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Takayasu-Syndrom

Verfasst von: Dierk A. Vagts, Uta Emmig, Heike Kaltofen und Peter Biro
Takayasu-Syndrom.
Synonyme
Aortenbogen-Sy; engl. „pulseless disease“; Koarktations-Sy; Mangold-Roth-Krankheit; „Pulsloskrankheit“; Takayasu-Arteriitis; Takayasu-Onishi-Sy; umgekehrtes Isthmusstenose-Sy
Oberbegriffe
Großgefäßvaskulitis, Arteriitis der Aorta, entzündliche Gefäßobliteration.
Organe/Organsysteme
Arterienabgänge aus dem Aortenbogen, Gefäßversorgung der oberen Körperregion, kardiovaskuläres System.
Inzidenz
13–40/1 Million, Gynäkotropie 1:7–9, vorwiegend Ostasiaten betroffen, Erkrankungsbeginn < 50 Jahre.
Ätiologie
Unbekannt, wahrscheinlich aufgrund einer Autoimmunerkrankung. Eine in den Vasa vasorum beginnende Entzündung führt zur Infiltration der Media und Adventitia mit T-Zellen, Intimaödem mit Einlagerung von Fett- und Blutzellen und anschließender Ausbildung von Granulomen in der Arterienwand. Morphopathologisch kommt es zu einer konzentrischen Wandverdickung und zunehmenden Stenosierung der arteriellen Abgänge im Bereich des Aortenbogens, seltener auch der Pulmonalarterien, mit Durchblutungsstörung der nachgeschalteten Bezirke. Die Erkrankung ist ohne Behandlung häufig progredient und führt zu Herzversagen und/oder zu zerebrovaskulären Insulten.
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
Riesenzellarteriitis, Panaarteriitis nodosa, Aortenisthmusstenose, Arteriosklerose der Aorta, inflammatorisches Aortenaneurysma, Karotisstenose, Arteriitis syphilitica, kongenitales Subklavia-Anzapf-Sy, multiple arterielle Thromboembolien, Apoplexie, Endangiitis obliterans (Morbus Bürger), Raynaud-Sy, Morbus Behçet.

Symptome

Prodrome: Fieber, Nachtschweiß, Unwohlsein, Gewichtsverlust, Abdominalschmerzen, Arthralgien, erhöhte serologische Entzündungsparameter (CRP/BSG). Diese unspezifischen Allgemeinsymptome können insbesondere bei Kindern zu einer verspäteten Diagnosestellung führen.
Vollbild: deutliche Blutdruckdifferenz mit Hypertonie in der unteren und Hypotension in der oberen Körperhälfte. Pulslosigkeit an den oberen Extremitäten und am Hals bei guter Pulsation im Versorgungsbereich der Femoralarterien. Tachykardie, hypersensitiver Karotissinusreflex mit Kollapsneigung, Strömungsgeräusche am Aortenbogen und an den Karotiden. Durch Mangeldurchblutung oder Apoplexie bedingte Symptome (v. a. bei aufrechter Haltung): Amaurosis fugax (passagere Erblindung, Sehstörungen = visuelle Claudicatio), Schwindelanfälle, Reizbarkeit, Gedächtnisstörungen, Krampfanfälle, Claudicatio intermittens der oberen oder seltener der unteren Extremitäten.
Spätsymptome (trophische Störungen): Muskelatrophie (Muskelschwäche und Hyperreflexie an Händen, Armen, Kopfbereich), Enophthalmus, Ulzerationen an den Akren, Raynaud-Phänomen, sonstige Organischämien (Myokard, Niere, Darm), Nierenarterienstenosen (30 %), renovaskuläre Hypertonie.
Befundverschlechterung während der Schwangerschaft, hypertensive Krise, gelegentlich Linksherzdekompensation durch Zunahme des Afterload.
Vergesellschaftet mit
Der entzündliche Prozess an den Gefäßen führt bei 98 % der Patienten zur Stenose oder Okklusion, bei ca. 28 % kommt es zu aneurysmatischen Erweiterungen. Linksherzhypertrophie (in 28 % der Fälle mit Herzversagen), pulmonale Hypertonie, arterielle Hypertonie, sekundäre Thrombosierungen, selten entzündlicher Befall der Koronararterien mit Angina pectoris.
Irisatrophie, Optikusatrophie, Linsentrübung (Katarakt), definitive Erblindung, Schwerhörigkeit, Tinnitus, Taubheit, Hemiparesen, Aphasie, Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew), rheumatoide Arthritis, Splenomegalie. Assoziierte Komplikationen durch Langzeit-Glukokortikoidtherapie, Infektanfälligkeit bei immunsuppressiver Therapie.
Therapie
Kortikoide, Methotrexat, Azathioprin, bei refraktären oder rezidivierenden Verläufen Therapieversuche mit anti-TNF oder Tocilizumab, häufig Thrombozytenaggregationshemmung und/oder Antikoagulation. Rezidivrisiko 70 %, häufig progrediente arterielle Läsionen. Gefäßchirurgische Interventionen wie endovaskuläre oder offen-chirurgische Gefäßeingriffe, Aortenersatz ggf. mit Aortenklappenersatz. Durchführung von aortalen Eingriffen möglichst nach Erreichen einer Remission der entzündlichen Aktivität.

