Definition und Häufigkeiten
An der Brustdrüse des Mannes können qualitative und quantitative Veränderungen zu beobachten sein, die als Symptome Monitorfunktion für eine Reihe von Erkrankungen besitzen können.
Unter Gynäkomastie (GM) versteht man die Ausbildung einer Brustdrüsenschwellung beim männlichen Geschlecht. Im Gegensatz zur Lipomastie, bei der lediglich eine Fettansammlung im Brustbereich besteht, liegt bei der GM eine Hypertrophie des Brustdrüsengewebes vor.
Eine GM stellt kein eigenständiges Krankheitsbild dar, sondern ist meistens das Symptom einer Störung, die in einer Östrogen-Androgen-Imbalance des Organismus resultiert. Die möglichen Ursachen für diese endokrine Veränderung sind vielfältig.
In der
Pubertät wird die Häufigkeit der GM mit 40–70 % veranschlagt, bei Erwachsenen liegt diese mit 30–40 % eher geringer. Zur groben klinischen Objektivierung der GM: horizontale Hautfalte unter Einschluss der Brustwarze von 2 cm (bei adipösen Männern 3 cm) oder Durchmesser des Brustwarzenhofes über 3 cm, wenngleich diese Maßangaben dem Einzelfall nicht immer gerecht werden. Die Stadieneinteilung erfolgt nach Tab.
1.
Tab. 1
Tanner-Klassifikation der Gynäkomastie
B1 | Kein Drüsenkörper tastbar |
B2 | Warzenhof vergrößert, Drüse vorgewölbt |
B3 | Drüsenkörper größer als Warzenhof |
B4 | Solider Drüsenkörper |
B5 | Entspricht weiblicher Brust |
Ursachen und Pathophysiologie
Die GM hat vordergründig endokrine Ursachen, wobei hormonelle Imbalancen mit einem Östrogenexzess differenzialdiagnostisch berücksichtigt werden (Tab.
2). Dabei kommen erhöhte Östrogenspiegel und verminderte Androgenspiegel sowie reduzierte Androgenwirkungen (veränderte Bindung an
Sexualhormon-bindendes Globulin [SHBG] oder Androgenrezeptor) in Betracht. Als weitere Ursachen müssen eine Reihe von Allgemeinerkrankungen genannt werden. Zahlreiche Medikamente werden mit einer GM in Verbindung gebracht. Zu den relevanten Drogen werden Alkohol, Heroin, Marihuana gezählt (Tab.
3).
Tab. 2
Pathophysiologie der Gynäkomastie. (Nach Schanz et al.
2016)
Erhöhte Östrogenspiegel aus Synthese oder Aufnahme oder vermehrte Östrogenwirkung | Vermehrte Synthese: • Direkt: Durch testikuläre Tumoren (Leydig-Zell- oder Sertoli-Zell-Tumor) oder adrenale Neoplasien • Indirekt: Stimulation durch hCG-produzierende gonadale oder extragonadale Keimzelltumoren sowie nicht trophoblastische Tumoren (Bronchial-, Nierenzell- und hepatozelluläre Karzinome) Aromatisierung von Präkursoren (z. B. Übergewicht, adrenale Tumoren) Vermehrte Aufnahme (fetoplazentar, äußerliche Anwendung, berufliche Exposition) Verdrängung aus SHBG-Bindung (z. B. durch Medikamente) |
Verminderte Androgenspiegel oder -wirkung | Erniedrigte Androgene (primäre oder sekundäre Leydig-Zell-Insuffizienz, Altershypogonadismus, erhöhter Metabolismus) Erhöhte SHBG-Bindung Verminderte Bindung an oder Verdrängung vom Androgenrezeptor (z. B. durch Medikamente) Angeborener Androgenrezeptordefekt Medikamentöse Blockade des 5α-Reduktase (Finasterid, Dutasterid) |
Multifaktoriell | Lokale Estrogensensitivität Medikamente, Drogen (s. Tab. 3) |
Mechanisch | Mechanische Irritation der Brust |
Tab. 3
Medikamente/Drogen und Gynäkomastie. (Nach Schanz et al.
