Skip to main content
Die Ärztliche Begutachtung
Info
Publiziert am: 20.09.2022

Schlafstörungen – Begutachtung

Verfasst von: Sylvia Kotterba
Gutachtliche Stellungnahmen in der Schlafmedizin betreffen meistens die Auswirkungen der Schlafstörungen auf den Tagesablauf der Betroffenen. Bedeutsam sind die in der International Classification of Sleep Disorders – Third Edition (ICSD-3) aufgeführten Hypersomnien, Schlafbezogenen Atmungsstörungen, Parasomnien und schlafbezogenen Bewegungsstörungen. Schlafstörungen mit Tagesschläfrigkeit sind explizit in der Fahrerlaubnisverordnung als mögliche Einschränkung der Fahrtauglichkeit erwähnt. Die endgültigen gutachtlichen Empfehlungen erfolgten in den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung 2020. Bei schwer behandelbarer Hypersomnie kann die Erwerbsfähigkeit eingeschränkt sein. Parasomnien können bei extrem gewaltsamen Handeln des Betroffenen forensische Bedeutung erlangen. Eine schlafmedizinische Begutachtung erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit schlafmedizinischer Experten.
Gutachtliche Stellungnahmen in der Schlafmedizin beziehen sich meist auf die Auswirkungen der Schlafstörungen auf den Tagesablauf der Betroffenen. Eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachbereiche (insbesondere Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie, Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie) ist gefordert, um den spezifischen Fragestellungen gerecht zu werden (Mayer et al. 2009).

Klassifikation der Schlafstörungen

Die Deutsche Gesellschaft für Schlafmedizin (DGSM) und die American Academy of Sleep Medicine (Amerikanische Akademie für Schlafmedizin, AASM) differenzieren zwischen fünf regulären Schlafstadien:
  • Stadium W (wach)
  • Stadium N1 – transienter Leichtschlaf (Non Rapid Eye Movement[1]1: NREM 1)
  • Stadium N2 – stabiler Leichtschlaf (NREM 2)
  • Stadium N3 – Tiefschlaf (NREM 3 + NREM 4)
  • Stadium R – Rem- bzw. Traumschlaf (REM)
Zusammen bilden die Schlafstadien einen etwa 70 bis 110-minütigen Zyklus, der sich – beginnend mit dem abendlichen Einnicken bis zum morgendlichen Erwachen – bis zu fünfmal pro Nacht wiederholt. Diese Abfolge wird auch als „Schlafarchitektur“ bezeichnet.
1990 wurde von der American Sleep Disorders Association in Zusammenarbeit mit internationalen Fachgesellschaften die „International Classification of Sleep Disorder“ – ICSD – veröffentlicht, die als Grundlage in der schlafmedizinischen Diagnostik diente. Seit 2014 gilt die ICSD-3, die noch nicht in deutscher Sprache vorliegt.
Kategorien der Schlafstörungen nach der ICSD-3
1.
 
4.
Störungen des zirkadianen Schlafrhythmus
 
7.
 
Nahezu alle Krankheitsbilder aus dem Formenkreis der Schlafstörungen gehen mit Befindlichkeitsstörungen unter Tage einher. Unfallträchtig sind unwillkürliche Einschlafattacken, mangelnde Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit.
Subjektiv beeinträchtigende Symptome wie Kopfschmerzen, Stimmungsschwankungen, gastrointestinale Störungen können aber auch langfristige Krankschreibungen, Berufsunfähigkeit bzw. teilweise/volle Erwerbsminderung (SGB VI) oder eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE, SGB VII) nach sich ziehen. Eine genaue Anamnese und Untersuchung in spezialisierten Schlafzentren ist daher notwendig. Bei Parasomnien ergeben sich zusätzlich forensische Fragestellungen. Die gutachtlich bedeutsamen Schlafstörungen werden in der Folge erläutert.

