Bei
efferenten Pupillenstörungen gilt es zu unterscheiden, ob die größere Pupille „zu groß“ oder die kleinere Pupille „zu klein“ ist. Dies lässt sich einfach überprüfen, indem man die Lichtreaktion testet. Mit Ausnahme einer alten
Pupillotonie, bei der die Pupillotonie-Pupille über die Zeit zur kleineren der beiden anisokoren Pupillen werden kann, liegt die Ursache einer pathologisch kleineren Pupille in einer Läsion des Sympathikus. Die Lichtreaktion ist dann völlig normal. Bei einer
Anisokorie mit gestörter Lichtreaktion liegt eine parasympathische Störung vor und entsprechend ist die größere Pupille pathologisch.
Efferente Pupillenstörungen mit normaler Lichtreaktion
(
Modifiziert nach Kelbsch C. Pupillenstörungen. In: Steffen et al. 2023,
mit freundlicher Genehmigung des Springer-Verlags)
Bei Vorliegen einer
Anisokorie mit normaler Lichtreaktion ist in der differenzialdiagnostischen Abklärung die Unterscheidung zwischen einer harmlosen physiologischen Anisokorie
und einem
Horner-Syndrom, dem eine schwerwiegende Erkrankung (wie das maligne
Neuroblastom beim Kind oder eine Carotis-Dissektion) zugrunde liegen kann, essenziell. Bei der Beurteilung können mehrere klinische Faktoren einbezogen werden:
1.
Das Ausmaß der Anisokorie
Geringe Anisokorien ohne Krankheitswert sind häufig zu finden. Typisch für physiologische Anisokorien ist auch eine gewisse Fluktuation der Befunde. Die Angaben zur
Prävalenz von physiologischen Anisokorien schwanken in der Literatur, liegen aber bei mindestens 15–20 %, natürlich auch abhängig vom gewählten
Cut-off-Wert und der Umgebungsbeleuchtung (Kılınç Hekimsoy et al.
2022; Steck et al.
2018; Loewenfeld
1993). Je größer jedoch die Anisokorie wird, desto weniger wahrscheinlich handelt es sich um eine physiologische Anisokorie. Anisokorien > 1 mm Seitendifferenz sind zunächst suspekt auf ein Horner-Syndrom zu werten, wenngleich dies selten auch bei physiologischen Anisokorien zu finden ist.
Ob die Anisokorie in Dunkelheit größer als im Hellen ist, hilft bei der Unterscheidung wenig, da auch physiologische Anisokorien häufig in Dunkelheit eine etwas größere Differenz zeigen.
2.
Begleiterscheinung einer Ptosis
Physiologische Anisokorien sind nicht mit einer Ptosis assoziiert. Das Vorliegen einer Ptosis auf der Seite der engeren Pupille erhärtet also die Verdachtsdiagnose eines Horner-Syndroms. Umgekehrt schließt eine fehlende Ptosis ein Horner-Syndrom jedoch nicht aus. Nach der Auswertung einer kanadischen Kinderklinik fand sich eine Ptosis nur bei ca. 2/3 der Kinder mit nachgewiesenem Horner-Syndrom (Graef et al.
2020).
Genaugenommen liegt bei Horner-Syndromen nicht nur eine leichte Oberlidptosis, sondern auch ein leichter Unterlidhöherstand vor, was das Erscheinungsbild eines Pseudoenophthalmus bedingt.
3.
Dilatationsdefizit
Ein Dilatationsdefizit kann überprüft werden, indem man die Geschwindigkeit beobachtet, mit der sich die Pupillen in Dunkelheit nach Ein- und Ausschalten eines hellen Lichts wieder erweitern. Um die Pupillen in absoluter Dunkelheit bewerten zu können, verwendet man idealerweise eine Kamera mit Infrarotlicht. Wem dies nicht zur Verfügung steht, kann sich wieder mit einem schwachen Licht behelfen, mit dem man beide Pupillen schräg von unten beleuchtet, sodass man die Pupillen gerade noch als Untersucher erkennen kann. Dann beleuchtet man beide Pupillen mit einer 2. starken Lichtquelle, schaltet diese wieder aus und beobachtet die Pupillenwiedererweiterung. Eine normale Pupille erweitert sich zügig nach Ausschalten des Lichts. Bei physiologischer Anisokorie erweitern sich also beide Pupillen in ähnlich rascher Geschwindigkeit. Eine Hornerpupille wird hingegen langsamer weit als die gesunde Pupille. Der größte Unterschied zwischen den Pupillen bei Vorliegen eines Horner-Syndroms – und damit die größte messbare Anisokorie – ist ca. 4 s nach Lichtausschalten zu erwarten.
