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Pädiatrie
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Publiziert am: 28.08.2019

Krankheiten der Milz bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Nicole Töpfner
Neben der Sequestration von Blutzellen hat die Milz aufgrund ihrer immunologischen Funktionen eine deutlich größere Bedeutung, als lange Zeit bekannt war. Die Ursachen einer Milzvergrößerung sind vielfältig und therapeutisch steht die Behandlung der Grundkrankheit im Vordergrund. Außer im Falle einer akuten Milzruptur ist die Indikation zur Milzexstirpation kritisch zu stellen und es kann auch die Teilsplenektomie als Alternative erwogen werden. Bei Asplenie gilt es, prophylaktische Maßnahmen (Impfungen, antibiotische Prophylaxe, Notfallmaßnahmen) zu beachten, um einer potenziell lebensbedrohlichen Infektion, insbesondere durch bekapselte Bakterien (overwhelming postsplenectomy infection, OPSI), vorzubeugen.

Anatomie und Funktionen der Milz

Die Milz liegt als sekundär lymphatisches Organ intraperitoneal im linken Oberbauch und ist von einer kräftigen Bindegewebskapsel umgeben. Etwa 10 % aller Menschen haben eine akzessorische Milz (Nebenmilz). Sehr viel seltener sind eine ektope Milzposition (Wandermilz) und das Vorliegen multipler Milzen (Polyspleniesyndrom). Bei manchen Syndromen (z. B. Rechtsisomerie-Syndrom) und Situs inversus kann die Milz auch rechts liegen. 1924 von Ludwig Aschoff dem retikuloendothelialen System (RES, inzwischen retikulohistiozytäres System, RHS) zugeordnet, ermöglicht der histologische Aufbau der Milz den Kontakt des zirkulierenden Blutes mit einer großen Anzahl von Zellen des lymphatischen und des Monozyten-Makrophagen-Systems.
Die Hauptfunktionen des Organs sind:
  • Sequestration überalterter und/oder dysmorpher Erythrozyten, Antikörper-beladener Zellen und Mikroorganismen sowie Abbau von Immunkomplexen, Fibrinmonomeren, kolloidalen und anderen Partikeln (rote Pulpa);
  • Initiierung immunologischer Reaktionen auf im Blutstrom zirkulierende Antigene (inklusive Polysaccharid-Antigene bekapselter Bakterien), u. a. durch Differenzierung und Vermehrung von B- und T-Lymphozyten (weiße Pulpa);
  • (temporäres) Thrombozytenreservoir mit einer physiologischen Speicherkapazität von ca. 1/3 der zirkulierenden Thrombozyten;
  • extramedulläre Hämatopoese, physiologisch während der Fetalzeit (2. Trimenon) und bei verschiedenen Krankheiten (ß-Thalassämia major, Myelofibrose etc.)

Splenomegalie (Milzvergrößerung)

Eine Vermehrung des Milzgewebes kann durch klinische Untersuchung (Milzrand ≥2 cm unter dem Rippenbogen palpierbar) und/oder bildgebende Diagnostik gesichert werden. Sonografisch eignet sich z. B. der Längsdurchmesser der Milz in der Axillarlinie zur Quantifizierung. Als Faustregel gilt ab dem Kleinkindalter bis zur Pubertät: 6 + 1/3 des Lebensalters = oberer Normwert. Bei ca. 30 % der Neonaten und 5–10 % aller gesunden Kinder kann eine vergrößerte Milz getastet werden. Neben transienter Milzvergrößerung, z. B. im Rahmen der Immunsystemreifung, muss bei Splenomegalie mit Zytopenie zwischen Ursache und Folge differenziert werden. Zum einen kann es unabhängig von der zur Splenomegalie führenden Grundkrankheit bei per se normaler Milzfunktion aufgrund des hohen Organvolumens zu überschießendem Zellabbau und Zytopenie kommen (Hyperspleniesyndrom). Andererseits kann z. B. eine immunvermittelte Anämie und/oder Thrombozytopenie die Sequestrationleistung der Milz stimulieren und zur Splenomegalie führen. Ein Hyperspleniesyndrom (Hypersplenismus) wird durch folgende Kriterien definiert: Splenomegalie, Verminderung mindestens einer Zellreihe (Erythrozyten, Leukozyten und/oder Thrombozyten), vermehrte Vorläuferzellen dieser Zellreihe(n) im Knochenmark, Korrektur der peripheren Zellverminderung nach Splenektomie.
Die häufigsten Ursachen einer Splenomegalie im Kindesalter sind in Tab. 1 zusammengefasst.
Tab. 1
Mögliche Ursachen einer Splenomegalie
Pathomechanismus
Krankheit
Infektion durch
EBV, CMV, Bartonella henselae, Malaria spp., Mycobacterium tuberculosis, Toxoplasma spp., HIV, Leishmania spp., Brucella spp., Salmonella typhi, Rickettsia spp., Candida spp., Barbesia spp.
Infiltration des Milzgewebes bei
Leukämie (ALL, AML, CML etc.), Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphomen, Langerhanszellhistiozytose (LCH)
Extramedulläre Blutbildung bei
Thalassämie, Myelofibrose
Gesteigerte Blutzirkulation in der Milz bei
Portaler Hypertension (Leberzirrhose/Leberfibrose, Milzvenenthrombose), Vitium, Herzinsuffizienz, Pfortaderkavernom
Hyperplasie des Monozyten-Makrophagen-Systems der Milz durch
Bakterielle Sepsis, Endokarditis, schwere Pilz- oder Virusinfektion, Speicherkrankheiten (Gaucher, Niemann-Pick, GM1-Gangliosidose, Hunter, Hurler, Mukopolysaccharidosen)
Immunologisch bedingte Krankheiten
Systemische juvenile idiopathische Arthritis (Morbus Still), systemischer Lupus erythematodes (SLE), Mixed connective tissue disease (MCTD), Graft-versus-host-disease (GvHD), hämophagozytische Lymphohistiozytose (HLH), autoimmunlymphoproliferatives Syndrom (ALPS), Morbus Castleman, Amyloidose
Verstärkte Blutzellsequestrierung
Hämolytische Anämien, Kugelzellanämie, Sichelzellanämie, Thalassämie, Rh- und AB0-Erythroblastose
Über die enge Verknüpfung von Leber und Milz durch das Pfortadersystem können verschiedenste hepatobiliäre Ursachen zu sekundärer Splenomegalie führen (Virushepatitis, Autoimmunhepatitis, Cholangitis, Choledochuszysten, Gallengangsatresie, Alpha-1-Antitrypsin-Mangel, zystische Fibrose, Morbus Wilson, primär sklerosierende Cholangitis, Galaktosämie, Alagille Syndrom etc). Eine Splenomegalie kann auch durch eine Milzruptur/Blutung, durch Milzzysten (kongenital, infektiös), posttraumatische Pseudozysten, andere raumfordernde Prozesse wie Abszesse und Tumore (Hämangiome, Lymphangiome, Hamartome etc.) sowie durch eine Vergrößerung des linken Leberlappens vorgetäuscht werden.