Hypersomnien zentralen Ursprungs

Hypersomnie ist als übermäßiges Schlafbedürfnis innerhalb des 24-h-Rhythmus, insbesondere die exzessive Tagesschläfrigkeit, meist verbunden mit unwillkürlichen Einschlafattacken, definiert.
Hauptursache der Hypersomnie zentralen Ursprungs ist die Narkolepsie (Prävalenz: 0,02–0,06 %, also ca. 40.000 Personen in Deutschland; Oberle et al. 2015). Gekennzeichnet ist sie ist durch den folgenden, allerdings nur bei ca. 20 % der Erkrankten voll ausgebildeten Symptomenkomplex (Pollmächer et al. 2020):
  • Imperativer Schlafdrang am Tage
In monotonen oder entspannten Situationen überfällt die Patienten ein extremes Schlafbedürfnis, dem sie nach wenigen Minuten erliegen. Sie schlafen meist nur kurz und erwachen relativ erfrischt. Die hieraus resultierenden psychosozialen Effekte (ein Großteil der Narkolepsiepatienten schläft mindestens einmal beim Autofahren oder während der Arbeit ein) bedingen häufig die Erstdiagnostik.
  • Kataplexie
Affektive Stimuli (Freude, Angst, Schreck) führen zum Tonusverlust der Muskulatur. Es können nur einzelne Muskelgruppen betroffen sein, beim Erschlaffen der gesamten Muskulatur stürzt der Patient bei vollem Bewusstsein hin.
  • Schlaflähmung
Wie bei der Kataplexie besteht Muskeltonusverlust, der beim Erwachen eine völlige Bewegungsunfähigkeit bedingt.
  • Hypnagoge oder hypnopompe Halluzinationen
In der Einschlaf- oder Aufwachphase auftretende visuelle, akustische, selten auch taktile Trugwahrnehmungen.
  • Automatisches Handeln
Es werden in Mikroschlafepisoden unsinnige oder zwecklose Tätigkeiten durchgeführt. Z. T. können aber auch längere komplexe Handlungen auftreten – wie z. B. Autofahrten. Es kann also zu bedrohlichen Situationen und Fehlern kommen. Bei Häufung resultiert meist eine differenzialdiagnostische Abklärung, insbesondere zur Abgrenzung komplex-fokaler epileptischer Anfälle.
Man unterscheidet zwei Unterformen
Die Narkolepsie kann in jedem Lebensalter beginnen, meist erfolgt die Diagnostik zwischen dem 15.–30. Lebensjahr. Neben polysomnographischen Kriterien (Nachweis von 2 Sleep-Onset-REM-Perioden [REM nach 10 min Schlafbeginn] im Multiplen Schlaf-Latenz-Test [MSLT], mittlere Schlaflatenz unter 8 min im MSLT) sollte die genetische Typisierung (HLA-Typisierung für DR15/DQB1*0602 positiv) erfolgen und im Liquor das im dorsolateralen Hypothalamus gebildete Orexcin (= Hypocretin) bestimmt werden. Patienten mit dem Vollbild der Narkolepsie Typ 1 haben stark verminderte Hypocretin-Liquorspiegel (<110 mg/dl).
Differenzialdiagnostisch
  • ist insbesondere die idiopathische Hypersomnie zu berücksichtigen. Auch diese Patienten weisen verlängerte Schlafepisoden und eine vermehrte Tagesschläfrigkeit auf. Im Gegensatz zur Narkolepsie treten keine Sleep-onset-REM-Phasen auf. Der Schlafdrang kann nicht willkürlich überwunden werden, auch nach kurzem Schlaf sind die Betroffenen nicht erholt.
  • Weiter muss das Chronic-Fatigue-Syndrom (CFS) erwogen werden. Obwohl die CSF-Patienten in der Regel einen somatischen Ansatz favorisieren, ist unbedingt die psychische Komponente herauszuarbeiten, da sich hier die effektiven Therapieansatzpunkte ergeben.
