Hintergrund und Fragestellung
Berufskrankheiten mit möglicher Hautbeteiligung | |
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5101 | Schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungena |
5102 | Hautkrebs durch Ruß, Rohparaffin, Teer, Anthrazen, Pech oder ähnliche Stoffe |
5103 | Plattenepithelkarzinome oder multiple aktinische Keratosen der Haut durch natürliche UV-Strahlung |
1108 | Erkrankungen durch Arsen oder seine Verbindungen |
1310 und 1311 | Erkrankung durch Halogenkohlenwasserstoffe oder halogenierte Alkyl‑, Arylverbindungen, Halogene |
1314 | Erkrankungen durch p‑tertiäres Butylphenol |
1315 | Erkrankungen durch Isocyanate |
2402 | Erkrankungen durch ionisierende Strahlen |
3101 | Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war |
3102 | Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheitenb |
4301 | Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungena |
4302 | Durch chemisch-irritative oder toxisch wirkende Stoffe verursachte Atemwegserkrankungenc |
Kriterien für BK-Nr. 3101 | |
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1 | Von Mensch zu Mensch übertragbare Krankheiten fallen grundsätzlich dann unter die BK-Nr. 3101, wenn sie bei Versicherten auftreten, die infolge der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit in bestimmten Bereichen einer gegenüber der allgemeinen Bevölkerung wesentlich erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt sind |
2 | Dies trifft hauptsächlich auf das Personal in stationären oder ambulanten medizinischen Einrichtungen der Human- und Zahnmedizin, in wohlfahrtspflegerischen Einrichtungen und Laboratorien zu |
3 | Außerdem können in diesen Bereichen kurzfristig tätige Personen (z. B. Wartung, Instandsetzung oder Entsorgung) betroffen sein |
4 | Ein Risiko in ähnlichem Maße kann auch bei Tätigkeiten in der Gentechnik, Biotechnologie, in Abwasser- und Kläranlagen bestehen |
5 | Gemeinsam ist allen Fällen, dass die Erregerübertragung ein einmaliges, punktuelles Ereignis darstellt, das häufig im Nachhinein nicht mehr ermittelt werden kann |
6 | Als Ergebnis der Erregerübertragung resultiert hierbei lokale oder systemische Ausbreitung mit oder ohne Krankheitssymptome |
MRSA und BK-Nr. 3101
Patientenkollektive und Methoden
Ergebnisse
Daten der gewerblichen Berufsgenossenschaften und Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand
BK 3101 | Insgesamt | |||||
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Verdachtsanzeigen | Anerkannte BKen | Darunter: | Verdachtsanzeigen | Anerkannte BKen | Darunter: | |
Neue BK-Renten | Neue BK-Renten | |||||
2007 | 2515 | 735 | 107 | 61.150 | 13.383 | 4123 |
2008 | 1507 | 462 | 97 | 60.736 | 12.972 | 4312 |
2009 | 1689 | 499 | 76 | 66.951 | 16.078 | 6643 |
2010 | 1493 | 579 | 64 | 70.277 | 15.461 | 6123 |
2011 | 1645 | 641 | 72 | 71.269 | 15.262 | 5407 |
2012 | 1594 | 795 | 71 | 70.566 | 15.291 | 4924 |
Gesamt | 10.443 | 3711 | 487 | 400.949 | 88.447 | 31.532 |
Berufsdermatologisches Begutachtungskollektiv der Hautklinik Universitätsklinikum Erlangen
Gutachtenfragestellungen |
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1. Wie ist der Hautbefund am Untersuchungstag? |
2. Ist die MRSA-Erkrankung Ursache oder wesentlich mitwirkende Teilursache der bei der Versicherten bestehenden unter 1. genannten Hauterkrankung? Ist eine Abgrenzung zwischen dem Verschlimmerungsanteil und der bereits vorbestehenden Hauterkrankung möglich, ggf. inwieweit? [Falls nein, war sie es früher, ggf. inwieweit?] |
3. Wie sind die Folgen der MRSA-Erkrankung auf dem dermatologischen Fachgebiet? |
4. Welche hiervon unabhängigen Erkrankungsfolgen bestehen? |
5. Wie ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zum Untersuchungstag auf hautfachärztlichem Gebiet aufgrund der MRSA-Einwirkung einzuschätzen? |
