Ursache und Inzidenz von Infektionen
Die Inzidenz von Infektionen variiert von 0 (Ludwig et al.
2006; Bodri et al.
2008) bis zu 1,3 % (Tureck et al.
1993). Infektionen nach
Follikelpunktion können mit unterschiedlichster Ausprägung auftreten, von leichten Infektionen mit
Fieber, Leukozytose und abdominalen Schmerzen bis hin zu Tuboovarialabszessen und Fällen mit schwerster
Sepsis.
Ein Fallbericht beschreibt den Fall einer 43-jährigen Patientin ohne gynäkologische Symptome, die mit einer
Sepsis intensivmedizinisch behandelt werden musste. Es wurde eine Pyometra mit
Vancomycin-resistenten Enterokokken als Ursache diagnostiziert, die auf eine vorausgegangene
Follikelpunktion zurückgeführt wurde. Da die Patientin unter intensivmedizinischer Betreuung nicht auf eine Antibiotikatherapie ansprach, musste bei dieser Patientin eine Hysterektomie durchgeführt werden (Nikkhah-Abyaneh et al.
2010).
Es gibt mehrere
Entstehungsmöglichkeiten für Infektionen nach
Follikelpunktionen. Eine Möglichkeit ist die Verschleppung von Keimen der Vaginalflora in die Peritonealhöhle durch die Punktion. Infektionen können bei Patientinnen mit vorausgegangener
Adnexitis aber auch durch Reaktivierung von chronisch infizierten Ovarien entstehen. Möglich ist auch die versehentliche Punktion des Darms bei der Follikelpunktion.
Die aus
Abszessen kultivierten Keime entstammen am häufigsten der Vaginalflora (Dicker et al.
1993), sodass die transvaginale bakterielle Kontamination die häufigste Ursache darstellt.
Bennett et al. (
1993) geben in ihrer prospektiven Untersuchung die Inzidenz einer
Adnexitis u
nd eines Tuboovarialabszess
es mit jeweils 0,3 % an, sodass sich insgesamt infektiöse Komplikationen bei 0,6 % der Punktionen ergeben. In unserer prospektiven Erhebung von 1058 Punktionen, in der die Nachbeobachtungszeit 2 Monate betrug, wurden keine Infektionen beobachtet. Bei einer Patientin trat ein unklares
Fieber auf, dies wurde aber nicht spezifisch therapiert.
In der Literatur existieren einige Fallberichte und retrospektiv untersuchte Kohorten zu entzündlichen Komplikationen nach
Follikelpunktion (Tab.
4). In einer sehr großen retrospektiven Erhebung von 4052 Follikelpunktionen zur
Eizellspende fanden Bodri et al. (
2008) keine infektiöse Komplikationen. Die Eizellspenderinnen weisen jedoch sehr viel seltener Risikofaktoren für Infektionen auf wie vorausgegangene Adnexitiden, Saktosalpinx oder schwere
Endometriose als Kinderwunschpatientinnen. Dies mag erklären, dass in dem Kollektiv von Bodri et al. (
2008) keine Infektionen auftraten.
Tab. 4
2 prospektive und acht retrospektive Datenerhebung zu entzündlichen Komplikationen der Follikelpunktion
| 7098 | TOA | 2/7098 (0,03 %) | 2 × Operation (1 × Oophorektomie) |
Berg und Lunqvist ( 1992) R, B | 10.125 | Infektionen | 20/10.125 (0,3 %) | 6/20: Operation 14/20: Antibiotikagabe |
| 214 | TOA bei Patientinnen mit Endometriom | 0 | |
| 2670 | 2. TOA | 1,9/2670 (0,3 %) 2,9/2670 (0,3 %) | 7 × Antibiotikagabe 1 × Aspiration 1 × Kolpotomie 7 × Laparotomie |
| | Adnexitis, TOA | 0 | |
| 3656 | TOA | 9/3656 (0,24 %) | 3 × Lapartomie und Adnexektomie 6 × Kuldozentese |
Funabiki et al. ( 2014) RCT | 2122 | Adnexitis | 4/956 (0,4 %) bzw. 0/1216 | |
| 1058 | Adnextitis, TOA | 0 | |
Maxwell et al. ( 2008) R, E | 866 | Infektion | 2/866 (0,2 %) | Antibiotikagabe |
| 674 | Adnexitis, TOA | TOA: 2/674 (0,3 %) Adnexitis: 7/674 (1,0 %) | Antibiotikagabe |
| 4771 | Adnexitis (Fieber >48 h, Peritonismus, Leukozystose, erhöhte BSG) | 28/4771 (0,58 %) | Antibiotikagabe |
| 2495 | Adnexitis (Fieber und Peritonismus, Leukozystose oder BSG-Erhöhung) | 6/2495 (0,24 %) | Antibiotikagabe |
Es wurde diskutiert, ob Patientinnen mit
Endometriose ein höheres Risiko tragen, infektiöse Komplikationen zu entwickeln. Moini et al. (
2005) beobachteten 10 Fälle von akuter
Adnexitis nach
Follikelpunktion in einem Zeitraum von 6 Jahren, in dem 5958 Follikelpunktionen durchgeführt worden waren. Bei 8 dieser 10 Patientinnen lag eine Endometriose zu Grunde, bei einer Patientin bestand ein Endometriom (Moini et al.
