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Endokrine Störungen bei Kindern und Jugendlichen mit Adipositas

Verfasst von: Martin Wabitsch und Thomas Reinehr
Es gibt eine Reihe seltener endokriner Ursachen für eine Adipositas einschließlich definierter genetischer Syndrome. Jedoch gibt es häufige Veränderungen endokriner Funktionen bei Adipositas, die charakteristisch für die Adipositas sind, wie z. B. Störungen der Insulinsekretion und Wirkung, Wachstumshormon-IGF-I-Achse, Hypophysen-Schilddrüsen-Achse, Hypophysen-Gonaden Achse und Nebennierenrindenfunktion. Die charakteristischen endokrinen Veränderungen bei Adipositas haben sekundär einen Einfluss auf den Energiestoffwechsel und die Energiespeicherung. Am Beispiel der veränderten Glukokortikoidproduktion und der verminderten Wachstumshormonproduktion wird deutlich, dass die sekundären endokrinen Veränderungen eine weitere Gewichtszunahme begünstigen können. Ungeachtet dieser Tatsache sind alle in diesem Kapitel beschriebenen endokrinen Veränderungen unter einer Kalorienrestriktion und durch eine Gewichtsabnahme ganz oder teilweise reversibel.

Hintergrund

Es gibt eine Reihe seltener endokriner Ursachen für eine Adipositas einschließlich definierter genetischer Syndrome (Kap. „Diagnostik der Adipositas bei Kindern und Jugendlichen“) (Pinkney und Kopelman 2004). Jedoch gibt es häufige Veränderungen endokriner Funktionen bei Adipositas, die charakteristisch für die Adipositas sind (s. auch Abb. 1), wie z. B. Störungen der
  • Insulinsekretion und Wirkung (Kap. „Hyperinsulinismus“ und Kap. „Hypoglykämie bei Kindern und Jugendlichen“),
  • Wachstumshormon-IGF-I-Achse,
  • Hypophysen-Schilddrüsen-Achse,
  • Hypophysen-Gonaden Achse und
  • Nebennierenrindenfunktion.
Die charakteristischen endokrinen Veränderungen bei Adipositas haben sekundär einen Einfluss auf den Energiestoffwechsel und die Energiespeicherung. Am Beispiel der veränderten Glukokortikoidproduktion und der verminderten Wachstumshormonproduktion wird deutlich, dass die sekundären endokrinen Veränderungen eine weitere Gewichtszunahme begünstigen können. Ungeachtet dieser Tatsache sind alle im Folgenden beschriebenen endokrinen Veränderungen unter einer Kalorienrestriktion und durch eine Gewichtsabnahme ganz oder teilweise reversibel.

