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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 09.07.2015

Neuroendokrine Neoplasien des Kolons

Verfasst von: Birgit Cremer und Martin Anlauf
Der Begriff neuroendokrine Neoplasie (NEN) umfasst eine heterogene Gruppe von Tumoren, die lediglich 0,49 % aller Malignome ausmachen und von äußerst variabler Dignität sind. Bei den neuroendokrinen Neoplasien des Kolons handelt es sich in nahezu allen Fällen um gering differenzierte großzellige neuroendokrine Karzinome (NEC). Berichte zu gut differenzierten neuroendokrinen Tumoren (NET) im Kolon sind meist hoch differenzierte NET des terminalen Ileums, die in fortgeschrittenem Stadium das benachbarte Kolon infiltrieren und so als primäre Dickdarm-NET fehl interpretiert werden. Die meisten neuroendokrinen Neoplasien des Kolons werden erst spät als fortgeschrittene Neoplasien oder in einem bereits metastasierten Stadium diagnostiziert. Neben der initialen vollständigen körperlichen Untersuchung sowie der ausführlichen Anamnese inklusive Familienanamnese wird ein Standardlabor inklusive Tumormarkern, einer Schnittbilddiagnostik sowie einer hohen Koloskopie gefordert. Die Therapie erfolgt stadienabhängig.

Definition

Der Begriff neuroendokrine Neoplasie (NEN) umfasst eine heterogene Gruppe von Tumoren, die lediglich 0,49 % aller Malignome ausmachen und von äußerst variabler Dignität sind. Ursprung dieser Neoplasien ist das diffuse neuroendokrine System. Entarten diese Zellen, entsteht eine neuroendokrine Neoplasie, deren Zelle sowohl Merkmale endokriner als auch neuronaler Zellen aufweist. Charakteristisch für neuroendokrine Neoplasien ist die Expression genereller neuroendokriner Marker (Chromogranin A, Synaptophysin) und häufig auch die Expression zelltypspezifischer Peptidhormone und/oder biogener Amine. Bei den neuroendokrinen Neoplasien des Kolons handelt es sich in nahezu allen Fällen um gering differenzierte großzellige neuroendokrine Karzinome (NEC). Berichte zu gut differenzierten neuroendokrinen Tumoren (NET) im Kolon sind meist hoch differenzierte NET des terminalen Ileums, die in fortgeschrittenem Stadium das benachbarte Kolon (ascendens/Caecum) infiltrieren und so als primäre Dickdarm-NET fehl interpretiert werden.

Klassifikation

WHO-Klassifikation

Für die neuroendokrinen Neoplasien gibt es mehrere Einteilungsprinzipien: Zunächst wurden diese Neoplasien nach embryogenetischen Gesichtspunkten nach einer Klassifikation aus dem Jahr 1963 in „Foregut“- (Lunge, Magen, Duodenum, oberes Jejunum und Pankreas), in „Midgut“- (unteres Jejunum, Ileum, Appendix, Caecum, Colon ascendens) und in „Hindgut“- (ab Colon transversum, Rektum) Tumoren unterteilt. Diese Klassifikation erfasst jedoch nicht mehr das heutige Verständnis der sehr heterogenen Tumorbiologie.
Die Einteilung der neuroendokrinen Neoplasien des gastroenteropankreatischen (GEP) Systems erfolgt daher vereinheitlicht nach der seit 2010 gültigen WHO Klassifikation. Diese legt die spezifische Lokalisation einer neuroendokrinen Neoplasie im Verdauungstrakt zugrunde (Magen, Duodenum und oberer Dünndarm, Pankreas, unterer Dünndarm, Appendix und Kolorektum). Die rektalen neuroendokrinen Neoplasien sind somit unter den neuroendokrinen Neoplasien des Dickdarms subsumiert. Das proliferationsbasierte Grading und die generelle Einteilung der neuroendokrinen Neoplasien entsprechend ihrer Differenzierung ist für alle neuroendokrinen Neoplasien des Verdauungstraktes mit der neuen WHO-Klassifikation einheitlich standardisiert (Tab. 1).
Tab. 1
Systematik der Tumorpathologie der neuroendokrinen Neoplasien entsprechend der WHO-Klassifikation 2010 (Rindi et al. 2010)
Neuroendokriner Tumor (NET)
(gut differenzierte Neoplasie)
G1 (Ki67-Index ≤2 %)
G2 (Ki67-Index 3–20 %)
G3 (Ki67-Index >20 %)
Neuroendokrines Karzinom (NEC)
(schlecht differenzierte Neoplasie)
G3 – kleinzellig
G3 – großzellig
Mixed adenoneuroendocrine carcinoma“ (MANEC)
≥30 % Adenokarzinom und
≥30 % neuroendokrines Karzinom
Hyperplasie und Präneoplasie
 