2005). Die Autoren plädieren daher für eine antibiotische Prophylaxe bei diesen Patientinnen. Die Gesamtinzidenz entzündlicher Komplikationen beträgt aber auch in dieser Studie nur 0,16 %. Die retrospektive Analyse von Fällen mit Endometriose und Infektionen auf der Basis von Versicherungsdaten ergab 3 Fälle von Frauen, die nach einer Follikelpunktion und einem konsekutiv aufgetretenen Endometriom (16, 57 und 102 Tage danach) wegen akutem Abdomen,
Fieber und Leukozytose hospitalisiert worden waren (Villette et al.
2016). Aufgrund des Charakters dieser Studie ist allerdings die Beurteilung der Inzidenz nicht möglich.
In einer retrospektiven Analyse von 214
Follikelpunktionen bei Patientinnen mit einem Endometriom fand sich kein Fall eines Tuboovarialabszesses, sodass die Autoren folgern, dass auch in dieser speziellen Risikogruppe das Risiko für einen Tuboovarialabszess sehr gering ist (Benaglia et al.
2008). Bei einer zu erwarteten Inzidenz von unter 1 % ist die Fallzahl von 214 jedoch zu gering.
Ein Fallbericht schildert einen Tuboovarialabszess nach
Follikelpunktion, der in der 30. Schwangerschaftswoche diagnostiziert wurde. Die Patientin erhielt eine Antibiotikagabe und der
Abszess wurde nach der Entbindung von Zwillingen per Sectio dräniert (Sharpe et al.
2006).
Ein weiterer ungewöhnlicher Fallbericht beschreibt einen Fall eines beidseitigen Tuboovarialabszesses, der 9 Tage nach
Follikelpunktion transvaginal dräniert wurde. Zudem wurde eine posteriore Kolpotomie durchgeführt und ein T-Drain für 3 Wochen belassen sowie
Antibiotika gegeben. Die Patientin war schwanger geworden und entband nach einer daraufhin unkomplizierten Schwangerschaft am Termin (Yalcinkaya et al.
2011).
Prophylaktische Antibiotikagabe zur Reduktion des Infektionsrisikos?
Der Nutzen einer prophylaktischen Antibiotikagabe zur Reduktion des Infektionsrisikos bei der
Follikelpunktion ist vielfach diskutiert worden. Der Benefit ist jedoch umstritten. Prospektive klinische Studien existieren hierzu nicht.
In einen retrospektiven Studie wurden 526 Donorzyklen mit prophylaktischer Antibiotikagabe zur
Follikelpunktion mit 625 Donorzyklen ohne Antibiotikagabe vergleichen. In diesem Zentrum war nach Auftreten von 2 Infektionsfällen eine routinemäßige intravenöse Antibiotikagabe (2 g Cefoxitin oder 900 mg Clindamycin bei Penicillinallergie) während der Follikelpunktion implementiert worden. Nach Einführung der Antibiotikaprophylaxe t
rat keine Infektion auf, ohne Prophylaxe betrug die Infektionsrate 0,4 % (Weinreb et al.
2010). Die Infektionsrate ohne Antibiotikaprophylaxe lag damit in diesen Donorzyklen im Bereich der auch für Therapiezyklen angenommenen Größenordnung.
Es kann argumentiert werden, dass eine Infektionsrate von 0,4 % ohne Antibiotikaprophylaxe sehr gering ist und die generelle Antibiotikagabe nicht rechtfertigt. Zudem könnte der geringe Unterschied bei dieser Gruppengröße zufällig sein. Die Autoren selbst geben an, dass sich ein statistisch signifikanter Unterschied in prospektiven Studien mit ausreichend statistischer
Power nur bei einer Gruppengröße von 4700 Patientinnen ergeben würde. Dennoch sprechen sich die Autoren für eine Antibiotikaprophylaxe in Donorzyklen aus, da die Infektionsrate dieser gesunden Frauen so weit wie möglich minimiert werden sollte (Weinreb et al.
2010).
Zur Antibiotikaprophylaxe in Therapiezyklen, wie auch in Donorzyklen, gibt es bisher keine Richtlinien. Viele Ärzte befürworten eine Antibiotikaprophylaxe bei Patientinnen mit vorausgegangenen pelvinen Infektionen oder mit
Endometriose (Moini et al.