Wachstum und Körperhöhe

Kinder und Jugendliche mit Übergewicht und Adipositas haben vor der Pubertät und in der frühen pubertären Phase meist eine erhöhte Körperhöhe und ein akzeleriertes Skelettalter, wachsen dann aber in der Pubertät geringer, sodass sie eine Endgröße im familiären Zielgrößenbereich erreichen.
Dementsprechend sind eine verminderte Körperhöhe und ein retardiertes Skelettalter bei adipösen Kindern und Jugendlichen auffällige Befunde, die weiter abgeklärt werden müssen. Im Zusammenhang mit dem präpubertär-akzelerierten Körperhöhenwachstum ist die Steigerung der Wachstumsgeschwindigkeit während des pubertären Wachstumsschubes vermindert. Longitudinale Daten über das Wachstum schwedischer Schulkinder zeigten, dass eine Zunahme des Body-Mass-Indexes (BMI) von einer Einheit im Alter zwischen 2–8 Jahren mit einer Vorverlagerung des pubertären Wachstumsschubes um 0,11 Jahre assoziiert war (He und Karlberg 2001). Einige klinische Studien lassen vermuten, dass auch die Endgröße von Individuen, die während der Kindheit und der Jugendzeit adipös waren und ein akzeleriertes Längenwachstum zeigten, vermindert ist.
Die Wachstumshormon-IGF-I-Achse zeigt bei adipösen Individuen typische Veränderungen (s. Übersicht).
Typische Veränderungen der Wachstumshormon-IGF-I-Achse bei Adipositas im Kindes- und Jugendalter
  • Verminderte Wachstumshormonsekretion
  • Erhöhte zirkulierende Spiegel von GHBP („Growth hormone-binding protein“)
  • Prä- und intrapubertär erhöhte zirkulierende Spiegel von IGF-I („Insulin-like growth factor I“), IGFBP-1, IGFBP-2, IGFBP-3 („Insulin-like growth factor binding protein“, IGFBP)
  • Postpubertär erniedrigte Spiegel von IGF-I, IGFBP-1, IGFBP-2 und IGFBP-3
  • Erniedrigte Ghrelinsekretion
Der Mangel an zirkulierendem Wachstumshormon kann zu einer erniedrigten Lipolyseaktivität im Fettgewebe und zu einer erniedrigten Proteinsyntheserate im Muskelgewebe beitragen. Die verminderte hypothalamische Wachstumshormonsekretion ist vorwiegend auf eine Reduktion der Pulsamplitude und weniger auf eine Reduktion der Frequenz der Pulse zurückzuführen. Teilweise sind für diese Hemmung die zirkulierenden freien Fettsäuren verantwortlich, die zu einer verminderten GH(„Growth hormone“)-Antwort auf die Gabe von GHRH („Growth hormone releasing hormone“) führen. Eine Gewichtsabnahme führt zu einer Normalisierung dieser Veränderungen, die deshalb als sekundär zur Adipositas einzustufen sind.
Eine Darstellung der Veränderungen der Wachstumshormon-IGF-I-Achse bei Adipositas wäre ohne die Erwähnung von Ghrelin unvollständig. Ghrelin ist ein sog. GH-Sekretagoge und kann über den GH-Sekretagogrezeptor (GHSR) die hypophysäre Wachstumshormonsekretion durch einen vom GHRH unabhängigen Mechanismus stimulieren. Ghrelin besteht aus 28 Aminosäuren und wird in neuroendokrinen Zellen des Magen-Darm-Traktes, vorwiegend im Magenfundus und im Nucleus arcuatus des Hypothalamus gebildet. Die Ghrelinsekretion ist im Magen-Darm-Trakt im Nüchternzustand erhöht und nimmt postprandial deutlich ab. Adipöse Kinder haben erniedrigte Ghrelinspiegel im Nüchternzustand.
Ghrelin hat unterschiedliche Wirkungen: Im Magen-Darm-Trakt wirkt es motilitätssteigernd und führt zu einer erhöhten Säureproduktion im Magen. Ghrelin wirkt zentral appetitsteigernd und verbindet damit die Regulation der Energiebilanz mit der Aktivität der Wachstumshormon-IGF-I-Achse.
IGF-I wird in großen Mengen neben der Leber auch im Fettgewebe gebildet. Bei Überernährung scheinen beide Produktionsorte für die erhöhte IGF-I-Menge verantwortlich zu sein. In einer Querschnittsuntersuchung an adipösen Kindern und Jugendlichen konnte gezeigt werden, dass die zirkulierenden IGF-I-Spiegel vor und in der frühen pubertären Phase erhöht sind. Dies war assoziiert mit einem akzelerierten Skelettalter. Die IGF-I-Spiegel korrelierten dabei mit dem Maß der Skelettalterakzeleration. Dieser Zusammenhang war unabhängig vom Geschlecht und dem Pubertätsstadium (Reinehr et al. 2006; Wabitsch et al. 1996).
Das normale bzw. akzelerierte Körperhöhenwachstum bei adipösen Kindern ist wahrscheinlich durch die erhöhte Verfügbarkeit von freien biologischen aktiven IGF-I bedingt. Es ist unklar, ob die Veränderungen der GH-IGF-I-Achse bei adipösen Kindern als Anpassungsvorgang zu verstehen sind oder pathologische Veränderungen sind, die ggf. sogar einer Behandlung bedürften. Nach einer Gewichtsreduktion kommt es bei übergewichtigen Kindern und Jugendlichen zu einer Abnahme des Quotienten aus IGF-I/IGFBP-3. Dies kann für eine reduzierte Menge an freiem IGF-I sprechen. Diese Veränderung ist mit einem Abfall der Wachstumsgeschwindigkeit nach Gewichtsabnahme assoziiert.