Mittels des proliferationsbasierten Gradings (Tab. 2) wird die Gruppe der NET in G1-Tumoren und die proliferationsaktiveren G2-Tumoren unterteilt. Sehr selten sind NEN mit einer hohen Wachstumstendenz (G3), aber histologisch guter Differenzierung, die sog. G3-NET. Die Gruppe der neuroendokrinen Karzinome sind definitionsgemäß stets hochproliferativ, also immer G3. Gemischt adenoneuroendokrine Karzinome („mixed adenoneuroendocrine carcinoma“, MANEC) zeigen nahezu immer eine hohe Proliferation (G3), da der neuroendokrine Anteil oft aus einem klein- oder großzelligen NEC besteht.
Tab. 2
Proliferationsbasierte Gradierung von neuroendokrinen Neoplasien des gastroenteropankreatischen Systems nach WHO 2010 (Rindi et al. 2006, 2007)
Grad
Mitosezahl
(10 HPF)*
Ki67-Index (%)**
G1
<2
≤2
G2
2–20
3–20
G3
>20
<20
*10 HPF („high power fields“) = 2 mm2
**MIB-1/Ki67-Antikörper: % von 2000 Zellen im Bereich der stärksten Proliferation (sog. Hot-Spot-Region)

TNM-Klassifikation

Die WHO-Klassifikation wird beim klinischen Staging ergänzt durch das organspezifische TNM-Klassifikationssystem der UICC (Sobin et al. 2010). Ausgehend von den T-, N- und M- Kategorien werden hierbei klinische Stadiengruppierungen vorgenommen. Die Kriterien zur TNM-Einteilung variieren dabei je nach Ursprungsorgan (Tab. 3).
Tab. 3
TNM-Klassifikation für kolorektale neuroendokrine Neoplasien
Stadium
T
N
M
0
Tis
N0
M0
Ia
T1a
N0
M0
Ib
T1b
N0
M0
IIa
T2
N0
M0
IIb
T3
N0
M0
IIIa
T4
N0
M0
IIIb
Jedes T
N1
M0
IV
Jedes T
Jedes N
M1

Pathologie und Pathophysiologie

Bei den neuroendokrinen Neoplasien des Kolons handelt es sich fast immer um gering differenzierte Neoplasien mit hoher Wachstumstendenz (G3). Diese zeigen deutliche Zellatypien und häufig Nekrosen. Bei Erstdiagnosestellung liegt meist ein bereits fortgeschrittenes Tumorstadium vor. Man unterteilt diese aggressiven Karzinome in kleinzellige und großzellige neuroendokrine Karzinome. Meist handelt es sich um großzellige NEC, die vor allem im rechten Kolon auftreten. Sie zeigen ein solides, undifferenziertes Wachstumsmuster, deutliche Atypien, vermehrt Mitosen und einen erhöhten Ki67-Index. Die meisten großzelligen NEC des Kolons sind immunhistochemisch positiv für Chromogranin A, Synaptophysin und CD56. Eine spezifische Hormonproduktion liegt meist nicht vor.
Kleinzellige neuroendokrine Karzinome des Kolons sind selten und treten meist in den aboralen Abschnitten des Kolons bzw. Rektums auf. Auch hier sind Nekrosen häufig. Die Tumorzellen sind kleinkernig und zeigen ein nur schwach entwickeltes Zytoplasma. Die Wachstumstendenz ist größer als bei der großzelligen Variante. Der Ki67-Index liegt meist bei >80 %, und es sind zahlreiche Mitosen nachweisbar. Immunhistochemisch ist Synaptophysin in den allermeisten Fällen positiv. Chromogranin A ist hingegen nicht oder nur fleckförmig nachweisbar.
Genetik
Neuroendokrinen Neoplasien des Kolons sind nicht mit bekannten hereditären Syndromen assoziiert. Aus diesem Grund wird bei Diagnose einer kolorektalen neuroendokrinen Neoplasie nicht zu einer MEN(multiple endokrine Neoplasie)-I-Diagnostik geraten. Molekularpathologisch sind innerhalb der neuroendokrinen Karzinome – im Gegensatz zu den neuroendokrinen Tumoren – häufig eine aberrante Überexpression des p53-Proteins sowie aberrante Retinaoblastomexpressionen nachweisbar.

