Definition
Eine renoparenchymatöse Hypertonie wird im Rahmen glomerulärer oder interstitieller Nierenerkrankungen
durch die Aktivierung renaler vasopressorischer Systeme und eine Volumenexpansion hervorgerufen.
Eine renoparenchymale Hypertonie kann bei akuten wie auch bei chronischen Nierenerkrankungen auftreten. Sie manifestiert sich frühzeitig im Verlauf einer Nierenerkrankung. Sie bedarf oft einer komplexen medikamentösen Blutdrucktherapie und ist bezüglich kardiovaskulärer und renaler Komplikationen prognostisch ungünstig. Folgende Charakteristika der renoparenchymatösen Hypertonie sind typisch:
-
sehr häufige Komplikation akuter und chronischer Nierenerkrankungen
-
häufigste sekundäre Hypertonieform
-
Hypertonie durch aktivierte renale vasopressorische Systeme und Volumenexpansion
-
schlechtes Ansprechen auf antihypertensive Therapie
-
-
erhöhte kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität
Epidemiologie
Die renoparenchymtöse Hypertonie ist die häufigste Form einer sekundären Hypertonie
. Sie findet sich bei ca. 5 % aller Hypertoniker (Campese et al.
2006). Bei chronisch nierenkranken Patienten mit CKD-Stadium 3–4 liegt die Hypertonieprävalenz bei 50–70 %, bei prädialytischem
Nierenversagen bei mehr als 90 % (US Renal Data System
2011).
Darüber hinaus kommt bei vielen Patienten mit essenzieller Hypertonie als Folge des renalen Endorganschadens eine renoparenchymatöse Komponente verstärkend hinzu.
Eine renoparenchmyatöse Hypertonie kann im Prinzip bei allen akuten und chronischen Nierenerkrankungen auftreten. Sie ist typisch beim akuten nephritischen Syndrom, bei
fokal segmentaler Glomerulosklerose oder auch einer
IgA-Nephropathie. Bei primären nephrotischen Nierenerkrankungen wie z. B. der
minimal change Nephropathie tritt sie weniger häufig auf. Auch interstitielle oder obstruktive Nierenerkrankungen führen zur renoparenchymatösen Hypertonie. Selten sind tubuläre Erkrankungen wie das Liddles´-Syndrom Ursache einer
renalen Hypertonie.
Eine sehr seltene Sonderform der renoparenchymatösen Hypertonie stellen die reninproduzierenden Neoplasien Wilmstumor und Reninom, ein juxtaglomerulärer Zelltumor, dar.
Pathomechanismus
Die Ursache der Hypertonie bei renoparenchymatösen Erkrankungen ist multifaktoriell, wodurch die Therapie und Prognose erheblich beeinträchtigt werden kann (Tab.
1).
Tab. 1
Pathogenetische Faktoren der renoparenchymatösen Hypertonie
Hauptfaktoren | Volumenexpansion durch Salz- und Wasserretention |
Aktivierung des Renin-Angiotensin-Systems |
Zusatzfaktoren | Sympathikusaktivierung |
Gesteigerte Endothelinfreisetzung |
Endotheliale Dysfunktion |
Verminderung vasodilatatorischer Substanzen |
Oxidativer Stress |
Schlafapnoe |
Mikroangiopathie |
Medikamentöse Faktoren | -NSAR |
|
-Steroide |
-Sympathomimetika |
-Erythropoeitin |
Der renoparenchymatösen Hypertonie liegen zwei Pathomechanismen zugrunde:
Im Verlauf einer chronischen renoparenchymalen Erkrankung kommt es zu einer Reduktion funktioneller Nephrone mit konsekutivem Abfall der GFR. Hierdurch kommt es zu einer Aktivierung des RAAS-Systems (Ruggenenti et al.
2010). Dies bewirkt intrarenal eine Vasokonstriktion der efferenten Arteriole bei gleichzeitiger Vasodilatation der afferenten Arteriole, so dass eine glomeruläre Druckerhöhung resultiert (Siragy u. Carey et al. 2010). Systemisch bewirkt die RAAS-Aktivierung eine Blutdruckerhöhung. Intrarenale und systemische Effekte der RAAS-Aktivierung führen zur Schädigung der Glomerula mit konsekutiver glomerulärer Sklerose. Die Glomerulosklerose bewirkt eine Proteinurie, die ihrerseits interstitielle Fibrosierungsprozesse in Gang setzt.