2016)
Erhöhung des Östrogenspiegels oder der -wirkung | Östrogenanwendungen systemisch oder lokal (Cremes, Kosmetika): • Isoflavone, Phytoöstrogene (Kosmetika, Soja-Produkte, Bier, Teebaumöl, Lavendelöl) • Exzessive Androgengabe (Bodybuilding), Anabolika, androgenhaltige Kontrazeptiva, hCG-Präparate Östrogenwirkung: • Diethylstilbestrol, Clomiphen, Phenytoin, Digitalis |
Verminderung des Androgenspiegels oder der -wirkung | Hemmung der Androgensynthese: • Ketokonazol, Metronidazol, GnRH-Agonisten (chronisch) und -Antogonisten, Spironolakton, zytotoxische Chemotherapeutika Hemmung der Testosteronwirkung: • Androgenrezeptorblocker (Bicalutamid, Flutamid, Nilutamid, Spironolakton, Eplerinon, Cyproteron • 5α-Reduktase-Hemmer: Finasterid, Dutasterid • H2-Blocker: Cimetidin, Ranitidin und Protonenpumpeninhibitoren • Marijuana |
Multifaktoriell | Angiotensin converting enzyme inhibitors, Alkohol, Amilorid, Amphetamine, Kalziumkanalblocker, Ciclosporin, Diazepam, highly active antiretroviral therapy, Heroin, Methyl-DOPA, Isoniazid, Reserpin, Risperidon, Theophyllin, trizyklische Antidepressiva (über Erhöhung des Prolaktinspiegels), Wachstumshormon |
Bei einem
Klinefelter-Syndrom tritt während der
Pubertät in bis zu 40 % der Fälle eine GM auf; ein begleitender Wachstumsstillstand der Hoden kann auf die Chromosomenanomalie hinweisen. Auch bei anderen Formen des primären
Hypogonadismus kann es zur Ausbildung einer GM kommen.
Tritt eine Brustdrüsenschwellung nach der
Pubertät auf, muss ein Hodentumor ausgeschlossen werden. Die Symptom-Trias GM, Libidoverlust und Hodentumor ist charakteristisch für den Leydig-Zell-Tumor. Auch humanes Choriongonadotropin-(hCG-)bildende Tumoren führen charakteristischerweise zur Brustdrüsenschwellung, wie z. B. das embryonale Karzinom, das Teratokarzinom, das Chorionkarzinom oder gonadale Mischtumoren. Neben der hCG-Bildung kann eine paraneoplastishe Östrogenproduktion der Leydig-Zellen des Hodentumors ursächlich sein. Auch andere Karzinomerkrankungen mit paraneoplastischer Hormonproduktion (z. B. das kleinzellige Bronchialkarzinom oder das
Nebennierenrindenkarzinom) können durch die plötzliche Entstehung einer Gynäkomastie symptomatisch werden. Im Rahmen einer ausgeprägten
Hyperprolaktinämie kann es zu einer GM und selten zur Galaktorrhö kommen.
Chronische Systemerkrankungen können zur Ausbildung einer GM führen. Besonders häufig erfolgt dies durch eine vermehrte Östrogenbildung bei
Leberzirrhose. Ferner kann bei Patienten mit terminaler
Niereninsuffizienz unter Hämodialysebehandlung eine Brustdrüsenhypertrophie beobachtet werden. Auch die
Hyperthyreose kann von einer Brustdrüsenschwellung begleitet sein. Bei Hungerdystrophien in der Erholungsphase kann ebenfalls eine Brustdrüsenschwellung entstehen.
