Hauptursache der
Hypersomnie zentralen Ursprungs ist die
Narkolepsie (
Prävalenz: 0,02–0,06 %, also ca. 40.000 Personen in Deutschland; Oberle et al.
2015). Gekennzeichnet ist sie ist durch den folgenden, allerdings nur bei ca. 20 % der Erkrankten voll ausgebildeten Symptomenkomplex (Pollmächer et al.
2020):
In monotonen oder entspannten Situationen überfällt die Patienten ein extremes Schlafbedürfnis, dem sie nach wenigen Minuten erliegen. Sie schlafen meist nur kurz und erwachen relativ erfrischt. Die hieraus resultierenden psychosozialen Effekte (ein Großteil der Narkolepsiepatienten schläft mindestens einmal beim Autofahren oder während der Arbeit ein) bedingen häufig die Erstdiagnostik.
Affektive Stimuli (Freude, Angst, Schreck) führen zum Tonusverlust der Muskulatur. Es können nur einzelne Muskelgruppen betroffen sein, beim Erschlaffen der gesamten Muskulatur stürzt der Patient bei vollem Bewusstsein hin.
Wie bei der
Kataplexie besteht Muskeltonusverlust, der beim Erwachen eine völlige Bewegungsunfähigkeit bedingt.
In der Einschlaf- oder Aufwachphase auftretende visuelle, akustische, selten auch taktile Trugwahrnehmungen.
Es werden in Mikroschlafepisoden unsinnige oder zwecklose Tätigkeiten durchgeführt. Z. T. können aber auch längere komplexe Handlungen auftreten – wie z. B. Autofahrten. Es kann also zu bedrohlichen Situationen und Fehlern kommen. Bei Häufung resultiert meist eine differenzialdiagnostische Abklärung, insbesondere zur Abgrenzung komplex-fokaler
epileptischer Anfälle.
Begutachtung im Rahmen der Fahrerlaubnisverordnung
Die Regeln für die Feststellung der Fahreignung folgen in Deutschland einem mehrstufigen Verfahren. Die grundlegenden Rechtsnormen sind das Straßenverkehrsgesetz und die darauf basierende Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahreignungsverordnung, FeV). In § 11 (1) der FeV heißt es: „Bewerber um eine Fahrerlaubnis müssen die hierfür notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen. Die Anforderungen sind insbesondere nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach
Anlage 4 oder 5 vorliegt, wodurch die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird.“ In der genannten Anlage 4 werden „
häufiger vorkommende Erkrankungen und Mängel, die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen längere Zeit beeinträchtigen oder aufheben können“ aufgelistet und bewertet. Unter Punkt 11.2 wird die „Tagesschläfrigkeit“ genannt (Bundesanstalt für Straßenwesen
2020) (Tab.
2).
Unbehandelte Schlafstörung mit Tagesschläfrigkeit | Nein, wenn messbare Tagesschläfrigkeit vorliegt | Nein, wenn messbare Tagesschläfrigkeit vorliegt | | |
Behandelte Schlafstörung mit Tagesschläfrigkeit | Ja, wenn keine messbare Tagesschläfrigkeit mehr vorliegt | Ja, wenn keine messbare Tagesschläfrigkeit mehr vorliegt | Regelmäßige Kontrollen von Tagesschläfrigkeit | Regelmäßige Kontrollen von Tagesschläfrigkeit |
Zur Konkretisierung des Vorgehens bei der Beurteilung werden von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung herausgegeben, die regelmäßig aktualisiert werden, Für die Begutachtung wird ein gestuftes Vorgehen vorgegeben. Bei Auffälligkeiten auf einer Stufe kommt die nächste Stufe der Diagnostik zur Anwendung.
Bei erfolgreicher Therapie kann der Betroffene wieder am Straßenverkehr teilnehmen, wobei die Therapie von der Grunderkrankung abhängt und daher individuell unterschiedliche Zeiträume gewählt werden. Von wesentlicher Bedeutung bei der Beurteilung der Fahrtauglichkeit ist, ob der Betroffene seine Schläfrigkeit realistisch einschätzen kann und angemessen damit umgeht. Neben der Therapiecompliance sollten in jedem Fall die Vigilanz und Aufmerksamkeitsleistungen regelmäßig kontrolliert werden. Bei Begutachtung der Gruppe 2 (Berufskraftfahrer) ist ferner zu berücksichtigen, dass die endgültige Beurteilung durch einen Arzt mit der Bezeichnung ‚Arbeitsmedizin‘ oder ‚Betriebsmedizin‘ erfolgen muss (DGUV
2010, Kotterba und Orth
2018; Popp et al.