Bei renoparenchymatösen Schädigungen kommt es weiterhin zu einer nachhaltigen Sympathikusaktivierung und einer gesteigerten Endothelinfreisetzung mit entsprechendem blutdrucksteigerndem Effekt.
Neben der Aktivierung dieser vasopressorischen Systeme tragen auch eine endotheliale Dysfunktion mit Störung des vasodilatatorischen NO-Systems sowie eine Verminderung vasodilatatorischer
Prostaglandine zur Blutdruckerhöhung
bei (Campese et al.
2006).
Der zweite blutdrucksteigernde Mechanismus bei renoparenchymatösen Erkrankungen beruht auf einer Natrium- und Wasserretention mit der konsekutiven Entwicklung eines Volumenhochdrucks.
Bei akuten glomerulären Erkrankungen ist die Natrium- und Wasserretention eine wesentliche Komponente der Hypertonie. Demgegenüber ist z. B. bei vaskulären Erkrankungen wie
Vaskulitis oder
Sklerodermie der Hypertonus vorrangig durch eine Ischämie bedingte Stimulierung des RAAS-Systems bedingt; Letztere kann bei der sog. sklerodermen Krise („scleroderma renal crisis“) zu schweren hypertensiven Entgleisungen führen.
Auch bei dialysepflichtigen Nierenerkrankungen ist die Hypertonie wesentlich durch die Volumenhypertonie bestimmt. Jedoch kommt es auch in diesem Stadium in den dysfunktionalen orthotopen Nieren noch zu einer Stimulierung des sympathischen Nervensystems und der Reninsynthese, so dass in einigen Fällen erst eine Nephrektomie eine nachhaltige Blutdrucksenkung ermöglicht.
Bei Patienten mit renoparenchymatöser Hypertonie findet sich pathomechanistisch ungeklärt übermäßig häufig ein obstruktives Schlafapnoesyndrom.
Klinik
Für die renoparenchymatöse Hypertonie besteht kein spezifisches Leitsymptom. Neben einer allgemeinen Hypertoniesymptomatik sind jedoch eine gestörte Tag-Nacht-Rhythmik des Blutdrucks mit fehlender Nachtabsenkung und das schlechte Ansprechen auf die antihypertensive Therapie typisch.
Patienten mit renoparenchymatöser Hypertonie haben zudem gehäuft hypertensive Komplikationen mit hypertensiver Entgleisung oder hypertensivem Lungenödem. Ebenso kommt es bei hypertensiven Entgleisungen im Vergleich zu anderen Hypertonieformen schneller zu einer akuten Nierenfunktionsverschlechterungen i.S. eines AKI bzw. ANV.
Diagnostik
Im Rahmen der Abklärung einer sekundären Hypertonie erfolgt das Screening für eine renoparenchymatöse Hypertonie mit der Bestimmung der Serumkonzentrationen von
Kreatinin,
Natrium und
Kalium, der eGFR sowie der Albuminkonzentration bzw. des
Albumin/Kreatinin-Quotienten im
Urin. Ergänzend wird die Untersuchung des
Urinsediments vorgenommen.
Die Nierensonographie weist als Zeichen einer chronischen Nierenschädigung einen verschmälerten Parenchymsaum und ggf. verkleinerte Nieren auf. Unregelmäßigkeiten der Nierenkontur können Folge von rezidivierenden bzw. chronischen Pyelonephritiden sein. Einseitige Veränderungen weisen nicht nur auf eine einseitige renovaskuläre Nierenerkrankung hin, sondern können auch Zeichen einer einseitigen Ureterobstruktion mit interstitieller Nephritis, einer Strahlennephritis oder kongenitalen Hypoplasien sein.
Ab einer GFR-Minderung unter 60 ml/min wird die Diagnostik durch die Bestimmung der Laborparameter
Hämoglobin und
Retikulozyten, Kalzium,
Phosphat sowie eine venöse BGA erweitert. Eine
renale Anämie, ein sekundärer Hyperparathyreoidismus oder eine metabolische Acidose ergeben indirekte Hinweise auf eine manifeste renoparenchymatöse Erkrankung.