Differenzialdiagnosen
Klinisch imponiert die GM als meist beidseitige Vergrößerung der Brustwarze und des Warzenhofes einschließlich eines in Strängen tastbaren, z. T. dolenten Drüsenkörpers. Abzugrenzen sind hiervon
Fibrosen, Zysten, Entzündungsreaktionen, Traumen mit Hämatombildung sowie venöse oder lymphatische Abflussstörungen z. B. bei Bronchial-, Ösophagus-,
Schilddrüsenkarzinomen, retrosternaler
Struma und malignen
Lymphomen. Seltene Ursachen einer Brustvergrößerung schließen metastasierende Karzinome von Lunge, Prostata und Leber sowie hämatologische maligne Erkrankungen wie Lymphome,
Hodgkin-Lymphome und Plasmozytome ein.
Die wichtigste Differenzialdiagnose einer GM, insbesondere bei der einseitigen Lokalisation, ist das
Mammakarzinom (Tab.
4). Das
Mammakarzinom des Mannes stellt etwa 1 % aller Brustkrebserkrankungen; in Deutschland ist es mit über 600 Neuerkrankungen pro Jahr vertreten. Der oft erst im fortgeschrittenen Stadium festgestellte Tumor geht mit einem derben, meist schmerzlosen subareolären Infiltrat einher. Einbeziehung der Haut führt zu Retraktionen und dem Apfelsinenschalenphänomen, später treten ulzerierende Knoten auf. Eine serosanguinöse Sekretion aus der Mamille muss an eine maligne Neoplasie denken lassen.
Tab. 4
Klinische Differenzierung Gynäkomastie versus Mammakarzinom. (Nach Schanz et al.
2016)
Symmetrie | Meist beidseitig | Meist einseitig |
Konsistenz | Meist weich, elastisch bis fest | Meist fest oder hart |
Lage | Meist konzentrisch zum Warzenhof | Meist dezentral zum Warzenhof |
Symptome | Bei kurzem Bestehen schmerzhaft | Schmerzlos, u. U. Blutung, Ausfluss, Retraktion von Haut oder Brustwarze |
Diagnostisches Vorgehen
Das diagnostische Vorgehen bei GM (Tab.
5) sollte individuell nach der speziellen Anamnese und richtungsweisenden Befunden abgestimmt werden.
Tab. 5
Diagnostik bei Brustdrüsenvergrößerung des Mannes. (Nach Schanz et al.
2016)
Anamnese | Beginn, Verlauf, Beschwerdebild, andere Krankheiten, Medikamente, Alkohol, Drogen Bei Verdacht auf Mammakarzinom: familiäre Krebsfälle, Hinweise auf Östrogenexzess, Strahlenexposition |
Klinik | Allgemeinstatus, Lokalbefund, akzessorisches/aberrierendes Brustgewebe, andrologischer Genitalbefund, Lymphknotenstatus |
Labordiagnostik | Basisdiagnostik: T, E2, LH, hCG Erweiterte Diagnostik:, SHBG, PRL, FSH, TSH, fT 3, fT 4, DHEA, Leber- und Nierenwerte, AFP, Chromosomenanalyse |
Bildgebende Diagnostik | Basisdiagnostik: Mammasonografie, Hodensonografie Erweiterte Diagnostik: Mammografie, Röntgen-Thorax, MRT Hypophyse, Abdomensonografie, Abdomen-CT |
Spezielle Diagnostik | Bei Neoplasieverdacht histologische Klärung, Tumorstaging |
Die Anamnese ist auf Beginn und Verlauf des Beschwerdebildes einschließlich der Symptome eines Androgenmangels sowie Abhängigkeiten von anderen Krankheitsbildern oder Expositionen (z. B. externe Anwendung von östrogenhaltigen Haarwässern) gerichtet. Rasches Auftreten spricht eher für, langes Bestehen eher gegen einen Tumor.
Die klinische Untersuchung richtet sich nach Ausschluss einer Lipomastie auf den Allgemeinstatus und den exakten Lokalbefund. Die Größenklassifizierung des Drüsenkörpers ist einer Verlaufsbeurteilung dienlich. Die Genitaluntersuchung muss zwingend einen (hormonaktiven) Hodentumor ausschließen.
