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2022 | Buch

Handbuch Essstörungen und Adipositas

herausgegeben von: Stephan Herpertz, Martina de Zwaan, Stephan Zipfel

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Über dieses Buch

In diesem Buch wird das gesamte Spektrum der Essstörungen, inklusive der Adipositas, schulenunabhängig und basierend auf den neuesten Therapieleitlinien behandelt. Alle Störungsbilder werden auf Grundlage der aktuellen Datenlage erläutert; Behandlungswege werden aufgezeigt, die psychotherapeutische und ergänzende pharmakologische Interventionen verknüpfen, um den Therapeutinnen und Therapeuten klare Handlungsempfehlungen zu geben.

Die 3. Auflage wurde vollständig überarbeitet und um wichtige aktuelle Themen und Kapitel ergänzt, wie z. B. die Eingliederung der Essstörungen in ICD 11/DSM 5, die Rolle des Mikrobioms und den Einsatz moderner Medien in Prävention und Therapie. Des Weiteren greifen Herausgeber und Autoren u.a. die systemische Therapie als neue Richtlinienpsychotherapie und die Diskussion rund um Suchtmechanismen bei Ess- und Gewichtsstörungen auf und geben einen Ausblick auf die Rolle der Neurostimulationsverfahren, um aktuellen Entwicklungen im Bereich Adipositas und Essstörungen Rechnung zu tragen.

Als Nachschlagewerk ist das Buch sowohl für angehende Ärzte, Pädagogen und Psychologen, insbesondere Psychosomatiker, Psychiater und Psychotherapeuten in Klinik und Praxis geeignet.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Diagnostik von Essstörungen

Frontmatter
1. Klassifikation und Diagnose: Eine historische Betrachtung
Zusammenfassung
Essstörungen und Adipositas bezeichnen Phänomene, bei denen die Menge der aufgenommenen Nahrung bzw. das resultierende Körpergewicht als krankhaft gelten. Sich verändernde kulturelle Normen und medizinische Schulen schlagen sich in historisch veränderten Varianten der Ernährung und in veränderten Diagnosen nieder. Eine kritische Historiografie macht eine Absenkung des als krankhaft geltenden Körpergewichts im 19. und 20. Jahrhundert sowie die Entstehung der Magersucht (Anorexia nervosa) Mitte des 19. und der Bulimia nervosa zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa wahrscheinlich.
Tilmann Habermas
2. Diätverhalten und Körperbild im gesellschaftlichen Wandel
Zusammenfassung
Unzufriedenheit mit der körperlichen Erscheinung, allem voran, sich zu dick zu fühlen, ist ein weit verbreitetes Phänomen, das häufig mit einem gestörten Essverhalten einhergeht. Versuche, die Idealnorm – häufig ein unrealistisches Gewicht, das vor allem durch soziokulturelle Einflüsse definiert ist – zu erreichen, führt zu Diätversuchen. Die Kombination von einem gestörten Körperbild und Diätverhalten führt nicht selten zu einer manifesten Essstörung mit anorektischen und/oder bulimischen Symptomen, insbesondere bei Jugendlichen und jungen erwachsenen Frauen, jedoch auch – wenn auch deutlich weniger häufig – beim männlichen Geschlecht. Erklärungsmodelle der ungleichen Geschlechtsverteilung reichen von soziokulturellen bis zu biologischen Faktoren, ohne dass es bislang eine hinreichende Erklärung für diese auch kulturübergreifenden Geschlechtsunterschiede gibt. Der Unterschied ist jedoch deutlich weniger geschlechtsspezifisch bei partiellen Essstörungen. Gewichtsbezogene Probleme wie Übergewicht, ein gestörtes Essverhalten sowie ungesunde gewichtskontrollierende Maßnahmen und „Binge-Eating“ (wiederholte Episoden von Essanfällen mit Kontrollverlust) stellen vor dem Hintergrund der hohen Prävalenz und der negativen Folgen für die körperliche und seelische Gesundheit ein bedeutsames Problem im Gesundheitswesen dar. So weisen die Daten der WHO (GBD 2018) auf einen Anstieg der altersstandardisierten Krankheitslast als Morbiditätsmaß (Years lived with disability, YLD) zwischen 2007 und 2017 bei der Anorexia nervosa von 6 % und der Bulimia nervosa von 10 % hin.
Romuald Brunner, Franz Resch
3. Essstörungen im ICD-11 und DSM-5
Zusammenfassung
Die Umstellung auf die elfte Revision der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-11) bedingt wesentliche Neuerungen für das Kapitel Essstörungen. Durch die Zusammenführung der Fütter- und Essstörungen zu einer übergeordneten Kategorie werden Störungsbilder nach ihrer Psychopathologie gruppiert im Sinne eines Kontinuums psychopathologischer Auffälligkeiten zwischen Kindheit, Adoleszenz und Erwachsenenalter. Des Weiteren finden kulturelle Unterschiede in der klinischen Manifestation von Fütter- und Essstörungen Berücksichtigung. Neu in die Klassifikation aufgenommene Diagnosen sind die Störung mit Vermeidung oder Einschränkung der Nahrungsaufnahme (ARFID) und die Binge-Eating-Störung. Für die Diagnose Anorexia nervosa wurde das Gewichtskriterium neu definiert und die Diagnose „Anorexia Nervosa in Remission mit normalem Körpergewicht“ neu aufgenommen. Das Kriterium der Amenorrhö wurde entfernt, und die Angst vor einer Gewichtszunahme (fat phobia) wird nicht mehr als Sine-qua-non-Kriterium aufgeführt.
Bei der Bulimia nervosa wurde das Kriterium Essanfälle erweitert und das Zeitkriterium verändert, um atypische und entwicklungsabhängige Variationen des klinischen Bildes mit einzuschließen. Die ICD-10-Diagnosen „Atypische Bulimie“ (F50.3), „Essattacken bei anderen psychischen Störungen“ (F50.4) und „Erbrechen bei anderen psychischen Störungen“ (F50.5) fehlen in der ICD-11.
Die Diagnosen Sonstige Essstörungen (F50.8) und Nicht näher bezeichnete Essstörung (F50.9) werden entsprechend überführt in Andere näher bezeichnete Fütter- oder Essstörungen und Nicht näher bezeichnete Fütter- oder Essstörung.
Gertraud Gradl-Dietsch, Manuel Föcker, Johannes Hebebrand
4. Klinische Aspekte der Anorexia nervosa, Bulimia nervosa und vermeidend-restriktiver Essstörung im Erwachsenenalter
Zusammenfassung
Eine klare Diagnostik ist Voraussetzung für die Erstellung eines Behandlungsplanes. Dabei ist es wichtig, klassifikatorische Kriterien von Anorexia nervosa und Bulimia nervosa zu kennen und Subtypen der Erkrankungen zu identifizieren. Kompensatorische Verhaltensweisen gehen über restriktives Essverhalten und Erbrechen in den meisten Fällen hinaus und werden überwiegend nur auf gezielte Nachfrage geäußert. Dieses dennoch typische Krankheitsverhalten steht häufig nicht im Vordergrund und wird von Patientinnen aufgrund der Schambesetztheit zurückhaltend benannt.
Martin Teufel, Eva-Maria Skoda, Stephan Zipfel
5. Klinische AspekteBinge-Eating-Störungklinische Aspekte der Binge-Eating-Störung
Zusammenfassung
Bereits 1959 wurde von Albert Stunkard eine Untergruppe übergewichtiger Patientinnen und Patienten beschrieben, die durch wiederholte Episoden von Essanfällen ohne gegenregulatorische Maßnahmen gekennzeichnet war. In den Fokus des wissenschaftlichen Interesses gelangte diese Form der Essstörung jedoch erst, nachdem 1994 die Forschungskriterien für die „Binge-Eating-Störung (BES)“ als ein Beispiel für nicht näher bezeichnete Essstörungen im DSM-IV aufgenommen wurden. Im DSM-5 ist die BES auf Grundlage umfassender Forschungsarbeiten vieler Jahre schließlich als eigenständige Diagnose aufgenommen worden. In der ICD-10 (WHO 1993) existiert diese Diagnose nicht und kann nur als „sonstige Essstörung“ (F50.8) oder „nicht näher bezeichnete Essstörung“ (F50.9) kodiert werden. Die Diagnose wird auch in der ICD-11 Berücksichtigung finden. Die Ätiologie der BES ist noch nicht hinreichend geklärt, es handelt sich jedoch um eine komplexe psychische Störung, die vermutlich multifaktoriell bedingt ist und bei der verschiedene Mechanismen an Entstehung, Auslösung und Aufrechterhaltung beteiligt sind (AWMF 2018).
Martina de Zwaan
6. Atypische und nicht näher bezeichnete Essstörungen
Zusammenfassung
Knowledge about atypical eating disorders is still limited although they are often associated with clinically relevant distress, negative effects on physical health and reduction in quality of life. This chapter provides information about atypical anorexia nervosa, substhreshold bulimia nervosa, subthreshold binge eating disorder, purging disorder, night eating syndrome and the feeding and eating disorders pica, rumination disorder, and avoidant-restrictive food intake disorder. Das Wissen über atypische Essstörungen ist immer noch begrenzt. Dabei sind sie aufgrund der starken Fixierung auf Gewicht und Figur sowie persistierender Probleme mit Essen und gewichtsregulierenden Verhaltensweisen oft behandlungsbedürftig. Gleiches trifft auf andere näher bezeichnete Fütter- und Essstörungen und solche, die vor allem bei Kindern oder Menschen mit Entwicklungsstörungen beobachtet werden, zu. Auch diese Formen sind mit einer Reduktion der Lebensqualität, psychischer Belastung und zum Teil dramatischen negativen Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit der Betroffenen assoziiert. Der Beitrag informiert über atypische, subsyndromale Formen der klassischen Essstörungen, andere näher bezeichnete Fütter- und Essstörungen (Purging-Störung, Night-Eating-Syndrom) sowie Pica, Ruminationsstörung und die Störung mit Vermeidung oder Einschränkung der Nahrungsaufnahme.
Astrid Müller, Andrea Hartmann Firnkorn
7. Orthorexia nervosaOrthorexia nervosa
Zusammenfassung
Der Begriff „Orthorexie“ gründet auf den griechischen Begriffen orthos für „richtig, korrekt“ und orexis für Appetit. Der Begriff „Orthorexia nervosa“ wurde von dem US-amerikanischen Arzt Steven Bratman geprägt und soll auf eine psychogene Essstörung verweisen, in Analogie zur Anorexia nervosa. Unter Orthorexia nervosa wird daher eine Essstörung verstanden, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Betroffenen extrem viel Wert auf eine vermeintlich gesunde Ernährung legen und hierfür willkürliche Ernährungsregeln aufstellen, deren gesundheitlicher Nutzen oft fragwürdig ist, die im Extremfall zu Fehlernährung und zu psychosozialen Problemen führen können (Bratman und Knight 2000). Bei der Orthorexie steht somit nicht die Menge der aufgenommenen Nahrung im Mittelpunkt, wie das bei der Anorexie, Bulimie oder Binge-Eating-Störung der Fall ist, sondern deren Qualität. Orthorexie ist gegenwärtig keine in den gängigen Klassifikationssystemen psychischer Störungen aufgeführte Erkrankung.
Reinhard Pietrowsky
8. Körperbildstörungen
Zusammenfassung
Körperbildprobleme sind ein Kernsymptom der Essstörungen Anorexia und Bulimia nervosa. So leiden Patientinnen (Da es sich bei der Mehrzahl der Betroffenen um Patientinnen handelt, haben wir die weibliche Form gewählt. Selbstverständlich sind damit auch männliche Patienten gemeint.) mit diesen Essstörungen unter ausgeprägten Ängsten vor einer Gewichtszunahme und Störungen in der Art und Weise, wie die Figur und das Gewicht wahrgenommen und bewertet werden. Zudem können das Gewicht und die Figur ausgeprägten Einfluss auf die Selbstbewertung haben. Auch bei der Binge-Eating-Störung können Körperbildstörungen vorkommen, z. B. im Hinblick auf die Bewertung des Körpers und der Figur oder im Hinblick auf affektive Reaktionen gegenüber dem Körper. In dem Beitrag werden Befunde der Grundlagenforschung vorgestellt, die zu einem besseren Verständnis von Körperbildstörungen beitragen können und Implikationen für die Psychotherapie bieten.
Brunna Tuschen-Caffier, Jessica Werthmann
9. Diagnostik von EssstörungenEssstörung Diagnostik
Zusammenfassung
Zentrale Themen des Kapitels sind: Screening nach Essstörung, krankheitsdefinierende Symptome, deren Erfassung zur Bestätigung oder Verneinung der Diagnose einer Essstörung nach DSM oder ICD erforderlich ist, sowie klinisch relevante Symptome, die zur Vorbereitung und Monitoring einer Therapie diagnostiziert werden sollten. Das Kapitel beschreibt weiterhin Techniken der operationalisierten psychologischen Diagnostik und Symptominventare, die zur Begleitung von Therapie hilfreich sind. Medizinische Diagnostik dient bei Essstörung überwiegend der Abwehr von Gefährdungen durch Folgen der Mangelernährung, des Erbrechens oder auch von Folgen der Überernährung und nur zum geringeren Teil dem Ausschluss von differenzialdiagnostisch bedeutsamen Zuständen.
Ulrich Schweiger