Schilddrüse

Bei Kindern und Jugendlichen mit Adipositas werden häufig leicht erhöhte thyreoideastimulierende Hormon(TSH)-Spiegel gemessen. Auch die T3-Spiegel liegen im oberen Referenzbereich oder sind sogar erhöht. Letzterer Befund kann im Zusammenhang mit dem bei der Adipositas erhöhten Grundumsatz gesehen werden. Die leichte Erhöhung der TSH-Werte ist dabei nicht mit einem Jodmangel oder einer Autoimmunthyreoiditis assoziiert. Die Prävalenz der Hashimoto-Thyreoiditis bei Kindern mit Adipositas ist allerdings im Vergleich zu normalgewichtigen Kindern leicht erhöht. Leicht erhöhte TSH-Werte sind aufgrund der erhöhten peripheren Schilddrüsenhormonspiegel eher nicht als latente Hypothyreose zu interpretieren. Es wird davon ausgegangen, dass hier eine sekundäre Anpassungsveränderung vorliegt. Dabei gibt es Hinweise, dass erhöhte zirkulierende Leptinspiegel über Leptinrezeptoren auf Thyreotropin-Releasing-Hormon (TRH) sezernierende Neuronen des Nucleus paraventricularis stimulierend auf die TSH-Sekretion wirken. Die Veränderungen von TSH, T3 und T4 sind nach einer Gewichtsabnahme reversibel (Reinehr und Andler 2002). Eine Substitutionsbehandlung mit Thyroxin führt nicht zu einer Beeinflussung des Körpergewichtes bei Patienten mit leicht erhöhten TSH-Werten. Daher ist eine Schilddrüsenhormongabe bei adipösen Kinder und Jugendlichen mit leichter TSH-Erhöhung (<10 mU/l) und normalen fT4-Werten nicht indiziert.
Obgleich eine Hypothyreose durch eine Gewichtszunahme klinisch bemerkt werden kann, ist sie als primäre Ursache für eine Adipositas sehr selten. Kinder mit einer Hypothyreose fallen eher durch eine verminderte Wachstumsrate und einen Leistungsknick in der Schule auf.
Dennoch sind Schilddrüsenhormone wichtige Regulatoren der Energiehomöostase. Während des Fastens, einer Überernährung und bei Adipositas sind charakteristische Veränderungen der Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Achse zu finden (Abb. 1). Experimentelle Untersuchungen bei Menschen bestätigen, dass die Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Achse durch die Ernährung beeinflusst wird. Eine Überernährung führt zu einem Anstieg der Serumkonzentrationen von T3 und zu einem Abfall der R-T3-Spiegel, wogegen Fasten zu einem Abfall der freien T3- und T4-Spiegel bei Adipösen führt. Zudem wird die 5-Dejodinase-Aktivität durch die Nahrungszufuhr kontrolliert. Sie reguliert die Konversion von T4 zu T3. Zusammengefasst ist festzustellen, dass sich die Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Achse der Ernährungssituation mit dem Ziel anpasst, das Körpergewicht und die Muskelmasse konstant zu halten.

