnet werden können. Monatliche Schwangerschaftstests werden empfohlen. Die Kontrazeption aus medizinischer Indikation ist für 1 Monat nach Beendigung der Therapie fortzusetzen.
Vor Isotretinointherapie sollten folgende Laborwerte bestimmt werden: Blutbild,
Kreatinin,
Bilirubin, SGOT, SGPT, γ-GT,
Cholesterin und
Triglyzeride. Unter Therapie werden Leber- und Fettwerte in sechswöchigen Abständen kontrolliert.
Eine Dosierung von 0,2–0,5 mg/kg KG/Tag wird bevorzugt. Das Medikament wird gewöhnlich als Einmaldosis zu einer fettreichen Mahlzeit (bessere Resorption) gegeben, höhere Dosen können aber auf zwei Einzeldosen verteilt werden. Selten sind Dosierungen von 1,0 mg/kg KG/Tag erforderlich. Höhere Dosen verursachen stärkere unerwünschte Wirkungen. Die Therapiedauer beträgt im Allgemeinen 3–6 Monate, stets jedoch so lange, bis die Akne ausbehandelt ist. Wiederholungsbehandlungen sind möglich. Gleichzeitige Anwendungen von
Peelings, Wachsepilation und Lasertherapie sollten bis 6 Monate nach Ende der Isotretinoingabe vermieden werden.
Kontaktakne
Wenn Akne und akneartige Krankheitserscheinungen an untypischen Stellen oder außerhalb des typischen Aknealters auftreten, sollte an eine Kontaktakne oder Acne venenata (venenum, lateinisch = Gift) gedacht werden. Eine Vielzahl komedogener Substanzen kann Kontaktakne auslösen. Bevorzugt betroffen sind Personen mit Seborrhoe und aktiver oder früher durchgemachter Akne. Typisch sind die im Folgenden genannten Krankheitsbilder.
Kosmetikaakne (Acne cosmetica)
Dies ist eine typische Frauenerkrankung meist jenseits des eigentlichen Aknealters. Kosmetika, die komedogene Substanzen enthalten, führen nach längerem intensivem Gebrauch zu dicht stehenden, überwiegend geschlossenen Komedonen und vereinzelten Papulopusteln an den häufigsten Auftragungsstellen: Stirn, Wangen, Perioralregion.
Pomadenakne (Plewig et al. 1970)
Ein sehr ähnliches Krankheitsbild wird hervorgerufen, wenn von verschiedenen ethnischen Gruppen zur Pflege von gekräuseltem Haar komedogene Pomaden
verwendet und diese auf das Gesicht übertragen werden. Prädilektionsstellen sind Stirn und Wangen. Therapeutisch werden die auslösenden Produkte abgesetzt, lokal können
Retinoide oder Azelainsäure die Abheilung beschleunigen.