Zu den Gliomen, die etwas mehr als ein Drittel aller
primären Hirntumoren repräsentieren, gehören die Astrozytome, die Oligodendrogliome und die Ependymome.
Glioblastome als bösartigste Variante astrozytärer Gliome sind die häufigsten Vertreter dieser Tumorgruppe. Gliome werden nach ihrem biologischen Verhalten und nach ihrer Histopathologie entsprechend der
WHO-Klassifikation in die Malignitätsgrade I–IV eingeteilt. Diese Gradierung besitzt große prognostische Bedeutung. Die Hinzunahme der molekularen Parameter in der neuen WHO-Klassifikation (Louis et al.
2016) erhöht insbesondere bei astrozytären und oligodendroglialen Tumoren die diagnostische und prognostische Aussagekraft der Klassifikation. Hier spielen v. a. der IDH1/2-Mutationsstatus
(Isocitratdehydrogenase) und eine Kodeletion
des kompletten kurzen Arms des
Chromosoms 1 und des kompletten langen Arms des Chromosoms 19 (1p/19q-Kodeletion) eine entscheidende Rolle. Diese Parameter werden bei der Planung der Chemotherapie berücksichtigt und sind ebenfalls prognostisch, zum Teil über die Gradierung hinaus, relevant.
Bei den Ependymomen ist die prognostische Bedeutung der
WHO-Klassifikation sowie die Unterscheidung von Grad-II- und Grad-III-Tumoren aus klinischer Sicht nicht so eindeutig klar.
Pilozytische Astrozytome, WHO-Grad I
Diffuse Astrozytome, WHO-Grad II
Therapie
Neuroradiologisch nachgewiesene Läsionen, die mit einem diffusen Astrozytom (WHO-Grad II) vereinbar sind, sollen histologisch gesichert werden, z. B. durch eine stereotaktische Serienbiopsie. Wenn möglich, sollte jedoch eine Tumorresektion erfolgen. Jeder Versuch der
Resektion dieser Tumoren erfolgt unter der Maßgabe, dass die Vermeidung neuer permanenter neurologischer Defizite wichtiger ist als die Radikalität des operativen Eingriffs. Zwei große US-amerikanische Serien aus dem Jahr 2008 sprechen dafür, dass Patienten, bei denen eine nach MRT-Kriterien „komplette“ Resektion möglich ist, signifikant längere Überlebenszeiten aufweisen als solche, bei denen dies nicht gelingt (McGirt et al.
2008; Smith et al.
2008). Sofern das übergeordnete Ziel der Vermeidung neuer neurologischer Defizite beachtet wird, wird daher nach vorherrschendem neuroonkologischem Konsens der Versuch der weitgehenden Resektion dieser Tumoren befürwortet. Eine Teilresektion ist bei vital bedrohlicher Raumforderung oder ggf. unter epilepsiechirurgischen Bedingungen zu erwägen. Als kurativ sollte ein solches Vorgehen aber nicht betrachtet werden. Ist der Tumor nicht operabel, sollte zumindest eine histologische Sicherung der Diagnose einem abwartenden Halten vorgezogen werden, da dann formal eine Therapieindikation besteht (s. u. Risikofaktor Teilresektion) und die Wahl der Therapie von dem molekularbiologischen Befund abhängig ist.
Bei der Planung der postoperativen Therapie sind folgende Paramater relevant, die eine Hochrisikosituation kennzeichnen: Vorliegen eines Tumorrestes aufgrund einer Tumorteilresektion /Biopsie und/oder Alter > 40. Beim Vorliegen eines dieser Parameter ist eine Therapie bereits zum Zeitpunkt der Erstdiagnose indiziert. Eine weitere Indikation zur Therapie ist ein Tumorprogress nach bisher nur alleinig durchgeführter Resektion.
Der Einsatz einer alleinigen
Strahlentherapie bereits in der Primärsituation bei diesen Tumoren wird kontrovers diskutiert, weil im Vergleich zur Einleitung der Radiotherapie zum Zeitpunkt eines Tumorrezidivs eine Verbesserung des progressionsfreien Überlebens, jedoch keine Verlängerung des Gesamtüberlebens (van den Bent et al.
2005) gezeigt wurde. Das Risiko potenzieller neurotoxischer Spätfolgen bei einer Population relativ junger Patienten mit mehrjähriger Überlebenszeit ist darüber hinaus zu beachten. Falls eine Bestrahlung zum Einsatz kommt, dann werden je nach Bestrahlungsvolumen Dosen zwischen 50,4 und 54 Gy (Einzeldosis 1,8 Gy) empfohlen. Bei relativ umschriebenen Tumoren ohne Zeichen der Raumforderung ist bei tiefem Sitz auch die
interstitielle Strahlentherapie (
Brachytherapie, Seed-Implantation
) ein zumindest in Europa etabliertes Therapieverfahren.