Nebennierenrindenfunktion

Adipositas ist mit komplexen Veränderungen der hypothalamo-hypophysär-adrenalen Achse assoziiert (s. Übersicht).
Charakteristische Veränderungen der hypothalamo-hypophysär-adrenalen Achse bei Adipositas
  • Erhöhte stressinduzierte ACTH-Sekretion
  • Erhöhte Kortisolsekretion
  • Erniedrigtes kortisolbindendes Globulin
  • Erhöhte Kortisolclearance
  • Abgeflachtes Kortisoltagesprofil
  • Erniedrigter morgentlicher Kortisolpeak
  • Gestörte Dexamethasonsuppression der Nebennierenrinde
  • Erhöhte adrenale Androgenproduktion
Insbesondere bei präferenziell abdomineller Körperfettakkumulation liegt eine gesteigerte Aktivität dieser Achse vor und eine gesteigerte stressbezogene Antwort der Kortisolausschüttung. Die vermehrte Expression der β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase im viszeralen Fettgewebe und die dadurch bedingte erhöhte lokale Produktion von Kortisol kann zudem die Entstehung der abdominellen Adipositas fördern und ist mit den Faktoren des metabolischen Syndroms assoziiert (Reinehr et al. 2014). Die gesteigerte adrenokortikale Funktion und die gesteigerte Kortisolclearance sind mit einer erhöhten adrenalen Androgenproduktion und einer erhöhten Ausscheidung von 17-Ketosteroiden im Sammelurin assoziiert.
Bei Kindern mit Adipositas wird zusammen mit der Akzeleration des Längenwachstums und der Skelettreife häufig eine prämature Adrenarche beobachtet (l’Allemand et al. 2002). Bereits vor Beginn der Pubertät korrelieren die erhöhten Dehydroepiandrosteronsulfat(DHEAS)-Spiegel mit dem Leptinkonzentrationen und dem BMI. In einer Querschnittsuntersuchung von über 1000 übergewichtigen Kindern und Jugendlichen wurden erhöhte DHEAS-Spiegel über das ganze Altersspektrum von 8–18 Jahren gefunden (Denzer et al. 2007).
In einer Querschnittsuntersuchung zeigten Mädchen mit Adipositas im Alter zwischen 10–14 Jahren auch erhöhte Testosteronspiegel. Dabei ist der Produktionsort des Testosterons sowohl adrenal als auch ovariell. Zusammen mit erniedrigten sexualhormonbindenden Globulin(SHBG)-Spiegeln haben übergewichtige Mädchen im Adoleszentenalter gelegentlich erhöhte freie Testosteronspiegel und zeigen eine Virilisierung. Auch diese Veränderungen der Nebennierenrindensteroide und die Hyperandrogenämie bei Mädchen mit Adipositas sind nach einer Gewichtsreduktion reversibel (Wabitsch et al. 1995).

Pubertätsentwicklung

Im letzten Jahrhundert haben sich in den Industrienationen der Zeitpunkt und der Ablauf der Pubertätsentwicklung bei Jungen und Mädchen deutlich verändert. Das Menarchealter ist gesunken. Diese Beobachtung und der klinische Eindruck, dass übergewichtige Mädchen eine frühere Pubertätsentwicklung zeigen als normalgewichtige, stimmen mit der Hypothese von Frisch überein.
Die Hypothese von Frisch besagt, dass eine kritische Fettmasse vorliegen muss, bevor die Menarche eintritt und Regelblutungen auftreten (Frisch et al. 1973).
Im Gegensatz zu einigen klinischen Studien zum Zusammenhang zwischen dem Körpergewicht und der Pubertätsentwicklung bei Mädchen gibt es kaum Daten, die diesen Zusammenhang bei Jungen untersuchten. In einer klinischen Querschnittsuntersuchung an über 1000 adipösen Kindern und Jugendlichen in Deutschland wurden keine Hinweise dafür gefunden, dass sich bei Jungen die Pubarche und die Entwicklung der Pubesbehaarung von den Referenzwerten der Züricher Longitudinal Studie unterscheiden (Denzer et al. 2007). Ebenfalls unterschied sich die Gonadenentwicklung bei Jungen nicht von diesen Referenzwerten (Denzer et al. 2007). Die Studie zeigte allerdings, dass die Brustentwicklung bei adipösen Mädchen früher abläuft als bei der Züricher Referenzpopulation. Dies entspricht auch dem Ergebnis mehrerer aktueller amerikanischer Untersuchungen.
Interessanterweise zeigte ein Studie zur Dynamik der Pubertätsentwicklung unter Gewichtsabnahme, dass eine BMI-SDS-Reduktion bei übergewichtigen Jungen mit einem gondadotropinabhängigen früheren Einsetzen der Pubertät und bei übergewichtigen Mädchen mit einem späteren Pubertätsbeginn assoziiert ist (Reinehr et al. 2017).
Bei adipösen Jungen scheint eine offensichtliche Dissoziation zwischen der Entwicklung verschiedener pubertärer Parameter vorzuliegen. Adipöse Jungen zeigen ein beschleunigtes Längenwachstum verbunden mit einem akzelerierten Skelettalter und einer frühen Aktivierung der Nebennierenrindenfunktion. Dagegen liegt eine altersentsprechende Entwicklung der Pubesbehaarung und des Gonadenwachstums vor und es werden im Vergleich zu den Referenzwerten niedrige Testosteronspiegel gemessen.
Der Befund erniedrigter Testosteronspiegel bei pubertierenden Jungen entspricht dem Befund erniedrigter Testosteronspiegel bei adipösen erwachsenen Männern. Die Ursache für diese Hypoandrogenämie ist nicht bekannt. Erniedrigte SHBG-Spiegel und eine erhöhte Aromataseaktivität im Fettgewebe können dies teilweise erklären. Allerdings wird bei adipösen Mädchen keine Hypoandrogenämie beobachtet, sodass letztlich der Unterschied für diese geschlechtsspezifischen Charakteristika ungeklärt bleibt.