Splenektomie (Milzentfernung)

Nach jedem relevanten Bauchtrauma gilt es eine potenzielle Milzverletzung abzuklären, um gegebenenfalls durch (Teil-)Splenektomie auch der akuten zweizeitigen Milzruptur vorzubeugen.
Bei jeder nicht Trauma-assoziierten Splenomegalie hat die Erkennung und Therapie der Grundkrankheit Vorrang. Liegt der Splenomegalie eine Abflussstörung im Bereich von Milz, Vene oder Pfortader zugrunde, sollte die Milz möglichst erhalten werden, weil sonst die Möglichkeit der Anlage eines portokavalen Shunts vergeben wird. Bei massiver und/oder chronisch-symptomatischer Milzvergrößerung mit Hypersplenismus, Druckschmerz etc. kann eine Teilresektion oder die Milzexstirpation notwendig werden. Insgesamt ist im Kindesalter die Indikation zur Splenektomie besonders streng zu stellen, da Kinder nach Splenektomie ein erhöhtes Infektionsrisiko haben. Wenn möglich, sollte nicht vor dem 5. Lebensjahr splenektomiert werden. Falls dies jedoch nötig werden sollte, ist die Vermeidung schwerer Infektionen von größter Wichtigkeit (Abschn. 5). In der Therapie der schweren hereditären Sphärozytose mit Hypersplenismus hat sich die partielle Splenektomie bewährt, um einerseits das Hyperspleniesyndrom zu therapieren und andererseits einem erhöhten Infektionsrisiko vorzubeugen.

Asplenie (Fehlen der Milz)

Der häufigste Grund für das Fehlen der Milz ist die Splenektomie nach Trauma oder zur Therapie hämolytischer Erkrankungen. Die kongenitale Asplenie ist sehr selten und kommt neben weiteren anatomischen Fehlentwicklungen des Herzens, des Darms und der Lunge als Teilsymptom des Ivemark-Syndroms vor. Eine funktionelle Asplenie entsteht vor allem bei Patienten mit Sichelzellanämie durch wiederholte Milzinfarkte und anschließende Fibrosierung, welche schon in den ersten Lebensmonaten beginnen kann. Aufgrund der bei Asplenie fehlenden Filterfunktion der Milz findet man im peripheren Blutausstrich Howell-Jolly-Körperchen (Zellkernfragmente in den normalerweise kernlosen Erythrozyten).

Overwhelming postsplenectomy infection (OPSI)

Bei Asplenie besteht ein erhöhtes Risiko für das Auftreten schwerer und manchmal lebensbedrohlicher Infektionen insbesondere durch bekapselte Bakterien. Als overwhelming postsplenectomy infection (OPSI) bezeichnet, kann nach operativer Milzentfernung eine mit hoher Mortalität einhergehende bakterielle Sepsis durch Streptococcus pneumoniae (seltener durch Haemophilus influenzae oder Neisseria meningitidis oder Salmonella spp) auftreten. Ursache ist im Wesentlichen eine verminderte Bildung von Antikörpern gegen Polysaccharide der Bakterienkapsel, die T-Zell-unabhängig von bestimmten B-Zell-Populationen gebildet werden, die in den Marginalzonen der Milz „reifen“ und bei asplenen Patienten fehlen. Das OPSI-Risiko ist zusätzlich abhängig von der Grunderkrankung und am niedrigsten bei Milzentfernung aufgrund von Verletzungen. Insgesamt ist das Risiko für Kinder jedoch höher als für Erwachsene. Nach Splenektomie und/oder bei Asplenie sind daher besondere Empfehlungen zu Impfungen, Antibiotikaprophylaxe und Notfalltherapie zu beachten.