Für alle Hypersomnieformen gibt es verhaltenstherapeutische Ansatzpunkte (Einhalten von Regeln der Schlafhygiene, die insbesondere auf ausreichenden Schlaf ausgerichtet sind. Narkolepsiepatienten benötigen tagsüber Gelegenheit zu einem kurzen Schlaf). Daneben lässt sich die Medikation mit Ausrichtung auf das Symptom Schläfrigkeit oder Kataplexie individuell relativ gut steuern. Zu beachten ist, dass auch mit dieser Medikation nicht komplett die Vigilanz von Gesunden erzielt werden kann (Tab. 1).
Tab. 1
Medikamente zur Behandlung der Narkolepsie Typ 1 und 2
Symptom
Arzneistoff
Tagesschläfrigkeit, imperativer Schlafdrang
Modafinil
Methylphenidat
Pitolisant
Solriamfetol
Kataplexien und andere REM-assoziierte Symptome (hypnagoge/hypnopompe Halluzinationen, Schlafparalysen)
Gammahydroxybutyrat
Pitolisant
Clomopramin
Fluoxetin*
Venlafaxin*
*Zur Behandlung in Deutschland nicht zugelassen
Gutachtliche Bewertung
Da für den Hypocretinmangel bei Narkolepsie inzwischen ausreichend Hinweise auf autoimmune Mechanismen bestehen, muss differenzialdiagnostisch bei der Erstdiagnose auch eine symptomatische Narkolepsie erwogen werden. Eine besondere Bedeutung hat hier die Grippeimpfung mit einem monovalenten AS03-adjuvanten H1N1-Impfstoff. Im Sommer 2010 wurde publik, dass überzufällig häufig neue Narkolepsiefälle, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, nach dieser Impfung auftraten. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) empfahl daher im Juli 2011, Menschen unter 20 Jahren nicht mehr mit dem H1N1 Impfstoff Pandremix® zu impfen. Das Risiko, durch die Impfung an Narkolepsie zu erkranken, wurde mit 4–15-fach für Kinder und Jugendliche nachgewiesen, eine signifikante Inzidenzänderung der Erwachsenenpopulation konnte nicht gefunden werden (Oberle et al. 2015). Für einen Impfzusammenhang spricht, wenn das Vollbild der Narkolepsie Typ 1 in engem zeitlichen Abstand zur Impfung auftritt. Der kausale Zusammenhang muss aber für jeden Einzelfall gesondert geprüft und belegt werden (Partinen et al. 2014).
Unter einem Impfschaden versteht man „die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung (§ 2 IfSG – Infektionsschutzgesetz). Für Impfschäden gelten die Regelungen des sozialen Entschädigungsrechts (Bundesversorgungsgesetz). Wer durch eine öffentlich empfohlene Schutzimpfung einen Impfschaden erlitten hat, erhält auf Antrag nach § 60 des (IfSG) Versorgungsleistungen.
Begutachtung im Rahmen der Fahrerlaubnisverordnung
Die Regeln für die Feststellung der Fahreignung folgen in Deutschland einem mehrstufigen Verfahren. Die grundlegenden Rechtsnormen sind das Straßenverkehrsgesetz und die darauf basierende Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahreignungsverordnung, FeV). In § 11 (1) der FeV heißt es: „Bewerber um eine Fahrerlaubnis müssen die hierfür notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen. Die Anforderungen sind insbesondere nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach
Anlage 4 oder 5 vorliegt, wodurch die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird.“ In der genannten Anlage 4 werden „häufiger vorkommende Erkrankungen und Mängel, die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen längere Zeit beeinträchtigen oder aufheben können“ aufgelistet und bewertet. Unter Punkt 11.2 wird die „Tagesschläfrigkeit“ genannt (Bundesanstalt für Straßenwesen 2020) (Tab. 2).
Tab. 2
Richtlinie nach der Fahrerlaubnisverordnung bei Tagesschläfrigkeit
 