Eine alleinige Chemotherapie ist bei diesen Tumoren eher nicht vorrangig einzusetzen. Als Ausnahme kann folgendes diskutiert werden: Procabacin/CCNU(PC)-Therapie bei sehr großflächigen Tumoren mit extrem großen Strahlenfeldern (früher: Gliomatosis cerebri, Glas et al.
2011). Die noch vorläufigen Daten der EORTC-22033-26033-Studie (Baumert et al.
2016) zeigen bisher, dass eine alleinige
Strahlentherapie bei Vorliegen einer IDH-Mutation und fehlenden 1p/19q-Kodeletion einer alleinigen Chemotherapie mit Temozolomid hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens überlegen ist. Ferner zeigen die Daten der RTOG-9802-Studie (Buckner et al.
2016), dass bei Patienten mit niedriggradigen Gliomen und den o. g. Risikofaktoren die bereits primär eingesetzte Kombination aus Strahlentherapie und einer PCV-Kombinationschemotherapie (Procarbazin, CCNU, Vincristin, Schema Abschn.
6) einer reinen Strahlentherapie überlegen ist. Die kombiniert behandelten Patienten zeigen ein deutlich längeres progressionsfreies und Gesamt-Überleben. Sollte beim Vorliegen der o. g. Hochrisikofaktoren bei Patienten mit Astrozytom WHO-Grad II eine Therapie indiziert sein, dann kann eine Strahlentherapie gefolgt von einer PCV-Chemotherapie diskutiert werden. Bei genauer Betrachtung der Studiensubgruppen zeigt sich ein Therapieeffekt jedoch nur für Patienten mit einem oligodendroglialen und nicht für Patienten mit einem astrozytären Tumor. Wir empfehlen daher die Kombination aus einer Strahlentherapie und einer Temozolomid-Chemotherapie. Ob die Temozolomid-Chemotherapie bereits zusätzlich zur Strahlentherapie (konkomitant) oder danach (adjuvant) gegeben werden soll, ist derzeit noch unklar. Aus den vorläufigen Daten der CATNON-Studie für Astrozytome Grad III (IDH mutiert, fehlende 1p/19q-Kodeletion) wird ersichtlich, dass 12 Zyklen adjuvante Temozolomid-Therapie zusätzlich zur Strahlentherapie das Überleben der Patienten signifikant verlängern (van den Bent et al.
2017). In einigen Kliniken wird dieses Schema nun auch für Grad-II-Astrozytome und Risikofaktoren eingesetzt. Wir favorisieren jedoch derzeit eine kombinierte Radiochemotherapie mit konkomitanter und 6 Zyklen adjuvanter Temozolomid-Therapie. Hierzu gibt es jedoch keine ausreichende Evidenzlage und bereits jetzt schon Hinweise aus der CATNON-Studie, dass die konkomitante Temozolomidtherapie möglichweise nicht bei der gesamten Studienpopulation wirksam war.
Unklar ist derzeit die Vorgehensweise bei Patienten ohne IDH-Mutation. Wie oben erläutert, ist die Prognose dieser Patienten deutlich schlechter und der eines Glioblastoms, trotz formaler Einstufung als WHO-Grad-II-Tumor, ähnlich. In einigen Zentren wird neben der
Strahlentherapie die Indikation zu einer Temozolomid-Chemotherapie nur bei methyliertem MGMT-Promotor gestellt oder eine Strahlentherapie gefolgt von 12 Zyklen adjuvanter Temozolomidtherapie. Wir empfehlen derzeit eine kombinierte Radiochemotherapie mit konkomitanter und adjuvanter Temozolomid-Therapie oder eine Strahlentherapie gefolgt von 12 Zyklen adjuvanter Temozolomidtherapie.
Die Nachsorge sollte (in Abhängigkeit von der Verlaufsdauer und ggf. auch vom molekularen Status; kurzes Intervall z. B. bei fehlender IDH-Mutation) eine klinisch-neurologische Untersuchung und zerebrale Bildgebung (MRT) in 4- bis 6-monatigen Abständen beinhalten.
Im Rezidiv können je nach Vorbehandlung die gleichen Therapiemodalitäten abgefragt werden: Ist eine erneute Resektion möglich? Kann re-bestrahlt werden und welche Chemotherapie ist indiziert? Bei Versagen einer Temozolomid-Therapie kommen z. B. nitrosoharnstoffhaltige Protokolle in Frage und umgekehrt.