4.
Pharmakologischer Pupillentest
Es stehen prinzipiell 2 pharmakologische Pupillentests zur Verfügung: Der Kokain-Test und der Apraclonidin-Test.
Kokain-Test positiv, wenn nach 1 h
Kokain-Test negativ, wenn nach 1 h
Bei einer persistierenden
Anisokorie von 0,5–1 mm sowie Pupillenerweiterung um 0,5–1,5 mm handelt es sich um Grenzbefunde, die weder ein
Horner-Syndrom belegen noch ausschließen können. Hier empfiehlt sich eine Wiederholung im kurzfristigen Intervall bzw.
Validierung mittels des Apraclonidin-Tests.
Zu beachten ist, dass der Apraclonidin-Test beim akuten
Horner-Syndrom ggf. erst einige Tage nach Auftreten der Sympathikusläsion positiv ausfällt. Wie lange genau dieses Zeitintervall bis zur Ausbildung der Denervierungshypersensitivität beträgt, lässt sich nach aktueller Studienlage nicht genau vorhersagen. Es sind jedoch Einzelberichte beschrieben, bei denen der Apraclonidin-Test bereits 48 h nach Symptombeginn positiv ausfiel (Nguyen et al.
2020).
Bei lange bestehendem
Horner-Syndrom kann es in manchen Fällen infolge der sympathischen Denervation zu einem Verlust von Irispigment und damit hellerer Irisfarbe auf der Seite der betroffenen Hornerpupille kommen (Heterochromie).
Bei einer
Anisokorie mit einer Seitendifferenz > 1 mm bei gleichzeitigem Auftreten einer leichten Ptosis und Dilatationsdefizit auf der Seite der kleineren Pupille kann die Diagnose eines
Horner-Syndroms gestellt werden.
Bei ca. 1 von 8 Kindern mit
Horner-Syndrom ist mit einer schwerwiegenden zugrunde liegenden Erkrankung zu rechnen – meist einem malignen
Neuroblastom (Graef et al.
2020). Im Falle eines nachgewiesenen Horner-Syndroms empfiehlt sich daher bei Kindern die Bestimmung der Urin-Katecholamine und die Veranlassung einer Bildgebung der gesamten Sympathikusbahn (idealerweise MRT von Kopf, Hals und oberer Thoraxapertur) zum Ausschluss eines Neuroblastoms.
Ein kindliches
Horner-Syndrom ist jedoch eine seltene Diagnose; die Inzidenz wird anhand der Daten der epidemiologischen Bevölkerungsstudie aus Südkorea auf ca. 2,1/100.000, mit einem Alters-Peak von 0–4 Jahren geschätzt. Die Inzidenz bei Erwachsenen lag mit ca. 3/100.000 etwas höher bei einem Alters-Peak von 50–54 Jahren (Han et al.
2021).
Bei Erwachsenen ist bei akutem
Horner-Syndrom mit ipsilateralen Hals-/
Kopfschmerzen eine Dissektion der A. carotis auszuschließen – insbesondere bei positiver Traumaanamnese –, die mit einem akut erhöhten Schlaganfallrisiko einhergeht.
Ansonsten sind viele Pathologien entlang der gesamten Sympathikusbahn als Ursache möglich, angefangen bei einer Hirnstammischämie (Sonderform Wallenberg-Syndrom) über einen Pancoast-Tumor der Lunge oder eine Raumforderung der Schilddrüse bis hin zu einem Prozess im Sinus cavernosus. Häufig – insbesondere bei älteren
Horner-Syndromen – ist jedoch keine zugrunde liegende Ursache nachzuweisen. Als Faustregel gilt: Je länger ein Horner-Syndrom ohne weiteres Auftreten von Zusatzsymptomen vorliegt, desto unwahrscheinlicher ist eine bedrohliche Ursache. Bei auf älteren Fotos nachweislich länger bestehenden Horner-Syndromen > 1 Jahr kann daher auch eine Verlaufsbeobachtung genügen.
Differenzialdiagnostisch ist insbesondere im Säuglingsalter auch an die Möglichkeit eines noch unreifen M. dilatator bzw. an eine Dilatatorschwäche zu denken. Erweitert sich die suspekte Pupille auch nach Gabe von Mydriatika, wie z. B. Tropicamid AT oder Phenylephrin AT, nicht (oder deutlich schlechter als auf der gesunden Gegenseite), liegt eine harmlose Dilatatorschwäche vor (Wilhelm
2017).