Epidemiologie, Ätiologie und Verlauf der Essstörungen

Frontmatter
10. Prävalenz Essstörung Prävalenzzahlen und InzidenzEssstörungInzidenz anorektischer und bulimischer Essstörungen
Zusammenfassung
Die Epidemiologie befasst sich mit der Verteilung von Krankheiten in Raum und Zeit und mit Faktoren, die diese Verteilung beeinflussen. Im Folgenden werden einige wichtige Begriffe der Epidemiologie definiert und erläutert. Häufig interessiert sich die Epidemiologie für Häufigkeit und Verteilung bestimmter Erkrankungen in kompletten Populationen (z. B. Bevölkerung). Da aber Kompletterhebungen in großen Populationen sehr aufwendig sind, wird häufig eine (oder mehrere) Stichprobe(n) gezogen, die für die zugrundeliegende Population repräsentativ sein soll. Ist die Stichprobe repräsentativ, können die ermittelten Ergebnisse auf die Population verallgemeinert werden. Wenn wir eine bestimmte Erkrankung in einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe erfassen wollen, ist es erforderlich, dass die Erkrankung genügend eindeutig definiert ist und Messinstrumente vorliegen, die diese Erkrankung reliabel und valide erfassen können. Bei einer leicht untergewichtigen Magersüchtigen, die auch auf Nachfragen ihre Erkrankung verleugnet, kann die Fallidentifikation schwierig werden.
Manfred Fichter
11. Verlauf und Prognose der Anorexia nervosa
Zusammenfassung
Die Anorexia nervosa (AN) hat seit den frühen Kasuistiken von Richard Morton und den folgenden detaillierten Erstbeschreibungen in den Jahren 1873/74 durch den damals berühmten britischen Arzt Sir William Gull und den nicht weniger bekannten Franzosen Charles Laségue nichts von ihrer Faszination verloren. Allerdings waren sich bereits die beiden Erstbeschreiber uneinig in der Einschätzung des Verlaufs. Der Brite Gull schilderte den Verlauf für das Gros der Patienten eher optimistisch. Lasegue hingegen vertrat schon damals die Meinung, dass im Fall eines mehrere Wochen andauernden Krankheitsbildes der Verlauf häufig chronisch ende.
Stephan Zipfel, Bernd Löwe, Wolfgang Herzog
12. Verlauf der Bulimia nervosa und der Binge-Eating-Störung
Zusammenfassung
Das Kapitel fasst die Ergebnisse aus empirischen Studien zusammen und setzt sie in den Kontext der empirischen Forschung. Zur Bulimia nervosa gibt es eine größere Anzahl von Befunden zum kurz- bis mittelfristigen, wenige jedoch zum langfristigen Verlauf. Weniger ist zum Verlauf der Binge-Eating-Störung bekannt. Beide Essstörungen weisen langfristig ein sehr ähnliches Verlaufsergebnis auf, auch wenn der kurzzeitige Verlauf der BES etwas besser ist. Der Verlauf bei Männern unterscheidet sich nicht nennenswert von dem bei Frauen. Das Vorliegen weiterer psychischer Erkrankungen (Komorbidität) verschlechtert die Prognose beider Essstörungen.
Norbert Quadflieg, Manfred Fichter
13. Verlauf und Prognose der Binge-Eating-StörungBinge-Eating-Störung
Zusammenfassung
Die Binge-Eating-Störung (BES) ist die häufigste Essstörung. Sie beginnt im frühen Erwachsenenalter und tritt ca. dreimal häufiger bei Frauen auf. BES beeinträchtigt die Lebensqualität deutlich. Die Prävalenz für Adipositas liegt über 40 %. Über 70 % haben mindestens eine weitere psychische Erkrankung. Die Mortalitätsrate ist erhöht.
Die BES verläuft häufig langdauernd, und weniger als 50 % der Betroffenen suchen eine Behandlung auf. Durch Psychotherapie erreichen 50 % eine Abstinenz von Essanfällen. Im Langzeitverlauf zeigt sich eine Remissionsrate von ca. zwei Dritteln. Die Prognose ist günstiger, je leichter der Schweregrad der BES und je niedriger die allgemeine Psychopathologie ist. Die stärksten Therapieerfolge erzielen Patienten, die schnell auf die Therapie ansprechen. Viele Betroffene wechseln jedoch die Diagnosekategorie, erleiden Rückfälle oder das Krankheitsbild chronifiziert. Das Gewicht bessert sich kaum. Daher muss die Behandlung weiterentwickelt werden.
Kathrin Schag
14. Anorexia nervosa im Kindes- und Jugendalter
Zusammenfassung
In diesem Kapitel wird auf Definition, Epidemiologie, Symptomatologie und Komorbidität der kindlichen und adoleszenten Anorexia nervosa eingegangen. Bezüglich der Klassifikation werden die Schwierigkeiten, die durch die alterstypische Symptomatik bedingt sind, erläutert und die Problematik des Gewichtsschwellenwertes diskutiert. Erste Symptome, die auf eine beginnende Essstörung hindeuten, sowie besonders gefährdende Verhaltensweisen der kindlichen Anorexia nervosa sollten beachtet werden. Hierbei wird vor allem auf somatische Folgeschäden, z. B. für die Knochen- und Hirnentwicklung, hingewiesen. Die Abklärung in diesem Lebensalter ist nicht immer einfach; die wichtigsten Differenzialdiagnosen und somatischen Komorbiditäten, wie z. B. der Diabetes mellitus, werden beschrieben und die altersspezifischen Besonderheiten im Verlauf der Erkrankungen aufgezeigt.
Beate Herpertz-Dahlmann
15. Essstörungen bei Männern
Zusammenfassung
Essstörungen sind sehr seltene Erkrankungen bei Männern, die nicht nur im jungen, sondern auch höheren Alter auftreten können. Sie zeigen zum Teil gleiche, aber auch unterschiedliche Symptome (vor allem bei Anorexia nervosa und Bulimia nervosa) wie betroffene Frauen. Typisch sind ein prämorbides Übergewicht, extreme Körperunzufriedenheit und ein erhöhter Anteil an Homo- bzw. Bisexualität. Die nach wie vor starke weibliche Assoziation von gestörtem Essverhalten führt dazu, dass männliche Betroffene ihre Symptome oft verleugnen und folglich nicht in Behandlung gehen. Auf professioneller Seite kommt es oft zum Verkennen der Symptome bzw. zu Fehldiagnosen. Die Binge-Eating-Störung als dritte offizielle Essstörung hat einen deutlich höheren Männeranteil als Anorexia und Bulimia nervosa und ist häufig mit Übergewicht assoziiert. „Muscularity oriented disordered eating“ zeigt sich als neue männerspezifische Form der Essstörung.
Barbara Mangweth-Matzek
16. Essstörungen und Leistungssport
Zusammenfassung
Aufgrund der enormen Bedeutung von körperlicher Aktivität für die Gesundheit sollten alle Menschen regelmäßig körperlich aktiv sein. Manchmal kann sportliche Aktivität jedoch mit einem erhöhten gesundheitlichen Risiko assoziiert sein. Hierzu gehört eine unterkalorische Ernährung, die die gesamte Bandbreite von Störungen des Essverhaltens bis hin zu klassischen Essstörungen betreffen kann. In denjenigen Sportarten, bei denen ein hoher Druck für einen schlanken Habitus besteht, ist von einem erhöhten Risiko für das Auftreten von Störungen des Essverhaltens bis hin zu klinisch manifesten Essstörungen auszugehen. Eine zu geringe Energiezufuhr mit der Nahrung und/oder ein zu hoher Energieverbrauch durch leistungssportliches Training mit oder ohne manifeste Essstörung sowie eine hypothalamisch bedingte Reduktion der Geschlechtshormone und erniedrigte Knochendichtewerte haben erhebliche gesundheitliche Konsequenzen für die betroffenen Athletinnen und Athleten. Daher sollten v. a in Risikosportarten konsequent sowohl präventive als auch therapeutische Maßnahmen eingesetzt werden.
Petra Platen
17. Verhaltenstherapeutische Modellvorstellungen
Zusammenfassung
Es gibt eine Vielzahl von theoretischen Modellen, die versuchen, die Entstehung von Essstörungen zu erklären. Ein einheitliches, empirisch belegtes Modell zur Pathogenese und Aufrechterhaltung der Anorexia nervosa (AN) und Bulimia nervosa (BN) existiert jedoch nicht. Im Sinne eines heuristischen Konzepts liegt verhaltenstherapeutischen ätiologischen Vorstellungen ein multifaktorielles Modell zugrunde, bei dem drei wesentliche Klassen von „Ursachen“ eine Rolle spielen: prädisponierende, auslösende und aufrechterhaltende Faktoren (Laessle 2018).
Gaby Resmark
18. Tiefenpsychologische Modellvorstellungentiefenpsychologische Modellvorstellungen
Zusammenfassung
Die Tiefenpsychologie hat ihre Wurzeln in der Psychoanalyse, die im klinischen Kontext als Persönlichkeits-, Krankheits- und Behandlungstheorie beschrieben werden kann. Dabei ist das Unbewusste sowohl in der Funktionsweise der gesunden Persönlichkeit als auch bei psychischen Störungen von zentraler Bedeutung. Die Grundannahme der Psychoanalyse geht davon aus, dass sich die Hauptstrukturen einer Persönlichkeit aus „einem Zusammenspiel von indiviueller Anlage und interpersonellen Beziehungen in den ersten Lebensjahren eines Menschen durch Verinnerlichungsprozesse“ entwickelt (Hau und Leuzinger-Bohleber 2004), wobei die Prozesse der Strukturbildung dem Bewusstsein nicht zugänglich sind.
Stephan Herpertz
19. Epidemiologie, Ätiologie und Verlauf der Essstörungen
Zusammenfassung
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschrieben William Gull, Ernest-Charles Lasègue und Pierre Janet die Magersucht und rieten mangels tatsächlicher Therapiemöglichkeiten dazu, Patientinnen und Patienten zumindest für eine gewisse Zeit aus ihrem sozialen Umfeld zu entfernen. Dieses Vorgehen wurde als „Parentektomie“ bezeichnet, der Familie wurde Verantwortung für die Entstehung der Essstörung zugeschrieben (Fichter 2008). In späteren Arbeiten wurden Mütter als dominant, übergriffig und ambivalent beschrieben, Väter als passiv und wenig durchsetzungsfähig (Vandereycken et al. 1988). In den 1970er-Jahren entstand eine familientherapeutische Bewegung, die die Familie als ganzheitliches System verstand und auf Grundlage systemtheoretischer Überlegungen spezifische familiäre Interaktionsmuster und Konflikte als Genese der Essstörungen bei Jugendlichen annahm („systemische Familientherapie“, vgl. Minuchin et al. 1975 sowie Selvini-Palazoli 1978). Die Essstörung der sogenannten „Indexpatienten“ wurde als Indikator für eine dysfunktionale Familie und gleichzeitig als verzweifelter Versuch angesehen, den Status quo aufrechtzuerhalten. Es wurden spezifische Muster (v. a. in anorektischen Familien) beschrieben und als Grundlage der Pathologie interpretiert.
Silke Naab
20. Genetische Aspekte der Essstörungen
Zusammenfassung
Obwohl über lange Jahre hinweg die Ätiologie der Essstörungen und speziell der Anorexia nervosa (AN) als überwiegend psychosozial determiniert angesehen wurde, zeigten formal- und molekulargenetische Untersuchungen der letzten Jahre (Exkurs: Molekulargenetische Forschungsansätze), dass erblichen Einflüssen ebenfalls eine erhebliche Bedeutung zukommt. Die Untersuchung der Genetik komplexer Phänotypen wie der AN, die sich in zahlreiche Subtypen, Endo- und Subphänotypen zergliedern lässt, die jeweils eigene genetische Charakteristika zeigen, ist mit immensen Schwierigkeiten verbunden. Bei der AN handelt es sich nicht um eine monogene Erkrankung, vielmehr ist es wahrscheinlich, dass zahlreiche genetische Varianten in unterschiedlichem Ausmaß zu der Pathologie beitragen.
Helge Frieling, Stefan Bleich, Vanessa Buchholz
21. Psychosoziale Risikofaktoren
Zusammenfassung
In den letzten 20 Jahren ist die Anzahl der Studien zu Risikofaktoren rapide angestiegen. Dabei wurde der Begriff „Risikofaktor“ inflationär und inkonsistent genutzt, was nicht zuletzt auf das Fehlen eindeutiger Definitionen zurückzuführen ist. Die dem Kapitel zugrundeliegenden Definitionen wurden in den zurückliegenden Jahren von H. Kraemer und Mitarbeitern erstellt und sind mittlerweile allgemein anerkannt. In dem Kapitel werden die wichtigsten Ergebnisse empirischer Untersuchungen zu psychosozialen Risikofaktoren und retrospektiven Korrelaten von der Geburt bis ins frühe Erwachsenenalter für Anorexia nervosa (AN), Bulimia nervosa (BN) und Binge-Eating-Störung (BES) zusammengefasst.
Eike Fittig, Corinna Jacobi
22. Soziokulturelle Aspekte der Essstörungen
Zusammenfassung
Das Auftreten von Essstörungen variiert erheblich zwischen verschiedenen soziokulturellen Gruppen sowie über die Zeit in einer sich ändernden kulturellen Umgebung. Es finden sich sowohl Unterschiede zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen als auch Unterschiede zwischen unterschiedlichen Kulturen und zwischen sozialen Subgruppen in der sonst gleichen kulturell-räumlichen Umgebung, deutlich unabhängig von rein genetischen Einflüssen. Den wichtigsten Aspekt dieser kulturellen Faktoren scheint der westlich geprägte gesellschaftliche Druck zum Schlanksein darzustellen; der hauptsächlich vonseiten der Medien wie durch die soziale Umgebung (Peers und Familie) vermittelt wird. Soziokulturelle Faktoren sind somit den Risikofaktoren für die Entwicklung von Essstörungen zuzuordnen und stehen mit anderen Faktoren in Konkurrenz und Wechselwirkung (vgl. Kap. #). Die Bedeutung der verschiedenen soziokulturellen Merkmale ist allerdings für die unterschiedlichen Diagnosen unterschiedlich ausgeprägt.
Burkard Jäger
23. Der Einfluss der MedienMedieneinfluss auf das Körperbild
Zusammenfassung
Medien sind Teil des Alltags von Kindern und Jugendlichen und können entsprechend eine wichtige Rolle bei der Entwicklung innerer Bilder von einem idealen Körper, einer gesunden Lebensweise etc. spielen. Das Grundproblem: In den Medien werden meist ausschließlich junge und sehr schlanke Frauen gezeigt. Das beginnt schon im Kinderfernsehen und setzt sich bei Sendungen wie Germany’s Next Topmodel und auf sozialen Medienplattformen wie Instagram fort. Die fast durchgängige heimliche Botschaft lautet: Ein glückliches und erfolgreiches Leben haben nur Frauen, die stereotyp schön, jung und ausgesprochen schlank sind. Internalisieren Mädchen und Frauen dieses Bild, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit dem eigenen Körper unzufrieden sind, hoch. Wird dann noch die Notwendigkeit einer ständigen Selbstoptimierung propagiert und jede Abweichung von diesem Körperbild pathologisiert, wie dies z. B. in Communitys der „Fitspiration“ und von Pro-Ana geschieht, können Menschen in eine Essstörung geleitet werden und gesundheitsschädigendes Essverhalten kann befördert werden.
Maya Götz