Prognostisch kann bei Patienten mit astrozytären Grad-II-Tumoren durch eine Radiochemotherapie im Vergleich zu einer Radiomonotherapie mit einer Steigerung der Überlebenszeit von ca. 4 auf 7–8 Jahre gerechnet werden.
Anaplastische Astrozytome, WHO-Grad III
Astrozytäre Varianten (Auswahl)
Pleomorphe Xanthroastrozytome treten meist als supratentorielle WHO-Grad-II-Tumoren bei Kindern oder Jugendlichen auf. Therapie der Wahl ist die möglichst komplette Resektion. Postoperativ gelten bei Kindern sowie Erwachsenen die entsprechenden Empfehlungen in den jeweiligen Abschnitten zu den Grad-II-Astrozytomen.
Subependymale Riesenzellastrozytome
sind meist im Rahmen einer
tuberösen Sklerose auftretende WHO-Grad-I-Tumoren, die sehr groß werden und eine Obstruktion des Foramen Monroi verursachen können. Symptomatische Tumoren sollten reseziert werden. Die
Strahlentherapie ist auch nach inkompletter Resektion meist nicht indiziert.
Bis zur Revision der
WHO-Klassifikation von 2016 wurde noch die Entität
Gliomatosis cerebri geführt. Darunter verstand man einen durch Biopsie gesicherten glialen Tumor, der sich bildgebend, in der Regel in der MRT, in mehr als zwei Gehirnlappen nachweisen lässt. Heute weiß man, dass die Gliomatosis kein eigenständiges genetisches und epigenetisches Profil hat und daher keine eigene Gliomentität darstellt. In der neuen WHO-Klassifikation ist die Gliomatosis daher nicht mehr gelistet (Herrlinger et al.
2016). Da diese Läsion jedoch sehr großflächig wächst, ist Folgendes zu beachten: Operative Maßnahmen beschränken sich meist auf die Biopsie. Die
Strahlentherapie muss oft große Zielvolumina miteinbeziehen, u. U. das gesamte Gehirn sowie Hirnstamm und ggf. auch Rückenmark. Alternativ kann hier daher im Einzelfall der Versuch einer primären Chemotherapie, z. B. nach dem PC-Protokoll (Glas et al.
2011) oder mit Temozolomid, unternommen werden. Dies sollte individuell und auch unter Berücksichtigung des histologischen und molekularbiologischen Befundes entschieden werden.
Astroblastome
sind seltene, bei jungen Erwachsenen auftretende Tumoren unbestimmter Dignität. Sie treten v. a. in den Hemisphären, aber auch an allen anderen Orten des Gehirns auf. Sie können zystisch sein. Therapiestandards wurden bisher nicht definiert. Astroblastome ohne Zeichen der Anaplasie können gelegentlich durch radikale Resektion allein über Jahre kontrolliert werden. Da es bei inkompletter Resektion zum Rezidiv kommt, sollten teilresezierte Astroblastome postoperativ bestrahlt werden. Die Rolle der Chemotherapie wurde bei diesen Tumoren nicht systematisch untersucht. Dennoch empfiehlt es sich in dieser Konstellation diese Tumoren gemäß den zu WHO-II-Astrozytomen gemachen Ausführung zu behandeln. Hier wird beim Vorliegen von Risikofaktoren (Alter über 40 Jahre, Teilresektion) der Einsatz einer kombinierten Radiochemotherapie diskutiert. Anaplastische Astroblastome empfehlen wir, gemäß den Ausführungen zu anaplastischen Astrozytomen zu therapieren.
Das
Chordoidgliom des dritten Ventrikels ist ein seltener WHO-Grad-II-Tumor bei Erwachsenen, der häufig nicht vollständig reseziert werden kann. Adjuvante Therapien sind nicht untersucht (Kurian et al.
2005). Aber auch hier kann man eine Therapie analog zu den Empfehlungen bei Grad-II-Astrozytomen diskutieren.
Glioblastome, WHO-Grad IV
Nach Abschluss der Therapie werden bei Fehlen klinischer Hinweise auf eine Progression oder ein Rezidiv MRT-Kontrollen in 3-monatlichen Abständen empfohlen: Etwa 20–30 % der Patienten mit
Glioblastomrezidiven sind Kandidaten für eine
Reoperation, insbesondere bei langem Intervall zur Erstoperation, gutem Allgemein- und neurologischem Zustand, Optionen für eine weitere postoperative Chemo- oder Radiochemotherapie, signifikanter Raumforderung und vertretbarem Operationsrisiko. Insbesondere bei distanten oder umschriebenen Rezidiven kommt auch eine fokussierte
Re-Bestrahlung in Frage (Combs et al.
