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Die Urologie
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Publiziert am: 03.09.2022

Urothelkarzinom der Harnblase: Chirurgische Therapie

Verfasst von: Christian Bolenz
Die radikale Zystektomie mit pelviner Lymphadenektomie ist der Goldstandard zur operativen Therapie des muskelinvasiven Urothelkarzinoms der Harnblase. Sie umfasst die Entfernung des Tumors sowie die rekonstruktive Harnableitung. Der Eingriff führt zur bestmöglichen lokoregionalen Kontrolle des Urothelkarzinoms. Die radikale Zystektomie wird zunehmend als Therapiesäule im Rahmen multimodaler Konzepte angewendet. Sie wird dabei in Verbindung mit einer neoadjuvanten oder adjuvanten Cisplatin-basierten Chemo- und neuerdings einer Immuntherapie durchgeführt. Moderne Operationstechniken und eine verbesserte perioperative Versorgung der Patienten haben dazu geführt, dass die spezifische Morbidität gesenkt werden konnte und trotz des großen Eingriffes langfristig ein besserer Erhalt der Lebensqualität möglich ist. Minimalinvasive roboter-assistierte Operationsverfahren werden zunehmend angewendet und bieten die Vorteile der geringeren Invasivität. Ihre funktionellen und onkologischen Langzeitergebnisse stehen noch aus.

Einleitung

Die radikale Zystektomie ist in kurativer Intention die Therapie der Wahl eines muskelinvasiven Urothelkarzinoms der Harnblase. Der Eingriff beinhaltet bei Männern die En-bloc-Entfernung der Harnblase, der Prostata und der Samenblasen (daher genauer auch als Zystoprostatektomie bezeichnet) sowie bei der Frau die Entfernung der Harnblase, des Uterus, der Adnexe und der vorderen Vaginalwand (sog. vordere Exenteration des weiblichen Beckens). Außerdem werden das perivesikale Fett, das viszerale Peritoneum sowie die pelvinen Lymphknoten reseziert.
Die radikale Zystektomie entwickelte sich aus der sog. einfachen Zystektomie, bei der lediglich die Harnblase mitsamt dem darüber liegenden Anteil des Peritoneums und begleitendem perivesikalen Fettgewebes entfernt wurde. Die Nachbarorgane oder pelvinen Lymphknoten wurden belassen. Die Ergebnisse der ersten Zystektomieserien zeigten bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts, dass die 5-Jahres-Überlebensrate der auf diese Weise operierten Patienten mit einem Urothelkarzinom unter 20 % lag. Diese Tatsache sowie hohe Lokalrezidivraten führten zu einer raschen Weiterentwicklung der Operation mit der Intention, zunächst die onkologischen Resultate zu verbessern. Die Resektionsgrenzen wurden zur Verbesserung der Rezidivsituation großzügiger gewählt und der Eingriff wurde anfangs als radikale totale Zystektomie bezeichnet. Ab den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts erkannten Chirurgen bereits, dass die pelvinen Lymphknoten, insbesondere bei lokal fortgeschrittenen Tumorstadien, häufig befallen waren. Sie zogen die Konsequenz, eine bilaterale pelvine Lymphadenektomie in die radikale Zystektomie zu integrieren.
Nach ersten beachtenswerten Behandlungserfolgen mit der radikalen Zystektomie und pelvinen Lymphadenektomie ab den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts, wurde der Eingriff maßgeblich von Skinner weiterentwickelt (Skinner 1981). Er beobachtete, dass die Ausdehnung der pelvinen Lymphadenektomie zu einer geringeren Rate von Lokalrezidiven im Becken führte. Dies galt auch für Patienten, die eine Lymphknotenmetastasierung zum Zeitpunkt der Operation aufwiesen. Skinner folgerte daraus, dass eine minutiöse Lymphadenektomie zu einer besseren Kontrolle der Erkrankung führen kann sowie zu einer Heilung bei manchen Patienten. Skinner berichtete eine relativ hohe 5-Jahres-Überlebensrate von 36 % bei Patienten mit fortgeschritteneren Stadien sowie bei Vorliegen von Lymphknotenmetastasen.
Die verschiedenen Modifikationen der Operationstechnik führten außerdem zu einer deutlichen Senkung der Rate an Lokalrezidiven. Auch heutzutage werden die Operationstechnik und das perioperative Management der Patienten noch kontinuierlich weiterentwickelt. Die onkologischen Prinzipien dieser Operation wurden jedoch vor Jahrzehnten etabliert und stellen weiterhin die wichtigsten Eckpfeiler der Therapie des muskelinvasiven Harnblasenkarzinoms dar.

Indikationen

Die radikale Zystektomie sollte innerhalb von 3 Monaten nach Indikationsstellung durchgeführt werden (Fahmy et al. 2006). Das Ziel der Operation ist die radikale lokale Resektion der Erkrankung in den klinischen Tumorstadien cT2–4, cN0 bzw. cNx und M0. Für manche Patienten mit nichtmuskelinvasiven Urothelkarzinomen und einer „Hochrisiko-Situation“ kann die Durchführung einer radikalen Zystektomie ebenfalls indiziert sein. Dazu zählen insbesondere größere und multifokale Tumoren mit einer High-grade-Differenzierung inklusive des Carcinoma in situ. Auch Tumoren, die nach einer intravesikalen Erhaltungstherapie rezidivieren und somit ein hohes Risiko für eine Progression und Metastasierung aufweisen, zählen zu dieser Gruppe. Eine weitere Indikation für die radikale Zystektomie ist das Vorliegen ausgedehnter intravesikaler Tumoren, die endoskopisch nicht sanierbar sind. Nichturothelkarzinome besitzen eine andere Tumorbiologie und sprechen häufig nur schlecht auf eine Chemo- oder Strahlentherapie an, sodass diese vorzugsweise ebenfalls durch eine radikale Zystektomie zu therapieren sind. Bei Patienten mit einer lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Erkrankung (≥ klinisches Tumorstadium cT3 und/oder cN+ und/oder cM+) kann die Operation im Rahmen der palliativen Therapie indiziert sein, sofern tumorassoziierte Symptome (z. B. Fistelbildung, Harnstauungsnieren, Schmerzen oder rezidivierende Makrohämaturie) beseitigt werden können.
Indikationen für die radikale Zystektomie mit bilateraler pelviner Lymphadenektomie
1.
Kurative Intention:
  • Erstdiagnose eines muskelinvasiven Harnblasenkarzinoms
  • Rezidiv eines nichtmuskelinvasiven High-grade-Urothelkarzinoms, trotz einer laufenden oder zuvor durchgeführten Instillationstherapie mit BCG
    • multifokale und/oder > 3 cm messende pT1 high grade- Tumore im TUR- Präparat, insbesondere mit begleitendem CIS
  • dem Befund eines pT1 high grade/G3 NMIBC im TUR-Präparat nach BCG- Induktionstherapie in der Dreimonats-Kontrolle, dem sog. „Frührezidiv“, welches einem Versagen der BCG-Therapie entspricht.
    • Endoskopisch nicht resektable Harnblasenkarzinome
 
2.
Palliative Intention
  • Trotz metastasierter Erkrankung lokal symptomatische Harnblasenkarzinome, z. B. bestehende Schmerzen oder klinisch relevante Makrohämaturie
 