2018)
Stufe 1: Hier soll anamnestisch nach Hinweisen auf Schläfrigkeit gefragt werden. Solche Hinweise können etwa eine erhöhte Einschlafneigung in Alltagssituationen oder (fremd)anamnestische Hinweise auf ungewolltes oder zwanghaftes Einschlafen in monotonen Situationen oder sogar in sozialen Anforderungssituationen sein. Als standardisierter Fragebogen wird die
Epworth-Sleepiness-Scale (ESS) als Ergänzung zur Anamnese genannt. Hinweise auf eine erhöhte chronische
Tagesschläfrigkeit ergeben sich, wenn in der ESS mindestens 11 von 24 Punkten erzielt werden. Zur Verbesserung der diagnostischen Sicherheit sollte ein
Messverfahren zur
zentralnervösen Aktivierung oder Vigilanz durchgeführt werden. Geeignete Verfahren werden in den Begutachtungsleitlinien tabellarisch aufgeführt. In Frage kommen aus zeitökonomischen Gründen beispielsweise Daueraufmerksamkeitstests oder Reaktionszeitmessungen aus verkehrs-psychologischen Testbatterien
(Weeß et al.
2000).
Stufe 2: Ab dieser Stufe wird für die Begutachtung eine schlafmedizinische oder somnologische Qualifikation gefordert.
Bei der schlafmedizinischen Abklärung sollten mehrdimensionale
Messverfahren sowohl auf subjektiver als auch auf objektiver Ebene eingesetzt werden. In den Begutachtungsleitlinien werden verschiedene Verfahren zur Erfassung der Alertness und des physiologischen Aktivierungsniveaus benannt. Da zahlreiche Studien, sowohl im Fahrsimulator wie auch bei Echtfahrten, gezeigt haben, dass bei Schläfrigkeit vor allem die Daueraufmerksamkeit (
sustained attention) beeinträchtigt ist und monotone Rahmenbedingungen einen zusätzlichen Risikofaktor darstellen, sollten bei der Beurteilung der Fahreignung bei
Tagesschläfrigkeit Aufgaben zur Daueraufmerksamkeit bzw. Vigilanz einen besonderen Stellenwert erhalten.
Die tageszeitliche Fluktuation der Untersuchungsergebnisse muss bei der Interpretation beachtet werden.
Stufe 3: Wenn die genannten Verfahren kein eindeutiges Urteil erlauben und (noch) erhebliche Zweifel an der Fahreignung bestehen, wird eine Überprüfung der Fahreignung mittels einer praktischen Fahrprobe, die auch monotone Rahmenbedingungen enthalten soll, empfohlen. Diese wird von Fahrschulen angeboten.
Kompensationsmöglichkeiten und bedingte Fahreignung mit Auflagen: Die Begutachtungsleitlinien sehen ausdrücklich vor, dass auch Kompensationsmöglichkeiten durch Verhalten wie
Schlafpausen, Medikamente oder z. B. CPAP-Therapie berücksichtigt werden sollen. So werden in den Leitlinien mögliche Auflagen genannt, wie „eine Begrenzung der Fahrstrecke, der Fahrzeit, regelmäßige Medikamenteneinnahme und das Verbot für monotone Fahrbedingungen, wie z. B. Autobahnfahrten“.
Fahrzeug-Haftpflichtversicherung: Wer übermüdet ein Fahrzeug führt, handelt grob fahrlässig, wenn er sich bewusst über wahrnehmbare Übermüdungsanzeichen hinwegsetzt (BGH, Az. I ZR 166/04). Es besteht dann in der Regel auch kein Versicherungsschutz. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass ein Betroffener Schläfrigkeit bemerkt (was allerdings nicht immer der Fall ist). Nach gängiger Rechtsprechung wird in diesem Fall daher von grober Fahrlässigkeit ausgegangen und eine Ordnungsstrafe verhängt. Der Straftatbestand ist in jedem Fall erfüllt, wenn eine müdigkeitsverursachende Erkrankung bekannt ist und vom Betroffenen nicht adäquat therapiert wird.
Fahrtüchtigkeit ist bei deutlicher
Tagesschläfrigkeit und daraus resultierenden Einschränkungen nicht gegeben (Kotterba et al.
2004; Kotterba et al.
2007).
Berufsunfähigkeit: Bei Berufen mit hohen Anforderungen an die Vigilanz sind Erkrankte dann berufsunfähig, wenn sie trotz Anwendung effektiver therapeutischer Methoden ungewollte Schlafepisoden (oder
Kataplexien) am Arbeitsplatz erleiden.
Wie bei der Fahrtauglichkeit sollten Therapieeffekte mittels spezifischer neuropsychologischer Tests, Polysomnografie und MWT (Multiplem Wach-Test, (bei dem elektrophysiologisch die Fähigkeit des Patienten, wach zu bleiben, überprüft wird) kontrolliert werden. In Ausnahmefällen ist auch eine Langzeit-EEG-Ableitung am Arbeitsplatz notwendig.
Eine Erwerbsminderung ist selten zu attestieren, da Patienten meist auf Ausweichberufe verwiesen werden können.