2005). Im Rezidiv ist ebenfalls der Wert der Chemotherapie belegt. Verschiedene Substanzen wie z. B. Nitrosoharnstollfe (insbesondere CCNU) oder eine erneute Gabe von Temozolomid (Rechallenge) kommen infrage (Wick A. et al.
2009).
Bevacizumab, ein
Antikörper gegen den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF), wurde in vier großen randomisierten Studien in der Primärtherapie oder Rezidivsituation beim Glioblastom eingesetzt (Chinot et al.
2014; Gilbert et al.
2014; Herrlinger et al.
2016; Wick et al.
2017). VEGF wird von hypoxischen Gliomzellen sezerniert und stimuliert die Neubildung von Kapillarendothelien. Eine Blockade von VEGF kann in
Glioblastomen wirkungsvoll die Neoangiogenese hemmen. In den randomisierten Studien wurde gezeigt, dass Bevacizumab zwar zu einer Verlängerung des progressionsfreien Überlebens, nicht aber zu einer Verlängerung des Gesamtüberlebens führt. Bevacizumab wird im Rahmen eines individuellen Heilversuchs noch vereinzelt im Rezidiv in Deutschland eingesetzt und hat dort auch nach wie vor einen Stellenwert. Die Therapie wurde jedoch in Deutschland nicht zugelassen und wird nur noch selten von den Krankenkassen übernommen.
Oligodendrogliome, WHO-Grad II
Ist eine weiterführende Therapie bei progredienten Tumoren erforderlich, wird geprüft, ob erneut opertiert, bestrahlt oder eine Chemotherapie (z. B. Termozolomid) gegeben werden kann. Regelmäßige MR-Kontrollen sind alle (4–)6 Monate erforderlich.
Oligodendrogliome, WHO-Grad III
Ependymome
Grad-I-Ependymome werden bei Behandlungsindikation primär nur operativ behandelt. Die Prognose ist hier insgesamt eher günstig, insbesondere bei komplett resezierten Grad-I-Ependymomen. Zur Nachsorge dienen MRT-Kontrollen unmittelbar postoperativ, nach 3, 6 und 12 Monaten und danach jährlich.
Im Rezidiv kann alternativ zur Reoperation oder ergänzend eine stereotaktische Re-Bestrahlung oder auch eine Radiochirurgie erfolgen. Bei erwachsenen Patienten mit Ependymomen kann bei Fehlen operativer und strahlentherapeutischer Optionen ein Therapieversuch mit Zytostatika unternommen werden. Platinderivate, Nitrosoharnstoffe, eine PCV-Chemotherapie oder Temozolomid können eingesetzt werden.
Diffuse Mittelliniengliome (DMG), H3 K27M-mutiert
In der neuen
WHO-Klassifikation (Louis et al.
2016) werden die sog. Hirnstammgliome und intrinsischen Ponsgliome (DIPG), die meist bei Kindern, aber auch jüngeren Erwachsenen vorkommen, durch die neu eingeführte Entität „diffuse Mittelliniengliome, H3 K27M-mutiert“ ersetzt. Diese diffusen Gliome des Thalamus, Hirnstamms, Rückenmarks oder anderer mittelliniennaher Strukturen repräsentieren etwa 3–4 % aller hochmalignen Gliome. In 70 % der Fälle ist eine H3 K27M-Mutation nachweisbar und die Tumoren werden als WHO-Grad-IV-Tumoren eingestuft, auch wenn man rein histologisch alle WHO-Grade nachweisen kann.
Diese Tumoren können primär diffus infiltrierend oder exophytisch wachsen oder ein kombiniertes Wachstumsmuster zeigen. Astrozytome des Hirnstamms sind überwiegend Tumoren des Kindes- und jugendlichen Erwachsenenalters. Die meisten Tumoren zeigen keine klar definierte Infiltrationszone. Die Wahrscheinlichkeit der malignen Progression niedriggradiger Tumoren zum anaplastischen Astrozytom oder Glioblastom beträgt 60–80 %. Die Verdachtsdiagnose ergibt sich aus der Bildgebung. Im Erwachsenen- und im Kindesalter sollte, wenn möglich, immer eine Biopsie erfolgen, bevor eine tumorspezifische Therapie eingeleitet wird. Bei Kindern wird allerdings bei typischen Befunden in der MRT heute noch oft auf eine histologische Sicherung der Diagnose verzichtet.
Facharztfragen
1.
Wie ist die optimale Therapie eines Patienten bei Erstdiagnose eines Glioblastoms im Alter unter 70 Jahren?
2.
Welche Therapien stehen bei anaplastischen Astrozytomen und Oligodendrogliomen, WHO-Grad III, zur Verfügung?