Gynäkomastie bei Jungen

Bei adipösen Jungen liegt gelegentlich eine Gynäkomastie vor; meist ist dies keine Pseudogynäkomastie. Vielmehr liegt neben der erhöhten subkutanen Fettmasse auch eine echte Vergrößerung des Brustdrüsengewebes vor. Ursache hierfür scheint die erhöhte Aromataseaktivität im Fettgewebe zu sein, die auch mit erhöhten zirkulierenden Östradiolspiegeln assoziiert ist (Crocker et al. 2014, PMID: 24780051).
Cave
Aufgrund der zu erwartenden deutlichen Gewichts- und Körperumfangszunahmen während der Adoleszenz ist eine chirurgische Intervention wegen der in diesem Zusammenhang zu erwartenden unschönen Narbenbildung nicht ratsam.
Eine medikamentöse Therapie mit Aromatasehemmern führt zwar zu einer Reduktion der zirkulierenden Östradiolkonzentrationen, jedoch werden selten zufriedenstellende Ergebnisse bei ausgeprägter Gynäkomastie erreicht. Bei starker psychischer Belastung aufgrund der vorliegenden Gynäkomastie und bei erfolgloser Gewichtsreduktion muss zwischen der medikamentösen Therapie mit Aromatasehemmern und einer chirurgischen Therapie abgewogen werden.