Eine Langzeitblutdruckmessung zeigt typischerweise eine verminderte oder fehlende Nachtabsenkung („non-dipper“) des Blutdrucks.
Zur erweiterten Diagnostik gehört eine
Echokardiographie, da sich bei renoparenchymatösen Erkrankungen frühzeitig eine linksventrikuläre Hypertrophie und diastolische Funktionsstörung ausbildet.
In vielen Fällen ist weder ätiologisch noch aus der Krankengeschichte heraus zu klären, ob die Nierenerkrankung Ursache der
arteriellen Hypertonie ist oder ob sie umgekehrt im Sinne eines hypertensiven renalen Endorganschadens entstanden ist. Deshalb sollte ein rationales Screening für eine renale Ursache bei der Erstdiagnostik der Hypertonie und im Verlauf einer Hypertonieerkankung für eine sich entwickelnde renoparenchymatöse Mitbeteiligung erfolgen.
Eine spezifischere renale Diagnostik erfolgt ggf. im Rahmen der fachnephrologischen Abklärung der Nierengrunderkrankung.
Therapie
Das Therapieziel bei einer renoparenchymatösen Hypertonie richtet sich auf die renale und kardiovaskuläre Protektion durch effektive und nachhaltige Blutdrucksenkung.
Als Zielblutdruck sind bei niereninsuffizienten Patienten Werte <140/90 mm Hg anzustreben, bei niereninsuffizienten Patienten (>300mg/Tag) mit Proteinurie lassen klinische Studien Zielblutdruckwerte <130/80 mm Hg gerechtfertigt erscheinen (Mancia et al.
2013; Sarnak et al.
2005).
Für die Auswahl der
Antihypertensiva ist die effektive blutdrucksenkende Wirkung entscheidend. Demgegenüber ist eine präferenzielle Empfehlung zum Einsatz einer bestimmten antihypertensiven Substanzgruppe aufgrund eines pleiotropen oder vermuteten renoprotektiven Effektes von nachgeordneter Bedeutung (Mancia et al.
2013; Kasiske et al.
2012).
Jedoch ergeben sich anhand von Komorbidität oder Risikofaktoren Argumente für den differenzialtherapeutischen Einsatz bestimmter
Antihypertensiva, die auf die beiden Pathomechanismen der Aktivierung vasopressorischer Systeme und der Natrium-Wasser-Retention fokussieren:
Als Basis der medikamentösen Therapie bei renoparenchymatöser Hypertonie ist insbesondere bei Diabetikern ein RAAS-Blocker
geeignet (Casas et al.
2005). Dabei sind
ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptor-Blocker als gleichwertig anzusehen. Eine Doppelblockade ist wegen vermehrter renaler und kardiovaskulärer Komplikationen nicht zu empfehlen (Mancia et al.
2013; Kasiske et al.
2012).
Nach Beginn einer RAAS-Blocker-Therapie ist auf einen Kreatininanstieg zu achten. Dieser kann ggf. hinweisend für eine zusätzliche vaskulär-ischämische Komponente der Nierenschädigung sein und sollte eine entsprechende Diagnostik induzieren. Ab einer GFR von ≤30 ml/min besteht eine relative Kontraindikation für einen Therapiebeginn mit einem RAAS-Blocker. Sofern dessen Einsatz erforderlich ist, bedarf es regelmäßiger Verlaufskontrollen von Serumkreatinin und
-kalium.
Bei renoparenchymatöser Hypertonie ist häufig eine Kombinationstherapie mit mehreren
Antihypertensiva notwendig. Als Kombinationspartner für einen RAAS-Blocker können Thiaziddiuretika empfohlen werden, da sie bei
renaler Hypertonie die RAAS-Blockerwirkung verstärken und über die Natriurese einem Volumenhochdruck entgegenwirken. Besonders bei
Ödemen sind
Diuretika unerlässlich.
Ebenfalls gute Kombinationspartner von RAAS-Blockern sind Kalziumkanalblocker. Jedoch können sie die Therapieführung durch die Neigung zur Ödembildung beeinträchtigen und die Beurteilung einer Überwässerung und konsekutiven Volumenhypertonie erschweren.