Präoperative Diagnostik

Die wichtigsten Ziele der präoperativen Diagnostik sind die Festlegung
  • des klinischen Tumorstadiums,
  • die Charakterisierung des histopathologischen Typs
  • sowie die Identifikation verschiedener Prognosefaktoren.
Zur Erhebung des Tumorstadiums stehen invasive und nichtinvasive Methoden zur Verfügung. Zur invasiven Diagnostik zählt die zystoskopische Evaluation, die im Rahmen der transurethralen Resektion (TUR) stattfindet mit nachfolgender histopathologischer Evaluation des Harnblasentumors sowie die bimanuelle Untersuchung. Nichtinvasive Maßnahmen stellen die verschiedenen Bildgebungsmodalitäten im Rahmen der Ausbreitungsdiagnostik dar.
Die Indikationsstellung zur radikalen Zystektomie erfolgt auf der Grundlage des histopathologischen Ergebnisses der transurethralen Resektion. Die feingewebliche Untersuchung bietet eine Information über das Tumorstadium und die Differenzierung des Tumors. Für die Klassifikation des Tumorstadiums wird die aktuelle Ausgabe des American Joint Committee on Cancer (AJCC) anhand der Tumor Node Metastasis (TNM)-Klassifikation herangezogen (Kap. „Urothelkarzinom der Harnblase: Klassifikation“).
Die transurethrale Diagnostik vor einer radikalen Zystektomie beinhaltet eine möglichst repräsentative Resektion des Harnblasentumors sowie gegebenenfalls Biopsien der Harnblase und bei einer trigonalen Tumorlokalisation Biopsien der prostatischen Harnröhre (Kap. „Urothelkarzinom der Harnblase: transurethrale Resektion und photodynamische Verfahren“). Bei Männern sollte im Rahmen der präoperativen Diagnostik eine Infiltration der Prostata bzw. der prostatischen Harnröhre ausgeschlossen werden. Dies ist wichtig für die individuelle Wahl der Harnableitung (orthotop vs. heterotop). In ähnlicher Weise sollten präoperativ bei Frauen Biopsien des Blasenhalses durchgeführt werden, um eine gleichzeitige Infiltration der Urethra auszuschließen. Dies kann dazu beitragen, geeignete Patientinnen für einen Urethraerhalt und somit eine orthotope Harnableitung auszuwählen. Sofern bei der initialen TUR bereits ein muskelinvasives Urothelkarzinom diagnostiziert wurde, ist in der Regel keine erneute transurethrale Re-Evaluation notwendig. Dieses Vorgehen kann zur bestmöglichen Tumorresektion vor einer Radiochemotherapie in Erwägung gezogen werden oder wenn der Patient eine radikale Zystektomie ablehnt oder diese aus anderen Gründen nicht durchgeführt werden kann.
Die bildgebende Ausbreitungsdiagnostik sollte feststellen, ob ein organüberschreitendes Tumorwachstum, eine Hydronephrose oder eine pathologische Lymphknotenvergrößerung sowie eine Fernmetastasierung vorliegt. Die kontrastmittel-gestützte Computertomographie (CT) des Thorax, des Abdomens und des Beckens stellt den Standard bei der Ausbreitungsdiagnostik dar. Dabei soll eine urografische Phase zur Mitbeurteilung des oberen Harntraktes abgebildet werden. Es kann die lokoregionale Ausdehnung des Tumors sowie der Lymphknotenstatus im Becken und im Retroperitoneum erhoben werden. Außerdem kann damit eine Bildgebung der häufigsten Metastasenlokalisationen erfolgen. Alternativ kann bei Patienten mit einer Niereninsuffizienz oder anderen Kontraindikationen gegen eine CT-Untersuchung eine Magnetresonanztomographie durchgeführt werden. Beide Schnittbildverfahren haben Limitationen bezüglich der Diagnostik einer Mikrometastasierung, z. B. in Lymphknoten.
Eine retrograde Urographie im Rahmen der zystoskopischen Diagnostik bei der TUR kann ebenfalls durchgeführt werden. Eine Knochenszintigraphie kann notwendig werden, wenn der Verdacht auf eine ossäre Metastasierung besteht, beispielsweise bei einer Erhöhung der alkalischen Phosphatase im Serum oder charakteristischen Schmerzen. Eine routinemäßige Durchführung dieser Untersuchung ist bei Patienten mit einem klinisch lokalisierten Harnblasenkarzinom nicht notwendig. Eine PET(-CT)-Untersuchung beim Urothelkarzinom erbringt meistens keinen relevanten Mehrnutzen.

Operationstechnik

Zur kompletten Entfernung des Primärtumors im Sinne einer radikalen Zystektomie werden bei Männern die Prostata und die Samenblasen sowie bei der Frau der Uterus, abhängig von der Harnableitung ggf. die Urethra, die Adnexe sowie die vordere Vaginalwand entfernt. Es werden jeweils die anhängenden distal bzw. intramural verlaufenden Ureteren, das perivesikale Fett, das pelvine viszerale Peritoneum sowie die pelvinen Lymphknoten mit entfernt. Die Erhaltung der vorderen bzw. membranösen Urethra sollte, sofern keine Tumorinfiltration besteht, erfolgen, um deren Funktion für einen orthotopen Harnblasenersatz zu gewährleisten. Ein besonderer Aspekt ist der rekonstruktive Teil zur Gewährleistung einer Harnableitung. Die Wahl der Harnableitung muss bei jedem Patienten individuell stattfinden. Sie beinhaltet insbesondere die Präferenz des Patienten, seine Begleitpathologien, die intellektuelle und soziale Fähigkeit des Selbst-Katheterismus, die Nierenfunktion, das Risiko eines Urethrabefalls sowie die Verfügbarkeit von gesunden Darmanteilen, die zur Konstruktion der Harnableitung verwendet werden können. Idealerweise sollte die Entscheidung für einen bestimmten Typ der Harnableitung in einem Konsens zwischen Operateur und Patient gefunden werden. Außerdem sollten alle Angehörigen, die bei der postoperativen Versorgung des Patienten beteiligt sind, in den Entscheidungsfindungsprozess eingebunden werden (Kap. „Inkontinente Harnableitungen“ und Kap. „Kontinente Harnableitungen“).
Die offene Operationstechnik ist das Standardverfahren. Es wird eine mediane Laparotomie durchgeführt, die sich von der Symphyse des Os pubis bis zum Bauchnabel oder darüber hinaus erstreckt. Es erfolgt zunächst eine palpatorische Beurteilung des Beckens und der tumorbefallenen Harnblase. Dadurch kann die Resektabilität beurteilt und eine Exploration der Abdominalhöhle durchgeführt werden. Zunächst wird das Retroperitoneum exponiert. Die bilaterale Lymphadenektomie kann zu Beginn des Eingriffs oder nach der Entfernung der Harnblase stattfinden.
Zunächst werden die lateralen Harnblasenpfeiler exponiert, ligiert und separiert (Abb. 1). Es sollte bei der konventionellen Technik ohne angestrebten Erhalt des neurovaskulären Bündels der Prostata eine tiefe pararektale Absetzung der Harnblasenpfeiler erfolgen. Im weiteren Verlauf erfolgt die Dissektion und Absetzung beider Ureteren vor der Einmündung in den Detrusormuskel. Nach deren Absetzung wird ein kurzes distales Segment beider Ureteren zur Schnellschnittuntersuchung eingesendet mit der Fragestellung eines Tumorbefalles der Absetzungsränder. Die radikale Zystektomie wird komplettiert durch die dorsale Dissektion im Bereich des prärektalen Fettgewebes, bei Männern idealerweise dorsal der Denonvillier’schen Faszie (Abb. 2). Bei Frauen wird das spätere Präparat jeweils entlang der ventrolateralen Vaginalwand abgesetzt, sofern kein kompletter Scheidenerhalt durchgeführt wird. Es werden bei der Dissektion nach kaudal die posterioren Harnblasenpfeiler ligiert. Die Absetzung der Urethra erfolgt, wenn kein orthotoper Harnblasenersatz zur Harnableitung vorgesehen ist. Ansonsten wird die Urethra präsphinktär abgesetzt und entsprechende Anastomosennähte vorgelegt. An diese wird das orthotope Reservoir später anastomosiert. Eine Schnellschnittuntersuchung der Urethra gibt Auskunft darüber, ob der urethrale Absetzungsrand tumorfrei ist. Im Falle einer Infiltration durch das Urothelkarzinom verbietet sich aufgrund der dann notwendigen Urethrektomie eine orthotope Harnableitung.
Eine Urethrektomie kann bei männlichen Patienten unabhängig von der intraoperativen Schnellschnittdiagnostik durchgeführt werden, wenn die Prostata eine extensive Tumorinfiltration durch ein Urothelkarzinom zeigt. Auch ein Tumorbefall des Harnblasenhalses ist ein Risikofaktor für das gleichzeitige Vorliegen einer Tumorausdehnung in die Urethra. Beispielsweise kann nach einer transurethralen Resektion der Prostata (TUR-P) unerwartet (akzidentell) eine Manifestation im Bereich der prostatischen Harnröhre diagnostiziert werden. Außerdem sollte bei einem bioptisch gesicherten ausgedehnten Befall der prostatischen Harnröhre durch ein Urothelkarzinom eine Urethrektomie durchgeführt werden. Die Urethrektomie bei Männern kann sowohl von kranial (retro- und präpubisch) als auch über einen perinealen Zugang erfolgen. Eine sekundäre Urethrektomie ist indiziert, wenn es zu einer urethralen Rezidivbildung des Urothelkarzinoms kommt. Diese treten in der Regel innerhalb der ersten 3 Jahre nach der Operation auf. Das Risiko beträgt abhängig vom histopathologischen Tumorstadium des Zystektomiepräparates bis zu 21 % (Skinner et al. 1998). Sofern zu diesem Zeitpunkt die Ausbreitungsdiagnostik negativ ist, findet die sekundäre Urethrektomie immer noch in kurativer Intention statt (sog. Salvage-Urethrektomie). Risikofaktoren für ein Tumorrezidiv der Urethra sind u. a. die Multifokalität des Primärtumors und eine Beteiligung der prostatischen Harnröhre. Das Risiko eines Tumorrezidivs in der Harnröhre ist in der defunktionalisierten Harnröhre bei kutaner Harnableitung höher als bei einem orthotopem Blasenersatz.