Klassen A,A1,B,BE,M,SL,T
Klassen
C,C1,CE,C1E,
DD1,DE,D1E,FzF
Klassen A,A1,B,BE,M,SL,T
Klassen
C,C1,CE,C1E,
DD1,DE,D1E,FzF
 
Eignung/bedingte Eignung
Auflagen bei bedingter Eignung
Unbehandelte Schlafstörung mit Tagesschläfrigkeit
Nein, wenn messbare Tagesschläfrigkeit vorliegt
Nein, wenn messbare Tagesschläfrigkeit vorliegt
  
Behandelte Schlafstörung mit Tagesschläfrigkeit
Ja, wenn keine messbare Tagesschläfrigkeit mehr vorliegt
Ja, wenn keine messbare Tagesschläfrigkeit mehr vorliegt
Regelmäßige Kontrollen
von Tagesschläfrigkeit
Regelmäßige Kontrollen
von Tagesschläfrigkeit
Zur Konkretisierung des Vorgehens bei der Beurteilung werden von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung herausgegeben, die regelmäßig aktualisiert werden, Für die Begutachtung wird ein gestuftes Vorgehen vorgegeben. Bei Auffälligkeiten auf einer Stufe kommt die nächste Stufe der Diagnostik zur Anwendung.
Bei erfolgreicher Therapie kann der Betroffene wieder am Straßenverkehr teilnehmen, wobei die Therapie von der Grunderkrankung abhängt und daher individuell unterschiedliche Zeiträume gewählt werden. Von wesentlicher Bedeutung bei der Beurteilung der Fahrtauglichkeit ist, ob der Betroffene seine Schläfrigkeit realistisch einschätzen kann und angemessen damit umgeht. Neben der Therapiecompliance sollten in jedem Fall die Vigilanz und Aufmerksamkeitsleistungen regelmäßig kontrolliert werden. Bei Begutachtung der Gruppe 2 (Berufskraftfahrer) ist ferner zu berücksichtigen, dass die endgültige Beurteilung durch einen Arzt mit der Bezeichnung ‚Arbeitsmedizin‘ oder ‚Betriebsmedizin‘ erfolgen muss (DGUV 2010, Kotterba und Orth 2018; Popp et al. 2018)
Stufe 1: Hier soll anamnestisch nach Hinweisen auf Schläfrigkeit gefragt werden. Solche Hinweise können etwa eine erhöhte Einschlafneigung in Alltagssituationen oder (fremd)anamnestische Hinweise auf ungewolltes oder zwanghaftes Einschlafen in monotonen Situationen oder sogar in sozialen Anforderungssituationen sein. Als standardisierter Fragebogen wird die Epworth-Sleepiness-Scale (ESS) als Ergänzung zur Anamnese genannt. Hinweise auf eine erhöhte chronische Tagesschläfrigkeit ergeben sich, wenn in der ESS mindestens 11 von 24 Punkten erzielt werden. Zur Verbesserung der diagnostischen Sicherheit sollte ein Messverfahren zur zentralnervösen Aktivierung oder Vigilanz durchgeführt werden. Geeignete Verfahren werden in den Begutachtungsleitlinien tabellarisch aufgeführt. In Frage kommen aus zeitökonomischen Gründen beispielsweise Daueraufmerksamkeitstests oder Reaktionszeitmessungen aus verkehrs-psychologischen Testbatterien (Weeß et al. 2000).
Stufe 2: Ab dieser Stufe wird für die Begutachtung eine schlafmedizinische oder somnologische Qualifikation gefordert.
Bei der schlafmedizinischen Abklärung sollten mehrdimensionale Messverfahren sowohl auf subjektiver als auch auf objektiver Ebene eingesetzt werden. In den Begutachtungsleitlinien werden verschiedene Verfahren zur Erfassung der Alertness und des physiologischen Aktivierungsniveaus benannt. Da zahlreiche Studien, sowohl im Fahrsimulator wie auch bei Echtfahrten, gezeigt haben, dass bei Schläfrigkeit vor allem die Daueraufmerksamkeit (sustained attention) beeinträchtigt ist und monotone Rahmenbedingungen einen zusätzlichen Risikofaktor darstellen, sollten bei der Beurteilung der Fahreignung bei Tagesschläfrigkeit Aufgaben zur Daueraufmerksamkeit bzw. Vigilanz einen besonderen Stellenwert erhalten.