Die
biochemische Diagnostik umfasst die Bestimmung von
Testosteron,
Estradiol, LH, FSH und
Prolaktin, SHBG, α-Fetoprotein, β-hCG, GOT, GPT, G-GT,
Kreatinin und
Harnstoff. Sie erleichtert die differenzialdiagnostische Zuordnung. Bei klinischem Verdacht auf ein
Klinefelter-Syndrom empfiehlt sich die Durchführung einer
Chromosomenanalyse; bei klinischem Verdacht auf eine
Hyperthyreose sollten TSH, T3 und T4 bestimmt werden.
In der
bildgebenden Diagnostik ist zur Orientierung die sonographische Darstellung der GM zu empfehlen. Es finden sich weitgehend uncharakteristische Befunde, allerdings lassen sich der Drüsenkörper vom Fettgewebe abgrenzen und evtl. Zysten oder Verkalkungen erfassen. Aussagen zur Dignität sind nicht immer möglich. Hilfreich kann die
Sonographie vor chirurgischen Eingriffen sein. Eine Mammographie ist bei Verdacht auf einen malignen Tumor oder bei sonstigen sonographisch unklaren Befunden mit über 90 % Sensitivität und 90 % Spezifität in der Unterscheidung maligner von benignen Prozessen angezeigt. Zum Ausschluss ursächlich infrage kommender testikulärer Tumoren ist die Hodensonographie obligat, bei Verdacht auf
Nebennierentumoren ebenfalls eine Sonographie oder ein CT, bei Hinweisen auf ein Hypophysenadenom ein MRT. Im Falle einer neu aufgetretenen GM außerhalb der pubertären bzw. postpubertären Altersgruppe sollten ein Röntgennativbild des Thorax und eine Abdomensonographie zum diagnostischen Repertoire gehören.
Therapie
Nicht jede GM muss therapiert werden. Naheliegend ist jedoch die Ausschaltung und Behandlung
kausaler Faktoren (Tab.
2). Im Fall einer paraneoplastischen GM bei Hodentumor oder anderen Neoplasien muss die onkologische Therapie erfolgen. Eine Behandlung der physiologischen oder
idiopathischen GM kann erforderlich werden, wenn über Schmerzhaftigkeit geklagt wird, wenn eine relativ rasche Wachstumstendenz oder Größenzunahme erfolgt ist oder ein Leidensdruck aufgrund der kosmetisch-psychologischen Situation vorliegt. Zu berücksichtigen sind dabei das den Mann belastende weibliche Erscheinungsbild, eine mögliche (Selbst-)Isolierung und Kontaktvermeidung. Eine entsprechende Patientenführung kann bereits hilfreich sein. Im Falle der Pubertäts-GM ist eine abwartende Beobachtung zu empfehlen, da
Spontanregressionen häufig sind.
Medikamentöse Einflussnahmen sind über Antiöstrogene oder Aromatasehemmer möglich in der Gabe des Östrogenrezeptorblockers Tamoxifen (20 mg/Tag) oder des Aromatasehemmers Anastrozol (1 mg/Tag) besonders in der proliferativen, noch nicht fibrosierenden Phase (bis zu 6 Monate). Beide Behandlungen sind Off-Label-Medikationen und bedürfen der gesonderten Aufklärung und Einverständnis des Patienten.
Operative Intervention. Eine länger bestehende fibrosierte GM (6–12 Monate) sollte eher einer chirurgischen Korrektur zugeführt werden. Mögliche Narbenbildungen, Dellungen und Asymmetrien können das kosmetische Ergebnis beeinträchtigen, sodass der erfahrene Chirurg gefordert ist. Nach
Liposuktion und minimal invasiver Drüsenkörperentfernung kann auch eine zweizeitige Straffungsoperation infrage kommen, wenn keine ausreichende Schrumpfung des Haut- und Weichteilmantels erfolgt.