Efferente Pupillenstörungen mit gestörter Lichtreaktion
((
Modifiziert nach Kelbsch C. Pupillenstörungen. In: Steffen et al. 2023),
mit freundlicher Genehmigung des Springer-Verlags)
Bei einer
Anisokorie mit gestörter Lichtreaktion liegt die Pathologie entlang der parasympathischen Bahn vom Edinger-Westphal-Kerngebiet zum Pupillensphinkter.
Wichtigste Differenzialdiagnose ist die Okulomotoriusparese, da diese als Notfall erkannt und entsprechender Diagnostik zugeführt werden sollte. Die parasympathischen Fasern zum Pupillensphinkter verlaufen im äußeren Randbereich des N. oculomotorius und sind demnach besonders vulnerabel bei einer Kompression von außen.
Bei einseitiger Pupillenerweiterung mit gestörter Lichtreaktion gilt es, eine Okulomotoriusparese auszuschließen. Die Motilitätsprüfung ist unerlässlich. Häufig liegt jedoch keine komplette Okulomotoriusparese mit exotroper Augenstellung, Hebungs-, Senkungs- und Adduktionsdefizit sowie Ptosis vor, sondern partielle Paresen in jeglicher Ausprägungsform sind möglich. Eine umgehende zerebrale Bildgebung mit Angiosequenzen zum Ausschluss eines den N. oculomotorius komprimierenden Aneurysmas sollte veranlasst werden.
Eine harmlose Differenzialdiagnose stellt hingegen die
Pupillotonie dar.
Charakteristisch sind segmentale wurmartige Konstriktionen des Pupillensphinkters, die sich gut an der Spaltlampe nachweisen lassen und pathognomonisch für eine
Pupillotonie sind. Die Nahreaktion ist klassischerweise besser erhalten als die Lichtreaktion (sog. Licht-Nah-Dissoziation
). Pathophysiologisch liegt der Pupillotonie ein Schaden der kurzen Ziliarnerven bzw. ihrer Zellkörper im
Ganglion ciliare zugrunde. Die überwiegende Anzahl der Axone des Ganglion ciliare sind für den Ziliarmuskel bestimmt und nicht für den Pupillensphinkter (Verhältnis ca. 30:1). Nach einem Schaden des Ganglion ciliare kommt es nun im Rahmen eines neuen regenerativen Aussprossungsprozesses von einzelnen Axonen mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit zu einer Fehlregeneration von ursprünglich akkommodativen Axonen zum Pupillensphinkter. Dementsprechend tonisch und für eine Pupillenreaktion untypisch verhält sich die Pupillotonie-Pupille im Rahmen der Naheinstellungsreaktion.
Durch die Denervation entsteht eine Hypersensitivität der Rezeptoren des Pupillensphinkters, die man sich diagnostisch zur Bestätigung einer
Pupillotonie mit verdünnten Pilocarpin 0,1 % AT zunutze machen kann. Pilocarpin führt in normaler Dosierung als direktes Parasympathomimetikum zu einer Miosis. In der deutlich verdünnten Konzentration bewirkt es jedoch keine nennenswerte Pupillenverengung an einer gesunden, parasympathisch normal innervierten Pupille. Im Gegensatz dazu kommt es bei einer Pupillotonie-Pupille zu einer Pupillenverengung auf Pilocarpin 0,1 % AT. Diese zu diagnostischen Zwecken nutzbare Denervationshypersensitivität entwickelt sich sehr zügig, sodass bereits nach wenigen Tagen ein positiver Nachweis zu erwarten ist. Häufig tritt eine Pupillotonie auch nicht plötzlich akut auf, sondern schleichend über einige Tage, sodass ein gleichzeitiges Zusammenspiel von Degenerations- und Regenerationsprozessen zu vermuten ist.
Bei der isolierten
Pupillotonie handelt es sich meist um einen harmlosen Befund, der keiner weiteren Abklärung bedarf (Schnitzler et al.
2005). Eine Ursache ist selten zu finden und daher in der Mehrzahl der Fälle als „idiopathisch“ oder „autoimmun vermittelt“ einzustufen.
Das gemeinsame Auftreten einer
Pupillotonie mit Hypo- oder Areflexie wird Adie-Syndrom
genannt; es lassen sich jedoch keine weiteren therapeutischen Konsequenzen ableiten.