Die tageszeitliche Fluktuation der Untersuchungsergebnisse muss bei der Interpretation beachtet werden.
Stufe 3: Wenn die genannten Verfahren kein eindeutiges Urteil erlauben und (noch) erhebliche Zweifel an der Fahreignung bestehen, wird eine Überprüfung der Fahreignung mittels einer praktischen Fahrprobe, die auch monotone Rahmenbedingungen enthalten soll, empfohlen. Diese wird von Fahrschulen angeboten.
Kompensationsmöglichkeiten und bedingte Fahreignung mit Auflagen: Die Begutachtungsleitlinien sehen ausdrücklich vor, dass auch Kompensationsmöglichkeiten durch Verhalten wie Schlafpausen, Medikamente oder z. B. CPAP-Therapie berücksichtigt werden sollen. So werden in den Leitlinien mögliche Auflagen genannt, wie „eine Begrenzung der Fahrstrecke, der Fahrzeit, regelmäßige Medikamenteneinnahme und das Verbot für monotone Fahrbedingungen, wie z. B. Autobahnfahrten“.
Fahrzeug-Haftpflichtversicherung: Wer übermüdet ein Fahrzeug führt, handelt grob fahrlässig, wenn er sich bewusst über wahrnehmbare Übermüdungsanzeichen hinwegsetzt (BGH, Az. I ZR 166/04). Es besteht dann in der Regel auch kein Versicherungsschutz. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass ein Betroffener Schläfrigkeit bemerkt (was allerdings nicht immer der Fall ist). Nach gängiger Rechtsprechung wird in diesem Fall daher von grober Fahrlässigkeit ausgegangen und eine Ordnungsstrafe verhängt. Der Straftatbestand ist in jedem Fall erfüllt, wenn eine müdigkeitsverursachende Erkrankung bekannt ist und vom Betroffenen nicht adäquat therapiert wird. Fahrtüchtigkeit ist bei deutlicher Tagesschläfrigkeit und daraus resultierenden Einschränkungen nicht gegeben (Kotterba et al. 2004; Kotterba et al. 2007).
Berufsunfähigkeit: Bei Berufen mit hohen Anforderungen an die Vigilanz sind Erkrankte dann berufsunfähig, wenn sie trotz Anwendung effektiver therapeutischer Methoden ungewollte Schlafepisoden (oder Kataplexien) am Arbeitsplatz erleiden.
Wie bei der Fahrtauglichkeit sollten Therapieeffekte mittels spezifischer neuropsychologischer Tests, Polysomnografie und MWT (Multiplem Wach-Test, (bei dem elektrophysiologisch die Fähigkeit des Patienten, wach zu bleiben, überprüft wird) kontrolliert werden. In Ausnahmefällen ist auch eine Langzeit-EEG-Ableitung am Arbeitsplatz notwendig.
Eine Erwerbsminderung ist selten zu attestieren, da Patienten meist auf Ausweichberufe verwiesen werden können.
Schwerbehinderung/Soziale Entschädigung
Bei Narkolepsie ist der Grad der Behinderung (GdB)/Grad der Schädiungsfolge (GdS) im Allgemeinen zwischen 50 und 80 anzusetzen, je nach Häufigkeit, Ausprägung und Kombination der Symptome. Bei nur geringgradigen Auswirkungen im Einzelfall auch mal mit 40, vergleiche auch die Hilfskriterien in Tab. 3.
Tab. 3
GdB und GdS bei Narkolepsie und Hypersomnie
Kriterium
GdB/GdS
Persistierende leichte Beeinträchtigung der Wachheit mit fakultativen Symptomen
unter 40
Persistierende mittelgradige Beeinträchtigung der Wachheit bei mindestens täglichem Einschlafen, Kataplexien und anderen fakultativen Symptomen
von 40–50
Trotz effektiver Therapie persistierende schwergradige Beeinträchtigung der Wachheit und Kataplexien
mehr als 50