Funktionelle und geschlechtsspezifische Aspekte

Mit dem Ziel, postoperativ eine verbesserte Lebensqualität zu erreichen, wurden verschiedene technische Modifikationen der radikalen Zystektomie beschrieben. Beispielsweise kann ein Erhalt der vorderen und membranösen Urethra inklusive Anteile des urethralen Schließmuskels zur Vorbereitung einer orthotopen Harnableitung durchgeführt werden. Des Weiteren können intrapelvine autonome oder sensorische Nerven erhalten werden, ebenfalls mit dem Ziel der verbesserten Funktionalität. Alle technischen Variationen der Standardtherapie müssen grundsätzlich vorsichtig gegenüber möglichen onkologischen Risiken (z. B. inkomplette [R1-]Resektion) abgewogen werden.
Bei Männern werden die Prostata und die anhängenden Samenblasen in der Regel mit entfernt. Dies ist sinnvoll, weil in verschiedenen retrospektiven Studien inzidentelle Adenokarzinome der Prostata bei bis zu der Hälfte der zystektomierten Patienten diagnostiziert wurden. Wiederum etwa die Hälfte dieser Prostatakarzinome zeigte aggressive Tumorcharakteristika mit einem entsprechend erhöhten Progressions- und Metastasierungspotenzial. Darüber hinaus besteht bei bis zu 40 % der Patienten eine Infiltration des Urothels der prostatischen Harnröhre.
Eine nerverhaltende Operationstechnik bei Männern kann technisch analog zur nerverhaltenden radikalen Prostatektomie durchgeführt werden. Aus onkologischen Gründen wird dies vorrangig bei Patienten, die ein niedriges Tumorstadium (maximal pT2a) aufweisen, in Erwägung gezogen. Für den Nerverhalt werden die posterolateral verlaufenden neurovaskulären Bündel im Bereich des Harnblasenhalses und der Prostata erhalten. Diese sind von Bedeutung für die Sexualfunktion und die Funktion des urethralen Sphinkters. Die nerverhaltende Zystektomie kann bei Patienten, die einen orthotopen Harnblasenersatz erhalten, einen Vorteil bezüglich der Kontinenz und der erektilen Funktion haben durch die bessere Schonung des Sphinktermechanismus und den Erhalt der Harnröhrensensibilität. Neben dem reinen Nerverhalt wurden Techniken beschrieben, die Anteile der Prostata und der Samenblasen erhalten. Bei den prostataerhaltenden Techniken bleiben die Kapsel der Prostata und die Samenblasen erhalten, um die umliegenden Nerven zu schonen. Zwar scheint insbesondere ein Erhalt der erektilen Funktion bei den meisten der auf diese Weise operierten Patienten möglich, jedoch existieren für diese Techniken noch keine ausreichenden onkologischen Langzeitdaten. Eine Voraussetzung für die Anwendung funktionserhaltender Operationstechniken ist, dass präoperativ keine Einschränkungen der Sexualfunktion bestehen. Deswegen erscheinen diese Verfahren am ehesten für jüngere Patienten ohne signifikante Komorbiditäten sinnvoll.
Bei der radikalen Zystektomie der Frau werden die weiblichen Genitalorgane häufig mit reseziert im Sinne einer vorderen Exenteration unter variablem Erhalt von Anteilen der Vagina. Bei sexuell aktiven Frauen kann ein Scheidenerhalt bzw. bei Unmöglichkeit eine Scheidenrekonstruktion, z. B. die Konstruktion einer Neovagina aus Anteilen des Colon sigmoideum, angestrebt werden. Dabei ist eine ausreichende Scheidenlänge und -kapazität ein wichtiges Ziel. Diese speziellen Operationsverfahren müssen präoperativ ausführlich mit den Patientinnen und möglichst deren Partnern inklusive ihrer Risiken besprochen werden. Die onkologischen Ergebnisse werden meist nicht negativ beeinflusst unter der Voraussetzung, dass die dafür geeigneten Patientinnen vorsichtig ausgewählt werden (Chang et al. 2002). Ein positiver Nebeneffekt eines Vaginalerhalts kann ein besserer Funktionserhalt des Beckenbodens sein. Dies gilt insbesondere für Patientinnen, bei denen ein Erhalt der Urethra durchgeführt wird und keine Dissektion jenseits der endopelvinen Faszie mit potenzieller Schädigung des Nervus pudendus erfolgt. Bei der Auswahl geeigneter Patientinnen für einen Urethraerhalt muss beachtet werden, dass bei ca. einem Viertel der Frauen mit einem Urothelkarzinom der Harnblase die Urethra durch den Tumor infiltriert ist.

Pelvine Lymphadenektomie

Die pelvine Lymphadenektomie ist ein integraler Bestandteil der radikalen Zystektomie. Sie verbessert mit zunehmender Anzahl der entfernten lokoregionalen Lymphknoten die Genauigkeit des pathologischen Tumorstadiums. Mehreren Studien zufolge hat die pelvine Lymphadenektomie außerdem einen therapeutischen Vorteil in Bezug auf die wichtigsten onkologischen Endpunkte, z. B. das krankheitsspezifische Überleben. Es werden die primär die drainierenden lokoregionalen pelvinen Lymphknoten entfernt und idealerweise separat unter Angabe der jeweiligen anatomischen Region und Seite untersucht. Grundsätzlich sollte eine bilaterale Lymphadenektomie durchgeführt werden, da beschrieben wurde, dass Lymphknotenmetastasen auch auf der kontralateralen Seite der Primärtumorlokalisation in der Harnblase auftreten können (Roth et al. 2010). Alle Fettgewebsanteile um die Blutgefäße sollten reseziert werden (Abb. 3).
Bei etwa 25 % der Patienten, die aufgrund eines Urothelkarzinoms radikal zystektomiert und lymphadenektomiert werden, finden sich pelvine Lymphknotenmetastasen (Herr et al. 2004). Die primären „Landezonen“ für Lymphknotenmetastasen eines Harnblasenkarzinoms befinden sich in den Lymphabflussgebieten der Fossa obturatoria sowie im Bereich der internen und externen Iliakalgefäße (Abb. 4). Ein Wächterlymphknoten (sentinel node), der im Falle einer lymphogenen Metastasierung primär befallen wird, konnte für das Urothelkarzinom der Harnblase bisher nicht identifiziert werden.
Die Inzidenz von Lymphknotenmetastasen nimmt mit steigendem Tumorstadium zu. Die meisten Patienten weisen mehrere Lymphknotenmetastasen auf und bei ca. einem Drittel sind die sog. sekundären Lymphabflusswege in der präsakralen Region, im Bereich der iliakalen Kommunisgefäße sowie parakavale oder paraaortale Lymphknoten befallen (Steven und Poulsen 2007). Die primären und nachgeschalteten Lymphabflusswege der Harnblase finden sich in den anatomischen Grenzen der Standard- sowie der extendierten pelvinen Lymphadenektomie wieder (Abb. 5):
  • Bei der Standard- Lymphadenektomie liegt die proximale Begrenzung kurz vor der Bifurkation der A. iliaca communis auf Höhe der Überkreuzung des Ureters.
  • Bei der extendierten Lymphadenektomie wird die Dissektionsgrenze weiter nach kranial ausgedehnt. Sie beinhaltet die Entfernung jeglichen Lymphgewebes um die A. iliaca communis sowie häufig die paraaortalen bzw. parakavalen Lymphknoten bis zum Ursprung der A. mesenterica inferior. Die präsakralen Lymphknoten werden dabei ebenfalls entfernt.