Polyzystisches-Ovar-Syndrom

Für das Jugendalter werden die folgenden Kriterien zur Diagnosestellung eines polyzystischen Ovar-Syndroms (PCOS) von der Endocrine Society vorgeschlagen (Legro et al. 2013):
  • Hyperandrogenämie/Hirsutismus +
  • Oligomenorrhö (Zyklusintervall >45 Tage oder weniger als 9 Blutungen pro Jahr)
Eine Oligomenorrhö ist im Jugendalter definiert als ein Zyklusintervall >45 Tage oder weniger als 9 Blutungen pro Jahr. Bei einem Hirsutismus finden sich typischerweise Haare im Gesicht, vom Schambereich bis hin zum Bauchnabel und um die Brustwarzen. Der bei erwachsenen Kaukasierinnen evaluierte Ferriman-Gallwey Hirsutism Score ist für das Jugendalter nicht überprüft. Haare an Unterarmen, Unterschenkel und im Rücken entstehen nicht durch eine Hyperandrogenämie, sondern sind eher familiär oder ethnisch bedingt (Hypertrichose). Da Akne und Seborrhö im Pubertätsalter häufig sind, eignen sich diese nicht als klinisches Kriterium für einen Hyperandrogenismus. Eine Alopezie tritt im Jugendalter bei PCOS meist noch nicht auf und eignet sich daher ebenfalls nicht als Kriterium für einen Hyperandrogenismus.
Die Hyperandrogenämie zeigt sich beim PCOS typischerweise in grenzwertig erhöhten Androstendion- (als ovarieller Marker) und Testosteronwerten bei erniedrigtem SHBG, sodass die freien Testosteronwerte erhöht sind (Franks 2008). Die DHEA-S-Werte als adrenaler Marker sind in der Regel normwertig. Einen neuen laborchemischen Parameter stellt das Anti-Müller-Hormon (AMH) dar, welches als ovarieller Marker bei polyzystischen Ovarien erhöht ist. Auch Jugendliche mit PCOS scheinen höhere AMH-Werte zu zeigen, Normwerte für das Jugendalter fehlen jedoch noch.
Das PCOS ist jedoch immer eine Ausschlussdiagnose, d. h., andere Ursachen für eine Hyperandrogenämie und/oder Zyklusstörungen, wie Tumoren der Nebennierenrinde, Enzymdefekte (z. B. adrenogenitales Syndrom), Hypothyreose, Hyperprolaktinämie und Akromegalie müssen sicher ausgeschlossen sein. Die Diagnose eines PCOS im Jugendalter zu stellen gestaltet sich häufig schwierig, da ein regelmäßiger Zyklus mit Ovulationen z. T. erst 3–5 Jahre postmenarchal eintritt und polyzystische Ovarien zu Beginn der Erkrankung häufig noch nicht nachweisbar sind. Auf der anderen Seite können polyzystische Ovarien zudem auch bei gesunden Mädchen in der Pubertät beobachtet werden. Daher sind die Diagnosekriterien aus dem Erwachsenenalter für das Jugendalter nur begrenzt tauglich. Ein PCOS sollte jedoch frühzeitig auch bereits im Jugendalter erkannt und ggf. behandelt werden, weil
  • eine 2/3-Wahrscheinlichkeit besteht, dass ausgeprägte Zyklusunregelmäßigkeiten auch nach der Pubertät weiter bestehen,
  • die Höhe des in der Pubertät vorliegenden Androgenspiegels maßgebend für die Androgenämie während des Erwachsenenalters ist und
  • durch jegliche Hyperandrogenämie eine ovarielle Fehlentwicklung mit Hyperthekose und Stromahypertrophie entstehen kann und
  • ein unbehandeltes PCOS zur Infertilität führt.
Noch nicht abschließend geklärt ist, wodurch ein PCOS zustande kommt (Legro et al. 2013; Franks 2008). Die überwiegende Mehrheit der Mädchen mit PCOS ist adipös. Interessanterweise ist eine erhöhte Androgenproduktion bereits bei adipösen präpubertären Kindern nachweisbar. Eine Assoziation des PCOS zur prämaturen Adrenarche und zum Small-for-gestational-age(SGA)-Status ist insbesondere bei normalgewichtigen Jugendlichen mit PCOS beschrieben.
Schlanke Mädchen mit PCOS zeigen wie auch adipöse Mädchen eine erhöhte Insulinresistenz. Insbesondere eine androgene Fettverteilung mit Neigung zur chronischen Inflammation führt zur Insulinresistenz. Adipozytokine wie Tumornekrosefaktor(TNF)-α, Retinol-Binding-Protein und Leptin verschlechtern die Insulinsensitivität, während das bei Adipösen nur in geringerer Konzentrationen zu messende Adipozytokin Adiponektin die Insulinresistenz verbessert. Eine Insulinresistenz zeigt sich klinisch in Form einer Acanthosis nigricans, die neben einer vermehrten Pigmentierung vor allem durch ein vergröbertes Hautrelief imponiert. Die durch die Insulinresistenz ausgelöste Hyperinsulinämie stimuliert ovariell und adrenal die Androgensynthese durch Aktivierung der 17-β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase (17-β-HSD) und durch vermehrte Ausschüttung des luteinisierenden Hormons (LH). Eine Insulinresistenz führt ferner zur Erniedrigung des SHBG und erhöht somit den freien Anteil von Testosteron. Zudem wird das stark wirksame Androgen Testosteron im omentalen Fettgewebe aus dem nur schwach wirksamen Androgen Androstendion durch die 17-β-HSD Typ 3 gebildet. Das Adipozytokin Leptin ist maßgeblich an der Regulation von LH-Releasing-Hormon (LHRH) beteiligt, welches die Ausschüttung von LH reguliert.
Da die Insulinresistenz die Grundlage des PCOS darstellt, treten gehäuft mit Insulinresistenz assoziierte Erkrankungen wie z. B. die gestörte Glukosetoleranz oder die Fettlebererkrankung beim PCOS auf. Daher sollte bei der Diagnose eines PCOS immer gezielt nach diesen gesucht werden.
Die Therapie der Wahl des PCOS stellt bei adipösen Mädchen eine Übergewichtsreduktion dar, welche sich im klinischen Alltag jedoch häufig schwer realisieren lässt (Legro et al. 2013; Lass et al. 2011). Eine Übergewichtsreduktion führt sowohl zur Verbesserung des Hirsutismus und der Regelstörungen als auch zur Verbesserung der Lebensqualität und vor allem des kardiovaskulären Risikoprofils.
Bei allen adipösen Mädchen, bei denen keine Gewichtsreduktion möglich ist, und bei normalgewichtigen Mädchen mit PCOS bzw. Zeichen der Hyperandrogenämie sollte über eine medikamentöse Therapie nachgedacht werden. Diese sollte jedoch nicht vor dem Tanner-Stadium IV–V eingeleitet werden. Die medikamentöse Behandlung richtet sich nach den im Vordergrund stehenden Symptomen bzw. Therapiezielen (Tab. 1) und dem kardiovaskulären Risikoprofil. Stehen Zyklusstörungen und/oder ein Hirsutismus im Vordergrund, sollten orale Kontrazeptiva mit ggf. einem antiandrogenen Gestagen verwendet werden. Diese führen zu einer Regulation des Zyklus, gewährleisten einen Schutz des Endometriums und führen zu einer Verbesserung des Hirsutismus und der Akne. Die Ovulationshemmung unterdrückt die LH-Produktion und die Östrogene führen zu einem Anstieg von SHBG, sodass die bioaktiven Androgene reduziert werden. Bei Raucherinnen und bei Patientinnen mit angeborenen Gerinnungsstörungen oder Thrombosen oder Thrombembolien in der Familienanamnese besteht ein deutlich erhöhtes Thromboserisiko unter der Behandlung mit oralen Kontrazeptiva, sodass deren Einsatz sehr kritisch abgewogen werden muss. Eine Gerinnungsdiagnostik (Aktiviertes-Protein-C[APC]-Resistenz, Protein-C/S-Mangel, Antithrombin[AT]-III-Mangel, Faktor-V-Mangel) sollte vor Beginn einer oralen Hormontherapie durchgeführt werden (Legro et al. 2013). Durch eine Östrogen-/Gestagentherapie kann sich das kardiovaskuläre Risikoprofil verschlechtern.
Tab. 1
Therapeutische Ansätze bei PCOS
 