Psychische Komorbidität

Frontmatter
24. Affektive Störungen und Angststörungen
Zusammenfassung
Komorbiditäten mit affektiven Störungen sind häufig bei Patientinnen und Patienten mit Essstörungen. Im klinischen Alltag ist davon auszugehen, dass mehr als die Hälfte der Patienten die Kriterien einer weiteren psychischen Diagnose aktuell erfüllt bzw. früher erfüllt hat. Dabei sind Depressionen und Angststörungen am häufigsten. Je nach aktueller Ausprägung der zusätzlichen Symptome sind die psychotherapeutischen oder medikamentösen Behandlungen darauf abzustimmen. Im Verlauf einer Behandlung sollte darauf geachtet werden, dass Symptome sich verändern und verschieben können, z. B. sich Essstörungssymptome reduzieren, dafür aber depressive Symptome verstärken können. Es wird diskutiert, ob es sich bei der Trias Essstörungen, Depression und Angststörung um unterschiedliche Störungsbilder handelt oder ob sie vielmehr Ausdruck einer gemeinsamen zugrundeliegenden Störung sind.
Jörn von Wietersheim
25. Psychische Komorbidität und Persönlichkeitsstörungen
Zusammenfassung
Essstörungen stehen häufig im Kontext weiterer psychischer Störungen. Zentrales Thema des Kapitels ist deshalb die Komorbidität zwischen Essstörung, depressiven Störungen, Angststörungen, Substanzmissbrauch, sexuellen Störungen und den verschiedenen Subtypen der Persönlichkeitsstörung. Diese komorbiden Zustände können als Risikofaktoren für Essstörung oder auch als Komplikation einer Essstörung verstanden werden. Weiterhin sind gemeinsame Risikofaktoren und Pathomechanismen zwischen Essstörung und anderen Störungen anzunehmen. Das Kapitel stellt dar, welche Implikationen Komorbidität für die klinische Präsentation einer Essstörung sowie für die Evidenzbasierung und Auswahl psychotherapeutischer und pharmakotherapeutischer Interventionen bei Essstörung haben kann.
Ulrich Schweiger
26. Nicht-suizidales Selbstverletzendes Verhaltennicht-suizidales selbstverletzendes Verhalten selbstverletzendes Verhalten und Essstörungen
Zusammenfassung
Nicht-suizidales Selbstverletzendes Verhalten (NSSV) und Essstörungen treten im klinischen Alltag häufig gemeinsam auf, wie auch die hohen Prävalenzzahlen zu diesem Überschneidungsbereich aus epidemiologischen Studien eindrucksvoll untermauern. Vor diesem Hintergrund ist eine Beschäftigung mit gemeinsamen Motiven bei NSSV und Essstörungen sinnvoll, vor allem in Hinblick auf die (Weiter-)Entwicklung psychotherapeutischer Interventionen. Die aktuelle Literatur zeigt auf, dass sich viele gemeinsame Motive (wie z. B. Selbstbestrafung) identifizieren lassen, wenngleich dennoch eine differenzierte Betrachtung angezeigt scheint, da sich die Funktionen in manchen Bereichen auch unterscheiden können. Psychotherapeutische Interventionen sollten neben einer klar strukturierten Hierarchisierung von Therapiezielen den Umgang mit aversiven Emotionen beinhalten. Im Hinblick auf das Senken von Schwellen zur Inanspruchnahme therapeutischer Hilfen sind in diesem Bereich auch die Evaluation und der Ausbau von Online-Angeboten anzustreben.
Paul Plener
27. SuchtmechanismenSuchtmechanismen bei Ess- und Gewichtsstörungen
Zusammenfassung
Ess- und Gewichtsstörungen sind mit einer Vielzahl von komorbiden Störungen assoziiert (Kap. 2426 in diesem Buch). So liegen deutliche Hinweise für einen Zusammenhang von Übergewicht bzw. Adipositas, Essstörungen und der Alkoholkonsumstörung vor. Insbesondere die Binge-Eating-Störung (BES) und die Bulimia nervosa (BN), also jene Essstörungen, die mit Essanfällen verbunden sind, scheinen mit Alkoholkonsum assoziiert zu sein, während Anorexia nervosa (AN) in den Studien nicht bzw. in geringerem Ausmaß mit Alkoholkonsumstörungen assoziiert ist (Bahji et al. 2019). Ein Großteil der Forschung bezieht sich dabei auf die Komorbidität von klinisch diagnostizierten Substanzkonsumstörungen und Ess- und Gewichtsstörungen. Untersuchungen auf Symptomebene leisten jedoch wichtige Erkenntnisse. So zeigten z. B. mehrere Studien einen negativen Zusammenhang zwischen der Trinkhäufigkeit von Alkohol und dem BMI, jedoch einen positiven Zusammenhang zwischen der Intensität des Konsums („binge drinking“) und dem BMI. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen legen nahe, dass die auf Diagnose-Ebene beobachteten Komorbiditäten zwischen Ess- und Gewichtsstörungen und Substanzkonsumstörungen darauf zurückzuführen sein könnten, dass die pathologischen Verhaltensmuster auf den gleichen Mechanismen beruhen und auf gleiche zugrunde liegende Vulnerabilitätsfaktoren zurückgeführt werden könnten. Vor diesem Hintergrund soll in diesem Kapitel ein Überblick über den aktuellen Forschungstand zur Bedeutung von Mechanismen abhängigen Verhaltens bei der Entstehung von Ess- und Gewichtsstörungen gegeben werden. Weiterhin soll auf das Konzept der „food addiction“ eingegangen werden. Schließlich werden Therapieoptionen diskutiert.
Sabine Steins-Loeber, Georgios Paslakis