Ausdehnung und Nutzen der pelvinen Lymphadenektomie

Aus der Tatsache, dass Patienten mit Lymphknotenmetastasen nach einer radikalen Zystektomie mit pelviner Lymphadenektomie ein rezidivfreies Langzeitüberleben erreichen können, könnte ein therapeutischer Nutzen der Lymphadenektomie abgeleitet werden. Deswegen sollte sie im Rahmen der radikalen Zystektomie zumindest als Standard-Lymphadenektomie (Fossa obturatoria, Aa. iliaca communis, externa und interna) mit einer Anzahl von 10–16 entfernten Lymphknoten durchgeführt werden. Die Notwendigkeit einer weiteren Ausdehnung ist kontrovers und hat in einer prospektiv-randomisierten Studie keinen eindeutigen Vorteil gegenüber einer „Standard-Lymphadenektomie“ gezeigt (Gschwend et al. 2019). Durch eine ausgedehntere Lymphadenektomie kann aufgrund der höheren Anzahl mikroskopisch untersuchter Lymphknoten das pathologische Tumorstadium genauer festgelegt werden. Eine höhere Anzahl entfernter Lymphknoten erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Lymphknotenmetastasen diagnostiziert werden (Herr et al. 2002). Die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung von Lymphknotenmetastasen beträgt ca. 75 % bei 25 untersuchten Lymphknoten und etwa 90 % bei einer Untersuchung von 45 entfernten Lymphknoten (Capitanio et al. 2009). Kritisch zu bemerken ist jedoch, dass die Anzahl pelviner Lymphknoten interindividuell schwanken kann und verschiedene Faktoren bei der pathologischen Aufarbeitung einen Einfluss auf die Anzahl der untersuchten Lymphknoten haben können. Deswegen stellt die Anzahl der durch den Pathologen identifizierten und untersuchten Lymphknoten lediglich ein indirektes Qualitätsmerkmal für die Sorgfältigkeit der Lymphadenektomie dar.
Es konnte bisher nicht eindeutig bewiesen werden, dass die Lymphadenektomie einen therapeutischen Vorteil hat. Retrospektive Studien haben gezeigt, dass sowohl die Anzahl der entfernten Lymphknoten als auch die Anzahl der tumorbefallenen Lymphknoten das rezidivfreie und das krankheitsspezifische Überleben beeinflussen (Dhar et al. 2008; Herr 2003). Die ausgedehntere Lymphadenektomie scheint die Wahrscheinlichkeit der Entfernung von Mikrometastasen in Lymphknoten zu erhöhen. In einer Vergleichsstudie zweier Exzellenzzentren mit unterschiedlichen Praktiken bei der pelvinen Lymphadenektomie (Standard versus extendiert) wurde beobachtet, dass das Rezidivrisiko von Patienten, die eine extendierte Lymphadenektomie erhielten, geringer war (Dhar et al. 2008). Dies galt sowohl für Patienten mit als auch für solche ohne Lymphknotenmetastasen zum Zeitpunkt der Operation.
Zusammenfassend sollte eine sorgfältige pelvine Lymphadenektomie im Rahmen des Eingriffes durchgeführt werden. In der vorgenannten randomisierten Studie wurde der Vorteil einer ausgedehnteren (sog. extendierten) Lymphadenektomie mit hoher Wahrscheinlichkeit verwässert, da in der Gruppe der „standard-lmyphadenektomierten“ Patienten im Median bereits 19 pelvine Lymphknoten entfernt (Gschwend et al., 2019). Dies entspricht bereits einer relativ großen Zahl an Lymphknoten im Vergleich zur bis dahin an vielen Kliniken durchgeführten Routine. Eine weitere US-amerikanische Studie (NCT01224665) der Southwest Oncology Group (SWOG) untersucht den möglichen Nutzen einer extendierten pelvinen Lymphadenektomie. Die Ergebnisse dieser Studie stehen aus.
Wichtig
Eine ausgedehntere pelvine Lymphadenektomie im Rahmen der radikalen Zystektomie erhöht die Anzahl entfernter Lymphknoten und die Wahrscheinlichkeit, Lymphkontenmetastasen zu finden. Die Mindestanzahl zu entfernender Lymphknoten liegt statistisch zwischen 10 bis 16.

Perioperative Radio- und Chemotherapie

Die kurative Therapie des Harnblasenkarzinoms wird zunehmend als multimodales Konzept durchgeführt. Mit dem Ziel, die Heilungsraten durch eine radikale Zystektomie zu verbessern, können prinzipiell eine neoadjuvante oder eine adjuvante Radio- oder Chemotherapie durchgeführt werden:
  • Durch eine Cisplatin-basierte neoadjuvante Chemotherapie kann insbesondere bei Patienten mit lokal fortgeschrittenen Tumoren (klinisches Tumorstadium mindestens cT3b oder bildmorphologisch Verdacht auf Lymphknotenmetastasen) ein Überlebensvorteil erreicht werden (Kap. „Urothelkarzinom der Harnblase: neoadjuvante und adjuvante medikamentöse Tumortherapie“). Das jeweilige Therapiekonzept sollte multidisziplinär vor Beginn festgelegt werden, sobald ein muskelinvasives Tumorstadium (≥T2) vorliegt.
  • Eine Cisplatin-basierte adjuvante Chemotherapie kann bei der Patienten nach der radikalen Zystektomie und histopathologischer Diagnose eines organüberschreitenden muskelinvasiven (>pT3) oder eines pathologisch regionär lymphogen metastasierten (pN+) Tumors angewendet werden, sofern keine neoadjuvante Chemotherapie durchgeführt wurde. Es werden meist 3 bis 4 Zyklen durchgeführt. Auch eine adjuvante Immuntherapie mit Nivolumab (sog. PD1-Inhibitor) kann bei „Hochrisiko“-Patienten mit einem muskelinvasiven Urothelkarzinom der Harnblase nach der Zystektomie indiziert sein, um das progressionsfreie Überleben zu verlängern.
  • Die perioperative (neoadjuvante und adjuvante) Radiotherapie kann prinzipiell eine Schrumpfung des Tumors bewirken bzw. die lokale Kontrolle verbessern, jedoch ist diese bisher nicht etabliert und wird vorrangig in klinischen Studien angewendet, u. a. in Kombination mit einer Immuntherapie (vgl. Kap. „Urothelkarzinom der Harnblase: radiotherapeutische Verfahren“).

Minimalinvasive radikale Zystektomie

Innerhalb der vergangenen beiden Jahrzehnte wurden laparoskopische und roboterassistierte Techniken in die Tumorchirurgie eingeführt. Dies gilt auch für die radikale Zystektomie. Das Verfahren wird in vielen Kliniken zunehmend durchgeführt. Die minimalinvasiven Verfahren bieten die klassischen Vorteile der laparoskopischen Operation. Dazu zählen meist ein reduzierter Schmerzmittelbedarf, ein reduzierter Blutverlust während der Operation mit damit einhergehenden niedrigeren Transfusionsraten sowie eine schnellere Mobilisierung und Rekonvaleszenz. Operationstechnisch ist die roboterassistierte Zystektomie als ablativer Teil der Operation von erfahrenen Operateuren gut zu bewerkstelligen. Das komplexe Rekonstruktionsverfahren zur Harnableitung in intrakorporaler Technik ist anspruchsvoller und zeitaufwändig. An spezialisierten Zentren wird auch die kontinente Harnableitung (zumeist als Ileum-Neoblase) intrakorporal durchgeführt. Die Vorteile der minimalinvasiven Operationstechnik kommen den Patienten zugute, jedoch sind die Operationszeiten im Vergleich zur konventionellen offenen Technik meistens länger.
Die roboterassistierte radikale Zystektomie bietet dem Operateur ein dreidimensionales Bild. Außerdem stehen im Vergleich zur konventionellen Laparoskopie mehr Freiheitsgrade zur Verfügung. Neben weiteren Neuentwicklungen beschleunigen diese Vorteile die operative Lernkurve des Verfahrens. Bezüglich der onkologischen Ergebnisse fehlen noch Langzeitdaten. In den ersten Jahren nach der Einführung des Verfahrens wurden hauptsächlich Patienten mit niedrigeren Tumorstadien und geringen Komorbiditäten ausgewählt (Khan et al. 2013). Dieser mögliche Selektionbias muss bei der Interpretation der onkologischen Ergebnisse berücksichtigt werden. Mittlerweile konnten prospektive und randomisierte Studien zeigen, dass das roboter-assistierte Operationsverfahren der offenen Operation nicht unterlegen ist. Darüber hinaus besteht das Potenzial, die Rate an positiven Schnitträndern zu reduzieren (Parekh et al. 2018).
Wichtig
Die Durchführung einer roboterassistierten radikalen Zystektomie ist möglich und wird zunehmend durchgeführt. Die bisherigen funktionellen und onkologischen Ergebnisse in erfahrenen Zentren sprechen dafür, dass sie der offenen radikalen Zystektomie nicht unterlegen ist.

