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Recklinghausen-Neurofibromatose

Verfasst von: Dierk A. Vagts, Uta Emmig, Heike Kaltofen und Peter Biro
Recklinghausen-Neurofibromatose.
Synonyme
von-Recklinghausen-Sy, Neurofibromatose Typ 1, Neurofibromatosis generalisata. Nicht zu verwechseln mit Recklinghausen-Krankheit (primärer Hyperparathyreoidismus)
Oberbegriffe
Neuroektodermale Erkrankungen, Phakomatosen.
Organe/Organsysteme
ZNS, Haut, Gewebe neuroektodermalen Ursprungs, Endokrinium.
Inzidenz
1:3000.
Ätiologie
Neumutation oder Autosomal-dominanter Vererbungsmodus. Mutation des NF1-Tumor-Suppressor-Gens auf Chromosom 17.
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
Multiple endokrine Neoplasien (v. a. Phäochromozytome), andere Phakomatosen. Abzugrenzen ist die Neurofibromatose Typ 2 (beidseitige Akustikusneurinome), die einen anderen genetischen Mechanismus hat.

Symptome

Café-au-lait-Flecken der Haut, Neurofibrome an Kutis oder Subkutis, peripheren Nerven, Nervenwurzeln oder spinal lokalisiert. Pharyngeale, intraorale, intratracheale Lokalisation möglich. Skelettbeteiligung: subperiostale Fibrome, Skoliose, mandibuläre oder maxilläre Deformierungen, kongenitale Pseudarthrosen.
Vergesellschaftet mit
Intrakranielle Tumoren (Akustikusneurinome, Sehnervenbeteiligung = Optikusgliom). Häufig Entwicklung anderer benigner oder maligner Tumoren. Pulmonale Hypertension als Folge einer fibrosierenden pulmonalen Alveolitis, mit gelegentlich folgendem cor pulmonale. Teil des Multiple-endokrine-Neoplasie-(MEN-)Sy Typ III mit Phäochromozytom und Schilddrüsenkarzinom.

Anästhesierelevanz

Häufig wird im Rahmen von tumorchirurgischen Eingriffen oder zur Korrektur einer bestehenden Skoliose eine anästhesiologische Betreuung erforderlich. Die an multiplen Stellen lokalisierten Neurofibrome können zu unerwarteten Intubationsschwierigkeiten führen. Bei Kindern ist ein Bluthochdruck in der Regel mit einer Nierenarterienstenose assoziiert, bei Erwachsenen ist meist ein Phäochromozytom die Ursache. Eine lebensbedrohliche Gefährdung durch exzessive Katecholaminausschüttung kann bei einem zuvor nicht diagnostizierten Phäochromozytom auftreten. Eine generalisierte Vaskulopathie kann zu anästhesiologischen Notfällen führen (Ruptur verschieden lokalisierter Aneurysmen).
Spezielle präoperative Abklärung
Ausschluss einer intraoralen, laryngealen oder intratrachealen Manifestation der Erkrankung, sorgfältige Anamneseerhebung nach Symptomen einer Atemwegsobstruktion, ggf. erweiterte bildgebende Diagnostik. Bei Verdacht intrathorakaler Manifestationen erweiterte Diagnostik mittels CT und Lungenfunktionsuntersuchung. Bei Veränderungen des Lungenparenchyms mit nachfolgendem pulmonalen Hypertonus, Suche nach Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz. Gründliche Anamnese hinsichtlich der kardialen Belastbarkeit, Attacken von Kopfschmerz als möglicher Ausdruck eines Phäochromozytoms und Ausschluss von raumfordernden Veränderungen des Mediastinums. Ausschluss eines Phäochromozytoms mittels Katecholaminbestimmung (Vanillinmandelsäure) im Sammelurin. Neurologischer Status und Dokumentation eventuell bestehender sensorischer oder motorischer Defizite.
Wichtiges Monitoring
Relaxometrie.
Vorgehen
Bei Hinweisen auf Pathologien der Atemwege ist eine fiberoptische Intubation des sedierten und spontan atmenden Patienten indiziert. Die Art der Anästhesie (Allgemeinanästhesie oder regionalanästhesiologische Verfahren) richtet sich nach dem erforderlichen Eingriff und dem Status des Patienten. Die Datenlage hinsichtlich der neuromuskulären Antwort auf depolarisierende und nichtdepolarisierende Muskelrelaxanzien ist uneinheitlich. Sowohl veränderte Sensibilität gegenüber Relaxanzien als auch ein normales Reaktionsmuster sind beschrieben worden. Insbesondere bei weiteren Pathologien, die die Wirkung von Muskelrelaxanzien verändern (Niereninsuffizienz oder Medikation mit Antiepileptika), ist die Überwachung der neuromuskulären Übertragung obligat. Empfehlenswert ist die Durchführung der sonografisch gesteuerten Regionalanästhesie. Bei geplanter Spinalanästhesie sollten zuvor ein erhöhter Hirndruck sowie spinale Neurofibrome ausgeschlossen werden.
Die anästhesiologische Betreuung einer Schwangeren muss sorgfältig interdisziplinär geplant und durchgeführt werden. Das Vorhandensein spinaler Neurofibrome oder eine Skoliose kann das Anlegen einer Regionalanästhesie erschweren. Die Gefahr der Verschleppung von Neurofibrom-Zellen in das ZNS durch Spinal- oder Epiduralnadeln sollte bedacht werden.
Cave
Atemwegsobstruktion.
Weiterführende Literatur
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