Maßnahmen bei Asplenie/nach Splenektomie

  • Impfungen: Alle splenektomierten Patienten sollten mit den 13-valenten Pneumokokken-Konjugatimpfstoffen geimpft werden. Auch wenn die Wirksamkeit der nichtkonjugierten Pneumokokkenimpfstoffe bei jungen Kindern eingeschränkt ist, wird anschließend eine Impfung mit dem 23-valenten reinen Polysachcharidimpfstoff empfohlen, um möglichst viele Pneumokokkenstämme im Impfschutz zu erfassen. Zudem wird für alle Altersgruppen eine Impfung mit einem Haemophilus-influenzae-Typ-b-Konjugatimpfststoff von der STIKO angeraten. Gerade wegen der Empfänglichkeit gegenüber Infektionen durch kapseltragende Bakterien ist auch eine Impfung gegen Meningokokken (A, C, Y, W135 sowie B) sinnvoll.
  • Antibiotikaprophylaxe: Eine prophylaktische Penicillingabe kann sinnvoll sein, wobei die Indikation und Dauer sich nach der zugrunde liegenden Krankheit und dem Alter des Kindes richten. Je jünger das Kind und je größer das Grunderkrankungsrisiko, desto länger wird eine Penicillinprophylaxe durchgeführt. Man weiß, dass Kinder in den ersten 5 Lebensjahren ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko haben. Es gibt allerdings Berichte darüber, dass es auch 25 Jahre nach Splenektomie zu fulminanten Septikämien kommen kann. Die besten Daten gibt es für Patienten mit Sichelzellkrankheit, für die eine Prophylaxe in der Regel bis zum 10. Lebensjahr, seltener bis nach der Pubertät empfohlen wird.
  • Notfalltherapie: Noch wichtiger als die Prophylaxe selbst ist eine intensive Aufklärung der Eltern bzw. Patienten über das Risiko für invasive bakterielle Infektionen und der Notwendigkeit einer zeitnahen (kinder-)ärztlichen Beurteilung bei Fieber zum Ausschluss oder zur Behandlung einer bakteriellen Infektion sowie die Aushändigung eines Notfallausweises (siehe unten). Bei der Wahl der antibiotischen Therapie sind neben Pneumokokken insbesondere auch Meningokokken und Haemophilus influenzae zu erfassen. Daher wird bei Kindern die antibiotische Therapie mit Amoxicillin/Clavulansäure (3-mal 25 mg/kg KG/Tag p.o.) oder Ceftriaxon (1-mal 80 mg/kg KG/Tag i.v.) empfohlen. Bei Penicillinallergie kann Cefpodoximproxetil oder bei ß-Laktamallergie Clarithromycin eingesetzt werden. Asplenie-Notfallpassformulare können z. B. über das deutsche Asplenie-Net (www.asplenie-net.org) angefordert werden.
Weiterführende Literatur
Deeg KH, Hofmann V, Hoyer PF (2005) Milz. In: Ultraschalldiagnostik in Pädiatrie und Kinderchirugie, Bd 4, Heft 10. S 704–725
Eraklis AJ, Filler RM (1972) Splenectomy in childhood: a review of 1431 cases. J Pediatr Surg 7:382–388CrossRefPubMed
Leitlinie: Prävention von Infektionen und Thrombosen nach Splenektomie oder funktioneller Asplenie, Empfehlungen der Fachgesellschaft zur Diagnostik und Therapie hämatologischer und onkologischer Erkrankungen: www.​onkopedia.​com. Zugegriffen im März 2019
O’Reilly RA (1998) Splenomegaly in 2,505 patients in a large university medical center from 1913 to 1995. 1913 to 1962: 2,056 patients. West J Med 169(2):88–97PubMedPubMedCentral
Prävention bei Splenektomie und Asplenie, Asplenie-Net: www.​asplenie-net.​org. Zugegriffen im März 2019
Rodeghiero F, Ruggeri M (2012) Short- and long-term risks of splenectomy for benign haematological disorders: should we revisit the indications? Br J Haematol 158:16–29CrossRefPubMed
Ständige Impfkommission (STIKO) (2015) Stellungnahme zur Impfung Erwachsener gegen Pneumokokken. Epidemiol Bull 34:327–362. STIKO Empfehlungen zur Impfungen nach Asplenie
Use of serogroup B meningococcal vaccines in persons aged ≥10 years at increased risk for serogroup B meningococcal disease: recommendations of the Advisory Committee on Immunization Practices, 2015 (2015) MMWR Morb Mortal Wkly Rep 64:608–612