Organerhalt

Eine harnblasenerhaltende Therapie als Alternative zur radikalen Zystektomie kann beispielsweise indiziert sein, wenn Patienten multimorbide sind und ein sehr hohes Operationsrisiko aufweisen oder wenn die Operation durch den/die Patienten/in abgelehnt wird. Es kann eine sog. trimodale Therapie als Kombination aus transurethraler Resektion des Tumors, Radiatio und Chemotherapie durchgeführt werden (Kap. „Urothelkarzinom der Harnblase: Radiotherapeutische Verfahren“). Eine partielle Zystektomie sollte nicht durchgeführt werden, da keine Gleichwertigkeit im Vergleich zur Standardtherapie, nämlich der radikalen Zystektomie, erreicht werden kann.
Organerhaltende Alternativen zum therapeutischen Goldstandard der radikalen Zystektomie bei Vorliegen eines Urothelkarzinoms der Harnblase
  • Transurethrale Resektion in Kombination bzw. gefolgt von einer Radio-Chemotherapie.
  • Partielle Zystektomie

Operationsergebnisse

Die radikale Zystektomie ist durch die effizienteren Operationstechniken und eine verbesserte anästhesiologische Versorgung in der Regel sehr sicher durchführbar und hat meistens eine geringe perioperative (innerhalb von 30 Tagen postoperativ) bzw. frühpostoperative (innerhalb von 90 Tagen postoperativ) Mortalitätsrate von unter 3 % (Hautmann et al. 2010; Stein et al. 2001). Eine oder mehrere perioperative Komplikationen erleiden bis zu 60 % der Patienten (Lawrentschuk et al. 2010; Novara et al. 2009). Diese frühen Komplikationen erfordern häufig eine erneute stationäre Aufnahme. Die am häufigsten auftretenden Komplikationen sind ein postoperativer Ileus, Wundinfektionen, Harnwegsinfektionen und Pyelonephritis, pulmonale Komplikationen (insbesondere Pneumonie) sowie kardiopulmonale Ereignisse und tiefe Venenthrombosen.
Cave
Eine oder mehrere Komplikationen erleiden bis zu zwei Drittel der Patienten, die einer radikalen Zystektomie unterzogen werden. Aufgrund dieser hohen Komplikationsrate ist eine engmaschige postoperative Überwachung notwendig.
Das operative Ergebnis und das Risiko für die Entwicklung von Komplikationen werden multifaktoriell beeinflusst. Dabei spielen das Patientenalter und das Vorliegen relevanter internistischer Vorerkrankungen oder Begleitpathologien im Becken eine Rolle. Außerdem haben das Operationsverfahren, die bereits durchgeführte Behandlung des Urothelkarzinoms, die Darmanastomose sowie die Form der Harnableitung einen Einfluss. Die operative Erfahrung des Operateurs sowie die Erfahrung der behandelnden Klinik wirken sich ebenfalls auf das Komplikationsrisiko aus.
Es werden standardisierte Klassifikationen zur Erfassung der Komplikationsraten in verschiedenen Studien angewendet. Dies erhöht die Vergleichbarkeit von Komplikationsraten verschiedener Serien. Die Clavien- Klassifikation wird häufig für diese Zwecke angewendet (Dindo et al. 2004) (Tab. 1). Zeitlich werden Komplikationen, die innerhalb von 90 Tagen postoperativ auftreten, als Frühkomplikationen angegeben, solche, die danach in Erscheinung treten, werden als Spätkomplikationen bezeichnet.
Tab. 1
Clavien-Klassifikation postoperativer Komplikationen. (Mod. nach Dindo et al. 2004)
Grad
Komplikationsbeschreibung
Grad I
 
Abweichung vom normalen postoperativen Verlauf; keine Intervention (medikamentös, radiologisch, chirurgisch) notwendig
Grad II
 
Leichte Komplikation: medikamentöse Intervention, Bluttransfusion oder parenterale Ernährung notwendig
Grad III
 
Komplikationen, die einer chirurgischen, endoskopischen oder radiologischen Intervention bedürfen
IIIa
Ohne Vollnarkose
IIIb
Mit Vollnarkose
Grad IV
 
Lebensbedrohliche Komplikation: intensivmedizinische Therapie notwendig
IVa
Versagen eines Organs
IVb
Versagen mehrerer Organe
Grad V
 
Komplikation, die zum Tode führt

Risikoeinschätzung

Die meisten Patienten, die sich einer radikalen Zystektomie unterziehen, sind älter als 65 Jahre. Obwohl ein höheres Alter grundsätzlich das Risiko einer perioperativen Komplikation erhöht, ist das rein chronologische Alter kein relevanter Prädiktor für eine erhöhte Komplikationsrate (Clark et al. 2005). Vielmehr erhöhen vorbestehende individuelle Faktoren das Komplikationsrisiko der Patienten. Eine Studie identifizierte das weibliche Geschlecht, abdominale Voroperationen, das Vorhandensein eines lokal fortgeschrittenen Tumors sowie eine vorangegangene Radiatio im Operationsgebiet als Risikofaktoren für das Auftreten einer Komplikation (Lawrentschuk et al. 2010). Ein erhöhter Body-Mass-Index wurde in dieser Untersuchung ebenfalls mit einer erhöhten Komplikationsrate, insbesondere einer Wundheilungsstörung und dem Auftreten von Narbenhernien in Verbindung gebracht. Selbstverständlich tragen internistische Vorerkrankungen, wie beispielsweise kardiopulmonale Probleme, eine Niereninsuffizienz, das Vorhandensein von Autoimmunerkrankungen und andere Darmerkrankungen zu einer erhöhten Komplikationsrate bei.
Zur besseren Einschätzung des individuellen Operationsrisikos eignet sich neben dem sog. ASA (American Society of Anesthesiologists)-Score beispielsweise der alterskorrigierte Charlson-Index (Charlson Comorbidity Index, CCI) (Daabiss 2011; Charlson et al. 1987). Der CCI berücksichtigt die Summe aller relevanten vorbestehenden Erkrankungen hinsichtlich der Einschränkung der Lebenserwartung. Es werden in diesem Score insgesamt 19 Krankheitsbilder erfasst und unterschiedlich gewichtet. Der CCI kann anhand dieser Parameter berechnet werden und ist der am häufigsten verwendete Score zur Risikoeinschätzung in der Tumorchirurgie (Hall et al. 2004). Er korreliert mit dem Langzeitüberleben der Patienten. Der CCI kann in Zusammenschau mit der onkologischen Situation dabei helfen, das individuelle Risiko der Patienten einzuschätzen.