Epidemiologie

Neuroendokrinen Neoplasien des Kolons machen in den USA 7,5 % aller neuroendokrinen Neoplasien aus, in europäischen Datenbanken 4–7 % und in asiatischen Serien 8 %. Die Inzidenz hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. So zählte die amerikanische SEER-Datenbank im Jahr 1973 nur 0,02/100.000 Einwohner neuroendokrine Neoplasien des Kolons, im Jahr 2004 waren es hingegen schon 0,2/100.000 Einwohner. Innerhalb von 30 Jahren kam es also zu einem Anstieg um den Faktor 10. Die Kolon-NEN, die nicht die Appendix betreffen, treten etwas häufiger in der schwarzafrikanischen Bevölkerung auf. Das mittlere Alter bei Diagnose liegt zwischen 55 und 65 Jahren.

Klinik

Die meisten neuroendokrinen Neoplasien des Kolons werden erst spät als fortgeschrittene Neoplasien und in ca. 40 % der Fälle in einem bereits metastasierten Stadium diagnostiziert. Von der Filialisierung betroffen sind meist Leber, Lymphknoten sowie das Peritoneum und/oder das Mesenterium. Die häufigsten Symptome sind Gewichtsverlust, Diarrhoen, Bauchschmerz sowie gastrointestinale Blutungen (Modlin et al. 2003). Im Rahmen der körperlichen Untersuchung kann neben einer Anämie (blasses Hautkolorit, erhöhte Herzfrequenz) eine Hepatomegalie und/oder eine abdominell palpable Tumormasse auffallen.
Am häufigsten erfolgt die Diagnostellung im Rahmen einer Vorsorgekoloskopie, gefolgt von einer Koloskopie aufgrund peranalem Blutabgang oder im Rahmen einer Lebersonographie bei Vorliegen von Lebermetastasen. Auch die beschriebenen unspezifischen Symptome führen zeitweise zur Diagnosestellung. Meist wird eine weiterführende Diagnostik inklusive Sonographie und Koloskopie veranlasst. Bis zum Erhalt des histopathologischen Befundes wird ausgehend vom endoskopischen und makroskopischen Befund meist von einem Adenokarzinom ausgegangen.

Diagnostik

Neben der initialen vollständigen körperlichen Untersuchung sowie der ausführlichen Anamnese inklusive Familienanamnese wird ein Standardlabor (Elektrolyte, Leberwerte, Nierenwerte, Laktatdehydrogenase, C-reaktives Protein, kleines Blutbild, Schilddrüsenparameter, Gerinnung) inklusive Tumormarkern, einer Schnittbilddiagnostik sowie einer hohen Koloskopie gefordert. Bei Bedarf kann als nuklearmedizinisches Verfahren noch das FDG-PET-CT zum Einsatz kommen.

Labor

Die Zellen der neuroendokrinen Karzinome des Kolons haben aufgrund ihrer Entdifferenzierung meist die Eigenschaft, Hormone zu synthetisieren und exprimieren verloren. Somit wird das Chromogranin A, ein Glykoprotein und Membranbestandteil der hormonenthaltenden Vesikel, ebenfalls nicht vermehrt ins Blut abgeben. Vielmehr kommt bei hochproliferativen Tumoren wie den neuroendokrinen Karzinomen die neuronenspezifische Enolase (NSE) als Tumormarker zum Einsatz. Die Bestimmung dieses Laborparameters dient jedoch nur der Verlaufsbeobachtung bei bereits diagnostizierter Erkrankung und aufgrund seiner geringen Spezifität nicht als Screeningmarker.