Insomnie

25 % der Bevölkerung haben mindestens gelegentlich Ein- und Durchschlafschwierigkeiten. Bei ca. 6 % der Bevölkerung liegt tatsächlich eine schwere und behandlungsbedürftige Insomnie vor (Pollmächer et al. 2020).
Die internationale Klassifikation für Krankheiten (ICD-10) sieht zwei Diagnoseschlüssel für die Insomnie vor, den F51.0 für nicht organische und den G47.0 für organische Insomnie. Eine Insomnie wird dann diagnostiziert, wenn Beschwerden einen Monat lang mindestens 3-mal pro Woche auftreten und das Wohlbefinden am Tage gestört ist.
Kriterien der nicht organischen Insomnie (F51.0) nach ICD-10 sind
  • Mangel an Schlafqualität und -quantität
  • Verminderte Leistungsfähigkeit tagsüber
  • Erhöhtes körperliches Anspannungsniveau
  • Ausschluss einer anderen körperlichen und psychischen Störung
  • Polysomnografie (verlängerte Schlaflatenz, erhöhte Anzahl von Arousals)
  • Schlafstörung wird als Hauptbeschwerde gesehen
  • Übermäßige Beschäftigung mit dem Schlaf
Insomnien sind in der Regel multifaktoriell bedingt. Es gibt strukturierte Interviewleitfäden, die detailliert Symptome und Anamnese für die Nacht und den Tag erfassen. Eine ausführliche psychopathologische Abklärung stellt den Kernbestandteil der Insomniediagnostik dar. Differenzialdiagnostisch müssen zahlreiche somatische Erkrankungen und Medikamente berücksichtigt werden. Eine grobe Faustregel kann die 5-P-Regel darstellen.
Ursachen einer Insomnie nach der „5-P-Regel“
  • Physikalisch
  • durch Temperatur, Licht, Lärm
  • durch körperliche Erkrankungen (insbesondere von Herz, Lunge, Stoffwechsel, Restless-legs-Syndrom)
  • durch Schmerzen
  • Physiologisch
  • durch mangelnde Schlafhygiene
  • durch Schichtarbeit
  • Psychologisch
  • durch belastende Erlebnisse oder Situationen – akut und chronisch
  • Psychiatrisch
  • durch Depression, Schizophrenie, Manie, Angsterkrankungen
  • Pharmakologisch
  • durch schlafstörende Medikamente
  • Genussmittel-/Drogenmissbrauch
Die Therapie ist langwierig und multimodal. Primär sollte versucht werden, auslösende Faktoren zu eliminieren – dies betrifft vor allem die somatischen Ursachen der Insomnie.
Die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie ist nach der aktuellen Leitlinie (AWMF-S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen „Insomnie bei Erwachsenen“), die Therapie der ersten Wahl. Dabei stehen Schlafhygiene und Stimuluskontrolle im Fokus. Es werden vergleichbar gute Effekte wie durch Hypnotika erzielt. Bei nicht hinreichender Effektivität oder Ablehnung durch den Patienten kommt die Pharmakotherapie zum Einsatz, wobei die individuelle Situation des Patienten zu berücksichtigen ist (Schweregrad der Insomnie, Alter des Patienten, Begleiterkrankungen, Suchtanamnese, Compliance). Hypnotika sind nur kurz einzusetzen, eine Kurzzeitbehandlung mit sedierenden Antidepressiva ist meist effektiv. Bei gerontopsychiatrischen Patienten können auch niedrigpotente Antipsychotika als Schlafmittel gegeben werden.
Gutachtliche Bewertung
Gutachtlich sind die Tagesfolgen der Insomnie im Sinne von Konzentrationsstörungen, Schläfrigkeit und insbesondere depressiven Stimmungsschwankungen zu beurteilen. Eine massive Tagesschläfrigkeit resultiert aus einer Insomnie aber in der Regel nicht. Zusätzlich müssen Medikamentennebenwirkungen bedacht werden, daher ist die Hypnotikagabe kurz zu halten.

Schlafbezogene Bewegungsstörungen

Das Syndrom der unruhigen Beine (Restless-Legs-Syndrom, RLS) verdient besondere Beachtung, da hier eine begleitende Insomnie und die Störung der Tagesbefindlichkeit kausal therapiert werden können. Das RLS ist definiert durch unangenehme Sensationen der Extremitäten (meist der Beine), die am Abend und in Ruhe zunehmen, sich unter Bewegung bessern und daher in der Regel Ein- und Durchschlafstörungen bedingen. Die neurologische Untersuchung ist meist unauffällig. Polysomnographisch können periodische Beinbewegungen (PLM) registriert werden.
Neben idiopathischen und genetisch bedingtem RLS gibt es Assoziationen mit Urämie, Eisenmangel, Schwangerschaft, seltener mit Diabetes mellitus oder chronisch-obstruktiver Atemwegserkrankung. Viele RLS-Patienten sprechen auf L-Dopa, Dopamin-Agonisten, im Extremfall auf Opiate an (Pollmächer et al. 2020; Happe und Walther 2009).
Gutachtliche Bewertung
Generell gilt, dass das RLS in den GdS/GdB-Tabellen der Versorgungsmedizin-Verordnung nicht enthalten ist, deshalb gibt es auch keinen speziellen GdB-Grade für das RLS. Somit ist ein GdB/GdS für das RLS in Analogie zu vergleichbaren Gesundheitsstörungen zu beurteilen (Happe et al. 2021).
Eine differenziertere Beurteilung der Funktionseinschränkungen beim RLS sollte unter Anwendung der gängigen Schweregradskalen und zusätzlicher diagnostischer Möglichkeiten (wie die Polysomnografie) wie folgt vorgenommen werden:
  • episodisches Auftreten, kaum Schlafstörungen, geringe Beeinträchtigung der Tagesbefindlichkeit, GdS/GdB 0
  • Auftreten < 2 Mal pro Woche, starke Schlafstörung, mäßige Beeinträchtigung der Tagesbefindlichkeit, GdS/GdB 1020
  • Auftreten > 2 Mal pro Woche bis täglich, schwere Störung des Schlafes und der Tagesbefindlichkeit und zusätzlich
    • * RLS mit unzureichendem Therapieeffekt und noch vorhandener Restsymptomatik am Tage, GdS/GdB 30–40
    • * RLS mit unzureichendem Therapieeffekt und deutlichen Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie, GdS/GdB 50,
    • * therapierefraktäres RLS (d. h. sehr schweres RLS, das selbst mit hoch dosierter Medikation oder Kombinationsbehandlung nicht ausreichend zu supprimieren ist bzw. die hohe Dosierung führt zu erheblichen Nebenwirkungen), sekundärer schwer ausgeprägter und schwer behandelbarer psychischer Begleitsymptomatik sowie zusätzlich bestehenden schwer beeinträchtigenden Begleit- bzw. Grunderkrankungen, GdS/GdB 60–80
In Abhängigkeit von der Schwere persistierender Symptome unter Therapie und psychischen Begleitreaktionen ist ein somit GdS/GdB zwischen 20 und 80 anzuerkennen.