Biologische und medizinische Aspekte der Essstörungen

Frontmatter
28. Hunger und Sättigung
Zusammenfassung
Hunger und Sättigung sind komplexe psychophysiologische Zustände, die durch physiologische, biologische und soziale Faktoren gesteuert werden. Die biologischen Prozesse umfassen metabolische Faktoren im Magen-Darm-Trakt und komplexe endokrine und zentralnervöse Regulationsprozesse, v. a. im Hypothalamus. Psychologisch werden Hunger und Sättigung durch kognitive Prozesse (Aufmerksamkeitslenkung, motivational-emotionale Bewertung) beeinflusst, die ihrerseits wiederum durch neuroendokrine Faktoren moduliert werden. Kulturelle und soziale Normen beeinflussen ebenfalls das Hunger- und Sättigungserleben. Kurz- und langfristig wirksame humorale Faktoren wirken somit über psychologische Faktoren auf das erlebte Hunger- und Sättigungsgefühl, wodurch die Nahrungsaufnahme und das Körpergewicht reguliert werden.
Reinhard Pietrowsky
29. Periphere Peptidhormone, Neuropeptide und Neurotransmitter
Zusammenfassung
Nach dem bisherigen Erkenntnisstand ist davon auszugehen, dass die meisten bei Essstörungen beschriebenen Veränderungen von appetitregulierenden peripheren Peptidhormonen, Neuropeptiden und Neurotransmittern sekundären physiologischen Anpassungsvorgängen an eine veränderte Nahrungsaufnahme entsprechen (State-Marker). Abhängig von der Art der Essstörung (z. B. Anorexia nervosa versus Bulimia nervosa) sind die Veränderungen teilweise in entgegengesetzte Richtungen ausgeprägt. Allerdings weisen immer mehr Studien darauf hin, dass zentrale und periphere Auswirkungen der veränderten Energiezufuhr zur Aufrechterhaltung des pathologischen Essverhaltens beitragen können. Neuere Publikationen in den letzten Jahren haben teilweise die Ergebnisse der früheren Studien nicht bestätigen können. Stattdessen konnte gezeigt werden, dass bei manchen Mediatoren die gemessenen Ergebnisse auch stark von der Präanalytik (insbesondere bei instabilen Mediatoren) oder den jeweiligen Analysemethoden abhängig sind. Darüber hinaus wird zunehmend klar, dass Unterschiede auch in der jeweiligen Zusammensetzung der Patientenkohorte und deren spezifischen klinischen Charakteristika begründet sein können. Wenn standardisierte Mahlzeiten Teil des Studiendesigns sind, scheinen die Nährstoffzusammensetzung sowie möglicherweise der hedonistische Wert (Lust am Essen sehr schmackhafter Speisen statt zur Deckung des Energiebedarfs) eine Rolle zu spielen. Zu guter Letzt gilt auch für die Neuroendokrinologie, dass viele bisherige Studien auf zu kleinen Stichproben aufgebaut waren, was eine Replikation schwieriger machen kann.
Stefan Ehrlich, Friederike Tam
30. Belohnungssystem bei Essstörungen und Adipositas
Zusammenfassung
Im Zusammenhang mit Essstörungen und Adipositas wird in den letzten Jahren unter Wissenschaftlern neben dem physiologischen zunehmend auch der sog. hedonische Hunger diskutiert. Das Verlangen und die Lust auf schmackhafte Speisen werden durch das neuronale Belohnungssystem vermittelt. In den letzten Jahren haben die Entwicklung und bessere Verfügbarkeit von neuen Technologien und Methoden zur Untersuchung des Gehirns neue Einblicke in die Funktionsweise des Belohnungssystems bei Mensch und Tier gewährt. In diesem Beitrag soll die allgemeine Belohnungsverarbeitung kurz vorgestellt, sowie auf aktuelle Befunde zur Bedeutung des Belohnungssystems für die Psychopathologie der Essstörungen und Adipositas näher eingegangen werden.
Joe J. Simon, Hans-Christoph Friederich
31. Neuropsychologische Befunde bei Essstörungen
Zusammenfassung
Neuropsychologische Studien versuchen zu klären, ob bei Patientinnen mit Essstörungen kognitive Defizite vorliegen, ob diese Folge der Erkrankung (z. B. starvationsbedingt) und reversibel sind oder Trait-Merkmale der Erkrankung darstellen, die zu ihrer Entstehung beitragen. Obwohl nicht alle Studien einheitliche Befunde ergaben, zeigten sich insgesamt einige essstörungsspezifische Defizite, insbesondere in den Bereichen der Aufmerksamkeitverzerrung (Aufmerksamkeits-Bias für figur- und essensbezogene Reize), inhibitorischen Kontrolle, zentralen Kohärenz und Theory of Mind, impliziten Lernleistungen, Set-Shifting, Entscheidungsfindung und der Belohnungsverarbeitung. Meta-Analysen weisen darauf hin, dass manche dieser neurokognitiven Beeinträchtigungen spezifisch für bestimmte Essstörungen sind, wohingegen andere eher über verschiedene diagnostische Kategorien hinweg bestehen. Weitere Beeinträchtigungen scheinen vor allem im Zusammenhang mit Starvation aufzutreten. Die Effektivität von spezifischen kognitiven Remediationsprogrammen zur Behandlung von neuropsychologischen Defiziten bei Essstörungen muss noch weiter überprüft werden.
Martin Schulte-Rüther, Kerstin Konrad
32. Bildgebende Verfahren bei Essstörungen
Zusammenfassung
Es gibt derzeit deutliche, in vielen Bereichen auch ausreichend replizierte Hinweise auf eine gestörte Hirnfunktion bei Essstörungen. Es ist wichtig zu betonen, dass diese Veränderungen der Hirnfunktion v. a. in frontalen, temporalen, cingulären und parietalen Regionen im erkrankten Zustand zu finden sind, aber häufig nach Remission der Erkrankung persistieren. Hier stellt sich die Frage, ob die Veränderungen, die man im remittierten Zustand findet, gewissermaßen eine „Narbe“ darstellen, die durch die chronische Fehl- und Unterernährung oder andere Faktoren im erkrankten Zustand verursacht wurde. Dies kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, und solche Fragen lassen sich mittels Querschnittstudien nicht ausreichend beantworten. Bildgebende Verfahren zur Darstellung der Gehirnfunktion bei Essstörungen ermöglichen es, das Wissen über mögliche zugrundeliegende pathophysiolgische Zusammenhänge zu erweitern.
Ursula Bailer
33. Das Darm-MikrobiomDarm-Mikrobiom bei Anorexia nervosa
Zusammenfassung
Unsere Darmbakterien interagieren kontinuierlich mit unserem Organismus und beeinflussen den Appetit und die Nahrungsverwertung, aber auch immunologische Prozesse und die Durchlässigkeit im Darm. Über die „Darm-Gehirn-Achse“ (Gut-brain axis) werden auch direkte Auswirkungen auf das Gehirn und unser Verhalten, z. B. bei Depressionen, Angst oder dem Lernverhalten, vermittelt. All diese Bereiche sind bei der Anorexia nervosa (AN) betroffen, sodass hier der aktuelle Wissensstand zur Rolle von Darmbakterien bei einer AN zusammengefasst wird und mögliche Implikationen für zukünftige Therapien beleuchtet werden.
Jochen Seitz

Medizinische Komplikationen und somatische Komorbidität

Frontmatter
34. Medizinische Komplikationen bei Anorexia nervosa und Bulimia nervosa
Zusammenfassung
Medizinische Komplikationen der beiden Essstörungen Anorexia nervosa (AN) und Bulimia nervosa (BN) resultieren aus den Maßnahmen zur Gewichtsregulation wie dem selbstinduzierten Erbrechen oder auch dem Laxanzien- und Diuretikamissbrauch sowie dem bei AN-Patientinnen vorliegenden massiven Untergewicht. Ferner stellen Komplikationen, die im Rahmen der frühen Gewichtszunahme von schwer kachektischen Patientinnen (BMI < 14 kg/m2) auftreten können, ein medizinisches Problem dar (Refeeding-Syndrom). Schwerwiegende medizinische Komplikationen mit Todesfolge sind häufiger bei Patientinnen mit AN als mit BN anzutreffen.
Hans-Christoph Friederich, Valentin Terhoeven, Christoph Nikendei
35. Gynäkologische Aspekte bei Anorexia nervosa und Bulimia nervosa
Zusammenfassung
Anorexia nervosa und Bulimia nervosa betreffen überwiegend Frauen in der Lebensphase möglicher Reproduktion und dauern meist über Jahre an. Fragestellungen in der Diagnostik, Beratung und Behandlung der Patientinnen beziehen sich daher oft auf den Menstruationszyklus, Sexualität, Empfängnisfähigkeit, Kinderwunsch, Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft.
Markus Anton Glass, Christiane Gerwing, Anette Kersting
36. Essstörungen und Diabetes mellitus
Zusammenfassung
Adoleszente und junge Frauen mit Typ-1-Diabetes mellitus zeigen eine überzufällige Koinzidenz mit gestörtem Essverhalten und Essstörungen, vornehmlich der Bulimia nervosa. Die Komorbidität sowohl von gestörtem Essverhalten als auch einer Essstörung und einem Typ-1-Diabetes stellt einen Risikofaktor für die Entwicklung späterer diabetischer Folgeerkrankungen dar.
Die Binge-Eating-Störung ist insbesondere bei Übergewicht und Adipositas zu beobachten. Die Frage, ob die Binge-Eating-Störung bei Menschen mit Typ-2-Diabetes im Vergleich zu stoffwechselgesunden Menschen häufiger auftritt, lässt sich aufgrund einer uneinheitlichen Studienlage nicht sicher beantworten. Allerdings stellt die BES einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Insulinresistenz und eines Typ-2-Diabetes dar.
Stephan Herpertz