Endoskopie

Die Mehrheit der neuroendokrinen Neoplasien des Kolons werden mittels Endoskopie und einer Biopsieentnahme diagnostiziert. Bis zum Erhalt der histopathologischen Diagnose werden sie meist für ein Adenokarzinom gehalten. Die Koloskopie erfolgt entweder im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung, aufgrund unspezifischer Symptome oder aber zur Tumorsuche bei diagnostizierten Metastasen (z. B. Leberfiliae).

Endoskopische Ultraschall

Mittels endoskopischem Ultraschall (EUS) kann die Infiltrationstiefe des Tumors (T1, T2 und T3) bestimmt sowie eine Aussage über den regionalen Lymphknotenstatus getroffen werden. Die Sensitiviät des EUS liegt bei 87–93 %. Der EUS ist somit in Kombination mit der Endoskopie eine wichtige Untersuchung und wegweisend für die Therapieentscheidung und sollte stets durchgeführt werden (Matsumoto et al. 1991).

Bildgebung

Bei Primärdiagnose eines neuroendokrinen Karzinoms des Kolons sollte eine Kontrastmittel-Computertomographie des Halses, Thorax und Abdomens inklusive Lebersequenz erfolgen. Bei fraglichen Leberfiliae kann eine zusätzliche diffusionsgewichtete Magnetresonanztomographie mit leberspezifischem Kontrastmittel bei höherer Spezifität für Lebermetastasen hilfreich sein.

Nuklearmedizinische Diagnostik

Bei den hochproliferativen neuroendokrinen Karzinomen spielt die Somatostatinrezeptor(SSTR)-basierte Bildgebung eine untergeordnete Rolle. Nur selten sind großzellige neuroendokrine Karzinome SSTR-positiv. Bei dieser Entität kommt auch aufgrund der hohen Proliferationsaktivität die Fluordesoxyglukose-Positronenemissionstomographie (FDG-PET) zum Einsatz, das über die Aufnahme von FDG in die Zelle und der anschließenden Fixierung in der Zelle den Tumor darstellt. Das FDG-PET zeichnet sich durch eine hohe Sensitivität bei vielen Tumorentitäten aus. In der Diagnostik von extrem seltenen G1-und G2-NET besitzt diese Untersuchungsmethode jedoch keinen Stellenwert, da die Proliferationsaktivität der gut differenzierten Tumoren meist zu niedrig ist.

Differenzialdiagnostik

Bei Nachweis einer Raumforderung im Kolon sollten mittels histologischer Untersuchung andere Differenzialdiagnosen wie beispielsweise das Adenokarzinom bzw. das Adenom ausgeschlossen werden (Abschn. 3).

Therapie

Chirurgische und endoskopische Therapie im lokalisierten Stadium

Neuroendokrine Tumoren (G1, G2) <2 cm ohne Hinweis auf Lymphknotenmetastasen und ohne Infiltration der Muscularis propria können mittels endoskopischer Mukosaresektion abgetragen werden. Im Falle einer inkompletten Resektion sollte zügig eine onkologische chirurgische Nachresektion angestrebt werden.
Meist handelt es sich jedoch nicht um kleine neuroendokrine Tumoren, sondern um G3-NEC mit einer Größe >2 cm und mit Infiltration der Muscularis propria. Im diesem Fall richtet sich die chirurgische Therapie nach den Leitlinien von kolorektalen Adenokarzinomen. Diese Tumoren sollten niemals endoskopisch abgetragen werden. In der Gruppe der neuroendokrinen Karzinome liegt nur sehr selten eine „limited disease“ vor. Handelt es sich jedoch um eine lokalisierte Erkrankung und ist eine R0-Resektion erfolgt, sollte entsprechend den Leitlinienempfehlungen eine adjuvante Chemotherapie mit vier Zyklen Cisplatin/Etoposid in Analogie zum kleinzelligen Lungenkarzinom angeboten werden (Tab. 4). Ersatzprotokolle mit Carboplatin AUC 5/Etoposid anstatt Cisplatin/Etoposid können nach einer kürzlich erschienen retrospektiven Fallserie als gleichwertig angesehen werden (Sorbye et al. 2013).
Tab. 4
Erstlinientherapie bei metastasiertem neuroendokrinen Karzinom des Kolons bzw. adjuvante Therapie nach R0-Resektion: platinbasierte Polychemotherapie
Zytostatikum
Dosierungsschema
Etoposid
140 mg/m2 KOF als i.v. Tag 1–3 Wiederholung: alle 28 Tage
Cisplatin
45 mg/m2 KOF i.v. Tag 2 und 3 Wiederholung: alle 28 Tage
Carboplatin (alternativ)
AUC 5 i.v. Tag 1