Parasomnien

Bei den Parasomnien sind die unwillkürlichen Bewegungen im Schlaf hervorzuheben, die u. U. forensische Bedeutung haben. Die Störungen sind mit unterschiedlichen Schlafstadien assoziiert (Happe und Walther 2009; Pollmächer et al. 2020):
REM-Schlaf Verhaltensstörung: Diese Störungen führen in 80 % der langzeitbeobachteten Fälle zu einem M. Parkinson oder anderen Synukleopathien. Während im physiologischen Traumschlaf der Muskeltonus sinkt, verbleibt dieser bei den Betroffenen erhalten. Trauminhalte (insbesondere Angriff und Flucht betreffend) werden ausgelebt. Dies kann unter Umständen zu massiven Verletzungen des Bettpartners führen.
Störungen im Tiefschlaf – Arousal-Parasomnie
  • Pavor nocturnus: Die Patienten schrecken hoch und zeigen massive Angstsymptome mit vegetativer Irritation.
  • Somnambulismus (Schlafwandeln): Der Betroffene führt mit geöffneten Augen komplexe Verhaltensmuster aus, die letztlich im Gehen münden. Für das Schlafwandeln besteht eine Amnesie. Während in gewohnter Umgebung die Störung als harmlos einzustufen ist, besteht in ungewohnter Umgebung z. B. durch Stürze eine Verletzungsgefahr. Obwohl Verletzungen der Partner bei Parasomnien auftreten, ist ein zielgerichteter, geplanter Angriff nicht möglich, sodass entsprechende juristische Fragestellungen genau die Umstände berücksichtigen müssen.
Die Handlungen im Rahmen von Parasomnien erlangen nur selten forensische Bedeutung. Dennoch beschäftigen sich namhafte Schlafforscher seit 2006 mit Fällen in der Sleep Forensics Associates, Minneapolis (sleepforensicmedicine.org). In der bisher 2013 ausgeführten Statistik werden 262 Gewalttaten in Zusammenhang mit Schlafstörungen aufgeführt und die forensische Bewertung vieler Fälle diskutiert. Dabei finden sich nur wenige Fälle in Zusammenhang mit einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung, es dominieren die Arousal-Parasomnien (Pressman 2007).
Gutachtliche Bewertung der Schuldfähigkeit für Taten im Rahmen von Parasomnien
Gründe für eine verminderte Schuldfähigkeit können eine geistige Retardierung oder neurologische und psychiatrische Erkrankungen mit psychischen Auswirkungen sein. Der Täter ist sich seiner Tat ganz oder teilweise nicht bewusst. Es gilt also bei abnormem Verhalten im Schlaf die Frage zu beantworten, ob eine schlafmedizinische Erkrankung vorliegt und ob durch diese das Bewusstsein der Betroffenen eingeengt ist. Formal ist ein Schlafender nicht bei Bewusstsein. Ob die Taten im Zusammenhang mit einer Parasomnie verübt wurden, lässt sich immer nur indirekt aus dem Vorkommen/Nachweis sonstiger Parasomnieepisoden des Täters rückschließen.
Auslöser für Schlafwandeln im Erwachsenenalter ist häufig ein vorausgegangener Schlafentzug mit anschließendem konsekutivem vermehrtem Tiefschlaf. Ebenfalls kann eine ungewohnte Schlafumgebung provozierend wirkend. Weitere Provokatoren sind Sedativa, anticholinerg wirkende Medikamente, Psychostimulanzien und Drogen. Bzgl. des Einflusses von Alkohol gibt es unterschiedliche Studienergebnisse. Auch vorübergehende interne und externe Stimuli (Licht, Lärm, Inkontinenz) können die Episoden der Arousalparasomnie hervorrufen. Im Rahmen der internen Provokation ist auch das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom zu sehen (Kotterba 2021).
Ein gewisses Maß an Schuldfähigkeit kann daher zugesprochen werden, wenn ein Betroffener die Auslösefaktoren für eine Parasomnie kennt und sie bewusst ignoriert (Kotterba 2013, 2021).
Parasomnien ziehen keinen Grad der Schwerbehinderung nach sich (GdB 0).