Die Behandlung der Essstörungen

Frontmatter
37. Prävention der Essstörungen
Zusammenfassung
Primäre Essstörungsprävention hat zum Ziel, die Entstehung von Essstörungen zu verhindern, Risikofaktoren vorzubeugen und protektive Faktoren zu fördern. Maßnahmen der Primärprävention sind an gesunde Personen ohne Essstörungssymptome gerichtet. Das Ziel der Sekundärprävention besteht in Früherkennung und Intervention, um ein Fortschreiten der Erkrankung und die Entwicklung einer voll ausgeprägten Störung zu verhindern. Tertiärprävention umfasst Maßnahmen zur Rückfallprophylaxe. Insbesondere Maßnahmen zur Sekundärprävention von Essstörungen gelten als vielversprechend, um Körperbildprobleme und gestörtes Essverhalten zu reduzieren. Internet-basierte Ansätzen bieten das Potenzial, eine große Bandbreite an Risikopopulationen zu erreichen und Essstörungsprävention flexibel zu gestalten. Die Kombination von Adipositas- und Essstörungsprävention bietet aufgrund des oftmals gleichzeitigen Auftretens von Übergewicht und ungesunden gewichtsreduzierenden Maßnahmen große Vorteile.
Andreas Karwautz, Gudrun Wagner, Michael Zeiler
38. Behandlung der Essstörungen in Kindheit und Adoleszenz
Zusammenfassung
In diesem Kapitel werden die wesentlichen Bausteine der Therapie von Essstörungen, insbesondere der Anorexia nervosa, beschrieben. Auf die Behandlung der vermeidend-restriktiven Essstörungen wird an anderer Stelle eingegangen (Kap.). Die Leserin und der Leser werden über die somatische Behandlung und Ernährungstherapie, wesentliche Prinzipien der individuellen Psychotherapie in der Kindheit und Adoleszenz, Möglichkeiten der Gruppentherapie und der Psychoedukation für Patienten und Eltern, familienbasierte Therapieformen sowie die Behandlung der Komorbidität informiert. Die medikamentöse Behandlung von Essstörungen wird diskutiert und die Notwendigkeit einer Prophylaxe der Osteoporose durch Hormonsubstitution beschrieben. Die besonderen Bedingungen einer stationären Behandlung von Kindern und Jugendlichen werden dargestellt.
Beate Herpertz-Dahlmann, Brigitte Dahmen
39. Alternativen zur stationären Behandlung der Anorexia nervosa im Kindes- und JugendalterAnorexia nervosa im Kindes- und Jugendalter – Tagesklinik und Home treatment
Zusammenfassung
In Deutschland und anderen europäischen Ländern haben die stationären Behandlungen bei Kindern und Jugendlichen, aber auch Erwachsenen mit Anorexia nervosa (AN) kontinuierlich zugenommen (Stat. Bundesamt 2019; z. B. Cruz et al. 2018), obwohl große Zweifel bestehen, dass die stationäre Therapie anderen Behandlungsformen überlegen ist. In einer mehr als sechsjährigen europäischen Verlaufsstudie bei jugendlichen Patienten mussten 50 % der Betroffenen ein zweites Mal stationär behandelt werden (Steinhausen et al. 2009); in einer neueren australischen Untersuchung wurden mehr als ein Drittel innerhalb eines Jahres wieder aufgenommen, unabhängig davon, wie lange der erste stationäre Aufenthalt gedauert hatte (Madden et al. 2015). Hinzu kommt, dass viele Jugendliche und insbesondere Kinder eine stationäre Aufnahme als Zwang erleben und unter großem Heimweh leiden.
Beate Herpertz-Dahlmann, Brigitte Dahmen
40. Familienbasierte Therapiefamilienbasierte Therapie
Zusammenfassung
Familientherapie von Essstörungen, insbesondere der Anorexia nervosa (AN), wird seit fast einem halben Jahrhundert durchgeführt. Die Interventionen waren in verschiedene familientherapeutische Schulen eingebettet. Zu erwähnen sind hierbei Minuchins Strukturansatz (Minuchin et al. 1975), die strategische Familientherapie (Madanes 1981), der systemische Ansatz der Mailänder Schule (Palazzoli 1974) und neuere narrative Anwendungen (Epston et al. 1995), die Familientherapie für Anorexia nervosa (FT-AN) (Eisler et al. 2016), die systemische Familientherapie (SFT) (Agras et al. 2014), die Mehrfamilien-Gruppentherapie (Eisler 2005; Eisler et al. 2016) und elternfokussierte Familientherapie (z. B. getrennte Familientherapie und elternfokussierte Therapie [PFT]) (Eisler et al. 2000; Le Grange et al. 1992, 2016), des Weiteren die Behandlungsform des Home treatment (Herpertz-Dahlmann et al. 2014). Der familientherapeutische Ansatz sieht Eltern als zentralen Einflussfaktor, daher sollen diese in die Behandlung mit einbezogen werden (Murray und Le Grange 2014).
Silke Naab
41. Psychodynamische Therapie
Zusammenfassung
Psychodynamische Therapie strebt neben einer symptomatischen Besserung immer auch eine Bearbeitung von persönlichkeitsimmanenten intrapsychischen Konflikten an. Bei Anorexia nervosa, Bulimia nervosa und Binge-Eating-Störungen kommen meist fokale psychodynamische Therapien zur Anwendung. Als Foki gelten diejenigen Merkmale des OPD-Befundes, die die Störung mit verursachen und aufrechterhalten und deshalb für die Psychodynamik des Krankheitsbildes eine bestimmende Rolle spielen. Damit verbunden ist die Annahme, dass sich hinsichtlich dieser Foki etwas verändern muss, wenn ein substanzieller therapeutischer Fortschritt erreicht werden soll. Störungsspezifische Modifikationen psychodynamischer Therapie bei Essstörungen werden beschrieben.
Wolfgang Herzog, Hans-Christoph Friederich, Beate Wild, Henning Schauenburg, Stephan Zipfel
42. Kognitive Verhaltenstherapie
Zusammenfassung
Im letzten Jahrzehnt hat sich die Datenlage zur Behandlung von Essstörungen deutlich verbessert. In verschiedenen Meta-Analysen wurde die klinische Effektivität für die unterschiedlichen psychotherapeutischen Verfahren geprüft. Die Ergebnisse zeigen, dass nach wie vor die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) als Behandlung der Wahl bei Essstörungen im Erwachsenenalter gilt; neben dem erfolgreichen Einsatz bei der Bulimia nervosa (BN) und der Binge-Eating-Störung (BES) zeigen Studien auch Erfolge bei der Behandlung der Anorexia nervosa (AN). Zudem mehren sich Hinweise, dass die KVT auch zur Behandlung Jugendlicher mit Essstörungen erfolgreich eingesetzt werden kann. Diese empirischen Nachweise sind Grundlage der Leitlinienempfehlungen zur Behandlung von Essstörungen.
Tanja Legenbauer
43. Interpersonelle Psychotherapie
Zusammenfassung
Die interpersonelle Psychotherapie (IPT) wurde 1984 von Klerman, Weissman und Kollegen zur ambulanten Kurzzeittherapie der unipolaren Depression entwickelt. Nach Belegen für ihre Wirksamkeit wurde die IPT für die Behandlung anderer psychischer Störungen adaptiert, darunter für die Essstörungen Bulimia nervosa (BN) und Binge-Eating-Störung (BES), für die die IPT die wesentliche Alternativbehandlung zur kognitiven Verhaltenstherapie darstellt. Erste Adaptationsergebnisse liegen darüber hinaus für die Anorexia nervosa (AN) vor. Das Kapitel stellt theoretische Grundlagen und das praktische Vorgehen der IPT bei Essstörungen dar und diskutiert die Evidenzbasierung vor dem Hintergrund des aktuellen Forschungsstandes.
Anja Hilbert
44. Kognitive Remediationstherapiekognitive Remediationstherapie
Zusammenfassung
Patientinnen mit Anorexia nervosa weisen oft zwanghafte Verhaltensweisen im Umgang mit Ernährung, Figur und Gewicht auf. Aber auch abseits solcher Themen lassen sich oft kognitive Rigidität und stark ausgeprägte Verhaltensroutinen im Alltag der Patientinnen beobachten. Diese sind häufig in zwanghafte Persönlichkeitszüge eingebettet, welche als Risikofaktor für Anorexia nervosa gelten und mit einer schlechteren Prognose in Verbindung gebracht wurden. Auf neuropsychologischer Ebene zeigen sich, dazu passend, verringertes Set-shifting und reduzierte zentrale Kohärenz. An diesen grundlegenden kognitiven Funktionen setzt die Kognitive Remediationstherapie an, die als ergänzender Behandlungsbaustein helfen soll, kognitive Flexibilität und „bigger picture“-Denken zu fördern. Die Intervention beinhaltet kognitive Übungen, Verhaltensexperimente und metakognitive Elemente. Die Wirksamkeit des Ansatzes hinsichtlich der Verbesserung kognitiver Funktionen und klinischer Parameter wurde in letzter Zeit durch mehrere klinische Studien infrage gestellt. Aktuell kann die Intervention nur begrenzt als zusätzliche Komponente in der Behandlung der Anorexia nervosa empfohlen werden.
Timo Brockmeyer
45. Behandlung von Körperbildstörungen
Zusammenfassung
Die kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung von Körperbildstörungen stellt eine vielversprechende Ergänzung der Standardtherapie von Anorexia und Bulimia nervosa dar. Ziele der Körperbildtherapie sind die Korrektur der verzerrten Körperwahrnehmung, der Abbau negativer körperbezogener Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen sowie die Etablierung eines positiveren Umgangs mit dem eigenen Körper. Spezifische Interventionen setzen somit auf perzeptiver, kognitiver, emotionaler und Verhaltensebene an. Ein besonderer Fokus liegt auf der Durchführung von Körperkonfrontationsübungen, im Rahmen derer eine systematische Betrachtung des eigenen Körpers erfolgt. Die Wirksamkeit körperbildspezifischer Interventionen bei Patientinnen mit Essstörungen konnte in verschiedenen Studien nachgewiesen werden.
Silja Vocks, Anika Bauer
46. Die Pharmakotherapie der Essstörungen
Zusammenfassung
Die Evidenz zur Pharmakotherapie der Anorexia nervosa (AN) ist insgesamt sowohl für Antidepressiva als auch für Antipsychotika unbefriedigend (AWMF 2018). Als primäres Zielkriterium galten in erster Linie Gewichtskriterien: Ausmaß des Gewichtszuwachses, Geschwindigkeit der Gewichtszunahme, Dauer der Behandlung bis zur Gewichtsrestitution und Anzahl der Patientinnen, die eine ausreichende Gewichtszunahme erreichten. Nur wenige Studien hatten längere Nachbeobachtungszeiten, die aber notwendig sind, um die klinische Bedeutsamkeit von Gewichtseffekten unter Pharmakotherapie beurteilen zu können. Die vorliegenden kontrollierten Studien zur Anwendung trizyklischer Antidepressiva (TCA) ergaben keine wesentliche Wirksamkeit auf Gewichtszunahme und depressive Verstimmung im Vergleich zu Placebo. Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) haben sich ebenfalls als nicht effektiv erwiesen und dürften die Gewichtszunahme nicht unterstützen (de Vos et al. 2014). Retrospektive Untersuchungen bestätigen dieses negative Ergebnis auch für Jugendliche. SSRIs werden in der klinischen Praxis bei anorektischen Patientinnen häufig in Kombination mit Psychotherapie eingesetzt, da man sich eine Wirkung auf komorbide Störungen wie Depression, Angst, Zwang oder bulimische Symptome erwartet. Es wird jedoch berichtet, dass Antidepressiva im untergewichtigen Zustand bei vielen Patientinnen auch auf die komorbide Symptomatik nur geringe bis keine Wirkung entfalten. Es ist von einer geringen Wirksamkeit von Antidepressiva im Zustand der Starvation auszugehen (Jordan et al. 2008). Komorbide Störungen können sich alleine durch eine Gewichtszunahme ohne eine zusätzliche spezifische Therapie verbessern, sodass Entscheidungen über eine adjuvante Pharmakotherapie besser nach einer Gewichtszunahme getroffen werden sollten. Bei weiterem Bestehen einer depressiven Symptomatik nach einer ausreichenden Gewichtsrehabilitation sollte eine ergänzende Behandlung mit SSRIs erwogen werden.
Martina de Zwaan, Jana Svitek
47. NeurostimulationNeurostimulation bei Essstörungen
Zusammenfassung
Neurostimulation stellt einen innovativen Ansatz für die Behandlung von Essstörungen dar. Dazu wurden bislang v. a. Studien mit nicht-invasiven Verfahren und weniger mit invasiven Verfahren durchgeführt. Entsprechend der vorliegenden Evidenz haben nicht-invasive Verfahren ein großes Potenzial bei der Behandlung von Essstörungen, insbesondere bezüglich der Selbstkontrollfähigkeiten beim Essverhalten. Der dorsolaterale präfrontale Kortex als das der kognitiven Kontrolle zugehörige Gehirnareal ist dabei bislang am besten untersucht. Bezüglich der verschiedenen Stimulationsverfahren wurden die konsistentesten Ergebnisse bei der sogenannten transkraniellen Gleichstromstimulation gefunden. Dennoch fehlen grundlagenorientierte und randomisiert-kontrollierte Studien mit größeren Stichproben und Kontrollbedingungen, um standardisierte Behandlungsprotokolle zu entwickeln und die spezifischen Wirkfaktoren und -mechanismen identifizieren zu können.
Kathrin Schag
48. Stationäre und teilstationäre Psychotherapie der Essstörungen
Zusammenfassung
Essstörungen sind häufig chronisch verlaufende Erkrankungen, welche eine langfristige Planung der Behandlung erforderlich machen. In der Regel sind ambulante Behandlungsmaßnahmen ausreichend. Dies trifft v. a. für die Behandlung der Bulimia nervosa (BN) und der Binge-Eating-Störung (BES) zu. Reicht aber eine ambulante Behandlung aufgrund der Schwere, Chronizität oder Komplexität der Symptomatik nicht aus (z. B. bei behandlungsbedürftiger Komorbidität, Suizidalität oder medizinischen Komplikationen), kann eine tagesklinische oder stationäre Therapie erforderlich sein. Bei der Anorexia nervosa (AN) ist aufgrund der körperlichen Gefährdung und der ausgeprägten Angst vor einer Gewichtszunahme am häufigsten eine stationäre Behandlung indiziert, in manchen Fällen auch primär als Einstieg in einen längerfristigen Therapieprozess.
Almut Zeeck
49. Selbsthilfe bei Essstörungen
Zusammenfassung
Selbstbehandlungsansätze werden bereits seit längerer Zeit als Alternative zu bestehenden psychotherapeutischen und pharmakologischen Behandlungsansätzen diskutiert, u. a. im Rahmen von „Stepped-care-Modellen“ (Mitchell et al. 2011; Ramklint et al. 2012). Der überwiegende Teil basiert auf Therapiemanualen, die wesentliche Elemente der KVT-Ansätze enthalten. In der Therapieforschung wird, nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen, in den letzten Jahren ein stufenweises Vorgehen in der Behandlung psychischer Störungen propagiert. Die erste Stufe stellen „niederschwellige“ Therapieansätze dar. In der Literatur werden hierfür Begriffe verwendet wie Selbsthilfe (SH), Selbstbehandlung, Selbstveränderung oder Bibliotherapie. In der revidierten S3-Leitlinie (AWMF 2018) wird von „Selbstmanagement“ im Gegensatz zu Selbsthilfe gesprochen, da es sich bei den in die Meta-Analysen eingegangenen Studien um Ansätze handelt, die auf strukturierten evaluierten Programmen basieren und sich damit von klassischen Selbsthilfegruppen unterscheiden. Es wurden Selbsthilfemanuale entwickelt, die den Richtlinien der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansätze (KVT-Ansätze) folgen und mit minimaler therapeutischer Begleitung (angeleitet, ASH) oder ohne (rein, RSH) von den Betroffenen selbstständig durchgeführt werden können. Solche Selbstmanagementprogramme für Patientinnen mit Essstörungen stehen in Online- und Offline-Versionen zur Verfügung und reichen von reiner Selbsthilfe mithilfe eines Buches (Bibliotherapie), einer App oder einem Computerprogramm über Programme mit zeitweisem Therapeutenkontakt bis hin zu geleiteten Selbsthilfeprogrammen. Neben einem persönlichen Kontakt können diese Therapeutenkontakte in einem Audio- und Video-Chat-Programm oder aber schriftlich im Chat oder per E-Mail stattfinden, wobei das Letztere eine asynchrone Kommunikation erlaubt. Die unterstützenden Kurzkontakte nehmen weniger Zeit in Anspruch als Psychotherapiesitzungen, und deren Inhalt ist im engeren Sinne nicht psychotherapeutisch.
Cornelia Thiels, Martina de Zwaan
50. Einsatz moderner Medien in Prävention und Behandlung
Zusammenfassung
In Ergänzung zu konventionellen therapeutischen Verfahren wird seit einigen Jahren die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien („E-Mental Health“) in der Prävention und Behandlung von Essstörungen vorgeschlagen. Digitale Interventionen versprechen, die Reichweite, Erreichbarkeit und Verfügbarkeit von Hilfsangeboten zu verbessern. Für eine Reihe von Interventionen wurden vielversprechende erste Evaluationsergebnisse bezüglich ihrer Praktikabilität, Akzeptanz und Wirksamkeit berichtet. Es sind jedoch weitere Studien notwendig, um die Evidenzbasis zu stärken und die Frage zu klären, wie sich digitale Angebote und konventionelle Versorgungsangebote praktikabel, wirksam und effizient verbinden lassen.
Stephanie Bauer
51. Zwangsbehandlung bei Anorexia nervosa
Zusammenfassung
Die Anorexia nervosa (AN) ist eine ernst zu nehmende und häufig chronisch verlaufende psychische Erkrankung, die die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Zur Kernsymptomatik dieser Erkrankung zählt, neben anderen Symptomen, die Angst vor einer Gewichtszunahme. In Abhängigkeit vom Untergewicht kann der reduzierte Allgemeinzustand in Kombination mit Pneumonien, Elektrolytentgleisungen, Herzrhythmusstörungen, Störungen der Blutbildung, gastrointestinalen Blutungen und hepatischen oder renalen Funktionsstörungen zu schwerwiegenden, u. U. auch letalen Komplikationen führen. Eine Zwangsbehandlung gegen den Willen der Patientinnen kann bei starkem Untergewicht und einem schlechten Allgemeinzustand medizinisch und ethisch gerechtfertigt sein, wenn die Patientinnen krankheitsbedingt nicht ausreichend für sich sorgen können und nicht mehr einwilligungsfähig sind.
Andreas Thiel, Thomas Paul
52. Behandlung chronisch kranker Patientinnen
Zusammenfassung
Die Behandlung von Patientinnen mit chronischen Essstörungen stellt eine besondere Herausforderung für jeden Therapeuten und jedes Behandlungsteam dar. Allgemeingültige Kriterien zur Anwendung spezifischer Interventionen in Abhängigkeit von bestimmten Krankheitsstadien lassen sich nicht festlegen. Vergleichende Psychotherapiestudien zu den Behandlungsergebnissen bei Patientinnen mit Essstörungen weisen bei erwachsenen Patientinnen mit Anorexia nervosa (AN) und Bulimia nervosa (BN) Chronifizierungsraten bis zu 23 % auf (Keel und Brown 2010). Bei jugendlichen Patientinnen mit Anorexia nervosa sind die Behandlungserfolge insgesamt deutlich positiver und die Chronifizierungsraten geringer. Die schweren und lange dauernden Verläufe der AN haben in den letzten Jahren zunehmende Beachtung gefunden. Unabhängig von spezifischen Rahmenbedingungen und Settings lassen sich hilfreiche Grundprinzipien als Leitlinien des therapeutischen Handelns formulieren, mit deren Hilfe unnötige „Machtkämpfe“ und die „iatrogene“ Chronifizierung von Patientinnen mit chronisch verlaufenden anorektischen und bulimischen Erkrankungen vermieden werden können.
Thomas Paul, Andreas Thiel
53. Arbeit mit Angehörigen
Zusammenfassung
Studien, in denen Angehörige von Essstörungs-Patientinnen über ihre Bedürfnisse befragt wurden, zeigen auf, dass diese Angehörigen oft große Wissens- und Fähigkeitslücken bei sich selbst identifizieren und sich auch von professioneller Seite mangelhaft unterstützt und beraten fühlen. Neuere Forschung deutet darauf hin, dass Angehörige durch ihre Verhaltensweise bei der Entstehung von dysfunktionalen interpersonellen Teufelskreisen mitwirken und somit unfreiwillig zur Aufrechterhaltung von Essstörungssymptomatik beitragen können. Internationale Leitlinien empfehlen frühstmögliche Einbeziehung von Angehörigen in die Behandlung von Essstörungen. Ziele der Angehörigenarbeit sind u. a., den Angehörigen spezifisches Wissen über Symptome, Risiken, Behandlung und Prognose von Essstörung zu vermitteln und ihnen Fähigkeiten beizubringen, dysfunktionale interpersonelle Teufelskreise zu erkennen, die die Erkrankung aufrechterhalten, und diese gezielt zu bearbeiten.
Ulrike Schmidt
54. Rückfallprophylaxe bei Anorexia nervosa
Zusammenfassung
Viele Anorexie-Patientinnen, die sich in Therapie begeben, profitieren von der Akutbehandlung, erreichen eine Gewichtszunahme und eine Verbesserung der Essstörungssymptomatik. Die Anorexia nervosa zeichnet sich jedoch durch ein hohes Rückfallrisiko aus. Bis zu rund der Hälfte der behandelten Patientinnen erleidet einen Rückfall, häufig bereits im ersten Jahr nach Therapieende. Behandlungs- und Versorgungskonzepte, die spezifisch auf die Verhinderung von Rückfällen abzielen, können den Störungsverlauf der Anorexie verbessern. Dazu gehören angeleitete Selbsthilfe, Psychotherapie und therapeutische Wohngruppen.
Katrin Giel, Ulrike Schmidt