Frühkomplikationen

Komplikationen, die während der radikalen Zystektomie und innerhalb von 90 Tagen danach auftreten, können nach dem betroffenen Organsystem (Tab. 2) und dem entsprechenden Schweregrad eingeteilt werden. Die Clavien-Klassifikation wurde an vielen Patienten validiert und erfasst alle relevanten Komplikationen (Tab. 1) (Dindo et al. 2004). Sie ist relativ einfach quantifizierbar und in der Klinik sowie in retrospektiven Datenerhebungen anwendbar.
Tab. 2
Komplikationen und deren relative Häufigkeit nach radikaler Zystektomie
Zeitpunkt des Auftretens der Komplikation
Art und Häufigkeit der Komplikation
Beschreibung
Intraoperativ
 
Akute Blutung (ca. 5 %)
Transfusionspflichtige Blutung (ca. 50 %)
Verletzung von Nachbarstrukturen, z. B. Rektum (ca. 2 %)
Frühkomplikationen
Chirurgisch (ca. 25 %)
Mechanischer Dünndarmileus
Anastomoseninsuffizienz
Symptomatische Lymphozele
Beckenhämatom
Wund-/Fasziendehiszenz
Infektiös (ca. 20 %)
Wundinfektion
Harnwegsinfektion
Gastrointestinal (ca. 20 %)
Paralytischer Ileus
Pulmonal (ca. 10 %)
Ateminsufizienz
Re-Intubation
Kardial (ca. 10 %)
Rhythmusstörungen
Thrombembolisch (ca. 5 %)
Tiefe Venenthrombose
Spätkomplikationen
Chirurgisch (ca. 5 %)
Narbenhernie
Impotenz*
Bridenileus
Fistelbildung
Komplikationen der Harnableitung (ca. 1–30 %)
Bakteriurie und febrile Harnwegsinfektionen
Harninkontinenz
Ureteroenterische Stenose
Parastomale Hernie
Subvesikale Obstruktion
Steinbildung
Metabolische Dysfunktion
*Häufigkeit in hohem Maße abhängig von der Operationstechnik
Frühkomplikationen erhöhen die Morbidität des Eingriffes und treten relativ häufig im Rahmen der radikalen Zystektomie auf. Aufgrund der kräftigen Durchblutung der Beckenorgane und der notwendigen Dissektion und Ligatur der Harnblasenpfeiler sowie der vorderen Vaginalwand bei der Frau besteht das Risiko eines hohen intraoperativen Blutverlustes. Die Transfusionsraten nach einer radikalen Zystektomie liegen relativ hoch und werden bei etwa der Hälfte der Patienten notwendig.
Verschiedene Organkomplikationen können den postoperativen Verlauf komplizieren und dadurch die Rekonvaleszenz verzögern. Chirurgische Komplikationen können durch die Zystektomie an sich, die Lymphadenektomie, die Darmanastomose oder die verwendete Form der Harnableitung bedingt sein. Im frühen postoperativen Verlauf ist der paralytische Ileus die häufigste Komplikation. Infektiöse Komplikationen, insbesondere Harnwegsinfektionen, treten bei bis zu einem Viertel der Patienten auf. Sie können den Harntrakt betreffen, jedoch auch nichturologische Ursachen haben, z. B. Pneumonien, Darmmotilitätsstörungen, Thrombosen, Wundheilungsstörungen, Lymphozelen sowie Urinextravasationen. Außerdem sind gastrointestinale und kardiopulmonale Komplikationen häufig. Kardiale Ereignisse, wie z. B. eine akute Herzinsuffizienz, das Auftreten von Herzrhythmusstörungen sowie eines Myokardinfarktes, sind bei bis zu 10 % der Patienten beschrieben worden (Lowrance et al. 2008). Zur Prävention thromboembolischer Komplikationen, die bei etwa 5 % der Patienten auftreten, ist die Verwendung von niedermolekularen Heparinen essenziell. Da onkologische Eingriffe im Beckenbereich zu den Hochrisikoeingriffen bezüglich der Entwicklung einer thromboembolischen Komplikation zählen, sollte eine konsequente Prophylaxe nicht nur bis zur vollständigen Mobilisation, sondern noch über den stationären Aufenthalt hinaus durchgeführt werden. Dies gilt insbesondere, wenn neben dem operativen Eingriff weitere dispositionelle Risikofaktoren (z. B. eine Thrombophilie) vorliegen. Eine präoperative Risikoabschätzung und leitliniengerechte Thromboembolieprophylaxe sind für die optimale Prävention unverzichtbar.
Cave
Die Dauer der medikamentösen Thromboembolie-Prophylaxe sollte bei Patienten nach radikaler Zystektomie für etwa 4 Wochen durchgeführt werden. Sie sollte unabhängig davon, ob ein Patient stationär oder bereits ambulant behandelt wird, erfolgen. Außerdem sollten zumindest während des Krankenhausaufenthaltes Kompressionsstrümpfe getragen werden.

Fast-track-Konzept

Mit dem Ziel, die Komplikationsrate zu senken und die Rekonvaleszenz der Patienten zu beschleunigen, wurden neue Konzepte im Rahmen der sog. Fast-track-Chirurgie implementiert. Bei der Optimierung der perioperativen Versorgung des Patienten werden wissenschaftliche Erkenntnisse im Sinne der evidenzbasierten Medizin mit dem Ziel der Vermeidung von Komplikationen in die Praxis umgesetzt. Die neuen Konzepte beziehen sich nicht nur auf den operativen Eingriff, sondern reichen von einem umfassenden Aufklärungsgespräch bis hin zur Organisation eines psychosozialen Netzwerkes für die Patienten nach ihrer Entlassung. Mittlerweile wird im Rahmen des Fast-track-Konzeptes meistens auf eine ausgedehnte mechanische Darmvorbereitung verzichtet. Insbesondere, wenn Dünndarm für die Harnableitung im Rahmen von Conduits oder Neoblasen verwendet wird, entfallen die als strapaziös empfundenen Abführmaßnahmen am Tag vor der Operation. Dies führt zu einer geringeren präoperativen Dehydrierung und hat Vorteile bei der postoperativen Rekonvaleszenz. Eine sparsamere intraoperative Hydrierung scheint ebenfalls Vorteile zu haben. In einer prospektiven Studie konnte gezeigt werden, dass die perioperative Komplikationsrate durch restriktive intraoperative Flüssigkeitsgabe und eine Noradrenalingabe deutlich gesenkt werden konnte (Wuethrich et al. 2013). Außerdem war die Krankenhausaufenthaltsdauer und die 90-Tages-Mortalitätsrate geringer als bei Patienten, die konventionell hydriert wurden.
Neben einer Verbesserung des anästhesiologischen Managements kann die Implementierung standardisierter postoperativer Behandlungspfade, wie z. B. eine frühe Mobilisierung, eine peridurale Schmerzkatheterversorgung, eine verbesserte postoperative Ernährung und die Prophylaxe tiefer Venenthrombosen, postoperative Verläufe verbessern und die perioperative Morbidität reduzieren.
Wichtig
Fast-Track bezieht sich nicht ausschließlich auf eine schnellere postoperative Mobilisation und Rekonvaleszenz, sondern umfasst als therapeutisches Konzept eine Optimierung aller Bereiche der perioperativen Versorgung vom ersten Patientenkontakt bis hin zur Tumornachsorge nach der Rehabilitation.