Weitere Schlafstörungen bei neurologischen Erkrankungen

Bei allen Parasomnien muss eine schlafbezogene Epilepsie ausgeschlossen werden. Hierzu ist häufig eine erweiterte Polysomnografie mit der Erweiterung auf mehrere EEG-Kanäle notwendig. Dabei werden im Wesentlichen Anfälle im Schlaf (hier insbesondere im Schlafstadium 2) und in der Aufwachphase unterschieden, wobei letztere genetisch fixiert sind.
Störungen der Schlaf-Wach-Rhythmik und Störungen der Schlafarchitektur mit fehlendem Erholungswert der Nacht sind bei unterschiedlichen Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems (insbesondere zerebrale Ischämie, M. Parkinson, Multiple Sklerose, neuromuskuläre Störungen) bekannt.
Literatur
American Academy of Sleep Medicine (2014) ICSD-3- international classification of sleep disorders, Diagnostic and coding manual, 3. Aufl.
Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) (2020) Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung. Schriftenreihe M115, Bergisch Gladbach
DGUV (Hrsg) (2010) Leitfaden für Betriebsärzte zur Anwendung des G25. DGUV Grundsatz‚ Fahr-, Steuer und Überwachungstätigkeiten‘. Deutsche esetzliche Unfallversicherung, Berlin
Happe S, Walther BW (2009) Schlafmedizin in der Praxis. ecomed Medizin, Landsberg
Happe S, Benes H, Kotterba S, Heidbreder A et al (2021) Begutachtung des Restless Legs Syndroms – Eine Konsensusempfehlung. Nervenheilkunde 40(7):550–557
Kotterba S (2013) Forensische Aspekte der Parasomnien. Schlaf 2:79–82CrossRef
Kotterba S (2021) Parasomnien – Diagnostik und forensische Bedeutung. Nerveneheilkunde 40:540–544
Kotterba S, Orth M (2018) Kommentar zum Kapitel Tagesschläfrigkeit. In: Schubert W et al (Hrsg) Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung- Kommentar. Kirschbaum, Bonn
Kotterba S, Müller N, Steiner G, Mayer G (2004) Narkolepsie und Fahrtauglichkeit. Akt Neurol 31:273–278CrossRef
Kotterba S, Orth M, Happe S, Mayer G (2007) Begutachtung der Tagesschläfrigkeit bei neurologischen Erkrankungen und dem obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom (OSAS). Nervenarzt 78:861–870CrossRef
Mayer G, Fietze I, Fischer J, Penzel T, Riemann D, Rodenbeck A, Sitter H, Teschler H (2009) S3-Leitlinie – Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen. Somnologie 13(Suppl 1)
Oberle D, Drechsel-Bäuerle U, Schmidtmann I, Mayer G, Keller-Stanislawski B (2015) Incidence of narcolepsy in Germany. Sleep. 38(10):1619–1628CrossRef
Partinen M, Kornum BR, Plazzi G et al (2014) Narcolepsy as an autoimmune disease: the role of H1N1 infection and vaccination. Lancet Neurol. 13:600–613CrossRef
Pollmächer T, Wetter TC, Bassetti CLA, Högl B, Randerath W, Wiater A (2020) Handbuch Schlafmedizin. Elsevier
Popp R, Kotterba S, Geisler P (2018) Begutachtung der Fahreignung aus schlafmedizinischer Sicht. Somnologie 2:131–143CrossRef
Pressman M (2007) Factors that predispose, prime and precipitate NREM parasomnias in adults: clinical and forensic implications. Sleep Med Rev 11:5–30CrossRef
Weeß HG et al (2000) Vigilanz, Einschlafneigung, Daueraufmerksamkeit, Müdigkeit, Schläfrigkeit- Diagnostische Instrumentarien zu Messung müdigkeits- und schläfrigkeitsbezogener Prozesse und deren Gütekriterien. Somnologie 4:20–38CrossRef