Definition, Klassifikation und Epidemiologie der Adipositas

Frontmatter
55. Diagnostik und Ätiologie der Adipositas
Zusammenfassung
Ziel der Diagnostik der Adipositas ist es, Hinweise für die Körperzusammensetzung hinsichtlich Art und Ausmaß zu erhalten. Erfasst werden können die Fettmasse, die fettfreie Masse (v. a. Muskulatur), das viszerale und subkutane Fett sowie das ektope Fett (z. B. Leber, Muskulatur, Herz). Für klinische Zwecke ist die Diagnostik einfach. Die Ätiologie der Adipositas ist komplex und vielschichtig. Neben genetischen Ursachen sind die Energieaufnahme, der Energieverbrauch, Essstörungen, Schlafmangel, Krankheiten sowie Pharmaka von Bedeutung. Ursachen der Adipositas können Hinweise für die Therapie liefern, wenngleich sich die Behandlung in der Regel an den Ressourcen des Betroffenen und den sozialen Umständen orientiert.
Alfred Wirth
56. Epidemiologie der Adipositas
Zusammenfassung
Adipositas ist mit einer Reihe von chronischen Erkrankungen sowie mit einer geringeren Lebenserwartung assoziiert. Die systematische Aufarbeitung weltweit relevanter Daten aus bevölkerungsbasierten epidemiologischen Studien sowie nationalen und regionalen Gesundheitssurveys mit verfügbaren Messungen von Körpergewicht und -größe hat gezeigt, dass die Prävalenz von Adipositas (BMI ≥30,0 kg/m2) in den letzten vier Jahrzehnten global angestiegen ist und weltweit 10,8 % der Männer und 14,9 % der Frauen betroffen sind. Die höchsten Adipositasprävalenzen werden bei Männern und Frauen in Polynesien und Mikronesien beobachtet, gefolgt von englischsprachigen Ländern mit hohem Einkommen sowie bei Frauen im südlichen Afrika, im Nahen Osten und Nordafrika. Auch bei Kindern und Jugendlichen wurde ein weltweiter Anstieg der Adipositasprävalenz beobachtet. Zur Verringerung der negativen gesundheitlichen Folgen von Adipositas auf Populationsebene kommt der Adipositasprävention eine Schlüsselrolle zu. Da Kinder und Jugendliche mit einem erhöhten BMI auch eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, im Erwachsenenalter von Übergewicht und Adipositas betroffen zu sein, sollte die Adipositasprävention bereits im Kindes- und Jugendalter ansetzen.
Katharina Nimptsch, Tobias Pischon
57. Psychosoziale Faktoren der Adipositas in Kindheit und Adoleszenz
Zusammenfassung
Der Beitrag behandelt psychosoziale Faktoren, die im Kontext einer Adipositas im Kindes- und Jugendalter Beachtung finden sollten. Dabei wird v. a. auf die Rolle der Stigmatisierungserfahrungen eingegangen, die nicht nur weit verbreitet sind, sondern auch als die Quelle von komorbiden psychischen Problemen gelten. Insbesondere depressive Störungen, gestörtes Essverhalten, aber auch aggressives wie auch impulsives Verhalten wurden vermehrt bei Kindern und Jugendlichen mit Adipositas im Vergleich zur Populationsnorm gefunden. Dabei ist v. a. die Gruppe derjenigen, die an Gewichtsreduktionsprogrammen teilnehmen, besonders belastet. Sehr verbreitet ist eine verminderte Lebensqualität zu beobachten. Psychische Probleme nehmen einen bedeutsamen Einfluss auf den weiteren Gewichtsverlauf und sollten bei der Behandlung in den Fokus gerückt werden.
Petra Warschburger
58. Sozioökonomische Aspekte der Adipositas
Zusammenfassung
In verschiedenen Lebensphasen zeigt sich über alle Altersgruppen hinweg der Sozialgradient bezüglich Übergewichts- und Adipositasprävalenzen, wobei dieser bei Frauen stärker ausgeprägt ist als bei Männern. Dieses Kapitel beschreibt anhand eines eigens entwickelten Modells, wie sich adipogene Umwelten, materielle Deprivation, Gesundheitskompetenzen, psychosoziale Stressoren und Ressourcen, genetische, prä- und perinatale Faktoren auf Energieaufnahme und Energieverbrauch auswirken. Energieaufnahme und -verbrauch determinieren Übergewicht und Adipositas. Beide wiederum können im Sinne eines Selektionseffektes auch den sozioökonomischen Status Betroffener und ihrer Nachkommen beeinflussen. Wir konstatieren die Notwendigkeit der interdisziplinären Berücksichtigung des multifaktoriellen Geschehens sowie konzertierter Interventionen auf Mikro- und Makroebene zur Eindämmung sozioökonomischer Unterschiede bei der Adipositasprävalenz.
Sven Schneider, Bärbel Holzwarth
59. Genetische Aspekte der Adipositas
Zusammenfassung
Die Ätiologie der Adipositas ist multifaktoriell. Soziale Umweltfaktoren, wie Werbung oder Konsumdruck, und stoffliche Umweltfaktoren, wie Fortbewegungsmittel, Architektur und die ständige Verfügbarkeit hochkalorischer Nahrung haben eine „obesogene“ Umwelt geschaffen, die adipogene Verhaltensweisen fördert. Dazu zählen Verzehr großer, hochkalorischer Mahlzeiten, wenig Bewegung und/oder viel Zeit vor Fernseher, Computer oder Spielekonsole. Diese Faktoren haben jedoch unterschiedliche Effekte bei verschiedenen Menschen; sie führen nicht bei allen zu einem Anstieg des Körpergewichts. Die Prädisposition für Adipositas ist zu einem guten Teil erblich bedingt. Am eindrücklichsten konnte dies durch drei experimentelle Studien an Zwillingen belegt werden. In einer Studie erhielten Zwillingspaare gezielt eine für die Körperhöhe zu hohe Energiezufuhr, in zwei weiteren Studien eine zu niedrige. Diese Studien konnten konsistent zeigen, dass es Gruppen von sehr stark zu- bzw. abnehmenden Probanden gab, solchen, die kaum mit dem Körpergewicht reagierten, und einer intermediären Gruppe mit moderaten Gewichtszuwächsen oder -verlusten. Die Tatsache, dass innerhalb eines Zwillingspaares Gewichtsveränderungen sehr ähnlich waren, während zwischen verschiedenen Zwillingspaaren große Unterschiede gemessen wurden, spricht für eine starke erbliche Komponente.
Helge Frieling, Anke Hinney, Stefan Bleich
60. Mikrobiom und Inflammation bei Adipositas
Zusammenfassung
Der menschliche Darm ist ein komplexes Ökosystem, in dem eine Vielzahl von Mikroben lebt. Eine Dysbiosis die gastrointestinale (GI) Mikrobiota liegt bei sämtlichen Erkrankungen vor, auch bei der Adipositas. Die GI-Mikrobiota fermentieren primär nicht resorbierte Kohlenhydrate, also Ballaststoffe, und produzieren daraus kurzkettige Fettsäuren, die vom Wirt weiterverwertet werden und zu 5–10 % unserer Gesamtenergieaufnahme beitragen. Weitere Stoffwechselprodukte haben großteils gesundheitlich förderliche Eigenschaften, aber auch ungünstige, die insbesondere bei der Fermentation von Proteinen entstehen. Die GI-Mikrobiota passt sich schnell an neue Gegebenheiten, wie z. B. einer Veränderung der Nahrungszusammensetzung, an. Die GI-Mikrobiota kann durch die Zufuhr von Ballaststoffen aus der Nahrung positiv beeinflusst werden. Eine aktuelle Empfehlung für ein spezifisches Pro- oder Präbiotikum zur Behandlung der Adipositas mit Inflammation kann derzeit nicht genannt werden.
Isabelle Mack
61. Risikofaktoren der Adipositas im Kindes- und Jugendalter
Zusammenfassung
Nach wie vor bleibt eine hohe Prävalenz von Übergewicht und Adipositas schon bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland bestehen. Neben genetischen Faktoren spielen ungesunder und krank machender Lebensstil, Ernährungsfaktoren und Bewegungsmangel zentrale Rollen bei der Entstehung der Adipositas. Übergewicht und die zugrundeliegenden verhaltensbezogenen Risikofaktoren werden erheblich durch die nähere und weitere soziale Umwelt beeinflusst. Übergewicht und Adipositas bei Kindern sind innerhalb und zwischen sozialen Schichten und Gruppen unterschiedlich verteilt. Kinder aus sozial benachteiligten Familien sind sehr viel häufiger übergewichtig bzw. adipös als Kinder aus privilegierten Familien und Schichten. Es ist für Ansätze zur Prävention und/oder Therapie wichtig, Risikofaktoren der Adipositasentstehung bzw. der Gewichtsveränderung zur erkennen und zu adressieren. Insbesondere gilt es auch, Barrieren zu erforschen, die es Betroffenen schwer oder gar unmöglich machen, an Präventions- oder Therapieprogrammen teilzunehmen.
Wieland Kiess