6. Wie ist die MdE ab dem Tag nach Ende der ersten Arbeitsunfähigkeit, nach dem Versicherungsfalltag bis zum Tag vor der Untersuchung einzuschätzen? |
7. Ist in absehbarer Zeit eine Besserung zu erwarten und bis wann voraussichtlich? |
8. Welche Heilmaßnahmen halten Sie für erforderlich, um die volle Wiederherstellung bzw. weitere Besserung der Erwerbsfähigkeit zu erreichen? |
Gutachtenfall | |
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Beruf, Fragestellung (s. Tab. 4) | Eine 64-jährige Altenpflegerin wurde 2012 mit therapieresistenter atopischer Dermatitis (AD) und MRSA-Nachweis (Haut und Nasenostium) auf Veranlassung der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege zur dermatologischen Begutachtung zum Vorliegen einer BK-Nr. 3101 vorgestellt |
Berufsanamnese | Die ausgebildete Apothekenhelferin arbeitete nach Umschulung zur Fachgehilfin für ambulante und stationäre Pflege seit über 10 Jahren als Altenpflegehelferin in einem Seniorenheim |
Sämtliche Pflegeverrichtungen (Waschen, Mobilisieren, Füttern, Anziehen der Bewohner) gehörten zu den Aufgaben der Versicherten | |
Beim Lagern und Umbetten bestand z. T. enger Körperkontakt zu den Pflegebedürftigen | |
Die Tätigkeit wurde in Vollzeit (8,5 h/Tag) ausgeübt | |
Am Arbeitsplatz erfolgte die Anwendung der dort vorhandenen Hautschutz- und -pflegemittel etwa 2‑ bis 3‑mal/Tag | |
Händewaschen erfolgte 8‑ bis 10-mal/Tag mit der zur Verfügung gestellten Handseife, ca. 15-mal/Tag eine Händedesinfektion | |
6 h/Tag wurden latexfreie medizinische Einmalhandschuhe getragen | |
Hinweise auf Einwirkungen von möglichen Kontaktallergenen am Arbeitsplatz fanden sich nicht, insbesondere keine Betonung der Hautveränderungen im Bereich der Hände | |
Die Patientin versorgte bei ihrer Tätigkeit als Altenpflegehelferin Pflegebedürftige mit nachgewiesener MRSA-Kolonisation und Pflegebedürftige mit ungeklärtem MRSA-Status | |
Bei bekannter MRSA-Besiedelung von Bewohnern wurden diese vom Pflegepersonal unter Anwendung von Schutzmaßnahmen versorgt: Tragen von Kopfschutzkappen, Mundschutz, Handschuhen, Schutzkitteln und Überschuhen bei Betreten des Zimmers und Pflege des betroffenen Bewohners sowie Desinfektionsmaßnahmen gemäß der in der Pflegeeinrichtung geltenden Hygiene-Leitlinie. Über eine neu festgestellte MRSA-Besiedelung wurde das Pflegepersonal unmittelbar durch die Vorgesetzten informiert | |
Es erfolgten regelmäßige hausinterne Fortbildungen über MRSA für die Mitarbeiter. Screeninguntersuchungen auf MRSA-Besiedelung wurden bei den Mitarbeitern nicht durchgeführt | |
Außerberufliche Risikofaktoren für den Erwerb einer MRSA-Kolonisation bestanden bei der Versicherten nicht | |
Bis zum Auftreten erster Hautveränderungen im Alter von 60 Jahren – 4 Jahre vor der Begutachtung – während der beruflichen Tätigkeit als Altenpflegerin war die Versicherte stets hautgesund | |
Ein Jahr nach Auftreten erster Hautveränderungen wurde bei der Versicherten während der Tätigkeit als Altenpflegerin erstmals eine bakteriologische Untersuchung eines Hautabstriches durchgeführt und ein MRSA (Haut und Nasenvorhof) nachgewiesen | |
Im Rahmen einer stationären Behandlung der atopischen Dermatitis eingeleitete MRSA-Eradikationsmaßnahmen wurden ambulant nicht fortgeführt | |
Im Verlauf der Erkrankung erfolgten nach erstmaligem Nachweis von MRSA im Jahr 2009 mehrfach Kontrollabstriche der Haut, die jeweils einen positiven MRSA-Nachweis zeigten | |
Seit dem MRSA-Nachweis 3 Jahre vor Begutachtung und 1 Jahr nach Auftreten erster Hautveränderungen wurde bei therapieresistenten ekzematösen Hautveränderungen durch den Hausarzt Arbeitsunfähigkeit festgestellt und bestand zum Zeitpunkt der Begutachtung ununterbrochen seit 3 Jahren | |
Atopieanamnese | Insbesondere während der Kindheit bestand kein atopisches Ekzem |