2005). In der oben zitierten retrospektiven Auswertung von 214
Follikelpunktionen bei Patientinnen mit Endometriomen fand sich jedoch kein Fall einer Infektion (Benaglia et al.
2008), sodass die Autoren folgern, dass auch in diesem Kollektiv die Infektionsrate gering ist. Allerdings wurde mit 214 zwar ein großes Kollektiv an Patientinnen mit Endometriom untersucht, allerdings ist die Gruppengröße zu gering, um allgemeine Schlussfolgerungen zu ziehen.
Funabiki et al. verglichen – nicht randomisiert – die
Follikelpunktion mit einer NaCl-Reinigung (n = 956) gegenüber einer mit Polyvidon-Jodid (n = 1216) und fanden 4 bzw. keine Frau mit einer konsekutiven
Adnexitis (Funabiki et al.
2014). Eizellzahl und -qualität, Embryonenqualität und Schwangerschaftsraten waren nicht unterschiedlich. Nachteilig ist der nicht-randomisierte Charakter dieser Studie. Schwerere Infektionen wurden nicht berichtet.
Younis et al. (
1997) berichten von 3 Patientinnen mit schwerer
Endometriose und Endometriomen, die trotz intravenöser Antibiotikaprophylaxe mit Cefazolin während der
Follikelpunktion 22, 24 bzw. 40 Tagen nach Follikelpunktion eine schwere Adnextitis mit Tuboovarialabszessen entwickelt haben. Die Autoren folgern, dass eine schwere Endometriose bzw. Endometriome einen signifikanten Risikofaktor für die Entwicklung von Infektionen darstellen, dass diese jedoch durch die prophylaktische Gabe von
Antibiotika nicht verhindert werden können. Das alte Blut in den Endometriomen stellt ein Kulturmedium dar, in dem die
Bakterien langsam wachsen (Younis et al.
1997).
Patientinnen ohne vorausgegangene Adnexitiden oder pelvine
Abszesse sowie Patientinnen ohne
Endometriose werden meist nicht behandelt.
Zusätzlich zur Infektionsrisiko wurde diskutiert, ob vaginale
Bakterien durch minimale Entzündungsprozesse dem Embryo schaden und die Schwangerschaftschance verschlechtern können und ob eine prophylaktische Antibiotikagabe die Schwangerschaftsrate verbessern kann.
1999 wurde im Lancet eine Arbeit veröffentlicht, die zeigte, dass durch die prophylaktische Gabe von
Antibiotika bei der
Follikelpunktion die bakterielle Besiedelung des Transferkatheters reduziert werden konnte (Egbase et al.
1999). Die Implantationsrate und die klinische Schwangerschaftsrate waren bei Patientinnen, auf deren Transferkatheterspitze
Bakterien nachgewiesen werden konnten, schlechter als bei Patientinnen mit negativem Kulturergebnis der Transferkatheterspitze (9,3 % vs. 21,6 %, p <0,001 und 18,7 % vs. 41,3 %, p <0,01; Egbase et al.
1999).
In nachfolgenden Arbeiten anderer Gruppen konnte dieser positive Effekt einer prophylaktischen Antibiotikagabe nicht bestätigt werden. Moore et al. (
2000) erstellten bei 91 Patientinnen Kulturen von
Vaginalabstrichen zur Zeit der
Follikelpunktion sowie zum
Embryotransfer sowie von der Spitze des Transferkatheters. Die Patientinnen erhielten ab der Follikelpunktion eine Antibiotikaprophylaxe mit Doxycyclin. Der Nachweis von Laktobakterien aus der Vaginalflora war mit einer besseren Lebendgeburtenrate verbunden (p = 0,01), während der Nachweis von Streptococcus viridans am Transferkatheter mit einer schlechteren Lebendgeburtenraten (p = 0,04) einherging. Insgesamt hatte die Doxycyclingabe keinen substanziellen Einfluss auf die Vaginalflora.
In einer französischen randomisierten Studie wurden die Implantationsraten unter Antibiotikagabe (Amoxicillin und Clavulansäure über 6 Tage ab
Follikelpunktion) mit den Implantationsraten ohne
Antibiotika verglichen. Die Implantationsraten unterschieden sich nicht. Die Abortrate war unter Antibiotikagabe leicht, aber nicht signifikant erhöht (Peikrishvili et al.
2004).
Nach wie vor bleibt es also offen, ob eine Antibiotikaprophylaxe einen Vorteil bezüglich der signifikanten und klinisch relevanten Reduktion von infektiösen Komplikationen bringt.
Die „number needed to treat“ ist in jedem Fall sehr hoch.