Hirsutismus
Ovulation
Kardiovaskuläres Risikoprofil
Gewichtsabnahme
+
+
+
Metformin
0
+
+
Ovulationshemmer
+
+
0 bis (–)
Antiandrogene
+
0 bis –
0 bis (–)
+: positive Wirkung auf Therapieziel, –: negative Wirkung auf Therapieziel, 0: keine Wirkung auf Therapieziel
Bei Patientinnen mit gestörter Glukosetoleranz oder Diabetes mellitus Typ 2 sollte primär das orale Antidiabetikum Metformin eingesetzt werden. Metformin führt zu einer Verbesserung der Insulinsensitivität bzw. zu einer Abnahme der Insulinresistenz und der Hyperinsulinämie, sodass sich auch die Faktoren des metabolischen Syndroms verbessern und das Auftreten eines Typ-2-Diabetes bei pathologischer Glukosetoleranz hinausgezögert werden kann. Weiterhin konnte auch eine Verbesserung der Zyklusstörung beobachtet werden, während der Hirsutismus unter Metformintherapie nicht beeinflusst wird. Zudem wird unter Metformin eine minimale Gewichtsabnahme beobachtet.
Antiandrogene, wie Cyproteronacetat, Spironolacton und Flutamid, sind effektiv in der Therapie des Hirsutismus und der Akne, jedoch für das Jugendalter nicht zugelassen. Zur Haarentfernung im Gesicht kommen primär Laserbehandlungen oder andere Epilationstherapien zur Anwendung.
Literatur
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