Spätkomplikationen und funktionelle Ergebnisse

Die funktionellen Ergebnisse nach einer radikalen Zystektomie hinsichtlich der Kontinenz- und Sexualfunktion haben einen entscheidenden Einfluss auf die postoperative Lebensqualität der Patienten. Dabei wirkt sich neben der Anwendung nervschonender bzw. sexualitätserhaltender Operationstechniken insbesondere die Form der Harnableitung auf die Komplikationsrate aus. Zu den häufigsten Langzeitkomplikationen zählen Probleme mit der enteroenteralen sowie ureterenteralen Anastomose mit nachfolgender Obstruktion durch narbige Strikturen. Auch die Schleimbildung im Harntrakt kann bei kontinenten Formen der Harnableitung zu Obstruktionen und infektiösen Komplikationen führen. Außerdem sind Hernien (z. B. parastomale Hernie nach Ileum-Conduit) sowie rezidivierende Harnwegsinfektionen (z. B. Pyelonephritiden) beschrieben worden. Harnableitungsspezifische Komplikationen werden in den entsprechenden Kapiteln über die Formen der Harnableitung nach radikaler Zystektomie detailliert abgehandelt (Kap. „Inkontinente Harnableitungen“ und Kap. „Kontinente Harnableitungen“).
Nach Anlage eines Ileum-Conduits treten innerhalb der ersten 5 Jahre bei etwa der Hälfte der Patienten Komplikationen auf und das Risiko, eine Komplikation zu entwickeln, steigt kontinuierlich an je mehr Zeit nach der Operation vergeht (Madersbacher et al. 2003). Dabei waren die häufigsten Komplikationen das Auftreten einer Hydronephrose bzw. Nierenfunktionsstörung, Stomakomplikationen, Darmkomplikationen, Harnwegsinfektionen (alle jeweils ca. 25 %), Obstruktionen der ureterenteralen Anastomose (ca. 15 %) sowie eine Urolithiasis (ca. 10 %). Die relativ hohe Rate an Langzeitkomplikationen nach der Anlage eines Ileum-Conduits unterstreicht die Wichtigkeit einer lebenslangen Nachsorge, um Veränderungen des oberen Harntraktes (z. B. Hydronephrose oder Steinbildung) zu erkennen und erfolgreich therapieren zu können.
Wichtig
Die Nachsorge nach radikaler Zystektomie ist nicht rein onkologisch, sondern auch funktionell. Aufgrund einer hohen Komplikationsrate des oberen Harntraktes sollte ein lebenslanges Monitoring der Patienten auch über die klassischen onkologischen 5- und 10-Jahres-Endpunkte hinaus erfolgen.
Eine ebenfalls hohe Komplikationsrate zeigt die Anlage einer Neoblase. Hautmann und Kollegen berichteten von ihrer Erfahrung über einen Zeitraum von etwa 25 Jahren (Hautmann et al. 2011, 2012). Es wurden 923 Patienten nach der radikalen Zystektomie mit einer orthotopen Neoblase versorgt. Innerhalb eines medianen Nachbeobachtungsintervalls von 6 Jahren traten bei 41 % der Patienten Komplikationen auf. Zu den häufigsten Problemen zählten das Auftreten einer Hydronephrose (17 %), einer Narbenhernie (6 %), einer fieberhaften Harnwegsinfektion (6 %) sowie eines Ileus (4 %). Eine subvesikale Obstruktion trat in 3 % der Fälle auf. Eine chronische Diarrhö oder ein klinisch relevanter Vitamin-B12-Mangel traten sehr selten auf, wohingegen etwa ein Drittel der Patienten eine langfristige Bikarbonatsubstitution zur Vorbeugung einer metabolischen Azidose benötigte.
Nach Konstruktion einer orthotopen Ersatzblase ist die Fähigkeit, den Urin zu speichern eine der wichtigsten Determinanten für eine zufriedenstellende Lebensqualität der Patienten. In erfahrenen Händen erreichen über 90 % der Patienten innerhalb des 1. Jahres nach der Operation eine gute Kontinenz tagsüber (Urinverlust weniger als 100 ml pro Tag) und 79 % auch nachts (Studer et al. 2006) (Kap. „Inkontinente Harnableitungen“ und Kap. „Kontinente Harnableitungen“).
Die postoperative Sexualfunktion hängt entscheidend von der angewendeten Operationstechnik, d. h. des Versuches eines Erhaltes der neurovaskulären Bündel dorsolateral der Prostata und des Harnblasenhalses, ab. Es muss präoperativ aus Gründen der onkologischen Sicherheit (R0-Resektion sollte in kurativer Intention immer angestrebt werden!) abgewogen werden, bei welchen Patienten eine nervschonende Operationstechnik angewendet werden kann. Dazu zählen lediglich Patienten mit einer präoperativ intakten Erektionsfähigkeit, die anhand validierter Fragebögen (z. B. nach dem Internationalen Index der Erektilen Funktion (IIEF)-Bogen) erfasst werden muss. Gleichermaßen wichtig ist es, dass keine lokal fortgeschrittenen, sondern möglichst nicht muskelinvasive und somit organbegrenzte Tumoren der Harnblase vorliegen. Nach der Anwendung einer bilateralen nervschonenden Operationstechnik werden Spontanerektionsraten (ohne medikamentöse Unterstützung) von über 50 % innerhalb der ersten beiden Jahre nach der Zystektomie erreicht (Kessler et al. 2004). Neuere Techniken beschreiben bei vorsichtig ausgewählten Patienten eine samenblasenerhaltende nervschonende Technik, die vergleichbar hohe Erektionsraten erreicht (Ong et al. 2010). Die sexualitätserhaltende Operationstechnik bei Frauen mit einem teilweisen oder vollständigen Vaginalerhalt kann den Geschlechtsverkehr auch nach einer radikalen Zystektomie ermöglichen.

Onkologische Ergebnisse und Prognosefaktoren

Rezidivfreies- und krankheitsspezifisches Überleben

Trotz einer kontinuierlichen Verbesserung der Operationstechnik, einem weiterentwickelten Verständnis für die Prinzipien der radikalen Tumorchirurgie sowie einer verbesserten perioperativen Patientenversorgung betragen die krankheitsspezifischen 5-Jahres-Überlebensraten der Patienten nach radikaler Zystektomie unter Einbeziehung aller Tumorstadien nur maximal 67 % (Stein et al. 2001; Hautmann et al. 2012; Shariat et al. 2006). Die Lokalrezidivrate im Becken liegt bei ca. 4 %, sofern zum Zeitpunkt der Operation keine Lymphknotenmetastasen vorlagen. Leider entwickeln bis zu 25 % der Patienten mit einem lokal begrenzten Urothelkarzinom der Harnblase (Stadium pT1–pT3a) ohne Befall der lokoregionalen Lymphknoten (pN0) ein Tumorrezidiv und versterben in den meisten Fällen an der Metastasierung der Erkrankung
Es ist wichtig, den betroffenen Patienten vor einer radikalen Zystektomie im Rahmen der Beratung und Aufklärung möglichst genaue Informationen über die zu erwartenden Heilungschancen zu vermitteln. Neben der onkologischen Beratung sollte die Wahl der Harnableitung im Mittelpunkt des möglichst ausführlichen präoperativen Gespräches zwischen dem Patienten und dem Operateur stehen.

Prognosefaktoren

Eine genauere Einschätzung des Risikoprofils und der Wahrscheinlichkeit, ob trotz einer negativen Ausbreitungsdiagnostik bereits eine metastasierte Erkrankung vorliegt, ist essenziell, um Patienten für eine radikalere multimodale Therapie auszuwählen. Die TNM-Klassifikation wird nahezu universell zur Einschätzung des Rezidivrisikos nach einer radikalen Zystektomie herangezogen. Obwohl die TNM-Klassifikation nützliche Informationen über den zu erwartenden Krankheitsverlauf nach der Operation bietet, führen die Heterogenität des Urothelkarzinoms sowie individuelle Patientencharakteristika zu erheblich unterschiedlichen Rezidiv- und Mortalitätsraten trotz der gleichen Kategorisierung innerhalb des TNM-Systems. Die momentan zur Risikostratifizierung der Patienten verwendeten klinischen und pathologischen Parameter integrieren noch keine neueren klinischen, histopathologischen und molekularen Prognosefaktoren. Des Weiteren bestehen aufgrund des höheren Alters der meisten Patienten, die wegen eines Urothelkarzinoms zystektomiert werden, begleitende Risikofaktoren für das Versterben unabhängig von ihrer Tumorerkrankung. Dies muss bei der quantitativen Risikoeinschätzung für eine Rezidivbildung oder für die krankheitsspezifische Mortalität in statistischen Modellen berücksichtigt werden (sog. Competing-risk-Analyse).
Die wichtigsten Prognosefaktoren nach radikaler Zystektomie sind das pathologische Tumorstadium (pT-Stadium) und der pathologische Lymphknotenstatus (pN-Status; Abb. 6). Ebenso ist das Vorliegen einer Fernmetastasierung (M+) ein entscheidender negativer Prognosefaktor, wobei die Zystektomie in diesen Fällen eine rein palliative Funktion hat zur Vermeidung lokaler Komplikationen (z. B. rezidivierende Makrohämaturien) und zur Verbesserung der Lebensqualität.
Wichtig
Das pathologische Tumorstadium (pT-Stadium) und der pathologische Lymphknotenstatus (pN-Status) sind die wichtigsten klinischen Prognosefaktoren nach radikaler Zystektomie bei Patienten ohne Fernmetastasierung (M0).
Mit steigendem pT-Stadium verschlechtert sich die Prognose der Patienten. Es ist zu unterscheiden zwischen einem organbegrenzten Urothelkarzinom der Harnblase (Tumorstadium nach TNM-Klassifikation max. pT2b pN0 M0) und einer lokal fortgeschrittenen Erkrankung mit einer entsprechend höheren Tumorformel. Das rezidivfreie Überleben von Patienten mit einer organbegrenzten Erkrankung beträgt nach 5 Jahren etwa 80 %, während Patienten mit fortgeschritteneren Stadien, beispielsweise pT3a oder 4a, nur eine Rezidivfreiheit von 58 % in diesem Zeitraum erreichen (Stein et al. 2001).
Das Vorhandensein einer lymphogenen Metastasierung zum Zeitpunkt der Zystektomie ist ein wichtiger negativer Prognosefaktor. Analog zu den höheren Tumorstadien sinkt die Überlebensrate der Patienten auf unter 25 % nach 10 Jahren (Stein et al. 2001; Hautmann et al. 2012), wenn Lymphknotenmetastasen vorhanden sind (pN-positiv). Ebenso haben Patienten, die zwar pN-negativ sind, jedoch eine mikroskopische lymphovaskuläre Invasion (LVI) durch Tumorzellen aufweisen, eine signifikant schlechtere Prognose als diejenigen, die keine LVI im histopathologischen Präparat des Tumors zeigen (Bolenz et al. 2010; Lotan et al. 2005) (Abb. 7).
Es wurden zudem Studien publiziert, in denen die Tumorgröße als wichtiger Prognosefaktor identifiziert werden konnte. Cheng und Mitarbeiter berichteten, dass Patienten mit Tumoren, deren Größe über 3 cm lag, ein signifikant geringeres krankheitsspezifisches Überleben hatten (bei Tumoren im Stadium pT2 68 % Überleben nach 10 Jahren versus 94 % bei Patienten mit Tumoren < 3 cm Größe) (Cheng et al. 2000).