Als weiterer Teil der antihypertensiven Strategie kann eine Inhibierung des aktivierten Sympathikus durch
Betablocker, oder, im Sinnes eines Reserveantihypertensivums, durch zentralwirkende Sympathikomimetika vom Clonidintyp sinnvoll sein.
Aldosteronantagonisten sind bei renoparenchymatöser Hypertonie grundsätzlich gut antihypertensiv wirksam. Ihre Einsetzbarkeit ist jedoch durch die nicht unerhebliche Gefahr einer Hyperkaliämie eingeschränkt. Dies ist von besonderer Bedeutung, da es im langjährigen Verlauf einer Hypertonie klinisch unauffällig zu einer Verschlechterung der Nierenfunktion mit konsekutiv potenzierter Hyperkaliämiegefahr durch einen Aldosteronantagonisten kommen kann, Aldosteronantagonisten sind laut europäischen Hypertonieleitlinien ab einer GFR von ≤60 ml/min (relativ) kontraindiziert (Mancia et al.
2013).
Unter den
Diuretika sollten solche mit langer Wirkdauer wie Chlorthalidon oder Indapamid gegenüber Hydrochlorothiazid präferiert werden. Bei einer GFR-Minderung auf weniger als 30 ml/min nimmt die Wirkung der Thiaziddiuretika ab, so dass diese durch ein Schleifendiuretikum, präferenziell das länger wirkende Torasemid, ergänzt oder ersetzt werden sollten. Bei ausgeprägten
Ödemen können vorübergehend Schleifendiuretika die ersten Kombinationspartner von RAAS-Inhibitoren sein.
Eine Überdosierung der diuretischen Therapie ist zu vermeiden, weil über die verstärkte Natriurese ein sekundärer Hyperaldosteronismus und über die
Hypovolämie eine zusätzliche RAAS-Aktivierung hervorgerufen werden.
Nichtmedikamentöse Therapie
Besonders bei renoparenchymatöser Hypertonie ist eine natriumreduzierte Diät von großer Bedeutung und sollte trotz der problematischen Umsetzbarkeit und Compliance-Problematik regelmäßig thematisiert werden. Durch eine Restriktion der täglichen Kochsalzzufuhr wird nicht nur einer Volumenhypertonie entgegengewirkt, sondern zudem eine höhere Effektivität der RAAS-Blocker erreicht.
Für die Therapieführung kann die Abschätzung der individuellen Kochsalzzufuhr über die Natriumausscheidung im 24-h-Urin hilfreich sein: (
UrinNa-Konzentration ∙ Urinvolumen)/17 entsprechen der täglichen Kochsalzzufuhr (in Gramm).
In Bezug auf die Reduktion der traditionellen kardiovaskulären Risikoparameter ist bei renoparenchymatöser Hypertonie eine Nikotinabstinenz von besonderer Bedeutung. In mehreren Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass die Progression einer chronischen Nierenerkrankung maßgeblich durch
Rauchen beschleunigt wird. Die Niere scheint besonders empfänglich für eine Schädigung durch Rauchen zu sein.
Verlauf und Prognose
Eine renoparenchymatöse Hypertonie ist mit einer erheblichen Steigerung der renalen und kardiovaskulären Morbidität und Mortalität assoziiert (Mahmoodi et al.
2012).
Sie beschleunigt die Progression primärer oder sekundärer Nierenerkrankungen und ist mit einem 5- bis 20-fach erhöhten Risiko für die Entwicklung eines dialysepflichtigen
Nierenversagens behaftet (Klag et al.
1996). Ebenso führt eine renoparenchymatöse Hypertonie zu einer beschleunigten Manifestation kardialer hypertensiver Endorganschäden wie linksventrikulärer Hypertrophie,
diastolischer Herzinsuffizienz und
koronarer Herzerkrankung.
Die Prognose von Patienten mit renoparenchymatöser Hypertonie wird dadurch verschlechtert, dass sie vermehrt eine therapieresistente Hypertonie haben und bei ihnen eine deutlich erhöhte Inzidenz von
hypertensiven Krisen bzw. Notfällen zu verzeichnen ist.