Komorbidität der Adipositas

Frontmatter
62. Soziale und psychosoziale Auswirkungen der Adipositas: Gewichtsbezogene Stigmatisierung und Diskriminierung
Zusammenfassung
Die Adipositas ist im Vergleich zu vielen anderen körperlichen und psychischen Gesundheitsstörungen mit dem gesellschaftlich wohl am meisten akzeptierten Stigma belegt. Dieses Stigma, z. B. der Schuld am Übergewicht, kann bis zu tatsächlicher Diskriminierung in einer Vielzahl von Lebensbereichen führen.
Anja Hilbert
63. Adipositas und psychische Komorbidität
Zusammenfassung
Übergewicht und Adipositas sind weit verbreitet und gehen mit einer deutlichen Steigerung des Gesundheitsrisikos einher. Auf dem Hintergrund einer Gen-Umwelt-Interaktion ist die Ätiologie der Adipositas multifaktoriell, wobei die Hyperalimentation und körperliche Inaktivität als Ausdruck des rasanten technischen Fortschritts der letzten Jahrzehnte maßgeblich an der pandemischen Ausbreitung der Adipositas beteiligt sind. Die Prävalenz psychischer Störungen ist insbesondere bei Frauen mit Adipositas erhöht. Obwohl phylogenetisch sinnvoll, führt eine Umwelt, die Schlankheit mit Schönheit, Gesundheit, körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit assoziiert, zu einer Stigmatisierung adipöser Menschen (Carl et al. 2018). Die Folge sind psychische Symptome und Störungen. Umgekehrt können seelische Probleme bis hin zu dem Vollbild einer psychischen Störung zu einer Veränderung des Ess- und Bewegungsverhaltens führen, deren Folge eine anhaltende positive Energiebilanz mit Übergewicht und Adipositas ist.
Stephan Herpertz, Magdalena Pape
64. Metabolisches Syndrom und Depression
Zusammenfassung
Depression und metabolisches Syndrom sind in den letzten Jahrzehnten häufiger geworden und treten überzufällig häufig gemeinsam auf. Depression und metabolisches Syndrom, beides Risikofaktoren für kardiovaskuläre Mortalität, können sich im Sinne eines Circulus vitiosus durch Faktoren wie Inaktivität, sozialen Rückzug, Fehlernährung, chronischen Stress, motivationale Schwierigkeiten bei Verhaltensänderungen und metabolische Parameter wechselseitig verstärken. Deshalb müssen diagnostische und therapeutische Maßnahmen simultan das metabolische Syndrom und die Depression berücksichtigen. Ziel der Behandlung ist nicht nur eine Remission der Depression, sondern auch, den Patienten in die Lage zu versetzen, die gesundheitlichen Herausforderungen des metabolischen Syndroms erfolgreich und eigenverantwortlich zu managen.
Bernd Löwe
65. Tabakabhängigkeit bei Essstörungen und Adipositas
Zusammenfassung
In Deutschland rauchten bei der letzten Mikrozensuserhebung (2017) 26,4 % der Männer und 18,6 % der Frauen, die älter als 15 Jahre sind. Rauchen gilt heute in den Industriestaaten als der bedeutsamste einzelne Risikofaktor für eine Vielzahl von schwerwiegenden Erkrankungen und einen vorzeitigen Tod. Sehr wenige klinische Studien untersuchten bislang das Rauchverhalten bei Patientinnen mit einer Bulimie oder Anorexie. Wie die Untersuchung von Rauchmotiven zeigte, wiesen Frauen mit einer Essstörung im Vergleich zu einer depressiven Kontrollgruppe eine signifikant höhere Motivation auf, zu rauchen. Rauchen wird als Mittel zur Gewichtskontrolle eingesetzt und dient zur Bewältigung von Angst und Stress. Bulimie-Patientinnen haben ein erhöhtes Risiko zu rauchen und entwickeln häufig eine starke Tabakabhängigkeit. Insbesondere bei Adipositas stellt die Tabakentwöhnung einen wesentlichen Faktor zur Reduzierung von Morbidität und Mortalität dar.
Marlen Brachthäuser, Anil Batra
66. Impulsivität und Adipositas
Zusammenfassung
Es wird davon ausgegangen, dass ein stets verfügbares Überangebot an schmackhaften Nahrungsmitteln maßgeblich zu Kontrollverlust beim Essen, einem daraus resultierenden gesteigerten Nahrungsmittelkonsum und damit auch zur Entstehung von Adipositas beiträgt. Allerdings scheint dies v. a. in Kombination mit einer hohen Impulsivität zutreffend zu sein. Impulsivität zeichnet sich durch eine hohe Sensitivität für Belohnung und die Neigung zu spontanen, vorschnellen Reaktionen aus. Neben einer hohen nahrungsassoziierten Impulsivität legen empirische Befunde zudem eine erhöhte generelle Impulsivität im Sinne eines überdauernden Persönlichkeitszuges sowie ein erhöhtes Risiko für impulsive Krankheitsbilder bei Menschen mit Adipositas nahe.
Astrid Müller
67. Adipositas und Binge-Eating-Störung
Zusammenfassung
Bei einer Subgruppe adipöser Patienten besteht zusätzlich eine Essstörung, die sog. „Binge-Eating-Störung“ (BES). Hierbei kommt es durchschnittlich mindestens einmal pro Woche zu Essanfällen bei denen – begleitet von einem Gefühl des Kontrollverlusts – große Nahrungsmengen verschlungen werden. Therapiekonzepte bei Adipositas in Kombination mit einer BES erfordern die Kombination von Elementen aus verschiedenen Interventionsansätzen und sollten sowohl Konzepte beinhalten, die die Behandlung der Essstörung adressieren, als auch solche, die auf eine Gewichtsabnahme abzielen. Das Kapitel gibt einen Überblick über die therapeutischen Implikationen beim Vorliegen einer komorbiden Binge-Eating-Störung bei bestehender Adipositas.
Sandra Becker