Als seltene Ausnahme ist ein Auftreten einer
Pupillotonie im Rahmen einer
Riesenzellarteriitis möglich, sodass bei fortgeschrittenem Lebensalter die Anamnese um die typische Horton-Klinik ergänzt und im Zweifelsfall die Entzündungswerte bestimmt werden sollten. Weitere seltene Auslöser einer Pupillotonie sind Traumata der Orbita, ausgiebige Laserkoagulationen, oder insbesondere bei bilateralem Auftreten eine Syphilis-Infektion. Weitere neuropathische Assoziationen sind bei Infekt-assoziierten antikörpervermittelten
Polyneuropathien beschrieben. Bei schwerwiegenden neurologischen Krankheitsbildern, wie z. B. Guillain-Barré- und Miller-Fisher-Syndrom, sind keine isolierten Pupillotonien zu erwarten, sondern weitere neurologische bzw. systemische Auffälligkeiten. In einer retrospektiven Studie an 33 Patienten mit Pupillotonie wurden durch eine kraniale Bildgebung in keinem Fall neue Erkenntnisse gewonnen und eine serologische Untersuchung auf infektiöse Auslöser verlief ohne therapeutisch relevantes Ergebnis. Bei isolierter Pupillotonie ist daher i. d. R. keine weiterführende Diagnostik erforderlich (abgesehen von o. g. Ausschluss einer selten assoziierten Riesenzellarteriitis oder
Syphilis bei älteren Patienten) (Schnitzler et al.
2005). Die Motilität sollte überprüft sowie auf klinische Orbitazeichen geachtet werden, um Hinweise auf eine Okulomotoriusparese oder orbitale Raumforderung auszuschließen.
Frauen sind weit häufiger von einer
Pupillotonie betroffen als Männer; typisches Manifestationsalter ist zwischen 30 und 50 Jahren. Bei starker subjektiver Beeinträchtigung durch Blendung oder Sehbeschwerden in der Nähe können Pilocarpin 0,1 % AT auch therapeutisch zur Pupillenverengung genutzt werden. Klassischerweise wird die zunächst weite Pupille bei länger bestehenden Pupillotonien im Verlauf wieder enger, sie kann sogar die engere der anisokoren Pupillen werden. Sie bleibt jedoch schlecht lichtreagibel mit der charakteristischen tonischen Verhaltensweise.
Weitere Differenzialdiagnosen lassen sich an der Spaltlampe sichtbar machen, wie Synechien und Irisdefekte nach Trauma (auch postoperativ) oder ein Glaukomanfall.
Eine weite, lichtstarre Pupille kann auch durch eine Intoxikation mit mydriatisch wirkenden Substanzen, wie beispielsweise die Tollkirsche oder die Engelstrompete, aus dem heimischen Garten hervorgerufen werden. Dies lässt sich durch die Gabe von Pilocarpin 1 % AT überprüfen. Reagiert eine weite Pupille nicht auf Pilocarpin 1 % AT, ist eine Kontamination der Rezeptoren anzunehmen, sofern andere lokale mechanische Ursachen (z. B. Synechien) ausgeschlossen sind. Die Mydriasis durch lokale Kontamination klingt gewöhnlich nach einigen Tagen ab. Bei zeitlichem Zusammenhang mit einem vorangegangenen intraokularen Eingriff kommt auch das sehr seltene Urrets-Zavalia-Syndrom
in Betracht, bei dem es zu einer dauerhaft fixierten Pupillenerweiterung aufgrund einer vermuteten Irisischämie kommt (Wermund et al.
2019).
Sonderform: Dorsales Mittelhirnsyndrom (Parinaud-Syndrom)
Bei Tumorkompression von dorsal auf die Olivenkerne des dorsalen Mittelhirns, dem Steuerzentrum der Pupillenlichtreaktion (s. o.), kommt es zum klassischen Bild einer Licht-Nah-Dissoziation
: Die Pupillen reagieren nicht/kaum auf Licht, zeigen jedoch eine regelrechte Nahreaktion (diese wird weiter ventral gesteuert). Im Gegensatz zur
Pupillotonie ist die Nahmiosis beim Parinaud-Syndrom zügig mit auch regelrechter zügiger Wiedererweiterung. Häufig findet sich zusätzlich eine vertikale Aufblickparese, während die Folgebewegungen und der vestibulo-okuläre Reflex regelrecht ausfallen und eine supranukleäre Genese der vertikalen Okulomotorikstörung belegen.
Zu den Notfällen, die eine unmittelbare Abklärung mit zerebraler Bildgebung erfordern, zählt das schmerzhafte
Horner-Syndrom zum Ausschluss einer Carotis-Dissektion, die Okulomotoriusparese zum Ausschluss eines Aneurysmas und das dorsale Mittelhirnsyndrom zum Ausschluss einer kompressiven Raumforderung.