Anästhesierelevanz

Im Vordergrund steht die Sicherstellung einer genügenden Blut- und O2-Versorgung in den betroffenen Gefäßversorgungsgebieten. Außer dem Perfusionsdruck ist eine ausreichende arterielle O2-Transportkapazität (regionale Perfusion, Hb/Hkt, Oxygenation) von elementarer Bedeutung. Die Vermeidung von hypertensiven Krisen mit möglichen Komplikationen wie zerebrale Blutung, Infarkt oder kardiale Dysfunktion ist essenziell.
Spezielle präoperative Abklärung
Gefäßstatus (Blutdruckmessung an allen Extremitäten, Karotisdoppleruntersuchung, Angiografie, Druckgradienten), Belastungs-EKG, Echokardiografie, Ausschluss einer pulmonalen Hypertonie, neurologischer Ausgangszustand, Hb/Hkt, Gerinnungsparameter, Nierenfunktion. Erfassung und Dokumentation des peripheren Gefäßstatus.
Wichtiges Monitoring
EKG mit ST-Strecken-Monitoring. Aufgrund der erhöhten Gefahr einer Aneurysmabildung an punktierten und kanülierten Gefäßen sollte die Indikation zu einer invasiv-arteriellen Blutdruckmessung eher streng gestellt werden. Dabei ist zu beachten, dass der für die obere Körperregion einschließlich Gehirn relevante Blutdruck in der A. radialis zu messen ist. A.-femoralis-Katheter zeigen evtl. einen höheren Perfusionsdruck an, als er im Gehirn vorliegt. Sonografische Gefäßdarstellung zur arteriellen Punktion wird empfohlen, um pathologische Veränderungen im Vorfeld zu erfassen. Vergleichende nichtinvasive Blutdruckmessung an oberer und unterer Extremität, ZVD, Blutgasanalysen und Säure-Basen-Status, Hb/Hkt. Bei Durchführung einer Allgemeinanästhesie Überwachung der zerebralen Perfusion mittels Nahinfrarotspektroskopie, EEG oder transkraniellem Doppler erwägen.
Vorgehen
Die Gewährleistung eines suffizienten O2-Transports durch Aufrechterhaltung eines stabilen Kreislaufs, genügende Volumenzufuhr, Vermeidung von Anämie, Hypoxie und Hypokapnie ist wesentlich. Letztere vermindert die zerebrale Durchblutung. Bei Allgemeinanästhesien muss der initial häufige Blutdruckabfall vermieden werden; negativ-inotrope Anästhetika sollten zurückhaltend eingesetzt werden.
Wichtig ist es in diesem Zusammenhang, an die Notwendigkeit eines adäquaten Hydratationszustandes und intravasalen Volumens zu denken, um eine Minderversorgung von Endstromgebieten zu vermeiden.
Aufgrund von Gefäßobliterationen kann es aber auch zu schweren hypertensiven Entgleisungen kommen, sodass in diesen Fällen auf ausreichende Narkosetiefe und auch Vorhaltung von Antihypertensiva wie Natriumnitroprussid zu denken ist.
Bei Arteritis bzw. Stenose der Halsgefäße sollte eine extreme Reklination der HWS vermieden und eine Intubationsnarkose videolaryngoskopisch eingeleitet werden.
Im Falle einer Regionalanästhesie (v. a. Spinalanästhesie) ist jeder, auch kurzfristige Blutdruckabfall unbedingt zu vermeiden. Als Vorteil einer Regionalanästhesie wird die Möglichkeit zur Beurteilung des Bewusstseinszustands betrachtet. Bei therapeutischer Antikoagulation oder Antiaggregation ist die Durchführung rückenmarknaher Regionalanästhesien nur nach Beachtung der entsprechenden therapiefreien Intervalle gestattet.
Bei zwingend erforderlicher Anlage von zentralvenösen Kathetern ist eine ultraschallgesteuerte Punktion zu empfehlen.
Eine Kortikoidtherapie ist perioperativ fortzusetzen bzw. dem stressbedingt erhöhten Bedarf anzupassen.
Besondere Anforderungen gelten bei der Betreuung von betroffenen Patientinnen in der Geburtshilfe. Ein frühzeitiges interdisziplinäres Vorgehen ist anzustreben. Frühzeitige, titrierte Anlage einer Periduralanästhesie unter kontinuierlicher Blutdruckkontrolle ist eine empfohlene Vorgehensweise, um exzessive Blutdruckanstiege während der Geburt zu vermeiden.
Cave
Blutdruckabfälle insbesondere bei Volumenmangel, Anämie, Hypokapnie, extrem retroflektierte Kopflagerung, hypertensive Krisen.
Besondere Vorsicht ist bei Punktionen im Bereich der Halsgefäße geboten (Karotisverletzung und Thrombosegefahr).
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