Palliative Therapie

Aufgrund fehlender Daten für neuroendokrine Tumoren des Kolons gelten bezüglich der Therapie metastasierter, gut differenzierter neuroendokriner Neoplasien die Empfehlungen für die neuroendokrinen Tumoren des Dünndarms (Kap. Neuroendokrine Neoplasien des Jejunums und Ileums). Hier sei noch einmal daraufhin gewiesen, dass es sich dabei meist um Primärtumoren des Dünndarms handelt, die das Kolon infiltrieren.
Die deutlich größere Gruppe der neuroendokrinen Neoplasien des Kolons machen die schlecht differenzierten neuroendokrinen Karzinome aus. Diese werden nach den ENETS-, NANETS- und ESMO-Leitlinien in der Erstlinientherapie in Analogie zum kleinzelligen Lungenkarzinom behandelt (Kap. Kleinzelliges Lungenkarzinom).
Sowohl die kleinzelligen als auch die großzelligen neuroendokrinen Karzinome werden derzeit mit den gleichen Chemotherapieregimen behandelt. Bei Diagnosestellung eines metastasierten neuroendokrinen Karzinoms des gastroenteropankreatischen Systems sollte zügig eine Erstlinienchemotherapie mit Cisplatin/Etoposid eingeleitet werden. Das initiale Ansprechen ist mit 67 % hoch, allerdings beträgt die mittlere Remissionsdauer nur sechs bis neun Monate. Das mittlere Überleben liegt bei sieben bis zehn Monaten, die 2-Jahres-Überlebensrate bei etwa 15 %. Ein erstes Restaging sollte bereits nach zwei Zyklen erfolgen, empfohlen werden bis zu sechs Zyklen. Ersatzprotokolle mit Carboplatin/Etoposid anstatt Cisplatin/Etoposid sollten bei Kontraindikationen gegen Cisplatin oder schlechter Verträglichkeit zum Einsatz kommen. Eine kürzlich erschienene retrospektive Studie zeigte, dass es in dem untersuchten Patientenkollektiv bezüglich der Ansprechraten bzw. des Gesamtüberlebens keinen Unterschied zwischen Cisplatin und Carboplatin gab. Bei Vorliegen von Knochenmetastasen empfehlen die ENETS-Leitlinien von 2010 trotz fehlender Therapiestudien den Einsatz von Bisphosphonaten. Zur Risikominimierung von therapieassoziierten Kiefernekrosen ist eine zahnärztliche Untersuchung und ggfs. eine Sanierung des Zahnstatus vor Therapiebeginn anzuraten. Eine Dosisanpassung an die Nierenfunktion ist ebenfalls zu beachten.
Eine etablierte Zweitlinientherapie existiert bisher nicht, daher finden sich in den Leitlinien hierzu keine Empfehlungen. Kürzlich zeigten retrospektive Analysen eine Wirksamkeit für Temozolomid in Kombiation mit Capecitabin ± Bevacizumab (Tab. 5) (Welin et al. 2011; Strosberg et al. 2011). Eine Monotherapie mit Temozolimid als Zweitlinientherapie scheint weniger effektiv zu sein.
Tab. 5
Zweitlinientherapie beim metastasierten neuroendokrinen Karzinom des Kolons: temozolomidbasierte Polychemotherapie (Welin et al. 2011; Strosberg et al. 2011)
Zytostatikum
Dosierungsschema
Capecitabin
1000 mg absolut p.o. 2×/Tag oder 750 mg/m2 KOF p.o. 2×/Tag Tag 1–14
Wiederholung Tag 29
Temozolomid
200 mg/m2 KOF p.o. 0-0-0-1
plus antiemetische Therapie mit 5-HT3-Rezeptorantagonisten
Wiederholung Tag 29
Optional plus Bevacizumab
5 mg/kg KG i.v. Tag 14 und 28
Wiederholung Tag 29
Als weitere mögliche Zweit- oder Drittlinientherapien in Analogie zum kleinzelligen Bronchialkarzinom können Topotecan oder Paclitaxel (Kap. Kleinzelliges Lungenkarzinom), in Analogie zum kolorektalen Karzinom das FOLFIRI-Regime (Hentic et al. 2012) zum Einsatz kommen (Kap. Maligne Dickdarmtumoren).
Für den Einsatz von molekular zielgerichteten Therapien, wie beispielsweise Everolimis oder Sunitinib, bei neuroendokrinen Karzinomen existieren derzeit noch keine klinischen Daten. Es werden allerdings bereits Untersuchungen in präklinischen In-vivo-Ansätzen durchgeführt.
Eine zusätzliche lokale Radiotherapie sollte ebenso wie eine Debulkingoperation bei „extensive disease“ lediglich eine Einzelfallentscheidung darstellen und unbedingt interdisziplinär diskutiert werden. Die Peptidradiorezeptortherapie findet bei neuroendokrinen Karzinomen keine Anwendung und stellt somit für die größte Gruppe der neuroendokrinen Neoplasien des Kolons keine Therapiealternative dar. Ebenso wenig kommen bei den schlecht differenzierten Neoplasien die Somatostatinanaloga zum Einsatz.