Während mehrfacher stationärer Aufenthalte in verschiedenen dermatologischen Kliniken wurde zu keinem Zeitpunkt eine vollständige Abheilung der atopischen Dermatitis erreicht | |
Es kamen topische Kortikosteroide zur Anwendung. Eine UVB-Therapie und Systemtherapie mit Ciclosporin wurden wegen Unverträglichkeit abgebrochen | |
Nach Begutachtung und Durchführung einer erfolgreichen MRSA-Sanierung heilte die generalisierte atopische Dermatitis vollständig und nachhaltig ab | |
Hautbefund | Zum Zeitpunkt der Begutachtung bestehen bei der Patientin generalisierte Hauterscheinungen: feinlamellär schuppende Papeln und Plaques an beiden Wangen, der Stirn, perioral, periorbital mit ausgeprägtem Lidödem sowie ausgeprägte Lichenifikation nuchal, an den Hand- und Fingerrücken (Abb. 2). An den Unterarmbeugeseiten erythematöse Plaques mit feinlamellärer Schuppung und Erosionen, an den Flanken sowie beiden Beinen teils flächig konfluierende krustöse Erosionen |
16 Punkte im Erlanger Atopie-Score (Hinweis auf eine ausgeprägte atopische Hautdiathese) [9] | |
Keine Anzeichen für eine lokale oder systemische MRSA-Infektion (im Sinne von Abszessen, Weichteilinfektionen, Phlegmonen oder Organinfektionen) |
Eradikationsmaßnahmen |
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Mupirocin-Nasensalbe 2‑ bis 3‑mal täglich über 3 bis 5 Tage |
Antiseptische Mundspüllösung mit nachgewiesener Wirksamkeit gegen MRSA 3‑mal täglich |
Haut- und Haardesinfektion mit antiseptisch wirksamen Waschlösungen mit nachgewiesener Wirksamkeit gegen MRSA 1‑mal täglich |
Wechsel von Wäsche, Kleidung und Bedarfsutensilien täglich |
Vorliegende dekolonisierungshemmende Faktoren beseitigen (z. B. chronische Wunden adäquat behandeln, Fremdkörper, wie z. B. Katheter, entfernen) |
Durchführen von Kontrollabstrichen an 3 unterschiedlichen Tagen nach 1‑wöchiger Eradikation +3 Tagen ohne Maßnahmen |
Empfohlene Kontrollabstriche 3, 6, und 12 Monate nach erfolgreicher Dekolonisierung |
Diskussion
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Anerkennung als infektverursachte Dermatitis vom atopischen Typ, die durch die beruflich verursachte Besiedelung mit MRSA verursacht wurde. Diese Möglichkeit würde der engen ursächlichen Verknüpfung der MRSA-Besiedelung mit der Dermatitis Rechnung tragen;
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Anerkennung des regelwidrigen Zustandes einer beruflich verursachten Besiedelung der Haut mit MRSA als BK 3101 dem Grunde nach und als mittelbare Folge eine atopische Dermatitis. Dieses Vorgehen wäre rechtskonform zu einem Unfall, dem die BK 3101 in der rechtlichen Bewertung naheliegt und bei dem unmittelbare und mittelbare Folgen anzuerkennen und ggf. zu behandeln und zu entschädigen sind. Für Versicherte hätte diese zweite Vorgehensweise zur Folge, dass alle etwa zusätzlich auftretenden Probleme durch die MRSA-Besiedelung anerkannt würden, nicht aber unabhängig auftretende atopische Hauterscheinungen.
Fazit für die Praxis
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Bei von Mensch zu Mensch übertragenen Infektionskrankheiten (z. B. durch Viren oder Bakterien) ist es wichtig, an einen möglichen Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit des Betroffenen zu denken, da diese eine BK-Nr. 3101 bedingen können, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war.
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In diesem Fall ist eine BK-Meldung an den Unfallversicherungsträger erforderlich.
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Bei besonders suszeptiblen Personen mit atopischer Hautdiathese als Anlage kann eine berufliche erworbene MRSA-Besiedelung der Haut als eine rechtlich wesentliche Teilursache zur Erstmanifestation einer hierdurch zunächst therapieresistenten atopischen Dermatitis führen, weshalb frühzeitiger MRSA-Nachweis und -Eradikation sinnvoll und erforderlich für eine medizinische Rehabilitation sind.