Nomogramme

Zwar bietet die TNM-Klassifikation eine Prognoseeinschätzung der Patienten, jedoch wurde beobachtet, dass diese relativ ungenau ist. Beispielsweise erleiden manche Patienten, die in eine bestimmte Subgruppe fallen, ein Rezidiv, wohingegen andere Patienten mit dem gleichen Tumorstadium durch die Zystektomie geheilt werden. Um eine genauere Einschätzung der Prognose zu erreichen und Patienten besser über mögliche adjuvante Therapien beraten zu können, wurden integrative klinische Vorhersagemodelle, sog. Nomogramme, für den Krankheitsverlauf nach der radikalen Zystektomie entwickelt. Nomogramme sind Diagramme, die verschiedene Prognosefaktoren (z. B. Tumorstadium und -differenzierung, pN-Status etc.) anhand von Skalen unterschiedlich gewichten (Abb. 8). Je nach Ausprägung des jeweiligen Faktors ergibt sich ein Zahlenwert (Score), der summiert wird und dann auf einer weiteren Skala einen prozentualen Zahlenwert ergibt. Dieser schätzt schließlich individuell die Rezidiv- und Überlebensrate der Patienten.
Nomogramme ermöglichen im Vergleich zur alleinigen TNM-Klassifikation durch die Berücksichtigung und Kombination einer Vielzahl von Prognosefaktoren eine höhere Vorhersagegenauigkeit bezüglich der wichtigsten onkologischen Endpunkte. In Zukunft könnten Nomogramme hilfreich sein, um Patienten individueller zu beraten und differenziertere weiterführende Therapieentscheidungen nach der Operation zu treffen.
Wichtig
In Nomogrammen werden relevante Prognosefaktoren kombiniert und es lassen sich anhand von Skalen die individuellen Wahrscheinlichkeiten für eine Rezidivbildung oder die krankheitsspezifische Mortalität ablesen. Dadurch kann eine genauere Prognose abgegeben werden als durch die alleinige Verwendung der TNM-Klassifikation.

Molekulare Tumormarker

Innerhalb der letzten Jahrzehnte wurden die molekularen Charakteristika des Urothelkarzinoms genauer untersucht. Sie bieten eine zusätzliche Information über die individuelle Tumorbiologie der Erkrankung und könnten die Prognoseeinschätzung der Patienten verbessern. Es wurde eine Vielzahl von möglichen Biomarkern untersucht, die prognostisch relevant sind (Bolenz und Lotan 2008). Dazu zählen Zellzyklusregulatoren (z. B. p53, p21, p27 und Cyclin E), Proliferations- (z. B. Ki-67) und Apoptosemarker sowie unterschiedliche Wachstumsfaktoren (z. B. VEGF-Familie). Aufgrund einer bisher unzureichenden Validierung dieser Marker konnten sie bisher nicht in die klinische Routine implementiert werden. Die erste prospektive Validierungsstudie eines Biomarker-Panels (Kombination verschiedener Marker) wurde 2013 veröffentlicht (Lotan et al. 2013). Es konnte darin gezeigt werden, dass die molekularen Marker die Vorhersagegenauigkeit für eine Rezidivbildung und die krankheitsspezifische Mortalität nach einer radikalen Zystektomie signifikant verbessern. Somit könnten durch die Erhebung des sog. Markerstatus Patienten, die am ehesten von einer zusätzlichen aggressiveren Therapie (z. B. adjuvante Chemotherapie) oder einer engmaschigeren Nachsorge profitieren könnten, besser identifiziert werden.

Zusammenfassung

  • Radikale Zystektomie: in kurativer Intention Standardtherapie für das muskelinvasive Urothelkarzinom der Harnblase, ebenfalls Therapie mit höchstmöglicher onkologischer Sicherheit für ausgewählte Patienten mit nichtmuskelinvasivem Urothelkarzinom der Harnblase; kann auch in Palliativsituation indiziert sein zur Behebung bzw. Vermeidung lokaler Komplikationen.
  • Informations- und Aufklärungsgespräch präoperativ sehr wichtig, Patienten müssen über mögliche Vor- und Nachteile verschiedener Harnableitungen und damit verbundener Risiken ausführlich aufgeklärt werden, operative Strategie muss gemeinsam festgelegt werden.
  • Erhaltung der Urethra möglich, sofern die Absetzungsränder tumorfrei sind. Regelmäßige Untersuchung der Urethra aufgrund des urothelialen Rezidivrisikos notwendig, falls keine orthotope Harnableitung durchgeführt wird.
  • Operation umfasst bilaterale pelvine Lymphadenektomie, zumindest innerhalb anatomischer Standardgrenzen.
  • Pelvine Lymphadenektomie trägt zur genaueren Festlegung des Turmostadiums bei, hat möglicherweise einen therapeutischen Effekt, insbesondere bei Patienten, die eine umschriebene lymphogene Metastasierung aufweisen.
  • Die minimalinvasive roboterassistierte radikale Zystektomie wird zunehmend häufiger durchgeführt und zeigt bei noch begrenzten Nachbeobachtungsintervallen vielversprechende funktionelle und onkologische Ergebnisse; diese scheinen den Ergebnissen der offenen radikalen Zystektomie nicht unterlegen zu sein.
  • Multimodale Therapiekonzepte mit neoadjuvanter und adjuvanter Systemtherapie werden zunehmend durchgeführt und können die onkologischen Ergebnisse verbessern. Es stehen dafür sowohl immun- als auch platinbasierte chemotherapeutische Verfahren sowie deren Kombinationen zur Verfügung.
  • Operative Komplikationen der radikalen Zystektomie mit Harnableitung sollten in einem standardisierten Klassifikationssystem (z. B. Clavien-Klassifikation) berichtet werden.
  • Präoperative mechanische Darmvorbereitung nicht unbedingt notwendig. Fast-track-Konzepte verzichten auf ausgedehnte Abführmaßnahmen, könnten perioperative Komplikationsrate senken sowie postoperative Rekonvaleszenz beschleunigen.
  • Organerhaltende Therapieformen sind alternative Behandlungsoption zur radikalen Zystektomie, wenn diese nicht durchführbar ist oder abgelehnt wird.
  • Operationsergebnisse hängen von verschiedenen Faktoren ab, wie Vorhandensein von Komorbiditäten, Art und Ausmaß verschiedener vorheriger Therapien, Art der Harnableitung sowie Erfahrung des Operateurs und der behandelnden Klinik.
  • Wichtigste klinische Prognosefaktoren: histopathologisches Tumorstadium, Lymphknotenstatus, Fernmetastasierung.
  • Vorhersagegenauigkeit der Prognoseeinschätzung nach radikaler Zystektomie kann durch Verwendung von Nomogrammen und Bestimmung von molekularen Markern verbessert werden.
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