Verlauf und Prognose

Da die Erkrankung meist im metastasierten Stadium diagnostiziert wird, beträgt das 5-Jahres-Überleben 43–50 % (Tab. 6). Neuroendokrine Neoplasien des Kolons haben die schlechteste Prognose aller gastroenteropankreatischen neuroendokrine Neoplasien (Niederle et al. 2010). 54 % der neuroendokrinen Neoplasien des Kolons befinden sich laut den neuesten SEER-Daten (Yao et al. 2008) im lokalisierten Stadium, im kleineren spanischen Register sind es lediglich 22,5 %, im japanischen Register sind es hingegen 65 %.
Tab. 6
SEER-Datenbank: mittleres Überleben in Monaten bei neuroendokrinen Neoplasien des Kolons (Yao et al. 2008)
 
Mittleres Überleben in Monaten
Lokalisierte Erkrankung
261
Lokoregionale Erkrankung
36
Metastasierte Erkrankung
5
Neben dem Tumorstadium ist der Ursprungsort der neuroendokrinen Neoplasien ebenfalls von Bedeutung, neuroendokrine Neoplasien des Sigmas weisen eine bessere Prognose auf als weiter oral gelegene neuroendokrinen Neoplasien. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass die tiefer gelegenen neuroendokrinen Neoplasien aufgrund des einfacheren Zugangs einer qualitativ hochwertigen Endoskopie früher diagnostiziert und somit auch früher behandelt werden können.

Nachsorge

Die Nachsorge der extrem seltenen gut differenzierten, R0-resezierten neuroendokrinen Tumoren des Kolons sollte analog der Empfehlungen für rektale neuroendokrine Tumoren erfolgen (Kap. Neuroendokrine Neoplasien des Rektums).
Bei vollständig resezierten, nicht metastasierten NEC-G3 sollte analog der metastasierten neuroendokrinen Karzinome (siehe unten) aufgrund der Aggressivität der neuroendokrinen Karzinome alle zwei bis drei Monate ein Restaging mittels einer Schnittbildgebung sowie Bestimmung der Tumormarker (siehe unten) durchgeführt werden.
Metastasierte neuroendokrine Karzinome sollten mittels konventioneller Schnittbildgebung (CT/MRT) alle zwei bis drei Monate verlaufskontrolliert werden. Meist ist aufgrund der Entdifferenzierung der Neoplasien das Chromogranin A nicht erhöht, stattdessen kann die neuronenspezifische Enolase (NSE) als Tumorverlaufsmarker dienen. Bei Bedarf bietet sich als funktionelle Bildgebung das FDG-PET-CT an, Somatostatinrezeptor-basierte Bildgebung (SRI) wie das Octreoscan oder das Dotatate/Dotatatoc/Dotanoc-PET-CT kommt bei neuroendokrinen Karzinomen aufgrund des fehlenden Somatostatinrezeptorbesatzes nicht zum Einsatz.
Literatur
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Internetadressen
Deutsches NET-Register: www.​net-register.​org
Europäische Gesellschaft für neuroendokrine Tumoren: www.​enets.​org
Nordamerikanische NET-Gesellschaft NANETS: www.​nanets.​net