Die Behandlung der Adipositas

Frontmatter
68. Prävention der Adipositas
Zusammenfassung
Eine an Gewinnen orientierte Ökonomisierung von Lebensstilen und Lebenswelten ist Grundlage unseres Wohlstands, sie hat aber auch Einfluss auf Gesundheitsrisiken und das Auftreten von Krankheiten. Überernährung, geringe körperliche Aktivität und Inaktivität charakterisieren „ungesunde“ Lebensstile, welche durch ein vielfältiges Angebot energiedichter und verarbeiteter Lebensmittel, deren ständige Verfügbarkeit und niedrige Preise sowie die Automatisierungen in Alltag und Beruf, digitale Techniken, motorisierten Individualverkehr als häufige Mobilitätsform, die Begehbarkeit und Strukturen von Wohngebieten und Städten im Kontext kultureller, ökonomischer, politischer und sozialer Faktoren begünstigt werden. Das bevölkerungsweite Auftreten von Adipositas, die sog. „Adipositasepidemie“, resultiert aus diesen Zusammenhängen.
Manfred J. Müller, Isabel Gaetjens, Anja Bosy-Westphal
69. Behandlung der Adipositas in Kindheit und Adoleszenz
Zusammenfassung
Meta-Analysen publizierter Studienergebnisse zur Therapie von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen zeigen, dass es wirksame Therapieprogramme gibt. Die praktische Erfahrung lehrt allerdings, dass diese Programme und die zugrundeliegenden Behandlungskonzepte nur von einer Minderheit der Betroffenen angenommen werden. Der Behandlungserfolg wirksamer Therapieprogramme kann individuell sehr unterschiedlich sein. Zudem ist eine Abhängigkeit des Behandlungserfolgs vom anbietenden Behandlungszentrum bekannt. Es wird daher empfohlen, die aktuellen therapeutischen Bemühungen weiter zu evaluieren und schrittweise zu verbessern. Die Ausführungen fassen den aktuellen Kenntnisstand und die Empfehlungen der Fachgesellschaften zusammen, die auf der Basis der vorhandenen Studienergebnisse und der Expertise einer multidisziplinären Arbeitsgruppe entwickelt wurden.
Martin Wabitsch
70. Familienbasierte Ansätze der Behandlung
Zusammenfassung
Familienbasierte Konzepte sind die Grundlage einer multiprofessionellen Adipositastherapie bei Kindern und Jugendlichen. Dabei spielt neben der genetischen Disposition sowohl die frühkindliche Prägung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens als auch der Erziehungsstil der Eltern eine relevante Rolle für die Gewichtsentwicklung. Das soziale System Familie mit seinen Interaktionsprozessen steht im Mittelpunkt der Intervention. Angestrebte Verhaltensänderungen müssen familiär akzeptiert und umgesetzt werden. Die Risikogruppen für Adipositas bei Kindern und Jugendlichen – Familien mit niedrigem Sozialstatus und/oder Migrationshintergrund – stellen dabei eine besondere Herausforderung dar. Ein ressourcenorientierter und lebensnaher Behandlungsansatz soll zu positiven Veränderungserfahrungen und damit zu einer tragfähigen Motivation von Patienten und Familien führen.
Susanna Wiegand, Martina Ernst
71. Modediäten und kommerzielle Programme
Zusammenfassung
Ernährungstherapie bei Adipositas hat die Gewichtsabnahme zum Ziel. Hierzu soll erreicht werden, dass die Energiezufuhr (Kalorienzufuhr) geringer ist als der Energieverbrauch. Die Diät ist ein zentraler Bestandteil der Adipositastherapie. Die sog. Reduktionsdiät mit dem Ziel einer negativen Energiebilanz soll nach Empfehlungen der Fachgesellschaften nur für eine begrenzte Zeit angewandt werden. Für eine nachhaltige Adipositasbehandlung ist eine dauerhafte Umstellung der Ernährung und des Lebensstils notwendig. Die Zusammensetzung einer Reduktionskost ist hinsichtlich der Hauptnährstoffe Fett, Kohlenhydrate und Eiweiß von untergeordneter Bedeutung. Es ist nicht entscheidend, ob zur Gewichtsabnahme eine „Low-fat“- oder „Low-carb“-Kost oder eine eiweißbetonte Kost gewählt wird: Letztlich zählt das erreichte Energiedefizit (Empfehlung 300–500 kcal/Tag je nach Ausmaß des Übergewichts). Viel wichtiger ist, dass die Ernährungsweise zur Person passt. Personen, die abnehmen wollen, sollen nicht mehr in strenge Schemata gepresst werden. Von Modediäten ist grundsätzlich abzuraten.
Andreas Fritsche
72. Ernährungstherapie der Adipositas
Zusammenfassung
Das moderne Lebensmittelangebot mit z. B. hoher Energiedichte, übermäßigen Portionsgrößen und ständiger Verfügbarkeit von „Fastfood“ und „Convenience“-Produkten sowie Veränderungen im Essverhalten, wie z. B. Snacking statt geregelter Mahlzeiten, haben wesentlichen Anteil an der weit verbreiteten überkalorischen Ernährung. Ziel der Ernährungstherapie ist es daher, die Energiezufuhr langfristig zu verringern und gleichzeitig alle benötigten Nährstoffe bereitzustellen. Das klassische Konzept ist die fettreduzierte, mäßig energiereduzierte Kost mit einem Energiedefizit von 500 bis 600 kcal/Tag und sieht einen hohen Anteil wenig verarbeiteter pflanzlicher Lebensmittel vor. Für den Gewichtsverlust ist dabei die Energiebilanz entscheidend, die Zusammensetzung der Makronährstoffe ist zweitrangig. In besonderen Fällen können – zeitlich begrenzt – auch sehr niedrigkalorische Formula-Diäten eingesetzt werden. Wichtig sind stets eine individuelle, problembezogene Ernährungstherapie und eine dauerhafte Ernährungsumstellung.
Hans Hauner
73. Behandlung der Adipositas – Sport und körperliche Aktivität
Zusammenfassung
Die Adipositas erklärt sich wie viele andere chronische Erkrankungen auch aus der Nicht-Angepasstheit unserer an Bewegung adaptierten genetischen Ausstattung an unseren heutigen von Inaktivität und Überernährung geprägten Lebensstil. Regelmäßige körperliche Aktivität und Sport führen zu einer Zunahme der körperlichen Leistungsfähigkeit. Dies gilt auch für Adipöse. Außerdem sind sie in der Lage, fast alle kardiovaskulären Risikofaktoren auch ohne gleichzeitige Reduktion des Körpergewichts positiv zu beeinflussen und die Lebensqualität zu verbessern. Für adipöse Erwachsene wird zur Gewichtsreduktion ein Programm empfohlen, das 200–300 min pro Woche oder mehr als 2000 kcal Energieverbrauch umfasst. Bei adipösen Kindern und Jugendlichen ist eine Normalisierung bzw. eine Stabilisierung des Körpergewichts am besten durch die Kombination von körperlicher Aktivität (Bewegung und Spiel) und Diät zu erreichen.
Petra Platen
74. Ansätze zur Beseitigung adipogener Umwelten
Zusammenfassung
Der Begriff „adipogene Umwelten“ beschreibt die Summe aller Einflüsse aus Umfeld, Gelegenheitsstrukturen und Lebensbedingungen auf die Entstehung von Übergewicht. Dabei begünstigen adipogene Umwelten insbesondere körperliche Inaktivität sowie ein ungesundes Ernährungsverhalten. Unser Modell zeigt, dass adipogene Umwelten auf Mikro- und Makroebene greifen, welche wiederum beide auf die Lebensbedingungen von Individuen wirken. Dabei lassen sich adipogene Umwelten auf beiden Ebenen in physische, ökonomische, politische und soziokulturelle Umwelten unterscheiden. Derzeit ist die empirische Lage zu adipogenen Umwelten in Deutschland limitiert und lückenhaft, zum einen, da die meisten empirischen Studien hierzu aus den USA stammen und die US-amerikanischen Verhältnisse nur bedingt auf den hiesigen Kontext übertragbar sind. Zum anderen gibt es methodische Herausforderungen bei der Beforschung von adipogenen Umwelten. Abschließend lässt sich sagen, dass ein interdisziplinärer Ansatz unter Berücksichtigung von Mikro- und Makroebene für eine erfolgreiche Intervention in adipogenen Umwelten essenziell ist.
Sven Schneider, Bärbel Holzwarth
75. Verhaltenstherapie der Adipositas
Zusammenfassung
Verhaltenstherapeutische Strategien werden bei der Adipositasbehandlung seit vielen Jahrzehnten eingesetzt und sind verankert in den Leitlinien zur Therapie der Adipositas. Über die Zeit haben sich die Strategien verändert und diversifiziert. Die wesentlichen Bausteine der Therapie werden dargestellt. Bei der Psychoedukation soll dem Patienten notwendiges Wissen vermittelt werden, sodass realistische Therapieziele vereinbart werden können. Durch Selbstbeobachtung und Verhaltensanalysen wird das Problemverhalten genauer festgehalten. Dies kann mit Stimuluskontrollstrategien, Stressmanagement und/oder mithilfe sozialer Unterstützung verändert werden. Kognitive Therapieelemente helfen bei der Umstrukturierung problematischer Schemata und beim Lösen von Problemen. Es wird unterschieden zwischen Strategien zur Gewichtsabnahme und zur Gewichtsstabilisierung. Die Vorteile von Gruppentherapiesettings werden beleuchtet.
Andrea Benecke
76. Medikamentöse Therapie der Adipositas
Zusammenfassung
Ernährungsinterventionen und körperliches Training gelten als Basistherapie der Adipositas, können jedoch bei vielen Patientinnen und Patienten keine anhaltende Gewichtsreduktion erreichen. Zur unterstützenden Therapie bei dieser Indikation wurden in der letzten Zeit einige Medikamente neu zugelassen. Neben dem intestinalen Lipaseinhibitor Orlistat können nun auch Liraglutid und die Kombination Naltrexon und Bupropion für eine Langzeitbehandlung der Adipositas eingesetzt werden. In diesem Kapitel werden Wirkmechanismus und klinische Daten der Wirkstoffe dargestellt. Darüber hinaus werden andere in Deutschland erhältliche Antiadiposita, die nur für einen kurzzeitigen Gebrauch zugelassen sind, beschrieben.
Marcus May, Jens Jordan
77. Gewichtsstabilisierung
Zusammenfassung
Die Adipositas wird als chronische Erkrankung mit hoher Rezidivneigung gesehen, weswegen den Betroffenen über die Phase der Gewichtsabnahme hinaus geeignete Maßnahmen zur langfristigen Gewichtsstabilisierung („extended care“) empfohlen werden sollten.
Martina de Zwaan
78. Adipositaschirurgie und metabolische Chirurgie
Zusammenfassung
Bei der Indikationsstellung für die im Folgenden beschriebenen Eingriffe muss man sich festlegen, ob es sich primär um eine adipositaschirurgische oder metabolische Operation handelt, auch wenn in beiden Fällen gleiche Eingriffe vorgenommen werden. Unter Adipositaschirurgie versteht man einen operativen Eingriff, wenn für den Patienten bzw. das Behandlungsteam die Gewichtsreduktion im Vordergrund steht. Durch die Gewichtsreduktion sollen natürlich eine Verbesserung von Komorbiditäten bzw. deren Prophylaxe und eine Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden soll. Unter metabolischer Chirurgie werden operative Eingriffe summiert, die primär auf die Remission oder Verbesserung eines vorbestehenden Diabetes mellitus Typ2 (DM2) abzielen.
Arne Dietrich
79. Psychosomatische Aspekte der Adipositaschirurgie
Zusammenfassung
Etwa die Hälfte der Teilnehmer eines konservativen Gewichtsreduktionsprogramms („Lifestyle“- Interventionen) reduziert ihr Gewicht um 5–10 %, was das Minimum an Gewichtsverlust im Hinblick auf eine klinisch signifikante Reduktion somatischer Risikoparameter darstellt. Neben der hohen Rate an Non-Respondern ist eine erneute Gewichtszunahme eher die Regel als die Ausnahme. Etwa ein Drittel bis die Hälfte der ursprünglichen Therapie-Responder hat innerhalb eines Jahres nach Behandlungsende wieder das Ausgangsgewicht erreicht, und selbst bei langfristig angelegten Behandlungen können durchschnittlich nur 4–5 % des initialen Gewichtsverlusts gehalten werden (Look AHEAD Resarch Group 2014). Insbesondere bei ausgeprägter Adipositas (Grad 3; BMI > 40 kg/m2) dürfte der Erfolg einer konsequenten konservativen Maßnahme noch geringer einzuschätzen sein. Die Zahlen schwanken hier zwischen 2 % und 6,9 % Gewichtsverlust (Mingrone et al. 2015).
Stephan Herpertz, Martina de Zwaan
80. Neue MedienAdipositasbehandlungNeue Medien in der Adipositasbehandlung
Zusammenfassung
Die Digitalisierung im Gesundheitsbereich wird durch diverse Begrifflichkeiten, z. B. „Digital Health“, mobile (m) Health, electronic (e) Health, Telemedizin, geprägt, die keiner einheitlichen Definition unterliegen. Im Allgemeinen geht es um verschiedene Betreuungs- und Behandlungsmodi im medizinischen Bereich, die ohne direkten Blickkontakt mit den Patienten stattfinden. In den letzten Jahren konnten durch die Digitalisierung auch Fortschritte für die Adipositasprävention und -behandlung erzielt werden, auch wenn die Effektivität digitaler Tools auf die Gewichtsreduktion begrenzt ist. Das Digitale-Versorgung-Gesetz ermöglicht es, dass digitale Gesundheitsanwendungen per Rezept verschrieben werden können. Dadurch wurden in Deutschland erstmalig Rahmenbedingungen für digitale Therapiekonzepte, deren Kosten von den Krankenkassen übernommen werden, geschaffen.
Christina Holzapfel
Backmatter
Metadaten
Titel
Handbuch Essstörungen und Adipositas
herausgegeben von
Stephan Herpertz
Martina de Zwaan
Stephan Zipfel
Copyright-Jahr
2022
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-662-63544-5
Print ISBN
978-3-662-63543-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-63544-5

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